Stephanies Geheimnis - Ein Hauch von Ewigkeit - Barbara Taylor Bradford - E-Book
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Stephanies Geheimnis - Ein Hauch von Ewigkeit E-Book

Barbara Taylor Bradford

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Beschreibung

Nach Jahren der Entbehrung hat Stephanie Jardine es endlich geschafft: Die junge Witwe hat sich zu einer weltweit anerkannten Diamantenexpertin entwickelt und leitet das familieneigene Juwelierhaus. Sie blickt voller Zuversichtlich in die Zukunft, bis etwas Unfassbares passiert - etwas, das nur die Kraft der Liebe bewältigen kann.

Die bewegende Geschichte einer starken Frau, die um ihre Liebe, ihre Familie und gegen Intrigen kämpft. Und die sich trotz vieler Rückschläge immer wieder auf ihre Stärken besinnt.

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin:

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

ERSTER TEIL Thanksgiving

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

ZWEITER TEIL Weihnachten

14

15

16

17

18

19

20

DRITTER TEIL Ostern

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

Weitere Titel der Autorin:

Die Emma-Harte-Saga:

Des Lebens bittere Süße

Bewahrt den Traum

Und greifen nach den Sternen

Und plötzlich reißt der Himmel auf

Ein Geschenk des Schicksals

Am Ende wartet die Liebe

Die Yorkshire-Saga:

Cavendon Hall – Zeiten des Verrats

Cavendon Hall – Momente des Glücks

Cavendon Hall – Jahre des Schicksals

Cavendon Hall – Tage des Aufbruchs

Über dieses Buch

Nach Jahren der Entbehrung hat Stephanie Jardine es endlich geschafft: Die junge Witwe hat sich zu einer weltweit anerkannten Diamantenexpertin entwickelt und leitet das familieneigene Juwelierhaus. Sie blickt voller Zuversichtlich in die Zukunft, bis etwas Unfassbares passiert – etwas, das nur die Kraft der Liebe bewältigen kann.

Die bewegende Geschichte einer starken Frau, die um ihre Liebe, ihre Familie und gegen Intrigen kämpft. Und die sich trotz vieler Rückschläge immer wieder auf ihre Stärken besinnt.

Über die Autorin

Barbara Taylor Bradford verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England. Sie arbeitete als Journalistin, bevor sie im Alter von achtzehn Jahren begann, Kinderbücher zu schreiben. Schon bald folgten Romane, der Durchbruch gelang ihr mit »Des Lebens bittere Süße«. Seitdem hat sie fünfundzwanzig Bücher geschrieben, die allesamt Bestseller wurden. Sie widmet alle Werke ihrem Mann.

Barbara Taylor Bradford

Stephanies Geheimnis -

Ein Hauch von Ewigkeit

Aus dem Englischen von Dr. Ingrid Rothmann

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1997 by Barbara Taylor Bradford

Titel der Originalausgabe: »Power of a Woman«

Originalverlag: HarperCollins Publishers Inc., New York

Barbara Taylor Bradford, Ein Hauch von Ewigkeit

Die Rechte an der Nutzung der deutschen Übersetzung von Barbara Röhl liegen beim Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Randomhouse GmbH

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © der deutschen Übersetzung 1998 by Blanvalet Verlag

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: Ein Hauch von Ewigkeit

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © Kiselev Andrey Valerevich / shutterstock, © John A. Anderson / shutterstock, © phatthanit_r / Getty Images

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0327-7

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

ERSTER TEILThanksgiving

1

Feine Dunstschleier schwebten wie helles Wasser über den Wiesen, trieben in wirbelnden Schwaden dahin und verwischten die Silhouetten der Bäume, die sie in bizarre, zum düsteren Himmel aufragende Gebilde verwandelten. Jenseits der Wiesenflächen zeichneten sich im schwindenden Licht purpurfarben die Gipfel der Litchfield Hills ab, deren Fuß aufsteigender Nebel verhüllte.

Über dieser winterlich anmutenden Landschaft lastete Stille, durchdringend, beharrlich, ohne Regung und Bewegung, als hielte die Welt inne, und alles wäre in ungeheure Bewusstlosigkeit getaucht.

Den Sommer über prangten diese Wiesen in sattem Grün, das von Wiesenblumen in allen Farben gesprenkelt war. An diesem kalten Mittwochnachmittag im November aber wirkten sie kahl und öde.

Stevie Jardine ließ sich von feuchtem Nebelwetter eigentlich nicht stören, da es in ihr unweigerlich glückliche Erinnerungen an die Vergangenheit wachrief, an die Moorlandschaft Yorkshires und an das malerische alte Farmhaus, das sie dort besaß. Nun aber spürte sie die Kälte der Nebelluft bis auf die Knochen.

Ganz plötzlich wurde sie von einem Gefühl der Angst ergriffen. Ihr wollenes Cape enger um sich ziehend, beschleunigte sie ihre Schritte und versuchte das sonderbare Gefühl einer bösen Vorahnung abzuschütteln, das sie erfasst hatte. Unwillkürlich erschauderte Stevie. Was für ein Unsinn, dachte sie, als sie abermals ein Frösteln überlief. Sie blickte hoch.

Die Färbung des fernen und kalten Himmels veränderte sich und gerann zu einem sonderbar fahlen Grün; ein trostloser, unheimlicher Himmel. Sie ging noch schneller und geriet fast ins Laufen, kaum imstande, ihre Ungeduld zu zügeln. Sie wollte rasch nach Hause, da sie es im Freien nicht mehr aushielt und bereits bereute, sich zu einem so ausgedehnten Spaziergang entschlossen zu haben. Der Nebel verdichtete sich zusehends, dabei war der Nachmittag noch fast spätsommerlich schön gewesen, ehe die Wärme klammer Feuchtigkeit gewichen war.

Ihren Füßen war der Pfad über die Felder vertraut, und ihr Schritt war so sicher, dass sie auch nicht strauchelte, als der Weg plötzlich steil in eine Senke abfiel. Sie sah, dass dort unten der Nebel sehr dicht war. Wieder überlief sie ein Frösteln, und sie zog ihr Cape enger um sich.

Nicht lange, und der Pfad stieg im hügeligen Gelände erneut an; weiter oben lichtete sich der Nebel. Auf dem Hügelrücken angelangt, merkte Stevie, dass die Luft kälter, aber auch viel klarer war.

Von hier aus konnte Stevie ihr Haus sehen, in das Tal zu ihren Füßen geschmiegt. Sie empfand Erleichterung. Rauch stieg aus den Kaminen auf, Lichter schimmerten hell in den Fenstern. Ein warmer und einladender Anblick in der Dämmerung, so als wäre man willkommen.

Sie war froh, zu Hause zu sein.

Das 1796 erbaute und nun zweihundert Jahre alte Haus stand in Connecticut in einem lang gestreckten grünen Tal im Schatten der Litchfield Hills. Bei der ersten Besichtigung vor fünf Jahren hatte es als Konglomerat verschiedenster, im Laufe vieler Jahre hinzugefügter Anbauten einen recht unansehnlichen Anblick geboten. Erst Umbau und Renovierung, geschickt und behutsam durchgeführt, hatten Anmut und Charme von einst wieder zur Geltung gebracht.

Stevie lief rasch über den feuchten Rasen und die Stufen zur überdachten Veranda hinauf, um das Haus durch die Seitentür zu betreten, die direkt in die Garderobe führte.

Sie hängte ihr nasses Cape auf und ging in die geräumige Halle mit der breiten Treppe und dem dunklen, spiegelblank gebohnerten Dielenboden. Eine Balkendecke, massive Eichenholztüren und Sprossenfenster verrieten das Alter des Hauses.

Für Stevie war die große Halle, um die sich alle anderen Räume gruppierten, von Anfang an das Herzstück des Hauses gewesen, jener Raum, in dem sich die ganze Familie zusammenfand. Einige Lampen mit rosa Seidenschirmen verbreiteten einen warmen Schimmer, der die Halle noch wohnlicher machte. Es war ein behaglicher, einladender Raum mit einem alten, verblassten Savonnerie-Teppich vor dem Kamin, antiken Tischen in Eichenfarbe und Schränken aus dunklem Holz, mit Schnitzwerk verziert. Ausladende, grün bezogene Sofas bildeten mit ein paar Sesseln vor dem Feuer eine Sitzgruppe.

Stevies Miene erhellte sich, als sie durch die Halle ging. Wie beruhigend die heimelige, freundliche Atmosphäre wirkte ... Im großen gemauerten Kamin prasselte ein Feuer, es roch würzig nach Kiefernscheiten, nach einer Andeutung von Holzrauch und reifen Äpfeln. Aus der Küche drang der Duft nach frischgebackenem Brot herein.

Stevie blieb vor dem Kamin mit ausgestreckten Händen stehen, um sie zu wärmen. Plötzlich musste sie lachen. Über sich selbst. Wie albern sie eben gewesen war, als sie über die Wiesen lief. Es gab keinen Grund, sich bösen Vorahnungen hinzugeben. Das Gefühl des Unbehagens, das sie empfunden hatte, war völlig irrational und unbegründet gewesen. Wieder lachte sie auf und schalt sich, weil sie so ängstlich gewesen war.

Ein paar Sekunden, und sie wandte dem Kamin den Rücken zu, um zur Treppe und nach oben zu gehen. Sie liebte dieses zauberhafte alte Haus bis in den letzten Winkel, ganz besonders aber hatte es ihr das kleine, an den Schlafraum angrenzende Arbeitszimmer angetan. Immer wenn sie die Tür öffnete, konnte sie nicht umhin, den wohlproportionierten Raum zu bewundern. Die Fenster, die eine ganze Seite einnahmen, reichten bis unter die spitz zulaufende Giebeldecke, der prächtige Kamin wurde von hohen Bücherregalen flankiert.

Stevie hatte das Zimmer von einem Künstler höchst dekorativ in venezianischem Stil ausmalen lassen. Der weiche Goldton, durch vielfache, übereinander aufgetragene und zuletzt mit Firnis behandelte, bernsteingelbe Farbschichten geschaffen, wirkte so warm, als hätten die Wände ewigen Sonnenschein eingefangen.

Schöne Bilder, über die Jahre hinweg gezielt ausgewählt, Familienfotos in Silberrahmen, eine Vielzahl teurer Erinnerungsstücke und heiß geliebter Bücher waren die Dinge, die diesem Raum Stevies ureigenen Stempel aufdrückten und ihn für sie zu einer Besonderheit machten.

Im Kamin war alles zum Anzünden vorbereitet. Sie ging hin und kniete davor nieder. In Sekundenschnelle züngelten die Flammen hoch, nachdem sie ein Streichholz angerissen und es ans Papier gehalten hatte.

Sie richtete sich auf, um durch den Raum zum Fenster zu gehen und sich an den ovalen georgianischen Sekretär zu setzen, auf dessen Schreibfläche Schriftstücke aus ihrer Aktenmappe penibel angeordnet lagen. Nach einem flüchtigen Blick darauf wandte sie sich ab und lehnte sich im Stuhl zurück, in Gedanken plötzlich ganz weit weg.

Ihr fein geschnittenes Gesicht nahm einen geistesabwesenden Ausdruck an, als sie verschiedene Gegenstände auf ihrem Schreibtisch ins Auge fasste ... die Jugendstillampe, auf dem Flohmarkt in Paris erstanden, ein silbernes Tintenfass aus dem achtzehnten Jahrhundert, das ihre Mutter ihr vor Jahren geschenkt hatte, eine Unmenge von Fotos ihrer Lieben, das Meißner Sahnekännchen mit dem Rote-Drachen-Dekor, das ihrer Großmutter gehört hatte und nun als Behälter für Schreibstifte diente, die Kopie einer alten Hindu-Weisheit im Perlmuttrahmen.

Ihr Blick blieb daran haften, und sie las den Spruch, vielleicht zum tausendsten Mal in ihrem Leben. »Wer einen Diamanten kauft, erwirbt ein Stück Ewigkeit.«

Diesen alten Spruch hatte Ralph eigenhändig und in Schönschrift kopiert, um ihn ihr kurz nach ihrer Hochzeit zu überreichen. Damit war alles ausgedrückt, was Diamanten für ihn bedeuteten, wie er immer wieder betonte. Diamanten waren seine große Liebe und zugleich sein Beruf. Er war es auch, von dem sie selbst viel über Diamanten gelernt hatte.

Stevies helle, graugrüne Augen wanderten zu dem Foto, das sie und Ralph an ihrem Hochzeitstag im November 1966 zeigte. Auf den Tag genau vor dreißig Jahren. Seit dem frühen Morgen kehrten ihre Gedanken immer wieder zu Ralph zurück, so wie jetzt, als sie sich wieder ihren Erinnerungen überließ und an ihn und ihre ersten gemeinsamen Jahre dachte.

Ralph war ein guter Mensch, der Beste, den sie kannte, liebevoll, fürsorglich und ihr von Anfang an völlig ergeben. Er hatte mit eiserner Unnachgiebigkeit reagiert, als seine Eltern sich energisch und lautstark ihren Heiratsplänen widersetzten.

Bruce und Alfreda Jardine hatten sie von Anfang an abgelehnt, weil sie, wie sie sagten, viel zu jung war, und noch dazu Amerikanerin, ganz zu schweigen davon, dass sie ein Mädchen ohne familiären Hintergrund oder Vermögen war, obwohl ihnen die Wörter Herkunft oder Geld niemals über die Lippen gekommen wären.

Ohne dass es ausgesprochen werden musste, hatte Stevie es im Innersten ihres Herzens immer gewusst, ja verstanden, dass die Jardines ihrem Alter und ihrer Herkunft geringe oder gar keine Bedeutung beigemessen hätten, wäre sie eine reiche Erbin mit einem Vermögen als Mitgift gewesen.

Sie hatte Ralphs Eltern, gnadenlose Snobs, durchschaut. Die großartigen Hoffnungen, die sie für ihren Sohn hegten, beinhalteten natürlich eine glänzende Partie. Aber Ralph wollte davon nichts wissen. Immer schon sehr eigenwillig, hatte er sich von seinem Entschluss, sie zu seiner Frau zu machen, nicht abbringen lassen. Sein offener Widerstand hatte die ausgeklügelten, vom Ehrgeiz diktierten Pläne seiner Eltern mit einem Schlag zunichtegemacht.

Wie aus weiter Ferne vernahm sie wie ein schwaches Echo aus der Vergangenheit Bruce Jardines Stimme in aristokratischem, englischem Tonfall, jedoch zu zorniger Lautstärke gesteigert, als er die schrecklichsten Worte äußerte, die sie je zu hören bekommen hatte, Worte, die sie nie vergessen sollte.

»Um Himmels willen, Mann, du bist jetzt siebenundzwanzig! Inzwischen müsstest du genug vom Sex verstehen, um eine solche Affäre anständig über die Bühne zu bringen! Konntest du dich mit ihr nicht amüsieren, ohne sie gleich zu schwängern?! Sieh zu, dass sie es loswird. Wende dich an diesen Harry Axworth – zugegebenermaßen ein Taugenichts und kein Mensch, den ich dir zum Freund wünsche, aber aufgrund seines lockeren Lebens der geeignete Mann. Wenn einer dir einschlägige Tipps geben kann, dann er. Sicher kennt er einen Arzt in Geldnöten, der die Sache für fünfzig Pfund erledigt.«

Sie hatte in der prunkvollen Eingangshalle auf Ralph gewartet, auf der Stuhlkante kauernd, ein nervöses Wrack mit zitternden Händen, dem das Herz bis zum Hals schlug, während sie Bruce Jardines Stimme durch die geschlossene Mahagonitür gehört hatte.

Ralph hatte die Worte seines Vaters keiner Antwort gewürdigt. Er war aus der Bibliothek gestürmt und direkt in ihre Arme gelaufen. Nachdem er sie einen Moment an sich gedrückt hatte, ganz fest und beruhigend, hatte er mit ihr das Haus der Jardines am Wilton Crescent verlassen und war hinaus auf die Straße getreten. Bleich vor Zorn hatte er sich jeden Kommentars enthalten, bis sie in seiner Junggesellenwohnung in Mayfair angekommen waren. Dort erst hatte er sie seiner Liebe versichert und geschworen, dass er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen wollte.

Zwei Wochen später waren sie auf dem Standesamt in Marylebone getraut worden. Sie war damals sechzehn gewesen, elf Jahre jünger als Ralph, und im vierten Monat schwanger.

Als Ausdruck ihrer Missbilligung und ihres Zorns waren Ralphs streitbare Eltern der Hochzeit ihres einzigen Sohnes ferngeblieben. Ralphs Schwester Alicia ebenfalls.

Aber Stevies Mutter war zugegen gewesen, ihre schöne Mutter, Blair Connors, eines der berühmtesten Models der Welt, ein Supermodel, noch ehe dieser Begriff erfunden worden war.

Ihre Mutter war in Begleitung ihres neuen Ehemannes Derek Rayner erschienen, des großen englischen Bühnenhelden, der allgemein als Larry Oliviers Kronprinz gehandelt wurde.

Nach der Trauung hatte Derek sie alle zum Lunch ausgeführt ins The Ivy, ein renommiertes Theaterrestaurant, zu dessen Gästen die Elite von Bühne, Film und Café-Society zählten. Anschließend war das junge Paar nach Paris in die Flitterwochen gefahren.

Von Ralphs Eltern gemieden, hatten Stevie und Ralph nur füreinander gelebt und die Welt um sich herum vergessen.

Sie seufzte wehmütig. Seit Langem schon war ihr bewusst, dass die Wochenenden und Feiertage, die sie in der Heide- und Moorlandschaft Yorkshires verbracht hatten, ihre glücklichste Zeit gewesen waren, vielleicht die glücklichste ihres Lebens. Dass diese Zeiten unwiederbringlich vorbei waren und diese besondere Art von Glück für sie auf immer verloren war, betrübte sie zutiefst.

Wie jung ich damals war, dachte sie, und bereits Mutter dreier Kinder: Nigel, geboren, als sie knapp siebzehn war, und die Zwillinge Gideon und Miles, die sie mit neunzehn bekam.

Ein Lächeln belebte ihr Gesicht, als sich ihr die Bilder ihrer Kinder unwillkürlich ins Bewusstsein drängten. Drei strohblonde Jungen mit blitzblauen Augen. Mittlerweile erwachsene Männer. Und sie selbst war noch jung, erst sechsundvierzig, dank Nigel jedoch seit zwei Jahren Großmutter.

Stevie schmunzelte. Wie oft wurde sie für die Schwester ihrer Söhne gehalten, sehr zu Nigels Missfallen, dem es unangenehm war, während die Zwillinge diesem harmlosen Schwindel bei jeder sich bietenden Gelegenheit Vorschub leisteten. Unverbesserlich, wie sie waren, taten sie nichts lieber, als Stevie Nichtsahnenden als ihre Schwester zu präsentieren. Meist hatten sie mit diesem boshaften kleinen Spiel Erfolg.

Gideon und Miles waren stolz auf Stevies Jugendlichkeit, auf ihre schlanke Figur, auf ihre Energie und Vitalität. Anders als Nigel, der das genaue Gegenteil empfand. Oft hatte sie das Gefühl, als reizte ihn alles an ihr. Eine kleine Falte furchte ihre glatte Stirn, als sich Nigel in ihre Gedanken drängte. Rasch unterdrückte sie die Enttäuschung, die in ihr hochkommen wollte.

Sie liebte ihren Ältesten, wusste aber seit Langem, dass er in vielem seinem Großvater nachgeraten war. Und ihre Sympathie für Bruce Jardine hatte sich immer schon in Grenzen gehalten, obwohl er sich im Laufe der Jahre ihr gegenüber sehr anständig verhalten hatte. Besonders nach Alfredas Tod. Zu Lebzeiten ihrer Schwiegermutter aber hatte der schreckliche Kriegszustand angedauert, zumindest von Seiten Alfredas.

Ein leiser Seufzer entschlüpfte ihr, sie drehte den Kopf und blickte ins Feuer. Ihre Gedanken wanderten in die Vergangenheit, als sie sich an Alfreda und Bruce erinnerte, wie sie damals gewesen waren ...

Vier Jahre, nachdem sie Ralph geheiratet hatte, war seine Schwester Alicia an Leukämie gestorben. Die Jardines waren nun gezwungen, ihre Situation zu überdenken und auf einen Kompromiss hinzuarbeiten, um mit ihnen zu einer Verständigung zu gelangen. Ralph und sie selbst waren die Eltern ihrer einzigen Enkelkinder, ihrer Erben, dreier Jungen, die eines Tages in die Fußstapfen ihres Großvaters und Vaters treten und die Leitung der Firma Jardine und Company, Hofjuweliere, übernehmen würden.

Schließlich waren sie und Ralph, wiewohl zögernd und unter großen Vorbehalten, auf die Versöhnungsangebote seiner Eltern eingegangen. Kaum aber hatten sie Frieden geschlossen, als sich auch schon ein Abwehrkampf gegen ständige großelterliche Einmischung entspann, da die alten Herrschaften nichts unversucht ließen, um die Erziehung der Jungen an sich zu reißen – allerdings erfolglos.

Eine Atempause war ihnen nur dann vergönnt, wenn sie mit den Kindern Zuflucht in Yorkshire suchten und sich auf Aysgarth End, ein Farmhaus im Hochmoor über den Dales, zurückzogen, wann immer sich Gelegenheit bot. Groß, weitläufig und ständig reparaturbedürftig, war das Anwesen dennoch zu ihrem gesegneten Refugium geworden, zu einem Stück Himmel auf Erden, zu jenem Ort, den sie wahrhaft ihr Zuhause nennen konnten.

Sie liebten auch ihre große, komfortable Wohnung in Kensington, die sich hervorragend für eine junge Familie eignete. Aus irgendeinem Grund aber bedeutete ihnen Aysgarth End sehr viel mehr. Stevie war nie richtig dahintergekommen, was es eigentlich war, das die Farm für sie so einzigartig machte, sie wusste nur, dass sie von Liebe und Lachen erfüllt war. Und von einer besonderen Art der Freude.

Wie all die vergangenen Jahre glaubte sie auch jetzt noch, dass diese Freude Ralphs angeborener Güte und seiner Persönlichkeit zu verdanken war. Er war ein wahrhaft lauterer Mensch, von Güte und Mitgefühl erfüllt und mit einem verständnisvollen Herzen gesegnet.

Diese ungetrübte Freude aneinander und an ihren Kindern war auf Aysgarth End gediehen, bis zum Tag von Ralphs Tod. Er war mit nur vierunddreißig Jahren viel zu jung gestorben.

Und sie war mit dreiundzwanzig Witwe geworden. Dies war der Anfang ihrer schwierigen Zeit.

Und Ursache ihrer Schwierigkeiten waren natürlich ihre Schwiegereltern. In dem Bestreben, Stevie ein für alle Mal auszumanövrieren, hatten sie versucht, ihr die Kinder ohne Rücksicht auf ihren großen Kummer und das überwältigende Gefühl des Verlustes abspenstig zu machen. Ohne eine einzige Handhabe, da sie eine perfekte, geradezu beispielhafte Mutter war, makellos, unberührt von Skandalen oder Fehlverhalten.

James Allerton, Ralphs bester Freund und zugleich sein Anwalt, wurde nach dessen Tod Stevies Rechtsbeistand. Er war es auch, an den sie sich wandte, als ihre Schwiegereltern die ersten Schritte gegen sie unternommen hatten.

Bei einer Zusammenkunft mit den Jardines hatte James sie beinahe, aber wirklich nur beinahe, ausgelacht und ihnen ins Gesicht gesagt, sie sollten zur Hölle fahren – höflicher formuliert, versteht sich. Stevie hätte nicht nur das Gesetz auf ihrer Seite, es gäbe außerdem auch noch Ralphs Testament. Darin hatte er seinen Gefühlen für seine Frau überschwänglich Ausdruck verliehen, seiner Liebe und Bewunderung für sie, und nicht zuletzt seinem Vertrauen in ihre Fähigkeit, die Erziehung ihrer gemeinsamen Söhne zu übernehmen. Da er ihr seinen gesamten Besitz vermacht und sie damit finanziell abgesichert hatte, war sie von seinen Eltern völlig unabhängig.

Das von seinen Großeltern geerbte Treuhandvermögen hatte Ralph seinen drei Söhnen hinterlassen und seine Frau als Verwalterin und Testamentsvollstreckerin eingesetzt.

Wie James den Jardines gegenüber unmissverständlich hervorhob, hielt Stevie alle Trumpfkarten in der Hand und hatte gute Aussicht, die Partie zu gewinnen. Die alten Herrschaften mussten sich geschlagen geben. Nun waren sie es, die ausmanövriert worden waren.

Ihre Abneigung gegen die Jardines und ihr Zorn waren ihr 1973 zu Hilfe gekommen. Ganz besonders ihr Zorn. Doch Stevie hatte diesem Gefühl eine für sie vorteilhafte Wendung verliehen. Dieser Zorn war auch Grundlage ihrer Entschlossenheit, ihre Söhne immer in ihrer Nähe zu behalten.

Obwohl es ihr damals nicht bewusst gewesen war, hatte ihr Zorn auch ihren Ehrgeiz beflügelt und sie schließlich angespornt, Dinge zu tun, die sie nie für möglich gehalten hätte. In ihr reifte ein Plan heran, der sie Bruce Jardine unentbehrlich machen und ihr die Kontrolle über die Kinder sichern würde, bis diese alt genug sein würden, um ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. In jenem problembeladenen und kummervollen Jahr sollte ihr Plan noch nicht zu Reife gelangen, das Saatkorn aber war ausgebracht.

Als geborene Pragmatikerin vergaß Stevie niemals, dass ihre Söhne eines Tages das Familienunternehmen erben würden und dafür erzogen und vorbereitet werden mussten. Das Familienunternehmen, 1787 von Alistair Jardine, einem schottischen Silberschmied, in London gegründet, hatte seither immer unter der Leitung eines Jardine gestanden.

Als sie sich 1974 von ihrem schweren Verlust zu erholen begann und ihr Gleichgewicht einigermaßen wiedererlangt hatte, war sie mit Ralphs Eltern in Kontakt getreten. Ihr Ziel, eine Wiederaufnahme der Beziehungen, hatte sie mit Hilfe James Allertons zwar erreicht, doch das Verhältnis zu den Jardines hatte bestenfalls einem brüchigen Waffenstillstand geglichen. Fest entschlossen, Stevie gegen sich aufzubringen oder ihr Ärger zu bereiten, ließ ihre Schwiegermutter keine Gelegenheit aus, ihr das Leben schwerzumachen.

Trotz allem war es Stevie klar, dass ihre Söhne zu ihren Großeltern ein gutes Einvernehmen entwickeln mussten, besonders zu ihrem Großvater, der den Schlüssel zu ihrer Zukunft in Händen hielt. Bruce würde es sein, der ihre Ausbildung übernehmen und ihnen im Labyrinth des Familienunternehmens den Weg weisen würde, damit sie es übernehmen konnten, wenn er sich zurückzog.

Seit den Tagen Königin Victorias führte die Firma Jardine den Titel Hofjuwelier. Es war unumgänglich, dass ihre Söhne einen Begriff von ihrem Erbe bekamen, von dem angesehenen Unternehmen, dessen Eigentümer sie einst sein würden, von der Juweliersdynastie, in die sie hineingeboren worden waren.

Das Schrillen des Telefons ließ Stevie zusammenzucken, und als sie abhob, wurde sie jäh in die Gegenwart zurückversetzt. »Hallo?«

»Ich möchte Mrs. Jardine sprechen, bitte.«

»Bin am Apparat.«

»Hallo, Stevie, hier Matt Wilson.«

Überrascht rief sie aus: »Hallo, Matt! Woher rufst du an? Sie sah auf die Uhr. Halb sechs. »Doch nicht aus Paris? Dort ist es jetzt spätabends.«

Lachend sagte er: »Nein, ich bin in Los Angeles. Mit Monsieur. Wir sind gestern eingetroffen, um uns mit einem Kunden zu treffen. Er möchte mit dir sprechen. Ich gebe ihn dir.«

»Danke, Matt.«

Gleich darauf war André Birron am anderen Ende der Leitung. »Stephanie, meine Stephanie, comment vas-tu?«

»Mir geht es wunderbar, André«, sagte Stevie, der die Freude, seine Stimme zu hören, ein Lächeln entlockte. André Birron galt mit seinen fünfundsiebzig Jahren als einer der größten Juwelenkenner der Welt, wenn nicht gar als der größte. Als Grandseigneur der Branche bekannt, war er seit Langem ihr guter Freund. Wann immer sie ihn gebraucht hatte, war er für sie dagewesen.

»Es ist schon ein Vergnügen, deine Stimme zu hören, Stephanie«, fuhr er fort. »Ein noch größeres aber wird das Wiedersehen mit dir sein. In etwa zehn Tagen komme ich nach New York, zur Auktion bei Sotheby’s. Sicher wirst du auch da sein.«

»Das werde ich. Und ich hoffe sehr, dass deine Zeit für ein gemeinsames Dinner reichen wird, André, oder für einen Lunch.«

»Was immer du willst, oder beides, ma chérie.« Eine kleine Pause trat ein, ehe der Franzose fragte: »Du wirst um die White Empress mitbieten, nehme ich an?«

»Ja.«

»Dachte ich mir’s doch. Du hast dir den Stein immer schon gewünscht.« Er lachte leise. »Stephanie, du hast von ihm geträumt.«

»Ich habe danach gegiert«, gab sie zurück, in sein Lachen einstimmend. »Wie gut du mich doch kennst, André. Aber wer würde den Stein nicht besitzen wollen? In meinen Augen ist die White Empress einer der schönsten Diamanten der Welt.«

»Da hast du recht. Aber ich werde nicht mitbieten. Eigentlich aus Rücksicht auf dich. Wenn ich mitböte, würde ich nur den Preis gewaltig in die Höhe treiben, und das werden ohnehin genügend andere tun. Aber ich bringe diesem Diamanten nicht dieselbe Liebe entgegen wie du, obwohl ich seine Schönheit aufrichtig bewundere. Ja, es ist ein Diamant, den du, und nur du, besitzen solltest.«

»Danke für die Mitteilung, dass du nicht mitbieten wirst. Ich nehme an, dass die Angebote gewaltig in die Höhe schnellen werden. Meinst du nicht auch?«

»Ja. Da der Stein seit den Fünfzigern nicht mehr auf dem Markt war, ist das Interesse sehr groß. Das ist auch der Grund meines Anrufes, Stephanie, ma petite. Wir sollten einander nicht überbieten, uns keine Konkurrenz machen. Wenn du aber gestattest, wird es mir eine große Ehre sein, dich zur Auktion zu begleiten.«

»Sehr gern, André, danke.«

»Und wenn wir nach der Auktion zusammen speisen, wird es ein großes Fest sein.«

Sie lachte leise und weich. »Mein lieber alter Freund, gefeiert wird nur, wenn ich die White Empress ersteigere.«

»Stephanie, daran kann für mich nicht der geringste Zweifel bestehen.«

2

Nachdem sie sich von André Birron verabschiedet und den Hörer aufgelegt hatte, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen und entnahm ihrem Aktenkoffer den Katalog von Sotheby’s, obwohl sie über ihren Lieblingsdiamanten schon alles wusste, was es nur zu wissen gab.

Sie schlug den Katalog auf, fand rasch die Seite, auf der die White Empress abgebildet war, und betrachtete das Foto des Juwels. Das Bild war zwar hervorragend, wurde aber dem prachtvollen Stein nicht gerecht.

White Empress. Versonnen sagte Stevie den Namen vor sich hin. Dank seines lupenreinen D-Grades verdiente der Stein es, so genannt zu werden. Seine Vollkommenheit beruhte auf seiner Farbe – einem strahlenden, makellosen Weiß –, was den ersten Teil des Namens erklärte. Da ihm seine ungewöhnliche Seltenheit und Schönheit einen Platz in der Kategorie der großen Steine sicherte, hatte man den Begriff Empress, Kaiserin, gewählt, um den Namen zu vervollständigen.

Automatisch glitt Stevies Blick zur linken Katalogseite und überflog den Text. Einmal mehr wurde ihr in Erinnerung gerufen, dass die White Empress als Diamant von 427 Karat und ausgesucht schöner Farbe 1954 in Südafrika in den Premier-Minen gefunden worden war.

Dieser Rohdiamant war dann 1956 als Teil eines acht Millionen vierhunderttausend Dollar umfassenden Pakets in den Besitz des renommierten, amerikanischen Juweliers Harry Winston gelangt.

Der größte Stein, den Winston aus diesem Stück schneiden ließ, war ein 128,25 Karat schwerer, birnenförmiger Diamant von D-Reinheit, und dieser Stein war es, der den Namen White Empress erhalten hatte. Harry Winston hatte den Stein als Anhänger eines herrlichen, eigens entworfenen Diamantcolliers gefasst und ihn noch im gleichen Jahre an einen europäischen Industriemagnaten verkauft.

Und nun war der Stein wieder auf dem Markt, nachdem er sich vierzig Jahre in den Händen einer Familie befunden hatte. Sotheby’s würde ihn Anfang Dezember in den Auktionsräumen an der York Avenue in New York versteigern.

Stevies Blick ruhte noch einen Moment auf dem Foto, ehe sie den Katalog zuklappte und ihn wieder in ihrem Aktenkoffer verstaute. Ihre Gedanken wanderten zu André. Obwohl er für den Stein nicht mitbieten würde, würden viele andere es sehr wohl tun, und der Preis würde automatisch in die Höhe schnellen wie immer, wenn es bei großen Auktionen um attraktive Stücke ging.

Der Preis könnte astronomische Höhen erreichen, dachte sie, als sie sich stirnrunzelnd zurücklehnte. Nein, er würde astronomische Höhen erreichen, das stand für sie zweifelsfrei fest. Nun, sie war entschlossen, unbedingt mitzubieten, da sie den Stein um jeden Preis haben wollte.

Siebenstellige Zahlen schwirrten ihr im Kopf herum. Sechs Millionen Dollar, sieben Millionen ... nein, zu wenig. Acht Millionen, spekulierte sie, die Augen konzentriert zusammenkneifend. Noch immer zu wenig, entschied sie. Und plötzlich war sie sicher, dass der Stein in der achtstelligen Kategorie landen würde. Zehn Millionen, sagte sie lautlos vor sich hin. War es denn möglich, dass er einen so hohen Preis erreichen würde?

In diesem Moment wusste Stevie, dass sie nötigenfalls auch einen astronomischen Preis bezahlen würde. Sie verzehrte sich nach dem Stein, nicht für sich selbst, sondern für die Firma Jardine’s, New York, die sie gegründet hatte.

War der Stein in ihren Besitz gelangt, würde sie ihn ein oder zwei Jahre behalten, ihn bei Ausstellungen präsentieren und ihn zum Mittelpunkt der ständigen Kollektion der Firma machen. Keinesfalls wollte sie ihn in mehrere Teile spalten, ihn zerschneiden oder ihn sofort wieder weiterverkaufen. Sie wusste, dass die White Empress eine sehr große Investition darstellte, und das in vielfacher Hinsicht, vor allem aber bedeutete der Stein hervorragende Publicity für Jardine’s.

Und es stand fest, dass sein Wert niemals sinken, sondern immer nur steigen würde. Außerdem wusste sie, dass es ein Leichtes sein würde, einen Käufer zu finden, falls sie einen suchte. Es gab auf der Welt viele reiche Männer und Frauen mit ausgeprägter Vorliebe für große Steine, und einige zählten bereits zu ihren Kunden, sodass es immer Käufer für diesen spektakulärsten aller Diamanten geben würde, der in der Branche bereits als historischer Stein galt.

Der Besitz der White Empress würde für Jardine’s sozusagen die Krönung darstellen. Eine Vorstellung, die ihr sehr gut gefiel. Sie hatte die amerikanische Filiale vor acht Jahren gegründet, zwar mit Bruce Jardines Zustimmung, die aber sehr widerstrebend erteilt worden war. Heute noch nahm er die Filiale kaum zur Kenntnis.

Da das Geschäft an der Fifth Avenue praktisch vom allerersten Tag an ein überwältigender Erfolg gewesen war, hielt Stevie Investitionen für berechtigt, da die großen und mit jedem Jahr wachsenden Gewinne ihre beste Rechtfertigung waren.

Als sie ihrem Schwiegervater eröffnet hatte, sie beabsichtige, einen Ableger der Firma Jardine, Hofjuwelier in London, an die New Yorker Fifth Avenue zu verpflanzen, hatte er gestutzt und sie nur verblüfft angestarrt. Ihr Plan war ihm alles andere als geheuer gewesen, und er hatte ihr von Anfang an nur Misserfolg prophezeit. Seine Zustimmung hatte sie viel Charme und Überredungskunst gekostet.

Stevie hatte sofort erfasst, dass er ihren Plan, nach New York zu gehen, vor allem deshalb ablehnte, weil er sie an seiner Seite im Londoner Geschäft haben wollte. Später hatte er zugegeben, dass es sich tatsächlich so verhielt. Sie war ihm unentbehrlich geworden, da er sich mit zunehmendem Alter immer mehr auf ihre Mitarbeit verließ.

Nachdem er sich beruhigt hatte und nicht mehr gegen sie wetterte, hatte Stevie hervorgehoben, dass sein Enkel fast einundzwanzig und sehr wohl imstande war, ihren Platz an seiner Seite einzunehmen. Tatsächlich konnte es der junge Mann kaum erwarten, in ihre Fußstapfen zu treten. »Unter deiner Aufsicht wird Nigel sich fabelhaft bewähren«, hatte sie ihrem Schwiegervater versichert. Bruce wusste so gut wie sie, dass es stimmte, doch wollte er es nicht zugeben, und erneut hatte er ihren Plan, eine Filiale in New York zu eröffnen, blockiert. Stevie hatte sich Zeit gelassen und ihn sanft, aber hartnäckig bearbeitet und keine Gelegenheit ausgelassen, ihm gegenüber hervorzuheben, wie profitabel das neue Geschäft sein würde.

»Aber ich werde dich sehr vermissen, Stephanie«, hatte Bruce gemurmelt, eines Nachmittags, Wochen, nachdem sie ihm ihren Plan präsentiert hatte. Diese wenigen, halb laut geäußerten Worte hatten ihr verraten, dass er ihr, wenn auch sehr zögernd und widerstrebend, seine Unterstützung gewähren würde. Und so war es denn auch gewesen, wenngleich er ihr immer wieder in Erinnerung rief, dass es wider sein besseres Wissen geschehen war.

Das war 1987. Ein Jahr darauf, 1988, hatte das Geschäft an der Fifth Avenue seine Pforten geöffnet. Und zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren lebte sie wieder in ihrer Heimatstadt. Nachdem ihre Mutter Derek Rayner geheiratet hatte, war sie mit vierzehn Jahren nach London gezogen, sodass New York trotz häufiger Besuche eine fremde Stadt für sie geworden war. Nach nur wenigen Wochen jedoch war Stevie Manhattan wieder so vertraut, dass sie sich hier ganz zu Hause fühlte.

Stevie stand auf und ging an den Kamin, um ein Scheit ins Feuer zu werfen. Dann setzte sie sich in einen Sessel, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie hatte das Gefühl, dass heute die Vergangenheit von ihr Besitz ergriff, vielleicht, weil es der siebenundzwanzigste November war, ein Tag, der in ihrer Erinnerung besondere Bedeutung einnahm. Es war ihr Hochzeitstag. Wäre Ralph Jardine noch am Leben gewesen, hätten sie ihr dreißigstes Hochzeitsjubiläum gefeiert. Sie hatte nicht wieder geheiratet, ein Umstand, den einige ihrer Freunde höchst merkwürdig fanden, sie selbst freilich gar nicht, da die Erklärung ganz simpel war: Sie war niemandem begegnet, an dem ihr so viel gelegen gewesen wäre, dass sie eine Ehe in Betracht gezogen hätte. Nein, das stimmt nicht ganz, korrigierte sie sich. Nach Ralphs Tod hatte sie einen anderen Mann geliebt, ganz kurz nur, vor langer Zeit. Eine Ehe hatte nie zur Debatte gestanden, zumindest nicht für ihn, für sie jedoch sehr wohl. Sie wusste, dass sie ihn auf der Stelle geheiratet hätte, wenn er sie gefragt hätte. Doch er hatte es nie getan. Es hat nicht sein sollen, sagte sie sich jetzt, wie sie es sich jahrelang immer wieder gesagt hatte. Manche Dinge sollten eben nicht sein, und man konnte schließlich nicht alles im Leben haben.

Aber wenn man jung ist, glaubt man, dass man es könnte, dachte sie plötzlich. In der Jugend ist man sich seiner Unbesiegbarkeit und Unsterblichkeit gewiss. Man ist von sich selbst eingenommen, vom eigenen Ich, von der eigenen Kraft und Stärke erfüllt. Man ist sich all dessen so sicher, sicher auch, dass man das Leben nach seinem Willen formen und in die gewünschte Richtung lenken kann. Aber man schafft es nicht, weil es unmöglich ist. Das Leben bekommt einen auf die eine oder andere Weise in den Griff. Es verformt einen, zwingt einen nieder, beschert einem viel Leid. Es wirkt als großer Gleichmacher, als ultimative, nivellierende Kraft.

Und trotz allem ist mein Leben nicht so übel verlaufen, rief sie sich in Erinnerung, wie immer mit Blick auf die positiven Seiten. Ihre Kinder hatten sich relativ gut entwickelt. Zumindest war keines drogenabhängig oder alkoholsüchtig. Und sie hatte sich aus dem Nichts einen Beruf geschaffen. Schließlich hatte sie kein künstlerisches Talent mitbekommen, das ihr als Sprungbrett zum Erfolg hätte dienen können, besaß aber eine ausgesprochen praktische Begabung, ein ruhiges, ausgeglichenes Wesen und – wie sich zeigen sollte – einen Kopf für Zahlen und fürs Geschäft.

Als sie dies einmal André gegenüber äußerte, hatte der Franzose erstaunt ausgerufen: »Aber du bist eine Expertin für Diamanten, chérie. Ralph hat dir alles beigebracht, was man von Edelsteinen wissen muss.« Undeutlich glaubte sie Andrés Stimme aus ferner Vergangenheit zu hören. »Stephanie, deine Idee ist sehr gut. Geh damit zu Bruce. Du wirst schon sehen, dass er dich anhören wird. Du hast sehr wichtige Argumente in der Hand. Sehr triftige Gründe. Dein Plan ist sozusagen eine zwingende Notwendigkeit.«

Ihre Gedanken taten einen Sprung zurück in die Vergangenheit, ins Jahr 1976, und sie sah vor ihrem geistigen Auge Bruce Jardine, wie er damals gewesen war. Groß, dunkel, gut aussehend, wenn auch auf verschlossene Art. Aber so eigensinnig und stur wie immer. Ein unbeugsamer Mensch.

Wie gut sich ihr seine verächtliche Miene eingeprägt hatte, sein freudloses Auflachen, als sie ihm eröffnete, dass sie arbeiten wollte, noch dazu im Familienunternehmen. Noch ehe er ihr antworten konnte, hatte sie leise hinzugesetzt, dass sie von ihm lernen wollte, wie das Unternehmen zu führen sei.

Er hatte sie sprachlos und ungläubig angestarrt, damals, vor so vielen Jahren, und dann hatte er sie gefragt, ob sie den Verstand verloren hätte.

Vor zwanzig Jahren. Und doch kam es ihr zuweilen vor, als sei es erst gestern passiert. In jenem Sommer war sie eine junge Witwe von sechsundzwanzig Jahren. Es war genau drei Jahre nach Ralphs missglückter Blinddarmoperation. Trauer und Zorn über diese schreckliche Tragödie hatten sich mit der Zeit verflüchtigt, und doch rief der Gedanke an den tragischen Tod ihres Mannes in ihr einen Anflug zorniger Enttäuschung immer dann hervor, wenn sie es am wenigsten erwartete.

Es hatte sich gezeigt, dass Ralph nicht an einer Blinddarmentzündung gelitten hatte, sondern an einem durchbrochenen Magengeschwür. Der Chirurg hatte es auf dem OP-Tisch nicht erkannt. Er hatte den Blinddarm entfernt, aber keinen zweiten Schnitt vorgenommen, um den Durchbruch zu erreichen und zu beheben. Die Bauchfellentzündung hatte zu einer Sepsis geführt, die Ralph schließlich das Leben kostete. Alle wussten, dass er nicht hätte sterben müssen.

Nach Ralphs unerwartetem Tod war Bruce nun der einzige Jardine im Familienunternehmen. Sein älterer Bruder Malcolm war einige Jahre zuvor aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand getreten, und Bruce musste plötzlich die ganze Bürde allein tragen.

Ohne Vorwarnung hatte er im Februar 1976 einen Herzanfall erlitten. Er erholte sich zwar wieder, geriet jedoch in Panik, als er in seiner Arbeitskraft beeinträchtigt blieb. Stevie hatte die Situation sofort durchschaut und den Grund für seine Nervosität richtig gedeutet. Trotz ihrer Jugend hatte sie auch damals schon große Menschenkenntnis besessen und gewusst, was einen Menschen antrieb, was ihn dazu brachte, das zu tun, was er tat. Blitzartig und klarsichtig hatte sie erkannt, was zu tun war und wo die Lösung von Bruce’ Problem lag.

Sie war die Lösung.

Und so hatte sie, Andrés Rat folgend, ihren Schwiegervater an einem warmen Julinachmittag in seinem Büro in der Bond Street aufgesucht – unangekündigt. Ihr Besuch – es war ihr erster – hatte ihn erschreckt und aus der Fassung gebracht, doch als Gentleman der alten Schule hatte er sie höflich in sein Allerheiligstes gebeten.

»Bring mir alles bei, was fürs Geschäft nötig ist, bilde mich aus«, hatte sie ihn ernsthaft gebeten. »Ich bin die einzige Jardine, die im Moment verfügbar ist. Nigel und die Zwillinge sind noch klein. Was soll aus der Firma werden, wenn du noch einen Herzanfall haben solltest? Oder krank wirst? Oder wenn du stirbst?«

Erschrocken wegen ihrer Unverblümtheit hatte er ein beleidigtes Gesicht gemacht und sie nur sprachlos angestarrt.

Sie war in ihren Erklärungen rasch fortgefahren. »Sieh mal, niemand denkt gern an seine eigene Sterblichkeit oder überhaupt an den Tod. Das weiß ich. Aber du musst daran denken. Ralph hat dich immer als den klügsten Menschen gerühmt, den er kannte. Deine Intelligenz und dein klarer Verstand nötigten ihm so große Hochachtung ab, dass er dich für so etwas wie ein Genie hielt. Also überlege auch jetzt klar. Lass dir alles emotionslos durch den Kopf gehen. Du brauchst jemanden, dem du vertrauen kannst, einen Menschen, der das Unternehmen führen könnte, wenn du dazu nicht mehr imstande bist. Und es müsste jemand sein, dem die Interessen deiner Enkel am Herzen liegen. Ich als ihre Mutter bin dazu eindeutig die Geeignetste. Du brauchst mich. Du musst der Tatsache ins Auge sehen, dass ich die einzige Jardine bin, die momentan zur Verfügung steht.«

Bruce Jardine hatte die Berechtigung ihres Anliegens eingesehen. Sie war tatsächlich die einzige erwachsene Jardine, an die er sich wenden konnte, und stellte daher die einzige Lösung seines Dilemmas dar. Auch hatten ihre Aufrichtigkeit, ihr Eifer und ihre Begeisterung ihn überzeugt, dass sie wirklich für ihn arbeiten und das Geschäft lernen wollte. In der Hoffnung, sie würde ihn nicht enttäuschen, hatte er sie daher als Juniorassistentin anfangen lassen.

»Du musst dieses Geschäft lieben, wenn du Erfolg haben willst«, hatte er ihr während ihrer ersten Jahre immer wieder eingeprägt, und Stevie hatte rasch entdeckt, dass sie es in allen seinen Spielarten liebte.

Sie liebte Diamanten und alle anderen Edelsteine, und sie liebte auch die kreative Seite der Schmuckbranche, doch waren es vor allem die komplizierten, finanziellen und firmenpolitischen Fragen, die sie eigentlich faszinierten. Schon im ersten Halbjahr ihrer Arbeit für Jardine’s hatte sie so viel Talent für Zahlen und Geschäftssinn bewiesen, dass Bruce sehr angenehm überrascht gewesen war.

Nichts war natürlicher, als dass sie ihrem Schwiegervater unentbehrlich wurde. Bruce Jardine, einst ihr erklärter Feind, konnte nicht umhin, mit ihr Frieden zu schließen und anzuerkennen, dass sie großartige Eigenschaften besaß, nämlich Talent, echtes Können und großen Fleiß. Mit der Zeit lernte er, sie zu respektieren, und er wurde immer abhängiger von ihr.

Und eines schönes Tages, nach fünf Jahren in der Firma, waren seine Feindseligkeit und Angriffslust, die für sie schon zur Gewohnheit geworden waren, einfach verpufft. Alfredas Haltung freilich sollte sich nie ändern. Andererseits wusste ihre Schwiegermutter sehr wohl, dass ihr Mann nichts Unüberlegtes tat und dass es gerechtfertigt war, wenn er Stevie, der Mutter ihrer Enkel und Erben, Vertrauen schenkte. Sie hatte also ihre Zunge gehütet und war Stevie im Übrigen geflissentlich aus dem Weg gegangen. Alfreda war 1982 gestorben, vor fast fünfzehn Jahren. Ihre Abneigung gegen Stevie, die sie bis zum Tod beibehalten hatte, war so weit gegangen, dass sie ihr nie Zuneigung gezeigt oder sich auch nur zur kleinsten, freundlichen Geste herabgelassen hätte.

Stevie, die aufstand und wieder zu ihrem Schreibtisch ging, griff nach ihrem Hochzeitsfoto und betrachtete es aufmerksam. Wie jung sie und Ralph ausgesehen hatten. Aber sie waren ja auch jung gewesen, sie selbst zumindest. Ich war ja nur ein kleines Mädchen, erst sechzehn, dachte sie. Ein Kind, jünger, als Chloe jetzt ist.

Ach, Ralph, wer hätte das gedacht? Wer hätte gedacht, dass dein Vater mich ins Geschäft nehmen würde? Oder dass ich es eines Tages zur Chefin von Jardine’s beidseits des Atlantiks bringen würde? Ihr drängte sich der Gedanke auf, dass das Leben, der große Gleichmacher, auch sehr unvorhersehbar war. Das alles hätte ich nicht ohne Freunde, gute Freunde, erreichen können, ganz besonders nicht ohne André Birron. Sie wusste, dass André ihr mindestens so viel wie Bruce vom Juwelengeschäft beigebracht hatte. Er war in mancherlei Hinsicht ihr Mentor gewesen, dazu ein echter Freund, fast wie ein Vater.

Von André hatte sie immer die besten und vernünftigsten Ratschläge bekommen. Mit siebenundzwanzig hatte sie sich nach vier Jahren Witwenschaft wieder verliebt, und ein Jahr darauf hatte sie entdeckt, dass sie schwanger war.

Damals hatte sie sich an André gewandt. Sie war nach Paris geflogen und hatte sich ihm anvertraut, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad, da sie von Natur aus sehr vorsichtig war. Sie hatte die Identität ihres Liebhabers, des Vaters ihres ungeborenen Kindes, nur vage angedeutet. Aber noch ehe sie ausgesprochen hatte, war André ihr mit einer abwehrenden Geste ins Wort gefallen.

»Sag mir nicht, wer er ist. Ich möchte es nicht wissen. Eines musst du dir immer vor Augen halten, Stephanie. Vertraust du jemandem ein Geheimnis an, ist es kein Geheimnis mehr«, hatte der welterfahrene Franzose sie gewarnt.

Und deshalb hatte sie geschwiegen, da dies ihrer natürlichen Veranlagung entsprach. Niemand hatte jemals erfahren, wer ihr Liebhaber gewesen war, oder hatte auch nur versucht, die Identität des Mannes zu erraten. Auch Chloe wusste nicht, wer ihr Vater war.

Chloe. Bei dem Gedanken an ihre achtzehnjährige Tochter veränderte Stevies Miene sich und wurde ganz weich. An Chloe besaß sie noch einen lupenreinen Diamanten von höchster Vollkommenheit.

Plötzlich lachte Stevie auf. Nun, das stimmte eigentlich nicht. Ihre Tochter war, gottlob, nicht ganz vollkommen. Aber wer wünschte sich schon ein Musterexemplar an Tugend? Diese Typen waren langweilig und meist zu gut, um wahr zu sein.

Chloe sollte am Spätnachmittag kommen, hoffentlich noch rechtzeitig zum Dinner, und dann würden sie sich einen gemütlichen Abend machen. Morgen wollten ihre Mutter und ihr Stiefvater aus Manhattan heraufkommen, um Thanksgiving mit ihnen zu feiern und den Rest des Feiertagswochenendes mit ihnen zu verbringen. Sie und Chloe freuten sich schon auf ihren Besuch.

Da Derek Rayner vor einigen Jahren geadelt worden war, waren er und ihre Mutter nun Sir Derek und Lady Rayner. Wie seit Langem vorauszusehen, war er nun der größte Darsteller klassischer Rollen auf englischen Bühnen, und mit achtundsechzig eine lebende Legende. Derek, der immer gut zu ihrer Mutter gewesen war, hatte auch ihr und ihren Kindern nur Güte entgegengebracht.

Derek und ihre Mutter waren kinderlos geblieben, sodass er die Rolle des Vaters und Großvaters nur bei ihr und ihren Kindern spielen konnte, doch war seine Liebe echt, und Chloe war sein besonderer Liebling.

Ihr Sohn Miles hatte die Absicht, mit den Rayners hinaus nach Connecticut zu fahren. Er war ihr Lieblingssohn, wie sie sich ehrlich eingestand, obwohl sie immer bemüht war, diese Tatsache vor den anderen zu verbergen, da ihr nichts widerwärtiger war, als eines ihrer Kinder zu bevorzugen.

Miles war ein talentierter Künstler und ein brillanter Bühnenbildner. Im Moment lebte er in New York und war mit dem Entwurf der Dekorationen für ein Broadway-Stück beschäftigt. Anders als sein Bruder Nigel und sein Zwillingsbruder Gideon hatte er nie die Neigung gezeigt, ins Familienunternehmen einzusteigen, obwohl er die Schmuckstücke und anderen Dinge, die bei Jardine’s entstanden, mit Künstlerblick immer sehr sachkundig begutachtete.

Trotz seines mangelnden Interesses an der Firma hatte sein Großvater darauf bestanden, ihn in die Geschäftsführung einzubeziehen, da auch er Anteile am Unternehmen besaß. Und er hatte seine Position sofort wahrgenommen. Das Unternehmen war Teil seines Erbes und hatte in seinem Leben immer eine wichtige Rolle gespielt. Dafür hatte seine Mutter gesorgt.

Aber es war Gideon, der sich als der geborene Juwelier der Familie entpuppt hatte. Stevie hatte es bereits erkannt, als er noch in den Kinderschuhen steckte. Er war ein talentierter, nein, ein hochbegabter Edelsteinexperte, der die Liebe seines Vaters zu Edelsteinen, besonders zu Diamanten, geerbt hatte. Wie Ralph war er ein meisterhafter Edelsteinschleifer und als einer der begabtesten Schmuckdesigner des Unternehmens maßgeblich am Entstehen der prachtvollen Schmuckstücke beteiligt, für die Jardine’s seit Generationen bekannt war.

Nigel, ganz Geschäftsmann und in vielem Bruce’ Ebenbild, war für die kaufmännischen Belange des Unternehmens zuständig, unterstand aber in der Firmenhierarchie seiner Mutter.

Aber Nigel wollte alles für sich.

Stevie spürte dies seit einiger Zeit sehr deutlich. Mitunter hatte sie sogar das Gefühl, ihr Ältester zog schon die Fäden, um sie bei Bruce anzuschwärzen und so ihr Ausscheiden aus dem Unternehmen in die Wege zu leiten.

Sie stieß einen lang gezogenen Seufzer aus und schlenderte zurück an den Kamin. Sie blieb an den Kaminsims gestützt stehen, in Gedanken bei Nigel.

Handfeste Beweise hatte sie nicht, es war nur ihr guter alter Instinkt, der ihr sagte, dass ihr Sohn gegen sie arbeitete. Seit Langem schon sah sie Nigel so, wie er war ... und wie Bruce in jüngeren Jahren gewesen war: kalt, berechnend, herrschsüchtig und sehr ehrgeizig.

Nun war Ehrgeiz nichts Schlechtes, solange er in die richtige Richtung zielte. Sie war die Erste, die dies zugegeben hätte. Aber es wirkte irgendwie lächerlich, wenn ihr Sohn ausgerechnet auf ihre Kosten Ehrgeiz entwickelte, da ihm das Unternehmen eines Tages ohnehin gehören würde. Natürlich musste er es sich mit seinen Brüdern zu gleichen Teilen teilen, doch als Ältester, der noch dazu unbestritten sehr geschäftstüchtig war, würde er die Geschäftsführung innehaben.

Sie wünschte, sie hätte den beunruhigenden Argwohn abschütteln können, Nigel könne es kaum erwarten, sie bei einem falschen Schritt straucheln zu sehen und ihm die Rechtfertigung zu liefern, die er brauchte, um das Londoner Stammhaus zu übernehmen. Und New York obendrein.

Keine Chance, murmelte sie. Bruce würde es nie zulassen. Ihr Schwiegervater war jetzt zweiundachtzig und nach einigen schmerzhaften Gichtanfällen, die ihn schon jahrelang quälten, teilweise im Ruhestand. Doch war er hellwach wie immer, keine Spur von senil, und sehr rüstig, wenn ihn nicht sein Leiden plagte. Sie wusste sehr wohl, dass er sie gern hatte, auch wenn er es nicht oft zeigte.

Überdies, und das war noch wichtiger, vertraute er ihr in geschäftlichen Dingen bedingungslos. Sie hatte sich sein Vertrauen verdient, hatte ihm immer wieder bewiesen, dass sie nicht nur genau wusste, was sie tat, sondern auch alles hervorragend machte. Nein, Bruce würde Nigels Machenschaften, die er als »jugendliches Aufbegehren« einstufen würde, nicht dulden. Und er würde ihre Partei ergreifen.

Stevie riss sich von ihren Gedanken los und lief aus dem Arbeitszimmer und den Treppenabsatz im Obergeschoss entlang. Mittelgroß und schlank, war Stephanie Jardine mit ihrem dunklen Lockenkopf, den hellen, graugrünen Augen und einem ausdrucksvollen Gesicht eine sehr attraktive Erscheinung. Hohe Wangenknochen und eine schmale Nase verliehen ihr einen vornehmen Ausdruck. Ihr lodengrüner, von einer Jacke ergänzter Hosenanzug, der die Grüntöne ihrer Augen zur Geltung brachte, verriet ihre Vorliebe für dezente Eleganz.

Stevie brachte die Treppe raschen Schrittes hinter sich. Sie hatte viel Zeit vergeudet, indem sie an die Vergangenheit und an Ralph gedacht und ihre Erinnerungen durchlebt hatte, die guten und die schlechten. Sie erwartete Gäste für den nächsten Tag, zwar nur Familienbesuch, dennoch musste alles tadellos vorbereitet sein. Ihre Mutter, an der Seite eines berühmten Bühnen- und Filmstars an höchsten Luxus und Komfort gewöhnt, legte sehr strenge Maßstäbe an.

In der großen Halle schlug die Standuhr in der Ecke. Es war Punkt sechs. Chloe sollte in einer Stunde kommen, ein Gedanke, der ein Lächeln in Stevies Gesicht zauberte. Sie konnte es kaum erwarten, ihre Tochter wiederzusehen.

Irgendwo in der Nähe schlug eine Tür, und sie spürte einen Schwall kalter Luft durch die Halle ziehen, der aus der Richtung des Wintergartens zu kommen schien. Sie ging durch die Bogentür, die in diesen Teil des Hauses führte.

Das Solarium, wie es auch genannt wurde, war lang gestreckt und hatte viele Fenster. Zwei Glastüren führten auf eine gedeckte Veranda, die sich über die gesamte Hinterfront des Hauses erstreckte. Eine der Türen, die aufgegangen war, schwang in den Angeln hin und her und schlug gegen einen Holzstuhl.

Sie ging hin, um sie zu schließen, und hielt dann an der Tür inne und spähte hinaus. Es war eine dunkle Nacht, der Himmel schwarz und sternenlos. Ein Streifen helles Lampenlicht, das aus dem Wintergarten nach draußen fiel und die Veranda und die Steinbalustrade dahinter erhellte, milderte die Finsternis.

Stevie trat wie so oft um diese Stunde hinaus. Sie liebte die Ruhe und die ländliche Stille, die sie im Gegensatz zum Lärm und Getriebe New Yorks vor allem nachts als sehr angenehm empfand.

Ihr Blick überflog den Himmel und das umliegende Gelände, und ihr fiel auf, dass der Nebel von vorhin sich mitten in ihrem Garten festgesetzt hatte. Dichter geworden, lagerte er nun auf dem Gras, zog in Schwaden dahin, verhüllte die Steinbänke, den Springbrunnen und den mit Steinplatten ausgelegten Rosengarten. Wie unheimlich heute alles aussieht, dachte Stevie. Abrupt drehte sie sich um und suchte hastig Zuflucht im Haus.

Als sie eintrat, überkam sie ein merkwürdiges Gefühl, eine Vorahnung ... und sie hielt den Atem an. Das Gefühl ähnelte jenem, das sie am Nachmittag überfallen hatte, nur war es diesmal viel stärker, viel intensiver.

Sie schüttelte es ab. Und dann lachte Stevie Jardine sich selbst aus und schüttelte den Kopf. Sie, die nie an Vorzeichen und Omen geglaubt hatte und nicht abergläubisch war, glaubte tatsächlich, unter einer bösen Vorahnung zu leiden. Lächerlich. Erneut schüttelte sie ihr Gefühl mit einem Auflachen ab.

Ein paar Monate später sollte Stevie sich an diese sonderbaren Empfindungen erinnern und sich fragen, was es damit auf sich gehabt hatte.

3

Von allen Seiten bekam sie zu hören, dass sie etwas Besonderes sei.

Als Chloe alt genug war, um diese Dinge zu verstehen, stimmte sie dieser Ansicht nicht zu, obwohl sie wusste, dass sie wirklich anders war. Sie war anders, weil sie außerehelich war.

Sie trug den Namen Jardine, da ihre Mutter so hieß, doch war ihr schon seit Längerem klar, dass sie nicht wirklich zur Familie Jardine gehörte.

Ihre Mutter, die aus Chloes außerehelicher Herkunft nie ein Geheimnis machte, hatte ihr die Umstände ihrer Geburt behutsam erklärt, als sie acht Jahre alt war. Und Chloe hatte alles als natürlich akzeptiert, und ihre drei Brüder ebenso. Sogar Old Bruce, wie sie und Miles ihn nannten, duldete sie um sich und schien nichts dagegen zu haben, dass sie seinen Namen führte, so wie er auch nichts dagegen hatte, dass sie ihn Großvater nannte. Für Chloe war er der Großvater, und er hatte sie auch stets so behandelt wie seine leiblichen Enkel.

Als kleines Mädchen hatte sie nicht anders oder besonders sein wollen, da es sie nur verwirrte und verlegen machte. Sie wollte sein wie alle anderen, also ganz normal.

Mit etwa zehn Jahren hatte sie Miles einmal gefragt, warum die Leute sie für etwas Besonderes hielten. Er hatte sie mit seinen durchdringenden blauen Augen genau angesehen und sein warmes, sanftes Lächeln gelächelt. »Nun, erstens, weil du ein so glückliches Elfenkind bist, ganz Zierlichkeit und goldenes Licht. Dein Lachen und deine Fröhlichkeit lassen einen an Sommer und Sonne denken ... auch im Winter. Es ist vor allem deine Ausstrahlung, die dich anders macht. Und zweitens bist du ein sehr hübsches Mädchen, innen so schön wie außen. Und schließlich bist du ... nun, du bist eine alte Seele.«

Sie hatte die Stirn gerunzelt und sofort den letzten Punkt aufgegriffen. »Was heißt das, Miles? Was ist eine alte Seele?«

»Jemand, der schon einmal da war, jemand, der über ein Wissen verfügt, das über seine Jahre hinausgeht, der weise ist ...«

»Ach ...« Darüber hatte sie ein, zwei Sekunden nachgedacht und dann gefragt: »Ist das gut?«

Da hatte Miles schallend gelacht, sodass in seinen Augenwinkeln Fältchen erschienen, und er war ihr mit der Hand liebevoll durchs Haar gefahren. »Ja, ich denke schon. Sei froh über alles, was du bist, Schwesterchen. In dieser hässlichen Welt, in der wir leben, gibt es nur selten Menschen wie dich.«

Miles war ihr Lieblingsbruder, da er immer schon umgänglicher war als sein Zwillingsbruder Gideon und ihr gemeinsamer älterer Bruder Nigel. Trotz der neun Jahre, die er älter war, hatte Miles immer Zeit für sie.