Am Ende wartet die Liebe - Barbara Taylor Bradford - E-Book

Am Ende wartet die Liebe E-Book

Barbara Taylor Bradford

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Beschreibung

Der krönende Abschluss der fulminanten Saga um die Kaufhausdynastie von Emma Harte

Evan Hughes erwartet Zwillinge und steht kurz vor ihrer Hochzeit mit Gideon Harte. Er ist der Erbe der mächtigen und schwerreichen Kaufhausdynastie. Doch dunkle Wolken ziehen auf und trüben das junge Glück: Hass und Neid des einst mächtigen Dynastiemitglieds Jonathan Ainsley lassen Evan um die Sicherheit ihrer Familie bangen. Sie müssen zusammenstehen, als Gefahr von außen droht.

Eine Saga voller Liebe, Intrigen und Leidenschaft - die Geschichte der Kaufhausdynastie von Emma Harte.

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Seitenzahl: 653

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Prolog London, 2002

Erster Teil Quartett

1

2

3

4

5

Zweiter Teil Trio

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Dritter Teil Duo

Vierter Teil Solo

30

31

32

33

34

35

36

Epilog

Personenverzeichnis

Über dieses Buch

Der krönende Abschluss der fulminanten Saga um die Kaufhausdynastie von Emma Harte

Evan Hughes erwartet Zwillinge und steht kurz vor ihrer Hochzeit mit Gideon Harte. Er ist der Erbe der mächtigen und schwerreichen Kaufhausdynastie. Doch dunkle Wolken ziehen auf und trüben das junge Glück: Hass und Neid des einst mächtigen Dynastiemitglieds Jonathan Ainsley lassen Evan um die Sicherheit ihrer Familie bangen. Sie müssen zusammenstehen, als Gefahr von außen droht.

Über die Autorin

Barbara Taylor Bradford verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England. Sie arbeitete als Journalistin, bevor sie im Alter von achtzehn Jahren begann, Kinderbücher zu schreiben. Schon bald folgten Romane, der Durchbruch gelang ihr mit »Des Lebens bittere Süße«. Seitdem hat sie fünfundzwanzig Bücher geschrieben, die allesamt Bestseller wurden. Sie widmet alle Werke ihrem Mann, mit dem sie in New York lebt.

Barbara Taylor Bradford

Am Ende wartet die Liebe

Aus dem Englischen von Sybille Klose

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Projektmanagement: Anne Pias

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Romanova Ekaterina | mubus7 | Vladimir Gjorgiev | Yakov Oskanov

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-4497-4

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2006 by Barbara Taylor Bradford

Titel der Originalausgabe: Just Rewards

© der deutschen Übersetzung 2007 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Erschienen im Marion von Schröder Verlag

Übersetzung: Sybille Klose

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Bob, in Liebe

PrologLondon, 2002

Der Mann stand im Eingang des Geschäfts, wo er in einer Ecke Schutz gegen den eisigen Wind gesucht hatte. Es war bitter kalt an diesem Januarmorgen, und der Gedanke, einfach die Beine in die Hand zu nehmen und sich schleunigst in Richtung Hyde Park Hotel davonzumachen, war verlockend. Zumal dort ein köstliches warmes Frühstück auf ihn wartete.

Dennoch brachte er es nicht über sich, seinen Standort zu verlassen, da er ihm einen hervorragenden Blick auf das Gebäude gegenüber ermöglichte – eines, das er schon seit Jahren zu besitzen trachtete.

Unverwandt fixierte er das imposante Bauwerk auf der anderen Straßenseite. Seit über achtzig Jahren stand es bereits dort, und doch wirkte es wie neu, gänzlich unberührt von den Zeichen der Zeit.

Für ihn war es mehr als nur ein Haus. Es war ein Symbol, eine Bastion von Prestige, Privilegien und Reichtum. Hier schlug das Herz des internationalen Konzerns, den seine Großmutter einst geschaffen hatte.

Und dieser Konzern hätte ihm gehören sollen.

Tragischerweise jedoch war er um sein Recht betrogen worden, und das Imperium war in die Hände von Paula O’Neill gefallen, die es nun als ihr Eigentum betrachtete. Zum Teufel mit denen, die behaupteten, er sei im Unrecht und seine Vorstellung, er sei der rechtmäßige Erbe, entspringe allein seinem Neid, seinem von Missgunst und Anmaßung vernebelten Verstand.

Mitte der achtziger Jahre wäre es ihm um ein Haar gelungen, das Flaggschiff des Unternehmens, das riesige Kaufhaus in Knightsbridge, und die Filialen der Kette in der englischen Provinz an sich zu reißen. Paula hatte eine Reihe unternehmerischer Fehlentscheidungen getroffen. Ihr Urteilsvermögen hatte sie im Stich gelassen, und so hatte sie ihm geradewegs in die Hände gespielt.

Doch dann hatte man ihn hintergangen – in dem kritischen Moment, als sein Plan kurz vor der Vollendung stand und er seine Hand bereits nach dem Imperium ausstreckte. Im letzten Augenblick war ihm alles entglitten. Infolge dieses ungeheuerlichen Verrats war es Paula O’Neill gelungen, ihm ein Schnippchen zu schlagen.

Merkwürdigerweise war gerade diese bittere Niederlage zu seinem Ansporn geworden: Wenig später hatte er sein eigenes Wirtschaftsimperium gegründet und war inzwischen Milliardär.

Schon vor diesem Vorfall war Paula eine Bedrohung für ihn gewesen, aber in jenem Augenblick hatte er sie zu seiner Erzfeindin erklärt und geschworen, sich zu rächen. Und schon bald würde der Tag kommen, an dem er seinen Vorsatz in die Tat umsetzte. Endlich würde er über sie triumphieren.

Plötzlich trat der Mann einen Schritt aus seinem sicheren Versteck heraus. Seine Aufmerksamkeit wurde von zwei jungen Frauen gefesselt, die soeben durch die Drehtüren auf die Straße getreten waren und nun die Schaufenster des Kaufhauses betrachteten.

Eine von ihnen war rothaarig, und er erkannte sie sofort. Es war Linnet O’Neill, Paulas Tochter. Inzwischen war sie allerdings eine Kallinski, nachdem sie letzten Monat den Kallinski-Erben geheiratet hatte. Die Gedanken des Mannes schweiften ab zu der kleinen Kirche im Dorf Pennistone Royal, in der die Zeremonie stattgefunden hatte. Wie einfach es gewesen wäre, sie bis auf die Grundmauern niederzubrennen und sämtliche Gäste darin zu töten! Seine Schwierigkeiten mit den Hartes hätten ein für alle Mal der Vergangenheit angehört.

Einen Moment lang grübelte er. Es wollte ihm nicht gelingen, die Identität der zweiten Frau zu entschlüsseln. Sie war in ein Cape eingehüllt und trug einen langen Schal, der ihr Gesicht teilweise verdeckte. Doch dann wandte sie sich um, und sogleich erkannte er das charakteristische, scharfe Profil.

Evan Hughes. Seine Brust zog sich zusammen, und brodelnde Wut stieg in ihm auf. Sie war seine neueste Gegnerin – die Amerikanerin, die sich in die Familie eingeschlichen hatte und nun drauf und dran war, eine Harte zu werden. Er murmelte einen Fluch. Nein, sie war bereits eine Harte, was er den lange zurückliegenden sexuellen Ausschweifungen seines Vaters zu verdanken hatte. Und nun war sie für ihn zu einer Bedrohung geworden. Ihre bloße Existenz gefährdete seine Stellung als Alleinerbe. Sie stand ihm genauso im Weg wie Paula und ihr rothaariges Balg.

Ein wissendes Lächeln breitete sich auf seinen attraktiven Zügen aus. Er starrte die zwei Frauen noch eine Weile mit boshaften, kalten Augen an, bevor er sich in Richtung seines Hotels davonmachte, um dort sein Frühstück einzunehmen. Der Ausdruck äußerster Selbstzufriedenheit verharrte auf seinem Gesicht, während er den Kragen seines teuren, maßgeschneiderten Kaschmirmantels aufstellte und seinen Schritt beschleunigte.

Unterwegs überdachte er nochmals den Plan, den er vor einiger Zeit ausgearbeitet hatte. Er war so teuflisch klug, dass er ohne weiteres von Machiavelli hätte stammen können. Simpel und gleichzeitig genial – und er würde zweifellos dazu beitragen, den Niedergang des Hauses Harte zu beschleunigen.

Jonathan Ainsley lachte laut auf. Ja, sie würden bezahlen. Sie würden alle genau das bekommen, was sie verdient hatten. Dafür würde er sorgen.

Erster TeilQuartett

Der Neid ist sein eigener Folterknecht.

Mittelalterliches Sprichwort

1

Silberne Schneeflocken wirbelten im Wind umher, landeten auf den großen Schaufenstern des Kaufhauses und legten sich auf die Gesichter der zwei hübschen jungen Frauen, die gerade dabei waren, die Dekoration aufmerksam zu studieren.

Evan Hughes hob eine behandschuhte Hand an ihre Wange und wischte die Feuchtigkeit fort. Dann trat sie näher an Linnet O’Neill heran. Sie zitterte und kuschelte sich in ihr dunkelblaues Cape, so sehr spürte sie die beißende Kälte.

Sofort warf Linnet ihr einen besorgten Blick zu und rief: »Wie gedankenlos von mir, dich an so einem Tag nach draußen zu zerren, damit du dir unsere Schaufenster ansiehst! Du bist ja völlig verfroren! Komm, wir gehen wieder hinein. Wir haben ohnehin genug gesehen.«

Linnet ergriff Evans Arm und lenkte sie rasch in Richtung der Drehtüren, die in das Geschäft führten.

»Mir geht es gut, wirklich«, protestierte Evan, während sie quer durch die Parfümerieabteilung bugsiert wurde, und fügte ärgerlich hinzu: »Falls es dir noch nicht aufgefallen ist – ich bin kein Petit Four. Ich werde mich von ein bisschen Schnee schon nicht auflösen.«

»Ja, ja, ich weiß. Du hast einen Körper aus Stahl!«, gab Linnet schnippisch zurück. »Es war nur auf einmal schrecklich kalt, und wenn du dir einen Schnupfen oder gar eine Grippe holst, wird Gideon aus meinen Eingeweiden Strumpfhalter stricken!«

Evan brach in Gelächter aus. Linnets Gabe für schräge Formulierungen war für sie eine ständige Quelle der Belustigung. Evan fand die unverblümte Offenheit der anderen Frau erfrischend, ebenso wie ihre Scharfzüngigkeit und die Prägnanz, mit der sie Sachverhalte auf den Punkt zu bringen verstand. Ihre erst kürzlich entdeckte Cousine war wirklich eine einzigartige Person. Noch nie hatte sie einen Menschen wie Linnet getroffen, und während ihrer Zusammenarbeit im letzten Jahr hatte sich eine enge Freundschaft zwischen ihnen entwickelt.

Im Kaufhaus war es wohlig warm. Während sie sich durch die prächtige, in allen Farben schillernde Auslage der Kosmetik- und Parfümerieabteilung schlängelten, begannen Evans eiskalte Gliedmaßen allmählich aufzutauen, so dass sie ihren Schal lockern und das Cape öffnen konnte. Dann strich sie mit der Hand zärtlich über ihren beachtlichen Bauch. »Ich komme mir vor wie ein riesiger gestrandeter Wal, Linny«, seufzte sie. »Ich kann die Geburt gar nicht erwarten.«

Linnet lächelte sie verständnisvoll an. »Das kann ich gut nachempfinden. Aber stell dir nur vor, Evan, du bekommst Zwillinge. Zwillinge! Das wird Tessa, India und mir sicherlich zu denken geben. Schließlich liegt es ja in der Familie. Grandy hatte Zwillinge, und Mummy in ihrer ersten Schwangerschaft auch, als sie noch mit Jim Fairley verheiratet war. Aber uns dreien ist jetzt erst aufgegangen, dass wir auch mögliche Kandidatinnen für eine Zwillingsgeburt sind. Wer weiß, vielleicht teilen wir schon bald dein Schicksal!« Linnet wandte sich zu ihr um. »Was meinst du dazu?«

»Wir haben die gleichen Gene, also hast du wahrscheinlich recht.«

»Julian hofft es jedenfalls, und ich ehrlich gesagt auch. Es macht das Leben so viel einfacher! Zwei Kinder werden auf einen Rutsch geboren, das erspart einem auf lange Sicht ein beträchtliches Maß an Arbeit. Man hat sofort eine komplette Familie und muss im Beruf nicht so lange pausieren.«

»Du bist unverbesserlich!«, entgegnete Evan, deren Augen vor Lachen funkelten. Manchmal war sie geneigt zu denken, dass Linnets angeborener Pragmatismus ein wenig zu weit ging. Andererseits bewunderte sie ihre Cousine für ihre Bodenständigkeit. Linnet war geradeheraus und unkompliziert.

Inzwischen waren die beiden Frauen bei den Aufzügen angelangt, und sobald die Türen eines Fahrstuhls lautlos aufglitten, traten sie hinein. Schweigend fuhren sie bis zur Verwaltungsetage hinauf und eilten den langen Flur entlang.

Als sie die Nische in der Mitte erreicht hatten, in der das berühmte Porträt von Emma Harte hing, blieben die beiden automatisch stehen, grüßten ihre Urgroßmutter kurz und gingen dann weiter. Seit einiger Zeit war es für sie zu einem Ritual geworden, der Firmengründerin auf diese Art Respekt zu erweisen, ob sie nun zusammen oder alleine unterwegs waren. Es erfüllte die beiden jungen Frauen mit Stolz, dass sie Nachkommen der großen Emma Harte waren und für das renommierte Unternehmen arbeiteten, das sie gegründet hatte.

Als sie es sich einige Minuten später in Evans Büro gemütlich gemacht hatten, fragte Linnet: »Also, was sagst du denn nun zu den Schaufenstern?«

»Ich muss dir zustimmen, sie wirken tatsächlich ein bisschen altmodisch. Natürlich sind sie wunderhübsch dekoriert, keine Frage. Die Gestaltung ist sehr ansprechend und trifft genau den richtigen Stil. Aber sie könnten ein wenig … frischer aussehen.«

»Meinst du, sie haben nicht genug … Pfiff?«, schlug Linnet zögerlich vor.

»Nun ja ›Pfiff‹ ist vielleicht nicht ganz das Passende für ein Haus wie Harte’s.«

»Das stimmt«, räumte Linnet ein und lehnte sich nachdenklich in ihrem Stuhl zurück. Ihre Augen waren unverwandt auf ihre Cousine gerichtet, deren Meinung sie sehr schätzte.

Evan kaute auf ihrer Unterlippe herum und schüttelte schließlich den Kopf. »Ich glaube, das Wort, nach dem ich suche, ist … glamourös! Die Modeschaufenster könnten durchaus ein wenig mondäner sein. Verführerischer! Schließlich sollen sie dem Kunden sofort ins Auge fallen … sie sollen signalisieren: ›Komm herein, probier mich an, kauf mich!‹«

Linnet nickte, und ihre Miene hellte sich auf. »Stimmt genau! Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.«

»Du warst gerade in New York und hast gesehen, wie die Schaufenster dort aussehen«, fuhr Evan fort. »Wahrscheinlich ist dir selbst aufgefallen, dass unsere Auslagen im Vergleich dazu einigermaßen fade wirken.« Evan hob eine Braue. Ihre klaren grauen Augen ruhten nachdenklich auf Linnet. Als diese nichts erwiderte, fragte sie: »Habe ich recht?«

Linnet seufzte. »Natürlich … es ist nur – ich bin mir nicht sicher, was Mummy dazu sagen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einer Neugestaltung zustimmt.«

»Hast du schon mit ihr gesprochen?«

»Nein, ich hatte noch keine Gelegenheit dazu. Diese Woche ist sie mit Dad in Yorkshire, um sich von den Feiertagen zu erholen. Über Weihnachten und Silvester haben sie so viele Partys gegeben, dass sie jetzt ein wenig erschöpft ist. Sie haben sich eine Woche freigenommen und wollen es sich einfach zu Hause auf Pennistone Royal gemütlich machen, richtig ausspannen und ihre Zweisamkeit genießen. Sie waren schon als Kinder unzertrennlich, und daran scheint sich nicht das Geringste geändert zu haben.« Linnet lächelte bei dem Gedanken daran und schüttelte schließlich den Kopf. »Wie dem auch sei, ich werde das Thema nicht ansprechen, bis Mum wieder im Büro ist. Es gibt nämlich noch einige andere Angelegenheiten, die ich gerne mit ihr bereden möchte. Ich finde, es ist Zeit, dass wir ein bisschen frischen Wind ins Geschäft bringen.«

Evan richtete sich verdutzt auf, blieb aber stumm.

Linnet entging die Reaktion ihrer Cousine nicht. »Das scheint dich zu überraschen«, meinte sie zaghaft.

»Na, und ob! Ich wusste nicht, dass du heimlich Pläne schmiedest. Was schwebt dir denn vor?«

»Wie du ja weißt, war die Moderetrospektive letzten Sommer ein großer Erfolg«, begann Linnet eifrig. »Wir haben viele Neukunden gewonnen und kurzfristig eine enorme Umsatzsteigerung verbuchen können, aber danach sind die Verkaufszahlen wieder eingebrochen. Deswegen bin ich zu folgendem Schluss gelangt: Es genügt nicht, wenn wir neue Kunden gewinnen – wir müssen sie auch halten. In den letzten Jahren hat sich der Einzelhandel grundlegend gewandelt. Wir befinden uns sozusagen in einem neuen Zeitalter. Shopping ist heutzutage keine Pflichtübung mehr, sondern ein Erlebnis, eine Form der Freizeitgestaltung! Dem müssen wir Rechnung tragen, indem wir zum Beispiel zusätzliche Dienstleistungen anbieten.«

»Du scheinst dir ja viele Gedanken gemacht zu haben …«, warf Evan vorsichtig ein. Sie fragte sich, ob Paula es überhaupt zulassen würde, dass im traditionsreichen Kaufhaus in Knightsbridge irgendetwas verändert würde.

»Aber gewiss«, bekräftigte Linnet energisch. »Wie wäre es zum Beispiel mit einem Spa, einem exklusiven Wellnessbereich, in dem Kosmetikbehandlungen und Massagen angeboten werden?«

»Fantastisch!«, rief Evan begeistert, stutzte dann aber und fragte: »Aber wohin damit?«

Linnet grinste. »Nun ja, ich denke, wir könnten uns von einer der weniger interessanten Abteilungen verabschieden. Matratzen zum Beispiel. Aber im Ernst, wir würden schon ein Plätzchen finden. Ich kenne das Kaufhaus wie meine Westentasche. Ich weiß genau, dass es möglich wäre.«

»Es müsste ja auch kein großes Spa sein«, grübelte Evan. »Einfach nur ein ganz besonderes. Etwas wirklich Außergewöhnliches.«

»Eben! Außerdem bin ich der Meinung, wir sollten unseren Restaurantbetrieb erweitern. Warum richten wir nicht kleine Snackbars ein? Wir könnten Meeresfrüchte, Pizza, Hotdogs, leckere Sandwiches und Pasta anbieten. Fast Food für Gourmets. Ich bin mir sicher, dass wir damit Erfolg hätten. Und bestimmt wären die Snackbars nicht nur für unsere Kunden attraktiv. Denk einmal an all die Angestellten, die in Knightsbridge und Umgebung arbeiten!«

»Das ist ein ausgezeichneter Vorschlag«, stimmte Evan zu. »Allein beim Gedanken daran läuft mir schon das Wasser im Munde zusammen! Was würde ich jetzt nicht für einen Teller Austern geben!«

»Mit Eiscreme obendrauf wahrscheinlich«, lachte Linnet. »Ist das nicht im Augenblick deine Leib- und Magenspeise?«

Evan schüttelte den Kopf. »Ganz so schlimm ist es nicht, Gott sei Dank. Aber ich kann nicht bestreiten, dass mich manchmal der Heißhunger auf einige sehr merkwürdige Lebensmittelkombinationen überkommt.«

Linnet nickte kurz, dann wurde sie wieder ernst. Ihre angespannte Miene zeugte davon, wie wichtig ihr die Sache war. »Es würde mir sehr helfen, wenn du ein paar Ideen beisteuern könntest«, sagte sie eindringlich. »Du sprudelst immer förmlich über vor kreativen Einfällen, und ich bin wirklich der Überzeugung, dass wir den Laden auf Vordermann bringen müssen. Wenigstens ein kleines bisschen.«

Evan nickte. »Da stimme ich dir voll und ganz zu …« Sie hielt inne, zögerte und gestand schließlich: »Ich hatte tatsächlich vor einiger Zeit eine Idee. Eine Abteilung nur für Brautausstattung. Man könnte sie ›Brides!‹ nennen. Natürlich würden wir vor allem Hochzeitskleider führen, dazu noch Kleider für Brautjungfern, Garderobe für Blumenkinder und so weiter. Aber auch das ganze Drum und Dran: passende Schuhe, Schmuck, Geschenke, Dessous … und noch etwas: In den Staaten sind Hochzeitsplaner sehr beliebt. Vielleicht könnten wir einen ähnlichen Service anbieten. Das würde sicher gut ankommen, meinst du nicht?«

»Evan, das ist wundervoll! Was für eine grandiose Idee! Und was ist mit einer Evan-Hughes-Brautkollektion? Ich weiß doch genau, wie viel Spaß es dir macht, Hochzeitskleider zu entwerfen. Was sagst du dazu?«

Evan musste nicht lange nachdenken. »O ja! Ich sehne mich schon seit einiger Zeit danach, endlich wieder kreativ zu arbeiten.« Ihre Begeisterung war offensichtlich. »Wir hatten sogar schon Anfragen wegen deines Hochzeitskleids hier im Geschäft. Viele Frauen haben Fotos in der Zeitung gesehen und waren ganz hingerissen.«

»Das kann ich ihnen nicht verdenken«, seufzte Linnet verträumt. »Das Kleid war wirklich märchenhaft. Geradezu überirdisch schön.« Dann fuhr sie mit Nachdruck fort: »Also, wenn sie es haben möchten – warum verkaufen wir es ihnen nicht? Eine ganze Etage nur mit Brautausstattung … das ist wirklich ein inspirierender Vorschlag. Könntest du mir so bald wie möglich etwas Schriftliches dazu anfertigen? Das würde ich sehr zu schätzen wissen. Dann habe ich es schwarz auf weiß.«

»Ich habe schon einige Notizen auf meinem Rechner. Ich drucke sie für dich aus, bevor ich nach Yorkshire fahre.«

»Danke, das wäre sehr hilfreich. Wann brecht ihr eigentlich nach Pennistone Royal auf?«

»In drei Tagen. Gideon und ich wollen uns am Samstag auf den Weg machen. Ich bin schon ein wenig nervös, um die Wahrheit zu sagen. Ich habe das Gefühl, ich könnte jeden Augenblick niederkommen!« Evan lachte, aber angesichts ihres Leibesumfangs machte sie sich tatsächlich manchmal ernsthaft Sorgen, dass es vielleicht zu einer Frühgeburt kommen könnte.

Linnet hegte dieselbe Furcht. Evan und Gideon hatten ihre Hochzeit bis zum Januar verschoben, weil ihre eigene Trauung mit Julian, eine prunkvolle Feier mit Hunderten geladener Gäste, bereits lange vorher für den vergangenen Dezember geplant gewesen war. Die Cousinen hatten nicht konkurrieren wollen. Allerdings hatte das zur Folge gehabt, dass Evans Hochzeit nun wenige Wochen vor ihrem Entbindungstermin stattfand.

Linnet schob ihre Sorgen beiseite und lachte ebenfalls. »Das wird schon gutgehen, Liebes. Am Wochenende sind Julian und ich da, dann kann ich dir bei den letzten Vorbereitungen helfen.«

»Das ist lieb von dir, aber es gibt eigentlich nicht viel zu tun. Es ist ja nur eine Hochzeit im kleinen Kreis.«

»Aber deine Eltern kommen doch aus den Staaten, oder nicht?«

»O ja, und meine Schwestern auch. Meine Mutter ist schon seit einigen Tagen hier, und der Rest der Familie wird nächste Woche nachkommen. Robin freut sich schon sehr, und er war so liebenswürdig, meine Eltern und Schwestern einzuladen, bei ihm auf Lackland Priory zu wohnen.«

»Das ist wirklich nett von ihm. Aber vergiss nicht, Evan: Schließlich warst du es, die ihm neuen Lebenswillen gegeben hat! Er ist so gesund und glücklich wie schon lange nicht mehr.«

Linnet erhob sich und griff nach ihrem Mantel. »Ich gehe jetzt mal besser, bei mir im Büro wartet noch stapelweise Papierkram darauf, erledigt zu werden. Danke fürs Zuhören und für deine Anregungen. Das war genau das, was ich gebraucht habe.« An der Tür hielt sie kurz inne und warf Evan eine Kusshand zu.

»Bis später!« Sie lächelte und war verschwunden.

Evan starrte auf die Tür, und ihre Miene verfinsterte sich.

Sie wusste genau, dass Linnets Unbeschwertheit aufgesetzt war und dass sich ihre Cousine in Wirklichkeit große Sorgen machte, ja sogar Angst hatte, wie ihre Mutter auf ihre Vorschläge reagieren würde. Besonders radikal waren sie nicht, aber Evan fürchtete dennoch, dass Paula sie abschmettern würde. Als Neuankömmling betrachtete sie Paula O’Neill von einem gänzlich anderen Standpunkt als ihre Tochter. Ihre Chefin war eine umsichtige Geschäftsführerin, die sich allerdings ein wenig zu sehr auf eingefahrenen Gleisen bewegte. Sie war fest entschlossen, das Image des traditionsreichen Hauses um jeden Preis zu bewahren. Natürlich würden Linnets Veränderungen dieses Image nicht zerstören. Aber höchstwahrscheinlich würde Paula sich trotzdem nicht überzeugen lassen. Sie war Emma Hartes Enkelin und Erbin, und niemals wich sie von den Regeln ab, die die Firmengründerin einst aufgestellt hatte. Da sie Harte’s seit über dreißig Jahren auf genau dieselbe Art und Weise leitete, waren die Chancen, dass sie jetzt Änderungen zulassen würde, eher gering.

Es wird Streit geben zwischen den beiden, dachte Evan, plötzlich von unheilvollen Ahnungen erfüllt. Bösen Streit.

2

Er sah sie von weitem hoch über ihm auf der Rolltreppe schweben. Offenbar war sie auf dem Weg in die obersten Stockwerke des Gebäudes.

Das leuchtendrote Haar umrahmte ihr Gesicht wie ein flammender Heiligenschein und war ebenso unverkennbar wie die schlanke Silhouette ihres figurbetont geschnittenen schwarzen Hosenanzugs, streng und schnörkellos bis auf die weißen Details an Kragen und Ärmeln.

Sie war Emma Harte wie aus dem Gesicht geschnitten – und sie wusste es. Niemand in der Familie wurde jemals müde, ihr zu sagen, wie ähnlich sie ihrer Urgroßmutter sehe und dass sie genauso klug und geschäftstüchtig sei wie sie. Aber war ihr auch bewusst, dass sie als Einzige in der weitverzweigten Sippe der Hartes das große Glück gehabt hatte, Emmas unverwechselbare Eleganz zu erben? Jack Figg, der Chef des Sicherheitsdienstes bei Harte’s und ein alter Freund der Familie, sah Linnet nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er die Rolltreppe betrat. Zugegeben, wenn es um Linnet O’Neill ging, war er voreingenommen. Sie war immer schon sein heimlicher Liebling gewesen. In seinen Augen war sie die Cleverste der Familie, zumindest in der jüngeren Generation.

Dann wanderten seine Gedanken zu Linnets Cousin, Gideon Harte, der in zehn Tagen seine Verlobte Evan Hughes heiraten würde. Eine verrückte Geschichte war das! Vor einem Jahr hatte ihre englische Großmutter Glynnis Hughes ihr auf dem Sterbebett aufgetragen, nach London zu gehen, um Emma Harte aufzusuchen. Diese war, wie Evan rasch herausfand, schon lange tot. Evan war mitten in die Familie Harte hineingestolpert und hatte sich bereits am ersten Tag Hals über Kopf in Gideon verliebt … und er sich in sie. Liebe auf den ersten Blick ist schon etwas Wundervolles, dachte Jack seufzend.

Doch damit nicht genug: Evan hatte bei einem Vorstellungsgespräch im Hause Harte bei Linnet einen derart guten Eindruck hinterlassen, dass diese sie vom Fleck weg eingestellt hatte. Das wiederum hatte Paula dazu veranlasst, sich über Evans Herkunft Gedanken zu machen. Sie hatte Nachforschungen angestellt und schließlich die Wahrheit über Evans Vorfahren ans Licht gebracht. Wie sich herausstellte, war Evan eine Enkeltochter von Robin Ainsley, Emmas Lieblingssohn und Paulas Onkel.

Inzwischen gab es keine Geheimnisse mehr, und mit der ihr eigenen Großherzigkeit hatte die Familie Evan willkommen geheißen und dafür gesorgt, dass sie sich bei ihnen wie zu Hause fühlte. Und später hatten sie auch Evans Eltern, Owen und Marietta Hughes, vorbehaltlos in ihren Kreis aufgenommen. Alle hätten wunschlos glücklich sein können …

Wäre da nicht Jonathan Ainsley, Robins Sohn. Er verabscheute die gesamte Familie, doch am meisten hasste er Paula, die er als seine Todfeindin betrachtete. Und nun hatte sein Zorn in Evan vielleicht eine neue Zielscheibe gefunden.

Ainsley war gefährlich, und Jack ließ ihn Tag und Nacht überwachen, gleichgültig, wo in der Welt er sich gerade aufhielt. Er hatte es sich zur Pflicht gemacht, über jeden Schritt Ainsleys genauestens Bescheid zu wissen, für den Fall, dass er etwas im Schilde führte.

Gegenwärtig hielt Ainsley sich in London auf, und diese Tatsache beunruhigte Jack zutiefst. Er musste sich um Evans und Gideons Hochzeit kümmern, und im Moment war ihre Sicherheit seine Hauptsorge. Die Trauung war für Samstag, den 19. Januar geplant und würde in der kleinen Kirche im Dorf Pennistone stattfinden. Jack zweifelte keinen Augenblick daran, dass Ainsley sowohl Evan als auch ihren Vater Owen Hughes im Visier hatte.

Warum sollte er ausgerechnet Owen, seinen Halbbruder und scheinbaren Konkurrenten, nicht hassen, auch wenn er ein uneheliches Kind war? Und Evan … nun, Evan war das Enkelkind, das Robin sich immer sehnlichst gewünscht hatte. Für jemanden wie Ainsley war das allemal Grund genug.

Nachdem Jack einige Minuten durch das oberste Stockwerk gewandert war, entdeckte er Linnet im großen Saal. Entschlossen stieß er die Glastüren auf.

»Linnet! Guten Morgen!«

Sie wirbelte herum, und bei seinem Anblick breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Geradewegs eilte sie zu ihm. Nachdem sie sich freundschaftlich umarmt hatten, trat sie einen Schritt zurück. »Was für eine schöne Überraschung! Woher wussten Sie denn, dass ich hier bin?«

»Berufsgeheimnis!« Er grinste. »Aber im Ernst, ich habe Sie auf der Rolltreppe gesehen und bin Ihnen gefolgt. Sie sind schließlich kaum zu übersehen.« Er betrachtete sie augenzwinkernd. »Blendend sehen Sie aus, meine Schöne. Wie waren die Flitterwochen?«

»Himmlisch! Auf Barbados war es brüllend heiß und in New York eiskalt. Und aufregend! Julian und ich haben so viel erlebt! Aber es ist schön, wieder zu Hause zu sein. Und Sie zu sehen.«

Linnet kannte Jack Figg bereits ihr ganzes Leben lang, und er war für sie immer mehr als nur ein Angestellter der Familie gewesen – eher eine Art Lieblingsonkel. Kurzerhand hakte sie sich bei ihm unter, und gemeinsam gingen sie durch den Raum zu einer Sitzgruppe, die in der Nähe der Bühne stand.

»Ich hatte vor, Sie später noch anzurufen, um über Evans und Gideons Hochzeit zu sprechen«, meinte Linnet, nachdem sie Platz genommen hatten.

»Alles steht. Die Sicherheitsvorkehrungen sind ebenso streng wie bei Ihrer Hochzeit letzten Monat. Ich kann Ihnen guten Gewissens sagen, dass es nichts gibt, worüber Sie sich Sorgen machen müssten.«

Linnet nickte. »Mummy ist in Yorkshire, um sich ein wenig auszuruhen. Angeblich. Doch ich glaube, sie will Tante Emily und Onkel Robin unbedingt bei den Vorbereitungen für den Empfang auf Pennistone Royal helfen. Wie ich sie kenne, würde sie am liebsten alles im Alleingang machen, aber die beiden möchten unbedingt mit von der Partie sein. Sie bestehen sogar darauf! Robin fühlt sich Evan gegenüber verpflichtet, und Emily möchte sichergehen, dass alles perfekt ist. Gideon ist ihr Liebling. Für ihn ist ihr nichts gut genug.«

»Gibt denn hier tatsächlich jemand zu, einen Liebling zu haben?«, fragte Jack schalkhaft, und um seine blauen Augen herum erschienen kleine Lachfältchen. »Ausgerechnet in dieser Familie?«

Linnet kicherte. »Natürlich nicht, wo denken Sie hin? Aber sie haben trotzdem welche! Und Gid ist ein echtes Goldstück. In ihn sind sowieso alle vernarrt, das wissen Sie doch.«

Jack schmunzelte. »Das ist wohl wahr.« Dann wechselte er das Thema. »Ihre Mutter hat mir Emilys Gästeliste gegeben, und die von Gideon habe ich vor einigen Tagen erhalten. Es scheint ja, als seien nur Familienmitglieder eingeladen.«

»Ja, das ist richtig.«

Ein kurzes Schweigen folgte. Schließlich war Jack es, der es brach. Seine Stimme klang ernst. »Ich muss Ihnen etwas sagen, Linnet … Jonathan Ainsley ist wieder in London. Ich wollte nur, dass Sie Bescheid wissen.«

»Das hat uns gerade noch gefehlt!«, rief sie, wobei ihre Stimme eine Oktave nach oben rutschte. »Muss dieser Kerl immer zu den unmöglichsten Zeiten auftauchen?« Plötzlich lief ihr ein Angstschauer den Rücken hinunter. Ihre Hände zitterten, als sie am Kragen ihrer Kostümjacke nestelte.

»Ich habe alles unter Kontrolle«, beschwichtigte Jack rasch, dem Linnets plötzliche Nervosität nicht entgangen war. »Meine Leute überwachen ihn auf Schritt und Tritt. Deswegen wissen wir auch, dass er hier ist.« Da er sie nicht weiter beunruhigen wollte, unterließ er es, ihr mitzuteilen, dass Ainsley an diesem Morgen gesehen worden war, wie er das Kaufhaus beobachtet hatte. Stattdessen fuhr er sanft fort: »Ich sage es Ihnen nur, weil ich Ihnen versprochen habe, Sie über seinen Aufenthaltsort auf dem Laufenden zu halten. Es besteht keine unmittelbare Gefahr. Ich möchte lediglich, dass Sie gewarnt sind … und sich ein wenig vorsehen.«

»Das werde ich. Haben Sie es Gideon schon gesagt?« Ihre Miene war wie versteinert, und sie blickte ihn mit ihren großen grünen Augen furchtsam an.

»Noch nicht.«

»Soll ich Evan davon erzählen?«

»Nein, lieber nicht. Sie sollte sich auf keinen Fall aufregen, schließlich ist sie hochschwanger.«

»Aber sie hält sich wacker. Und der voraussichtliche Geburtstermin ist erst in der letzten Märzwoche. Aber wahrscheinlich haben Sie recht. Es ist besser, wenn sie nicht weiß, dass Ainsley in der Gegend ist. Sie und Gideon fahren bald nach Yorkshire, um bis zur Hochzeit auf Pennistone Royal zu bleiben. Damit sie noch ein wenig ausspannen kann.«

»Hmm. Dort ist sie am besten aufgehoben, keine Frage«, erwiderte er. »Das Haus ist dieser Tage besser bewacht als Fort Knox.«

»Das haben wir nur Ihnen zu verdanken! Und ich wette, Gideon hat Sie bereits für das neue Haus engagiert, das er für Evan und die Kinder gekauft hat. Wie ich Sie kenne, haben Sie keine Zeit verloren und sofort das allerneueste Alarmsystem installiert.«

»Schuldig im Sinne der Anklage«, erwiderte Jack lächelnd. »Sicherheitstechnisch war das Haus eine Katastrophe. Aber es ist ein wunderschönes altes Anwesen. Ich kann verstehen, dass beide überglücklich sind. Was für ein Zufall, dass es gerade zum passenden Zeitpunkt zum Verkauf angeboten wurde! Vor allem Gideon freut sich natürlich, schließlich hat Beck House früher einmal seinem Vater gehört.«

»Er und Daddy haben es gekauft, als sie noch jung waren«, fügte Linnet hinzu. »Gid hat mir erzählt, es sei fast bezugsfertig.«

»Stimmt. Aber zurück zur Gästeliste. Glauben Sie, es könnte noch einige kurzfristige Einladungen geben?«

»Das bezweifle ich. Evan hat noch keine richtigen Freunde hier gewonnen – außerhalb der Familie, meine ich. Die meiste Zeit war sie mit Gideon zusammen, und sonst hatte sie hauptsächlich mit India, Tessa und mir zu tun. Ach, warten Sie mal, da ist dieses Ehepaar, dem das Hotel gehört … George und Arlette Thomas. Freunde ihres Vaters. Die beiden würde sie sicher einladen.«

»Das hat sie auch. Sie stehen auf Gideons Liste.«

»Ansonsten fällt mir niemand ein.«

Jack nickte. »Wie gesagt, die Sicherheitsmaßnahmen sind umfassend, aber in einem Punkt benötige ich Ihre Hilfe, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Schießen Sie los.«

»Sie kennen die Hochzeitsgäste besser als jede andere. Ihnen würde ein Fremder in der Menge sofort auffallen – bestimmt sehr viel schneller als mir. Und ich kann nicht überall zugleich sein. Kurz und gut, ich möchte Sie einfach bitten, dass Sie … die Augen offenhalten, alle Gäste im Geiste registrieren, vor allem Fremde. Wenn Sie jemanden sehen, den Sie nicht kennen, geben Sie mir oder einem meiner Männer sofort Bescheid.«

Linnet nickte. »Ich könnte einen Knopf im Ohr tragen! Oder wie nennt man das? Einen winzigen Kopfhörer und ein Mikrofon. Wie Sie bei meiner Hochzeit.«

Jack lachte lauthals los. Das Mädel war einfach unvergleichlich … Emma hätte genau den gleichen haarsträubenden Vorschlag gemacht.

»Warum lachen Sie?«, fragte sie irritiert.

»Ich kenne nur zwei Menschen, die jemals mit einer solchen Idee aufgewartet hätten: Sie und Ihre Urgroßmutter. Sie sind ihr so ähnlich!«

»Das ehrt mich. Aber ich meine es durchaus ernst. Warum denn nicht, Jack? Wer oder was sollte mich davon abhalten?«

»Meinen Sie nicht, es könnte einigen Ihrer Verwandten etwas merkwürdig vorkommen? Ihrer Großtante Edwina zum Beispiel?«

»Ach, kommen Sie schon, Jack, doch nicht Edwina! Wenn sie sähe, dass ich mit einem Mikrofon am Revers herumlaufe, würde sie sofort fragen, ob sie auch eins haben darf. Sie wissen doch, dass sie der Feldwebel in unserer Familie ist. Sie liebt es, über alles und jeden zu bestimmen. Sie würde sofort das Kommando an sich reißen. Aber sie ist eine gute Seele.«

»In der Tat.« Jack unterdrückte ein Grinsen. Linnet verstand es immer wieder, ihn mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe und ihrer forschen Art in Erstaunen zu versetzen. Er hatte keinerlei Zweifel, dass sie eines Tages der Familie vorstehen und das Unternehmen der Hartes leiten würde. Sie war mutig und entschlossen und dazu noch blitzgescheit – wie geschaffen für eine Führungsrolle.

»Also, Jack, was ist jetzt?«, drängte sie.

»An sich ist es keine schlechte Idee, Linny«, erwiderte er schließlich nach längerem Zögern. Würde Paula so etwas durchgehen lassen? Er konnte sich nicht recht vorstellen, dass sie ihrer Tochter erlauben würde, bei einer Hochzeitsfeier mit einem Knopf im Ohr herumzuspazieren.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, verkündete Linnet: »Mummy könnte vielleicht etwas dagegen haben. Wenn sie Bescheid wüsste. Aber sie muss ja nicht unbedingt Bescheid wissen. Das Mikro kann ich unter einer großen Ansteckblume verstecken, und den Kopfhörer würde sowieso niemand bemerken. Meine Haare sind lang genug.« Während sie sprach, fuhr sie sich durch ihren rotbraunen Bob und blickte Jack triumphierend an. Ihre grünen Augen leuchteten voller Tatendrang.

»Also schön, ich gebe zu: Machbar wäre es.« Er stand auf und warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. »Wissen Sie was, ich melde mich deswegen heute noch mal bei Ihnen. Ich werde mir die Sache durch den Kopf gehen lassen. Aber eigentlich bin ich der Meinung, dass solche Maßnahmen überflüssig sind. Schließlich ist es wirklich nur eine Hochzeit im kleinen Kreis.«

Bereits auf dem Weg zur Tür, wandte Jack sich noch einmal um und sagte: »Ach, eine Sache noch. Ihre Mutter hat mir gesagt, das Personal bei der Hochzeit seien Einheimische, die bereits in der Vergangenheit auf Pennistone Royal gearbeitet haben. Haben Sie trotzdem während der Feier ein Auge auf sie, ja?«

Sie nickte, erhob sich und trat auf ihn zu. »Ich werde Margaret an diesem Wochenende darüber informieren und mich vergewissern, dass alles seine Ordnung hat. Und natürlich werde ich auf dem Empfang die Augen offenhalten. Julian übrigens auch. Er kennt sie alle. Wir sind ja zusammen aufgewachsen.« Als sie von ihrem Mann sprach, stieg ein überwältigendes Gefühl der Zuneigung in ihr auf. Ihre Jugendliebe … sie hatte immer schon gewusst, dass sie eines Tages heiraten würden.

»Danke, meine Schöne.«

Linnet begleitete ihn zum Ausgang. Bevor sie die Türen des Saales erreicht hatten, berührte sie kurz seinen Arm. »Jack?«

»Ja?« Er blickte sie fragend an.

»Glauben Sie wirklich, Jonathan Ainsley könnte versuchen, Ärger zu machen oder uns … etwas anzutun?«

»Nein, das glaube ich nicht. Dazu ist er zu schlau. Andererseits bin ich ihm immer gerne einen Schritt voraus. Nur für den Fall der Fälle.«

Jack winkte ihr zum Abschied zu, verließ den Saal und nahm den Aufzug. Linnet blickte ihm nach. Was für ein Segen, dass sie Jack hatten! Als Leiter des Sicherheitsdienstes von Harte’s hatte er stets hervorragende Arbeit geleistet. Bei ihm waren sie in sicheren Händen. Oder? Linnet grübelte. Wozu wäre Jonathan fähig? Wie weit würde er gehen? Was war ihm zuzutrauen? Insgeheim kannte sie die Antwort bereits: alles. Sogar Mord. Sie erschauerte. Er war ein Psychopath, ein gemeingefährlicher Menschenhasser. Das hatte ihre Mutter schon immer behauptet, und Paula hatte kaum jemals unrecht. Ich muss ununterbrochen wachsam sein, schärfte Linnet sich ein, und ihr Gesicht zeigte den Ausdruck grimmiger Entschlossenheit.

3

Evan nahm einen dicken Filzstift zur Hand und schrieb in ihrer kühnen, fließenden Handschrift das Wort »Brides!« auf die braune Mappe. Dann schob sie die Mappe auf dem Schreibtisch zur Seite und lächelte in sich hinein. Sie war sich gar nicht bewusst gewesen, wie viel Arbeit sie bereits in ihre Idee investiert hatte! Eine ganze Stunde hatte es gedauert, die Aufzeichnungen zu sichten und auszudrucken.

Sie konnte zufrieden sein: Ihre umfassenden Pläne für die Hochzeitsabteilung hatten Hand und Fuß. Hoffentlich würde Linnet es genauso sehen. Aber was war mit Paula O’Neill? Würde ihre Chefin ihnen tatsächlich erlauben, eine ganze Etage nur für Brautausstattung einzurichten, wenn das bedeutete, dass andere Abteilungen verkleinert oder sogar ganz abgeschafft werden mussten?

Die Frage hing einen Augenblick lang in der Luft. Sie hatte keine Antwort darauf. Stattdessen wurde sie von Zweifeln und düsteren Vorahnungen geplagt. Was, wenn ihre Vorschläge nur Zwietracht zwischen Mutter und Tochter säten?

Sie versuchte, ihre negativen Gedanken beiseitezuschieben. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt schon den Kopf darüber zu zerbrechen. Im Moment gab es Wichtigeres.

Evan erhob sich und durchquerte den Raum auf dem Weg zu ihrem langen Werktisch auf der anderen Seite des Büros. Die Tischplatte war übersät mit Fotos, die sie einige Tage zuvor dort ausgebreitet hatte. Gideon hatte in Yorkshire ein Haus gekauft und zahlreiche Bilder gemacht. Jetzt spürte sie den überwältigenden Drang, sie sich erneut anzuschauen.

Sie setzte sich an den Tisch. Einmal mehr durchrieselte sie die inzwischen altbekannte Vorfreude beim Gedanken daran, dass dieses Haus bald ihr Heim sein würde. Wie sehr sie sich danach sehnte, endlich einzuziehen und mit ihrem geliebten Gideon eine Familie zu gründen. Wie schön sie und die Zwillinge es haben würden! In der letzten Zeit war ihre Sehnsucht immer stärker geworden, und es fiel ihr mitunter schwer, sich auf andere Dinge zu konzentrieren.

Während sie die Fotos des Grundstücks und der Außenansicht des Hauses der Reihe nach betrachtete, rief sie sich jenen Samstagmorgen im Oktober vor drei Monaten zurück ins Gedächtnis, als sie das Haus zum ersten Mal gesehen hatte.

Gideon war mit ihr in das kleine malerische Dörfchen West Tanfield gefahren und hatte unterwegs verkündet, dass er sich dort ein altes Haus ansehen wolle. »Es hat mir immer schon gefallen, und jetzt steht es zum Verkauf«, hatte er gesagt. »Meine einzige Sorge ist, dass es vielleicht ein wenig heruntergekommen sein könnte und einer aufwendigen Renovierung bedarf. Aber wie sagt man so schön: Ansehen kostet nichts, oder?«

Evan hatte ohne Umschweife zugestimmt, obgleich es sie überrascht hatte, dass er sich nach einem Haus in Yorkshire umsah. Schließlich arbeiteten sie beide in London, und wann immer sie das Bedürfnis hatten, dem Stadtleben zu entfliehen, konnten sie auf Pennistone Royal oder bei seinen Eltern wohnen. Aber dann war ihr klargeworden, dass er ein eigenes Haus wollte, nur für sie beide. Sein Apartment in London, in dem sie gegenwärtig gemeinsam wohnten, würde nach der Geburt der Zwillinge ohnehin zu eng werden. Die Vorstellung eines Familiendomizils in den Dales erschien ihr mit einem Mal sehr verlockend, und ihre Neugier war geweckt.

Auf der Fahrt erfuhr sie von Gideon, dass West Tanfield auf halber Strecke zwischen Pennistone Royal und Allington Hall lag, dem Familiensitz seiner Eltern, den sie von seinem Großvater Randolph Harte geerbt hatten.

Kurz bevor sie das Dorf erreichten, hatte Gideon leise zu lachen begonnen und ihr gestanden, dass das Haus, das sie im Begriff waren zu besichtigen, vor vielen Jahren seinem Vater und Shane O’Neill gehört hatte. Winston und Shane waren gleich alt und seit ihrer Kindheit eng befreundet. Während ihres gemeinsamen Studiums in Oxford hatten sie das Haus zu Investitionszwecken gekauft, in der Absicht, es zu renovieren und mit stattlichem Gewinn wieder zu veräußern.

Stattdessen war es den beiden eingefleischten Junggesellen derart ans Herz gewachsen, dass sie sich schließlich dazu entschlossen hatten, selbst einzuziehen. Es wurde zu ihrem Wochenenddomizil, bis Winston eines Tages Emily Barkstone, Gideons Mutter, heiratete. Shane hatte ein Jahr lang weiterhin dort gewohnt, aber schließlich war es ihm ohne seinen alten Kameraden zu einsam geworden, und er hatte Winston vorgeschlagen, das Haus zu veräußern. Sein Freund war einverstanden, und die Immobilie fand beinahe sofort einen Käufer. In den folgenden Jahren hatte das Haus lediglich einmal den Besitzer gewechselt.

»Dad hat mir gesagt, dass es zum Verkauf steht«, meinte Gideon, als er vor dem Haus parkte, das am Fuße einer Anhöhe am Rande des Dorfes stand. »Er meinte, ich solle mir um den Zustand keine Gedanken machen, er und Shane hätten es seinerzeit vollständig saniert. Komm, Liebling! Der Immobilienmakler hat mir den Schlüssel gegeben. Gehen wir und schauen uns um. Wer weiß, vielleicht ist dieses Haus schon bald unser neues Zuhause!«

Er sprang aus dem Auto und lief um den Wagen herum, um seiner Verlobten beim Aussteigen behilflich zu sein. Dann führte er sie zu dem schwarzen eisernen Tor, das in die uralte Steinmauer eingelassen war, die das Anwesen umgab. Die Mauer war sehr hoch, und Flechten und Moos wuchsen in den Fugen. Dahinter waren zahlreiche hohe Bäume sichtbar.

»Beck House«, las sie laut vor, als sie schließlich vor dem Tor standen. »Der Name gefällt mir, Gid.«

Gideon lächelte nur und führte sie den Pfad zum Haus hinunter »›Beck‹ ist im hiesigen Dialekt das Wort für ›Bach‹. Weiter unten im Gelände fließt ein kleines Flüsschen.«

Schon bald kam das Haus in Sicht. Evan war vom ersten Augenblick an wie verzaubert. Hier wollte sie wohnen – egal, in welchem Zustand das Haus war. Es war einfach wunderschön.

Es lag in einem kleinen Talgrund, umgeben von Platanen und mächtigen alten Eichen, die die hintere Seite des Hauses einrahmten. Vom Ursprung her war das verwinkelte, aus Stein erbaute Haus elisabethanisch, und es bot einen ebenso heimeligen wie pittoresken Anblick. Es hatte hohe Schornsteine, Bleiglasfenster und eine bis auf halbe Höhe mit Holz verkleidete Fassade im Tudorstil.

Evan hatte stets eine Idealvorstellung von einem typisch englischen Haus auf dem Lande gehabt, inspiriert von den Erzählungen ihrer Großmutter Glynnis. Und an jenem kühlen, sonnigen Samstagmorgen im Oktober war dieses Ideal Wirklichkeit geworden. Als sie den großen alten Schlüssel ins Schloss steckte, kannte ihre Aufregung keine Grenzen. Sie war unsagbar gespannt, was sie wohl im Innern erwarten mochte.

Niemals würde sie vergessen, wie sie zum ersten Mal die Schwelle übertreten und sich in der Eingangshalle umgesehen hatte … ein überwältigendes Gefühl der Freude durchströmte sie, und sie spürte sofort, dass sie hier mit Gideon und ihren Kindern leben würde … hier würden sie auf ewig glücklich sein. Das Haus hatte eine unbeschreibliche, fast magische Aura. Sie fühlte sich behütet und geborgen.

Sie konnte sich noch so gut an jenen Morgen erinnern … wie sie gemeinsam durch die großen leeren Zimmer gewandert waren, in denen die Staubkörner in den schimmernden Strahlen des Sonnenlichts tanzten, das durch die alten Fenster fiel. Eine bezaubernde, friedvolle Atmosphäre …

Sie dachte an die riesige altmodische Wohnküche mit ihren mächtigen Deckenbalken, den Butzenscheiben und dem riesigen steinernen Kamin. Von einer solchen urgemütlichen Küche, in der die ganze Familie zusammenkam, hatte sie schon immer geträumt. Die großzügig geschnittenen Gesellschaftsräume im Erdgeschoss boten viel Platz, um darin Gäste zu empfangen, während die Schlafzimmer im oberen Stockwerk angenehm behaglich wirkten.

»Das ist das perfekte Haus für unsere Familie«, hatte sie Gideon ohne Umschweife erklärt. »Es ist genau das richtige für uns, und es kann sogar ein bisschen Familiengeschichte vorweisen, nicht wahr?«

»In der Tat«, hatte er geantwortet. Seine Augen blitzten schelmisch, als er sie auf die Wange küsste und fragte: »Also? Sollen wir es kaufen?«

»O ja!«, hatte sie erwidert und dann zu bedenken gegeben: »Wenn es nicht zu baufällig ist.«

Gideon hatte schallend gelacht. »Schau dich doch um! Ich finde, es ist kein bisschen baufällig – zumindest nicht hier drinnen. Das Holz draußen könnte einen Anstrich gebrauchen, und die Steinmauer muss repariert werden, aber ansonsten ist es in hervorragendem Zustand – und einfach wunderschön. Dad sagte mir, die Bausubstanz sei solide, und er hatte recht.«

Und so trafen sie an Ort und Stelle, in der Mitte des Raumes, der bald ihr Wohnzimmer werden würde, eine Entscheidung. Drei Wochen später gehörte das Haus ihnen.

Inzwischen war es so gut wie bezugsfertig. Sämtliche Innenräume waren renoviert worden: Man hatte Wände und Türen gestrichen, die Böden abgeschliffen und versiegelt, der ortsansässige Schornsteinfeger hatte die Schornsteine gesäubert, und zu guter Letzt hatte ein Fensterputzer sämtliche Fenster poliert.

Beck House wartete nur noch auf sie. Und nächste Woche, während sie sich in Yorkshire auf ihre Hochzeit vorbereiteten, würden sie und Gideon und Emily die Handwerker beaufsichtigen, die Gardinen aufhängten, Teppich verlegten und die Möbel lieferten. Viele der Antiquitäten hatten sie von Emily und Paula geschenkt bekommen. Beide Frauen hatten auf ihren Dachböden gestöbert und einige wunderschöne Fundstücke aufgetrieben. Evan hatte ihrem Vater in New York Digitalfotos der besten Stücke geschickt, und er hatte ihr postwendend per E-Mail geantwortet, hellauf begeistert vom ausgezeichneten Zustand und der hohen Qualität der Möbel. Seiner Einschätzung nach stammten sie allesamt aus der Zeit von George III. und er konnte es kaum erwarten, sie zu begutachten, wenn er nächste Woche kam.

Evan lehnte sich zurück und las erneut seine jüngste, liebevolle E-Mail. Ihr war ein Stein vom Herzen gefallen, dass sich ihr Verhältnis endlich wieder normalisiert hatte. Alles war wieder im Lot, und fast schien es, als habe es nie einen Bruch zwischen ihnen gegeben. Gott sei Dank hatte er sich damit abgefunden, dass sie einen Harte heiratete. Anfangs hatte er ihre Wahl scharf kritisiert und aus seiner Missbilligung keinen Hehl gemacht.

Ein leises Klopfen an der Tür riss Evan aus ihren Träumen, und noch bevor sie ein »Herein!« über die Lippen bringen konnte, hatte Ruth Snelling, ihre neue Sekretärin, bereits ihren blonden Kopf zur Tür hereingesteckt.

»Brauchen Sie noch etwas, Evan?«, fragte sie in der ihr eigenen heiteren Stimmung und mit einem breiten Lächeln. Wie üblich machte sie sich Sorgen um ihre schwangere Chefin. Sie war stets rührend um sie bemüht.

»Alles bestens, danke, Ruth. Aber vielleicht könnten Sie so lieb sein und mir eine Flasche Mineralwasser besorgen? Ohne Kohlensäure, bitte.«

»Kein Problem. Bin im Handumdrehen wieder da!«

»Warten Sie, Ruth!«, rief Evan. »Ich habe hier etwas für Linnet. Würde es Ihnen etwas ausmachen, es bei ihr im Büro vorbeizubringen?« Während sie sprach, erhob sie sich, durchquerte langsam den Raum, nahm die braune Mappe von ihrem Schreibtisch und hielt sie ihr entgegen.

Ruth trat auf Evan zu und nahm sie an sich. »Dauert nur einen Augenblick!«, rief sie, als sie das Büro mit schnellen Schritten verließ, ganz auf ihre Aufgabe konzentriert.

Evan lächelte. Die junge Frau war sehr darauf bedacht, sie zufriedenzustellen, und zudem äußerst effizient. Ihre Hilfsbereitschaft und ihr Arbeitseifer kannten keine Grenzen. Ruth arbeitete erst seit einigen Wochen bei Harte’s, aber Evan konnte sich nicht mehr vorstellen, wie sie jemals ohne sie zurechtgekommen war. Ich schaffe es ohnehin kaum noch, die ganze Arbeit zu bewältigen, dachte Evan bei sich, ließ sich auf ihren Bürostuhl sinken und warf einen Blick auf den Computerbildschirm, um ihren Posteingang zu kontrollieren. Gott sei Dank hatte sie an diesem Morgen noch keine geschäftlichen E-Mails erhalten. In der letzten Zeit fiel ihr die Arbeit immer schwerer, und alles, was sie im Augenblick wollte, war, sich nach Pennistone Royal zurückzuziehen und ein wenig Ruhe und Frieden zu genießen.

Paula hatte darauf bestanden, dass sie die verbleibenden zehn Tage bis zur Hochzeit dort wohnte, und sie hatte bereitwillig zugestimmt. Evan fühlte sich wohl bei Paula und hatte bereits das ganze letzte Jahr über den Großteil ihrer Wochenenden auf dem Anwesen verbracht. Ihre Urgroßmutter hatte es in den dreißiger Jahren gekauft, und ein Grund, warum Evan sich so gerne auf Pennistone Royal aufhielt, war, dass sie in dem alten Gemäuer noch immer Emmas Geist zu spüren glaubte. Außerdem war es eine Zeitlang praktisch ihr zweites Zuhause gewesen. Alle hatten sie herzlich willkommen geheißen, und Margaret, die Haushälterin, wurde nie müde, sich wie eine Glucke um sie zu kümmern. Sie war gütig, mütterlich und hielt insbesondere dieser Tage eine schützende Hand über sie.

Emily hatte nichts dagegen gehabt, dass sie nicht auf Allington Hall wohnte, und wiederholt bekräftigt, dass sie ganz und gar verstehe, dass Evan einen vertrauten Ort wie Pennistone Royal vorzog. Gideons Mutter war eine der liebenswertesten Frauen, die Evan je kennengelernt hatte, und noch dazu manchmal zum Schreien komisch. Ebenso wie Linnet nahm sie selten ein Blatt vor den Mund.

Als Evan diese Tatsache Paula gegenüber erwähnt hatte, war sie sofort in Gelächter ausgebrochen. »Sie schlagen beide Emma nach, fürchte ich – besonders Linnet. Meine Großmutter war auch sehr direkt. Sie hat stets das gesagt, was ihr in den Sinn kam, und Linnet steht ihr in nichts nach.« Paulas violette Augen hatten amüsiert gefunkelt.

»Nun ja, wenigstens weiß man so immer, woran man ist«, hatte Evan hinzugefügt, und beide hatten wissende Blicke ausgetauscht.

Winston Harte, Gideons Vater, war ebenso liebenswürdig wie seine Frau. Beide hatten sie mit offenen Armen empfangen, waren ihr von Anfang an mit größter Freundlichkeit begegnet und hatten ihr immer wieder zu verstehen gegeben, dass sie der Beziehung zwischen ihr und Gideon ihren Segen gaben. Sie hätte sich keine netteren Schwiegereltern wünschen können. Auch ihre Schwägerin Natalie, die gerade aus Australien zurückgekehrt war, hatte sie ins Herz geschlossen. Sie war eine hübsche, charmante junge Frau, und die beiden hatten sich sofort angefreundet.

Mühsam erhob sie sich und ging zurück zum Werktisch, wo sie sich hinsetzte und langsam die zahlreichen Fotos durchzusehen begann, die Gideon von ihren Hochzeitsgeschenken gemacht hatte. Alle ihre Verwandten und Freunde waren außerordentlich großzügig gewesen und hatten ausgefallene Präsente geschickt, die nicht nur kostspielig, sondern auch wunderhübsch waren. Wie Gideon grinsend gesagt hatte: »Wir müssen sie nicht einmal auf dem Dachboden verstecken. Man kann tatsächlich etwas mit ihnen anfangen!« Sie hatte ihm lachend zugestimmt.

»Überraschung! Na, wie geht es dir?«

Abrupt richtete sich Evan auf. Sie hatte gar nicht gehört, dass jemand hereingekommen war. Sie wandte sich um und blickte ungläubig zu der Gestalt hinüber, die soeben im Türrahmen aufgetaucht war. Auf der Schwelle stand niemand anders als ihre dreiundzwanzig Jahre alte Schwester Angharad. Sie war von Kopf bis Fuß in leuchtendes Rot gekleidet, angefangen bei ihrem langen Kaschmirschal bis hin zu den hochhackigen Lederstiefeln. Doch nicht nur das – sie hatte ihre Haare gefärbt und war jetzt platinblond.

Evan fiel vor Verblüffung die Kinnlade herunter, und es dauerte eine Weile, bis sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. »Was tust du denn hier?«, stammelte sie. »Ich meine, Mom hat mir gesagt, du würdest nicht vor nächster Woche nach London kommen!«

»Ich habe mich kurzfristig anders entschieden. Ich wollte mich ein bisschen in London umsehen, bevor es gen Norden aufs Land geht.«

Evan stand auf, trat zu Angharad und küsste sie auf die Wange. »Also, ich … du liebe Güte, steh doch nicht da herum! Komm herein!« Sie war immer noch durcheinander, aber schenkte ihrer Schwester ein warmes Lächeln.

Angharad tat, wie ihr geheißen. Dabei ließ sie ihren Blick durch den großen, edel möblierten Raum schweifen. »Das Büro hier ist der helle Wahnsinn!«, rief sie aus. Evan war sich nicht sicher, ob das, was in ihrer Stimme mitschwang, Bewunderung oder Neid war. »Aber du hast es ja schon immer verstanden, dir dein Leben nach deinen Wünschen einzurichten. Gleichgültig, wie es anderen dabei geht.«

Evan überging diese feindselige Bemerkung und murmelte: »Es ist warm hier drin, du hängst besser deinen Mantel und deinen Schal in der Garderobe auf. Hinter dir.« Daraufhin ging sie zurück zu ihrem Werktisch, wo sie anfing, einige der verstreuten Bilder einzusammeln. Es war besser, wenn Angharad sie nicht zu Gesicht bekam. Ihre Schwester war ausgesprochen neugierig.

Aber Evan war zu langsam. Angharad hatte ihre hektische Betriebsamkeit bemerkt und steuerte zielstrebig auf sie zu. Rasch wandte sich Evan um, stellte sich vor den Tisch und sagte: »Komm, wir setzen uns aufs Sofa, dort ist es bequemer. Möchtest du etwas zu trinken? Tee? Kaffee?«

Angharad, die plötzlich stehengeblieben war, schüttelte nur den Kopf, wobei sie Evan unverwandt anstarrte. Ihre braunen Augen blitzten. Nach einer Weile platzte sie heraus: »Ich kann nicht glauben, was für einen gigantischen Bauch du mit dir herumschleppst! Einfach grotesk!« Ihr schrilles, kaltes Lachen hallte durch den Raum. »Im Ernst! Du bist so fett, du siehst aus, als würdest du jeden Moment zwei Elefanten werfen!«

Evan zuckte bei diesen Worten zusammen, erwiderte aber nichts, sondern legte unwillkürlich beide Hände auf ihren Bauch, als wolle sie ihre ungeborenen Söhne vor den bissigen Bemerkungen ihrer Schwester beschützen. Typisch Angharad. Evan kannte diesen gehässigen Ton nur zu gut. Er deutete auf die Neidgefühle hin, die ihre jüngere Schwester nie hatte verbergen können, und auf ihr erbarmungsloses Konkurrenzdenken, das sie dazu trieb, Evan wann immer sie konnte zu erniedrigen. Schon als kleines Kind war Angharad auf alles und jeden eifersüchtig gewesen – vor allem auf sie.

Evan holte tief Luft. »Ich nehme an, du wohnst mit Mom bei George und Arlette im Hotel?«

»Ja. Mom kommt übrigens auch bald her. Wir haben uns hier verabredet. Wir dachten, wir könnten alle zusammen zu Mittag essen. Was meinst du?«

»Ja. Ja, natürlich«, stimmte Evan hastig zu, obwohl es sie ärgerte, dass ihre Mutter es nicht einmal für nötig gehalten hatte, vorher anzurufen. Sie hatte vor Büroschluss noch eine Menge zu tun, und ein Mittagessen war nicht geplant gewesen. Sie wollte unbedingt noch ihr wöchentliches Arbeitspensum erledigen, bevor ihr Mutterschutz begann.

Angharad hatte Evans Verwirrung genutzt, war um sie herum getreten und stand nun am Arbeitstisch, wo sie mit großem Interesse auf die zahlreichen Fotografien blickte, die dort lagen. Als Erstes fielen ihr die Bilder der Möbelstücke ins Auge.

»Das ist alles George III.«, erklärte sie hochnäsig und mit lauter Stimme. Sie nahm ein Foto in die Hand und musterte es mit großer Sorgfalt. »Woher stammt dieses Stück?«

»Die Anrichte? Von Pennistone Royal. Das ist das Haus von Emma Harte. Jetzt wohnt ihre Enkelin, meine Chefin Paula O’Neill, dort. Sie war es auch, die Gideon und mir das Büfett geschenkt hat. Es war ausgemustert und stand auf dem Dachboden.«

»Ausgemustert! Wer würde so etwas tun? Das ist ein wahres Schmuckstück! Habt ihr es schätzen lassen?«

»Nein, noch nicht. Ich warte noch auf Dads Meinung. Ich habe ihm einige der Bilder gemailt, damit er sie sich ansehen kann … schließlich ist er einer der wichtigsten Experten auf dem Gebiet.«

»Was du nicht sagst«, entgegnete Angharad spöttisch. »Ich arbeite mit ihm zusammen, schon vergessen? Wann hast du sie ihm geschickt?«

»Ach, das wird inzwischen wohl drei oder vier Wochen her sein«, antwortete Evan unbehaglich.

»Ich möchte zu gern wissen, warum er sie mir nicht gezeigt hat!« Angharad warf die Fotos auf den Tisch, runzelte konsterniert die Stirn und kniff den Mund zu einer schmalen Linie zusammen. In ihren dunklen Augen spiegelten sich gleichermaßen Zorn und Ratlosigkeit.

Evan bemühte sich, ihre Schwester zu besänftigen. »Vielleicht hat er sie nur überflogen und dann weggelegt, ohne weiter darüber nachzudenken«, meinte sie, obschon sie sich selbst fragte, warum ihr Vater seiner Tochter, die mit ihm zusammen in seinem Antiquitätengeschäft in Connecticut arbeitete und quasi sein Protegé war, die Bilder nicht vorgelegt hatte.

»Und das ist also das Haus?«, fragte Angharad plötzlich, beugte sich über den Tisch und beäugte den anderen Stapel Fotografien.

»Ja, das ist es. Es heißt Beck House.«

»Wie entzückend. Wirklich sehr hübsch«, murmelte Angharad, ganz in den Anblick der Innenaufnahmen des Hauses vertieft. Dann ließ sie ihren Blick ein weiteres Mal über die verschiedenen erlesenen Antiquitäten schweifen.

Nach einer Weile richtete sie sich auf, bedachte Evan mit einem abschätzigen Blick und verkündete kalt: »Nun, was soll ich sagen? Du hast es wirklich zu etwas gebracht, nicht wahr? Aber du fällst ja immer auf die Füße, Evan. Solange ich denken kann, schwimmst du oben wie ein Fettauge auf der Suppe. Schon als du noch zu Hause gewohnt hast. Alle hattest du sie um deinen kleinen Finger gewickelt. Mom, Grandma und vor allem Dad und Großvater. Du warst immer ihr Liebling. Danach war Elayne dran. Zuletzt kam ich.«

»So war es doch gar nicht«, sagte Evan in sanft ermahnendem Tonfall. »Niemand kam zuletzt oder zuerst … Dad hat uns alle drei gleich behandelt.«

»Evan, ich bitte dich! Vergiss nicht, mit wem du sprichst. Ich bin nicht die brave, gutgläubige Elayne. Alle gleich behandelt, dass ich nicht lache! Ich habe es doch genau gefühlt. Ich war adoptiert und deswegen keine Blutsverwandtschaft. Durch meine bescheidenen Adern floss nicht das kostbare Blut der Hughes. Nicht wie bei dir. O nein. Du warst die Allerteuerste, der kleine süße Liebling.«

»Angharad, bitte hör auf damit. Elayne ist auch adoptiert, und Dad liebt euch beide genauso sehr wie mich!«

»Dass du ihm diesen Unsinn immer noch abkaufst!« Angharads Stimme troff vor Verachtung.

Evan schüttelte müde den Kopf. Mit einem Mal fühlte sie sich elend. Angharads Neid war eine uralte Geschichte, und offenbar hatte sie im Laufe der Zeit nichts von ihrer Dramatik eingebüßt. Seit Jahren schon kannte Angharad nur ein einziges Thema: Sie war felsenfest davon überzeugt, dass sie innerhalb der Familie den untersten Rang einnahm. Ihre Großmutter hatte das ewige Jammern und Klagen stets verabscheut. Ihr Vater hatte es schlicht ignoriert, während ihre Mutter jedes Wort geglaubt und Angharad im Gegenzug nach Strich und Faden verwöhnt hatte, so dass Elayne, ihre zweite Adoptivtochter, sich schließlich zu Recht vernachlässigt gefühlt hatte.

»Du bist seine Prinzessin!«, rief Angharad aufgebracht. »Die Beste, die Klügste, die Schönste. Dich hat er uns immer als leuchtendes Beispiel vorgehalten. Schneidet euch von Evan eine Scheibe ab! Du warst das große Vorbild. Wir mussten ebenso strahlen wie du. Und wenn nicht – ja, dann hieß es, ab mit ihnen auf die Abschussliste!«

»Du machst dich wirklich lächerlich«, widersprach Evan, die sich vergeblich bemühte, ruhig zu bleiben. »So war es nie.« Ihr Protest stieß auf taube Ohren.

»Und es hat sich rein gar nichts geändert! Du bist immer noch der hellste Stern an seinem Himmel. Evan, die Glorreiche! Die Urenkelin der berühmten Emma Harte! So begabt und klug, dass sie, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Spitzenposition bei Harte’s ergattert. So wunderschön und bezaubernd, dass sie sich sogar den begehrtesten Junggesellen der Harte-Sippe angelt. Den umwerfenden, superreichen, in jeder Hinsicht vollkommenen Gideon! Und jetzt hat sie ihrem Liebling auch noch den sehnlichsten Wunsch erfüllt und ihm einen Erben geschenkt. Ach, was rede ich, nein! Nicht einen Erben. O nein, nicht doch! Evan geht hin und produziert gleich zwei!«

»Bitte hör auf damit«, flehte Evan, der die gnadenlose Wut ihrer Schwester langsam Angst machte. Unwillkürlich versteifte sie sich. Es schien ihr, als würde ihre Furcht sich plötzlich wie eine Wolke über ihr zusammenbrauen. Sie war wie gelähmt.

»Womit soll ich aufhören?«

»Streit zu suchen. Das bringt doch niemandem etwas! Wirst du nie damit aufhören? Du bist schließlich kein kleines Kind mehr!«

»Ich tue nichts dergleichen«, gab Angharad hitzig zurück, und ihr Gesicht rötete sich vor Zorn. »Ich sage dir lediglich die Wahrheit. Und glaub mir, Elayne hat es genauso satt wie ich, ständig von deiner verdammten Hochzeit zu hören. Dad ist gar nicht mehr zu bremsen, ununterbrochen erzählt er, wie er dich zum Altar führen wird, oder schwärmt in höchsten Tönen von dir. Evan, die Braut aller Bräute! Einfach ekelerregend.«

»Warum bist du dann gekommen?«, fragte Evan scharf. Langsam war sie mit ihrer Geduld am Ende. »Wenn du so denkst, warum hast du meine Hochzeit mit Gideon dann nicht einfach boykottiert?«

»Mom wollte, dass wir kommen.«

»Du musst mir weiß Gott keinen Gefallen tun!«, rief Evan, die vergeblich um Fassung rang. Ihr schwindelte. Sie musste sich unbedingt hinsetzen. Sie trat einen Schritt zurück, während sie mit einer Hand nach der Armlehne ihres bequemen Drehsessels tastete. Ohne hinzusehen, zog sie den Stuhl heran und wollte sich gerade darauf niederlassen, als er ihr entglitt und zur Seite davonrollte. Evan stürzte, wobei sie heftig auf den Boden aufschlug. Sie stieß einen spitzen Schrei aus und umklammerte ihren Bauch.

Angharad blieb stocksteif stehen, unfähig, sich zu bewegen. Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Sie schluckte schwer und fragte flüsternd: »Alles in Ordnung? Evan? Evan? Geht es dir gut?«

Evan stöhnte und zog die Knie an, um sich zu einer Kugel zusammenzurollen. Noch immer hielt sie sich den Bauch. Ihr Gesicht war kalkweiß, und sie antwortete nicht.

»Evan, bitte sag etwas«, drängte Angharad und trat einen Schritt auf sie zu. »Bist du verletzt?«

»Ich weiß nicht«, murmelte Evan schwach. »Geh und hol meine Sekretärin … Ruth.«

Aber Angharad kam nicht mehr dazu, Hilfe zu holen. Gerade in diesem Augenblick kam Ruth mit einem Glas und einer Flasche Wasser ins Büro, gefolgt von Linnet und Marietta Hughes.

»Um Himmels willen!«, stieß Marietta hervor, als sie Evan auf dem Fußboden liegen sah. Sie schob Ruth und Linnet kurzerhand zur Seite und stürzte zu ihrer Tochter.

»Was ist passiert? Evan, sag doch, was passiert ist!« Marietta fiel neben Evan auf die Knie und blickte furchtsam in das bleiche Gesicht ihrer Tochter.

»Ruf den Arzt. Ich darf meine Babys nicht verlieren!«, stöhnte Evan mit tränenüberströmtem Gesicht. »Alles, nur das nicht …«

4

Gideon stieß die Tür zum Warteraum des Queen-Charlotte-Krankenhauses in Chelsea auf, in das Evan eingeliefert worden war. Mit angespannter Miene eilte er hinein.

Sofort wandten sich ihm drei weibliche Augenpaare zu, und noch bevor er ein Wort herausbringen konnte, war Linnet aufgesprungen und kam auf ihn zugelaufen.

»Gid! Evan geht es gut!«, rief sie schon von weitem, da sie ihn nicht länger auf die Folter spannen wollte. Als sie neben ihm zum Stehen kam, ergriff sie freundschaftlich seinen Arm und fügte leiser hinzu: »Sie ist nicht verletzt.«