The House of Falconer - Der Schatten allen Ruhms - Barbara Taylor Bradford - E-Book

The House of Falconer - Der Schatten allen Ruhms E-Book

Barbara Taylor Bradford

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Beschreibung

Der zweite Band der neuen mitreißenden Saga der New-York-Times-Bestseller-Autorin!

London, 1889: Das viktorianische London ist ein Ort des Reichtums, der Privilegien und der Armut, eine Stadt der Extreme. Für James Falconer, der sich in kürzester Zeit vom einfachen Marktarbeiter zur rechten Hand von Henry Malvern, dem Chef des angesehensten Handelsunternehmens Londons, hochgearbeitet hat, ist es eine Stadt voller Möglichkeiten.

Während er weiter aufsteigt, wird James mit Betrug und Verrat konfrontiert. Es entwickelt sich eine erbitterte Rivalität mit Henrys Tochter Alexis - aber ihre Feindseligkeit verbirgt eine starke Anziehungskraft.

Als James eine Liebesbeziehung mit der Tochter russischer Emigranten eingeht, beginnt sich sein Leben zu verändern. Doch ein Geheimnis, das sein Leben für immer verändern könnte, droht, ans Licht zu kommen. James muss sich entscheiden, wo seine Zukunft liegt: Wird er weiterhin für Henry arbeiten oder seinem eigenen Traum folgen?

Durch Intrigen und Romanzen, Tragödien und Triumphe verflechten sich die Leben der Familien Falconer und Malvern.

Vom viktorianischen London bis zu den pulsierenden Hafenstädten Englands und Frankreichs, von anmutigen Herrenhäusern in Gloucestershire bis zur Dekadenz von Paris - »Der Schatten allen Ruhms« ist der zweite Band einer neuen unvergesslichen historischen Saga der Autorin der Emma-Harte-Saga.

»Ein extravaganter, fesselnder Roman über Liebe, Mut, Ehrgeiz, Krieg, Tod und Leidenschaft.« New York Times

»Eine mächtige Saga. Seit ›Vom Winde verweht‹ war kaum etwas so fesselnd.« Evening News

»Ein langer, befriedigender Roman über Geld, Macht, Leidenschaft und Rache, der vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts spielt.« Los Angeles Times

»Nur wenige Romanautoren verstehen es so perfekt wie Barbara Taylor Bradford, die Leser zum Umblättern zu verleiten. Sie ist eine der weltbesten Erzählerinnen.« The Guardian

»Eine klassische Saga über Loyalität, Geheimnisse, Leidenschaft und Intrigen ... Wenn Sie unter Entzugserscheinungen von Downton Abbey leiden, ist dieses Buch genau das Richtige für Sie.« Daily Mail

»Bradfords Unmengen von Fans werden diese romantische Saga verschlingen.« Booklist

»Der Auftakt einer neuen Bestseller-Reihe.« Kirkus Reviews

»Bradfords Fans werden eine Fülle an spannenden und nahbaren Charakteren finden, mit denen sie sich identifizieren können.« Publisher's Weekly

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Seitenzahl: 412

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Personenverzeichnis

Teil 1

1

2

3

4

5

6

7

Teil 2

8

9

10

11

12

13

14

Teil 3

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

Teil 4

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

Epilog

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Der zweite Band der neuen mitreißenden Saga der New-York-Times-Bestseller-Autorin!

London, 1889: Das viktorianische London ist ein Ort des Reichtums, der Privilegien und der Armut, eine Stadt der Extreme. Für James Falconer, der sich in kürzester Zeit vom einfachen Marktarbeiter zur rechten Hand von Henry Malvern, dem Chef des angesehensten Handelsunternehmens Londons, hochgearbeitet hat, ist es eine Stadt voller Möglichkeiten.

Während er weiter aufsteigt, wird James mit Betrug und Verrat konfrontiert. Es entwickelt sich eine erbitterte Rivalität mit Henrys Tochter Alexis – aber ihre Feindseligkeit verbirgt eine starke Anziehungskraft.

Als James eine Liebesbeziehung mit der Tochter russischer Emigranten eingeht, beginnt sich sein Leben zu verändern. Doch ein Geheimnis, das sein Leben für immer verändern könnte, droht, ans Licht zu kommen. James muss sich entscheiden, wo seine Zukunft liegt: Wird er weiterhin für Henry arbeiten oder seinem eigenen Traum folgen?

Durch Intrigen und Romanzen, Tragödien und Triumphe verflechten sich die Leben der Familien Falconer und Malvern.

Vom viktorianischen London bis zu den pulsierenden Hafenstädten Englands und Frankreichs, von anmutigen Herrenhäusern in Gloucestershire bis zur Dekadenz von Paris – »Der Schatten allen Ruhms« ist der zweite Band einer neuen unvergesslichen historischen Saga der Autorin der Emma-Harte-Saga.

Barbara Taylor Bradford

The House of Falconer

Der Schatten allen Ruhms

Aus dem Englischen von Michael Krug

Für meinen Schatz Bob,

in Liebe

Personenverzeichnis

DIE FALCONERS

Philip Henry Rosewood Falconer, Gründer der Dynastie; leitender Butler.

Esther Marie Falconer, seine Frau und Mitbegründerin der Dynastie; leitende Haushälterin

Ihre Söhne:

Matthew Falconer, ältester Sohn und Erbe; Standinhaber auf dem Malvern Market

George Falconer, bekannter Journalist der Tageszeitung The Chronicle

Harry Falconer, Koch und Inhaber eines Cafés namens Rendezvous

Ihre Enkelkinder (Matthews Nachkommen):

James Lionel, ein ehrgeiziger, aufstrebender junger Geschäftsmann

Rosalinde, bekannt als Rossi, Näherin

Edward Albert, Helfer seines Vaters beim Betrieb der Stände

Ihre Schwiegertochter:

Maude Falconer, Matthews Ehefrau und Mutter seiner Kinder; Näherin

DIE VENABLES

Clarence Venables, Esther Falconers Schwager, Großonkel von James Falconer, Besitzer einer Schifffahrtsgesellschaft in Hull

Marina Venables, Clarence’ Ehefrau und jüngere Schwester von Esther Falconer. Großtante von James Falconer; bekannte Künstlerin

Ihre Kinder:

William, ältester Sohn und Erbe, arbeitet bei der Schifffahrtsgesellschaft in Hull

Albert, zweiter Sohn, arbeitet bei der Schifffahrtsgesellschaft in Hull

Ihre Schwiegertochter:

Anne Venables, Alberts Ehefrau

DIE MALVERNS

Henry Ashton Malvern, Besitzer der Malvern Company, eines Großbetriebs und Immobilienunternehmens

Alexis Malvern, sein einziges Kind und somit seine Erbin. Teilhaberin an der Firma

Joshua Malvern, sein verstorbener Bruder und Geschäftspartner

Percy Malvern, sein Cousin, der das Weingeschäft in Le Havre leitet

DIE TREVALIANS

Claudia Trevalian, älteste Tochter und Erbin des verstorbenen Sebastian Trevalian

Lavinia Trevalian, Claudias Schwester

Marietta Trevalian, Claudias Schwester

Dorothea Trevalian Rayburn, Kunstsammlerin und Vorstandsmitglied der Privatbank der Trevalians. Schwester des verstorbenen Sebastian, mittlerweile das Familienoberhaupt

Cornelius Glendenning, Claudias Ehemann, Bankier, leitet mittlerweile die Trevalian-Privatbank in London

DIE CARPENTERS

Lord Reginald Carpenter, Verlagsmagnat und Inhaber des Chronicle

Lady Jane Cadwalander Carpenter, seine Ehefrau

Ihre Töchter:

Jasmin, Debütantin

Lilah, Debütantin

Ihre Zwillingssöhne:

Sebastian und Keir, geboren im März 1889

DIE PARKINSONS

Maurice Parkinson, ein bekannter Biograph, Journalist und Akademiker

Ekaterina, bekannt als Kat, seine Ehefrau, die von den Schuwalows abstammt

Ihre Kinder:

Natalja, älteste Tochter, bekannt als Natalie, Assistentin von Alexis Malvern, zuständig für die Einkaufspassagen

Irina, zweite Tochter, Modeschöpferin

Alexander, Sohn, bekannt als Sandro, Bühnenbildner am Theater

(Alle drei Kinder wurden in England geboren.)

Teil 1

EHRE UND LOYALITÄT

LONDON – KENT

1889

1

Beklommenheit. Dieses Gefühl erfuhr James Lionel Falconer, als er am Schreibtisch in seinem Büro im Malvern-Gebäude an der Piccadilly saß.

Es war Mittwoch, der 25. September 1889, und an jenem Nachmittag war ein Paket mit Dokumenten per Kurier aus Paris eingetroffen. James hatte es beflissen geöffnet und sie sofort gelesen. Die schlechten Neuigkeiten, die sie enthielten, hatten ihn bis ins Mark erschüttert.

Er blickte auf seine Hände hinab, die auf dem Stapel Dokumente ruhten. Ein kalter Schauder durchlief ihn beim Gedanken, sie dem kränkelnden Henry Malvern übergeben zu müssen. Schon den gesamten Sommer über litt sein vom Zusammenbruch seiner Tochter und vom Schlaganfall seines Bruders Joshua erschütterter Arbeitgeber unter lähmender Erschöpfung. Aber James hatte keine Wahl. Der Leiter des Unternehmens musste über alles Bescheid wissen.

Ein tiefes Seufzen entrang sich ihm. Er öffnete die oberste Schublade seines Schreibtischs, legte die Dokumente hinein, verriegelte die Lade und steckte den Schlüssel ein.

Als er die Taschenuhr hervorholte, stellte er fest, dass es fast sieben Uhr war. Wenigstens würde er sich erst am nächsten Morgen mit Mr Malvern auseinandersetzen müssen. Dann würde James’ Kollege Peter Keller in seinem Büro nebenan sein, falls er ihn bräuchte. Keller war unerschütterlich und zu einem engen Freund mit gemeinsamen Interessen geworden. Außerdem arbeitete er in der Weinsparte und könnte vielleicht dabei helfen, eine Lösung für den Schlamassel zu finden. Obwohl niemand die Tatsache aus der Welt schaffen könnte, dass Percy Malvern, Mr Malverns Cousin, nicht nur ein Dieb war und Millionen aus dem Weinbetrieb in Le Havre abgezweigt hatte, sondern sich nun auch noch als Bigamist erwies.

Auf dem Weg durch den Raum zog James den Mantel an und verließ das Büro.

Als er hinaus auf die Piccadilly trat, nieselte es nach einem stark verregneten Tag. Das frühabendliche Tageslicht schwand allmählich, und es herrschte leichter Nebel, doch die Straßenlaternen brannten bereits. Menschen hasteten heimwärts, wichen einander auf den nassen, rutschigen Bürgersteigen aus. James fügte sich in die Menge.

Er eilte in Richtung Half Moon Street, wollte so schnell wie möglich nach Hause. An jenem Abend zehrten das Klappern der Hufe von Pferden, das Rattern von Wagenrädern und der allgemeine Trubel des Verkehrs auf den Straßen an seinen Nerven. Er stellte den Kragen seines Überziehers auf und steckte die Hände in die Taschen. Es war nicht nur feucht, sondern für den September zudem kalt.

Kaum hatte James die Tür geöffnet und die kleine Wohnung betreten, die er sich mit seinem Onkel George teilte, einem Zeitungsreporter, verspürte er immense Erleichterung. Die Gaslampen an den Wänden erhellten den Raum mit schimmerndem Licht. Im Kamin brannte ein Feuer. Sogleich erschien das lächelnde Gesicht seines Onkels in der Küchentür. »Das Abendessen ist fast fertig!«, verkündete er. Ebenfalls lächelnd hängte James den feuchten Mantel an einen Haken hinter der Tür, bevor er in die Küche ging, um George zu helfen.

Sein Onkel schnitt geschickt ein großes Stück Roastbeef auf. Ohne aufzuschauen, sagte er: »Das hat deine Großmutter heute für uns gebracht, während wir bei der Arbeit waren.« Lachend fügte er hinzu: »Und die zwei frisch gebackenen Brote dort. Weißt du, Jimmy, sie vergöttert dich wirklich, mein Junge.«

»Und dich, Onkel George – immerhin bist du ihr Sohn.«

Ein Lächeln trat in Georges Züge, als er seinen Neffen letztlich ansah. »Sie ist die Beste. Es gibt niemanden wie sie.«

James nickte. Er bemerkte einen kleinen Topf aus Glas mit einem weißen Etikett. Meerrettichsauce, stand in der Handschrift seiner Großmutter darauf. Innerlich lächelte er. Sie dachte immer an jede Kleinigkeit.

Wenig später saßen sie am Küchentisch, aßen Sandwiches mit Roastbeef und tranken heißen Tee. James schwieg dabei. In Gedanken ging er unablässig die Probleme der Weinabteilung in Le Havre durch – Probleme, die sich durch die frisch eingetroffenen Dokumente bestätigt hatten.

»Mir graut davor, Mr Malvern die schreckliche Neuigkeit aus Frankreich zu überbringen«, gestand James und verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

»Übergib ihm die Dokumente einfach und sag ihm, dass ihm nicht gefallen wird, was er zu lesen bekommt«, schlug George vor. »Vielleicht wirst du davon überrascht, dass er ohnehin mit schlechten Nachrichten rechnet.«

An jenem Abend wollte sich kein Schlaf einstellen. Dabei betrachtete James ihn als seinen Retter, als den Schlüssel zu Gesundheit. Doch wenn er sich ihm entzog, wälzte er sich nicht hin und her wie manch anderer, sondern lag vollkommen still. Analytische Überlegungen begleiteten ihn als besondere Freunde durch solche öden schlaflosen Stunden.

Er war froh, dass er seinen Onkel zum Reden hatte. Zu George hatte er schon als Kind stets eine besondere Nähe empfunden, und seit sie zusammen in die Wohnung in der Half Moon Street in Mayfair eingezogen waren, hatten sie eine Verbindung auf einer anderen Ebene aufgebaut. Obwohl sie einander nicht allzu oft sahen. George arbeitete als Journalist für den Chronicle, wo er im Verlauf der Jahre weit aufgestiegen war. Seine Dienstzeiten änderten sich ständig.

James schätzte Georges Weisheit. Allmählich entspannte er sich, streckte die langen Beine im Bett aus und sank bequem auf das Kissen. Die Beklommenheit hatte sich verflüchtigt. Mr Malvern musste alles erfahren, und vielleicht würde er gar nicht allzu überrascht sein.

Dennoch war James froh, dass sich Peter Keller im Büro nebenan aufhalten würde. Mittlerweile waren sie gute Freunde geworden. Keller kannte sich mit dem Weingeschäft aus. Sein Wissen, sein Engagement und sein Fleiß verhalfen James dazu, mehr Zeit für das Beaufsichtigen der Einkaufspassagen des Unternehmens zu haben, die nicht vernachlässigt werden durften.

Unerwartet und völlig gegen seinen Willen schlich sich Alexis Malvern in seine Gedanken, die Tochter seines Arbeitgebers. Einen Herzschlag lang verspürte er einen Ansturm von Gefühlen, ein jäh einsetzendes Verlangen nach ihr. Aber er erstickte diese Emotionen, indem er sich auf ihr mangelndes Augenmerk für ihren Vater und den Betrieb konzentrierte, den sie eines Tages erben würde.

Er betrachtete ihre anhaltende Abwesenheit als Pflichtverletzung. Was an seinem Bild von ihr kratzte. Ihr Verhalten wurde seinen Erwartungen einfach nicht ganz gerecht.

Völlig unerwartet kam ihm Georgiana Ward in den Sinn, und er fragte sich, wie es ihr gehen mochte. Nur einmal hatte er seinen Cousin William gefragt, ob er etwas Neues über sie wusste. William hatte den Kopf geschüttelt und gemurmelt: »Meine Mutter hat von ihr lediglich gehört, dass es ihr fernab der Londoner Nebel besser geht. Sonst weiß ich nichts.«

Damals hatte James nicht nachgehakt, weil er nicht zu interessiert hatte wirken wollen. Mit einem kleinen Seufzen drehte er sich auf die Seite. Wann immer er an die ältere Frau dachte, seine erste Geliebte, wurde ihm klar, wie freundlich sie ihn behandelt und wie viel ihr an ihm gelegen hatte.

Irgendwann, dachte er. Irgendwann lerne ich jemanden wie sie kennen. Das weiß ich. Ihm fehlte auch William, der so weit entfernt in Hull lebte. Während er einschlief, galten seine Gedanken nur noch der Bedeutung von Familie und Freunden.

James setzte sich erschrocken auf, als hätte ihn jemand an der Schulter geschüttelt. Schlagartig war er hellwach. Im Zimmer wirkte es ungewöhnlich hell. Blinzelnd erhob er sich aus dem Bett und ging zum Fenster. Der Mond stand hoch am mitternachtsblauen Himmel und schien herein, weil er am vergangenen Abend vergessen hatte, die Vorhänge zuzuziehen. Ihm fiel auf, dass der Regen aufgehört hatte.

Plötzlich fühlte er sich rastlos, wollte nach draußen und durch die Straßen spazieren. Manchmal tat er das, um über Probleme nachzudenken. Und einen klaren Kopf zu bekommen. Wenige Minuten später trug er eine Hose und Schuhe, schlüpfte in eine dicke Jacke und verließ leise die Wohnung. Er konnte es nicht gebrauchen, dass sein Onkel aufwachte und ihn fragte, wohin er um zwei Uhr morgens wollte.

Seine Antwort hätte gelautet, dass er kein bestimmtes Ziel habe, denn das entsprach der Wahrheit. Draußen ging er die Curzon Street entlang und bog in die Park Lane ein, der er zum Wellington Arch und weiter zum Buckingham Palace folgte. Dorthin war es nicht weit, und als er den Palast in der Ferne erblickte, stellte er fest, dass kein Union Jack am Fahnenmast wehte. Demnach war niemand anwesend. Königin Victoria hielt sich in Balmoral auf, und der Prinz von Wales, ihr Thronfolger, lebte mit seiner Gemahlin, Prinzessin Alexandra, in einem eigenen Zuhause.

Also, das nenne ich mal eine wunderschöne Frau, dachte er. Elegant und königlich. Sie war taub, schien sich davon jedoch nicht beeinträchtigen zu lassen. Onkel George hatte ihm erzählt, dass sie Dänin war und ihre Schwester Minnie den Romanow-Zaren von Russland geheiratet hatte.

Als sich James den Palastmauern näherte, verlangsamte er die Schritte. Schließlich blieb er stehen und betrachtete das majestätische, fast vollständig dunkle Gebäude. Nur hinter wenigen Fenstern in den oberen Geschossen zeigte sich Licht. Im Sommer hatte Prinzessin Louise, Tochter des Prinzen und der Prinzessin von Wales, in dem Palast geheiratet.

Die Ehe, dachte James. Ich frage mich, ob ich je heiraten werde. Er verzog das Gesicht. Derzeit sprach ihn der Gedanke nicht an. Für ihn hatte etwas anderes Vorrang. Seine Karriere. Tief im Innersten wusste er, wie gut es ihm ging. Er schätzte sich so glücklich, für die Malvern Company tätig zu sein und eng mit Mr Henry zusammenzuarbeiten. Dennoch sehnte er sich unverändert danach, sich selbständig zu machen, sein eigenes Einzelhandelsunternehmen zu gründen. Schon seit seiner Kindheit hegte er den Wunsch, einer der größten Händler zu werden. Zu früh, ging ihm durch den Kopf. Es ist zu früh.

Mit einem leisen Seufzen entfernte er sich langsam vom Buckingham Palace. James war noch zu jung, um etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Er durfte nicht ungeduldig werden. Daran erinnerte ihn seine Großmutter unermüdlich. Während er die Mall entlangging, kehrten seine Gedanken zu den Tagen zurück, in denen er an den Ständen seines Vaters auf dem Malvern Market gearbeitet hatte. Damals war er acht Jahre alt und auf Anhieb davon begeistert gewesen, hatte jeden Moment dort genossen.

Bleib ruhig und mach weiter. Langsam, sagte er sich. Dann gelangst du eines Tages dorthin, wo du sein willst.

2

Am nächsten Morgen brach James sehr früh zum Malvern House auf. Auf dem Weg durch den Korridor zu seinem Büro genoss er die Stille, die geschlossenen Türen und die ausgeschalteten Lichter. An diesem Tag war er als Erster eingetroffen.

Bevor er sich etwas anderem widmete, entriegelte er die Schreibtischschublade und holte die am Vortag zugestellten Dokumente heraus. Sie stammten von Philippe de Lavalière, einem Privatdetektiv in Paris, den das Unternehmen damit beauftragt hatte, den aufgedeckten Betrug zu untersuchen. Rasch sah er die Schriftstücke durch, las mehrere davon erneut und legte sie schließlich beiseite.

Da Mr Malvern noch nicht eingetroffen war, ging er einige der Berichte von Natalja Parkinson durch, Alexis’ Assistentin, die in ihrer Abwesenheit beim Bewältigen der Aufgaben half. James arbeitete gern mit Miss Parkinson – oder Natalie, wie ihre Freunde und Familie sie nannten. Sie war effizient und besaß ein feines Gespür dabei, ihren Mietern zu helfen, die Schaufenster ihrer Geschäfte ansprechend zu gestalten.

Etwas später, als er Mr Malverns Schritte im Korridor vor seinem Büro hörte, erhob sich James und ging hinaus. »Guten Morgen, Sir«, grüßte er.

Bei den Worten drehte sich Henry Malvern um und lächelte James an. »Morgen, Falconer«, erwiderte er. Sein Arbeitgeber sah neuerdings etwas besser aus, ermüdete allerdings immer noch leicht.

»Könnte ich wohl kurz in Ihr Büro kommen und mit Ihnen reden?«, fragte James. »Es ist wichtig.«

Malvern nickte. »Natürlich.« Als er weiterging, fügte er hinzu: »Kommen Sie gleich, Falconer. In einer halben Stunde habe ich einen Termin mit den Buchhaltern.«

»Sofort, Sir.« Rasch kehrte James in sein Büro zurück, holte die Dokumente und eilte hinter seinem Arbeitgeber her.

Nachdem Henry Malvern seinen Mantel an den Garderobenständer in der Ecke gehängt hatte, setzte er sich hinter seinen Schreibtisch. Er richtete den Blick auf James, der bereits eintrat, und fragte: »Sind diese Dokumente der Grund, warum Sie mit mir reden wollen?«

»Ja, Sir.«

»Wohl nicht von Alexis, oder?«

James schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Sie sind gestern spät per Kurier eingetroffen, kurz nachdem Sie gegangen sind. Von der Niederlassung in Paris.« James blieb vor dem großen georgianischen Geschäftsführerschreibtisch stehen und deponierte das Bündel der Dokumente darauf. »Ich fürchte, es sind keine guten Neuigkeiten.«

Henry Malvern legte den Kopf schief und sah James eindringlich an. »Ich habe keine guten Neuigkeiten erwartet, Falconer.« Er las die Unterlagen. Nach kurzer Zeit jedoch sagte er: »Bitte setzen Sie sich. Sie wissen, dass es mich nervös macht, wenn Sie so herumstehen.«

»Tut mir leid, Sir«, erwiderte James, ließ sich auf dem Stuhl vor dem imposanten Tisch nieder und wartete geduldig, während sein Arbeitgeber die Informationen verdaute.

Schließlich schaute Henry auf, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. »Ein Bigamist! Ich bin nicht allzu überrascht, dass er so viel gestohlen hat, doch diese Liebschaften verblüffen mich. Mein Cousin ist ein so schlichter, reservierter Mann, zudem eher klein geraten. Aber wie meine Mutter zu sagen pflegte: ›Stille Wasser sind tief, und am Grund lauert der Teufel.‹ Ich denke, ihre Worte könnten durchaus auf Mr Percy Malvern zutreffen.«

Die Dokumente offenbarten, dass Percy Malvern nicht nur Geld von der Firma veruntreut, sondern auch zweifach geheiratet hatte. Er hatte eine englische Ehefrau namens Mary und mit ihr die siebzehnjährige Tochter Maeve. Die beiden lebten in Nizza. Die zweite Gemahlin, eine sechsundzwanzigjährige Französin, hieß Colette und wohnte mit dem sechsjährigen Sohn Pierre in Beaulieu-sur-Mer ein Stück außerhalb von Monte Carlo.

Von Percy Malvern selbst fehlte jede Spur. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

In seinem Begleitbrief deutete Philippe de Lavalière an, Percy könnte ins Ausland geflüchtet sein, vielleicht an einen Ort wie Französisch-Westindien, wo sich ein Mann dauerhaft verstecken könnte. In dem Fall bestünde kaum eine Chance, ihn je zu finden.

James nickte. »Er muss ausgesprochen verschlagen sein. Es bedarf eines besonderen Geschicks, zwei Familien gleichzeitig zu unterhalten. Aber Geld dürfte dabei wohl hilfreich sein. Meinen Sie, dass wir irgendetwas davon zurückerlangen können, Mr Malvern?«

»Ich habe keine Ahnung, Falconer. Was ich hier lese, macht mir wenig Hoffnung darauf. Vorerst werde ich wohl eigene Mittel in die Weinabteilung in Le Havre stecken müssen. Etwas anderes fällt mir nicht ein.« Der ältere Mann runzelte die Stirn. »Es wird ein langer Weg zurück in die Gewinnzone. Ich werde die Einnahmen aus anderen Sparten des Betriebs steigern müssen.«

James musterte Malvern mit einem grübelnden Blick, bevor er sagte: »Der Vorschlag, ausgerechnet jetzt Geld auszugeben, mag seltsam erscheinen, aber haben Sie noch einmal über meine Idee nachgedacht, eine Einkaufspassage in Hull zu errichten, Sir?«

»Die Stadt des Frohsinns, wie man Sie laut Ihnen nennt.« Henry nickte. »Das habe ich. Wenn Sie einen geeigneten Ort dafür finden, den die Leute gern aufsuchen würden, könnte ich mich dazu überreden lassen. Zum Glück läuft es im Einzelhandel allgemein gut, und ich habe nichts gegen eine Expansion einzuwenden. Wenn sie sich lohnt. Wir werden etwas brauchen, um diese Katastrophe wettzumachen.« Er deutete auf die Dokumente aus Frankreich.

Die Antwort erfüllte James mit Freude. Ein verhaltenes Lächeln trat in sein Gesicht. »Mein Cousin William Venables kennt mehrere Standorte, die er uns gern zeigen würde, wann immer Sie die Zeit für eine Reise nach Hull erübrigen können, Mr Malvern. Und wenn Sie bereit sind, ihm Ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Außerdem habe ich recherchiert und die Pläne ausgearbeitet, die Sie für die Harrogate-Passage hatten. Die würden sich auch hervorragend für das Projekt in Hull eignen.«

»Ausgesprochen einfallsreich, Falconer«, lobte Henry mit einem kleinen Anflug von Begeisterung. Er hatte immer gewusst, dass dieser junge Mann klug war. Außerdem hatte er sich als fleißig und äußerst diszipliniert erwiesen. Gelegentlich konnte er auch vehement sein wie ein Löwe, der sein Territorium abgrenzte. Und nun bot er einen Ausweg aus dieser Misere. Henry Malvern überlegte kurz, ehe er sich räusperte und verkündete: »Wir sollten so bald wie möglich nach Hull. Vielleicht können wir das noch in Gang setzen, bevor das kalte Wetter einsetzt. Was halten Sie davon?«

James strahlte seinen Arbeitgeber an. »Ich fange sofort an, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, Sir.«

Esther Marie Falconer war eine Frau, die von jedem gemocht und von vielen Menschen innig geliebt wurde. Für ihre Familie kam sie Mutter Erde gleich, einfühlsam, verständnisvoll, voller Weisheit und Freundlichkeit. Ihre Arbeitgeber, die Montagues, hielten sie für die beste Haushaltsleiterin in London, ruhig, organisiert, diskret. Und wie ihr Personal und ihre Kinder wussten, konnte sie auch hart und unerbittlich sein, obwohl sie ein von Natur aus liebevolles Herz besaß. Ihre Familie liebte sie aus tiefster Seele. Sie bestimmte ihr gesamtes Leben.

Im Augenblick saß sie in ihrem kleinen, aber gemütlichen Haushälterinnensalon, der ihr als Büro in der Villa Montague nahe des Regent’s Park diente. Vor fünf Tagen war ihr Ehemann Philip Falconer, Butler des Hauses, die Steintreppe zum Keller hinuntergestürzt und hatte sich das Fußgelenk gebrochen. Er war eben erst aus dem Krankenhaus entlassen worden, und Esther hatte über einiges nachzudenken.

Als ihr der Unfall durch den Kopf ging und welches Glück er gehabt hatte, zog sich ihr innerlich alles zusammen. Wäre er unglücklich auf dem Genick gelandet, er wäre vielleicht nicht mehr am Leben. Sie schloss die Augen, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und dankte Gott dafür, dass er ihn beschützt hatte. Ihr hingebungsvoller Ehemann, ihr Fels in der Brandung, hatte noch nie zuvor im Leben einen Unfall erlitten. Esther betete, dass es der erste und letzte gewesen sein würde.

Sie öffnete die Augen, warf erneut einen Blick auf den Kalender und zählte zusammen, wie viele Wochen die Familie Montague noch durch Europa reisen würde. Das Ergebnis entsprach ihrer Schätzung. Ihre Arbeitgeber würden erst Ende Oktober zurückkehren. Wiederum ein Glück. Bis dahin würde sich Philip erholt haben.

Plötzlich kam ihr in den Sinn, dass Philip und sie immer Glück gehabt hatten. In gewisser Weise war ihnen ein zauberhaftes Leben vergönnt gewesen.

Ihre Gedanken unternahmen eine Zeitreise zu ihrem zwölften Lebensjahr. Damals war sie in Melton aufgewachsen, einem kleinen Dorf etwas außerhalb von Hull, einem der großen Seehäfen Englands.

Schon zu der Zeit war sie klug, ehrgeizig und auch recht hübsch gewesen. Sie wusste haargenau, dass man sie deshalb in Melton Priory aufgenommen hatte, Heimat von Lord Percival Denby, dem sechsten Earl of Melton.

Durch die Verbindung ihrer Mutter zu Lady Minerva Denby, der Schwester von Lord Percival, war Esther zur Zofe ausgebildet worden, um sich um Lady Agatha zu kümmern, die sechzehnjährige Tochter des Earls.

Seither war Esther bei ihrer Herrin. Sie war mit ihr gereist, als sie ein junges Mädchen war, und bei ihr geblieben, als sie geheiratet hatte. Seit fünfzig Jahren, um genau zu sein.

Wie die Zeit verfliegt, dachte Esther mit leichtem Erschrecken, als ihr einfiel, dass sie mittlerweile zweiundsechzig Jahre alt war. Philip war vier Jahre älter, fast sechsundsechzig. Obwohl weder er noch sie so aussahen. Aber bei den Montagues, die ihre Loyalität, Ehrlichkeit, Hingabe und ihren Fleiß schätzten, waren sie auch stets behütet und wohlgenährt gewesen. Und wenn Philips Fußgelenk ordentlich heilte, würden sie ihnen weiterhin dienen. Abwesend rieb sich Esther die linke Hand, wo sich hartnäckige Arthritis bemerkbar machte.

Im Verlauf der Jahre war Esther zur leitenden Haushälterin der beiden Wohnsitze von Lady Agatha aufgestiegen – dem von John Nash entworfenen am Regency Park in London und dem alten Landsitz in Kent namens Fountains Court.

Esther und Philip hatten sich im Londoner Haus kennengelernt, als Lady Agatha Lord Arthur Blane Montague geheiratet hatte, dem beide Eigenheime gehörten.

Auch Philip, der aus Kent stammte, war in jungen Jahren mit gerade mal sechzehn in den Dienst eingetreten. Nach seinem bescheidenen Beginn als Lakai in Fountains Court war er mittlerweile leitender Butler und dem Lord, wie er Mr Montague nannte, treu ergeben.

Wie seine Ehefrau war Philip bei seinem ursprünglichen Arbeitgeber geblieben und wurde in höchstem Maße geschätzt.

Man stelle sich nur vor, dachte Esther und sah sich in ihrem Salon um. Ich habe von diesem Haus aus geheiratet und bin immer noch hier. Lächelnd betrachtete sie das kleine Foto ihres Gemahls mit ihren Söhnen und Enkeln. Sie erinnerte sich an den jungen Mann zurück, in den sie sich vor all den Jahren verliebt hatte.

Wir sind uns begegnet, haben uns gegenseitig angeschaut und es gewusst. Was hatte ich doch für Glück. Und er auch, ging es ihr durch den Kopf.

Esther schob den Stuhl zurück, stand auf, betrat den Korridor, begab sich zur Küche und öffnete die Tür. »Köchin, ich gehe jetzt nach oben. Für das Abendessen heute haben wir ja alles geklärt.«

»Ich habe alles im Griff, Mrs Falconer«, erwiderte die Köchin und schenkte ihr ein breites Lächeln. »Ich freue mich schon darauf, einige der Lieblingsgerichte Ihrer Familie zuzubereiten.«

Esther lächelte zurück, bevor sie die Tür wieder schloss. Sie stieg die rückwärtige Treppe hinauf und durchquerte den Flur. Dann entdeckte sie Philip, der mit ihrem Enkel im Wintergarten saß, der zum Garten hinter dem Haus führte.

»Da seid ihr ja!«, rief sie und eilte zu ihnen. »Und schnattert wie zwei alte Käuze.«

»Ich bin ein alter Kauz«, erwiderte Philip und lachte belustigt.

»Das stimmt doch gar nicht!«, widersprach seine Ehefrau und setzte sich neben James auf das Sofa.

»Ich bin so froh, dass wir unser Samstagabendessen hier unten im Esszimmer für Bedienstete abhalten können statt bei euch zu Hause. Das ist einfacher für deinen Großvater.«

James nickte und sah Philip an. »Nett vom Lord, uns alle herkommen zu lassen, nicht wahr?«

»Das ist es wirklich, James«, erwiderte Philip mit einem Blick auf sein linkes, gegipstes, auf einem Polsterhocker ausgestrecktes Bein. »Er hat gleich nach dem Erhalt meines Telegramms eine Antwort aus Monte Carlo geschickt. Darin hat er darauf bestanden, dass ihr alle zu unserem traditionellen Abendessen herkommt. Er hat mich sogar aufgefordert, einen seiner Weine dazu auszuwählen.«

»Telegramme sind schon etwas Wunderbares«, merkte Esther an. »Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie wir je ohne sie ausgekommen sind. Der Lord hat außerdem darauf bestanden, dass sich dein Großvater hier ausruht, um vom Licht und der Wärme zu profitieren. Aber wie auch immer, James, ich bin erleichtert, dass du so gut aussiehst. Dein Vater hat mir erzählt, dass du ständig lange arbeitest.« Sie sah ihn eindringlich an.

»Ja, stimmt, Oma, aber ich bin in bester Verfassung. Und Mr Malvern ist ein so netter Arbeitgeber. Wir gestalten gerade das gesamte Unternehmen um, und er weiß meine Hilfe dabei zu schätzen. Tatsächlich meint er, ohne mich könnte er es nicht.«

»James, was ist aus Mr Malverns Tochter geworden? Arbeitet sie nicht mit ihrem Vater und dir zusammen?«, fragte Philip.

James schüttelte den Kopf. »Nein, ich fürchte nicht.« Er schaute von seinem Großvater zu seiner Großmutter, bevor er in ernstem Ton fortfuhr. »Es ist gewissermaßen eine ziemlich traurige Geschichte. Miss Alexis scheint sich vom Tod ihres Verlobten noch nicht erholt zu haben. Er ist nur eine Woche vor ihrer geplanten Hochzeit gestorben. Sie lebt in Kent und besucht kaum je das Malvern House.«

Esther runzelte die Stirn und ergriff mit leiser Stimme das Wort. »Ich meine, mich zu erinnern, dass du über sie gesprochen hast. Sie war eine erstklassige Geschäftsfrau, eine der wenigen in London.« Kurz verstummte Esther und schüttelte den Kopf. »Ist sie nicht sein einziges Kind? Mr Malverns Erbin?«, fragte sie mit Verwirrung im Ton.

»So ist es, Oma. Aber sie scheint sich nicht für das Unternehmen zu interessieren. Oder für irgendjemanden. Nicht mal für ihren Vater. Es ist ein Jammer. Und so traurig, ihn leiden zu sehen. Meiner Einschätzung nach ist er untröstlich darüber.«

Esther lehnte sich zurück, schüttelte abermals den Kopf und schaute verdutzt drein.

Dann ergriff Philip das Wort. Er sah James an und zog fragend eine Braue hoch. »Ist sie irgendwie körperlich krank?«

»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete James mit gerunzelter Stirn. »Worauf willst du hinaus, Großvater?«

»Klingt für mich, als könnte Miss Malvern unter einer geistigen Störung leiden. Wie lange verhält sie sich schon so?«

»Sebastian Trevalians Tod ist inzwischen über ein Jahr her.«

Einige Augenblicke lang trat Stille ein. Blicke wurden gewechselt. Diesmal sprach Esther zuerst. »Mir scheint, sie kann ihn nicht loslassen und klammert sich an sein Andenken. Eine sehr traurige Sache. Bestimmt war der plötzliche Verlust des Mannes, den sie heiraten wollte, ein fürchterlicher Schock. Darauf muss entsetzlicher Kummer gefolgt sein. Dennoch scheint mir das nicht normal zu sein. Ihr Verhalten ist seltsam, um es harmlos auszudrücken.«

»Sie hat einen berühmten Arzt in Wien aufgesucht«, erklärte James. »Er heißt Dr. Sigmund Freud. Anscheinend untersucht er den Geist, nicht den Körper.«

Plötzlich setzte sich Philip aufrechter hin und nickte eifrig. »Ich habe über ihn gelesen! In einem von Lady Agathas Wissenschaftsmagazinen. Man bezeichnet ihn als Seelenarzt. Patienten sprechen mit ihm, und er analysiert, was sie sagen. Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, wie er Patienten damit heilt. Aber er wird allmählich wirklich berühmt.«

»Er hat sie sechs Monate lang behandelt«, vertraute James seinen Großeltern an. »Deshalb hat mir Mr Malvern die Stelle angeboten, als sein ... Assistent, könnte man mich wohl nennen. Miss Malvern war nach Wien gereist.«

»Jetzt erinnere ich mich«, rief Esther. »Dein Vater hat mir die Geschichte erzählt.« Ihr Blick wurde abwesend, als betrachtete sie etwas weit Entferntes. Nach ein, zwei Augenblicken fragte sie: »Und wie geht es jetzt weiter, James? Wird sie je zurückkommen?«

»Ich habe keine Ahnung. Und offen gestanden glaube ich, Mr Malvern weiß es auch nicht.«

»Aber was will er ohne Erben oder Erbin machen?«, kam von Philip.

Esther sah ihren Ehemann eindringlich an. »Der Arme. Und was hat er mit Malverns vor?«

Leise antwortete James: »Er hat mit mir über den Verkauf der Firma gesprochen, sobald wir sie wieder so gut wie möglich auf Vordermann gebracht haben. Daran arbeiten wir gerade.«

»Glaubst du, er würde dieses alte Familienunternehmen wirklich verkaufen?«, hakte Philip nach.

James antwortete nicht sofort. Erst nach einem Herzschlag sagte er langsam, aber mit fester Stimme: »Ja, ich denke, das würde er, wenn der Preis stimmt.«

3

Der Rest der Familie Falconer traf zusammen ein, was Esther freute, als sie alle auf der Treppe an der Hintertür erblickte.

»Kommt rein, kommt rein!«, rief sie und öffnete mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht die Tür weiter.

Sobald sie sich in der beengten Diele befanden und die Tür geschlossen war, wurde umarmt, geküsst und einander begrüßt. Unwillkürlich dachte sie, wie schneidig ihre drei Söhne in ihren besten Sachen aussahen.

Matthews Frau Maude trug ein elegantes, schlichtes knöchellanges Leinenkleid, verziert mit einer schwarzen Baumwollrose an der Schulter.

Esthers Enkelin Rossi hatte sich für ein ähnliches Sommerkleid aus hellblauem Crêpe de Chine entschieden. Rossis jüngerer Bruder Eddie hatte sich in seinen einzigen feinen Anzug geworfen.

»Gehen wir zu Dad, ja?«, übernahm Matthew das Kommando.

»Ja, kommt mit«, pflichtete Esther ihm bei und lächelte ihren Erstgeborenen an. »Er ist mit James oben im Wintergarten.«

Dort scharten sich alle um Philip auf dessen Stuhl, machten ein großes Aufhebens um ihn und vermittelten ihm deutlich das Gefühl, geliebt zu werden.

Schließlich drängte sich Eddie nach vorn und verkündete: »Ich hab ein Gemälde für dich mitgebracht, Opa.« Er reichte ihm ein Päckchen, bevor er sich an Esther wandte. »Für dich auch, Oma.«

Er stand da und beobachtete, wie seine Großeltern ihre Geschenke öffneten, ehe sie sein künstlerisches Talent lobten. Matthew und Maude lächelten vor Stolz auf ihren jüngeren Sohn.

Rossi hatte ebenfalls etwas für ihre Großeltern mitgebracht. »Halstücher für euch beide.« Erklärend fügte sie hinzu: »Sommerhalstücher aus Seide, weil es abends manchmal kühl wird.«

Esther und Philip bedankten sich herzlich und beglückwünschten ihre Enkeltochter. Schließlich wandte sich Esther an Matthew, Harry und George. »Würdet ihr drei bitte mit mir nach unten in die Küche kommen? Rossi und Maude können Dad in der Zwischenzeit unterhalten. Ihr könnt gleich mit ihm plaudern. Kommst du auch, James?«

Die Männer nickten und folgten Esther aus dem Raum. Sobald sie sich im Flur befanden, fragte George: »Gibt’s ein Problem, Ma?« In seiner Stimme schwang Besorgnis mit.

»Nein, nein«, entgegnete Esther schnell. »Gehen wir nach unten, damit ich euch vieren etwas erklären kann.«

»Ich würde zu gern die Küche sehen, Mutter«, erwiderte Harry. »Dort bin ich ewig nicht mehr gewesen. Und die Köchin möchte ich auch begrüßen.«

Esther führte sie die hintere Treppe hinab. Unten drehte sie sich den anderen zu. »Seht euch die Stufen an und sagt mir, ob ein Mann mit eingegipstem Bein sie eurer Meinung nach leicht bewältigen kann, selbst mit eurer Hilfe.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Harry sofort und sah seine Brüder an. »Was meint ihr, George, Matthew?«

George schüttelte den Kopf. »Du hast recht. Es wäre schwierig, selbst wenn wir ihn zu beiden Seiten stützen. Die Treppe ist steil, schmal und verläuft gekrümmt.«

»Aber Opa glaubt, dass wir das Abendmahl im Esszimmer für Bedienstete einnehmen«, entfuhr es James. »Wird er sich nicht aufregen, wenn wir es nicht tun?«

»Vielleicht«, räumte Esther ein. »Trotzdem denke ich, wir dürfen ihn nicht in die Nähe dieser Treppe lassen. Tatsächlich habe ich den Tisch bereits im Frühstücksraum gedeckt. Er ist recht groß, wir passen alle leicht dran.«

»Darüber wird er nicht erfreut sein«, prophezeite Harry mit einem eindringlichen Blick zu seiner Mutter. »Du weißt ja, dass er schon ewig und drei Tage seine Regeln hat. Das Personal hat keine Räumlichkeiten der Familie in deren Abwesenheit zu benutzen. Dad nennt das Besitzstörung.«

»Das weiß ich nur zu gut. Er war nur deshalb einverstanden damit, sich in den Wintergarten zu setzen, weil der Lord darauf bestanden hat. Aber Gott sei Dank gibt es Telegramme. Ich habe Lady Agatha in Monte Carlo eines geschickt und ihr das Problem geschildert. Ihre Antwort war schlicht. Sie hat meinem Vorschlag mit dem Frühstücksraum zugestimmt.«

»Gut, dass du so vorgegangen bist, Mutter.« Matthew legte ihr die Hand auf die Schulter. »Sobald er Lady Agathas Telegramm an dich gelesen hat, dürfte es wohl kein Problem mehr geben.«

»Ich wollte nur, dass ihr darüber Bescheid wisst, weil ich gegebenenfalls eure Unterstützung brauche.«

»Auf jeden Fall, Oma«, kam sofort von James. Ihre Söhne versicherten ihr, dass sie auf ihrer Seite stünden und es kein gutes Argument für ein anderes Vorgehen gäbe. Mit einem Gips bis hinauf zum Knie könnte ihr Vater diese Treppe selbst mit ihrer Hilfe nicht bewältigen.

»Aber wie wollt ihr mit der Treppe zu eurer Wohnung fertig werden?«, fragte Matthew seine Mutter.

»Das ist weniger ein Problem – solange die Familie weg ist, können wir die Haupttreppe benutzen. Und seine Verwaltungsarbeit erledigt er ohnehin im Wintergarten.«

Esther dankte den Männern und fügte hinzu: »Gehen wir mit Harry in die Küche. Er kann es kaum erwarten, die Köchin zu sehen und ein paar Minuten mit ihr zu plaudern.«

Mrs Grainger, die seit zwanzig Jahren für die Montagues kochte, bereitete ihnen einen fröhlichen Empfang. Danach meinte sie zu Harry: »Herzlichen Glückwunsch. Ich habe alles über Ihr neues Restaurant gehört und bin froh, dass es so gut angenommen wird.«

»Danke, Mrs Grainger.« Er grinste sie an. »Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus, dass ich einige Ihrer Rezepte stibitzt habe.«

Die Köchin lachte. »Mich hat es immer gefreut, wenn Sie sich in die Küche geschlichen und mir bei der Arbeit zugesehen haben, als Sie jünger waren.«

»Ich habe ihnen vom Essen im Frühstücksraum erzählt«, ergriff Esther das Wort, die weitergehen wollte. »Die Jungs werden mich unterstützen.«

Die Köchin nickte. »Für Mr Falconer wäre es gefährlich, die Treppe zu benutzen. Der Frühstücksraum ist unproblematisch. Das Essen geht wie jeden Tag, wenn die Familie zu Hause ist, einfach mit dem Speisenaufzug hinauf.«

Eine Weile standen sie noch da und unterhielten sich mit Mrs Grainger über das Abendessen. Harry bat um Erlaubnis, sich ihre wunderschönen Kupfertöpfe, Pfannen und Formen anzusehen, die er hinlänglich bewunderte.

Nach dem Verlassen der Küche führte Esther ihre Söhne und ihren Enkel zum Frühstücksraum. Es herrschte Einigkeit darin, dass er sich ideal für das Familienessen eignete. Die Gaslampen brannten bereits. Der Tisch sah mit einer Schale voller frischer Blumen in der Mitte einladend aus.

Als sie zum Wintergarten zurückkehrten, wollte Rossi wissen, wo sie gewesen waren und was sie gemacht hatten. »Bestimmt wollte Onkel Harry das Menü überprüfen«, meinte sie grinsend zu ihrer Mutter.

»Nicht wirklich«, entgegnete Harry. »Wie wir alle wissen, ist Mrs Grainger eine großartige Köchin. Sie hat für heute Abend wunderbare Gerichte zubereitet – lauter Leibspeisen.«

»Ich wollte den Männern die Hintertreppe zeigen«, warf Esther ein, weil sie das Problem rasch aus der Welt schaffen wollte. »Sie sind mit mir einer Meinung, dass sie sehr steil ist.« Esther sah eindringlich ihren Ehemann an. »Wir essen im Frühstücksraum, der in dieser Etage liegt und ...«

»Nein, nein, nein. Das können wir nicht. Du kennst die Regeln«, fiel Philip ihr ins Wort.

»Doch, wir können. Ich habe Lady Agatha ein Telegramm geschickt.« Bevor er weitere Einwände erheben konnte, holte Esther es aus der Rocktasche und reichte es ihm.

Schweigend las Philip, ehe er ihr ein mattes Lächeln schenkte. »Du hast gewonnen«, murmelte er. »Und tatsächlich hast du recht. Die Treppe wäre mit dem Gips ein Problem für mich.«

Esther genoss die Zusammenkünfte ihres kleinen Clans zum Essen am Samstagabend immer. So auch diesmal.

Als ihr Blick um den runden Tisch im Frühstücksraum wanderte, stellte sie fest, wie wohl sich alle fühlten, was sie freute.

Sie betrachtete ihre drei Söhne, musterte sie nacheinander. Alle sahen auf unterschiedliche Weise recht gut aus und kleideten sich unbestreitbar tadellos. In ihren dunklen Konfektionsanzügen mit diskreten Seidenkrawatten – Geschenke von ihr – wirkten sie gepflegt und adrett. Als letzten Schliff hatte sich jeder ein weiches Seidentaschentuch in die obere Jacketttasche gesteckt. Hinter ihrem Lächeln flammte Stolz auf.

Sie hatten sich in ihren jeweiligen Berufen gut gemacht. Und weil Philip und sie ihre Kinder nach hohen Maßstäben erzogen hatten, waren aus ihnen anständige, ehrenhafte, loyale und integre Männer geworden.

Dabei waren sie seltsamerweise eher schelmische, manchmal beinahe ungezogene Jungen gewesen. Sie hatten ihre Meinungsverschiedenheiten gehabt, die zu Streitigkeiten, hitzigen Wortgefechten und bisweilen sogar zu Handgreiflichkeiten geführt hatten. Aber ihr Vater und sie hatten ihnen eingebläut, derlei Dinge fair und ruhig zu regeln, nicht mit dem Blut in Wallung. Letztlich hatten sie es gelernt.

Schon als sie noch recht jung gewesen waren, hatte sich Esther das allsamstägliche Abendessen einfallen lassen, eine besondere Gelegenheit, bei der von allen erwartet wurde, dass sie sich von der besten Seite zeigten. Sie waren stets begeistert von den köstlichen Mahlzeiten gewesen, die sie zusammengestellt und zubereitet hatte. So war daraus ein von den Jungen geliebtes Ritual geworden.

Wer sich in der Woche davor nicht zu benehmen gewusst hatte, war davon ausgeschlossen worden. Diese Regel hatte sie meist bewogen, sich rechtzeitig eines Besseren zu besinnen. Niemand hatte ihr Beisammensein am Samstagabend verpassen wollen. Alle hatten es immer als besonderes Vergnügen betrachtet.

Ihr Blick fiel auf Maude, ihre Schwiegertochter, Matthews Angetraute und Mutter von James, Rossi und Eddie. Philip und Esther liebten diese sanftmütige, fürsorgliche Frau, die für ihren Ehemann und ihre Kinder ein glückliches Zuhause geschaffen hatte. Sie war immer schlank gewesen und umso mehr seit einer schlimmen Grippe vor wenigen Jahren. Mittlerweile durchzogen feine silbrige Strähnen ihr rostbraunes Haar, doch die tiefbraunen Augen in dem lieblichen Antlitz waren so ausdrucksstark wie eh und je.

Sie begrüßte das Zusatzeinkommen, das sie durch geschickte Näharbeit verdiente, und hatte stets für jeden ein freundliches Wort übrig.

Auch als Maude in Matthews Leben getreten ist, hatten wir Glück, ging es Esther durch den Kopf. Sie hat die Familie um so viel weitere Liebe ergänzt.

Wenn nur Harry und George so bezaubernde Frauen wie sie fänden. Der Gedanke an ihre beiden unverheirateten Söhne, die ihr gerade gegenübersaßen, trübte Esthers Stimmung ein wenig. Hoffentlich würde es bald geschehen, bevor sie zu festgefahren in ihren Gewohnheiten wurden. Sie wollte nicht, dass sie einsam durchs Leben gehen und alt werden müssten.

Die beiden werden jemanden kennenlernen, sagte sie sich. Und zwar dann, wenn sie am wenigsten damit rechnen. Von irgendwoher werden junge Frauen auftauchen, und sie werden sich ineinander verlieben. Mit einem leisen Seufzen löste sie sich aus ihrem Tagtraum.

Die leitende Hausmagd Kitty trat mit einem Tablett ein, auf dem sich drei Soufflés befanden. Ihr folgten die beiden jüngeren Dienstmädchen Fanny und Maureen, ebenfalls mit Tabletts voller Soufflés.

»Danke, Kitty«, sagte Esther und lächelte sowohl sie als auch die beiden anderen Frauen an. »Die Soufflés sehen herrlich aus.«

»Und wie«, bekräftigt Philip. Der Rest der Familie nickte zustimmend.

»Mir läuft wirklich das Wasser im Mund zusammen«, sagte Harry und fragte sich, worin das Geheimnis der Köchin bestehen mochte. Die Soufflés waren nicht in sich zusammengefallen, obwohl sie heraufgetragen worden waren. Vielleicht lag es genau daran. Sie waren nicht mit dem Speisenaufzug befördert worden. Zweifellos hatten die Frauen sie in aller Eile hergebracht. Nur in einem ausgesprochen eleganten Haushalt wie diesem mit einer so begabten Köchin wie Mrs Grainger würde man etwas so Ausgefallenes wie ein Soufflé bekommen, und während des Essens gab es reichlich Lob dafür. Als das mit Yorkshire-Pudding, Bratkartoffeln und Rosenkohl servierte Roastbeef eintraf, brach leiser Jubel unter den Männern aus.

Esther lachte. »Freut mich, dass ihr so glücklich seid«, sagte sie mit einem Blick auf ihre drei Jungen. »Ihr habt alle ein Sonntagsessen an einem Samstagabend verlangt. Und die Köchin ist dem Wunsch sofort nachgekommen.«

4

Alexis Malvern stand auf der Anhöhe mit Blick über die Romney Marsh. Über der Landschaft trieb noch Nebel, der sie verschwommen und undeutlich wirken ließ. Aber wenn sie aufschaute und darüber hinwegblickte, sah sie das Meer und konnte dahinter schwach die Umrisse der französischen Küste ausmachen. Ein verhaltenes Lächeln verzog ihre Lippen, als sie daran zurückdachte, wie gern Sebastian in der Abenddämmerung an der Stelle gestanden und auf die Lichter eines anderen Landes unmittelbar jenseits des Ärmelkanals gezeigt hatte. Dieser Anblick im Zwielicht hatte ihn immer begeistert.

Seit Tagen war es in Kent bewölkt und feucht. In Goldenhurst herrschte überall Nässe. Stellenweise war der Boden schlammig, und die letzten spät blühenden Blumen erschlafften und welkten. Ein Großteil der Gärten hatte schwer gelitten und war vom steten Regenguss regelrecht zerstört worden.

An jenem Freitagnachmittag in der ersten Oktoberwoche schien endlich die Sonne an einem wolkenlosen Himmel der Farbe ihrer Glockenblumen im Mai, und eine leichte Brise sorgte für Frische in der Luft.

Alexis wandte sich ab und ging in den Winkel der Gärten, in dem Sebastian und sie so gern in der Laube gesessen hatten. Im Sommer bevölkerten Scharen blauer Blumen diesen Teil des Geländes. Insgeheim dankte sie Magdalena Ellis, der talentierten Gärtnerin, die Sebastian geholfen hatte, diese Oase natürlicher Schönheit zu erschaffen.

Als sie sich auf der Bank zurücklehnte und die Augen schloss, stieg der Kummer wieder in ihr auf. Er sollte bei ihr sein. Mittlerweile wären sie seit einem Jahr verheiratet gewesen. Und hätten vielleicht sogar ein Kind. Durch den Jahrestag seines Tods kam alles stärker als je zuvor wieder hoch. Ihr Verlobter war älter als sie gewesen und hatte bereits eigene erwachsene Kinder gehabt. Trotzdem hatte er noch in der Blüte des Lebens gestanden. Niemand hatte damit gerechnet, dass ihn eine Lungenentzündung dahinraffen könnte.

Alexis schüttelte den Kopf und versuchte, die Gedanken den demnächst eintreffenden Gästen zuzuwenden. Unwillkürlich fragte sie sich, ob es ein Fehler gewesen war, Jane und Reggie über das Wochenende einzuladen. Zweifellos würde Jane sie wieder darüber belehren, warum sie ihrer Meinung nach nunmehr in Kent lebte. Oder sie würde laut darüber nachdenken, ob Alexis krank wäre, womöglich auf einen weiteren Zusammenbruch zusteuerte und vielleicht erneut Dr. Freud in Wien aufsuchen sollte.

Bei dem Gedanken durchlief Alexis ein Schauder. Ruckartig setzte sie sich auf und sah sich blinzelnd um.

Ich muss die beiden unbedingt beschäftigen, entschied sie, als sie erschlaffte, sich wieder zurücklehnte und sich mit Willensanstrengung entspannte. Vor zwei Tagen hatte sie eine Einladung an Sebastians älteste Tochter Claudia und ihren Ehemann für das Wochenende verfasst und Gates, den neuen Fahrer, damit losgeschickt. Zu ihrer großen Erleichterung war er mit einer Zusage zurückgekehrt.

Der Gedanke an ihre Freundin besserte Alexis’ Stimmung schlagartig. Ihr Geist fühlte sich so leicht an, wie sie es neuerdings nur selten erlebte. Aber Claudia brachte immer Freude und eine besondere Art von Liebe mit, die sich wie jene einer Schwester anfühlte. Außerdem sah Alexis in ihren bezaubernden Zügen eine Spur von Sebastian und fühlte, dass er bei ihnen weilte, was sie beruhigte. Claudia hatte sie beide einander vorgestellt, und sie teilte Alexis’ Trauer um den dynamischen, viel zu jung gestorbenen Mann.

»Reggie kommt also morgen Nachmittag?«, fragte Alexis, als sie weiteren Tee in Lady Janes Tasse einschenkte.

»So ist es, Liebes. Er lässt sich aufrichtig entschuldigen. Aber er muss sich noch mit diesem amerikanischen Kollegen treffen, der die größte Zeitung in New York City besitzt. Das ist wichtig für Reggie. Du weißt ja, wie Männer sind, wenn es sich um Geschäftliches dreht.«

»Oh ja, nur zu gut. Und wie geht es euren Mädchen? Sie müssen wohl gerade in Italien sein, oder? Übrigens kommt Claudia morgen.«

»Wie schön. Ich habe sie ewig nicht mehr gesehen. Und ja, Lilah und Jasmin genießen derzeit Florenz und die Schätze der Stadt in vollen Zügen. Meine Schwester wollte unbedingt gleich nach dem Ende der Saison mit ihnen hin.« Eine Pause entstand, als Lady Jane an ihrem Tee nippte. Dann erkundigte sie sich in sanftem Ton: »Und wie geht es deinem Vater? Schon besser?«

Einen Moment lang herrschte Stille, bevor Alexis antwortete. »Ja. Ich glaube, er hat seinen Kummer über Onkel Joshuas Tod überwunden. Und die hartnäckige Erschöpfung abgeschüttelt, die so an ihm gezehrt hat. Obwohl er immer noch wütend über den schrecklichen Verrat seines Cousins ist. Aber mein Vater ist ein praktisch veranlagter Mann und akzeptiert, wie schwierig das Leben sein kann.«

»Sehen wir dich vielleicht bald in London?«, murmelte Jane und musterte ihre Freundin verhalten. »Dein Vater vermisst dich, Liebes.«

Lachend schüttelte Alexis den Kopf. »Es geht ihm gut, und er vermisst mich überhaupt nicht. Er hat ja den lieben Jimmy, der ihm Gesellschaft leistet.«

Mit unübersehbarer Verwirrung im Gesicht fragt Lady Jane: »Wer um alles in der Welt ist dieser liebe Jimmy? Und warum nennst du ihn so?«

»Weil ich so über ihn denke. Er ist ein armer Junge, den mein Vater schon immer bewundert hat. Früher hat er an den Ständen seines Vaters auf dem Malvern Market in Camden gearbeitet, aber geträumt hat er seit jeher von ... nennen wir es Ruhm. Sein Vater Matthew hat ihn meinem Vater ewig regelrecht aufgedrängt und oft vorgeschlagen, Papa könnte ihm irgendwann einen Posten bei der Malvern Company geben. Und natürlich hat mein Vater genau das getan ... tatsächlich, während ich in Wien war.«

Vorübergehend sprachlos starrte Lady Jane sie mit großen Augen an. Schließlich fragte sie mit leiser Stimme: »Stört es dich denn nicht, dass dieser Jimmy in London an der Seite deines Vaters arbeitet, während du, die Erbin, immer noch hier draußen im tiefsten Kent bist?« Und gar nichts machst, hätte Jane gern hinzugefügt, wagte es aber nicht.

»Eigentlich nicht. Ich denke, der liebe Jimmy ist ein waschechter Opportunist und hat es eilig damit, die Karriereleiter zu erklimmen. Nur wird er es nicht ganz nach oben schaffen. Immerhin, Jane, ist es mein Unternehmen.«

Lady Jane lag auf der Zunge, ob sie mit ihrer mangelnden Erfahrung überhaupt in der Lage wäre, es zu leiten. Aber sie hob sich die Frage für später auf. Stattdessen forderte sie ihre Freundin in neutralem Ton auf: »Alexis, erzähl mir mehr von diesem Jimmy. Ich bin neugierig, warum dein Vater so eingenommen von ihm ist. Und wie heißt er eigentlich wirklich?«

»James Falconer. Und ich muss zugeben, dass er talentiert und klug ist. Ich habe ihn kennengelernt, als ich mit ihm nach Paris gereist bin, um mich dort des Problems mit der Weinsparte für meinen Vater anzunehmen. Aber ich finde ihn herrisch und arrogant. Und ziemlich eingebildet.«

»Eingebildet? Dann muss er wohl ein gut aussehender Bursche sein. Ist er das, Alexis?«, hakte Lady Jane nach.

»Nicht besonders«, wiegelte Alexis ab und wechselte jäh das Thema.

Lady Jane stand im Wohnzimmer ihrer Suite und schaute aus dem Fenster. Die Aussicht auf die Gärten war außergewöhnlich, doch sie nahm sie nicht wirklich wahr. Ihre Gedanken weilten bei dem Gespräch, das sie soeben mit Alexis beim Nachmittagstee geführt hatte.

Die Situation zwischen Alexis und ihrem Vater beunruhigte sie bereits seit geraumer Zeit. Bis zu diesem Tag hatte sie gezögert, es anzusprechen. Von Natur aus war sie diskret und diplomatisch. Ihr lag ausschließlich am Glück ihrer Freundin – tatsächlich aller ihrer Freunde. Es widerstrebte ihr, ihnen ihre Probleme vor Augen zu führen und zu sezieren.

Jane, geborene Cadwalander, war Mitte dreißig, eine eher hübsche Frau als eine klassische Schönheit, die sich vorteilhaft kleidete, zugleich auffallend und elegant. Sie war die älteste Tochter des bekanntesten und brillantesten Rechtsanwalts der Gerichte Englands, Louis Cadwalander. Nach dem unerwarteten, sehr plötzlichen Tod seiner Gemahlin Estelle hatte er sich an sein ältestes Kind gewandt, die damals vierzehnjährige Jane. Mit schlichten Worten forderte er sie auf, den Haushalt zu übernehmen und so zu führen, wie es ihre Mutter getan hatte. Jane bewältigte es, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie wurde zur Hausherrin, übernahm die Leitung des Butlers, der Haushälterin, der Dienstmädchen und des Gärtners und zog ihre jüngeren Geschwister groß. Die Kinder taten, wie ihnen geheißen, und nannten sie die Generalin, zuerst hinter ihrem Rücken, später ins Gesicht. Und das machte ihr nichts aus, sie lachte sogar darüber. Jane betrachtete es als Kompliment.