Und greifen nach den Sternen - Barbara Taylor Bradford - E-Book

Und greifen nach den Sternen E-Book

Barbara Taylor Bradford

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Kampf um die Zukunft des Harte-Imperiums

Reichtum, Intrigen, große Gefühle - das ist die Welt von Paula O`Neill. Sie ist Emma Hartes Erbin und damit Besitzerin einer exklusiven Kette von Warenhäusern. Ihr oberstes Ziel: Das geerbte Imperium vergrößern. Aber schon bald muss sie erfahren, wie schwer es ist, nach den Sternen zu greifen. Schließlich muss sie sich einem Kampf gegen ihren erbitterten Widersacher stellen - einem Kampf, der über die Zukunft des Harte-Imperiums entscheidet ...

Eine Saga voller Liebe, Intrigen und Leidenschaft - die Geschichte der Kaufhausdynastie von Emma Harte.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 740

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

Liebende und Fremde

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

Heilige und Sünder

24

25

26

27

28

29

30

31

32

Gewinner und Verlierer

Epilog

Über dieses Buch

Der Kampf um die Zukunft des Harte-Imperiums

Reichtum, Intrigen, große Gefühle – das ist die Welt von Paula O‘Neill. Sie ist Emma Hartes Erbin und damit Besitzerin einer exklusiven Kette von Warenhäusern. Ihr oberstes Ziel: Das geerbte Imperium vergrößern. Aber schon bald muss sie erfahren, wie schwer es ist, nach den Sternen zu greifen. Schließlich muss sie sich einem Kampf gegen ihren erbitterten Widersacher stellen – einem Kampf, der über die Zukunft des Harte-Imperiums entscheidet …

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Barbara Taylor Bradford verbrachte ihre Kindheit und Jugend in England. Sie arbeitete als Journalistin, bevor sie im Alter von achtzehn Jahren begann, Kinderbücher zu schreiben. Schon bald folgten Romane, der Durchbruch gelang ihr mit »Des Lebens bittere Süße«. Seitdem hat sie fünfundzwanzig Bücher geschrieben, die allesamt Bestseller wurden. Sie widmet alle Werke ihrem Mann, mit dem sie in New York lebt.

Barbara Taylor Bradford

Und greifen nach den Sternen

Aus dem Englischen von Sonja Schleichert

beHEARTBEAT

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Projektmanagement: Anne Pias

Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Romanova Ekaterina | Anthony Shaw Photography | littlesam | Coy_Creek

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-4658-9

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1988 by Barbara Taylor Bradford

Titel der Originalausgabe: To Be the Best

Alle Rechte an der deutschen Übersetzung von Sonja Schleichert © Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

In Liebe für Bob, den Allerbesten.

Prolog

Um zu meinem Team zu gehören, musst du dieAllerbeste sein. Und um die Allerbeste zu sein,musst du Charakter haben.

Emma Harte in Des Lebens bittere Süße

Paula verließ Pennistone Royal kurz vor der Morgendämmerung.

Es war noch dunkel, als sie das Auto bedachtsam durch das hohe Eisentor lenkte und dann nach links zum Moor abbog. Als sie die Straße erreichte, die die Bergkette der Penninen durchschnitt, begann der Himmel sich bereits zu verändern. Das großflächig verwischte Anthrazit machte Amethyst- und Rosatönen und einem kalten, verblassenden Grün Platz; weit hinten am Horizont glitzerten die ersten Sonnenstrahlen wie Scherben aus Silber vor dem dunklen Rand der Moorlandschaft auf. Es war eine unheimliche Stunde, weder Tag noch Nacht, und das schweigende, unendliche Moor wirkte leerer und abweisender denn je. Ganz unerwartet brach plötzlich eine strahlende Helligkeit hervor, und jenes kristallklare Licht, das so charakteristisch für den Norden Englands ist, erfüllte den ganzen Himmel. Der Tag brach an.

Paula kurbelte das Fenster herunter und atmete tief durch. Dann lehnte sie sich entspannt zurück, während sie das Auto in gleichmäßigem Tempo dahinbrausen ließ. Die Luft, die hereinwehte, war kühl, aber es war ja immer kühl »hier oben«, ganz gleich zu welcher Jahreszeit. Man konnte daraus keinesfalls schließen, wie das Wetter werden würde. Sie wusste, dass ihr wieder ein glühendheißer Tag bevorstand, und war froh darüber, so rechtzeitig nach Fairley aufgebrochen zu sein.

Es war Ende August, wenn in Yorkshire das Heidekraut erblüht und sich die wilde, unbewohnte Moorlandschaft in atemberaubender Schönheit zeigt. Sonst meist düster und einschüchternd, war sie heute Morgen großartig, ein Meer von Lila und Magenta, das im Wind wogte, so weit das Auge reichte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, hielt Paula an und stieg aus, um sich an allem satt zu sehen. Diese Landschaft war unglaublich eindrucksvoll ... erhaben. Sie hatte einen Kloß im Hals vor Rührung. Grandys Heide, murmelte sie und dachte an Emma Harte. Ich liebe diese Landschaft ebenso, wie sie sie geliebt hat ... und wie meine Töchter Tessa und Linnet sie lieben gelernt haben.

Paula blieb einen Moment lang beim Auto stehen, genoss den Anblick und nahm alle Geräusche in sich auf. Sie konnte das durchdringende Trillern der Lerchen hören, die hochstiegen und auf den Wolken schwebten, und in der Ferne hörte sie das Rauschen eines kleinen Baches, der von Felsklippen herabstürzte. Die kühle, klare Luft war angefüllt mit dem Duft von Heide und Blaubeeren, von wildwachsenden Blumen und Farnkraut. Paula schloss kurz die Augen und gab sich ihren Erinnerungen hin, dann hob sie den Kopf und sah zum Himmel empor. Die umgedrehte Schale des Himmels war von strahlendem Sonnenschein erfüllt, ein Kobaltblau, auf dem weiße Lämmerwölkchen trieben. Es wird ein schöner Tag heute, dachte sie und lächelte. Nichts kommt dem Moor bei schönem Wetter gleich, auf der ganzen Welt nicht. Sie war schon lange nicht mehr hier gewesen. Allzu lange. Hier gehöre ich hin, genau wie Grandy, dachte sie und verweilte noch etwas länger, ließ sich von ihren Erinnerungen in die Vergangenheit zurücktragen ...

Schließlich drehte Paula sich abrupt um, stieg wieder in ihren Aston Martin DB 2-4 und fuhr weiter auf der gewundenen Landstraße, bis diese nach ungefähr einer Stunde zum Tal und zum Dorf Fairley abfiel. Zu dieser frühen Stunde lag alles noch in tiefem Schlaf. Die Straßen waren völlig leer. Paula parkte vor der alten grauen Steinkirche mit dem viereckigen normannischen Turm und den Buntglasfenstern, dann stieg sie aus, ging um das Auto herum und öffnete die Beifahrertür. Sie hatte die Pappschachtel unten vor dem Sitz eingeklemmt; nun hob sie die Vase mit Sommerblumen aus der Schachtel und stieß die Tür mit dem Knie zu.

Die Vase in beiden Händen, schob sie das überdachte Tor auf, das zum Friedhof neben der Kirche führte.

Sie ging den steingefliesten Pfad entlang, bis sie ein abgelegenes Eckchen erreichte, das von dichtem Grün bedeckt und unendlich still war. Hier lagen nahe der alten, moosbewachsenen Mauer, im Schatten einer verwachsenen Ulme, ein paar Gräber. Sie blieb vor einem Grabstein stehen und sah ihn lange an.

Emma Harte war auf dem dunkelgrünen Marmor eingemeißelt, darunter die Lebensdaten: 1889-1970.

Elf Jahre ist es nun schon her, dachte Paula. Sie ist heute vor elf Jahren gestorben. Wo ist nur die Zeit geblieben? Sie ist so schnell vergangen ... Es ist, als sei es erst gestern gewesen, dass sie voller Energie ihre Geschäfte geführt und uns alle auf ihre unnachahmliche Weise herumdirigiert hat.

Paula trat dichter an das Grab ihrer Großmutter heran, bückte sich, legte die Blumen darauf und stand dann reglos da, eine Hand auf den Grabstein gelegt. Sie sah zu den fernen Bergen hinüber. Ihr Blick war nachdenklich, und einen Moment lang überließ sie sich ganz ihren Gedanken.

Ich muss etwas in Angriff nehmen, Grandy, etwas Drastisches, was dir nicht gefallen würde. Aber ich bin sicher, dass du meine Gründe verstehen würdest ... dass ich etwas Eigenes schaffen möchte. Wenn du in meiner Lage wärst, würdest du es genauso machen. Das weiß ich. Und es wird gut gehen. Das muss es. Für Zweifel ist kein Platz.

Das Schlagen der Kirchturmuhr zerriss die Stille, so dass Paula zusammenschreckte und abrupt aus ihren Träumereien erwachte.

Sie wandte sich von Emmas Grab ab und ließ den Blick über die anderen Steine gleiten. Er verweilte auf David Amorys Grabstein, ging dann zu Jim Fairleys hinüber ... ihr Vater ... ihr Mann ... die hier beide schon zehn Jahre lagen. Sie waren viel zu jung gestorben. Paula wurde plötzlich so traurig, dass sie überrascht den Atem anhielt, als ihr Herz sich in altvertrautem Schmerz zusammenzog. Endlich fing sie sich wieder, drehte sich um und schritt den Pfad hinunter, verdrängte den Schmerz und die Trauer, die diese Erinnerungen in ihr hervorriefen. Sie ermahnte sich, dass das Leben den Lebenden gehöre.

Nur einmal verhielt sie ihren schnellen Schritt, als sie an einem abgetrennten Familiengrab vorüberkam, das dicht neben der Kirche lag. Von einem eisernen Geländer umfriedet, lagen dort Jims Vorfahren ... Adam und Adele ... Olivia ... Gerald. So viele Fairleys ... und so viele Hartes. Zwei Familien, deren Leben seit drei Generationen ineinander verstrickt waren ... verbunden in einer bitteren Fehde ... in Liebe und Hass, Rache und Ehe ... und schließlich im Tode vereint. Hier lagen sie beisammen an ihrem ewigen Ruheplatz, im Schatten der windgepeitschten Heide, hatten in dieser gütigen Erde endlich Frieden gefunden ...

Als das Tor hinter ihr ins Schloss fiel, richtete Paula sich auf, nahm die Schultern zurück und ging eilig zum Auto. In ihren Schritten lag eine neue Entschlossenheit, auf ihrem Gesicht zeigte sich wiedergewonnene Entschiedenheit. Ihr stand so vieles bevor, so viele Herausforderungen mussten gemeistert, so vieles musste bewältigt werden.

Sie stieg ein und machte es sich für die lange Fahrt, die vor ihr lag, bequem.

Die Kassette lag auf dem Beifahrersitz, wohin sie sie am Morgen gelegt hatte, als sie alles für die Reise vorbereitete. Sie schob sie in das Gerät und drehte den Lautstärkeregler auf. Die ersten Töne von Mozarts Jupitersymphonie erklangen ... reich, melodisch, voll überschwänglicher Lebensfreude war sie für Paula ein Symbol der Hoffnung. Es war eines ihrer Lieblingsstücke. Tessa hatte es ihr vor einigen Wochen besorgt. Es war die neueste Aufnahme, Herbert von Karajan und die Berliner Philharmoniker. Paula schloss die Augen und ließ sich von der Musik einhüllen, begeistert lauschte sie dem ersten Satz ... allegro vivace ... Sie fühlte sich emporgehoben.

Nach einer Weile öffnete sie die Augen, warf den Motor an und glitt den Hügel hinunter zur Straße von Leeds nach Bradford, die sie zur M 1 bringen würde, der Autobahn, die südwärts nach London führte. Eine halbe Stunde später hatte sie diese erreicht und bemerkte sogleich, dass kaum Verkehr herrschte. Nur wenige Autos und kein einziger Lastwagen waren in Sicht. Wenn sie Glück und weiterhin freie Fahrt hatte, würde sie vier Stunden später hinter ihrem Schreibtisch im Kaufhaus Harte in Knightsbridge sitzen.

Paula gab Gas und sauste dahin, den Fuß auf dem Pedal, den Blick unbeirrt auf die Straße gerichtet.

Die Symphonie erreichte ein Crescendo, wurde leiser, schwoll wieder an und umgab sie mit ihrer Schönheit, bestrickte sie mit ihrem Zauber. Sie fühlte sich wahrhaft glücklich. Ihr Geist war hellwach. Sie konnte sich die vor ihr liegenden Monate genau vorstellen und wusste auf einmal ganz sicher, dass sie den richtigen Entschluss getroffen hatte.

Sie fuhr noch schneller. Der Aston Martin flog die Autobahn entlang, als schwebte er in der Luft. Sie genoss es, diese herrliche Maschine unter sich zu spüren, liebte das Gefühl, alles in der Hand zu haben ... das Auto, sich selbst, die Zukunft. Sie hatte ihren Plan. Ihren großen Plan. Sie gedachte, ihn so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen. Er war wasserdicht. Nichts konnte schiefgehen ...

Liebende und Fremde

Nenne keinen Menschen Feind, doch liebe auch keinen Fremden.

Stella Benson

Gastfrei zu sein vergesset nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.

Bibel, Hebräerbrief

Wir tauschten Herzen aus, nach bestem Wissen, Mein Liebster hat mein Herz, ich hab das seine, Ich halt seins hoch, und meins kann er nicht missen,

Ein beßrer Handel kam noch nie ins Reine.

Sir Philip Sidney

1

Mit gewohnter Frische betrat Paula ihr Büro im Londoner Kaufhaus, nahm einige Schnellhefter aus dem Aktenköfferchen und setzte sich an den antiken Doppelschreibtisch in der Ecke. In diesem Augenblick bemerkte sie den braunen Umschlag, der gegen die Porzellanlampe gelehnt war.

PERSÖNLICH stand darauf, und er war offenbar eigens überbracht worden. Die Handschrift erkannte sie sofort. Ein kleiner Freudenschauer überlief sie. Neugierig griff sie nach dem Umschlag, schlitzte ihn mit dem Papiermesser aus Jade und Gold auf und zog den gefalteten Briefbogen hervor.

In kühner Schrift stand dort:

Triff mich in Paris. Heute Abend, las sie. Du bist für den Flug 902 gebucht. British Airways, 18 Uhr. Warte ganz ungeduldig auf dich, an unserem üblichen Treffpunkt. Enttäusche mich nicht.

Paula runzelte die Stirn. Das war ein herrischer Ton, und aus seinen Worten wurde klar, dass er fest mit ihrem Kommen rechnete. Sie war etwas ärgerlich über seine Anmaßung, was ihr die Freude ein wenig verdarb, die sie eben noch empfunden hatte. Natürlich würde sie nicht kommen. Sie konnte nicht. Sie musste das Wochenende wie geplant mit ihren Kindern verbringen, ja, sie wollte es mit ihnen verbringen.

Immer noch den Brief in der Hand, lehnte sie sich im Sessel zurück und sah ins Leere, dachte über ihn nach. Diktatorisch ... eingebildet ... das waren die Adjektive, die ihr spontan einfielen. Sie waren sicherlich angemessen. Der Hauch eines Lächelns glitt über ihre Lippen. Plötzlich fand sie seine Einladung charmant und war versucht, sie anzunehmen. Gib’s doch zu, du hättest schreckliche Lust, das Wochenende mit ihm in Paris zu verbringen. Aber du würdest überhaupt viele Dinge schrecklich gern tun, die du immer wieder aufschiebst, ermahnte sie eine leise Stimme in ihrem Inneren. Und wieder musste sie lächeln, diesmal etwas schmerzlich, sogar etwas bedauernd, denn sie wusste, dass sie sich nie würde gehen lassen können. Was für ein Gedanke überhaupt. Die Pflicht ging immer vor. Schon in ihrer Kindheit hatte Emma Harte ihr diese kleine Regel eingeschärft, und Paula wünschte manchmal, ihre Großmutter hätte weniger Erfolg damit gehabt. Aber Grandy hatte sie gut geschult, hatte sie gelehrt, dass Reichtum und Privilegien auch Verantwortung mit sich brachten und man diese ohne Zögern auf sich nehmen musste, ganz gleich, wie schwer es einem fallen mochte. Mittlerweile sechsunddreißig, fast siebenunddreißig, erschien es Paula unwahrscheinlich, dass sich ihr Charakter noch grundlegend ändern sollte.

Paula richtete sich wieder auf und schob die Nachricht in den Umschlag zurück, wobei sie leise seufzte. Ein romantisches Zwischenspiel in ihrer Lieblingsstadt mit jenem so außergewöhnlichen und besonderen Mann war unglaublich verlockend, aber leider nicht möglich. Nein, sie würde nicht für ein Wochenende voller Liebe und Lust nach Paris fahren, sondern als gute Mutter bei ihren Kindern sein. Ihre Kinder brauchten sie. Schließlich hatte sie sie schon zwei Wochen lang nicht mehr gesehen. Ihn hatte sie allerdings schon genauso lange nicht mehr gesehen ...

»Ach, verdammt«, murmelte sie und wünschte, er hätte ihr keine Botschaft übersandt. Es hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht, mit plötzlicher Unruhe erfüllt, und das zu einer Zeit, da sie sich keinerlei Ablenkungen leisten konnte. Die kommenden Monate drohten außerordentlich schwierig zu werden, und es würden entscheidende Monate sein.

Sie wollte ihn nachher anrufen und ihm sagen, dass sie nicht käme; sie musste auch die Flugreservierung stornieren, die er für sie arrangiert hatte. Dann überlegte sie es sich und fand, sie könne British Airways ebenso gut gleich anrufen.

Als sie nach dem Hörer greifen wollte, klingelte das Telefon.

Schnell nahm sie ab. »Hallo?« Gleichzeitig sah sie zur Tür, da ihre Assistentin Jill eilig mit einer Tasse Kaffee hereinkam.

»Hallo, Paula, ich bin’s«, sagte ihr Cousin Alexander am anderen Ende der Leitung. »Ich bin nach Leeds ins Kaufhaus gefahren, um dich zu sehen – und an dem einen Tag, an dem ich mal dorthin komme, bist du in London.«

»Sandy, Liebster, das tut mir aber leid«, rief sie, hielt dann den Hörer zu und bedankte sich leise, als Jill lächelnd den Kaffee vor sie hinstellte und wieder ging.

»Warst du gestern Abend in Yorkshire?«, fragte Paula ihn.

»Ja. Ich kam so gegen halb sieben an.«

»Da war ich noch im Kaufhaus, Sandy. Du hättest mich anrufen sollen. Wir hätten zusammen essen können.«

»Nein, das wäre nicht gegangen. Ich musste so schnell wie möglich nach Nutton Priory herausfahren, verstehst du. Mein Verwalter fährt heute in Urlaub, und wir mussten noch eine Menge besprechen.« Alexander hielt inne und räusperte sich. »Du warst doch heute Morgen an Grandys Grab, nicht wahr ... das sind doch deine Blumen, Paula, oder?«

»Ja«, sagte sie, und ihre Stimme wurde weicher. »Ich war sehr früh dort, vor meiner Abfahrt nach London.«

»Ich bin dir wohl auf dem Fuße gefolgt.« Er lachte leise. »Wir sollten uns anscheinend heute nicht treffen. Na ... schade für mich.«

Paula hatte ihren Cousin sehr gern und kannte ihn genau. Sein Ton schien ihr merkwürdig, er beunruhigte sie. »Sandy, hast du irgendwelche Schwierigkeiten?«, fragte sie schnell. »Möchtest du etwas mit mir besprechen?«

Er zögerte nur ganz kurz, ehe er entschlossen abwehrte: »Nein, nein, überhaupt nicht! Ich dachte nur, es wäre nett, wenn wir zusammen zu Mittag essen könnten. Ich habe dich schon Wochen nicht mehr gesehen. Klar, ich weiß, dass du viel zu tun hast ... Aber trotzdem vermisse ich unsere Tête-à-têtes, altes Mädchen.«

Paula hatte ihm aufmerksam zugehört und sich bemüht, jene seltsame Nuance wieder herauszuhören, die ihr eben aufgefallen war, es gelang ihr aber nicht. Seine Stimme klang ganz normal – so moduliert und beherrscht wie immer.

»Ja, ich vermisse sie auch, Sandy, und es war wirklich zu hektisch diesen Sommer mit all dem Hin- und Herfliegen zwischen Südfrankreich und England, ganz abgesehen davon, dabei alles Geschäftliche unter Kontrolle zu behalten. Weißt du, da wir nun schon einmal zusammen telefonieren – ich wollte dir immer schon sagen –« Sie holte tief Luft, und ihre Stimme klang jetzt ein wenig strenger: »Ich bin sehr böse mit dir, Alexander. Du hast uns in Cap Martin dieses Jahr kaum Gesellschaft geleistet, dabei ist es doch dein Haus. Außerdem meine ich ...«

»Du bist nicht die Einzige, die für ihren Lebensunterhalt arbeitet!«, schoss er zurück. Dann sagte er schnell: »Ich hab momentan wirklich viel am Hals, Paula, also mach mir bitte keine Vorwürfe. Das ist neuerdings Emilys Domäne. Sie geht mir langsam, aber sicher auf die Nerven damit.«

»Deine Schwester findet, du erholst dich nicht genug. Sie möchte, dass du das Leben leichter nimmst, es mehr genießt. Und zufällig bin ich einer Meinung mit ihr. Völlig einer Meinung.«

Alexander ignorierte Paulas Worte und den Vorwurf in ihrer Stimme und sagte: »Du fliegst wohl zur Villa hinunter dies Wochenende?«

»Ja. Ich nehme morgen früh um neun Uhr den Flug nach Nizza und komme Montag zeitig zurück. Sandy! Da kommt mir gerade eine großartige Idee. Warum fliegst du nicht mit mir? Es würde dir Spaß machen, bestimmt, und die Kinder würden sich so freuen, dich zu sehen. Und Emily auch.«

»Ich muss in den nächsten Tagen in Nutton Priory bleiben, Paula, wirklich. Ich würde sehr gern mit dir fahren, aber es gibt hier so viele Dinge, um die ich mich kümmern muss. Weißt du was – warum treffen wir uns nicht am Dienstag zum Lunch?« Seine Stimme klang jetzt ganz erwartungsvoll.

»Da kann ich leider nicht«, stöhnte sie. »Dienstagmorgen nehme ich als Allererstes die Concorde nach New York, und am Ende der Woche fliege ich von New York nach Sydney. Dort bleibe ich dann bis Ende September.«

»Ach so.«

Sie spürte seine Enttäuschung so deutlich, dass sie sagte: »Aber warum verabreden wir uns nicht schon jetzt für Oktober?« Dabei blätterte sie in ihrem Terminkalender. »Wie passt dir der erste Mittwoch im Monat?«

»Das müsste gehen, aber lass mich noch mal meinen Kalender anschauen. Warte bitte eine Sekunde, Paula.«

Es klapperte, als er den Hörer hinlegte.

Paula hob die Tasse und nahm einen Schluck heißen Kaffee.

Kurz darauf war Sandy wieder da, er klang munter und unbeschwert. »Alles klar, meine Liebe. Bis Oktober dann. Und ich freu mich schon darauf.«

»Und ich erst! Und noch was, Sandy ...«

»Ja?«

»Pass gut auf dich auf.«

»Ja natürlich, und du auch, Paula. Und grüße alle in der Villa.«

Nachdem sie aufgelegt hatten, saß Paula da, trank ihren Kaffee und betrachtete stirnrunzelnd das Telefon, während sie über ihren Cousin nachdachte.

Sie bedauerte aufrichtig, dass sie Sandy nicht schon früher bestürmt hatte, mit ihnen an die Riviera zu kommen. Aber hätte größere Hartnäckigkeit ihrerseits Erfolg gehabt? Wohl kaum. Schließlich hatte Emily ihn schon seit Ostern in der Mangel, hatte von allen Tricks Gebrauch gemacht, über die sie verfügte, alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihn dazu zu überreden, mit ihnen in die Villa Faviola zu kommen. Zweimal war er hinuntergeflogen, aber immer nur kurz dageblieben, und alles nur, um seiner Schwester einen Gefallen zu tun. Das hatten Paula und Emily deutlich gemerkt.

Trotzdem konnte sie sich eines Schuldgefühls nicht erwehren, als ihr klar wurde, dass sie Alexander in der letzten Zeit vernachlässigt hatte. Im vergangenen Jahr hatte sie mit so vielem fertigwerden müssen, so vieles hatte ihre freie Zeit in Anspruch genommen und sie ihren Freunden entzogen. Sandy war ein Opfer der erbarmungslosen Arbeitsmoral geworden, die sie sich angewöhnt hatte. Der arme Sandy, sie hatte keine Zeit für ihn gehabt, das war traurig, aber wahr, und sie gab es offen zu.

Vielleicht hatte er deshalb so merkwürdig geklungen. Nein, das konnte nicht der Grund sein. Sein seltsamer Tonfall, den sie sich bestimmt nicht eingebildet hatte, war einfach Angespanntheit gewesen. Nein, eher Stress. Oder Angst? Ja, das war es. Angst. Und das hatte sie hellhörig gemacht; er hatte irgendwelche Schwierigkeiten.

An diesem Punkt dachte Paula niedergeschlagen: Mit Sandy ist irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung.

Eine seltsame Unruhe überkam sie, so dass sie sich in ihrem Sessel aufrichtete und angespannt grübelte, worum es sich handeln könnte. Sie runzelte wieder die Stirn und ließ einige Möglichkeiten rasch Revue passieren. Die Harte-Unternehmensgruppe konnte es nicht sein. Das hätte Emily gewusst und ihr erzählt. Sandy war gesund. Er hatte bestimmt keine finanziellen Probleme. Und auch wenn er gerade keiner bestimmten Frau den Hof machte – so hatte es Emily erzählt, die alles über jeden in der Familie wusste –, sah es doch nicht so aus, als würde es ihm an weiblicher Gesellschaft mangeln, wenn er nach ihr verlangte. Besonders gesellig war er nicht. Aber das wollte er anscheinend auch nicht sein, er hatte sich selbst für ein zurückgezogeneres Leben entschieden.

Er muss sich oft einsam fühlen, dachte sie und wünschte zum hundertsten Mal, dass Sandy wieder heiraten würde.

Nach Maggies Tod, bei der Lawine von Chamonix, war er lange untröstlich und am Boden zerstört gewesen. Dann tauchte er langsam aus seiner Trauer auf, gewann die Kontrolle über sich zurück und fing sich nach und nach wieder. Aber es war, als hätte er alle Teile seines Ichs neu und vollkommen anders zusammengesetzt. Er war eigentlich nie wieder ganz der Alte geworden.

Die Lawine hat uns alle schwer getroffen, überlegte Paula, wobei sie besonders an ihren Bruder Philip denken musste. Auch er war an jenem Tag Skifahren gewesen. Aber er war das eine Familienmitglied, das überlebte ... als Einziger. Ihre Mutter hatte ihren Gatten verloren. Und ich verlor einen Vater; meine Kinder verloren einen Vater. Ja, die Lawine war eine Katastrophe für die ganze Familie gewesen. Sie hat uns mitgenommen und verändert, auf immer verändert. Seitdem sind wir alle etwas seltsam geworden ...

Sie musste leise lachen. Besonders ich, dachte sie und bemühte sich, das ungute Gefühl abzuschütteln, das sie eben noch beherrscht hatte. Vielleicht hatte sie auch nur eine zu lebhafte Phantasie. Schließlich hatten Sandy und sie sich schon als Kinder nahe gestanden, und das hatte sich auch jetzt nicht geändert. Wenn ihn tatsächlich Sorgen drückten, hätte er sich ihr doch bestimmt anvertraut. Ich reime mir heute wirklich ein absurdes Zeug zusammen, dachte sie und schob resolut ihre Sorgen um Alexander beiseite.

Sie schaute wieder die Papiere an, die auf ihrem Schreibtisch lagen.

Mit einem flüchtigen Blick stellte sie fest, dass nichts sonderlich Dringendes darunter war, worum sie sich kümmern musste, und das erleichterte sie. Probleme, die an einem Freitag auftraten, pflegten meist ihren Wochenenden zu schaden oder sie ganz zu verderben. Im Winter war das nicht so schlimm, aber im Sommer, wenn die Kinder in den großen Ferien aus ihren jeweiligen Internaten nach Hause gekommen waren, machte sie so etwas sehr traurig. Die Wochenenden, die sie mit ihrer Mutter verbrachten, waren ihnen heilig, sie hüteten sie eifersüchtig und hassten es genauso wie sie, wenn ihre Zeit von etwas anderem in Anspruch genommen wurde.

Sobald sie die morgendliche Post und eine Notiz von Jill gelesen hatte, worin diese strukturelle Veränderungen im Designer-Salon vorschlug, sah sie den Stapel Einkaufsaufträge durch und griff nach den Telexen. Alle kamen vom New Yorker Kaufhaus und waren von ihrer amerikanischen Assistentin Madelana O’Shea unterzeichnet. Sie waren gestern am späten Abend eingetroffen, und nur eines von ihnen verlangte eine Antwort.

Paula zog einen gelben Block zu sich heran und machte sich daran, den Brief zu formulieren. Als sie das erledigt hatte, schlug sie den dicksten der Ordner auf, die sie aus Yorkshire mitgebracht hatte, und entnahm das oberste Blatt. Es war das Einzige, was sie an diesem Morgen wirklich interessierte. Darauf waren die wichtigsten Punkte ihres großen Plans umrissen. Nur ein Stück Papier ... aber es war der Schlüssel zu so vielem ... der Schlüssel für die Zukunft.

Sekunden darauf war sie so in ihre Arbeit vertieft, machte sich so eifrig Notizen, dass alle Gedanken an ihren Cousin Sandy vergessen waren. Aber Monate später sollte Paula sich an diesen Tag nur allzu gut erinnern. Dann würde sie sich sehr lebhaft ihrer Besorgnis entsinnen und inständig wünschen, ihrem Gefühl mehr vertraut zu haben. Am stärksten würde sie bedauern, dass sie ihn nicht dazu gedrängt hatte, sich ihr anzuvertrauen. Das Wissen um sein Problem hätte sie zwar nicht dazu befähigt, den unvermeidlichen Gang der Dinge zu ändern, aber zumindest hätte sie ihre Reisepläne umstellen können. So hätte sie ihm helfen können, einfach, indem sie da gewesen wäre, wenn er sie gebraucht hätte.

Aber an diesem glühendheißen Augustmorgen des Jahres 1981 konnte Paula von alldem nichts wissen, und jenes Gefühl eines heraufziehenden Unheils – fast eine Vorahnung –, das sie vorhin verspürt hatte, war von ihrer Willenskraft beiseitegedrängt worden. Ebenso wie ihre Großmutter besaß Paula die beneidenswerte Gabe, alles beiseiteschieben zu können, wenn sie sich wie jetzt auf die Forderungen ihrer Geschäfte konzentrieren wollte. Mit gesenktem Kopf, den Blick unverwandt auf die Papiere gerichtet, versank sie immer tiefer in Konzentration und war wie stets derart in ihre Arbeit vertieft, dass sie nichts anderes mehr wahrnahm.

Zwanzig Minuten später hob Paula schließlich den Kopf, heftete ihre Notizen zusammen und legte sie mit dem einzelnen Blatt Papier in den Ordner, dann schloss sie diesen zur sicheren Aufbewahrung übers Wochenende in der mittleren Schreibtischschublade ein. Halb in sich hineinlächelnd, zufrieden damit, dass sie an alles gedacht hatte und auf jede Eventualität gefasst war, saß sie noch einen Augenblick lang da, den Schlüssel in der Hand, ehe sie ihn sorgfältig in ihr Aktenköfferchen legte.

Sie schob den Stuhl zurück und stand auf, reckte sich und ging ein bisschen hin und her, um sich Bewegung zu verschaffen. Ihr Körper war ganz verkrampft, und ihre Knochen waren steif vom Sitzen – erst im Aston Martin und dann hier am Schreibtisch. Sie teilte die Vorhänge und schaute aus dem Fenster auf Knightsbridge hinunter. Heute Morgen erschien ihr der Verkehr chaotischer denn je, aber in den Sommermonaten war es freitags immer besonders schlimm.

Paula drehte sich um und betrachtete das Zimmer, wobei sich ein Ausdruck tiefer Befriedigung auf ihrem Gesicht zeigte. Von ihren frühesten Kindertagen an hatte sie dieses Büro geliebt und sich in ihm wohlgefühlt. Als sie es von ihrer Großmutter erbte, hatte sie keinen Grund gesehen, es zu verändern, sie hatte es fast völlig so gelassen, wie es war. Außer ein paar eigenen Erinnerungsstücken und ein paar Fotos von ihren Kindern hatte sie nichts hinzugefügt.

Das Büro sah eher wie ein Salon in einem englischen Landhaus aus als wie ein Arbeitsplatz, und das war das eigentliche Geheimnis seines großen Charmes. Dieser Eindruck war beabsichtigt. Er war von Emma Harte vor über sechzig Jahren geschaffen worden, als sie sich für wertvolle englische Möbel des achtzehnten Jahrhunderts und teure Ölbilder anstelle einer prosaischeren Einrichtung entschied. Die klassischen Chintzstoffe auf Sesseln, Sofas und an den Fenstern verliehen den mit Kiefernholz getäfelten Wänden herrliche Farbakzente, während antike Porzellanlampen und weitere exquisite Accessoires dem Raum etwas Elegantes und Vornehmes gaben. Von seinem dekorativen Aspekt abgesehen, war der Raum anmutig und großzügig und besaß einen schönen alten Kamin von Adam, der an kalten Tagen immer in Betrieb war. Für Paula verlor dieses Büro nie seinen Reiz, und sie freute sich stets, wenn Leute, die es zum ersten Mal sahen, seine Schönheit und Einzigartigkeit lobten.

Wie alles, was sie tat, hatte Grandy diesen Raum vollendet gestaltet, dachte Paula und schritt über den abgenutzten, aber unbezahlbaren Savonnerieteppich. Vor dem aus Kiefernholz geschnitzten Kamin blieb sie stehen. Sie schaute zum Porträt ihrer Großmutter empor, das darüber hing und gemalt worden war, als Emma eine junge Frau war. Paula vermisste sie immer noch, manchmal sehr heftig, aber sie hatte schon lange Trost aus dem Gefühl gewonnen, dass Emma ja in ihr weiterlebte ... in ihrem Herzen und in ihren Erinnerungen.

Während sie das schöne, entschlossene Gesicht auf dem Bild unverwandt betrachtete, war sie plötzlich unglaublich stolz auf Emmas ungewöhnliche, einzigartige Leistungen. Grandy hat anfangs nichts besessen und doch eines der größten Geschäftsimperien der Welt geschaffen ... Welch unglaublichen Mut muss sie in meinem Alter gehabt haben. Ich brauche jetzt ihren Mut und ihre Kraft und ihre Entschlossenheit. Ich darf in dem, was ich tun muss, nicht wankend werden ... Mein großer Plan muss ebensoviel Erfolg haben wie ihrer. In Paulas Kopf überschlugen sich die Ideen und flogen der Zukunft entgegen, und bei dem Gedanken an das, was vor ihr lag, wurde sie ganz aufgeregt.

Dann kehrte sie an den Schreibtisch zurück, weil sie mit der Arbeit des Tages fortfahren musste.

Sie schaltete die Sprechanlage ein. »Jill ...«

»Ja, Paula?«

»Meine Sachen sind doch aus dem Auto hochgebracht worden, nicht?«

»Ja, schon vor einiger Zeit, aber ich wollte Sie nicht stören. Möchten Sie sie jetzt haben?«

»Bitte.«

Sekunden später schaute Jill mit ihrem glänzend kastanienbraunen Schopf zur Tür herein, und sie kam in Paulas Büro geeilt, in der einen Hand Paulas Kleidertasche, in der anderen einen Koffer. Jill war groß, gut gebaut, eine athletische junge Frau, und es schien, als handhabe sie diese Gegenstände mit Leichtigkeit.

»Ich stelle alles in Ihr Ankleidezimmer«, sagte sie und verschwand durch die Tür, die zu jenem Raum führte.

»Danke«, murmelte Paula, und als ihre Assistentin wieder im Büro war, sagte sie: »Setzen Sie sich doch bitte für eine Minute, Jill. Ich möchte einige Dinge mit Ihnen besprechen.«

Jill Marton nickte, nahm den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches und schaute Paula mit ihren warmherzigen, intelligenten braunen Augen an. Jill arbeitete jetzt schon über fünf Jahre für Paula und hatte nie aufgehört, sie zu bewundern, ihre ungewöhnliche Energie, ihr Durchhaltevermögen, ihre Tatkraft. Die Frau ihr gegenüber war ein Energiebündel, und darüber hinaus noch scharfsinnig, phantasievoll und oft kühn, was geschäftliche Dinge anging. Jill hatte noch nie für einen Menschen wie sie gearbeitet. Diejenigen im Kaufhaus, die noch die legendäre Emma gekannt hatten, erzählten, Paula käme ganz nach ihrer Großmutter. Jill glaubte ihnen und meinte auch, dass die Dinge, die sie an ihrer Chefin so bewunderte, von der berühmten Gründerin der Harte-Kaufhauskette vererbt worden seien. Ja, es steckt alles im Blut, dachte Jill und betrachtete Paula weiterhin diskret.

»Ach, da ist es ja ... Ihre Notizen zum Designer-Salon«, sagte Paula und nahm das Blatt Papier hoch, nach dem sie auf ihrem Schreibtisch gesucht hatte.

Jill richtete sich gerader auf und schaute Paula gespannt an. »Hoffentlich können Sie etwas damit anfangen.«

»Aber sicher. Ihre Vorschläge sind großartig. Ich habe dem nichts hinzuzusetzen. Sie können die strukturellen Veränderungen gleich in Angriff nehmen und auch die anderen Umstellungen ausführen. Sie werden für den Salon Wunder wirken, Jill.«

Als sie dies Kompliment hörte, spürte Jill, wie ihr das Blut in Hals und Wangen schoss, und ganz erhitzt vor Freude nahm sie das Papier entgegen, das Paula ihr über die blanke Schreibtischplatte hin zuschob. »Ich bin so froh, dass es Ihnen gefällt«, sagte sie strahlend.

Paula erwiderte ihr Lächeln. »Und schicken Sie bitte nachher Madelana dies Telex, und hier ist die heutige Post ... nichts Besonderes, wie Sie ja schon wissen. Sie werden leicht damit fertig. Die Einkaufsaufträge habe ich gegengezeichnet.« Sie tippte mit einem knallroten Fingernagel auf die Liste und fragte dann: »Sind eigentlich schon die Anzeigen von letzter Woche aus der graphischen Abteilung gekommen?«

Jill schüttelte den Kopf. »Aber sie werden gleich nach dem Lunch auf Ihrem Schreibtisch liegen. Ich hab vorhin mit Alison Warren gesprochen, sie sind fast fertig.«

»Gut. Und wo wir gerade vom Lunch sprechen, hat Michael Kallinski sich gemeldet? Oder gesagt, wo wir uns treffen?«

»Er hat vorhin angerufen. Er wollte Sie aber nicht stören, weil Sie bei seinem Anruf gerade erst angekommen waren. Deshalb habe ich ihn nicht durchgestellt. Er holt Sie um Viertel nach zwölf ab.«

»Oh.« Paula sah auf ihre Armbanduhr, stand auf und ging ins Ankleidezimmer hinüber. An der Tür hielt sie inne und schaute auf ihre zerknitterten Baumwollhosen hinab. »Da will ich mich lieber gleich umziehen. Ich möchte noch nach unten gehen und einiges überprüfen, ehe Michael kommt, und da bleibt mir nicht mehr allzu viel Zeit. Sie entschuldigen mich, Jill.«

»Natürlich.« Jill sammelte die Papiere auf dem Schreibtisch ein und ging auf ihr eigenes Büro zu. »Sagen Sie Bescheid, wenn Sie irgendetwas brauchen.«

»Das werde ich«, erwiderte Paula und schloss die Tür hinter sich.

Das Ankleidezimmer war zu Emmas Zeit Aktenkabinett gewesen, aber Paula hatte es umgestaltet, deckenhohe Schränke mit Spiegeltüren einbauen lassen, für einen Ankleidetisch und gute Beleuchtung gesorgt. Dort saß sie nun, legte neues Make-up auf und kämmte sich, dann streifte sie Hemd, Hose und Sandalen ab, die sie auf der Fahrt von Yorkshire hierher getragen hatte.

Blitzschnell hatte sie sich die Sachen angezogen, die sie in der Kleidertasche mitgebracht hatte: ein Kostüm aus schwarzer Schantungseide von klassischer Einfachheit, chic und auf Figur gearbeitet, das Christina Crowther exklusiv für sie entworfen hatte, dazu ein weißes Seidenmieder, dunkle, hauchdünne Strümpfe und hochhackige schwarze Lacklederpumps. Ihr Schmuck war einfach, aber eindrucksvoll: eine dreireihige enge Perlenkette mit einer Diamantschließe und große, diamantenbesetzte mabé-Ohrringe.

Paula schaute sich mit kritischem Blick im Spiegel an und fand, sie sehe gut aus. Das Kostüm war forsch und geschäftsmäßig, ohne allzu streng auszusehen, und deshalb ideal fürs Geschäft geeignet; außerdem war es auch chic genug, um damit zum Lunch in ein elegantes Restaurant zu gehen. Und sie würden zweifellos etwas Elegantes aufsuchen. Michael bot ihr immer nur das Beste.

Der Personalaufzug beförderte sie geschwind ins Erdgeschoss des Kaufhauses.

Paula durchquerte die Schmuckabteilung und ging auf die Kosmetik- und Parfümerieabteilung zu, wobei sie sich gründlich umsah.

Heute Morgen wimmelte es von Kunden.

Aber so war es meist, von dem Augenblick an, da sich die Kaufhaustüren um zehn öffneten, bis um sechs, wenn geschlossen wurde. Im Laufe der Jahrzehnte war Harte’s eine berühmte Sehenswürdigkeit von London geworden, und Menschen aus der ganzen Welt strömten durch seine großen Portale, um in den berühmten Hallen herumzuschlendern und sich einfach umzusehen, aber natürlich auch, um etwas zu kaufen.

Paula liebte die Geschäftigkeit, die Umtriebigkeit, die Menschenmengen, das helle Stimmengewirr, das sich aus den unterschiedlichsten Sprachen zusammensetzte, die Erregung, die in der Luft zu hängen schien. Selbst nach einer nur kurzen Abwesenheit war sie immer etwas aufgeregt, wenn sie wieder dorthin zurückkam, und heute Morgen ging es ihr genauso. Die Kaufhäuser in Yorkshire waren wichtige Glieder der Kette, ebenso wie die in Paris und New York, aber dies war das Flaggschiff, und sie hatte es am liebsten.

Emma Harte hatte es im Jahre 1921 eröffnet.

In drei Monaten würden sie sein sechzigstes Jubiläum feiern. Dafür hatte sie sich Großes vorgenommen. Es sollte ein Tribut an ihre Großmutter sein, eine der größten Kaufherrinnen aller Zeiten, und auch an sechzig Jahre großartigen Einzelhandel und einen Verkaufsrekord, der von keinem anderen Kaufhaus irgendwo sonst auf der Welt erreicht worden war. Harte’s in Knightsbridge war das größte. Einzig in seiner Art. Eine Legende.

Eine übermütige Freude erfüllte sie, wieder an diesem ganz besonderen Ort zu sein, auf ihrem Lieblingsterrain, und ihr Gang wurde noch beschwingter, als sie in die Parfümerieabteilung einbog und dort stehen blieb.

Mit ihrem gewohnten Adlerblick suchte sie nach Mängeln, fand aber keine. Das freute sie sehr. Diese Abteilung war erst kürzlich unter ihrer Aufsicht umgestaltet worden, und auch wenn sie es selbst sagte, das Ergebnis war großartig.

Wanddekorationen aus geätzten Glastafeln à la Lalique, viele Spiegel, Akzente aus Silber und Chrom, Kristalllüster und Wandleuchter ... Alles vereinte sich zu einer schimmernden Gesamtwirkung, die einfach umwerfend war. Es war der perfekte Hintergrund für die ins Auge fallenden Kosmetika, Parfüms und Schönheitsprodukte. Luxuriös, chic und einladend, sollte diese Abteilung Frauen dazu verlocken, viel Geld auszugeben, und darin war sie auch sehr erfolgreich gewesen. Alles war gekommen, wie Paula es sich vorgestellt hatte, als es sich noch auf dem Reißbrett befand.

Ein gutes Marketing und eine gute Verkaufspolitik, darin besteht das Geheimnis, dachte Paula, schritt zügig voran und machte auf dem Weg zum Rayne-Delman-Schuhsalon noch einen Abstecher in die Miederwarenabteilung. Sie genoss ihren Morgenspaziergang durch das Kaufhaus ... das prächtigste Kaufhaus der ganzen Welt. Es war der Sitz ihrer Macht, ihre starke Zitadelle, ihr Stolz und ihre Freude. Es war ihr Ein und Alles.

2

Zum zweiten Mal an jenem Morgen wurde das Porträt von Emma, das in Paulas Büro hing, einer eingehenden Betrachtung unterzogen.

Der Mann, der gerade davor innegehalten hatte, war Ende dreißig, blond, mit hellblauen Augen und sommerlich gebräunt. Er war ungefähr einssiebzig groß, wirkte aber wegen seines schlanken, durchtrainierten Körpers größer. Auch seine Kleidung trug zu dem Eindruck von Größe bei. Er trug ein weißes Hemd und eine burgunderrote Seidenkrawatte, und sein dunkelblauer Anzug aus feinster importierter Rohseide saß perfekt und konnte seine Herkunft von der Savile Row nicht verleugnen.

Er hieß Michael Kallinski und stand vor dem verführerischen Gesicht, das in Öl gemalt von der lebensgroßen Leinwand auf ihn heruntersah. Vor Konzentration hatte er die Augen zusammengekniffen, während er über die bemerkenswerte Emma Harte nachdachte.

Plötzlich schien es ihm sehr seltsam, dass man über eine Frau, die seit mehr als zehn Jahren tot war – heute waren es genau elf –, immer so sprach, als lebte sie noch, und zwar taten das die meisten Leute, nicht nur ihre engsten Angehörigen. Aber jemand mit Emmas Charisma und Brillanz, der schon zu Lebzeiten eine solch enorme und bewegende Wirkung ausgeübt hatte, musste wohl ein Anwärter auf die Unsterblichkeit sein. Schließlich war der Nachhall, den sie in der Welt hinterlassen hatte – in ihren persönlichen Beziehungen, im internationalen Geschäftsleben und durch ihre vielen Wohltaten –, einfach außergewöhnlich.

Michael trat einen Schritt zurück, hielt den Kopf schräg und versuchte zu schätzen, wie alt Emma wohl gewesen war, als sie für dieses Bild gesessen hatte. Ungefähr Ende dreißig, glaubte er. Mit ihren wie gemeißelten Zügen, dem makellosen Teint, dem rotgoldenen Haar und diesen ungewöhnlichen grünen Augen war sie als junge Frau eine große Schönheit gewesen, daran gab es keinen Zweifel.

Kein Wunder, dass sein Großvater vor vielen Jahren rasend in sie verliebt gewesen war und ihretwegen Frau und Kinder hatte verlassen wollen, wenn man dem Familienklatsch der Kallinskis glauben durfte. Und nach dem, was er von seinem Vater gehört hatte, war David Kallinski nicht der einzige Mann gewesen, der in ihren unwiderstehlichen Bann gezogen wurde. Blackie O’Neill war als junger Mann anscheinend auch von ihr betört gewesen.

Die drei Musketiere. So hatte Emma sie genannt – seinen Großvater, Blackie und sich selbst. In ihrer ersten Zeit zusammen, um die Jahrhundertwende herum, waren sie ein unwahrscheinliches Trio gewesen ... ein Jude, ein irischer Katholik und eine Protestantin. Offenbar hatten sie nicht viel darauf gegeben, was andere Leute von ihnen oder von ihrer Freundschaft dachten, und das ganze lange Leben hindurch waren sie eng befreundet, ja fast unzertrennlich gewesen. Sie hatten sich als unschlagbares Dreigestirn erwiesen, drei eindrucksvolle Finanzimperien gegründet, die sich über die halbe Welt erstreckten, und drei mächtige Familiendynastien, die im Laufe der Zeit immer einflussreicher geworden waren.

Aber Emma war die eigentliche Triebkraft gewesen, die Macherin, die voller Zukunftsvisionen und Unternehmensgeist voranschritt, die beiden Männer im Gefolge. So hatte es ihm zumindest sein Vater erzählt, und Michael hatte keinen Anlass, ihm nicht zu glauben. Überdies wusste er aus eigener Erfahrung, dass Emma absolut einzigartig gewesen war. Was die jüngeren Mitglieder der drei Clans anging, hatte sie ganz sicher jedem von ihnen – auch ihm – ihren Stempel aufgedrückt, ihnen ihr unauslöschliches Gepräge verliehen, wie sein Vater es nannte.

Michael lächelte in sich hinein, als er daran dachte, wie Emma vor dreißig Jahren gewesen war ... wie sie die Kinder zusammengetrieben und in den Frühjahrs- und Herbstferien nach Heron’s Nest verfrachtet hatte. Hinter ihrem Rücken hatten sie sie »der General« genannt, und das Haus in Scarborough hieß im Familienjargon »das Armeelager«. Sie hatte sie auf Herz und Nieren geprüft und ihnen die eigene Lebensphilosophie eingeprägt, hatte ihnen beigebracht, was Ehre und Rechtschaffenheit und wie wichtig Fairness und der richtige Teamgeist waren. Und in all den Jahren ihrer Jugend hatte sie ihnen freigebig ihre Liebe, ihr Verständnis und ihre Freundschaft zukommen lassen, und sie waren heute bessere Menschen, weil sie sie damals gekannt hatten.

Ein liebevoller Ausdruck trat in sein Gesicht, und er legte die Hand an die Schläfe, brachte dem Porträt einen kleinen Ehrengruß. Sie war die Allerbeste gewesen ... wie auch ihre Enkelinnen die Besten waren. Die Harte-Frauen waren schon ein seltener Schlag, allesamt, und besonders Paula.

Er hörte, wie hinter ihm eine Tür geöffnet wurde, und drehte sich geschwind um.

Bei Paulas Anblick erhellte sich sein Gesicht.

»Verzeih mir, dass ich dich hab warten lassen!«, rief sie entschuldigend und eilte zur Begrüßung auf ihn zu.

»Hast du gar nicht, ich war früh dran«, erwiderte er und kam ihr entgegen. Er umarmte sie ungestüm und hielt sie dann ein Stück von sich weg, sah in ihr Gesicht hinab. »Du siehst ganz großartig aus.« Dann schaute er sich nach dem Porträt um und sah sie wieder an. »Und du wirst dieser legendären Dame von Tag zu Tag ähnlicher.«

Paula stöhnte auf und sah ihn mit gespieltem Entsetzen an, als sie sich losließen.

»Oh Gott, Michael, fang jetzt nicht auch damit an! Bitte. Es gibt schon genügend Leute, die mich hinter meinem Rücken den Klon nennen, du brauchst jetzt nicht auch in dies Lied einzustimmen.« Sie schüttelte den Kopf. »Das kann ich gerade gebrauchen von einem guten Freund ...«

Er lachte laut heraus. »Manchmal denke ich, ihr seid alle Klone. Alle wie ihr da seid ... Emily und Amanda ebenso wie du.« Er drehte sich zum Porträt um. »Wann ist das eigentlich gemalt worden?«

»1929. Warum?«

»Ich habe mich gefragt, wie alt Emma war, als sie dafür saß.«

»Neununddreißig. Es wurde kurz vor ihrem vierzigsten Geburtstag in Auftrag gegeben und beendet.«

»Mmmm. Das hab ich mir so ungefähr gedacht. Sie war wirklich schön damals, nicht?« Ohne Paula Zeit zu lassen, etwas dazu zu sagen, fuhr er lächelnd fort: »Ist dir eigentlich klar, dass wir beide verwandt wären, wenn David meine Großmutter Rebecca wirklich verlassen hätte und mit Emma durchgebrannt wäre?«

»Ach, lass uns bloß nicht mit all diesen alten Geschichten anfangen heute«, sagte sie und lachte kurz auf, trat dann eilig an den Schreibtisch und setzte sich. »Und außerdem kommt es mir so vor, als wären wir verwandt, weißt du.«

»Ja.«

Er folgte ihr durchs Zimmer und nahm ihr gegenüber Platz.

Ein kurzes Schweigen entstand, dann bemerkte er ruhig: »Bei einigen Familien ist Blut vielleicht wirklich nicht dicker als Wasser, aber für die drei Clans gilt es doch. Unsere Großeltern hätten füreinander gemordet, und ich glaube, ihre Loyalität zueinander ist an unsere Generation weitergereicht worden, meinst du nicht?«

»Ja, ich glaube schon ...« Sie unterbrach sich, als das Telefon klingelte, und nahm ab. Nachdem sie sich gemeldet und kurz zugehört hatte, legte sie ihre schlanke, schöne Hand über den Hörer und sagte: »Es ist der Geschäftsführer des Kaufhauses in Harrogate, dauert nicht lange.«

Er nickte, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und wartete, bis sie zu Ende telefoniert hatte, wobei er sie in aller Ruhe ebenso betrachtete, wie er vor ein paar Minuten das Bild betrachtet hatte.

Michael Kallinski hatte Paula seit über zwei Monaten nicht mehr gesehen, und deshalb war ihm ihre unheimliche Ähnlichkeit mit Emma stärker als sonst aufgefallen, als sie das Zimmer betrat. Natürlich unterschieden sich die beiden Frauen auch voneinander. Paula hatte pechschwarzes Haar und tiefblaue Augen. Aber sie hatte Emmas klare, feingeschnittene Züge geerbt wie auch das berühmte Witwenhäubchen, das über diesen großen, weit auseinanderstehenden Augen besonders dramatisch aussah. Im Laufe der Zeit hatte es zumindest für ihn den Anschein, als verschmölzen die beiden Frauen immer stärker zu einer Person und würden identisch. Vielleicht lag es auch an dem Ausdruck in Paulas Augen in letzter Zeit, an ihren Gewohnheiten, ihrer prägnanten Art, ihren Bewegungen – schnell, immer eilig – und an ihrer Gewohnheit, über ihre Missgeschicke zu lachen. Diese Eigenschaften erinnerten ihn an Emma Harte, ebenso wie es ihre Haltung im Geschäftsleben tat.

Er hatte Paula schon sein Leben lang gekannt, und dennoch hatte er sie merkwürdigerweise nie richtig kennen gelernt, ehe beide in den Dreißigern waren.

Als Kind hatte sie ihm gar nicht gefallen, er fand sie kalt, hochnäsig und gleichgültig gegen alle, mit Ausnahme ihrer Cousine Emily, jenes pummeligen Kindes, das sie immer bemuttert hatte, und Shane O’Neills natürlich, dem sie immer schon hatte gefallen wollen.

Hinter ihrem Rücken hatte Michael sie »das kleine Vortrefflichkeitsekel« genannt, weil sie genau das gewesen war, ein Kind, das anscheinend fehlerlos war, um das man immer Getue machte und es lobte und das ihnen von ihren Eltern immer als Vorbild hingehalten wurde. Sein Bruder Mark hatte noch einen anderen Namen für sie ... den »Ausbund an Tugend«. Er und Mark hatten heimlich über sie gelacht, sich hinter ihrem Rücken über sie lustig gemacht, aber so hatten sie sich eigentlich gegenüber allen Mädchen der Clans verhalten – sie wollten mit ihnen nichts zu tun haben und lieber mit den anderen Jungen herumtollen. Sie hatten sich mit Philip, Winston, Alexander, Shane und Jonathan zusammengetan, die zu jener Zeit ihre fröhlichen Kumpel gewesen waren.

Erst in den letzten sechs Jahren hatte er Paula besser kennen gelernt, und er hatte entdeckt, dass diese kluge, hart arbeitende, brillante Frau eine tiefe Gefühlswelt hinter ihrer kühlen Art und der ihr eigenen Vornehmheit verbarg. Ihr abweisendes Gehabe war nur das äußere Zeichen ihrer Schüchternheit und natürlichen Zurückhaltung, jener Charakterzüge, die er in ihrer gemeinsamen Kindheit so missverstanden hatte.

Es war wie ein Schock für ihn zu entdecken, dass Paula ganz anders war, als er geglaubt hatte. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass sie sehr menschlich war. Sie war verletzlich, liebevoll, treu ergeben und hielt fest zu ihrer Familie und ihren Freunden. In den vergangenen zehn Jahren waren ihr schreckliche Dinge zugestoßen, niederschmetternde Dinge, die die meisten anderen Menschen zu Boden gedrückt, sie vielleicht sogar zerstört hätten. Aber nicht Paula. Sie hatte sehr gelitten, hatte aber aus allen Widrigkeiten Kraft geschöpft und war eine äußerst mitfühlende Frau geworden.

Seit sie zusammen gearbeitet hatten, waren sie gute Freunde geworden, und sie unterstützte ihn in geschäftlichen Dingen und war eine Verbündete, wann immer er sie brauchte. Jetzt erst begriff Michael, dass er mit seiner unangenehmen Scheidung und seinen großen persönlichen Problemen ohne Paulas Freundschaft nie fertiggeworden wäre. Sie hörte sich am Telefon immer geduldig seine Sorgen an und fand jedes Mal Zeit für einen Drink oder ein Essen, wenn es richtig schlimm wurde. Sie hatte einen besonderen Platz in seinem Leben eingenommen, und dafür würde er ihr immer dankbar sein.

Trotz all ihres Erfolgs, ihrer Weltgewandtheit und ihres Selbstvertrauens gab es etwas an Paula – etwas liebenswert Kleinmädchenhaftes –, das sein Herz bewegte und ihm den Wunsch eingab, etwas für sie zu tun, ihr eine Freude machen zu können. Er gab sich oft große Mühe, um das zu erreichen, so wie jüngst in New York. Er wünschte, das endlose Telefonat mit dem Kaufhaus in Harrogate möge ein Ende nehmen, so dass er ihr seine Neuigkeit mitteilen konnte.

Endlich war es dann soweit.

Paula legte auf und zog eine kleine Grimasse.

»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich. Dann lehnte sie sich im Stuhl zurück und sagte freundlich: »Wie schön, dich zu sehen, Michael ... Und wie war’s in New York?«

»Großartig. Hektisch. Ich steckte bis über beide Ohren in Arbeit, denn unser Geschäft dort geht momentan sehr gut. Trotzdem ist es mir aber auch gelungen, mich zu amüsieren, ich war sogar ein paar Wochenenden über in den Hamptons.« Er neigte sich dichter an den Schreibtisch. »Paula ...«

»Ja, Michael?« Sie sah ihn scharf an, aufmerksam geworden durch seinen dringlichen Tonfall.

»Ich habe vielleicht gefunden ... wonach du in den Staaten gesucht hast.«

Sie sah plötzlich ganz aufgeregt aus. Leicht vorgebeugt in ihrem offensichtlichen Eifer fragte sie: »Privat oder öffentlich?«

»Privat.«

»Und es steht zum Verkauf?«

»Steht nicht alles zum Verkauf, wenn man den richtigen Preis bietet?« Etwas Mutwilliges lag in seinem Gesicht, als er ihren Blick festhielt.

»Also, mach dich nicht über mich lustig!«, rief sie. »Steht es wirklich zum Verkauf?«

»Nein. Aber was heißt das schon im Zeitalter der Firmenübernahmen? Man kann an die Besitzer herantreten ... Das kostet nichts.«

»Und wie heißt die Firma? Wo ist sie? Wie groß ist sie?«

Michael lachte in sich hinein. »Nun mal sachte, ich kann doch nur eine Frage zurzeit beantworten. Die Firma heißt Peale and Doone und liegt im Mittleren Westen. Sie ist nicht groß, nur sieben Kaufhäuser ... in kleineren Städten in Illinois und Ohio. Aber es ist eine alte Firma, Paula, in den zwanziger Jahren von Schotten gegründet, die sich in den Staaten niedergelassen hatten und anfangs nur mit schottischen Importen handelten, Wollsachen, Schottentücher und Plaids, Kaschmirschals und so weiter. In den vierziger und fünfziger Jahren vergrößerten sie ihren Warenbestand. Aber die Sachen sollen ziemlich spießig sein, und die Firma ist in einer Flaute, was das Management angeht. Finanziell ist sie aber solide, hat man mir gesagt.«

»Und wie hast du von Peale and Doone erfahren?«

»Durch einen befreundeten Juristen, der bei einer Sozietät in der Wall Street arbeitet. Ich habe ihn gebeten, nach einer Warenhauskette Ausschau zu halten, und er hat von dieser Firma durch einen Kollegen in Chicago erfahren. Mein Kumpel meint, sie wären reif für eine Übernahme.«

Paula nickte. »Und wer hat das Aktienkapital?«

»Die Erben von Mr. Peale und Mr. Doone.«

»Es gibt keine Gewähr dafür, dass sie verkaufen, Michael.«

»Richtig. Andererseits wissen Aktionäre oft gar nicht, dass sie verkaufen wollen, ehe man tatsächlich an sie herantritt.«

»Das ist wahr, es lohnt den Versuch.«

»Bestimmt tut es das, und wenn diese Kette auch klein ist, könnte sie doch gerade das Richtige für dich sein, Paula.«

»Schade nur, dass die Kaufhäuser in der finstersten Provinz sind«, murmelte sie und zog ein Gesicht. »Große Städte wie Chicago und Cleveland wären eher nach meinem Geschmack.«

Michael sah sie scharf an. »Hör mal, mit deinem Talent und deiner Erfahrung kannst du jedem Kaufhaus dein besonderes Gepräge geben, und das weißt du auch. Und was macht schon die Provinz? Da draußen kann man eine Menge Geld verdienen.«

»Ja, du hast eigentlich recht«, sagte sie schnell, da ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie vielleicht undankbar klang nach all der Mühe, die er sich ihretwegen gemacht hatte. »Kannst du denn noch mehr Informationen einholen, Michael?«

»Ich werde nachher meinen New Yorker Freund anrufen und ihn bitten, die Sache weiterzuverfolgen.«

»Weiß er, dass du in meinem Auftrag nach einer Einzelhandelskette suchst?«

»Nein, aber ich kann es ihm sagen, wenn du möchtest.«

Entschlossen sagte Paula: »Nein, lieber nicht, zumindest nicht schon jetzt, verstehst du. Es ist besser, wenn niemand es weiß. Die Erwähnung meines Namens könnte den Preis hochschnellen lassen. Falls es einen Preis geben wird, heißt das.«

»Sehr scharfsinnig. Ich werde Harvey erst mal darüber im Dunkeln lassen.«

»Bitte ... und vielen Dank, Michael, dass du dir für mich so viel Mühe gemacht hast.« Ihr Lächeln war herzlich und aufrichtig, als sie hinzusetzte: »Ich weiß es wirklich zu schätzen.«

»Ich würde alles für dich tun, Paula, wirklich alles«, erwiderte er und sah sie liebevoll an. Dann schaute er auf seine Armbanduhr. »Oh, es ist schon spät! Wir sollten lieber aufbrechen«, verkündete er und erhob sich sofort. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen, aber der alte Herr hat sich zum Lunch miteingeladen.«

»Natürlich habe ich nichts dagegen«, sagte sie, und ihre Stimme wurde etwas heller. »Du weißt doch, wie gern ich Onkel Ronnie habe.«

»Und das beruht auf Gegenseitigkeit, das kann ich dir versichern.« Er warf ihr einen amüsierten Blick zu. »Der alte Herr ist ganz vernarrt in dich ... du bist sein Augenstern.«

Sie ergriff ihre schwarze Lackledertasche und schritt durch das Zimmer. »Also komm, lass uns gehen. Wir wollen ihn doch nicht warten lassen, oder?«

Michael nahm ihren Arm und geleitete sie aus dem Büro.

Während sie im Fahrstuhl hinabfuhren, musste er unwillkürlich an seinen Vater und Paula denken und das ganz besondere Verhältnis, das sie im Laufe der Jahre zueinander entwickelt hatten. Der alte Mann behandelte sie wie eine geliebte Tochter, während sie ihn zu verehren schien. Sie benahm sich jedenfalls so, als sei er der klügste Mann auf Erden, was er natürlich auch war. Dad ist ihr Rabbi geworden, dachte Michael und schmunzelte in sich hinein, außerdem ist er ein Ersatz für ihre Großmutter. Kein Wunder, dass manche Leute ihre Freundschaft seltsam fanden und neidisch waren. Er für seinen Teil freute sich darüber. Paula füllte ebenso eine Lücke im Leben seines Vaters wie dieser in ihrem eigenen.

3

Sir Ronald Kallinski, Aufsichtsratsvorsitzender der Kallinski Industries, ging gemessenen Schrittes durch die eindrucksvolle marmorne Empfangshalle von Kallinski House.

Groß, schlank und eine stattliche Erscheinung, hatte er schwarzes, lockiges Haar, das von vielen grauen Strähnen durchzogen war, und ein gebräuntes Gesicht. Er hatte die Augen seines Vaters David und seiner Großmutter Janessa Kallinski geerbt; sie waren von einem ganz hellen Kornblumenblau und wirkten in seinem wettergegerbten Gesicht umso erstaunlicher.

Bekannt dafür, nie unordentlich oder zerzaust auszusehen, ganz gleich unter welchen Umständen, war er auch an diesem Tag untadelig gepflegt und elegant gekleidet. Er trug einen kohlegrauen dreiteiligen Anzug mit makellosem weißen Hemd und einer perlgrauen Seidenkrawatte. Obwohl fast siebzig, war er so gesund und kräftig für sein Alter, dass man ihn viel jünger schätzte.

Während er durch die riesige Empfangshalle schritt, nickte er mehreren Leuten, die ihn erkannten, freundlich zu und hielt dann inne, um die liegende Plastik von Henry Moore zu bewundern, die sich in der Mitte des Raumes befand und die er auf eigenen Wunsch bei dem großen englischen Bildhauer in Auftrag gegeben hatte, der zufällig auch in Yorkshire geboren und aufgewachsen war. Sir Ronald war ebenso stolz auf seine Herkunft aus dem North Country wie auf seine jüdische Abstammung.

Nach einer kurzen Besinnungspause vor der großartigen Bronze setzte er seinen Weg fort, schob die Schwingtüren auf und trat auf die Straße hinaus. Nach nur zwei Schritten blieb er unvermittelt stehen, als ihn die Hitze des Tages traf. Er hatte gar nicht gemerkt, wie heiß es geworden war.

Sir Ronald konnte Hitze nicht ertragen. Oben in seiner Vorstandsetage, einer Reihe von schön ausgestatteten Räumen, die das ganze Obergeschoss des gigantischen Bürokomplexes einnahmen, der seinen Namen trug, war es dank der Klimaanlage eiskalt, sie war immer voll aufgedreht, außerdem wurden die Fenster stets vor Sonneneinfall geschützt. Unter denjenigen, die diese Etage von Kallinski House mit ihm teilten, hieß sie »die Antarktis«. Doris, seit zwölf Jahren seine Sekretärin, hatte sich inzwischen an die Kälte gewöhnt, ebenso die anderen leitenden Angestellten, die mehr als ein, zwei Jahre bei ihm tätig waren, und niemand machte sich mehr die Mühe und beschwerte sich. Sie bekämpften die Kälte in ihren Büros einfach, indem sie sich warme Pullover anzogen. Auch im Winter hielt Sir Ronald die Vorstandsetage und seine diversen Häuser so kalt, wie er es nur wagen konnte, ohne sich heftige Proteste von Mitarbeitern, Familienangehörigen und Freunden zuzuziehen.

Vorhin hatte er noch erwogen, zu Fuß zum Connaught Hotel zu gehen, nun war er aber froh darüber, es sich doch anders überlegt und seinen Wagen bestellt zu haben. Hier draußen herrschte eine drückende Gluthitze, kaum das Wetter, das man sich wünschen mochte, um durch die überfüllten Straßen von Mayfair zu schlendern.

Sein Chauffeur hatte ihn sofort entdeckt, als er aus dem Gebäude trat, und stand bereits in Habtachtstellung neben der hinteren Autotür.

»Sir Ronald«, sagte er, neigte ehrerbietig den Kopf und hielt die Tür noch weiter auf.

»Danke, Pearson«, erwiderte Sir Ronald, lächelte ein wenig und stieg in den burgunderroten Rolls-Royce ein. »Zum Connaught, bitte.«

Der Wagen rollte vom Bürgersteig weg, und Sir Ronald machte es sich hinten bequem und sah geistesabwesend vor sich hin. Er freute sich schon darauf, mit Paula und Michael zu essen. Paula hatte er schon seit mehreren Wochen nicht mehr gesehen, und sein Sohn war über zwei Monate lang in New York gewesen. Er hatte beide vermisst ... auf unterschiedliche Weise.

Sein Sohn war seine rechte Hand, sein Alter ego und sein Liebling. Er liebte seinen jüngeren Sohn Mark auch sehr, aber Michael nahm einen besonderen Platz in seinem Herzen ein. Er wusste nie genau, warum das so war. Wie konnte man diese Dinge auch erklären? Manchmal glaubte er, es komme daher, dass sein Sohn ihn so sehr an seinen eigenen Vater erinnerte. Michael sah David Kallinski gar nicht einmal so ähnlich, mit seinem hellen Teint und dem blonden Haar wirkte er viel angelsächsischer. Nein, es lag eher an seinem Charakter und seiner Persönlichkeit, und ebenso wie Sir Ronald bis zu Davids Tod ein herrlich kameradschaftliches Verhältnis zu seinem Vater gehabt hatte, so hatte er es jetzt zu seinem Sohn. Schon in dessen Kindheit war es so gewesen, und wenn Michael nicht da war, merkte er es sehr in der letzten Zeit und fühlte sich oft einsam, wenn sein Erstgeborener auf Reisen war.

Was Paula anging, war sie die Tochter, die er nie gehabt hatte, oder der Ersatz für die Tochter, die über ihre Kinderzeit nicht hinausgekommen war. Miriam, sein zweites Kind, das nach Michael und vor Mark geboren wurde, wäre in diesem Jahr vierunddreißig geworden, wenn sie nicht mit fünf Jahren an Gehirnhautentzündung gestorben wäre. Wie sehr hatten sie um sie getrauert, Helen und er; sie konnten nicht verstehen, warum man sie ihnen schon in diesem zarten Alter genommen hatte. »Gottes Wege sind unerforschlich«, hatte seine Mutter damals zu ihnen gesagt, und erst jetzt im Alter konnte er mit solch unerschütterlichem Gottvertrauen etwas anfangen.

Paula war die klügste Frau, die er je gekannt hatte, von Emma abgesehen, und er schätzte ihren scharfen, wachen Verstand, ihre Schnelligkeit, ihren Geschäftssinn. Aber sie konnte andererseits auch sehr weiblich sein, und er verehrte ihre Weiblichkeit ebenso, wie er sie als Zuhörerin schätzte und manchmal als Beraterin. Er bewunderte Paula sehr. Sie war eine ebenso gute Mutter wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Ihr Weg war hart, aber sie ging ihn sehr geschickt und stolperte kaum.

Er wünschte, seine Schwiegertochter wäre nur halb so praktisch und sachlich wie sie. Valentines Problem war, dass sie in einer anderen Welt lebte. Sie war flatterhaft und ewig unzufrieden. Nichts war jemals richtig, nichts jemals gut genug für sie, und er konnte Michaels Gefühle nur allzu gut verstehen. Die Enttäuschung seines Sohnes war im Laufe der Jahre gewaltig gewachsen, und als die unvermeidliche Explosion dann eintrat, war sie sehr heftig. Das hatte ihn nicht überrascht. Er hatte Valentine als Frau für Michael nie akzeptiert, nicht weil sie eine Goi war – religiöse Unterschiede bedeuteten ihm kaum etwas –, sondern weil sie so oberflächlich und seiner unwert war. Er hatte es immer gewusst, aber wie sollte man das einem jungen, verliebten Mann klarmachen? Jedenfalls kam es nach heftigen Auseinandersetzungen und dem Austausch großer Geldsummen schließlich zur Scheidung. Michael hatte seine Wünsche glücklicherweise durchsetzen können – ein vorläufiges Scheidungsurteil und das gemeinsame Sorgerecht für seine drei Kinder, den Jungen Julian und die beiden jüngeren Mädchen Arielle und Jessica.

Auf Sir Ronalds strenges Gesicht trat ein Lächeln, als er an seine kleinen Enkelinnen dachte. Hätte Helen sie doch noch erleben können, sie wäre so glücklich gewesen. Aber seine Frau war vor acht Jahren gestorben. Er hatte nie aufgehört, sie zu vermissen, und als er im Jahre 1976 von Harold Wilson geadelt wurde, war seine Freude nur davon getrübt, dass Helen nicht länger bei ihm war.

Die einzigartige Ehrung hatte ihn völlig überrascht. Er hatte sich nie um einen Titel bemüht, versucht, einen zu kaufen oder deshalb große Schenkungen für wohltätige Zwecke zu machen. Er war ein wirklicher Philanthrop, und er hatte seine Anliegen, hatte großzügig für die medizinische Forschung und die Künste gespendet, das aber immer diskret und ohne Aufhebens getan.