Die Emma-Harte-Saga - Barbara Taylor Bradford - E-Book
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Die Emma-Harte-Saga E-Book

Barbara Taylor Bradford

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Beschreibung

Dieses eBook-Bundle umfasst die ersten drei Bände der Emma-Harte-Saga. Es ist die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau, die Anfang des 20. Jahrhunderts das mächtigste Kaufhausimperium Englands gründete. Eine epischen Familiensaga um Glanz und Glamour, die Versuchung der Macht, Intrigen und Verrat. Die beliebte Bestsellerautorin Barbara Taylor Bradford schreibt gewohnt fesselnd und stimmungsvoll über den beeindruckenden Aufbau des Harte-Imperiums, seine glanzvollen Zeiten und den späteren Kampf um seine Zukunft.

Band 1: Des Lebens bittere Süße

Die junge Emma Harte arbeitet bei den blaublütigen Farleys als Dienstmädchen. Unaufhaltbar verfällt sie einem der Söhne der Familie. Als sie ein Kind erwartet, sieht sie sich der Verachtung der aristokratischen Familie ausgesetzt. Um der Schmach zu entgehen, flieht sie in die Nachbarstadt und gibt ihrem Leben eine neue Wendung: Sie schwört sich, nie wieder von der Gunst eines Gönners abhängig zu sein. Sie will Reichtum - und Rache für die erlittenen Demütigungen.

Band 2: Bewahrt den Traum

Emma Harte ist eine der reichsten Frauen der Welt - und Oberhaupt eines streitsüchtigen Familienclans. Bei einem rauschenden Fest auf ihrem Landsitz zu ihrem achtzigsten Geburtstag möchte sie die Führung ihres glanzvollen Imperiums in jüngere Hände übergeben. Niemand scheint besser geeignet als ihre wunderschöne und temperamentvolle Enkelin Paula. Doch werden Emmas Kinder diese Entscheidung kampflos akzeptieren? Und kann sich Paula in dem Netz von Intrigen und Verrat behaupten? Unerwartet naht Hilfe - und die Chance auf die große Liebe ...

Band 3: Und greifen nach den Sternen

Reichtum, Intrigen, große Gefühle - das ist die Welt von Paula O`Neill. Sie ist Emma Hartes Erbin und damit Besitzerin einer exklusiven Kette von Warenhäusern. Ihr oberstes Ziel: Das geerbte Imperium vergrößern. Aber schon bald muss sie erfahren, wie schwer es ist, nach den Sternen zu greifen. Schließlich muss sie sich einem Kampf gegen ihren erbitterten Widersacher stellen - einem Kampf, der über die Zukunft des Harte-Imperiums entscheidet ...

Eine Saga voller Liebe, Intrigen und Leidenschaft - die Geschichte der Kaufhausdynastie von Emma Harte.

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Seitenzahl: 2699

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Inhalt

Cover

Weitere Titel des der Autorin

Über das Bundle

Über die Autorin

Titel

Impressum

Des Lebens bittere Süße

1. Teil Das Tal 1968

1

2

3

4

2. Teil Der Abgrund 1904 – 1905

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3. Teil Der Abhang 1905 – 1910

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4. Teil Die Hochebene 1914 – 1917

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5. Teil Der Gipfel 1918 – 1950

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6. Teil Das Tal 1968

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Mein Dank

Bewahrt den Traum

I Die Matriarchin

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II Die Erbin

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III Die Magnatin

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Verzeichnis der Personen

Und greifen nach den Sternen

Prolog

Liebende und Fremde

1

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Heilige und Sünder

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29

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Gewinner und Verlierer

Epilog

Weitere Titel des der Autorin

Die Emma-Harte-Saga:

Des Lebens bittere Süße

Bewahrt den Traum

Und greifen nach den Sternen

Und plötzlich reißt der Himmel auf

Ein Geschenk des Schicksals

Am Ende wartet die Liebe

Die Yorkshire-Saga:

Cavendon Hall – Zeiten des Verrats

Band 1: Des Lebens bittere Süße

Die junge Emma Harte arbeitet bei den blaublütigen Farleys als Dienstmädchen. Unaufhaltbar verfällt sie einem der Söhne der Familie. Als sie ein Kind erwartet, sieht sie sich der Verachtung der aristokratischen Familie ausgesetzt. Um der Schmach zu entgehen, flieht sie in die Nachbarstadt und gibt ihrem Leben eine neue Wendung: Sie schwört sich, nie wieder von der Gunst eines Gönners abhängig zu sein. Sie will Reichtum – und Rache für die erlittenen Demütigungen.

Band 2: Bewahrt den Traum

Emma Harte ist eine der reichsten Frauen der Welt – und Oberhaupt eines streitsüchtigen Familienclans. Bei einem rauschenden Fest auf ihrem Landsitz zu ihrem achtzigsten Geburtstag möchte sie die Führung ihres glanzvollen Imperiums in jüngere Hände übergeben. Niemand scheint besser geeignet als ihre wunderschöne und temperamentvolle Enkelin Paula. Doch werden Emmas Kinder diese Entscheidung kampflos akzeptieren? Und kann sich Paula in dem Netz von Intrigen und Verrat behaupten? Unerwartet naht Hilfe – und die Chance auf die große Liebe …

Band 3: Und greifen nach den Sternen

Reichtum, Intrigen, große Gefühle – das ist die Welt von Paula O‘Neill. Sie ist Emma Hartes Erbin und damit Besitzerin einer exklusiven Kette von Warenhäusern. Ihr oberstes Ziel: Das geerbte Imperium vergrößern. Aber schon bald muss sie erfahren, wie schwer es ist, nach den Sternen zu greifen. Schließlich muss sie sich einem Kampf gegen ihren erbitterten Widersacher stellen – einem Kampf, der über die Zukunft des Harte-Imperiums entscheidet …

Über die Autorin

Barbara Taylor Bradford verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England. Sie arbeitete als Journalistin, bevor sie im Alter von achtzehn Jahren begann, Kinderbücher zu schreiben. Schon bald folgten Romane, der Durchbruch gelang ihr mit »Des Lebens bittere Süße«. Seitdem hat sie fünfundzwanzig Bücher geschrieben, die allesamt Bestseller wurden. Sie widmet alle Werke ihrem Mann, mit dem sie in New York lebt.

Barbara Taylor Bradford

Die Emma-Harte-Saga

Band 1 bis 3

Aus dem Englischen von Frank Weyrich, Juscha Zoeller und Sonja Schleichert

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe von »Des Lebens bittere Süße«:

Copyright © 1979 by Barbara Taylor Bradford, Titel der englischen Originalausgabe: »A Woman of Substance«

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für die Originalausgabe von »Bewahrt den Traum«:

Copyright © 1985 by Barbara Taylor Bradford, Titel der englischen Originalausgabe: »Hold the Dream«

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für die Originalausgabe von »Und greifen nach den Sternen«:

Copyright © 1988 by Barbara Taylor Bradford, Titel der englischen Originalausgabe: »To be the Best«

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Für diese Ausgabe:Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © Shutterstock: Anthony Shaw Photography | Nikiparonak | Koryaprincess

E-Book-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 978-3-7325-8468-0

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Barbara Taylor Bradford

Des Lebens bittere Süße

Aus dem Englischen von Frank Weyrich und Juscha Zoeller

Der Wert des Lebens liegt nicht in der Länge der Zeit, sondern darin, wie wir sie nutzen. Ein Mensch mag lange leben und doch wenig erfahren. Es hängt nicht von der Zahl der Jahre ab, ob er im Leben Befriedigung findet, sondern allein von seinem Willen.

Montaigne, Essays

Ich habe das Herz eines Mannes, nicht das einer Frau. Und ich fürchte mich nie ...

Elizabeth I., Königin von England

1. TeilDas Tal1968

Er wandelt im Tal und erfreut sich seiner Kraft;Er geht weiter,um den Männern in Waffen entgegenzutreten.

Hiob

1

Emma Harte beugte sich vor und schaute aus dem Fenster. Der Lear Jet, Privateigentum der Sitex Oil Corporation von Amerika, war jetzt über der dunstigen Wolkendecke und raste nun durch einen blauen Himmel, dessen Helligkeit schmerzhaft in die Augen stach. Geblendet lehnte sich Emma zurück und schloss die Lider. Sekundenlang blieb die Bläue des Himmels hinter ihren Augenlidern gefangen. Plötzlich überfiel sie ein so starkes und unerwartetes Gefühl bittersüßer Sehnsucht, dass sie überrascht den Atem anhielt. Das ist der Himmel auf dem Gemälde von Turner, welches über dem Kamin im Wohnzimmer von Pennistone Royal hängt, dachte sie. Der Himmel von Yorkshire an einem Frühlingstag, wenn der Wind die Nebel über dem Moor vertrieben hat.

Ein feines Lächeln spielte um ihren schmalen Mund und verlieh ihren entschlossenen Zügen eine ungewohnte Sanftheit, als sie an Pennistone Royal dachte. Dieses große Haus über der rauen, öden Moorlandschaft erschien ihr immer wie eine Naturgewalt, erbaut von einem allmächtigen Architekten und nicht von einem Sterblichen. Es war der einzige Platz auf diesem von Gewalt beherrschten Planeten, wo sie Frieden gefunden hatte, unendlichen Frieden, der stets ihr Gemüt besänftigte und ihr neue Kraft gab. Ihr Heim. Diesmal war sie viel zu lange weg gewesen, fast sechs Wochen. Für Emma war das in der Tat sehr lange. Aber in der nächsten Woche würde sie nach London zurückkehren und Ende des Monats nach Norden reisen, nach Pennistone, zu Frieden und Ruhe, ihren Gärten und ihren Enkeln.

Dieser Gedanke erfüllte sie mit grenzenloser Freude, und sie machte es sich in ihrem Sitz bequem. Die Spannung, die sie in den letzten Tagen erfüllt hatte, wich allmählich von ihr. Sie seufzte leise, teils aus Schwäche, teils vor Erleichterung. Sie war wie gerädert von den üblen Kämpfen, die sie in den letzten Tagen während der Vorstandssitzungen der Sitex Corporation hatte durchstehen müssen. Darum war sie jetzt so erleichtert, dass sie Texas verlassen konnte und in die Ruhe ihres eigenen New Yorker Büros zurückkehren durfte. Nicht, dass sie Texas nicht gemocht hätte. Im Gegenteil, sie hatte immer eine starke Zuneigung zu diesem großen Staat gehabt, denn sie sah in seiner rauen Kraft eine gewisse Verwandtschaft zu ihrem heimatlichen Yorkshire. Aber diese letzte Reise hatte sie erschöpft. Ich werde zu alt, um dauernd mit dem Flugzeug in der Welt herumzureisen, dachte sie wehmütig. Dann aber verwarf sie diesen Gedanken, denn er war nicht ehrlich, und Emma Harte war niemals unehrlich zu sich selbst. In Wahrheit fühlte sie sich nicht alt. Sie war nur manchmal etwas müde, besonders dann, wenn sie sich über Narren ärgern musste. Harry Marriott, der Präsident der Sitex, war ein solcher Narr, und er war gefährlich wie alle Narren.

Emma öffnete die Augen und setzte sich ungeduldig auf. Ihre Gedanken kehrten zu den Geschäften zurück. Sie war unermüdlich und besessen, wenn sie an ihre weit verzweigten Unternehmungen dachte, und das tat sie fast immer. Sie schlug die Beine übereinander. Emma Harte hatte etwas Beherrschtes und Königliches an sich. Ihre grünen Augen waren kalt wie Stahl und strahlten eine enorme Kraft aus. Sie hob ihre schmale, kräftige Hand und strich sich mit einer automatischen Bewegung über das gepflegte, silberne Haar. Ebenso untadelig wie ihre Frisur war ihr schlichtes elegantes dunkelgraues Kleid aus Kammgarn, dessen Strenge durch den milchigen Glanz unvergleichlich schöner Perlen und durch die Smaragdnadel an ihrer Schulter gemildert wurde.

Sie blickte zu ihrer Enkelin, die ihr gegenüber saß und sorgfältig Notizen über die Termine in New York machte. Sie sieht erschöpft aus heute morgen, dachte sie. Ich belaste sie zu stark. Sie verspürte ein ungewohntes Schuldgefühl, aber sie schob diesen Gedanken ungeduldig zur Seite. Paula ist jung, sie hält das aus, und es ist das beste Training, das sie haben kann. Emma beruhigte sich und sagte: »Würdest du diesen netten, jungen Steward – John heißt er, nicht wahr? – bitten, mir eine Tasse Kaffee zu machen, Paula? Ich habe ihn heute Morgen dringend nötig.«

Das Mädchen schaute auf. Obwohl sie im eigentlichen Sinne des Wortes nicht schön war, war sie so lebensprühend und fesselnd, dass man sofort von ihr beeindruckt war. Ihr glattes Haar war pechschwarz mit einem auffälligen, dreieckigen Ansatz in der Mitte der Stirn. Das Gesicht war so klar und strahlend, als sei es aus einem geschliffenen Marmorstein gemeißelt. Dieses ovale Gesicht mit den ausgeprägt hohen Wangenknochen und den langen, geschwungenen Augenbrauen war offen und ausdrucksvoll. Das Kinn zeigte eine Andeutung von Emmas Energie. Das schönste aber waren die Augen. Sie waren groß, intelligent und so kornblumenblau, dass sie fast ins Violette hinüberspielten.

Sie lächelte ihre Großmutter hilfsbereit an und sagte: »Natürlich, Omi. Auch ich möchte gerne eine Tasse.« Sie stand auf. Ihr großer, schlanker Körper bewegte sich sehr anmutig. Sie ist so dünn, sagte Emma zu sich selbst, zu dünn für meinen Geschmack. Aber so war sie immer schon gewesen. Ich nehme an, sie ist so geschaffen. Als Kind war sie ein langbeiniges Fohlen, und nun ist sie ein rassiges Rennpferd. Eine Mischung aus Liebe und Stolz ließ Emmas Gesicht erstrahlen, und ihre Augen waren plötzlich voller Wärme, als sie dem Mädchen nachblickte. Sie war ihr Liebling, die Tochter ihrer Lieblingstochter Daisy.

Viele Träume und Hoffnungen Emmas konzentrierten sich auf Paula. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich zu ihrer Großmutter hingezogen gefühlt und auffallende Wissbegierde für die Familiengeschäfte gezeigt. Ihr größtes Vergnügen war es gewesen, mit Emma in ihr Büro zu gehen und bei ihr zu sitzen, wenn sie arbeitete. Als sie noch ein Teenager war, hatte sie ein derart treffsicheres Verständnis für verwickelte Zusammenhänge im Wirtschaftsbereich gezeigt, dass Emma immer wieder erstaunt war, denn keines ihrer eigenen Kinder hatte jemals eine ähnliche Begabung für geschäftliche Angelegenheiten bewiesen. Emma war insgeheim entzückt darüber, aber sie hatte ihre Enkelin stets mit einer gewissen Angst beobachtet und abgewartet, denn sie fürchtete, dass der jugendliche Enthusiasmus eines Tages nachlassen würde. Aber das geschah nicht, im Gegenteil, er wurde stärker. Mit sechzehn Jahren wies Paula den Vorschlag zurück, die Schulausbildung in der Schweiz zu beenden, und begann, für ihre Großmutter zu arbeiten. In den nächsten Jahren trieb Emma Paula schonungslos an. Sie behandelte sie härter und strenger als jeden anderen ihrer Angestellten und führte sie mit großer Ausdauer in alle Bereiche der Harteschen Unternehmungen ein. Jetzt war Paula dreiundzwanzig Jahre alt, und sie war so klug, so fähig und so viel reifer als die meisten Mädchen ihres Alters, dass Emma ihr kürzlich eine bedeutende Stellung in der Harte Organisation übertragen hatte. Sie machte Paula zu ihrer persönlichen Mitarbeiterin – sehr zur Bestürzung und zum Ärger ihres ältesten Sohnes Kit, der ebenfalls für ihre Organisation arbeitete. Als rechte Hand ihrer Großmutter war Paula mit den meisten organisatorischen und privaten Geschäften Emmas vertraut, und als sie es für richtig hielt, wurde Paula auch ihre rechte Hand in Dingen, welche die Familie betrafen, eine Situation, die Kit unerträglich fand.

Das Mädchen kehrte lachend aus der Bordküche zurück. Als sie in ihren Sitz glitt, sagte sie: »Er hatte schon Tee für dich gekocht, Omi. Ich nehme an, er glaubt wie alle anderen, dass die Engländer nur Tee trinken. Ich habe ihm aber gesagt, dass wir lieber Kaffee möchten. Das willst du doch, nicht wahr?«

Emma nickte gedankenverloren. »Gewiss, Liebling.« Sie griff nach ihrer Aktentasche, die auf dem Nebensitz lag, und nahm ihre Brille und einen Stapel Akten heraus, von dem sie Paula eine gab. »Bitte schau dir die Zahlen an. Sie betreffen das New Yorker Warenhaus. Es würde mich interessieren, was du davon hältst. Ich glaube, wir sind dabei, einen großen Schritt weiterzukommen. Wir machen Gewinn.«

Paula schaute sie aus klugen Augen an. »Das ging schneller, als du dachtest, nicht wahr? Du hast aber auch alles sehr gründlich umorganisiert. Das sollte sich jetzt auszahlen.« Sie öffnete interessiert die Akte und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Zahlenkolonnen. Sie hatte Emmas Begabung, eine Bilanz rasch zu lesen und dabei, fast mit einem Blick, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen. Sie hatte den Scharfsinn für geschäftliche Dinge von ihrer Großmutter geerbt.

Emma setzte ihre Hornbrille auf und nahm eine große blaue Akte, die Sitex Oil betraf. Als sie die Seiten rasch durchblätterte, huschte der Schatten eines grimmigen Lächelns über ihr Gesicht, und ihre Augen leuchteten zufrieden. Sie hatte gesiegt. Endlich, nach drei Jahren erbärmlicher Streitereien und Intrigen, wie sie sie noch nie erlebt hatte, war Harry Marriott seines Postens als Präsident der Sitex enthoben und in den Aufsichtsrat abgeschoben. Harry war draußen. Der neue Mann, ihr Mann, war nun an seiner Stelle, und die Sitex Oil war sicher. Aber ihr Sieg erfüllte sie nicht mit Freude, denn Emma freute sich nicht über den Sturz eines Menschen, und sie war nicht rachsüchtig.

Zufrieden darüber, dass die Papiere in Ordnung waren, steckte Emma Akte und Brille wieder in die Tasche, lehnte sich in den Sitz zurück und trank ihren Kaffee in kleinen Schlucken. Später nahm sie sich die Unterlagen ihres Pariser Warenhauses vor. Sie begann schon über die Änderungen nachzudenken, die dort vorzunehmen waren. Emma wusste, dass das Warenhaus dabei war, in Schwierigkeiten zu geraten, und ihr Mund zog sich erbittert zusammen, als sie sich auf die verdammten Zahlen konzentrierte.

Paula goss sich eine neue Tasse Kaffee ein und trank langsam, während sie ihre Großmutter aufmerksam betrachtete. Das ist das Gesicht, das ich mein Leben lang gesehen und geliebt habe, dachte sie. Ein Gefühl von Zärtlichkeit überkam sie. Man sieht ihr das Alter wahrhaftig nicht an, auch wenn sie anders darüber denkt.

Sie könnte leicht für eine Frau in den frühen Sechzigern gehalten werden. Paula wusste, dass das Leben ihrer Großmutter hart und häufig qualvoll gewesen war. Aber es war erstaunlich, wie frisch ihr Gesicht immer noch war. Als sie Emma anschaute, wurde Paula klar, dass es vor allem an der edlen Form ihres Kopfes lag. Sie bemerkte die zahlreichen Fältchen um Augen und Mund ihrer Großmutter, und auch die beiden tiefen Linien, die sich von den Nasenflügeln zum Kinn zogen. Aber sie sah auch, dass die Haut der Wangen noch fest war, und die grünen Augen, die so unerbittlich schauen konnten, waren nicht die wässrigen, zittrigen Augen einer alten Frau. Sie waren wach und wissend. Und doch spiegelt sich etwas von ihrem schweren Leben in diesem Gesicht wider, dachte sie, als sie den entschlossenen Mund und die Linien ihres Kinns ansah, die Freude am Kampf verrieten. Paula erkannte, dass ihre Großmutter sehr hart war und unnachgiebige Augen hatte, wie ein Basilisk. Und doch war ihr klar, dass dieses selbstherrliche Aussehen oft gemildert wurde durch verführerischen Charme, Sinn für Humor und frische Natürlichkeit. Und jetzt, da ihre Selbstdisziplin nachließ, sah sie ein verwundbares Gesicht, offen, zart und voller Weisheit.

Paula wusste, dass selbst diejenigen, die ihre Großmutter fürchteten, es kaum ableugnen konnten, dass sie eine Frau von großer Ausstrahlung war, und wenige konnten sich dem Zauber ihrer Persönlichkeit entziehen. Paula hatte ihre Großmutter nie gefürchtet, aber sie wusste, dass die meisten Mitglieder der Familie Angst vor ihr hatten, besonders ihr Onkel Kit. Paula erinnerte sich, wie entzückt sie damals war, als Onkel Kit sie mit Emma verglichen hatte. »Du bist genauso schlecht wie Großmutter«, hatte er gesagt, als sie sechs oder sieben Jahre alt war. Sie hatte nicht ganz verstanden, was er meinte, oder warum er das gesagt hatte, aber aus seinem Gesichtsausdruck hatte sie geschlossen, dass es ein Tadel war. Es war großartig, als so »schlecht wie Großmutter« bezeichnet zu werden, denn das bedeutete sicher, dass auch sie etwas Besonderes wie Großmutter war, und jeder sie fürchtete, so wie jeder ihre Großmutter fürchtete.

Emma schaute von ihren Papieren auf und unterbrach Paulas Gedanken. »Würdest du nach Paris fliegen, wenn wir New York verlassen, Paula? Ich glaube wirklich, ich muss einige Änderungen in der Verwaltung vornehmen, nachdem ich die Bilanzen durchgesehen habe.«

»Ich werde nach Paris fliegen, wenn du es willst, aber ich sage dir die Wahrheit. Ich hatte nämlich vor, einige Zeit in Yorkshire zu verbringen, Omi. Ich wollte dir vorschlagen, dass ich in den Warenhäusern im Norden nach dem Rechten sehe«, sagte Paula mit leichter, ungezwungener Stimme.

Emma war wie vom Donner gerührt und versuchte nicht, ihr Erstaunen zu verbergen. Sie nahm langsam die Brille ab und betrachtete ihre Enkelin interessiert. Das Mädchen wurde unter dem forschenden Blick verwirrt, und ihr blasses, elfenbeinfarbiges Gesicht errötete. Sie schaute zur Seite, senkte die Lider und murmelte: »Nun, du weißt, ich gehe dahin, wo ich am meisten gebraucht werde. Offensichtlich ist es Paris.« Sie saß sehr still und spürte, wie sehr sie ihre Großmutter mit ihrem Plan überrascht hatte.

»Warum bist du so plötzlich an Yorkshire interessiert?«, fragte Emma. »Es kommt mir vor, als ob da oben etwas von unheilvoller Faszination sei! Jim Fairley, nehme ich an«, fügte sie hinzu, womit sie andeutete, dass Paulas rasche Annahme ihres Vorschlags sie nicht hatte täuschen können.

Paula bewegte sich unruhig in ihrem Sitz und vermied den forschenden Blick ihrer Großmutter. Sie lächelte zögernd, errötete noch tiefer, und sagte abwehrend: »Lächerlich. Ich habe nur gedacht, es sei notwendig, in den nördlichen Warenhäusern Inventur zu machen.«

Emma dachte: Ich kann die Gedanken von Paula lesen wie ein Buch. Natürlich ist es Fairley. Laut sagte sie: »Ich weiß, dass du ihn siehst, Paula.«

»Nicht mehr!«, flüsterte Paula. Ihre Augen blitzten, und ihre Lippen bebten. »Ich habe schon vor Monaten aufgehört, mich mit ihm zu treffen!« Noch während sie sprach, bemerkte sie ihren Fehler. Ihre Großmutter hatte ihr eine Falle gestellt, und sie hatte etwas zugegeben, was sie sich geschworen hatte, niemals auszusprechen.

Emma lächelte, aber ihr Blick war stählern. »Sei nicht so aufgeregt. Ich bin nicht verärgert. In Wirklichkeit war ich es nie. Ich habe mich nur gewundert, warum du es mir nie erzählt hast. Du verheimlichst mir doch sonst nie etwas.«

»Erstens habe ich nichts gesagt, weil ich weiß, was du für die Fairleys empfindest. Rache! Und ich wollte dich nicht aus der Fassung bringen. Gott weiß, dass du genug Ärger in deinem Leben hattest, ohne dass ich dir noch mehr bereiten muss. Als ich aufhörte, mich mit ihm zu treffen, gab es keinen Grund mehr, die Sache zu erwähnen. Ich wollte dich nicht unnötig beunruhigen, das war alles.«

»Die Fairleys bringen mich nicht aus der Fassung«, zischte Emma. »Und falls du es vergessen haben solltest, Jim Fairley ist bei mir angestellt, meine Liebe. Ich hätte ihm kaum die Yorkshire Consolidatet Newspaper Company unterstellt, wenn ich kein Vertrauen in ihn gesetzt hätte.« Emma schaute Paula prüfend an und fragte neugierig: »Warum triffst du dich nicht mehr mit ihm?«

»Weil ich ... wir ... er ... weil«, fing Paula an und zögerte dann. Sie fragte sich, ob sie es wagen durfte fortzufahren. Sie wollte ihre Großmutter nicht verletzen. Aber in ihrer listigen Art hat sie die ganze Zeit von unserer Beziehung gewusst, dachte Paula. Das Mädchen holte tief Atem, und da sie wusste, dass sie in der Falle saß, sagte sie: »Ich habe ihn nicht mehr gesehen, weil ich fand, dass ich in Schwierigkeiten kommen würde. Falls ich ihn weiterhin getroffen hätte, hätte es mir schließlich nur Kummer gebracht und ihm auch, ebenso wie dir.« Sie schwieg und schaute zur Seite. Dann fuhr sie mit ruhiger Stimme fort: »Du weißt, dass du nie einen Fairley in der Familie geduldet hättest, Großmutter.«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte Emma sehr leise. So war das also, dachte sie. Plötzlich fühlte sie sich unaussprechlich schwach. Ihre Wangen schmerzten, und ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Sie sehnte sich danach, diese dumme und sinnlose Diskussion zu beenden. Emma versuchte Paula zuzulächeln, aber ihr Mund war trocken, und ihre Lippen wollten sich nicht bewegen. Ihr Herz zog sich zusammen, und sie war von einer schmerzenden Traurigkeit erfüllt, von der sie dachte, sie sei schon seit Jahren aus ihrem Herzen gewichen. Dann war die Erinnerung an ihn da, so klar, dass sie sich wie Säure in ihr Hirn einfraß, und ihr Gesicht veränderte sich so jäh, dass ihre Haut sich über den Wangenknochen spannte. Emma sah Edwin Fairley so lebendig, als ob er vor ihr stünde. Und in seinem Schatten stand Jim Fairley, sein Ebenbild. Edwin Fairley, sonst in ihrer Erinnerung kaum fassbar, war nun für immer eingefangen und festgehalten. All die Qual, die er ihr zugefügt hatte, war da, spürbar. Sie war so aufgewühlt, dass sie nicht sprechen konnte.

Paula beobachtete ihre Großmutter aufmerksam, und sie hatte Angst um sie, als sie den traurigen Ausdruck in diesem ernsten Gesicht sah. Emmas Augen blickten leer in den Raum, und ihre Lippen waren zu einer harten, bitteren Linie zusammengepresst. Alle Fairleys sollen verdammt sein, fluchte sie. Sie lehnte sich vor und nahm besorgt die Hand ihrer Großmutter. »Es ist vorbei, Omi. Es war nichts von Bedeutung. Ehrlich. Ich mache mir nichts daraus. Ich will nach Paris fliegen, Omi! Oh, Omi, meine Liebe, schau bitte nicht so. Ich kann das nicht ertragen.« Paula lächelte unsicher, betroffen, ängstlich und versöhnlich. Wut stieg in ihr auf, weil sie zugelassen hatte, dass ihre Großmutter in diese lächerliche Konversation verwickelt wurde, ein Gespräch, das sie monatelang vermieden hatte.

Nach einer Weile schwand der gequälte Ausdruck aus Emmas Gesicht. Sie gewann wieder Kontrolle über sich, indem sie ihren beachtlichen eisernen Willen zu Hilfe nahm, der die Wurzel ihrer Macht und Stärke war. »Jim Fairley ist ein guter Mann. Er ist anders als die übrigen ...«, begann sie. Sie wollte fortfahren und Paula sagen, dass sie ihre Freundschaft mit Jim Fairley fortsetzen könne. Aber es war ihr unmöglich. Sie konnte es nicht. Gestern war heute. Die Vergangenheit war unveränderlich.

»Sprechen wir nicht über die Fairleys. Ich sagte, dass ich nach Paris fliegen will«, beharrte Paula, indem sie die Hand der Großmutter fest drückte. »Du weißt es am besten, und vielleicht sollte ich in jedem Fall das Warenhaus überprüfen.«

»Ich denke, du musst hinüber, Paula, um zu sehen, was los ist.«

»Ich fliege, sobald wir nach London zurückkehren«, sagte Paula rasch.

»Ja, das ist eine gute Idee«, stimmte Emma zu. Sie war glücklich, dass Paula das Gesprächsthema gewechselt hatte, aber sie stand auch instinktiv unter Zeitdruck, wie immer in ihrem Leben. Zeit war für Emma eine kostbare Ware. Zeit hatte sie immer mit Geld gleichgesetzt, und sie wollte sie nun nicht verschwenden, indem sie in der Vergangenheit verweilte und schmerzvolle Ereignisse heraufbeschwor, die vor mehr als sechzig Jahren stattgefunden hatten.

Emma war immer in Eile, um vorwärtszukommen, und sagte nun: »Ich glaube, ich muss direkt ins Büro gehen, wenn wir in New York ankommen. Charles kann das Gepäck in die Wohnung bringen, wenn er uns abgesetzt hat. Ich bin besorgt wegen Gaye, verstehst du. Hast du etwas Besonderes bemerkt, als du mit ihr telefoniert hast?«

Paula saß zurückgelehnt in ihrem Sitz. Sie war wieder entspannt und ruhig, erleichtert darüber, dass das Thema Jim Fairley so rasch abgeschlossen war. »Nein, mir ist nichts aufgefallen. Was meinst du?«

»Ich könnte nichts Genaues sagen«, fuhr Emma gedankenvoll fort, »aber ich spüre instinktiv, dass etwas nicht stimmt. Sie klang während aller Gespräche so beunruhigt. Ich merkte es an dem Tag, als sie von London kam und mich bei der Sitex anrief. Ihre Stimme klang verändert, fandest du das nicht auch?«

»Nein. Allerdings hat sie auch meistens mit dir gesprochen, Großmutter. Ich glaube nicht, dass es mit den Geschäften in London Ärger gibt, nicht wahr?«, fragte Paula beunruhigt.

»Ich hoffe wirklich, dass dies nicht der Fall ist«, antwortete Emma. Es war ihr nicht möglich, die Besorgnis in ihrer Stimme zu verbergen. »Das hätte mir nach der Geschichte mit Sitex gerade noch gefehlt.« Sie trommelte mit den Fingern einen Augenblick lang auf den Tisch und sah dann aus dem Fenster. Ihre Gedanken waren wohl bei ihren Geschäften und ihrer Sekretärin, Gaye Sloane.

Mit ihrem scharfen, berechnenden Verstand erwog sie alles, was in London schiefgelaufen sein könnte, gab es dann aber auf. Alles Mögliche konnte geschehen sein, und es war sinnlos, Vermutungen anzustellen. Auch das war Zeitverschwendung.

Sie wandte sich an Paula und verzog das Gesicht. »Wir werden es früh genug erfahren, meine Liebe. Wir landen in Kürze.«

2

Die amerikanischen Büros der Harte Enterprises lagen über sechs Stockwerke verteilt in einem modernen Bürohaus in der Park Avenue. Wenn die englische Warenhauskette, die Emma vor Jahren gegründet hatte, das sichtbare Symbol ihres Erfolges war, so waren die Harte Enterprises der Kern. Es war eine gewaltige Organisation, die ihre Zweige über die halbe Welt ausstreckte. Sie kontrollierte Kleiderfabriken, Walkmühlen, Grundbesitz, eine Einzelhandelsgesellschaft in England und riesige Anteile an anderen wichtigen englischen Gesellschaften.

Als ursprüngliche Gründerin dieser Gesellschaft besaß Emma immer noch 100 Prozent der Anteile an den Harte Enterprises, und sie standen allein unter ihrer Kontrolle, ebenso wie die Warenhauskette, die ihren Namen trug. Es gab Filialen in Nordengland, London, Paris und New York. Harte Stores war eine Aktiengesellschaft. Emma besaß die Aktienmehrheit und war Verwaltungsratsvorsitzende. Zu dem vielfältigen Besitz der Harte Enterprises gehörten Grundstücke, Kleiderfabriken und Aktienanteile an anderen Industrien in Amerika.

Obwohl Harte Stores und Harte Enterprises ein Millionenvermögen darstellten, waren sie nur ein Teil ihres Besitzes. Neben einem Anteil von 40 Prozent der Aktien der Sitex Oil Corporation of America besaß sie in Australien Grundstücke, Erz- und Kohlengruben und die größte Schafzucht von New South Wales. In London kontrollierte sie eine kleine, aber sehr reiche Gesellschaft, die E. H. Incorporated, ihr privates Kapital und ihren Grundbesitz.

Es war Emma zur Gewohnheit geworden, mehrmals im Jahr nach New York zu reisen. Sie befasste sich aktiv mit allen Bereichen ihres Wirtschaftsimperiums, und obwohl sie ihren höchsten Angestellten kein eigentliches Misstrauen entgegenbrachte – denn sie vertraute auf ihr gesundes Urteilsvermögen, wenn sie jemanden auswählte –, so besaß sie doch die typische, misstrauische Wachsamkeit der Leute von Yorkshire. Es war ihr angeboren, nichts dem Zufall zu überlassen, und sie glaubte auch, es sei sehr wichtig, dass man sie von Zeit zu Zeit in New York wusste.

Jetzt, als der Cadillac, welcher sie am Kennedy Airport abgeholt hatte, vor dem Wolkenkratzer hielt, der die Büros ihrer Gesellschaft beherbergte, kehrten Emmas Gedanken zu Gaye Sloane zurück. Emma hatte Gayes Nervosität schon beim ersten Telefongespräch bemerkt, als sie von London angekommen war. Zunächst hatte sie geglaubt, sie sei auf den anstrengenden Transatlantikflug zurückzuführen, aber Gayes Unruhe hatte sich in den letzten Tagen eher verstärkt. Emma hatte das Zittern in Gayes Stimme bemerkt, ihre knappe Art und ihren offensichtlichen Drang, die Telefonate so schnell wie möglich zu beenden. Das verblüffte Emma nicht nur, sondern beunruhigte sie ernsthaft. Gaye verhielt sich völlig ungewöhnlich. Emma erwog die Möglichkeit, dass ihre Sekretärin persönliche Probleme habe. Aber sie verwarf diesen Gedanken wieder, da sie Gaye zu gut kannte. Instinktiv wusste Emma, dass sie ein geschäftliches Problem hatte, etwas, was von großer Bedeutung war und was sie aufs äußerste bewegte. Sie beschloss, das Gespräch mit Gaye an die erste Stelle ihrer Tagestermine zu setzen.

Emma fröstelte, als sie den Wagen verließen. Es war ein rauer Januartag, und obwohl die Sonne schien, blies ein scharfer Wind vom Atlantik. Sie konnte sich kaum an eine Zeit erinnern, in der sie nicht diese Eiseskälte im ganzen Körper gespürt hatte. Es war, als ob der Frost von ihr Besitz ergriffen hätte und ihr Blut gefroren war. Diese starre, quälende Kälte war während ihrer Kindheit in ihren Körper eingedrungen und hatte sie seitdem kaum verlassen – weder unter tropischer Sonne noch vor einem heißen Kaminfeuer, nicht einmal in den zentralgeheizten Räumen in New York, die sie gewöhnlich erstickend fand. Sie hustete, denn sie hatte sich vor der Abreise nach Texas erkältet, und diese Erkältung hatte sich in ihrer Brust festgesetzt, quälte sie mit einem trockenen Husten, der ständig wieder auftrat. Als sie in das Haus kamen, war Emma ausnahmsweise einmal dankbar für die Backofenhitze in ihren Büros. Sie fuhren mit dem Aufzug in das 30. Stockwerk, wo ihre eigenen Räume lagen. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich sofort mit Gaye spreche, allein«, sagte Emma, als sie den Aufzug verließen. »Du kannst inzwischen mit Johnston die Bilanzen des New Yorker Warenhauses prüfen«, schlug sie vor.

Paula nickte. »Gut. Ruf mich, wenn du mich brauchst, Großmutter. Ich hoffe, es ist alles in Ordnung.« Paula wandte sich nach links, als Emma zu ihrem eigenen Büro schritt.

Emma lächelte die Empfangsdame an und tauschte einige freundliche Grüße mit ihr, bevor sie die Doppeltür durchschritt, die in ihre persönliche Domäne führte. Sie schloss die Tür fest hinter sich, denn sie schätzte den amerikanischen Brauch nicht, die Türen der Arbeitszimmer offenzulassen. Sie empfand es störend, denn sie liebte die völlige Zurückgezogenheit. Sie warf ihren Tweedmantel und ihre Handtasche achtlos auf eines der Sofas und ging, immer noch die Aktentasche in der Hand, zu ihrem Schreibtisch. Er bestand aus einer riesigen Glasplatte auf einfachen, glatten Stahlfüßen und bildete den dramatischen Mittelpunkt in dem prachtvollen Büro. Von hier aus blickte sie in den weitläufigen, freundlichen Raum und zu einem riesigen Fenster, das sich über die ganze Wandbreite erstreckte und bis zur Decke reichte. Es gewährte einen Blick über die Skyline der Stadt. Emma hielt diesen Ausblick immer für ein lebendiges Gemälde von enormer Macht und Reichtum, für das Herz der amerikanischen Industrie.

Sie liebte ihr New Yorker Büro, obwohl es sich sehr von ihren Arbeitsräumen im Londoner Warenhaus unterschied, welches mit heiteren Antiquitäten aus der georgianischen Zeit gefüllt war, die sie seit langem bevorzugte. Hier war die Atmosphäre sachlich und modern, denn Emma hatte ein gutes Stilgefühl und war der Meinung, dass trotz ihrer Vorliebe für Möbel aus vergangenen Epochen, hier in dieser nüchternen Architektur aus Beton, Stahl und Glas ein solches Mobiliar nicht angebracht war. So hatte sie das Beste ausgesucht, was an modernem Design zu haben war. Stühle von Mies van der Rohe neben breiten, eleganten italienischen Sofas, alle mit dunklem Leder gepolstert, das sanft und geschmeidig wie Seide war. Es gab große Bücherschränke aus Stahl und Glas, und kleine Schränke aus glatt poliertem Rosenholz. Tischplatten aus italienischem Marmor waren auf Chromfüße gesetzt. Aber trotz dieser modernen Einrichtung war das Büro nicht streng oder kalt. Es hatte klassische Eleganz und war ein Zeugnis erlesenen Geschmacks. Es besaß in der Tat eine ruhige Schönheit, eine Sanftheit, die von den verschwommenen Farbtönen aus sich mischenden Blau- und Grautönen herrührte, welche sich über den Boden und die Wände ausbreiteten. Diese gedämpften Töne wurden hier und da durch leuchtendere Farben von Kissen und Sofas belebt. Unbezahlbare Gemälde französischer Impressionisten schmückten die Wände. Emmas Kunstverständnis bewies sich auch in Skulpturen von Henry Moore und Brancusi, und in den Tempelköpfen von Angkor Wat, die auf schwarzen Marmorsockeln im Raume standen. Das riesige Fenster war von hauchdünnen, blaugrauen Vorhängen bedeckt, die wie Nebelschwaden von der Decke fielen, und wenn sie, so wie jetzt, zurückgezogen waren, schien der Raum ein Teil des Himmels zu sein. Es war, als hinge er über den emporragenden Betonmonolithen von Manhattan.

Emma lächelte, als sie sich an den Schreibtisch setzte, denn Gayes Arbeit war klar erkennbar. Die große Glasplatte war ordentlich aufgeräumt, genauso, wie sie es liebte. Auf dem Schreibtisch befanden sich nur die Telefone, der silberne Halter für das Schreibgerät, der gelbe Block, den sie für Notizen benutzte und die praktische, metallene Schwenklampe, die den Tisch mit hellem Licht überflutete. Ihre Korrespondenz, Büronotizen und eine große Anzahl von Fernschreiben waren gesondert aufgestapelt. Die wichtigsten Notizen lagen zusammengeheftet neben den Telefonen. Sie nahm ihre Brille, las die Notizen und Fernschreiben, schrieb einige Bemerkungen darauf und läutete dann nach Gaye.

Im Augenblick, als sie eintrat, wusste Emma, dass ihre Befürchtungen nicht unbegründet waren. Gaye war verstört und hatte tiefe Ringe unter den Augen. Sie schien vor innerer Spannung zu zittern. Gaye Sloane war achtunddreißig Jahre alt und seit sechs Jahren Emmas erste Sekretärin, angestellt war sie bei ihr allerdings schon seit zwölf Jahren. Sie war ein Muster an Sorgfalt und Tüchtigkeit und Emma sehr ergeben. Sie bewunderte ihre Chefin nicht nur, sondern empfand auch starke Zuneigung für sie. Die große, gut gewachsene, attraktive junge Frau war stets zurückhaltend und ruhig und hatte sich gewöhnlich gut unter Kontrolle.

Aber als sie durch den Raum ging, bemerkte Emma, dass Gaye ihre Nervosität kaum verbergen konnte. Sie tauschten einige freundliche Worte, und Gaye setzte sich Emma gegenüber, ihren Notizblock hielt sie in der Hand.

Emma lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie nahm bewusst eine entspannte Haltung ein, um Gaye ein möglichst großes Gefühl der Ruhe zu vermitteln. Sie sah ihre Sekretärin freundlich an und fragte ruhig: »Was stimmt nicht, Gaye?«

Gaye zögerte etwas und sagte dann ziemlich rasch, bemüht, ihre Überraschung zu verbergen: »Warum? Nichts, Mrs. Harte. Wirklich, ich bin nur müde. Die Zeitverschiebung, denke ich.«

»Vergessen wir die Zeitverschiebung, Gaye. Ich glaube, Sie sind äußerst nervös, und das waren Sie, seit Sie in New York ankamen. Nun, kommen Sie, meine Liebe, erzählen Sie, was Sie bekümmert. Ist hier etwas, oder gibt es ein geschäftliches Problem in London?«

»Nein. Natürlich nicht!«, rief Gaye, aber sie erbleichte und schaute zur Seite, um Emmas ruhigem Blick auszuweichen.

Emma bemerkte es sofort. Sie straffte sich und lehnte sich vor. Ihre Arme lagen auf dem Schreibtisch, und ihre Augen glitzerten hinter der Brille. Sie spürte die unterdrückte Erregung der jungen Frau immer stärker und fühlte, dass Gaye etwas sehr Ernstes beunruhigte. Als sie sie weiter beobachtete, dachte sie, dass Gaye einem Zusammenbruch nahe war.

»Sind Sie krank, Gaye?«

»Nein, Mrs. Harte. Mir geht es sehr gut, danke.«

»Ist es etwas in Ihrem Privatleben, was Sie beunruhigt?« Emma fragte nun so geduldig, wie sie konnte. Sie war entschlossen, der Sache auf den Grund zu kommen.

»Nein, Mrs. Harte.« Gaye flüsterte nur noch.

Emma setzte die Brille ab und schaute Gaye lange und durchdringend an. Dann sagte sie lebhaft: »Los, los, meine Liebe! Ich kenne Sie zu gut. Irgendetwas bedrückt Sie, und ich verstehe nicht, warum Sie’s mir nicht sagen wollen. Haben Sie einen Fehler gemacht und fürchten Sie jetzt eine Erklärung? Sicher nicht nach all den Jahren. Niemand ist unfehlbar, und ich bin nicht das Ungeheuer, für das man mich hält. Vor allem Sie sollten das inzwischen wissen.«

»Oh, das weiß ich, Mrs. Harte ...« Die Stimme erstickte. Sie war den Tränen nahe. Ihr Herz klopfte immer heftiger, und sie glaubte, es würde zerspringen.

Die Frau, die Gaye gegenüber saß, hatte sich völlig in der Gewalt. Und sie war kein Schwächling. Gaye wusste das nur zu gut. Sie war widerstandsfähig und elastisch. Eine unbeugsame Frau, die ihren ungeheuren Erfolg allein durch ihren hervorragenden Charakter und ihre Willensstärke errungen hatte. Außerdem war sie in geschäftlichen Dingen einfallsreich und scharfsinnig. Für Gaye war Emma so unverwüstlich wie Stahl, der nicht zerbrochen werden kann. Aber ich bin dabei, sie zu zerbrechen, dachte sie, und wieder wurde sie von Panik ergriffen.

Emma hatte Gaye sorgfältig beobachtet und mit ihrem Scharfblick die Empfindungen bemerkt, die sich im Gesicht ihrer Sekretärin widerspiegelten. Sie hatte mit Unruhe das Zucken der Muskeln und die Furcht in ihren Augen gesehen. Emma stand entschlossen auf und ging zum Barschrank, goss Kognak in ein Glas und brachte es Gaye.

»Trinken Sie das, meine Liebe. Dann fühlen Sie sich besser«, sagte sie und streichelte teilnahmsvoll Gayes Arm.

Gaye traten Tränen in die Augen, und ihre Kehle schmerzte. Der Kognak war stark und brannte in ihrem Hals, aber sie war dankbar dafür. Sie trank in kleinen Schlucken und erinnerte sich daran, wie freundlich Emma in all den Jahren zu ihr gewesen war. In diesem Augenblick wünschte sie sich sehnlichst, dass nicht sie es sein müsste, die diese Neuigkeiten mitzuteilen hatte. Gaye war klar, dass es Leute gab, die Emma als unbeugsamen Gegner kannten, die sie für zynisch, raffgierig, listig und skrupellos hielten. Andererseits wusste Gaye, dass sie mit ihrer Zeit und ihrem Geld großzügig umging und ein mitfühlendes Herz hatte. So wie sie jetzt voller Verständnis war. Vielleicht war Emma willensstark und herrisch, sogar machtbesessen. Aber sicher hatte das Leben sie so geformt. Gaye hatte zu Emmas Kritikern immer ehrlich gesagt, dass unter allen Wirtschaftsbossen ihrer Größe Emma Harte die einzige war, die Mitleid hatte, die gerecht, mild und unendlich freundlich war.

Schließlich merkte Gaye, dass ihr Schweigen schon zu lange dauerte und dass Emma sie fest anschaute. Sie stellte das Glas auf den Schreibtisch und lächelte Emma schwach an. »Danke, Mrs. Harte. Ich fühle mich besser.«

»Gut. Nun, Gaye, warum vertrauen Sie mir nicht? So schlimm kann es doch gar nicht sein.«

Gaye war wie gelähmt, unfähig zu sprechen.

Emma lehnte sich vor. »Schauen Sie mich an, hat es etwas mit mir zu tun?« Ihre Stimme war ruhig und fest.

Diese Ruhe gab Gaye anscheinend etwas mehr Vertrauen. Sie nickte mit dem Kopf und wollte schon sprechen, aber als sie den Blick in Emmas Augen sah, verließ sie erneut der Mut. Sie schlug die Hände vors Gesicht und schrie unwillkürlich: »O Gott! Wie kann ich Ihnen das sagen!«

»Heraus damit, Gaye!«, sagte Emma fest. »Wenn Sie nicht wissen, wo Sie anfangen sollen, beginnen Sie einfach in der Mitte. Aber reden Sie. Es ist oft der beste Weg, über unangenehme Dinge zu sprechen, und ich vermute, dass es etwas Unangenehmes ist.«

Gaye nickte und begann zögernd, bemüht, die Tränen zurückzuhalten, in abgehackten Sätzen zu sprechen. Ihre Hände zitterten nervös, und ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie sprach stoßweise, jetzt wollte sie alles sagen und so rasch wie möglich mit ihrer Erzählung fertig werden. Es würde eine Erleichterung sein, denn schon seit Tagen quälte sie sich.

»Es war die Tür ... Ich erinnerte mich ... Ich ging zurück ... Ich hörte sie sprechen ... Nein schreien ... Sie waren wütend ... stritten sich ... Sie sagten ...«

»Einen Moment, Gaye.« Emma hob die Hand, um ihre zusammenhanglose Wortflut zu stoppen. »Ich möchte Sie nicht unterbrechen, aber können Sie vielleicht versuchen, etwas deutlicher zu sein. Ich weiß, Sie sind aufgeregt. Aber reden Sie langsamer und beruhigen Sie sich. Welche Tür?«

»Entschuldigung.« Gaye holte tief Atem. »In London. Die Tür des Aktenzimmers, die in den Sitzungssaal führt. Ich hatte letzten Freitagabend vergessen, sie zu schließen. Ich verließ gerade das Büro, als mir einfiel, dass ich das Tonbandgerät nicht abgeschaltet hatte. Dabei erinnerte ich mich an die Tür. Ich ging zu meinem Büro zurück, denn ich wollte am Samstagabend nach New York fliegen. Ich öffnete die Tür auf meiner Seite und ging durch das Aktenzimmer, um die Tür am anderen Ende zu schließen.«

Während Gaye sprach, sah Emma vor ihrem geistigen Auge das Aktenzimmer in dem Stockwerk des Londoner Warenhauses, wo die Büros der leitenden Angestellten lagen. Es war ein langer, enger Raum, in dem auf beiden Seiten Aktenschränke bis zur Decke standen. Vor einem Jahr hatte Emma einen Durchbruch zum Sitzungssaal machen lassen. Auf diese Weise war es leichter, während der Sitzungen an notwendige Dokumente heranzukommen. Außerdem verband nun das Aktenzimmer den Sitzungssaal direkt mit den Büros der leitenden Angestellten, und man konnte auf diese Weise viel Zeit sparen.

Eine böse Ahnung schnürte Emma die Kehle zu. Gaye hatte offensichtlich eine äußerst wichtige Unterredung gehört, sonst hätte sie nicht so erschrocken reagiert. Unzählige Fragen beschäftigten Emmas Gedanken, aber sie drängte sie zurück. Sie nickte ihrer Sekretärin zu und bat sie fortzufahren.

»Ich weiß, dass Sie besonders darauf achten, dass diese Tür geschlossen ist, Mrs. Harte. Als ich von meinem Büro aus durch das Aktenzimmer ging, bemerkte ich, dass die Türe nicht nur unverschlossen, sondern auch geöffnet war ... angelehnt. Da hörte ich sie ... durch die Türspalte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich fürchtete, sie würden mich hören, wenn ich die Türe schließen und absperren würde. Ich wollte nicht, dass jemand dachte, ich hätte gelauscht. So blieb ich einen Moment stehen und machte das Licht aus. Dann würde niemand wissen, dass ich im Aktenzimmer war. Mrs. Harte, ich ...« Gaye hielt inne und schluckte.

»Weiter, Gaye. Es ist schon in Ordnung.«

»Ich habe nicht gelauscht, wirklich nicht, Mrs. Harte. Sie wissen, dass ich nicht so bin. Es war reiner Zufall ..., dass ich sie gehört habe, meine ich. Ich hörte, wie sie sagten ... sagten ...«

Gaye hielt wieder inne. Sie zitterte am ganzen Körper, und ihr Mund fühlte sich plötzlich trocken an. Sie sah Emma an, die kerzengerade in ihrem Stuhl saß. Ihr Gesicht war eine undurchdringliche Maske.

»Ich hörte sie sagen, nein, einen von ihnen sagen, dass Sie zu alt sind, um die Geschäfte zu führen. Dass es schwierig werden würde, zu beweisen, Sie seien senil und unfähig, aber dass Sie mit einem Rücktritt einverstanden sein würden, um einen Skandal zu vermeiden und eine Katastrophe mit den Harte-Aktien an der Londoner Börse zu verhindern. Darüber disputierten sie. Dann sagte der, der am meisten redete, dass die Warenhäuser verkauft werden müssten, und das sei nicht schwierig, da einige Gesellschaften an einer Übernahme interessiert seien. Er sagte weiter, dass Harte Enterprises stückweise verkauft werden können ...« Gaye zögerte und schaute Emma an, um ihre Reaktion festzustellen. Aber Emmas Gesicht war immer noch unergründlich.

Die Sonne kam hinter grauen Wolken hervor und schien in das Zimmer. Sie warf eine Flut von hellem Licht in den Raum, das hart und unerbittlich war. Sie ließ Stahl, Glas und Marmor mit so gewaltiger Kraft aufleuchten, dass der Raum auf Emma plötzlich fremd, unrealistisch und erschreckend wirkte. Das brennende Licht schien in Emmas Hirn einzudringen. Sie blinzelte und schützte die Augen mit der Hand.

»Würden Sie bitte den Vorhang schließen, Gaye«, murmelte sie heiser.

Gaye eilte durch den Raum und drückte einen Knopf. Die Vorhänge schlossen sich mit leisem Rascheln, und die durchdringende Helligkeit wurde sanft gemildert. Sie kehrte zu ihrem Stuhl zurück und schaute Emma an. Dann fragte sie teilnehmend: »Geht es Ihnen auch gut, Mrs. Harte?«

Emma hatte auf ihren Schreibtisch gestarrt. Langsam hob sie den Kopf und schaute mit leeren Augen zu Gaye hinüber. »Ja. Bitte, fahren Sie fort. Ich möchte alles wissen. Und ich bin vollkommen sicher, dass es noch mehr zu wissen gibt.«

»Ja, das stimmt. Der andere sagte, es sei nutzlos, jetzt mit Ihnen zu kämpfen, sei es persönlich oder per Gesetz. Sie könnten nicht mehr viel länger leben, Sie seien alt, sehr alt, fast achtzig Jahre. Und der andere meinte, Sie seien so zäh, dass man Sie am Ende erschießen müsse.« Gaye hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Tränen traten ihr in die Augen. »Oh, Mrs. Harte. Es tut mir so entsetzlich leid.«

Emma saß so still, als wäre sie aus Stein gemeißelt. Ihre Augen waren plötzlich kalt und berechnend. »Sagen Sie mir, wer diese beiden Herren waren? Wohlgemerkt, diese Bezeichnung bedeutet nichts«, fügte sie mit bitterem Sarkasmus hinzu. Bevor Gaye eine Möglichkeit hatte, Emmas Frage zu beantworten, wusste Emma tief in ihrem Innern genau, wen Gaye verdammen würde, wenn sie den Mund auftat. Und doch glaubte sie irgendwie noch nicht daran, hoffte immer noch. Sie musste es aus Gayes Mund hören, um es wirklich glauben zu können, um ihren eigenen, vernichtenden Verdacht als Tatsache hinnehmen zu können.

»O Gott, Mrs. Harte! Ich wollte, ich müsste Ihnen das nicht sagen!« Sie holte tief Atem. »Es waren Mr. Ainsley und Mr. Lowther. Sie begannen wieder zu streiten, und Mr. Lowther meinte, man müsse die Mädchen auf der Seite haben. Mr. Ainsley sagte, die Mädchen seien auf ihrer Seite und er habe bereits mit ihnen gesprochen. Aber er habe nicht mit Mrs. Amory gesprochen, da sie niemals zustimmen würde. Er sagte, man dürfe unter keinen Umständen mit ihr reden, denn sie würde Ihnen sofort alles berichten. Mr. Lowther meinte erneut, man könne die Geschäfte nicht übernehmen, solange Sie am Leben seien. Er sagte Mr. Ainsley, dass ihnen das nie gelingen würde, weil sie nicht die Macht dazu hätten. Auch besäßen sie zusammen nicht genug Aktien, um die Kontrolle zu übernehmen. Er sagte, man müsse warten, bis Sie tot seien. In diesem Punkt war er unnachgiebig. Außerdem sagte er zu Mr. Ainsley, dass er selbst ein Anrecht auf die Hauptanteile der Harte-Kette habe und dass er sicher sei, Sie würden ihm diese Aktien vererben. Er informierte Mr. Ainsley darüber, dass er beabsichtige, die Harte-Kette zu führen, und er niemals einem Verkauf der Warenhäuser zustimmen würde. Mr. Ainsley war wütend, fast hysterisch, und begann, Mr. Lowther furchtbar anzuschreien. Aber Mr. Lowther konnte ihn schließlich beruhigen, indem er sagte, er stimme dem Verkauf der Harte Enterprises zu. Das würde Mr. Ainsley all die Millionen einbringen, die er haben wollte. Dann fragte Mr. Ainsley, ob Mr. Lowther wisse, was in Ihrem Testament steht. Mr. Lowther verneinte dies, aber er war der Meinung, Sie würden zu allen fair sein. Er drückte seine Besorgnis wegen Paula aus, weil sie mit Ihnen so vertraut ist. Er sagte, er ahne nicht, was sie Ihnen bereits abschwatzen konnte. Das regte Mr. Ainsley wieder auf, und er sagte, man müsse einen Aktionsplan aufstellen, einen der nach Ihrem Tod sofort wirkungsvoll angewendet werden könne in dem Fall, dass Ihr Testament sie nicht begünstigen würde.«

Gaye hielt atemlos inne. Sie saß auf dem Rand ihres Stuhles und fühlte sich krank, obwohl jetzt, da sie ihre Geschichte erzählte, das grässliche Zittern plötzlich aufgehört hatte. Sie war vollkommen ruhig. Aber sie fühlte sich erschöpft und leer, als sie Emma erwartungsvoll ansah.

Emma war unfähig zu sprechen, sich zu bewegen oder zu denken, so niedergeschmettert und erschüttert war sie. Der Raum, vor wenigen Augenblicken noch in gedämpftes Sonnenlicht gehüllt, hatte sich während Gayes Erzählung verdunkelt, und die warme Luft, diese erstickende Luft, war kalt geworden wie in der Arktis. Als sie über Gayes Worte nachsann, stieg ihr das Blut in den Kopf, und Mattigkeit überfiel sie. Sie war vernichtet, ohne Bindung, und fühlte in ihrem Körper eine bleierne, betäubende Müdigkeit.

Ihr Herz, ihr müdes Herz, klopfte unruhig, und es schien Emma, dass es in diesem Augenblick zu einem kalten, harten Stein wurde. Eine ungeheure Qual überwältigte sie. Es war die Qual der Verzweiflung, die Qual über den Verrat. Ihre beiden Söhne intrigierten gegen sie. Robin und Kit. Halbbrüder, die sich nie vertragen hatten, waren nun im Verrat Partner geworden. Sie konnte es nicht glauben und war entsetzt, als sie dachte: Allmächtiger Gott! Das ist nicht möglich. Das kann nicht möglich sein. Nicht Kit. Nicht Robin. Sie könnten nie so korrupt und raffgierig sein. Niemals. Nicht meine Jungen! Aber irgendwo im tiefsten Innern ihrer Seele und ihrer Gedanken wusste sie, dass es wahr war. Und diese Qualen in ihrem Herzen, ihrer Seele und ihrem Körper wurden von einer so eiskalten Wut abgelöst, dass ihr Verstand wieder glasklar wurde. Sie sprang auf. Schwach, fern, hörte sie Gayes Stimme, als käme sie aus einer tiefen Höhle.

»Mrs. Harte! Mrs. Harte! Sind Sie krank?!«

Emma lehnte sich über den Schreibtisch. Ihre Finger krallten sich um die Tischplatte, und ihr Gesicht war verzerrt. Ihre Stimme war leise, fast nur ein Zischen, als sie fragte: »Sind Sie Ihrer Sache ganz sicher, Gaye? Ich zweifle nicht an Ihren Worten, aber sind Sie sicher, dass Sie alles richtig gehört haben? Sie wissen, wie ernst das ist, was Sie erzählt haben! Darum denken Sie sorgfältig nach.«

»Mrs. Harte, ich bin absolut sicher über alles, was ich gesagt habe«, antwortete Gaye ruhig. »Außerdem habe ich nichts hinzugefügt oder weggelassen. Ich habe auch nicht übertrieben.«

»War das alles?«

»Nein, es gibt noch mehr.« Gaye nahm ihre Handtasche. Sie öffnete sie und nahm ein Tonband heraus, das sie vor Emma auf den Tisch legte.

Emma betrachtete das Band mit schmalen Augen. »Was ist das?«

»Es ist eine Aufnahme von allem, was gesprochen wurde, Mrs. Harte. Was gesprochen wurde, bevor ich das Aktenzimmer betrat und die ersten Sätze, die ich hörte, fehlen.«

Emma schaute sie verständnislos an. Ihre Augenbrauen waren hochgezogen, und zahlreiche Fragen lagen ihr auf der Zunge. Aber bevor sie fragen konnte, gab Gaye eine genauere Erklärung ab.

»Mrs. Harte, das Tonbandgerät war eingeschaltet. Darum bin ich doch in mein Büro zurückgegangen. Als ich in das Aktenzimmer ging und sie sprechen hörte, war ich einen Augenblick lang verwirrt. Ich machte das Licht aus, damit sie nicht hereinkamen und mich entdeckten. Da sah ich das rote Licht an dem Gerät blinken, und ich ging hin, um es abzuschalten. Aber plötzlich kam mir der Gedanke, das Gespräch aufzunehmen, da ich die allgemeine Tendenz erkannte und mir die ganze Bedeutung klar wurde. Ich drückte also den Aufnahmeknopf. Alles, was von diesem Augenblick an gesagt wurde, ist auf dem Band festgehalten.«

Emma hatte das unwiderstehliche Bedürfnis, laut loszulachen, ein bitteres, hohles Lachen. Sie widerstand diesem Impuls, damit Gaye sie nicht für verrückt oder hysterisch hielt. Diese Narren, diese Obernarren!, dachte sie. Welche Ironie des Schicksals! Sie hatten ihren eigenen Sitzungssaal benutzt, um gegen sie zu intrigieren. Das war ihr erster und entscheidender Fehler. Ein Fehler, der nicht mehr gutzumachen war. Kit und Robin waren zwar Direktoren der Harte Enterprises, aber nicht im Vorstand der Warenhaus-Kette. Sie kamen nicht zu den Vorstandssitzungen und wussten daher auch nicht, dass sie kürzlich Geräte hatte aufstellen lassen, um die Protokolle aufzunehmen. Sie dienten der Zeitersparnis und machten Gaye frei für andere Aufgaben. Sie brauchte nur noch, wenn es notwendig war, die Protokolle abzuschreiben. Die Mikrophone befanden sich unter dem Tisch des Sitzungssaales. Sie waren aus ästhetischen Gründen versteckt, nicht aus Geheimniskrämerei, denn sie hätten nicht zu dem eleganten Raum gepasst mit seinen georgianischen Antiquitäten und den kostbaren Gemälden. Emma schaute auf das Band, das auf dem gläsernen Tisch lag. Für sie war es etwas Böses, es lag da wie eine zusammengerollte, giftige Schlange. Sie schauderte und setzte sich hinter den Tisch. Sie ließ dieses kleine, heimtückische Band nicht aus den Augen, denn es war das Instrument der Vernichtung, des Ruins ihrer Söhne.

»Ich nehme an, Sie haben das Band abgehört, Gaye?«

»Ja, Mrs. Harte. Ich wartete, bis sie gegangen waren, und dann habe ich es abgespielt. Ich nahm es am Freitag mit zu mir nach Hause, und ich habe es seitdem nicht mehr aus den Augen gelassen.«

»Ist noch mehr darauf? Mehr als Sie bereits berichtet haben?«

»Etwa zehn Minuten. Sie sprachen über ...«

Emma hob die Hand, aufs äußerste erschöpft, unfähig, noch mehr von diesem entsetzlichen Gespräch zu hören. »Es ist gut, Gaye. Ich höre es mir später an. Ich weiß schon genug!«

Sie stand auf und ging durch den Raum zum Fenster, aufrecht und gefasst, obwohl ihre Schritte langsam und schleppend waren. Sie schob die Vorhänge etwas auseinander, presste den schmerzenden Kopf gegen das Fenster und schloss die Augen. Sie dachte an ihre beiden Söhne, an alle ihre Kinder, aber am meisten an ihren geliebten Robin. Robin, der ihr Feind geworden war, nachdem sie vor ein paar Jahren wegen eines Anliegens wegen der Übernahme der Warenhäuser in Streit geraten waren. Es war ein Anliegen, das wie ein Blitz aus heiterem Himmel kam und das sie nicht diskutieren wollte, geschweige denn in Erwägung ziehen. Als sie sich weigerte, mit dem betreffenden Konzern zu verhandeln, hatte er sie furchtbar angeschrien und ihr Verhalten missbilligt. Er brüllte wütend, dass sie nicht verkaufen wolle, weil sie nichts von ihrer Macht abtreten wolle. Er hatte seinem Groll ihr gegenüber mit solch heftigen Worten Luft gemacht, dass sie zunächst ungläubig zuhörte und dann wirklich zornig wurde. Welche Frechheit, welche Bosheit, hatte sie damals gedacht, dass er es wagt, mir Vorschriften über geschäftliche Dinge zu machen. Dinge, an denen er nicht das geringste Interesse hatte, außer natürlich an dem Geld, das er erhalten würde. Robin der Hübsche, der Elegante, das geistreiche Mitglied des Parlaments. Robin mit seiner sanftmütigen Frau, seinen Mätressen, seinen ziemlich fragwürdigen Freunden und seinem Gefallen am flotten Leben. Ja, Robin war der Anstifter dieses kleinen, tödlichen Komplotts, dessen war sie ganz sicher.

Kit, ihr ältester Sohn, hatte nicht die Fantasie oder die Nerven, um so einen ruchlosen Plan auszuhecken. Aber was ihm an Fantasie fehlte, machte er wett durch plumpen Eifer und Hartnäckigkeit. Außerdem war er ungewöhnlich geduldig. Kit konnte auf alles, was er wirklich begehrte, Jahre warten, und sie hatte immer gewusst, dass er die Warenhäuser haben wollte. Aber er hatte nie eine Begabung für Handel gehabt, und vor langer Zeit, als er noch jung war, hatte sie ihn in die Harte Enterprises manövriert. Ja, Kit konnte immer manövriert werden, und ohne Zweifel war Robin dazu in der Lage.

Sie dachte über ihre drei Töchter nach, und um ihren Mund spielte ein grimmiges Lächeln, als ihr Edwina einfiel, die Älteste, die als erste von allen Kindern geboren war. Für Edwina hatte sie wie ein Packesel gearbeitet und wie eine Tigerin gekämpft, als sie selbst noch ein junges Mädchen war, denn sie hatte Edwina von ganzem Herzen geliebt. Und doch wusste sie schon seit langem, dass Edwina ihr niemals die gleichen Gefühle entgegenbrachte. Als kleines Mädchen war sie seltsam kühl, in ihrer Jugend dann zurückhaltend, und diese Zurückhaltung war in späteren Jahren fast zu Hass geworden. Edwina hatte sich mit Robin verbündet, als es um den Verkauf der Warenhäuser ging, und ihn voll unterstützt. Ohne Zweifel war sie nun seine beste Verbündete in diesem, seinem perfiden Plan. Sie konnte es kaum glauben, dass Elizabeth, Robins Zwillingsschwester, zu ihm hielte, doch vielleicht würde sie es tun. Schön, wild und unbezähmbar, hatte Elizabeth einen betörenden Charme und eine Neigung zu reichen Ehemännern, teuren Kleidern und kostspieligen Reisen. Sie konnte nie genug Geld haben, und sie brauchte es ständig und dringend, so wie Robin.

Daisy war die einzige, derer sie sich sicher war, denn sie wusste, dass von allen ihren Kindern Daisy sie wirklich liebte. Daisy war nicht in dieses Komplott verwickelt, denn sie würde nie bei einer Verschwörung ihrer Geschwister mitmachen, die die Aufteilung von Emmas Besitz zum Ziel hatte. Neben ihrer Liebe und Treue hatte Daisy äußersten Respekt vor ihr und vertraute ihrem Urteil. Daisy stellte nie ihre Beweggründe oder Entscheidungen in Frage, denn sie wusste, dass sie einem Sinn für Fairness entsprangen und ganz und gar auf vernünftiger Planung beruhten.

Daisy war ihr jüngstes Kind, und im Aussehen und Charakter unterschied sie sich ebenso wie die andern von Emma. Aber sie hing an ihrer Mutter, und sie sorgten mit einer tiefen, kraftvollen Liebe, die schon an Verehrung grenzt, füreinander. Daisy war liebenswürdig und sanft, hübsch, ehrenhaft und gut. Früher hatte Emma über Daisys innerliche Reinheit und Rechtschaffenheit nachgedacht und sich deswegen Sorgen gemacht. Sie glaubte, sie sei zu offen und zu sanft, um selbstsicher zu sein. Emma hatte gefürchtet, dass ihre Güte sie gefährlich verwundbar machen könne. Aber schließlich begann sie zu begreifen, dass in Daisy eine tiefe innere Kraft steckte, die zäh und unnachgiebig jedem Druck widerstand. Auf ihre Weise konnte sie genauso unbeugsam sein wie Emma, und sie war unerschütterlich in ihren Meinungen, mutig in ihren Taten und beständig in ihrer Treue. Emma hatte schließlich erkannt, dass es Daisys echte Güte war, die sie schützte. Sie umgab sie wie ein glänzender, undurchdringlicher Kettenpanzer und machte sie unbestechlich und unverletzbar.

Und die anderen wissen das, dachte Emma, als sie auf die Skyline von Manhattan schaute. Ihr Geist war in Aufruhr und ihr Herz voller Verzweiflung. Sie war immer noch erschüttert. Jedoch allmählich verschwand das niederschmetternde Gefühl, das ihre Seele und ihren Körper so gequält hatte. In Wirklichkeit empfand sie jetzt eigentlich nicht einmal Überraschung über Gayes Geschichte. Es war zwar nicht so, dass sie von ihren Kindern jemals so etwas erwartet hätte, nein, gewiss nicht! Aber es gab nur weniges, was Emma überraschen konnte, und in ihrer Klugheit, ihrem Verständnis und ihrer Erfahrung wusste sie, dass Verrat in einer Familie nichts Ungewöhnliches war.

Emma hatte eigentlich schon seit langem vermutet, dass die Bande des Blutes weder Treue noch Liebe garantieren. Es ist nicht wahr, dass Blut dicker ist als Wasser, dachte sie. Daisy ist eine Ausnahme. Sie ist wirklich ein Teil von mir. Sie erinnerte sich an ein Gespräch, das sie einmal mit ihrem Bankier Henry Rossiter führte. Es war schon Jahre her, aber sie erinnerte sich ganz genau, als ob es gestern gewesen wäre. Er hatte grimmig gesagt, Daisy sei wie eine Taube, die in ein Schlangennest geraten ist. Emma hatte bei diesem entsetzlichen und bösen Vergleich geschaudert. Um das hässliche Bild zu verbannen, sagte sie ihm, er sei melodramatisch veranlagt und habe zuviel Fantasie. Sie hatte gelacht, damit er ihre wahre Reaktion nicht erkennen konnte. Jetzt, an diesem Januartag, in ihrem neunundsiebzigsten Lebensjahr, erinnerte sie sich an Henrys Worte, die so unheilvoll gewesen waren, jetzt, als sie über ihre vier ersten Kinder nachdachte, die sie geboren und großgezogen hatte, und die sich nun gegen sie wendeten. Wirklich ein Schlangennest, dachte sie. Abrupt wandte sie sich vom Fenster ab und ging zu ihrem Schreibtisch zurück. Sie setzte sich, und ihre Augen ruhten einen Augenblick auf diesem abscheulichen Tonband. Dann nahm sie ihre Aktentasche, öffnete sie und legte das Band hinein.

Gaye hatte sie mit einiger Bestürzung beobachtet. Ihr Gesicht war ernst. Sie war über Emmas Aussehen beunruhigt. Ihre Miene war versteinert, und sie sah verstört und mitgenommen aus. Die Wangenknochen traten hart hervor, und ihr blasses Gesicht war aschgrau. Ihre Lippen waren bläulich unter dem Lippenstift, und ihre grünen Augen, sonst so klar und leuchtend, waren nun trübe vor Schmerz, Enttäuschung und der vollen Erkenntnis des Verrats. Für Gaye hatte ihr Gesicht das Aussehen einer Totenmaske angenommen, und sie wusste, dass diese jähe und drastische Änderung in Emmas Aussehen durch die bösartigen Gedanken ihrer Kinder und den geplanten abscheulichen Verrat verursacht war.

Gaye dachte daran, wie zerbrechlich und verletzlich Emma in diesem Moment wirkte, und wie alt sie aussah. Sie hatte das Bedürfnis aufzustehen und ihre Arme um sie zu legen. Aber sie hielt sich zurück. Sie fürchtete, Emma würde eine solche Geste als Zudringlichkeit ansehen, denn sie wusste, dass Emma von Natur aus festes Selbstvertrauen und tiefen Stolz besaß. Außerdem hatte sie einen angeborenen Sinn für Zurückhaltung, was ihre persönlichen Angelegenheiten betraf.

Stattdessen suchte Gaye nach tröstenden Worten, um ihr tiefes Mitgefühl und ihre Ergebenheit auszudrücken. Aber sie fand keine, um das volle Ausmaß ihrer Sympathie und ihrer Betroffenheit zu artikulieren, so verstört war sie durch Emmas Aussehen. Stattdessen fragte sie mit ruhiger Zärtlichkeit in der Stimme: »Fühlen Sie sich unwohl, Mrs. Harte? Kann ich etwas für Sie tun?«

»Ich bin gleich wieder in Ordnung, Gaye.« Emma versuchte zu lächeln. Sie beugte den Kopf und spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten. Schließlich schaute sie auf und sagte: »Ich glaube, ich möchte nun für eine Weile allein sein, Gaye. Um nachzudenken. Würden Sie mir eine Tasse Tee zubereiten und in etwa zehn Minuten hereinbringen, bitte?«

»Natürlich, Mrs. Harte. Wenn Sie sicher sind, dass Sie alleine zurechtkommen.« Sie stand auf und ging zur Tür, dann zögerte sie.