Cavendon Hall – Tage des Aufbruchs - Barbara Taylor Bradford - E-Book
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Cavendon Hall – Tage des Aufbruchs E-Book

Barbara Taylor Bradford

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Beschreibung

1949: Der Zweite Weltkrieg hat auf Cavendon Hall verheerende Folgen hinterlassen, und die Familie steht kurz vor dem Ruin. Alle Familienmitglieder haben ihre eigene Art, mit dem Schrecken fertig zu werden.

In diesen aufwühlenden Zeiten findet Alicia Stenton, die Tochter von Lady Daphne, endlich ihre große Liebe - den Filmproduzenten Adam Fenel. Trotz aller Widerstände gegen diese nicht standesgemäße Verbindung scheint ihr Glück perfekt. Doch nach und nach zeigt sich, dass Adam nicht der Mann ist, für den Alicia ihn gehalten hat.

Die beliebte Bestsellerautorin Barbara Taylor Bradford begeistert mit ihrer Cavendon-Hall-Saga weiterhin ihre Leserinnen. Nun, da die Welt sich gewandelt hat: Was wird aus den aristokratischen Inghams und der hingebungsvollen Swann-Familie, die ihnen dient?

Der letzte Band der Cavendon-Hall-Saga fesselt die Leserin mit Romantik, Verrat, Herzschmerz und Mord bis zur letzten Seite.


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Inhalt

CoverWeiterere Titel der AutorinÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungPersonenverzeichnisDIE HERRSCHAFTDIE INGHAMS IM JAHRE 1949ZWISCHEN DEN WELTENDIE ZWEITE FAMILIE: DIE SWANNSDIE SWANNS IM JAHRE 1949WEITERE SWANNSDIE DIENERSCHAFTWEITERE ANGESTELLTEAUSSENARBEITERTEIL 1: EIN RISS IM GEWEBEKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8TEIL 2: LES GIRLSKapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15TEIL 3: MAGIE UND ILLUSIONKapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22TEIL 4: SCHRITT IN DIE WIRKLICHKEITKapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33TEIL 5: UNTERSCHIEDLICHE WAHRNEHMUNGENKapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44

Weitere Titel der Autorin

Die Emma-Harte-Saga:

Des Lebens bittere Süße

Bewahrt den Traum

Und greifen nach den Sternen

Und plötzlich reißt der Himmel auf

Ein Geschenk des Schicksals

Am Ende wartet die Liebe

Die Yorkshire-Saga:

Cavendon Hall – Zeiten des Verrats

Cavendon Hall – Momente des Glücks

Cavendon Hall – Jahre des Schicksals

Über dieses Buch

1949: Der Zweite Weltkrieg hat auf Cavendon Hall verheerende Folgen hinterlassen, und die Familie steht kurz vor dem Ruin. Alle Familienmitglieder haben ihre eigene Art, mit dem Schrecken fertig zu werden.

In diesen aufwühlenden Zeiten findet Alicia Stenton, die Tochter von Lady Daphne, endlich ihre große Liebe – den Filmproduzenten Adam Fenel. Trotz aller Widerstände gegen diese nicht standesgemäße Verbindung scheint ihr Glück perfekt. Doch nach und nach zeigt sich, dass Adam nicht der Mann ist, für den Alicia ihn gehalten hat.

Die beliebte Bestsellerautorin Barbara Taylor Bradford begeistert mit ihrer Cavendon-Hall-Saga weiterhin ihre Leserinnen. Nun, da die Welt sich gewandelt hat: Was wird aus den aristokratischen Inghams und der hingebungsvollen Swann-Familie, die ihnen dient?

Der letzte Band der Cavendon-Hall-Saga fesselt die Leserin mit Romantik, Verrat, Herzschmerz und Mord bis zur letzten Seite.

Über die Autorin

Barbara Taylor Bradford verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England. Sie arbeitete als Journalistin, bevor sie im Alter von achtzehn Jahren begann, Kinderbücher zu schreiben. Schon bald folgten Romane, der Durchbruch gelang ihr mit »Des Lebens bittere Süße«. Seitdem hat sie fünfundzwanzig Bücher geschrieben, die allesamt Bestseller wurden. Sie widmet alle Werke ihrem Mann, mit dem sie in New York lebt.

BARBARA TAYLOR BRADFORD

CAVENDON HALL

Tage des Aufbruchs

Aus dem Englischen von Michaela Link

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2017 by Barbara Taylor Bradford

Titel der britischen Originalausgabe: „Secrets of Cavendon“

Originalverlag: HarperCollins Publishers Ltd., London

Originally published in the English language by HarperCollins Publishers Ltd. under the title

Secrets of Cavendon © Barbara Taylor Bradford 2017

Barbara Taylor Bradford asserts the moral right to be identified as the author of this work.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dorothee Cabras

Covergestaltung Guter Punkt, München (www.guter-punkt.de) unter Verwendung von Motiven © Akabei / gettyimages; Boonyachoat / gettyimages; Richard Jenkins; Gumroad und Pixabay

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-7611-1

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Bob, mit all meiner Liebe. Immer.

Personenverzeichnis

DIEHERRSCHAFT

DIEINGHAMSIMJAHRE 1949

Miles Ingham, 7. Earl von Mowbray, 50 Jahre alt. Besitzer und Hüter von Cavendon Hall. Als Lord Mowbray angeredet. Er ist verheiratet mit Cecily Swann, 48, der 7. Countess von Mowbray. Sie haben vier Kinder – David Ingham, den Erben des Earls, 20 Jahre alt, angeredet als der Ehrenwerte David Ingham; Walter, 18; Venetia, 16; und Gwen, 8.

Lady Diedre Ingham Drummond, Schwester des Earls, 56 Jahre alt. Sie ist verheiratet mit William Lawson, 56, und lebt mit ihm und ihrem Sohn Robin Drummond, 22, in London. Sie arbeitet im Kriegsministerium. Die Wochenenden verbringen sie in Cavendon, wo sie ihr eigenes Haus haben, Little Skell Manor.

Lady Daphne Ingham Stanton, Schwester des Earls, 53 Jahre alt. Sie ist mit Hugo Ingham Stanton, 68, verheiratet und wohnt mit ihm dauerhaft im Südflügel von Cavendon. Sie haben fünf Kinder, die in London leben und am Wochenende zu Besuch kommen: Alicia, 35; Charles, 31; die Zwillinge Thomas und Andrew, 28, und Annabel, 25.

Lady Dulcie Ingham Brentwood, jüngste Schwester des Earls, 41 Jahre alt. Sie wohnt in London und in Skelldale Manor bei Cavendon. Sie ist verheiratet mit Sir James Brentwood, 56, einem der größten Schauspieler Englands, der von König Georg VI. in den Ritterstand erhoben wurde. Sie haben drei Kinder: die Zwillinge Rosalind und Juliet, 20, und einen Sohn, Henry, 17.

Die drei Schwestern des Earls werden von der Dienerschaft nach DeLacys Tod nun liebevoll »die drei D« genannt.

ZWISCHENDENWELTEN

DIEZWEITEFAMILIE: DIESWANNS

Die Swanns stehen seit annähernd zweihundert Jahren im Dienst der Inghams. Dadurch sind die Familien auf vielfache Weise miteinander verbunden. Die Swanns leben seit Generationen im Dorf Little Skell, das an den Park von Cavendon angrenzt. Die Swanns von heute sind den Inghams genauso treu ergeben wie ihre Vorfahren und würden jedes einzelne Familienmitglied der Inghams mit ihrem Leben verteidigen. Die Inghams vertrauen ihnen uneingeschränkt, und so ist es auch andersherum.

DIESWANNSIMJAHRE 1949

Walter Swann, 71 Jahre alt, Vater von Cecily und Harry. Er ist das Oberhaupt der Familie Swann und für die Sicherheit von Cavendon Hall zuständig.

Alice Swann, seine Frau, 68 Jahre alt, die Mutter von Cecily und Harry. Alice organisiert den größten Teil der Dorfveranstaltungen und unterstützt die Dowager Countess bei der Leitung des Women’s Institute.

Sohn Harry, 51 Jahre alt. Er war als Landschaftsgärtner in Cavendon Hall in die Lehre gegangen und verwaltet nun das Anwesen. Der schöne Garten, den er angelegt hat, ist ein Besuchermagnet.

Tochter Cecily, 48 Jahre alt. Sie ist mit Miles verheiratet und eine weltberühmte Modeschöpferin.

Paloma Swann, 38, Harrys Frau und Mutter der gemeinsamen Kinder: Edward, 10; Patricia, 8; und Charles, 6. Sie ist eine bekannte Fotografin.

WEITERESWANNS

Percy, jüngerer Bruder von Walter, 68 Jahre alt. Oberster Jagdhüter in Cavendon.

Edna, Percys Frau, 69 Jahre alt. Arbeitet gelegentlich in Cavendon.

Ihr SohnJoe, 48 Jahre alt. Arbeitet mit seinem Vater als Jagdhüter.

Bill, Walters Cousin, 63 Jahre alt. Oberster Landschaftsgärtner in Cavendon. Er ist Witwer.

Ted, Walters Cousin, 74 Jahre alt. Leiter der Instandhaltung der Innenräume und der Schreinerei in Cavendon. Verwitwet.

Paul, Teds Sohn, 50 Jahre alt. Arbeitet bei seinem Vater als Dekorateur und Tischler. Unverheiratet.

Eric, Teds Bruder und Walters Cousin, 69 Jahre alt. Butler in Cavendon Hall. Unverheiratet.

Charlotte, Walters und Percys Tante, 81 Jahre alt. Nun Dowager Countess von Mowbray. Charlotte ist die Matriarchin der Familien Swann und Ingham. Sie wird von allen mit großem Respekt behandelt. Charlotte war die Sekretärin und persönliche Assistentin David Inghams, des 5. Earls, bis zu dessen Tod. 1926 heiratete sie den 6. Earl, Charles Ingham, der während des Zweiten Weltkriegs starb.

Dorothy Pinkerton, geborene Swann, 66 Jahre alt, Charlottes Cousine. Sie lebt in London und ist verheiratet mit Howard Pinkerton, 66, einem Detective von Scotland Yard. Sie arbeitet für Cecily bei Cecily Swann Couture in London.

DIEDIENERSCHAFT

Mr Eric Swann, Butler

Mrs Peggy Swift Lane, Haushälterin

Miss Lois Waters, Köchin

Miss Mary Lowden, oberstes Hausmädchen

Miss Vera Gower, zweites Hausmädchen

Mr Philip Carlton, Chauffeur

WEITEREANGESTELLTE

Miss Angela Chambers, das Kindermädchen für Cecilys Tochter Gwen, für gewöhnlich als Nanny oder Nan angeredet.

AUSSENARBEITER

Ein großes herrschaftliches Anwesen wie Cavendon Hall mit vielen Tausend Morgen Land und einem riesigen Moor für die Moorhuhnjagd bietet vielen Menschen aus der Gegend Arbeit. Das ist die Aufgabe eines solchen Besitzes, der außerdem einer großen Familie als Heim dient. Er versorgt die Dorfbewohner mit Beschäftigung und die Bauern mit Pachtland. Die Dörfer um Cavendon sind von verschiedenen Earls von Mowbray gebaut worden, um ihre Arbeiter unterzubringen. Nach und nach kamen Kirchen und Schulen, Postämter und kleine Läden hinzu. Die Dörfer um Cavendon heißen Little Skell, Mowbray und High Clough.

Es gibt eine große Zahl von Außenarbeitern: einen obersten Jagdhüter und fünf weitere Jagdhüter. Treiber werden benötigt, wenn die Moorhuhnsaison beginnt und die Jagdgäste in Cavendon eintreffen. Des Weiteren gibt es Waldarbeiter, die sich um den zu bestimmten Zeiten zur Jagd genutzten Wald in der Umgebung kümmern. Die Gärten werden vom obersten Landschaftsgärtner und fünf weiteren, unter seiner Leitung stehenden Gärtnern gepflegt.

Die Moorhuhnjagd beginnt im August, am »Glorious Twelfth«, wie der Anfang der Saison genannt wird. Sie endet im Dezember. Die Rebhuhnsaison fängt im September an. Auch Enten und Wildvögel werden in dieser Zeit geschossen. Die Fasanenjagd wird vom 1. November bis zum Dezember betrieben. Diejenigen, die zur Jagd nach Cavendon kommen, sind gewöhnlich Aristokraten und werden als die »Guns«, die »Waffen«, also die Männer, die die Gewehre benutzen, bezeichnet.

TEIL 1: EINRISSIMGEWEBE

1949

Das gestern Gewebte ist so unwiderruflich wie das Gestern.

Ich ziehe zwar nicht die Fäden heraus, aber vielleicht wechsele ich das Schiffchen.

Muriel Strode-Lieberman, My Little Book of Life

Kapitel 1

Cecily Swann Ingham, die Siebte Countess von Mowbray, stand auf den Stufen des Büroanbaus und blickte über die Stallungen hinweg zu Cavendon Hall, das sich auf dem Hügel vor ihr erhob.

Es war ein schöner Junimorgen, und das helle Licht, das für Englands Norden so typisch war, warf einen Schimmer über das hohe Dach und die Schornsteine, die unter dem klaren, strahlenden Himmel zu leuchten schienen.

Wie herrlich das Haus heute aussieht, dachte sie: vornehm, stattlich, stark und sicher. Sie lächelte gequält. In Wirklichkeit war es ihrer Meinung nach überhaupt nicht sicher.

Traurigerweise war das altehrwürdige Haus, so prachtvoll es an diesem Morgen auch aussah, wieder einmal ernsthaften Schwierigkeiten ausgesetzt. Cecily war um seine Zukunft ehrlich besorgt, und auch um die des Anwesens, des Moores und die der Familie Ingham.

Sie seufzte und verschloss die Augen vor dem Anblick. Cavendon verschlang schon seit Jahren immens viel Geld und Kraft und kostete sie alle viel Zeit. Jeder von ihnen hatte große Opfer dafür gebracht, hatte Geld in das Fass ohne Boden geworfen, zu dem das Haus geworden war, vor allem Cecily selbst.

Schließlich öffnete sie die Augen, richtete sich auf und fragte sich, wie um alles in der Welt es ihnen gelingen sollte, die Probleme abzuwenden, die sie alle langsam, aber sicher zu überwältigen drohten. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie keine Ahnung hatte. Ausnahmsweise einmal fühlte sie sich vollkommen hilflos, außerstande, einen narrensicheren Schlachtplan zu entwerfen.

Hufgeklapper drang in ihre trüben Gedanken, und sie schaute auf. Harry, ihr Bruder, durchquerte den gepflasterten Stallhof, begleitet von Miles, der neben dem Pferd herging.

Als ihr Mann sie erblickte, hob er zum Gruß die Hand und lächelte sie an – dieses ganz besondere Lächeln, das nur ihr allein vorbehalten war. Bei dem erfreuten Ausdruck, der über seine Züge ging, zog sich ihr das Herz zusammen, denn er hatte nicht erwartet, sie zu sehen.

Harry winkte; sie erwiderte den Gruß und sah ihrem Bruder nach, wie er den Stallhof verließ. Er brach zu seinem samstäglichen Kontrollritt über das Anwesen auf. Harry liebte seine Stellung als Verwalter des Besitzes und hatte in vieler Hinsicht Großes bewirkt. Die neuen Gärten, die er angelegt hatte, nachdem er als Invalide aus der Air Force ausgeschieden war, waren atemberaubend schön und hatten viele Besucher angelockt.

Miles trat zu ihr auf die Treppe und legte einen Arm um sie. »Ich habe dich beim Frühstück vermisst. So süß und unterhaltsam unsere Kinder auch sind, sie können dich nicht ersetzen, meine Liebste.«

»Ich musste an den Schreibtisch und die letzten Zahlen durchgehen, die Tante Dottie aus London geschickt hat, bevor ich zu dem Treffen gehe.«

»Oh, verflixt! Das hatte ich ja ganz vergessen«, rief Miles. Er klang verärgert.

Cecily nickte ihm zu und verzog das Gesicht.

»Wohlan, Madam«, sagte Miles. »Nun sputet Euch! Gürtet das Schwert und macht Euch bereit für den Kampf, denn Ihr habt keine Wahl. Die Würfel sind gefallen!«

»Das sind sie in der Tat.« Sie lachte. »Ich bin weg«, fügte sie hinzu, »Einen Kampf wird es nicht geben, höchstens ein bisschen Gejammer und Gemurre, das ist jedoch alles.« Sie warf ihm eine Kusshand zu.

»Das weiß ich doch. Aber nächste Woche sind wir mit unserer kleinen Rasselbande und Tante Charlotte endlich allein. Der Rest der Familie ist dann Gott sei Dank in Urlaub.«

»Ich kann es auch kaum erwarten«, antwortete sie und ließ ihn auf den Stufen des Anbaus stehen. Sie überquerte den Stallhof und ging zu der Terrasse, die sich an der Rückseite des Hauses entlangzog.

Als Cecily wenige Augenblicke später die Terrasse betrat, warf sie einen Blick durch die offenen Glastüren und sah, dass ihre drei Schwägerinnen und ihre Tante noch nicht zu dem regelmäßigen wöchentlichen Austausch erschienen waren. Sie setzte sich in einen Korbsessel und betrachtete den üppigen Park, der bis an den Rand des Dorfes Little Skell reichte.

Links glitten zwei weiße Schwäne über den See, ein Paar, das wie alle Schwäne ein Leben lang zusammenblieb. Humphrey Ingham, der Erste Earl, hatte zu Ehren seines Lehnsmannes James Swann verfügt, dass es in Cavendon immer Schwäne geben sollte.

Die atemberaubende Aussicht war im Laufe der vielen Jahre unverändert geblieben, seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, um genau zu sein, als das Haus erbaut worden war. Aber alles andere hatte sich verändert. Nichts war mehr wie früher, nirgendwo.

Cecily ließ ihren Gedanken freien Lauf und dachte an die vergangenen vier Jahre zurück. 1945, als der Krieg mit einem Sieg geendet hatte, waren die Menschen euphorisch gewesen. Doch das Gefühl von Stolz, Triumph und Erleichterung war bald verflogen, und es ging bergab. Das Land war bankrott, das große britische Reich schrumpfte, löste sich in nichts auf, und die Leute murrten und jammerten und warteten ungeduldig darauf, dass alles besser wurde. Nichts wurde besser. Das Schlimmste war, dass Churchill nicht mehr im Amt war; die Labour-Partei hatte die Wahl gewonnen und Clement Attlee war zum Premierminister ernannt worden.

Den Stadträten waren die Hände gebunden, da ihnen die Mittel fehlten. Bombenkrater – große, klaffende Löcher im Boden – verschandelten aus Geld- und Materialmangel noch immer die Großstädte. Das Gleiche galt für zerstörte Gebäude; überall sah man Schutthaufen, die für eine gedrückte Stimmung sorgten, weil sie ständig an den Krieg erinnerten. Das Land litt noch immer an der Rationierung vieler Nahrungsmittel und Dinge des täglichen Bedarfs.

Es kam Cecily so vor, als hätte Großbritannien einfach stillgestanden. Jetzt, im Jahre 1949, hoffte sie, dass sich die Lage bessern würde: Die Menschen wurden wieder optimistischer, und Fröhlichkeit lag in der Luft. Prinzessin Elizabeths Hochzeit vor etwas mehr als achtzehn Monaten hatte die Stimmung des Landes gehoben.

Andererseits war Großbritannien immer noch ein Land, das überwiegend aus alten Männern, Frauen und Kindern bestand. Hunderttausende junger Soldaten waren nicht aus dem Krieg zurückgekehrt, waren in fremden Ländern gestorben. Sie wusste, dass Cavendon davon stark betroffen war. Viele der jungen Männer von den Pachtfarmen und aus den Dörfern waren gefallen. Die Familien trauerten zum zweiten Mal innerhalb einer Generation um ihren Verlust. Cavendon war ein großer landwirtschaftlicher Betrieb, der kräftige Männer brauchte, um das Land zu bestellen, die Ernte einzubringen und sich um die Rinder und Schafe zu kümmern.

Miles sagte, sie könnten froh sein, dass zwei der Mädchen der Land Army geblieben waren und mehrere der Pachtfarmen führten. Durch Anzeigen in der Lokalzeitung war es Harry gelungen, drei Familien einzustellen, die in die Pachtfarmen in den nahen Dörfern Mowbray und High Clough einzogen.

Als Cecily Stimmen hörte, drehte sie sich um und stand sofort auf. Durch die Terrassentüren sah sie Tante Charlotte, die sich mit Eric Swann unterhielt, dem Butler von Cavendon.

Cecily ging in die Bibliothek, um ihre Tante zu begrüßen. Sie rief: »Guten Morgen! Ich habe gar nicht damit gerechnet, dass du heute kommst, Tante Charlotte.« Wie sie war ihre Großtante eine Swann, die einen Ingham geheiratet hatte – wenn auch in Charlottes Fall erst spät im Leben. Jetzt, als Dowager Countess von Mowbray, bewahrte sie noch immer die aufrechte und würdevolle Haltung, die sie schon als Mädchen ausgezeichnet hatte. Ihr Gesicht war jetzt von den Jahren gezeichnet, ihr Haar war weiß.

»Hallo, Ceci – warum denn nicht? Es ist das letzte Treffen für den Sommer, da sollte ich dabei sein.«

Cecily blickte zu Eric und sagte: »Ich sehe, Sie haben Kaffee gebracht, Eric. Ich hätte gern eine Tasse, bitte. Was ist mit dir, Tante Charlotte?«

»Ja, ich werde mich dir anschließen. Wir können ein wenig plaudern, bevor die anderen eintreffen.«

»Kommt sofort, Mylady«, erklärte Eric und drehte sich zu dem Tablett auf dem Tisch um.

Charlotte ging zum Kamin, nahm Platz und bedeutete Cecily, sich zu ihr zu setzen. »Es gibt da etwas, was ich dir sagen muss … unter vier Augen.«

Doch bevor sie noch etwas hinzufügen konnte, wurde die Tür zur Bibliothek geöffnet, und Lady Diedre kam herein. Die älteste der Ingham-Schwestern war eine elegante Frau von sechsundfünfzig Jahren. Ihr blondes Haar war jetzt von grauen Strähnen durchzogen, aber sie war wie gewohnt nach der neuesten Mode gekleidet. Heute trug sie eine der schicken Hosen mit weitem Bein, die sie so mochte, zusammen mit einer zwanglosen Seidenbluse.

Cecily sah Charlotte mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ihr vertrauliches Gespräch würde warten müssen. Sie stand auf, um ihre Schwägerin zu begrüßen. Diedre galt allgemein als die Klügste der Geschwister, da sie schon seit Jahren im Kriegsministerium arbeitete. Sie ertrug keine Dummköpfe, aber ihr scharfer Verstand belebte jede Zusammenkunft. Cecily gab ihr einen liebevollen Kuss und wies auf den Kaffee.

Auf Lady Diedre folgte Lady Dulcie, die jüngste Schwester der Inghams, die jetzt Anfang vierzig war. Dulcie mochte zwar als Mutter dreier Kinder etwas rundlicher geworden sein, doch sie galt nach wie vor als Nesthäkchen der Familie.

Als sie Platz nahmen, beugte Diedre sich zu Cecily vor und bemerkte: »Ich wollte dir nur zum Erfolg des Souvenirladens gratulieren. Das hast du großartig gemacht, und die Einkünfte aus dem Laden erweisen sich als sehr nützlich.«

»Vielen Dank«, antwortete Cecily und lächelte sie an. Diedre war für gewöhnlich die Friedensstifterin, wenn sich Probleme ergaben und Streit ausbrach. »Ich hatte ehrlich keine Ahnung, dass die Leute sich so für Kleinigkeiten interessieren würden, die mit Cavendon zu tun haben.«

Als Dulcie sich setzte, drehte Cecily sich zu ihr um. »Wie lange bleibst du in Hollywood?«, fragte sie. »Miles meinte, James müsse noch zwei Filme für MGM drehen, um seinen alten Vertrag zu erfüllen.«

»Ja, das ist richtig, aber ich denke, dass wir rechtzeitig zu Weihnachten zurück sind. Zumindest haben wir das vor. Außerdem möchte James im nächsten Jahr ein Stück im West End spielen.«

»Das ist gut zu wissen«, erwiderte Cecily. »Ohne euch wäre Weihnachten nicht dasselbe.« Sie liebte ihre glamouröse Schwägerin, die trotz des Erfolges ihres Ehemannes in Hollywood so witzig und unkompliziert geblieben war wie immer.

In dem Moment wurde die Tür geöffnet, und Daphne, die dritte der Ingham-Schwestern, trat ein. Cecily sah zu ihrer Überraschung, dass ihre Schwägerin Reisekleidung trug anstatt bequemer Sachen für das Wochenende in Cavendon.

Daphne trat vor und begrüßte sie kühl. »Ich bin nur gekommen, um mich zu verabschieden. Ich bleibe nicht zu dem Treffen.« Mit starrer Miene sah sie in die Runde der Frauen. »Auf mich hört sowieso niemand.«

Cecily wich erschrocken zurück. Daphne war in jeder Hinsicht die Hausherrin von Cavendon. Seit ihre Mutter die Familie verlassen hatte, hatte sie das Haus geführt; sie hatte ihr ganzes Leben hier gelebt.

Daphnes Mund verzog sich kurz zu einem schiefen Lächeln, und sie fuhr fort: »Hugo und ich reisen gleich ab. Wir möchten heute mit den Kindern in London zu Abend essen, und morgen fahren wir dann weiter nach Zürich. Ich möchte euch mitteilen, dass wir lange fortbleiben werden. Vielleicht für ein ganzes Jahr.«

Diedre sah sie verblüfft an. »Meine Güte, Daphne, ein ganzes Jahr!«, rief sie. »Warum willst ausgerechnet du so lange Cavendon fernbleiben?« Die Verwunderung war ihr anzusehen.

»Weil ich es hier wirklich nicht mehr aushalten kann«, antwortete Daphne mit fester und ruhiger Stimme. »Ich kann hier nicht leben, während Besucher durch das Haus und die Gärten spazieren. Die Leute scheinen überall zu sein. Ständig stolpere ich über sie. Es ist absolut grauenhaft.«

Daphne schwieg und sah Cecily einen langen Augenblick an. »Für meinen Geschmack ist es viel zu kommerziell geworden, Ceci. Mit den Läden, dem Café und der Kunstgalerie ist es fast wie ein riesiges Kaufhaus geworden, wie eine Filiale von Harte’s. Ich fürchte, du hast das Anwesen in eine entsetzliche Touristenattraktion verwandelt.« Sie schüttelte den Kopf. Ihr schönes Gesicht war plötzlich grimmig, und ohne ein weiteres Wort verließ sie die Bibliothek und schloss leise die Tür hinter sich.

Eine verblüffte Stille trat ein.

Diedre und Dulcie sahen sich an. Das Erstaunen auf den Gesichtern der Schwestern machte klar, dass dies für sie eine ebenso große Überraschung war wie für Cecily.

Tante Charlotte ergriff als Erste das Wort. Ruhig sagte sie: »Ich denke, wir müssen Daphne und das, was sie gerade gesagt hat, entschuldigen. Sie ist seit langer Zeit erschöpft und hat viel Herzblut in Cavendon gesteckt. Ich glaube, nach ein paar Wochen Ruhe und Frieden in Zürich wird es ihr wieder besser gehen.«

»Sie gibt mir die Schuld«, murmelte Cecily. »Sie wirft mir schon seit Kriegsende vor, ich hätte Cavendon zu sehr kommerzialisiert. Hugo und sie beschweren sich pausenlos, vor allem über die Hausführungen. Sie hat sich mir gegenüber in letzter Zeit sehr eigenartig verhalten.«

»Aber das Geld der Besucher hält uns über Wasser!«, rief Dulcie mit leicht erhobener Stimme. »Und mir macht sie auch Vorwürfe, weil du mir erlaubt hast, hier meine kleine Kunstgalerie zu eröffnen. Doch der gesamte Gewinn fließt in den Besitz, nicht in meine Tasche.«

Mit besänftigender Stimme warf Diedre ein: »Wir sollten uns deswegen nicht aufregen. Ehrlich gesagt, ich stimme Tante Charlotte zu. Daphne ist seit Jahren müde bis auf die Knochen, und ich denke, sie verdient eine lange Ruhepause. Sie liebt die Villa Fleurir und die Schweiz. Sie wird neue Kraft schöpfen und bald wieder die Alte sein.«

Dulcie schaute zwischen Diedre und Tante Charlotte hin und her und fragte: »Wie meinst du das, müde bis auf die Knochen? Denkt ihr, Daphne leidet an einer Krankheit?«

Tante Charlotte schüttelte den Kopf. »Das nicht, aber sie hat sich so selbstlos um das Haus gekümmert, dass sie irgendwie … nun ja …« Charlotte hielt inne, bevor sie den Satz vollendete: »… sagen wir, in Bezug auf Cavendon Hall ein bisschen besitzergreifend geworden ist.«

Diedre nickte zustimmend. »Die Besucher gehen ihr auf die Nerven, doch ohne die Führungen durch das Haus und den Garten und die Läden …« Sie brach ab und hob in einer hilflosen Geste die Hände. »Ich weiß nicht, wo wir dann wären.«

»Pleite«, erklärte Cecily. »Nun, nicht ganz, aber fast.«

»Und haben wir nicht großes Glück, dass die Leute von Cavendon Hall und den Gärten so fasziniert sind?«, warf Dulcie ein. »Vor allem, da sie für das Privileg einer Führung einen Haufen Geld hinblättern.«

Sie lachte, und die anderen fielen in ihr Lachen ein und durchbrachen die düstere Stimmung.

»Vielleicht sollten wir das Treffen einfach ausfallen lassen und uns wieder unseren eigenen Aufgaben widmen«, schlug Diedre vor.

»Wenn es sonst nichts zu besprechen gibt, werde ich zu Ende packen«, verkündete Dulcie und erhob sich. »Ich habe hier noch Unmengen Kleider, die ich mit nach Beverly Hills nehmen möchte.«

»Da wir gerade vom Packen sprechen«, bemerkte Diedre, »das sollte ich besser auch tun. Will und ich fahren Anfang nächster Woche nach Beaulieu-sur-Mer.« Sie sah Cecily an und fügte hinzu: »Wills Bruder Ambrose überlässt uns für sechs Wochen sein Haus in Südfrankreich, und wir würden uns freuen, wenn du und Miles uns besuchen würdet, Cecily. Warum kommst du nicht auch mit, Tante Charlotte?«

»Das ist eine reizende Einladung, Diedre. Vielleicht werde ich sie annehmen, vorausgesetzt, dass Cecily und Miles ebenfalls kommen. Es ist nämlich so, dass ich dieser Tage lieber in Begleitung reise. Ich werde langsam eine alte Dame.«

»Unsinn!«, rief Diedre aus. »Man sieht dir dein Alter nicht an, und du bist kerngesund. Aber ich weiß, was du damit meinst, dass du nicht gern allein reist. Sag uns einfach Bescheid, wann du kommst.«

Cecily lächelte abwesend. Innerlich war sie aufgewühlt. Sie schwieg, bis ihre Schwägerinnen den Raum verlassen hatten, dann ging sie ans Fenster und schaute auf den weiten Park hinaus.

»Worüber wolltest du mit mir sprechen?«, fragte Cecily ihre Großtante mit ruhiger Stimme.

»Ich möchte über das Anwesen reden«, antwortete Charlotte. »Wie du weißt, war ich die persönliche Assistentin von David Ingham, dem Fünften Earl.« Sie sah sie an. »Und als solche weiß ich mehr über den gesamten Besitz als alle anderen, selbst als Miles. Mir ist vor etwa zehn Tagen klar geworden, dass Großtante Gwen kein Recht hatte, Diedre Little Skell Manor zu vermachen, weil es ihr gar nicht gehört hat. Ebenso wenig wie ihrer Schwester, die es Großtante Gwen überlassen hatte. Es ist nämlich so, dass Cavendon Hall, sämtliche Gebäude auf dem Besitz, die vielen Tausend Morgen Land, das Moor und der Park dem jeweiligen Earl gehören. Doch während der vergangenen fünfundfünfzig Jahre haben die letzten Earls es Mitgliedern der Familie erlaubt, in den beiden Häusern zu wohnen, ohne Miete zu zahlen.«

Cecily sah ihre Großtante an. »Willst du damit sagen, dass James und Dulcie Miete dafür zahlen sollen, dass sie in Skelldale House leben, genau wie Diedre und Will, weil sie Little Skell Manor bewohnen?«

»Ganz recht«, antwortete Charlotte. »Um wirklich sicher zu sein, habe ich in den Akten nachgeschaut, die ich vor Jahren angelegt habe. Die Dokumente darin bestätigen, was ich gerade gesagt habe.«

»Wir müssen Miles davon überzeugen, sich mit der Idee anzufreunden. Er wird es vielleicht nicht wollen.«

»Die Dokumente in den Akten beweisen, dass ich recht habe«, rief Charlotte Cecily ins Gedächtnis. »Ich weiß, dass der Fünfte Earl sie übersehen hat, weil ich mit ihm zusammengearbeitet habe, und der Sechste Earl ebenfalls. Jetzt kann der Siebte Earl alles in Ordnung bringen.«

Cecily war sich da nicht so sicher. Sie wusste, dass ihr Mann sich gegen die Vorstellung sträuben würde – vor allem, da seine Schwestern glaubten, die Häuser gehörten ihnen. Und es würde wieder einmal so wirken, als mischten sich die Swanns in die Angelegenheiten der Inghams ein.

Sie stand erschöpft auf und entschuldigte sich.

Kapitel 2

In Momenten des Kummers oder wenn sie Sorgen hatte, ging Cecily an einen besonderen Ort in Cavendon, um allein zu sein und sich zu beruhigen.

Es war nicht mehr der Rosengarten, den sie jahrelang als Zuflucht benutzt hatte, obwohl sie immer noch gelegentlich dort hinging. Heutzutage suchte sie für gewöhnlich DeLacys Grab auf, wo sie sich hinsetzte und mit ihrer liebsten Freundin sprach. DeLacy Ingham war im Krieg auf tragische Weise ums Leben gekommen, als das Haus in der Londoner South Street von einer Flügelbombe getroffen worden war. Cecily vermisste ihre Kindheitsgefährtin immer noch, die fehlende Schwester der »vier D«, wie man sie genannt hatte.

Cecily verließ das Haus und ging zum Friedhof. Er lag am Waldrand auf der anderen Seite des Parks. Als sie dort ankam, sah sie sofort, dass jemand vor ihr da gewesen war. Die Vase auf dem Grab war mit spät blühenden rosa Rosen gefüllt.

Sofort schnürte sich ihr die Kehle zu. Cecily war gerührt, dass noch ein Familienmitglied kürzlich das Bedürfnis verspürt hatte, DeLacy zu besuchen. Denn so betrachtete sie diese Besuche – sie ging zu DeLacy, aber sie ging nicht an DeLacys Grab, denn diesen Gedanken konnte sie nicht ertragen. Cecily setzte sich ins Gras und lehnte sich an den Grabstein. Vor dem inneren Auge konnte sie ihre Freundin so deutlich sehen, als stünde sie vor ihr, konnte die melodische Stimme hören, wie sie ihr etwas Besonderes erzählte, während die Luft von ihrem Lachen widerhallte …

DeLacy fehlte ihr so sehr, dass es ein körperlicher Schmerz war, eine schreckliche Sehnsucht nach einem Menschen, den sie geliebt und verloren hatte, den sie nie wieder umarmen und mit dem sie nie mehr lachen würde. DeLacys früher Tod im Zweiten Weltkrieg war der größte Verlust ihres Lebens gewesen.

Cecily dachte jetzt an die Jahre, in denen sie hier in Cavendon gemeinsam aufgewachsen waren. Sie hatten sich immer nahegestanden und waren nie weit voneinander entfernt gewesen. Sie waren gleich alt gewesen und hatten die gleichen Bedürfnisse gehabt. DeLacy war zwar eine Ingham gewesen, eine der vier Töchter des Earls, und Cecily eine Swann, die der aristokratischen Familie diente, doch die gesellschaftliche Kluft war für sie bedeutungslos gewesen. Wir waren eins, dachte Cecily plötzlich, ineinander verwoben wie feiner Stoff. Wir haben das Gleiche gedacht und gesagt.

Ein kleiner Seufzer entfuhr ihr, und sie schloss die Augen, als ihr unerwartet ihr schrecklicher Streit in den Sinn kam. Sie hatten jahrelang nicht miteinander gesprochen. Schließlich war es Miles gelungen, eine Versöhnung herbeizuführen. DeLacy hatte ihn darum gebeten, und Cecily hatte sich aus ganzem Herzen bereit erklärt, zu verzeihen und zu vergessen. Als sie wieder zusammengekommen und wieder Freundinnen waren, war es so einfach, so natürlich gewesen, als hätte es die Trennung nie gegeben. Im Nu waren sie wieder eins geworden.

Für Cecily war DeLacy immer die Schönste der vier Ingham-Schwestern gewesen, obwohl deren Vater Lady Daphne zur Schönheit der Familie erklärt hatte.

Die Schwestern ihres Mannes waren alle blond und hatten himmelblaue Augen. Diedre, Daphne, DeLacy und Dulcie, jede mit dem Ehrentitel einer Lady, weil sie die Töchter eines Earls waren. Ihre Schwägerinnen und Freundinnen. Daphnes Worte vorhin hatten Cecily tief verletzt.

Vor dem Krieg hatte es nie einen ernsten Bruch zwischen den Inghams und den Swanns gegeben. Erst danach war das Gewebe der Familie plötzlich und unerwartet zerrissen. Der Grund dafür war, dass sie Geld brauchten, um die neuen Steuern zu bezahlen, und der Streit um die richtige Führung des Besitzes. Miles war vollkommen klar, dass er der Hüter einer alten Familie war, eines der wichtigsten Grafengeschlechter in England. Dennoch bedeutete sein Geburtsrecht für ihn eine schwere Last. Viele der altehrwürdigen Herrenhäuser waren in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zum Verkauf angeboten worden, und jetzt hatte der Zweite Weltkrieg die Situation noch verschärft. Die alte Weltordnung gab es nicht mehr: Die Welt, in der die großen Häuser voller Dienstboten gewesen waren und in der das Geld in Strömen geflossen war, war verschwunden.

Tante Charlotte hatte ihr vorhin beim Abschied gesagt, dass es das erste Mal seit Menschengedenken sei, dass es Probleme zwischen den beiden Familien gab. Und sie sollte es wissen. Tante Charlotte war während ihres ganzen Erwachsenenlebens die Hüterin der großen Bücher der Swanns gewesen. Sie waren seit der Erbauung Cavendons geführt worden, als James Swann in der Zeit des Ersten Earls damit begann. In diesen Büchern standen sämtliche Geheimnisse der Swanns und der Inghams; sie waren absolut vertraulich und nur für die Augen der Swanns bestimmt.

Den Inghams war es nie gestattet worden, die Bücher zu lesen. Jetzt befanden sie sich in Cecilys Händen, die sie bewahrte und ergänzte. Erst am Tag ihres Todes würden sie an einen anderen Swann weitergereicht werden.

Cecily dachte an Tante Charlotte. Sie nahm als Matriarchin der Swanns und als Dowager Countess von Mowbray auch als Matriarchin der Inghams in beiden Familien eine Sonderstellung ein. Da sie als junges Mädchen für Miles’ Großvater, David Ingham, den Fünften Earl, gearbeitet hatte und später Charles, den Sechsten Earl, geheiratet hatte, gab es nicht viel, was sie über die beiden Familien nicht wusste. Was für ein Glück, dass ihr jetzt wieder eingefallen war, dass die beiden Häuser Little Skell Manor und Skelldale House dem Siebten Earl gehörten und nicht den Frauen, die im Lauf der Jahre darin gelebt hatten.

Cecily hoffte, dass Miles nicht dumm sein und verärgert sagen würde, dass seine Schwestern weiterhin mietfrei in den Häusern leben mussten.

Wenn sie es recht überlegte, lebte auch Daphne mietfrei in Cavendon Hall. Hugo und sie bewohnten mit ihren Kindern seit ihrer Hochzeit den Südflügel von Cavendon. Zahlten sie Miete? Hatten sie jemals Miete gezahlt? Sollten sie jetzt damit anfangen? Cecily wusste keine Antwort auf diese Fragen.

Plötzlich stieg Ärger in Cecily auf. Daphne gab ihr die Schuld an den Besuchern, die in Daphnes privates Reich eindrangen, und sie musste zugeben, dass sie gekränkt war. Sie hatte im Laufe der Jahre zahlreiche Anstrengungen unternommen, um Cavendon vor der Katastrophe zu bewahren, und hatte es mit Geld aus ihrem Modeunternehmen über Wasser gehalten.

Unerwartet liefen ihr Tränen aus den Augenwinkeln und rannen ihr über die Wangen. Sie weinte um den Verlust ihrer geliebten DeLacy, aber auch wegen der ungerechten Vorwürfe, die Daphne ihr entgegengeschleudert hatte.

Sie blieb noch etwas am Grab sitzen und riss sich zusammen, bis sie ihre Gefühle wieder im Griff hatte. Auf dem Rückweg zum Haus sah Cecily ihre Mutter den Weg aus Little Skell entlangeilen. Sie erblickten einander im gleichen Moment und winkten. Wenige Augenblicke später umarmten sie sich.

Alice Swann sagte: »Ich war auf der Suche nach dir, Ceci. Dein Vater hat mir erzählt, dass Lady Daphne und Mr Hugo nach Zürich abgereist sind und dass Lady Daphne nicht einmal an dem Treffen teilgenommen hat.«

»Meine Güte, das Netzwerk der Swanns funktionier aber wirklich bestens«, gab Cecily in erheitertem Ton zurück. »Dann weißt du sicher auch, dass sie mir die Schuld an der Kommerzialisierung von Cavendon gibt, weil ich es dem Publikum geöffnet habe.«

»Ja«, bestätigte Alice. »Wenn ich an das ganze Geld denke, das du der Familie für den Unterhalt von Cavendon gegeben hast, kommt mir die Wut. Tausende. Selbst als Swann Couture noch in den Kinderschuhen steckte, bist du in die Bresche gesprungen, und später hast du diesen Haufen Ingham-Schmuck gekauft und dem Earl dann jährlich Schecks aus dem Erlös deiner Kollektion von Kopien gegeben.« Alice schüttelte den Kopf und stieß einen langen Seufzer aus. »Arme Daphne, ich glaube, es geht ihr nicht gut. Vielleicht ist sie auch einfach nur übermüdet. Ich weiß, dass sie dich im Grunde von Herzen liebt, Cecily. Du siehst aus, als hättest du geweint. Doch nicht wegen Daphne, hoffe ich?«

»Nein. Ich vermisse DeLacy. Im Moment bin ich zwar etwas verletzt, doch das geht vorbei.« Dann wechselte sie schnell das Thema. »Tante Dottie freut sich darauf, dich und Dad zu sehen, Mam.«

Alice lächelte. »Ich kann es auch kaum erwarten. Sie ist immer so fröhlich und liebevoll.«

Miles drehte sich um und sprang auf, als er Cecily in sein Arbeitszimmer kommen sah. »Da bist du ja, Liebling!«, rief er, und sein einnehmendes Lächeln erfüllte sein Gesicht mit Liebe. »Ich habe mich schon gewundert, wo du steckst.«

Er legte den Arm um sie und führte sie zum Sofa.

»Das Treffen ist ausgefallen«, begann sie. »Daphne …«

»Daphne war hier, um mich zu sprechen«, unterbrach er sie. »Hugo war auch dabei. Er meinte, dass sie einige Monate in Zürich verbringen würden. Kurz danach kam Tante Charlotte und erzählte mir in allen Einzelheiten von ihrem kleinen Plan. In Wirklichkeit ist er gar nicht so klein.« Er wischte ihr sanft mit den Fingerspitzen über die feuchte Wange. »Du hast geweint. Doch nicht wegen Daphne, hoffe ich?«

»Nein. Ich habe für einige Minuten bei Lacy gesessen. Sie fehlt mir.« Während sie sprach, fuhr Cecily sich mit den Händen durchs Gesicht, richtete sich dann auf und schenkte ihrem Mann ihr strahlendstes Lächeln.

Miles betrachtete sie. Mit achtundvierzig war sie immer noch schön. Sie hatte üppiges rotbraunes Haar, ungewöhnliche lavendelfarbene Augen und einen klaren Teint. Die wenigen Fältchen um ihre Augen bemerkte man kaum. Sie war seine Frau, seine Partnerin, seine Seelengefährtin und in vieler Hinsicht seine Retterin. Ohne sie wäre er verloren.

Er war fünfzig Jahre alt, hatte sich aber recht gut gehalten. Er hatte jetzt viele graue Haare und oft Ringe unter den Augen, und manchmal stand er kurz davor, vor Erschöpfung zusammenzubrechen. Aber fünfzig war schließlich fünfzig. Miles achtete sehr darauf, dass man ihm die Müdigkeit nicht anmerkte, obwohl er vermutete, dass die Frau, die er sein Leben lang geliebt hatte, es wusste. Cecily Swann. Das Mädchen, dem von Kindesbeinen sein Herz gehörte. Jetzt war sie Cecily Ingham, seine Frau. Es hatte immer nur sie gegeben. Seine kurze Ehe mit Clarissa, noch dazu eine erzwungene Ehe, hatte nur auf dem Papier bestanden. Gott sei Dank hatte er jetzt seine liebevolle und treue Cecily an seiner Seite!

Miles beugte sich dichter zu ihr vor und küsste sie auf die Stirn. »Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand dir vorwirft, Cavendon in ein kommerzielles Unternehmen verwandelt zu haben. Wir haben alle diese Entscheidung unterstützt, denn wir mussten es tun, um zu überleben und um all das hier zu retten.« Er machte eine ausholende Handbewegung auf das Fenster zu, die den gesamten Besitz umfasste.

»Hat Tante Charlotte dir gesagt, dass Daphne mir die Schuld daran gibt?«

»Ja, und wahrscheinlich gibt Daphne auch Dulcie die Schuld daran, dass sie ihre Kunstgalerie eröffnet hat, Harry, dass er fantastische Gärten angelegt hat, die die Besucher anziehen, ihrem Sohn Charlie, dass er einen fesselnden historischen Bestseller über uns geschrieben hat, der noch mehr Interessierte herbeilockt, und Paloma, dass sie über Harrys Gärten einen Bildband herausgebracht hat, der sich sehr gut verkauft und uns ebenfalls Geld einbringt. Aber ihr größter Vorwurf, davon bin ich fest überzeugt, trifft mich, ihren Bruder, den Siebten Earl: Denn ich habe zugelassen, dass all diese grässlichen Dinge geschehen.« Er lächelte sanft und schüttelte den Kopf. »Bitte, nimm dir ihre Worte nicht zu Herzen. Du hast uns gerettet, nicht uns zerstört. Und wir alle haben dich dabei unterstützt.«

»Oh, Miles, jetzt geht es mir gleich viel besser. Vorhin war ich ein wenig niedergeschlagen. Ich fürchte, Daphnes Einstellung macht mir schon das ganze letzte Jahr zu schaffen. Sie und Hugo waren … Nörgler, um es mal vorsichtig auszudrücken. Also, wie ist es, wirst du Tante Charlottes Vorschlag folgen und Miete für Little Skell Manor und Skelldale House verlangen?«

»Sie hat mich überredet, darüber nachzudenken.« Miles äußerte sich nur zurückhaltend.

Cecily nickte. »Sie können es sich beide leisten. James und Will sind wohlhabende Männer, und Diedre ist noch berufstätig.«

»Sie hat schon immer gern geholfen. Die beiden Häuser, in denen sie leben, werden von der Regierung im Rahmen der Erbschaftssteuer besteuert.«

»Dann hast du keine Wahl«, antwortete Cecily nachdrücklich.

Miles stand auf, ging zum Fenster und schaute auf das Moor hinaus. Es folgte ein langes Schweigen, bevor er schließlich zurückkehrte und sich neben Cecily setzte. Dann nahm er ihre Hand. »Daphnes Abreise wird in mancher Hinsicht eine Last für dich sein. Ich denke, wir müssen jetzt über die Probleme sprechen und dafür sorgen, dass sie gelöst werden.«

»Ich muss jetzt ständig in Cavendon sein und es allein führen, nicht wahr?«, entgegnete Cecily, der der ernste Ton in seiner Stimme nicht entgangen war.

»Das ist richtig, Liebling. Du musst die volle Verantwortung als Hausherrin übernehmen, schließlich bist du die Siebte Countess. Und du musst sämtliche Veranstaltungen der drei Dörfer organisieren und am Dorfleben teilnehmen.«

»Das habe ich im Lauf der Jahre schon oft getan«, wandte Cecily ein, deren Stimme eine Spur lauter geworden war. »Mir ist klar, dass Daphne immer an der Aufsicht über Cavendon Hall beteiligt war, vor allem wenn es darum ging, dass die Einrichtung der Räume den Anforderungen entsprach, dass das Haus auf Wasserschäden überprüft wurde und dass Listen von Arbeiten erstellt wurden, die erledigt werden mussten. Und sie hat Ted und Paul Swann auf dem Laufenden gehalten und auf Schäden aufmerksam gemacht.«

»Das ist keine schwierige Aufgabe, Ceci. Wir werden alle Familienmitglieder bitten, darauf zu achten. Ich fürchte, dass Daphne in gewisser Hinsicht übereifrig war, was den Erhalt des Anwesens betraf. Sie hatte ständig ein Auge auf die Schreinerwerkstatt und hat vor allem Paul im Nacken gesessen.«

»Ich weiß«, erwiderte Cecily. »Und wir dürfen nicht vergessen, dass Eric und Peggy nicht mit ihr nach Zürich gefahren sind.« Es lag ein sarkastischer Unterton in ihrer Stimme, als sie hinzufügte: »Sie leiten den Haushalt von Cavendon. Daphne tut das schon seit Jahren nicht mehr. Eric hat sich als würdiger Erbe des guten Hanson erwiesen. Er ist ein wunderbarer Butler, und Peggy Swift Lane ist eine ausgezeichnete Haushälterin. Es ist nicht nötig, dass ich ihnen ständig über die Schulter schaue.«

»Das stimmt. Aber du hast viel Zeit in London verbracht, und letzten Endes sollte die Countess regelmäßig hier sein.«

»Ich war geschäftlich in London, nicht um mich zu amüsieren!«

Er ergriff wieder ihre Hand und drückte sie. »Wir sollten nicht streiten. Wir müssen uns einen Plan zurechtlegen, wie du beides …«

Cecily unterbrach ihn energisch und sagte forsch und sachlich: »Ich werde lernen müssen zu delegieren, da ich mein Geschäft von hier aus werde führen müssen. Ich werde Tante Dottie und Greta Chalmers befördern. Ich bin mir sicher, dass sie es können. Sie werden beide mühelos größere Verantwortung für das Geschäft tragen können.«

»Und das würde dir nichts ausmachen?«

»Natürlich nicht. Ich muss tun, was praktisch ist.«

Seine Freude war nicht zu übersehen. Er strahlte Cecily an, und in seinen Augen lag das Funkeln, das so lange gefehlt hatte.

Cecily wurde schwer ums Herz. Miles wollte, dass sie ihre ganze Zeit als Countess in Cavendon Hall verbrachte. Es war nicht nur sein Wunsch, sondern eine Notwendigkeit. Aber als sie an die ernsten Probleme dachte, die sie mit ihrem Geschäft hatte, die Schulden und den Geldmangel, wurde ihr klar, dass es katastrophale Folgen haben konnte, wenn sie ihm weniger Zeit widmete. Sie war drauf und dran, sich Miles anzuvertrauen, doch dann überlegte sie es sich anders.

Sie würde in diesem Jahr nicht in der Lage sein, ihm Geld für Cavendon zu geben. Ihr Unternehmen schrieb rote Zahlen. Doch würde Cavendon ohne ihren Beitrag überleben? Sie war sich nicht sicher.

Jetzt dachte sie: Warum das Wochenende verderben? Ich werde am Montag mit Miles reden und ihm dann die schlechte Nachricht überbringen.

»Wir sollten zu Mittag essen gehen«, erklärte sie, stand auf und schenkte ihm ein liebevolles Lächeln. Aber ihr Herz war schwer vor Sorge, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ, denn sie wusste, dass Cavendon untergehen konnte.

Kapitel 3

Alicia Ingham Stanton, Lady Daphnes und Hugo Stantons ältestes Kind, betrachtete sich im Badezimmerspiegel und war erschrocken über ihr Aussehen. Ihre blauen Augen waren rot gerändert, darunter lagen dunkle Schatten. Ihr zarter rosig-weißer Teint war heute seltsam grau.

Aber es überraschte sie nicht, dass sie so schrecklich aussah. Charlie und sie hatten am vergangenen Abend viel zu viel Cognac getrunken, und später hatte sie nicht schlafen können. Jetzt, um sechs Uhr morgens, fühlte sie sich zu Tode erschöpft.

Ein kleiner Schauer überlief sie, als sie an den Abend dachte, den sie mit ihren Eltern und ihren Geschwistern verbracht hatte. Das Abschiedsessen im Savoy hatte gut angefangen, dann aber fast zu einem großen Streit geführt. Da sie die Einzige war, die das verhindern konnte, war sie aufgesprungen und hatte gedroht, auf der Stelle zu gehen. Charlie, der wusste, dass sie immer meinte, was sie sagte, hatte einen Rückzieher gemacht, und ihre Mutter hatte sofort den Mund gehalten.

Danach war es ihrem Vater gelungen, den bevorstehenden Sturm im Keim zu ersticken, und er hatte ein gewisses Maß an Frieden wiederhergestellt. Aber für Alicia war das Essen vor der Reise ihrer Eltern nach Zürich eine Katastrophe gewesen, verdorben durch die Verbitterung ihrer Mutter über Cavendon.

Alicia sah noch einmal in den Spiegel, nahm einen Waschlappen, ließ eiskaltes Wasser darauf fließen und drückte ihn sich auf die Wangen. Nachdem sie dies mehrmals wiederholt hatte, tupfte sie sich trocken und cremte sich dick mit Pond’s Creme ein.

Sie war nicht besonders eitel, was ihr Aussehen anging, doch sie wusste, dass sie darauf achten musste, da sie Filmschauspielerin war. Die Kamera konnte zaubern, aber sie brachte auch Mängel an den Tag. In zwei Wochen würde sie mit einem neuen Film beginnen und musste perfekt aussehen und in guter Verfassung sein.

Sobald sie wieder im Bett lag, deckte sie sich zu und war entschlossen, noch einige Stunden zu schlafen. Später wollte sie mit Charlie zu Mittag essen; daher musste sie ausgeruht und hellwach sein, bevor sie sich mit ihm traf.

Alicia gab ihrem Bruder keine Schuld an dem Debakel des vergangenen Abends. Die Verantwortung dafür trug ihre Mutter. Alle waren schockiert gewesen, Daphnes kritische Bemerkungen über Cecily zu hören, selbst ihr Vater. Charlie hatte sich natürlich wie üblich nicht zurückhalten können und hatte sich spontan zu einer lebhaften Verteidigung seiner Tante hinreißen lassen, bevor Alicia ihn hatte bremsen können. Wie immer war diese verbale Gegenwehr für ihre Mutter wie ein rotes Tuch gewesen. Charlie widersprach ihr schon, seit er klein war.

Obwohl es gerechtfertigt war, dachte Alicia jetzt. Charlie hatte recht daran getan, eine Frau zu verteidigen, die ihre Familie mehr als einmal vor einer Katastrophe bewahrt hatte. Ihre Mutter war im Unrecht gewesen, der Angriff unangebracht. Warum um alles in der Welt hatte sie das nur gesagt?

Obwohl Alicia mit keiner Menschenseele darüber gesprochen hatte, machte sie sich Sorgen, dass ihre Mutter krank war. In letzter Zeit waren ihr gewisse Kleinigkeiten aufgefallen. Ein gelegentliches Zittern in den Händen, ein Zögern, wenn sie versuchte, sich an etwas zu erinnern, eine Gereiztheit, die Alicia bei ihr noch nie zuvor erlebt hatte.

Kannte ihr Vater die Wahrheit? Verbarg er etwas vor ihnen? Vielleicht. Hugo würde seinen Kindern gegenüber nie etwas preisgeben, was seine Frau betraf. Er liebte seine Kinder, das wusste sie, doch das Wichtigste in seinem Leben war seine schöne Daphne. Er war immer ihr Ritter ohne Furcht und Tadel gewesen. So hatte es angefangen – es war Liebe auf den ersten Blick gewesen –, und seitdem war er verzaubert von ihrer Schönheit und ihrem Charme. Er liebte und unterstützte sie.

Plötzlich wurde Alicia klar, dass sie sich Charlie anvertrauen und ihm von ihren Sorgen um ihre Mutter erzählen sollte. Sie wusste, dass sie ihn auch von seinem Verhalten am vergangenen Abend freisprechen musste; sie musste ihm versichern, dass er recht gehabt hatte. Im Grunde war sie davon überzeugt, dass ihr Bruder noch immer wegen des Streits zornig war.

Mit ihren fünfunddreißig Jahren war Alicia vier Jahre älter als Charlie. Sie hatte ihn von klein auf beschützt und auf ihn aufgepasst. Sie waren unzertrennlich und wirkten mehr wie Zwillinge als ihre Geschwister Andrew und Thomas, die tatsächlich Zwillinge waren.

Das Schrillen des Telefons brach in ihre Gedanken ein, und sie griff nach dem Hörer. »Hallo?«

»Ich bin’s«, knurrte eine schroffe Männerstimme am anderen Ende der Leitung.

»Brin? Bist du das?«, rief sie.

»Wer würde dich sonst zu dieser unchristlichen Zeit anrufen?«

»Was ist los? Du klingst eigenartig.«

»Ich war die ganze Nacht auf und bin kurz vorm Umfallen. Ich komme rüber, okay?«

»Du hörst dich schrecklich an. Ich werde dich abholen. Wo bist du?«, fragte sie mit wachsender Besorgnis.

»Ich bin gerade von Jake Stafford los und aus dem Albany raus. Ich bin in der Piccadilly Street in einer Telefonzelle.«

»Das ist mir klar …«

»Sag, dass du mich reinlässt, oder willst du, dass man mich wegen vorsätzlichen Herumlungerns verhaftet?«

»Steig sofort in ein Taxi. Oh, hast du Geld?«

»Klar.«

»Ich werde warten.«

»Das will ich auch schwer hoffen.«

Dann war die Leitung tot. Einen Moment lang starrte Alicia den Hörer an, bevor sie ihn zurück auf die Gabel legte. In dem Jahr ihrer intensiven und leidenschaftlichen Liebesaffäre war so etwas noch nie vorgekommen. Zugegeben, er trank gern, aber er vertrug den Alkohol und verlor nie die Kontrolle. Jetzt klang er merkwürdig, als wäre ihm die Selbstbeherrschung abhandengekommen. Konnte es sein, dass er noch betrunken war?

Alicia sprang aus dem Bett, ging in die Küche und setzte Wasser für eine Kanne Kaffee auf. Dann eilte sie ins Schlafzimmer, zog einen seidenen Morgenmantel an und ging weiter ins Bad, um die Creme abzunehmen, sich das Gesicht zu waschen, die Zähne noch einmal zu putzen und das Haar zu bürsten. »Bereit für alles«, murmelte sie.

Als Alicia in die Küche zurückkehrte, stellte sie den Kessel mit dem kochenden Wasser beiseite und richtete ein Tablett her, wurde jedoch von der Türklingel unterbrochen. Sie wappnete sich und verließ den Raum, um Brin hereinzulassen, nicht sicher, was sie erwarten würde.

Sie nannte ihn Brin nach einem Lieblingsspielzeug aus ihrer Kindheit. Sein richtiger Name war Bryan MacKenzie Mellor, geboren vor einunddreißig Jahren in Edinburgh, Sohn einer schottischen Mutter und eines englischen Vaters. Er war ebenfalls Schauspieler, groß, gut aussehend und elegant, und galt als der zweitschönste Mann auf den Bühnen des West End. Der schönste war ihr Onkel James Brentwood, der immer noch als der größte Theaterstar aller Zeiten angesehen wurde.

Brin liebte seine Kleider aus der Savile Row, war stolz auf sein stilvolles Aussehen und normalerweise wie aus dem Ei gepellt.

Aber nicht heute Morgen, dachte sie, schockiert über den Anblick, der sich ihr bot. Er sah aus wie ein Stadtstreicher, wie jemand, der sich gerade aus der Gosse erhoben hatte.

Sein dunkelblauer Nadelstreifenanzug, ein vollkommenes Stück Schneiderkunst aus der Savile Row, war zerknittert, das Jackett fleckig. Eine blaue Seidenkrawatte baumelte aus einer Tasche; auf seinem weißen Hemd zeichneten sich dunkle Blutflecken ab, der Kragen war zerrissen. Dann bemerkte sie die Schnittwunde über seinem rechten Auge und die Prellungen auf der Wange, gerade eben sichtbar unter den Barstoppeln. Er taumelte gegen den Türpfosten, und es schien, als würde er gleich zu Boden sinken.

Alicia fasste ihn an den Armen und zog ihn in die Wohnung. Er stolperte und wäre beinahe gefallen, schaffte es jedoch irgendwie, sich aufrecht zu halten. Dann torkelte er zum Schlafzimmer und murmelte: »Bad.«

Alicia folgte ihm und wartete. Als er wieder ins Schlafzimmer kam, nahm sie ihn am Arm und sagte energisch: »Komm, Liebling, machen wir es dir bequem.«

Er ließ sich widerstandslos ins Wohnzimmer und zum Sofa führen und setzte sich mit einem Plumps hin. Als er in die weichen Kissen sank, ging ein Ausdruck der Erleichterung über sein Gesicht.

»Möchtest du ein Glas Wasser? Kaffee wäre vielleicht besser.«

»Whisky.«

»Kommt gar nicht infrage. Du riechst wie eine Brauerei.«

»Katerbier«, nuschelte er und versuchte zu lächeln, zuckte dann aber zusammen, und ein kleiner Schauer durchlief ihn.

»Hast du dich geprügelt, Brin?« Sie beugte sich vor und betrachtete die Schnittwunde über seiner Augenbraue und die Schwellung in seinem Gesicht. Die Verwirrung war ihr anzusehen.

Er schüttelte den Kopf, dann schloss er die Augen, und ein tiefer Seufzer entfuhr ihm.

Alicia ging in die Küche und brühte den Kaffee auf. Dann nahm sie ein frisches Brot aus dem Brotkasten. Nachdem sie eine dicke Scheibe abgeschnitten hatte, bestrich sie sie mit Butter, dann schälte sie eine Banane, schnitt sie in Scheiben und legte sie auf das Brot. Mit dem Tablett ging sie ins Wohnzimmer, stellte es auf einen niedrigen Tisch, beugte sich über Bryan und schüttelte ihn sanft.

»Trink den Kaffee. Er wird dir guttun, genau wie die Scheibe Brot.«

Mit einiger Anstrengung richtete er sich auf und nahm mehrere große Schlucke von dem starken Gebräu. »Ich habe Hunger«, sagte er. »Ich erinnere mich nicht daran, zu Abend gegessen zu haben.« Während er sprach, griff er nach dem Brot.

»Was ist gestern Nacht mit dir passiert?«, fragte sie und setzte sich in einen Sessel.

»Gar nichts. Männerabend – von einer Kneipe in die andere gezogen. Waren wohl zu viele Kneipen.« Dann aß er den Rest des Brotes.

»Wie bist du bei Jake Stafford gelandet?«

»Tony Flint und ich haben ihn dort hingebracht. Er war schlimmer dran als wir. Sturzbetrunken. Am Ende haben wir in seinem vornehmen Wohnzimmer auf den Sofas geschlafen, weil wir zu müde waren, um uns nach Hause zu schleppen.«

Sie nickte. »Geht es den beiden gut?«

»Sie waren fertig mit der Welt, als ich gegangen bin, aber am Leben.« Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen, und plötzlich trat ein belustigter Ausdruck in seine dunkelgrünen Augen, die ebenfalls blutunterlaufen waren, wie sie bemerkte.

»Tut mir leid, … dass ich in diesem Zustand herkomme, Alsi. Doch wo hätte ich sonst hingehen sollen?«

Sie setzte sich neben ihn aufs Sofa. »Du hast genau das Richtige getan. Ich bin nicht böse, ich mache mir nur Sorgen um dich.«

»Mir geht es gut, der Kaffee und das Brot helfen.« Er legte den Arm um sie und zog sie an sich.

Sofort verzog sie das Gesicht und prallte zurück. »Brin, du stinkst nach Bier, Whisky, Rauch und Schweiß. Los, ab unter die Dusche.«

Sie sprang auf und griff energisch nach seinem Arm. Auch jetzt leistete er keinen Widerstand, sondern ließ sich von ihr ins Schlafzimmer bugsieren, wo sie ihm aus den Kleidern half.

Als er endlich unter der Dusche stand, seufzte sie vor Erleichterung. Ihr war klar geworden, dass er nicht betrunken war, nur verkatert. Das war beruhigend, doch sein zerzauster Zustand passte gar nicht zu ihm. Er war so pingelig, was sein Aussehen anging, und so stolz auf seine elegante Kleidung. Sobald das Wasser abgedreht wurde, griff Alice nach einem großen Handtuch und reichte es ihm, als er aus der Dusche trat.

»Danke«, murmelte er. »Jetzt geht es mir besser.«

Sie nickte und ging ins Schlafzimmer, wo sie auf den Wecker auf dem Nachttisch schaute. Es war fast acht. Für sie lohnte es sich jetzt nicht mehr, ins Bett zu gehen. Sie hatte Charlie am vergangenen Abend versprochen, heute gegen elf Uhr bei ihm zu sein, um einige Kapitel seines neuen Buches zu lesen, und sie würde ihn nicht enttäuschen.

Als Alicia bemerkte, dass Brin hinter ihr stand, drehte sie sich um und sah ihn an. Sie war mit ihren eins achtundsiebzig recht groß, aber er war eins fünfundachtzig und hatte eine breite Brust. Er war ein kräftiger Mann ohne ein Gramm Fett auf den Rippen. Das Sonnenlicht, das jetzt durchs Fenster fiel, ließ sein rotblondes Haar aufleuchten, und als er sie an sich zog, waren seine Augen voller Zärtlichkeit. Sie stellte fest, dass die Schnittwunde über seiner Braue nichts Ernstes war.

»Lass uns ins Bett gehen«, murmelte er leise in ihr Haar.

»Ich kann nicht«, erwiderte sie. »Ich habe Charlie versprochen, ihm heute Morgen bei zwei Kapiteln zu helfen.«

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Brin auf die Wange. »Aber du solltest ein bisschen schlafen. Gleich hier.« Sie deutete auf das Bett. »Du hast gesagt, dass du das Wochenende mit mir verbringst.«

Er grinste. »Du stehst wegen gestern Abend in meiner Schuld … Du hast mich sitzen lassen, um mit deinen Eltern zu Abend zu essen anstatt mit mir.«

»Ein großer Fehler.«

Seine Augen wurden schmal. Er sah sie schnell an. »Probleme? Ich hoffe, es geht nicht um Charlie.«

»Wie gut du uns kennst! Aber er war es nicht schuld.« Sie nahm Brin an die Hand und führte ihn zum Bett. »Leg dich hin und schlaf. Ich komme zurück, sobald ich kann.«

Kapitel 4

Cecily Swann Ingham wusste, dass sie vor der größten Krise ihres Lebens stand.

Sie war mit ihrer Weisheit am Ende. Seit Tagen wälzte sie tausend Gedanken im Kopf, die sich um die immensen Probleme drehten, denen sie sich gegenübersah. Cavendon befand sich an einem absoluten Tiefpunkt, stand wirklich am Rande einer Katastrophe. Cecily dachte ständig, dass der leiseste Windhauch genügen würde, um das Haus vom Rand des Abgrunds zu wehen, an dem es gefährlich schwankte. Einmal pusten und weg, so einfach war das. Sie schauderte.

Ihr geliebtes Geschäft, die Konstante in ihrem Leben, ihre wichtigste Stütze, steckte in finanziellen Schwierigkeiten, und deswegen konnte sie Miles nicht helfen, die Steuern zu bezahlen und dadurch Cavendon zu retten. Es war ihr in der Vergangenheit oft gelungen, doch jetzt konnte sie ihm traurigerweise nicht mehr helfen.

Jedes Mal, wenn sie im Begriff gestanden hatte, sich ihm anzuvertrauen und ihm die bittere Wahrheit zu eröffnen, hatte sie den Mut verloren. Stattdessen hatte sie ihm einfach versprochen, jetzt als Siebte Countess von Mowbray ihre volle und gebührende Pflicht zu erfüllen.

Sie würde auf unbegrenzte Zeit in Cavendon Hall bleiben; sie würde nicht nach London fahren, um ihre Firma zu führen, sondern die Geschicke des Unternehmens aus der Ferne lenken. Sie würde die Aufgaben übernehmen, die ihre Schwägerin geschultert hatte. Daphne war fort. Cavendon befand sich jetzt in ihrer Obhut.

Falls Miles erwartet haben sollte, dass sie mit ihm darüber streiten oder einen Kompromiss aushandeln wollte, so würde er bald feststellen, dass ihre Einwilligung aufrichtig gewesen war und dass sie Wort halten würde.

Cecily war einverstanden gewesen, seinem Wunsch nachzukommen, weil sie realistisch genug war, um zu wissen, dass ihr in der Angelegenheit keine Wahl blieb. Das entsprach der Familientradition in den meisten Herrenhäusern. Die Countess herrschte. Sie würde die Speisefolgen für die Mahlzeiten erstellen und die Führung des Haushalts beaufsichtigen. Sie würde zu allen Dorfveranstaltungen in Little Skell, Mowbray und High Clough erscheinen. Sie würde die Gartenfeste in den drei Dörfern eröffnen und in den Dorfschulen Preise überreichen und sich im Women’s Institute engagieren.

Vor langer Zeit einmal hatte Emma Harte, mit der sie geschäftlich zusammenarbeitete und befreundet war, sie ermahnt, ihre Ehe nicht auf dem Altar des Ehrgeizes zu opfern. »Erst der Mann, dann das Geschäft«, hatte Emma sie angewiesen. »Und sei froh, dass du diese Möglichkeit hast. Manche Frauen mussten die schmerzliche Erfahrung machen, dass eine klingelnde Kasse ihnen nachts nicht den kalten Hintern wärmt.« Cecily lächelte vor sich hin, als sie durch den Park ging und an diese weisen Worte dachte.

Es war jetzt Mittwochmorgen und noch ziemlich früh, nicht einmal sieben Uhr. Cecily hatte sich aus dem Haus geschlichen, weil sie das Bedürfnis verspürt hatte, sich zu bewegen, frische Luft zu schnappen und einen klaren Kopf zu bekommen. Und nachzudenken. Miles wusste immer noch nichts von ihrem Dilemma, hatte keine Ahnung von ihrer Qual, ihrer lähmenden Verzweiflung. Zumindest wusste sie, wie man ein strahlendes Lächeln aufsetzte und so aussah, als wäre alles in Ordnung und unter Kontrolle.

Als sie sich umschaute, dachte sie unwillkürlich, wie schön Cavendon Park an diesem Morgen aussah. Die gewaltigen, weit ausladenden Bäume, mehrere Jahrhunderte alt, standen in vollem Laub und wirkten prachtvoll unter einem zartblauen Himmel, über den weiße Wolken huschten. Die Sonne schien zwar nicht, aber es lag auch kein Anzeichen von Regen in der Luft, und das Licht war glasklar.

Sie verzog das Gesicht, als sie weiterging und dachte, wie unwichtig das Wetter war, wenn sie sich um solch immense Probleme kümmern musste.

Das Schlimme war, dass sie für keines eine Lösung hatte, und das sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Zum ersten Mal seit Jahren war ihr Kopf vollkommen leer, ohne Inspiration oder einen Schlachtplan.

Ich kann einfach nicht mehr. Dieser schreckliche Gedanke ließ sie wie angewurzelt stehen bleiben. Was geschieht mit mir? In dem Moment sah sie die Tür zum Rosengarten; sie drückte sie auf, ging die Stufen hinunter und steuerte ihre Lieblingsbank an. Nachdem sie dankbar Platz genommen hatte, schloss sie die Augen.

Der Frieden des Gartens hüllte sie ein, der Duft der Rosen Balsam für ihre erschöpfte Seele. Wie hatte es so weit kommen können?, fragte sie sich und sah sofort die Antwort. Der Krieg. Der Krieg hatte nicht nur die Männer getötet, die Städte zerstört und das Britische Weltreich in Auflösung gestürzt, er hatte auch ihr Modeunternehmen und sogar ihre Konfektionslinie vernichtet. Kleidung wurde zwar seit Kurzem nicht mehr rationiert, doch zu den Tagen vor dem Krieg führte kein Weg zurück. Nur ihre Accessoires verkauften sich und das Parfüm, das den Namen Weiße Rose trug.

Viele andere Geschäfte waren genau wie ihr eigenes betroffen. Geld war knapp, sehr knapp. Die Leute kauften nicht. Ja, der Krieg, den sie gewonnen hatten, hatte in mehr als einer Hinsicht seinen Stempel hinterlassen. Das Land war ruiniert.

Das laute Flattern einer Schar Vögel, die sich in die Luft erhob, veranlasste Cecily aufzustehen. Sie sah sich um. Aber es war niemand da, nichts hatte die Tiere gestört. Sie hatten einfach beschlossen, die Bäume im Park zu verlassen. Sie wollte Cavendon auch verlassen. Aber sie konnte nicht.

Binnen Sekunden verwandelte sich der wild aufflatternde Schwarm wie von unsichtbarer Hand gelenkt in eine perfekt ausgerichtete Formation. Er bildete ein großes V und hielt wie ein Geschwader diese Position, während er auf das Moor zuflog, vollkommen symmetrisch, jeder Vogel an seinem Platz.

Ein Ausdruck des Erstaunens erschien auf ihrem Gesicht. Woher wissen sie, wie das geht?, wunderte sie sich. Nun, vielleicht haben sie es in den Genen. Das Wissen ist ihnen angeboren, wie man ein Geschwader bildet und wann man in wärmere Gebiete fliegen muss. Wie außerordentlich die Natur doch war!

Angeborenes Wissen.