Tod eines Bierdimpfls - Ruth M Fuchs - E-Book

Tod eines Bierdimpfls E-Book

Ruth M Fuchs

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  • Herausgeber: Raposa
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Das Straubinger Gäubodenfest: Brauchtum, Gaudi, Spaß – und ein Toter mitten im Bierzelt. Hauptkommissar Quirin Kammermeier steht vor einem Rätsel. Wie konnte jemand unter all den anderen Leuten unbemerkt erstochen werden? Und warum ausgerechnet ein harmloser und scheinbar allseits beliebter Rentner? Doch damit nicht genug! Quirin muss sich auch noch mit einer neuen Kollegin abplagen, die ihn nicht ausstehen kann und daraus kein Hehl macht. Aber liegt das wirklich nur an Quirin? Oder ist es vielleicht doch eher das abscheuliche Problem, das die Neue mit sich herum trägt und unbedingt vor aller Welt verbergen will?

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Inhaltsverzeichnis

Ganz in Weiß

Stammtisch

Kein Mädelsabend?

Der große Tag

Eindeutig Mord

Das Übliche

Ein Klugscheißer

Sonntagsarbeit

Amerikanische Krimis

Sie hat Ärger

Getrunken hat er viel

Die deutsche Eiche

Stammtischbrüder

Fackelzug und Feuerwerk

Ein Verhältnis

Wir brauchen Ergebnisse

Reine Schikane

Keine CSI-Methoden

Pichelsteiner für drei

Das stinkt

Sie hatten Streit

Ein dummer Zufall

Freunderl

Abschied

Anmerkung

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Bücher von Ruth M. Fuchs

Tod eines Bierdimpfls

ein Niederbayernkrimi

von Ruth M. Fuchs

Kriminalroman

Impressum

© 2022 Raposa

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Werks darf in irgendeiner Form ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herausgeber: Raposa – Ruth Fuchs

c/o Block Services, Stuttgarter Str. 106, 70736 Fellbach

eMail: [email protected]

Bild und Umschlaggestaltung: Ruth Fuchs

Lektorat: Jochem Reineck

www.ruthmfuchs.de

Für Dieter

Ganz in Weiß

„Quirin, du musst mir helfen! Ich habe niemanden sonst. Ich brauche jemanden, der mich berät. Du musst einfach mitkommen!“

„Du weißt schon, dass ich schwul bin – keine Dragqueen.“

„Niemand sagt, dass du das Kleid anziehen sollst!“

„Aber wenn es mir dann tatsächlich besser steht als dir? Nein, mal ehrlich: Für so etwas nimmt man doch in der Regel seine Mutter mit.“

„Meine Mutter? Spinnst du? Denkst du, ich will in einem Wust aus Tüll, Rüschen, Schleifen und Pailletten enden?“

„So schlimm?“

„Schlimmer. Und hochgeschlossen. Abgesehen davon – wie soll das gehen? Ich werde bestimmt nicht nach Weimar fahren.“

„Deine Mutter könnte herkommen.“

„Auf keinen Fall! Sie würde bis zum großen Tag bleiben. Zwei Monate lang. Thorsten und ich haben eine kleine Wohnung. Wir können sie nicht mit Müttern vollstopfen!“

Quirin Kammermeier, Hauptkommissar bei der Kripo Straubing, musterte seine Kollegin Sabine nachdenklich. Sie war eine Blondine mit einer atemberaubenden Figur und einer Vorliebe für T-Shirts mit frechen Sprüchen. Ihr heutiges Top trug allerdings die eher brave Aufschrift „Live your Life“.

„Du hast doch bestimmt die eine oder andere Freundin, die liebend gerne mitgehen würde“, versuchte er sich weiter rauszureden. „Ich glaube wirklich nicht, dass ein Mann ...“

„Unsinn. Du hast einen besseren Geschmack als die meisten Frauen!“, wischte Sabine den Einwand beiseite. „Wenn ich meine Freundinnen mitnehme, sehe ich am Ende aus wie ein Sahnetörtchen!“

„Na, so schlimm würde es bestimmt nicht werden!“

„Doch! Als ich rumgefragt habe, haben alle gemeint, ich müsste wie eine Prinzessin im Reifrock mit Tüll und Spitze daherkommen!“

„Du hast rumgefragt? Dann bin ich also gar nicht deine erste Wahl!?“

„Quirin!“

„Na ja, das trifft einen schon hart.“

„Klar hab ich gleich gewusst, dass du der Beste bei der Kleiderwahl bist. Aber mir war auch klar, dass du nein sagen würdest.“ Sabine zog eine Schnute. „Aber ich will eben nur den Besten ...“

Als ihr Freund und Kollege nach diesem Kompliment noch immer skeptisch schaute, schritt sie zum Äußersten: Augenaufschlag, Blick von unten, schief gelegter Kopf. Bei Lady Di hatte das doch immer funktioniert! Notfalls, beschloss sie, konnte sie auch noch auf die Knie sinken.

„Bitte, Quirin!“, bettelte sie, „ich habe sonst niemanden, dem ich zutrauen würde, dass er mir ehrlich die Meinung sagt. Bitte, bitte, bitte.“

„Also gut“, gab Quirin nach. Wer konnte da noch nein sagen?

„Wunderbar! Du bist ein Schatz. Wir fahren am Freitag nach München.“

„Nach München? Hier in Straubing gibt es doch genügend Brautgeschäfte.“

„In München hat‘s mehr Auswahl. Der Laden dort ist riesig. Ich will nicht nur zwischen zwei Kleidern wählen müssen.“

Quirin nickte und gab sich große Mühe, dass ihm die Gesichtszüge nicht entgleisten. Ihm schwante nichts Gutes.

Und so kam es, dass Sabine und Quirin drei Tage später in einem Geschäft für Braut- und Abendkleider in München standen. Sabine hatte den Termin vereinbart und dabei auch gleich ihre Maße angegeben, damit die Verkäuferin schon eine Vorauswahl treffen konnte.

„Eigentlich ist es nicht üblich, dass der Bräutigam dabei ist“, meinte die Dame, die Sabine beraten sollte, mit einem missbilligenden Blick auf Quirin.

„Oh, das ist nicht der Mann, den ich heiraten werde“, erklärte Sabine. „Das ist Quirin. Mein Zukünftiger heißt Thorsten.“

„Aha.“ Die Dame schaute immer noch etwas zweifelnd drein. Doch dann beschloss sie, dass das ja wohl kaum ihre Sache war, und sie bat die beiden, doch erst einmal Platz zu nehmen. „Mein Name ist übrigens Franziska. Darf ich Ihnen ein Glas Sekt anbieten, damit wir in die richtige Stimmung kommen?“

Doch weder Sabine noch Quirin wollten etwas trinken.

„Wie haben Sie es sich denn vorgestellt?“, fragte Franziska weiter. „Chic, Vintage, Landhaus oder Boho? Prinzessin oder Meerjungfrau?“

„Äh … ich ...“ Sabine spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Sie hatte keine Ahnung, wovon diese Verkäuferin sprach.

„Also, gleich vorneweg: Wenn du ein Dirndl anziehen willst, Sabine, werde ich an dem Tag krank!“, protestierte Quirin, der mit Schaudern daran dachte, dass dann ja auch die Gäste, oder wenigstens die Trauzeugen, etwas Passendes tragen sollten.

„Nein, so was zieh ich bestimmt nicht an“, beruhigte ihn Sabine. „Und Boho – das ist so was in der Art von Hippie, oder?“

„Also, so würde ich das nicht ...“

„Elegant sollte es schon sein“, warf Quirin ein. „Oder, was meinst du, Sabine?“

„Nun, wie wäre es mit der I-Linie oder der Meerjungfrau?“ Die Dame seufzte innerlich. Eine von diesen Bräuten, die keine Ahnung von nichts hatten. Das würde eindeutig dauern. „I-Linie nennen wir den enganliegenden, schmalen Stil. Meerjungfrau, oder Fishtail, ist ein Kleid, das eng bis zum Knie geschnitten ist und darunter einen weiten Rock hat. Bei Ihrer Figur würde das bestimmt wunderbar aussehen. Oder ein schmales Brautkleid – eng anliegend, der Rock schmal geschnitten in einem leichten Stoff.“

„Aha, ein Humpelrock“, meinte Quirin. „Der wurde im 19. Jahrhundert erfunden. Und den gibt‘s immer noch? Erstaunlich!“

Franziska warf ihm einen irritierten Blick zu. Wer war dieser Kerl? Ein Historiker oder ein Modedesigner oder beides?

„Also, etwas Bewegungsfreiheit hätte ich schon gern“, merkte derweil Sabine an. „Wie soll ich denn sonst gehen?“

Ein wenig irritiert fragte sich Franziska, ob Sabine an ihrem Hochzeitstag etwa eine Wanderung plante. Die paar Trippelschritte bis zum Altar konnte man doch auch in einem schmalen Rock bewältigen. Aber sie war Profi genug, sich nichts anmerken zu lassen.

„Es gäbe auch noch den Godet-Stil, da beginnt der weite Rock unterhalb der Hüfte“, schlug sie weiter vor. „Da könnten Sie dann notfalls auch größere Schritte machen.“ Sie drehte sich um, damit man nicht sah, wie sie das Gesicht verzog. „Am besten probieren wir einfach das eine oder andere aus. Sie haben Größe 38, oder?“

„Ja. Obenrum aber manchmal auch 40.“

„Das sollte kein Problem sein. Folgen Sie mir doch einfach zu den Umkleiden.“

Quirin lehnte sich zurück. Worauf hatte er sich da nur wieder eingelassen? Er hätte sich niemals träumen lassen, sich einmal mit Brautkleidern beschäftigen zu müssen. Auf so eine Idee konnte wirklich auch nur Sabine kommen. Aber gut, jetzt war er also hier und würde das Beste daraus machen.

Während er so dasaß, begrüßte ein männlicher Verkäufer, der sich als Horst vorstellte, ein paar Meter weiter eine Gruppe Frauen. Sie waren zu fünft. Wie sich herausstellte, handelte es sich um die Braut, deren Schwester und Cousine, eine Freundin und die Oma. Die Braut, die vor lauter Vorfreude geradezu leuchtete, war ein wenig klein und pummelig, was ihr aber gut stand. Bemerkenswert war vor allem ihre Oberweite.

„Körbchengröße G?“, riet Horst fachkundig. Die Braut nickte errötend.

„Und wie haben Sie es sich vorgestellt?“, forschte er weiter.

„Ich hätte gern eine Mischung aus ‚Sissi‘ und ‚Vom Winde verweht‘.“

Quirin verdrehte die Augen. Wusste diese Braut denn nicht, dass sie inzwischen im einundzwanzigsten Jahrhundert angekommen waren? Und jemand mit ihrer Größe und Figur in einem Wust aus Stoff mit Reifrock? Sie würde aussehen wie eine Baisertorte!

Da kam Sabine aus der Kabine in einem weißen Spitzenkleid, dessen Oberteil eng saß, während es knapp unterhalb der Hüfte in einen weiten Rock aus Tüll ausschwang. Die Trennungslinie wurde mit einem breiten Band aus Strass abgesetzt. Ein schönes Kleid, zweifellos. Nur dass der Rock hinten noch ein, zwei Meter über den Boden schleifte. Sabine stieg auf ein kleines Podest zwischen drei Spiegeln und drehte sich kritisch hin und her.

„Der Pfarrer wird sich sicher freuen, dass jemand mal seine Kirche durchwischt“, kommentierte Quirin.

„Die Schleppe kann man hinten hochstecken“, bot Franziska an.

„Aber wozu ist sie denn dann da?“

„Äh, ich kann Ihnen das auch rund machen.“

Sabine schaute trotzdem nicht gerade glücklich drein. Quirins Kommentar erinnerte sie daran, dass sie kirchlich heiraten würde, obwohl sie mal geschworen hatte, das nie und nimmer zu tun. Das Brautpaar hatte lange deswegen diskutiert. Thorsten schien es wichtig. Also hatte sie nachgegeben. So eine kirchliche Trauung war ja wirklich um einiges feierlicher. Besonders in der Kirche des Ursulinenklosters, einem Bau der Brüder Asam. Ein echtes Kleinod. Und ihre Mutter, die extra mit einigen anderen Verwandten aus Weimar anreisen würde, hätte dann so richtig einen Anlass zum Weinen. Das tat sie ja wirklich gern.

„Können Sie dann auch gleich den Strass abtrennen?“, fragte Sabine weiter, winkte aber ab, als sie Franziskas entsetzten Blick bemerkte.

Also ab zum nächsten Kleid.

Die Braut nebenan steckte inzwischen auch in ihrem ersten Versuch. Das Kleid hatte einen bauschigen Rock mit einer langen Schleppe und war tief dekolletiert.

„Das ist 3D-Spitze“, kommentierte Horst. „Aber vielleicht wäre ein gerader oder ein wellenförmiger Ausschnitt bei Ihrem Busen passender. Wir wollen doch nicht, dass es ordinär wirkt, nicht wahr?“

„Ach, so schlimm finde ich das gar nicht“, protestierte die Freundin.

„Na ja, sie hat halt Holz vor der Hütt‘n“, meinte die Schwester.

„Die Spitze ist toll!“, schwärmte die Cousine.

„Du schaugst aus wie a Schnallen“, kommentierte die Oma.

Quirin schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht aufzulachen. Schnalle, also Nutte für Nichtbayern, war vielleicht ein wenig übertrieben. Aber dieses Kleid war definitiv nichts für diese Braut. Sissi und Scarlett O'Hara hin oder her. Bei diesem Ausschnitt bestand die Gefahr, dass der Pfarrer seinen Text vergaß oder die Hostie fallen ließ, sobald die Dame niederkniete.

Die Braut bekam jedenfalls einen hochroten Kopf und zog sich eilig in die Umkleide zurück.

Während Quirin wartete, dass Sabine wieder zum Vorschau kam, schaute er sich im Raum um. Die Kleiderstangen voller weißer Kleider schienen sich irgendwo in den Tiefen des unendlichen Raums zu verlieren. Waren das wirklich lauter unterschiedliche Kleider? Er hoffte inständig, dass Sabine nicht alle probieren wollte. Selbst wenn sie sich auf einen Bruchteil beschränkte, hätte er sich vielleicht eine Brotzeit einstecken sollen. Vielleicht sogar einen Schlafsack.

Sabine erschien nun in einem Kleid mit einer perlenbestickten Korsage und einem so weiten und bauschigen Rock, dass Quirin bezweifelte, dass sie damit durch eine handelsübliche Tür kommen oder gar in ein Auto steigen konnte.

„Ein Prinzessinnenkleid“, kommentierte Franziska, der man ansah, dass sie dieses Kleid ganz entzückend fand.

Aber Sabine teilte ihre Meinung nicht und drehte sich nur ein paar Mal vor den Spiegeln, bevor sie nach dem nächsten Kleid verlangte.

Irgendwann verspürte Quirin ein gewisses Bedürfnis und fragte Franziska, wo er denn die Toilette finden könne.

Franziska wies ihm den Weg, und so machte Quirin sich auf, an weißen Kleidern entlang und dann nach rechts und dann nach links, bis ein freundliches Schild ihm anzeigte, dass er gefunden hatte, was er suchte. Inzwischen war es eilig, und so verschwendete er keinen Blick auf seine Umgebung, sondern marschierte einfach in eine der Kabinen. Doch als er herauskam, sah er sich genauer um. Auch hier war alles weiß, bis auf einen üppigen Blumenstrauß, der die Wand gegenüber der Waschbecken zierte. Während Quirin sich die Hände wusch, bemerkte er außerdem mehrere Dosen Haarspray, eine Ansammlung von Haarnadeln verschiedenster Formen und Haarfarben und, du lieber Himmel, eine Schale mit Tampons. Kein Zweifel, diese Toilette war eigentlich nicht für Männer gedacht. Ob Horst die auch benutzen musste? Aber wahrscheinlich gab es dafür Personaltoiletten.

Als Quirin zurückkam, stand Sabine unglücklich vor dem Spiegel. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid, das sich unter dem Busen bauschte.

„Meine Güte, kaum lässt man dich fünf Minuten allein, und schon bist du im siebten Monat schwanger!“, spottete Quirin.

„Das ist ein Kleid im Empire-Stil“, belehrte ihn Franziska eisig.

„Ja, der Stil wurde von der preußischen Königin Luise erfunden“, nickte Quirin. „Sie wollte auch an den Feierlichkeiten des Hofes teilnehmen, wenn sie schwanger war. Und sie war oft schwanger ...“

Franziska warf ihm einen säuerlichen Blick zu.

„Ich werde nie ein Kleid finden!“ Sabine schüttelte frustriert den Kopf. „Am besten heirate ich im Hosenanzug.“

„Na, na. Hier sind so viele Kleider, da ist doch bestimmt ein passendes dabei“, tröstete sie Quirin. „Lass mal sehen ...“ Er trat an den Kleiderständer, den Franziska mit über einem Dutzend Kleider bestückt hatte, und schob die Kleiderbügel auseinander. Ein Kleid nach dem anderen wurde begutachtet. „Mal sehen. Zuviel Tüll. Schleifen willst du auch nicht, hast du gesagt. Strass? Nein. Wie wäre es damit?“

Er zog ein eher schlichtes Kleid heraus, mit einem engen Oberteil und einem weiten, aber nicht zu voluminösen Rock. Es war aus einem einfachen, aber seidigen Stoff in Weiß, nur die Taille wurde mit einem Spitzenbesatz betont. 3D-Spitze, wie Quirin inzwischen gelernt hatte.

Sabine nahm ihm das Kleid aus der Hand und verschwand erneut in der Kabine.

Die andere Braut trug inzwischen ein weiteres ebenso voluminöses Kleid. Sie stand auf ihrem Podest und zupfte in der Höhe der Hüften daran herum.

„Das ist ja viel zu weit“, kritisierte die Oma.

„Das Kleid ist schon schön“, befand die Cousine. „Aber wenn ich erst mal anfange, an einem Kleid rum zu zupfen, dann weiß ich schon, das ist nicht das Richtige.“

„Nun, sie hat jetzt sozusagen einen Rohling an“, beschwichtigte Horst. „Da müssen wir hier ...“ Er wies auf die Taille, „etwas wegnehmen und hier ...“, dieses Mal deutete er auf die Hüften, „etwas zugeben.“

„Das hat aber nicht den tiefen Ausschnitt, den ich wollte“, meinte die Braut.

„Aber bei Ihrer Oberweite, wenn ich das so sagen darf, müssen wir beim Ausschnitt wirklich vorsichtig sein“, gab Horst zu bedenken.

„Ja, aber mein Busen sollte schon zur Geltung kommen. So bin ich ja ganz flach vorne!“

Quirin ging durch den Kopf, dass der Busen ja eigentlich das zwischen den Brüsten war, nicht die Brust selbst. Aber sie hatte schon recht. Das Oberteil quetschte das Ganze ziemlich flach.

Also auch nicht das Richtige.

Da kam Sabine wieder aus der Kabine. Sie strahlte.

„Das ist es!“

„Ein Kleid in A-Linie“, erklärte Franziska. „Eigentlich gehört dazu ein Reifrock und ...“

„Oh nein. So was zieh ich nicht an. Es ist perfekt, wie es ist.“

Und während sich Sabine vor den Spiegeln hin und her drehte und sich selbst bewunderte, kam auch die andere Braut aus der Kabine. In einem Kleid, das aus einem perlenbesetzten, schulterfreien Oberteil mit einem weiten Rock aus Tüll bestand. Horst hatte es angekündigt als ein Kleid, das er ausgesucht hatte, obwohl es nicht so ganz der angedachte Stil war.

„Das ist jetzt aber gar nicht ‚Vom Winde verweht‘“, befand dementsprechend die Schwester kritisch.

Stimmt, dachte Quirin, aber es macht eine tolle Figur und es sieht sehr elegant aus. Dieser Horst wusste, was einer Frau stand.

„Ach, das ist schön, das ist so schön!“, rief die Freundin und klatschte in die Hände.

„Das macht eine Hammerfigur“, meinte die Cousine.

„Das gefällt mir.“ Oma war‘s auch zufrieden.

„Wenn Sie so erscheinen, macht Ihnen der Bräutigam garantiert gleich noch einmal einen Heiratsantrag“, komplimentierte Horst lächelnd. „Ich würde es selber machen, wenn ich nicht schon verheiratet wäre.“

Die Braut strahlte. Dann brach sie in Tränen aus. Es folgte ein allgemeines gegenseitiges Umarmen, aus dem sich Horst geflissentlich heraushielt.

„Macht ein Foto, macht unbedingt ein Foto! Mama muss das sehen!“

Quirin hatte sich schon gefragt, wo denn die Mutter bei all der Familie war. Sie lag schwer erkältet daheim im Bett, erfuhr er jetzt. Dabei wäre sie so gern dabei gewesen. Aber bei vierzig Grad Fieber war das einfach ein Ding der Unmöglichkeit.

Kurzentschlossen wurde die Mutter per Skype angerufen, und die Braut drehte sich vor dem Handy, das ihre Schwester in die Höhe hielt.

„Schau mal Mama. Kannst du mich sehen?“

„Schön. Du siehst aus wie eine elegante Prinzessin“, tönte eine verschnupfte Stimme aus dem Telefon. „Was für eine wunderschöne Tochter ich doch habe!“

Diese junge Frau hatte offenbar ein besseres Verhältnis zu ihrer Mutter als Sabine.

Die war derweil bemüht, alle Bemühungen Franziskas abzuwehren, die einen Schleier und ein Diadem betrafen. Auch in Sachen Schuhe oder Täschchen lehnte sie ab.

Horst dagegen war nun schwer beschäftigt, der Schwester der Braut einen meterlangen, spitzenbesetzten Schleier auszureden. Aber er würde wohl keinen Erfolg haben gegen Sissi, Scarlett und den Rest.

Verkäufer von Brautmoden war eindeutig ein Knochenjob, befand Quirin.

Stammtisch

Jeden Freitagabend traf sich der Stammtisch. Es waren immer dieselben sieben Männer am selben Tisch: Anderl, Poldi, Franz, Sepp, Hans, Wastl und Georg, genannt Schosl. Sie gehörten weder einem Verein an noch einer bestimmten Berufsgruppe. Gemeinsam hatten sie eigentlich nur ihre Liebe zum Bier und zum gelegentlichen Schafkopfen und die Tatsache, dass sie an den Freitagen nichts Besseres zu tun hatten.

Hin und wieder standen Hans und Wastl auf, um eine rauchen zu gehen. Leider durfte man das im Lokal ja nicht mehr. Ein Umstand, der jedes Mal entsprechend abfällig kommentiert wurde.

„Mit dem Raucherg'setz hat mir die CSU recht as Kraut ausg'schütt“, beschwerte sich der Wastl, als er mal wieder aufstand. Hans erhob sich ebenfalls.

„Richtig. Ich glaube, ich wähle das nächste mal die Grünen“, erklärte er. Eigentlich wählte er ohnehin die Grünen, aber das erwähnte er nie. Zurecht, denn er erntete heftigen Widerspruch bei seinen Stammtischbrüdern.

„Die CSU hat scho mein Vatern g'wählt. Und mein Großvatern!“

„Ja. Was soll ma aa sonst wähl'n?“

„Aber ausg'rechnet der Söder? Hätt'ns da net an andern nehma kenna?“

„Ja, der Söder ...“

„Den hob ich amol kennag'lernt“, verkündete Poldi. „In Nürnberg. Da war er no a junger Hupfer ...“

„Eahm schaug o!“, feixte der Sepp. „Den Söder kennt er aa.“

„War des vor oder nachdem der Keiler dich o'ganga hat?“, witzelte Anderl prompt.

„A geh. Die Wuidsau, des war doch beim Schwammerlbrock‘n im Bayrischen Wald!“, winkte Poldi ab. „Wart amoi, i hob da a Buidl vom Markus ...“ Er kramte seine Brieftasche heraus und öffnete sie. Darin befand sich ein ganzer Stapel von Bildern, die er gewissenhaft durchging.

„Kennt's ihr den: Treffen sich zwoa Jäger – beide tot.“

Verblüfftes Schweigen, dann brüllten alle vor Lachen los. Selbst Franz, der sonst nur höflich lächelte, konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Sepp, der Witzeerzähler, grinste zufrieden.

„Aber a Hund is' er fei scho, der Söder“, kam er dann wieder auf die Politik zurück. „Apropos: Wisst‘s ihr eigentlich, warum a Hund sich die Eier abschleckt? Weil er‘s ko ...“

„Ein Windhund, sonst nichts!“, winkte Hans aber nur ab, ohne auf Sepps Witz einzugehen. Er folgte Wastl nach draußen, um auch eine zu rauchen.

„Immer noch besser als der Aiwanger.“

„Der Opflsoft? Mit dem konnst mi jag'n! Der soll dahoam bleib'n. So viel Bier konn i gar net trink'n, dass i den ertrag'!“

„Dies Jahr kommt a Europaabgeordneter aus Niederbayern.“

„Net der Aiwanger? Des is recht.“

„So schlecht is der Aiwanger aa wieder net!“

Franz seufzte. Er hielt nicht viel von Politik. Eigentlich hielt er auch von den Stammtischbrüdern nicht allzu viel. Abgesehen von Hans gab es hier nur einen, wegen dem er jeden Freitag kam.

„Schreibst du bald mal wieder ein neues Buch?“, wandte er sich an Georg. „Ich hätte da eine Idee zu einem Mord mit einem Häcksler ...“

„Mein nächster Thriller, der hat noch Zeit“, winkte der Schosl aber nur ab. Das Thema Söder schien ihn viel mehr zu interessieren. „Kommt der Söder dieses Jahr auch wieder zum Anstich?“, fragte er nämlich in die Runde.

„Anstich? Was für ein Anstich?“ Poldi war klar, was Georg meinte, doch er gab sich ahnungslos.

„Oh mei, Schosl, man merkt halt gleich, dass du a Zuagroaster bist!“, erbarmte sich der Anderl und prostete Georg gutmütig zu. „Bist ja erst drei Jahr da. Aber so langsam soll'tst trotzdem scho wiss'n, dass es auf dem Gäubodenfest keinen Anstich net gibt. Mir sind da net auf der Wiesn.“

„Und mir hab‘n auch koan Trachteneinzug wie die Mingerer, sondern an Auszug“, fiel dem Sepp ein.

„Das hab ich auch noch nie verstanden“, gab Georg zu, der immerhin inzwischen wusste, dass mit ‚Mingerer‘ Münchner gemeint waren.

„Na, weil‘s aus der Stadt ausse geht – und nunter auf den Hag‘n!“

„Aber genaugenommen stimmt das doch schon lange nicht mehr ...“

„Des is uns wurscht. Des is Tradition.“

„Oh, ja, na klar.“ Georg wusste aus leidiger Erfahrung, dass es besser war, nichts mehr zu sagen, wenn die Tradition ins Spiel kam. Das berühmte ‚Schuhplatteln‘ war noch keine hundert Jahre alt, aber bereits festgemauerte Tradition. Ein Messer zur Lederhosen zu tragen – Tradition, host mi! Obwohl inzwischen viele in der Tasche für den ‚Hirschfänger‘, die so eine Lederhose meistens aufwies, lieber ihr Handy unterbrachten. Der historische Teil auf dem Gäubodenfest war auch Tradition, obwohl es den eigentlich erst seit ein paar Jahren gab. Das hatte Georg schnell lernen müssen, als er unvorsichtigerweise meinte, dass die Straubinger da wohl die Münchner mit ihrem Oktoberfest nachahmten. Er hatte zwei Runden Bier spendieren müssen, bis ihm die Stammtischbrüder diesen Ausrutscher verziehen.

Denn die Wiesn, also das Oktoberfest in München, wurde von allen sieben mit Verachtung gestraft. Zu groß, zu teuer, zu kommerziell und viel zu viele Ausländer, lautete die einhellige Meinung. Selbst Franz stimmte dem aus vollem Herzen zu. Da war das Straubinger Gäubodenfest schon etwas ganz anderes. Obwohl es das zweitgrößte Volksfest in Bayern war, hatte es dennoch den Ruf der bayerischen Gemütlichkeit behalten. So traf man dort in erster Linie einheimische Besucher auf dem Festplatz Am Hagen. Anfang des 19. Jahrhunderts als landwirtschaftliches Vereinsfest von König Maximilian I. Joseph ins Leben gerufen, standen ursprünglich Zuchtschauen und landwirtschaftliche Anbaumethoden im Vordergrund. Die spielten heutzutage, mit der Ostbayernschau, eher eine Nebenrolle, zumindest für die meisten der Besucher. Die interessierten sich mehr für die sieben Festzelte, die zahlreichen Essens- und Losbuden und die vielen Fahrbetriebe, bei denen vom Kinderkarussell über Achterbahn und Riesenrad bis hin zu den neuesten Fahrgeschäften alles vertreten war. Beliebt waren auch die Lampionfahrt mit Niederfeuerwerk auf der nahen Donau und natürlich das Großfeuerwerk am letzten Montag.

Das Gäubodenvolksfest begann immer am Freitag vor dem zweiten Samstag im August und dauerte elf Tage. Morgen sollte es nun mal wieder soweit sein – ein Pflichttermin für die Stammtischbrüder.

Da kamen Wastl und Hans wieder zurück und setzten sich auf ihre Stammplätze.

„Kennt's ihr den von dem Madl, das zum Tätowierer geht und möcht, dass er ihr eine Muschel innen auf den Oberschenkel tätowiert ...“, begann Sepp einen neuen Witz, wurde aber unterbrochen.

„Schaugst amoi – des is ja a Ding!“, lenkte Wastl nämlich die Aufmerksamkeit der anderen auf den Fernseher. Der hing in einer Ecke des Lokals an der Wand. Gerade liefen die Nachrichten mit einem Bericht über eine Frau und deren Tochter, die gemeinsam einen Mann getötet hatten und heute verurteilt worden waren.

„Griabige G'schicht“, meinte Anderl.

„Kennt's ihr den von der oiden Frau, die zur Polizei ganga ist und ...“

„Den host scho oft erzählt, Sepp. Sie geht hin, weil sie vor zwanzig Jahren vergewaltigt word'n is und immer wieder gern davon verzählt.“

„Ja, stimmt.“ Missmutig nahm Sepp einen Schluck Bier. Doch dann grinste er wieder: „Wie is‘s mit dem? A Mannsbild lernt a Deandl kenna und sie lad ihn zu sich dahoam ein. Sie sagt aber ‚Du, ich muss dir was sag‘n: Ich hab keinen Kitzler.‘ Sagt er: ‚Macht nix. Ich trink aa an Obstler.‘“

Anderl lachte los, Franz und Georg schauten irritiert. Die anderen lächelten höflich. Nur Poldi hatte seine allgegenwärtige Brieftasche herausgezogen und blätterte in den Fotos dort herum, als hätte Sepp nichts gesagt.

„Sowas war bestimmt net das Problem von dene zwoa Weiber do.“ Wastl deutete wieder auf den Fernseher, wo Bilder der beiden Frauen mit Balken vor den Augen gezeigt wurden.

„Ja, dene hat‘s der Mo bestimmt guad b‘sorgt“, meinte Sepp.

„Von denen habe ich gelesen“, erklärte Hans, der sich wieder auf seinen Stammplatz an der Seite geschoben hatte. „Der Typ, den sie umgebracht haben, hat erst mit der Mutter ein Techtelmechtel angefangen und sich schließlich ein paar tausend Euro von ihr geliehen. Danach ist er verschwunden. Und dann hat er mit der Tochter angebandelt. Ein echter Hallodri eben. Als die zwei dann drauf gekommen sind, haben sie zusammen einen Plan ausgeheckt und ihn umgebracht. Sie haben sogar daran gedacht, ihn mit einer Heizdecke warm zu halten, um den Todeszeitpunkt zu verschleiern. Aber man hat DNA-Spuren gefunden und Mutter und Tochter so überführt.“

„Des is fei scho a Sach, was die heitz'tag alles find'n“, kommentierte Sepp. „Dene kimmt koaner mehr aus.“

„Ah geh, da gibt’s no gnuag“, widersprach da der Poldi. „I mecht net wissen, wer ois. I hob selber mal oan mitg'kriagt. Is aber scho a paar Jahr her. I hob sogar a Buidl von dem. Eigentlich is meine Schwester drauf beim Kaffee trink'n. Da hob i a Foto von ihr g'macht, und der Hallodri steht zufällig dahinter.“

„Aber früher hat man sich scho leichter do, mit'm davokemma“, beharrte Anderl, während Poldi erneut die Bilder in seiner Brieftasche durchging.

Petra, Wirtin und Bedienung in einer Person, brachte gerade eine neue Runde und schaute ihm dabei zu, während sie mit geübtem Griff vor jeden das passende Getränk auf den Tisch stellte.

„Des ...“, sagte Poldi.

In diesem Moment ging die Tür auf, und ein Pärchen kam herein. Poldi, der am Kopfende des Tisches mit direktem Blick zur Tür saß, sah auf und erstarrte. Petra drehte den Kopf und musterte die beiden interessiert, dann schaute sie erstaunt wieder zu Poldi, der plötzlich blass aussah. Sein erschrockenes Gesicht fiel sogar den beiden Neuankömmlingen auf, und sie wechselten irritierte Blicke.

„Ist was?“, wollte der Mann schließlich wissen.

„Naa. I hob Sie verwechselt. Entschuldigen S‘ schon“, stammelte Poldi.

Die Frau zog ihren Begleiter eilig weiter. Poldi aber schob seine Bilder hastig wieder in die Brieftasche.

„Das sind Touristen“, stellte Franz fest. „Die sind bestimmt wegen morgen da.“

Damit war man wieder beim Gäubodenfest.

„Dies Jahr werd ja so einig's anders“, sagte der Wastl. „Hab's es schon g'hört? Wir krieg'n a acht's Bierzelt!“

„Freilich wiss'n mir des schon“, winkte Anderl ab, und die anderen nickten.

Nur Schosl staunte: „Wirklich? Wer ist denn der Neue?“

„Der Haider kriegt a Zelt für sein Kellerbier. Im historischen Viertel.“

„Kellerbier? Du meinst dieses Zwickelbier?“ Schosl verzog den Mund. „Schmeckt gut. Aber die trübe braune Brühe in einem Maßkrug aus Glas ...“

„Der nimmt Stoakrüg', hob i g'hört.“

„Des is quant. Da bleibt des Bier aa länger frisch.“

„Ja, aber sind diese Steingutkrüge nicht teurer als die aus Glas?“ Schosl blieb skeptisch.

„Des konn uns doch wurscht sei!“

„Stimmt auch wieder.“

„So a Kellerbier tät mir schon taug'n“, meinte Poldi und fand allgemeine Zustimmung.

Nach einigem Hin und Her kam man also überein, sich pünktlich um elf zum Weißwurstessen und Kellerbierprobieren im Haiderzelt zu treffen.

Als das geklärt war, schaute der Poldi auf die Uhr: „I moan, i muass langsam ...“

„Geh weider, oane geht no“, widersprach da Wastl und gab ihm – er saß an der linken Ecke neben ihm – einen scherzhaften Rippenstoß. „Oder? Geht no oane?“

„Oane geht allweil!“, kam es im Chor zurück.

Anderl winkte Petra, die bald mit einer neuen Runde eintraf.

„Wir bringen dich schon heim“, versicherte Schosl und prostete Poldi zu, der ihm genau gegenüber saß.

„Letzt's Jahr habt's mi aber einfach schlafa lass'n“, beklagte sich Poldi, blieb aber sitzen.

Er meinte damit ihren Besuch beim letztjährigen Gäubodenvolksfest. Leider wusste der Poldi nicht immer, wann er aufhören sollte. Wenn er dann so richtig sturzbesoffen war, wurde er niemals aggressiv. Er fing auch nicht an, weinerlich Gott und die Welt zu beklagen oder noch mehr zu reden, als er es ohnehin schon tat. Nein, der Poldi schlief ohne große Vorwarnung ein. Normalerweise weckten ihn seine Spezln dann immer und brachten ihn heim. Aber letztes Jahr im Bierzelt waren sie, auch allesamt schon gut angeheitert, leise und still aufgestanden und hatten den Poldi allein schlafend am Tisch zurückgelassen. Die Bedienung hatte ein gutes Trinkgeld bekommen und ihn deswegen auch nicht geweckt. Als er dann irgendwann zum allgemeinen Gelächter ringsum wieder aufwachte, hatte er sich erst arg geschämt, später dann aber noch viel mehr geärgert.

„Des oane Mal“, erklärte der Sepp jetzt. „Nix für unguat. Mir war'n alle blau und hamm uns nachert entschuldigt. Oder eppas net?“

„Ja scho“, gab der Poldi zu.

„Na, sieg'st es.“ Sepp prostete ihm zu, Poldi prostete zurück. Damit war es erledigt.

Kein Mädelsabend?

„Was machst du am Abend vor deiner Hochzeit zu Hause?“, wollte Sabines Mutter statt einer Begrüßung wissen.

„Mit dir telefonieren“, meinte Sabine und biss sich gleich darauf auf die Zunge. Sie wusste ja eigentlich ganz genau, dass ihre Mutter nicht ironiefähig war.

„Du solltest mit deinen Freundinnen Junggesellinnenabschied feiern“, mahnte die prompt auch unbeirrt weiter. „Es gibt doch so viel zu besprechen: Make-up, Frisur, du weißt schon … und dazu ein Piccolo oder zwei ...“

Sabine öffnete den Mund, um ihrer Mutter zu versichern, dass sie das alles nicht brauchte, da redete ihre Mutter schon weiter.

„Was sollen denn die Leute sagen, wenn du still und leise daheim herumsitzt und Trübsal bläst?“

Aha, darum ging es also!

„Ich blase nicht Trübsal!“ Sabine beschloss, darauf gar nicht groß einzugehen.

„Schlimm genug, dass du mit deinem Bräutigam unter einem Dach schlafen willst. Oder hast du ihn doch ins Hotel geschickt?“

„Aber wir sind doch längst verheiratet. Die standesamtliche Trauung war schon gestern!“ Sabine warf einen besorgten Blick auf ihren Ehemann, der aber nur gutmütig grinste, denn er kannte seine Schwiegermutter in spe gut genug. Dann machte er eine Bewegung, die fragte, ob Sabine etwas zu trinken wollte. Sabine nickte heftig. Oh ja, wenn dieser Anruf überstanden war, würde sie dringend etwas zur Beruhigung brauchen!

Thorsten stand also auf und ging in die Küche.

„Er wird dich in deinem Brautkleid sehen!“, klagte derweil Sabines Mutter weiter. „Das bringt Unglück!“

„In welchem Jahrhundert lebst du eigentlich, Mama?“, Sabine hatte Mühe, ihren Ärger zu verbergen.

„Das ist nun mal so!“ Selbst handfeste Tatsachen waren für Sabines Mutter noch nie ein Grund gewesen, ihre Meinung zu ändern. „Und dann noch ein Brautkleid, das du ohne mich ausgesucht hast ...“ Jetzt klang Sabines Mutter tief verletzt. „Dabei ist es doch die Aufgabe einer Mutter ...“

„Das Kleid ist wunderschön und wird dir gefallen“, ging Sabine dazwischen, war sich da aber eigentlich gar nicht so sicher. „Und nur wegen eines Kleides extra aus Weimar nach Straubing zu kommen, das wäre doch übertrieben, oder?“

„Ich wäre gern gekommen“, versicherte ihre Mutter, immer noch gekränkt. „Und dann hätte ich die paar Tage bleiben können, um dir bei den Vorbereitungen zu helfen.“

Jaja, Sabine klopfte sich innerlich auf die Schulter: alles richtig gemacht!

„Du hättest wirklich Hilfe gebraucht“, ereiferte sich ihre Mutter weiter. „Eine ökumenische Hochzeit … ich mag mir das gar nicht vorstellen!“

Was sollen denn die Leute sagen, ging es Sabine durch den Kopf, und sie lächelte grimmig. Wäre ihre Mutter dabei gewesen, hätten sie die Ursulinenkirche niemals als Ort für die Hochzeit bekommen.

Thorsten hatte darauf bestanden, dass sie sich dort kirchlich trauen lassen sollten.

„Das ist die schönste Kirche Straubings!“, hatte er gesagt. „Nichts gegen St. Josef, gotischen Altar, Albrecht Dürer-Fenster undsoweiter. Aber die ist viel zu groß und unpersönlich. Die Asamkirche von den Ursulinen ist viel lauschiger. Und die Malereien … man nennt sie nicht umsonst das Himmlische Gärtlein. Da will ich dich heiraten, koste es, was es wolle!“

Nun, es würde einiges kosten, denn der Pfarrer war nicht begeistert von der Protestantin als Braut. Auch wenn er es anders ausdrückte:

„Das ist mit viel zu viel Aufwand verbunden“, hatte der schon ältere und fast kahle Mann eingewandt. „Sie müssten alles selber machen – Blumenschmuck, Kabel für die Musik und die Beleuchtung verlegen …!“

„Klar, machen wir!“, hatte Thorsten aber nur fröhlich geantwortet. „Wir beauftragen einen Floristen. Und ich habe einen Freund, der in einem Gospelchor singt. Die übernehmen gerne alles in Sachen Musik – dann wird es wenigstens so, wie sie es wollen, hat er gesagt. Sie müssen sie nur reinlassen.“ Als er dann auch noch erwähnte, dass ein evangelischer Pfarrer den Segen für die Braut übernehmen würde, war der erzkonservative Katholik versöhnt.

„Und dein Vater darf dich nicht mal zum Altar führen ...“

„Wie?“ Einen Moment lang hatte Sabine nicht zugehört und nun den Faden verloren.

„Dein Vater … er hätte dich so gerne zum Altar geführt!“

Nein, dachte Sabine, ihr Vater hatte ihr anvertraut, dass er so etwas hasste. Aber das war noch lange kein Grund für ihre Mutter. Und die hatte noch mehr auszusetzen.

„Ganz abgesehen davon, dass ausgerechnet ein Kollege dein Trauzeuge sein soll!“

„Ja und?“ Sabine war nicht klar, was ihre Mutter daran störte.

„Na, du hast doch gesagt, der ist homosexuell!“

„Ja, und?“ Sie hatte das vielleicht mal nebenbei erwähnt. Aber das Problem sah Sabine immer noch nicht.

„Dürfen die das denn überhaupt, in einer Kirche ...“

Jetzt war sie sprachlos.

„Das meinst du jetzt nicht im Ernst ...“, brachte sie schließlich hervor. „Sag mir, dass du nicht SO rückständig bist!“

„Du siehst immer alles so negativ.“

„Ich sehe es, wie es ist.“

„Immer trampelst du auf mir herum“, die Stimme von Sabines Mutter bekam nun etwas Weinerliches. „Ich meine es doch nur gut mit dir!“

Sabine war drauf und dran, ihr zu sagen, dass sie es nicht gut mit ihr, sondern nur mit sich selber meinte – wie übrigens alle, die einem diesen Satz um die Ohren hauten. Aber sie schluckte das hinunter. Es hätte ohnehin nichts gebracht.

„Warum heiratet ihr eigentlich nicht in Weimar? Dann müsste ich morgen nicht in aller Herrgottsfrüh aufstehen. Vier Stunden Autofahrt! Mindestens! Dabei haben wir in Weimar doch viel schönere Kirchen!“

„Die Asamkirche ist wunderschön. Außerdem heiratet man üblicherweise dort, wo man dann auch leben wird.“ Sabine atmete tief durch.

„Bei uns würdest du jedenfalls nicht am Abend vor der Hochzeit einsam und allein zu Hause sitzen und Däumchen drehen ...“

„Ich bin weder einsam, noch drehe ich Däumchen!“

„Und du würdest vielleicht öfter mal an deine alte Mutter denken.“

„Ich rufe dich jede Woche mindestens einmal an.“

„Muss ich mir das jetzt auch noch vorrechnen lassen ...“

Himmel, sie hatte es wieder geschafft! Sabine atmete tief durch und zählte im Stillen bis zehn, wohl wissend, dass sie mindestens bis zweihundert brauchen würde, um sich zu beruhigen.

Thorsten kam herein, stellte einen Gin Tonic vor Sabine, setzte sich dann neben sie und nahm sie in den Arm. Sofort ging es Sabine besser. Sie legte den Kopf an seine Schulter und ließ ihre Mutter noch eine Weile reden. Irgendwann wäre das ja mal vorbei.

„Bist du dir wirklich sicher, dass du in diese Familie einheiraten willst?“, fragte Sabine ihn kläglich, als ihre Mutter endlich zu einem Ende gekommen war.

„Genau genommen ist es für solche Zweifel ja ein bisschen spät, holdes Eheweib.“ Thorsten grinste. „Aber mal ehrlich, ich habe dich geheiratet, nicht deine Familie.“ Er küsste sie auf die Wange. Dann fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu: „Ich gebe aber zu, dass es hilft, dass sie normalerweise weit genug weg wohnt.“

Da klingelte es an der Tür. Das waren ein paar von Thorstens Spezln, die ihn zum Junggesellenabend abholten.

„Kann ich dich wirklich allein lassen?“, fragte Thorsten noch zum Abschied.

„Und ob!“ Lachend schob Sabine ihn zur Tür hinaus, wo Erwin, Thorstens bester Freund, mit den anderen wartete.

„Ich will ihn aber morgen früh in leidlich gutem Zustand zurück haben“, scherzte Sabine noch.

„Klar, wird gemacht!“, grinste Erwin. Er hatte den Abschied arrangiert und freute sich schon auf Thorstens überraschtes Gesicht, wenn er sah, was er geplant hatte. „'S heiratet sich so schlecht ohne Bräutigam.“

Damit gingen die Männer. Sabine schloss die Tür hinter ihnen, lehnte sich dagegen und seufzte tief. Endlich allein! Der Tag würde stressig genug werden. Als Erstes zum Friseur, dann Frühstück, Kleid anziehen … Sabine wollte jetzt nur noch ein bisschen fernsehen und dann früh schlafen gehen. All diese Traditionen konnten ihr gestohlen bleiben!

***

„Das wird dir bestimmt Spaß machen. Das Gäubodenfest ist was ganz Besonderes.“

„Na ja, bei uns in Schwaben ist so etwas mehr was für Kinder. Rummel und so Kirmes. Weniger Bier.“ Kurt schaute ein bisschen skeptisch drein.

„Aber du kennst doch das Oktoberfest, oder?“ Berthold lachte. „Das hier ist so was ähnliches, nur ein wenig kleiner.“

„Und gemütlicher“, fügte Ulrich hinzu.

Gemütlicher klang natürlich gut. Kurt war einmal auf dem Cannstatter Wasen, dem Stuttgarter Pendant zum Oktoberfest, gewesen und hatte beschlossen, dass ihm das eine Mal reichte. Zu viele Menschen auf zu wenig Platz für seinen Geschmack.

„Na, wir werden ja sehen“, meinte er einfach.

Er war zu Besuch bei Ulrich und Berthold, die er bei seinem letzten Urlaub im Schwarzwald kennengelernt hatte. Bisher hatten sie viel Spaß zusammen gehabt. Sie waren im Bayrischen Wald gewandert, waren mit dem Schiff nach Kloster Weltenburg gefahren und hatten die Walhalla besucht. Das Gäubodenfest sollte der krönende Abschluss seines Besuchs werden. Danach fuhr er wieder heim nach Tuttlingen im Donautal. Einerseits fand er das schade, andererseits war er froh darüber. Denn die beiden waren schon seit ein paar Jahren ein Paar. Und Kurt fühlte sich neben ihnen doch manchmal ein wenig einsam. Aber egal, morgen würde er das Straubinger Volksfest besuchen und sich amüsieren.

„Wir gehen am besten am frühen Nachmittag“, meinte Ulrich. „Da kriegt man in den Bierzelten noch am ehesten einen guten Platz … also ein Stück weg von der Kapelle.“

Der große Tag

„Also ehrlich, die Stripteasetänzerin war ein bisschen too much“, sagte Stefan zu Erwin, als sie tags darauf vor der Kirche warteten. „Vor allem, weil sie ein Mann war.“

„Aber ein gut gebauter ...“, verteidigte sich Erwin, obwohl er ganz Stefans Meinung war. Dabei schien es vorher so eine gute Idee, ein Riesenspaß.

„Also, als das Kleid erstmal weg war, sah er tatsächlich nicht schlecht aus“, kommentierte Quirin lächelnd. Auch er war bei dem Abschied dabei gewesen, was man ihm aber gar nicht anmerkte. Während die anderen mehr oder wenig übernächtigt dreinschauten, sah er blendend aus in seinem silbergrauen Anzug. Einige der Frauen, die ebenfalls vor der Kirche auf das Brautpaar warteten, warfen ihm wohlwollende Blicke zu, die er jedoch entweder nicht bemerkte oder ignorierte.

„Na, wenigstens einer weiß meine Anstrengungen zu schätzen.“ Erwin grinste. Dann verdüsterte sich seine Miene jedoch wieder. „Aber Thorsten hat dafür ausg'schaut, als wär ihm sehr schlecht ...“

„War's ihm ja vermutlich auch. Ich hab ja gleich gesagt, er soll nicht so viel durcheinander trinken.“

„Meinst du wirklich, es lag nur daran?“

Quirin wurde einer Antwort enthoben, denn eine weiße Limousine mit Blumenschmuck glitt langsam vor die Kirche. Die Straße war eng, ein Bürgersteig kaum vorhanden, und die Gäste standen auch auf der Straße herum. Schließlich kam der Wagen aber doch vor dem Eingang zum Stehen. Der Fahrer stieg aus, öffnete den Fond und half der Braut aus dem Wagen. Thorsten kletterte auf der anderen Seite aus dem Auto und beeilte sich, schnellstmöglichst an Sabines Seite zu sein. Von der langen Nacht war ihm nichts anzusehen. Er strahlte wie ein Honigkuchenpferd.

Auch Sabine war blendender Laune. Statt eines Schleiers trug sie ein Diadem aus weißen Blumen und Perlen im hochgesteckten Haar. Auch ihr Brautstrauß bestand ganz aus weißen Blumen. Kurz suchte sie Quirins Blick, der ihr anerkennend zunickte. Dann verschwanden die Gäste in der Kirche, das Brautpaar blieb draußen stehen. Als dann die Orgel zu spielen anhob, wurden beide Türflügel geöffnet und die beiden traten ein und schritten an den Gästen vorbei nach vorn zum Altar.

Straubing war Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer Kirche der Brüder Asam gekommen, weil deren Schwester Nonne im Straubinger Ursulinenkloster war. Als sie darum bat, dass die beiden dem Kloster eine Kirche bauten, hatten sie schlecht nein sagen können, obwohl Egid Quirin Asam, der die Kirche entwarf, alles andere als glücklich darüber war. Er musste sie nämlich zwischen zwei andere Bauten quetschen, da sonst nirgends Platz dafür war. Das wiederum machte es problematisch, genügend Licht in die Kirche zu bekommen. Schließlich entschied er sich für große Fenster direkt unter der Kuppel. Dadurch blieb eine Menge Platz für seine Stuckarbeiten und die Malereien seines Bruders Cosmas Damian Asam. Die beiden hatten es tatsächlich geschafft, dem Raum eine Leichtigkeit zu geben, die man gar nicht erwartete. Vor allem nicht, wenn man diese Kirche mit der Asamkirche in München verglich, die wesentlich dunkler wirkte.

Sabine schwor hinterher, dass sie nicht mehr genau wusste, wie sie in die Kirche gekommen war. Und das war eigentlich auch ganz gut so, denn sonst hätte sie bemerkt, mit welch missbilligendem Blick ihre Mutter ihr Kleid musterte. Und das hätte ihr vielleicht die Laune verdorben. Unvergesslich blieb ihr aber, dass der Chor zum Schluss „Freude schöner Götterfunken“ anstimmte, als sei ihr Jawort so unerwartet, dass man unbedingt in Jubel ausbrechen musste.

***

„Servus miteinander!“ Georg war der Letzte, der sich zu den Stammtischlern gesellte, die einen Tisch im Zelt für sich besetzt hatten. Er setzte sich neben Franz, der ein wenig einrückte.

„Zeit werd's, dass d‘ kimmst“, sagte Wastl, grinste aber freundlich. „Na ja, oana ist immer der Letzte.“

„'S ging nicht eher, meiner Frau geht’s nicht so gut“, entschuldigte sich Georg und winkte der Bedienung, bei der er eine Maß bestellte.

Dass er eine Frau mit einer ‚zarten Gesundheit‘ hatte, wie er es nannte, war nichts Neues für seine Kameraden. So ging man auch gar nicht erst näher darauf ein, sondern verlor sich schon bald in einem Gespräch über gemeinsame Bekannte, Vorfälle in Straubing und Politik. Poldi holte seine Brieftasche heraus und wählte ein Foto, das ihn mit einem Mann zeigte, der tatsächlich der junge Markus Söder sein konnte.

„Da war er no ganz frisch beim Politisieren“, erklärte er gewichtig. „Und i hob eahm g‘sagt, Markus, hob i g‘sagt, egal, was‘d machst, stell‘s immer so hin, als wär‘s was B‘sonders.“

Das sorgte für Erheiterung, und die Stammtischbrüder erklärten ihm lang und breit, dass er also schuld war an den großen und kleinen Schnitzern, die der neue Ministerpräsident schon so gemacht hatte – bis hin zu seinem Auftritt in der Fernsehserie ‚Dahoam ist dahoam‘.

„Host du da aa schon mal mitg‘spielt?“, zog Anderl Poldi auf.

„Naa. Aber die Heidrun Gärtner hob i amoi troffa.“ Ungerührt nahm Poldi wieder seine Brieftasche zur Hand und suchte ein Foto heraus, das die Schauspielerin zeigte, die in der Serie mitspielte.

„Und wo bist du do?“

„Hinter‘m Fotoapparat, du Depp.“ Poldi grinste.

Anderl winkte fröhlich ab und orderte eine neue Runde.

Sepp nahm das zum Anlass, einen seiner Witze zu erzählen: „Zwoa Bauern war‘n Nachbarn und beide hab‘n Hühner g‘habt. Und der oane hatt aa no an Hahn aus Italien. Der ist jeden Tag zum Nachbarn, und hat sich dem seine Hühner vorg'nomma. Und abends saß er dann auf'm Dach vom Hühnerstall und hat g'sungen 'Ich bin der Italiener. Ich vögel deine Hehna …' Des hat den Bauern so g'ärgert, dass er den Hahn schließlich packt und rupft. Der Hahn hat dumm g'schaugt und ist davon. Aber auf d'Nacht ist er wieder auf'm Dach g'sessen und hat g'sunga 'Ich bin der Italiener. Ich vögel deine Hehna. Nackert is's noch scheena ...'“

Sepps Spezln brüllten vor Lachen. Ob das nur am Witz oder auch schon am Bier lag, sei dahingestellt. Jedenfalls war der Sepp sehr zufrieden.

„Der Zaun von dem konn aber net guad g'wes'n sei“, erklärte der Wastl fachmännisch. Er hieß auch der „Bastl-Wastl“, nach dem Helfer in der Not in der vom Bayerischen Rundfunk vor Jahren ausgestrahlten Heimwerker-Fernsehsendung ‚Tapetenwechsel‘. An die Serie konnte sich kaum noch jemand erinnern. Höchstens, dass am Ende mindestens eine Wand tomatenrot gestrichen worden war. Und natürlich an den Bastl-Wastl, einen begabten Handwerker, der aus einem Brett und einer Stange so ziemlich alles bauen konnte, von einem Regal über einen Kleiderständer bis hin zu einem Wohnzimmertisch. Selbst McGyver, den nun fast niemand mehr kannte, wäre vor Neid erblasst neben diesem Füllhorn an Ideen auf zwei Beinen. Nachdem der Wastl nicht nur den Namen mit diesem Unikat teilte, sondern auch eine gut bestückte kleine Werkstatt in seiner Garage sein eigen nannte, hatte er schnell den Namen weg gehabt.

„Des is doch ganz wurscht, des is a Witz!“, ereiferte Sepp sich jetzt.

„Ja, freilich, nix für unguad!“ Wastl lachte und prostete ihm zu.

***

„Ich weiß ja, dass du nicht viel verdienst. Und dein … dein … Mann wahrscheinlich auch nicht. Aber ein Brautkleid aus dem Ausverkauf ...“

„Ausverkauf? Mama!“ Einen Moment wusste Sabine nicht, was sie sagen sollte. Das war auch gut so, denn bei der Wut, die in ihr hochkochte, wäre es sicherlich beleidigend geworden.

„Es ist schon sehr schlicht. Und dann auch noch so tief ausgeschnitten ...“ Wie immer bekam ihre Mutter gar nicht mit, was sie gerade anrichtete.

Zum Glück kam da Thorsten zu den beiden.

„Hallo Schwiegermama.“ Er grinste. Ihm war nur zu bewusst, dass Sabines Mutter ihn nicht zu ihren Lieblingen zählte, scherte sich aber nicht weiter darum. „Liebste Göttergattin, hab ich dir schon gesagt, wie umwerfend du aussiehst? Nein? Dann wird es aber Zeit!“ Er küsste Sabine auf die Wange. „Du bist die schönste Frau der Welt. Aber ich muss dir sagen, dass wir auch Pflichten haben: Die Hochzeitstorte wartet.“

„Dann mal los!“ Thorstens Mutter, die hinter ihrem Sohn stand, schwenkte fröhlich den Fotoapparat. „Ich werde alles ganz genau dokumentieren. Bin gespannt, wer von euch beiden die Hand oben haben wird!“

Als die drei lachend zum Buffet mit dem Kuchen gingen, trat Sabines Vater zu seiner Frau. Er amüsierte sich königlich.

„Was für ein hübsches Paar“, stellte er fest. „Hättest du gedacht, dass unsere Kleine so eine Schönheit ist?“

Den vernichtenden Blick, den ihm seine Frau zuwarf, ignorierte er mit der Übung, die wohl jeder Ehemann bei einer langen Ehe bekommt.

***

„Da schau, da ist ja sogar noch ein Tisch frei!“

„Aber da sitzt doch schon einer.“

„Nö, Kurt, das ist kein Problem“, winkte Berthold ab. „In so einem Bierzelt rückt man z'amm.“ Sicherheitshalber aber wandte er sich auch noch an die Bedienung, die mit einem Dutzend voller Maßkrüge vor der üppigen Brust gerade vorbeiging. „Ist da noch frei?“

„Der is reserviert“, meinte die. „Aber wenn‘s ihr in zwoa Stund wieder weg seids, könnts euch hinsetz‘n. Der oane da schlaft bloß a weng. Den weck i dann scho auf.“

„Na prima. Zwei Stunden reichen. Rück rein!“ Uli schob sich neben Berthold auf die Bank und winkte Kurt, sich auf die andere Seite zu setzen.

Der tat wie geheißen und setzte sich neben den Schlafenden.

***

Nach Kuchen, Tee, Kaffee undsoweiter erhob sich Erwin, der als Trauzeuge von Thorsten eine Rede hielt, in der er sich ein wenig über den Bräutigam lustig machte. Der nahm es mit Humor, genau wie die anderen Gäste.

Quirin saß mit einigen Kollegen beisammen.

„So ein lahmer Kas“, beschwerte sich Rolf Eitzenberger, der Quirins unmittelbarer Nachbar war. „Keine Brautentführung, keine Spielchen. Und die Sabine hat g'sagt, sie bringt mich um, wenn wir was mit ihrer Wohnung anstellen. Was ist denn des für eine Hochzeit?“

„Geh weiter, des is doch schee“, widersprach da aber seine Frau. „Du hast es doch eh im Kreuz!“

„Was hattest du denn vor?“, wollte Quirin wissen.

„Die Wohnungstür zumauern.“

„Das ist nicht dein Ernst!“

„Na ja, vielleicht hätt‘ ma‘s eher mit Bierkästen zug‘stapelt. Mir hätt‘n Blumen neig‘stellt. So im Topf. So was in der Art.“

„Er wollt‘ Konfetti in ihr Klimaanlag‘ steck‘n. Bloß guad, dass der Thorsten und die Sabine gar keine Klimaanlag‘ net hab’n“, mischte sich seine Frau ein.

„Wie gut, dass Sabine ein ernstes Wort mit dir geredet hat.“ Quirin grinste. „Du hättest nach den Flitterwochen sonst keine ruhige Minute mehr im Dienst gehabt.“

„Meinst du, sie kommt wieder? Ich mein, wahrscheinlich wird sie bald schwanger oder so. Die biologische Uhr ...“ Rolf spreizte die Finger.

„Was weißt du denn von der biologischen Uhr?“ Nun schaute ihn seine Frau richtig fassungslos an.

„I hab amoi so was g‘lesen!“

Quirin hörte nicht mehr richtig hin. Er hatte nie darüber nachgedacht, aber womöglich hatte Rolf nicht Unrecht. Und obwohl Quirin Sabine alles Glück der Welt wünschte, dachte er mit einem gewissen Unbehagen daran, dass er womöglich bald einen neuen Partner bekommen könnte. Wer konnte schon sagen, ob er mit dem auch so gut klar kam wie mit Sabine?

Das Kaffeegeschirr wurde gerade abgeräumt, als ein uniformierter Polizist hereinkam. Alle Augen richteten sich auf den jungen Beamten, dem sichtlich unwohl in seiner Haut war. Vielleicht doch ein Scherz auf Kosten der Braut? Doch schnell war klar, dass es um etwas Ernstes ging, als der Polizist zu Achim Schröder eilte, dem Chef der Kriminalabteilung. Er beugte sich zu ihm hinunter und flüsterte ihm etwas zu. Schröder nickte schließlich, erhob sich und räusperte sich erst einmal.

„Es tut mir leid, dass ich stören muss“, erklärte er dann, „aber wir haben einen Einsatz. Quirin, du übernimmst das.“ Quirin nickte und stand auf. „Und … naa, du net Sabine!“, fuhr Schröder fort, als sich auch Sabine erhob. „Des wär ja noch scheena. Herrschaftszeite'n, du bist die Braut! Und nach der Feier gehst auf Hochzeitsreise. Christel, du gehst mit.“

Christine Postler war ebenfalls eine Kollegin. Sie war noch nie als leitende Beamtin bei einem Einsatz dabei gewesen, hätte sich jetzt also freuen sollen. Doch sie schaute ziemlich missmutig drein, als sie aufstand, um Quirin und dem Polizisten zu folgen.

Wahrscheinlich Enttäuschung, weil sie die Feier verpasste, sagte sich Schröder und setzte sich wieder. Auch Sabine nahm wieder Platz, wenn auch ein wenig zögerlicher. Das Hochzeitsfest konnte weitergehen.

„Was ist denn passiert?“, wollte Quirin von dem Beamten wissen, als sie ins Freie traten.

„Eine Leiche auf‘m Volksfest“, erklärte der. „Schaut nach Mord aus.“

„Wirklich? Wieso?“

„In der Brust steckt a Messer.“

„Ja, zugegeben, das spricht für Mord ...“, meinte Quirin trocken und schaute sich zu Christel um, die ein wenig langsamer hinterherkam.

„Quatsch“, maulte die jedoch. „Ich wette, da sind nur zwei Besoffene aufeinander losgegangen, und es lief aus dem Ruder. Das ist bestenfalls Totschlag – wahrscheinlich sogar mit verminderter Schuldfähigkeit.“

„Wie auch immer, wir müssen da hin“, antwortete Quirin diplomatisch. „Wie ist es, fährst du bei mir mit?“

„Muss ich ja wohl.“ Christel verzog das Gesicht. Als sie Quirins verständnislose Miene sah, fügte sie zögerlich hinzu: „Mein Wagen ist in der Werkstatt.“

„Ist dir jemand reingefahren? Du hast deinen Mini doch erst seit ein paar Wochen!“ Quirin erinnerte sich, wie Christel den Kollegen stolz ihr neues Auto präsentiert hatte.

Doch er bereute fast sofort, dass er gefragt hatte, denn Christel machte ein finsteres Gesicht.

„Nein“, sagte sie scharf.

„Ach so, na ja ...“ Quirin wusste nicht recht, wie er damit umgehen sollte. „Tut mir leid, dass ich gefragt habe“, meinte er also nur und hielt ihr die Beifahrertür auf.

Ohne eine Antwort stieg Christel ein. Kaum saß sie, klingelte ihr Handy.

Als Quirin den Wagen anließ, rief sie gerade eine Nachricht ab. Sie runzelte die Stirn, dann steckte sie mit hochrotem Kopf das Handy wieder weg und starrte geradeaus aus dem Fenster.

Quirin wunderte sich, sagte aber nichts. Es war offensichtlich, dass sie nicht über das reden wollte, was sie gerade erfahren hatte. Was auch immer das war.

Das geht mich gar nichts an, sagte sich Quirin und bedauerte sich selbst ein wenig, weil er so plötzlich mit einer neuen Kollegin klarkommen musste, die offenbar auch noch schlechte Laune hatte. Nun ja, er würde sich ja nur vorübergehend umstellen müssen.

Eindeutig Mord

Der Tatort war leicht zu finden: Einige Streifenwagen standen vor dem neuen Haiderzelt. Das lag schräg hinter dem Greindlzelt, im sogenannten historischen Teil des Festes und dessen alten Fahrgeschäften und Ständen. Da sich das Fest in L-Form um die Hallen der Ostbayernschau gruppierte, lag der Bereich ums Eck des eigentlichen Festplatzes, so dass man ihn erst auf den zweiten Blick bemerkte. Dementsprechend ging das Treiben auf dem Platz fast unbeeinträchtigt weiter: Kinder bettelten darum, Pfeile auf Luftballons zu werfen, der Boden um die Losbuden war mit Nieten übersät. Die Karussells wurden lautstark von typisch näselnden Stimmen angepriesen. Eine kleine Menschenmenge hatte sich aber trotzdem schon vor dem Zelt gebildet und wuchs immer weiter an. Einige Männer von der Volksfestsicherheit in ihren gelben Westen waren damit beschäftigt, die Menge auf Abstand zu halten.

Im Zelt war von fröhlichem Treiben nichts mehr zu merken. In einer Ecke standen etliche Leute herum, die von mehreren Polizisten befragt wurden. In einer anderen Ecke gab es eine kleinere Gruppe aus acht Personen, mit zwei weiteren Polizeibeamten, die jedoch keine Fragen stellten, sondern eher so aussahen, als würden sie die acht lediglich gut im Auge behalten. Die Blaskapelle, die jetzt eigentlich Stimmungsmusik machen sollte, lümmelte auf der Bühne. Auf einer der Bänke aber lag ein Mann, der aussah, als sei er eingeschlafen und dabei zur Seite gekippt. Um ihn herum wuselten der Fotograf und zwei Leute von der Spurensicherung. Ein Absperrband umgab das Ganze. Und ein Sichtschutz war auch schon aufgestellt worden, um zu verhindern, dass Sensationslüsterne Fotos machen konnten.

„Sieht nicht so aus, als wäre da eine Rauferei eskaliert“, sagte Quirin zu Christel und trat näher heran. Allerdings hielt er Abstand, solange die SpuSi noch bei der Arbeit war.

„Ein einziger Stich in die Brust, soweit ich das schon sagen kann“, erklärte ein Mann neben ihm.

„Dr. Schmidt von der Forensik“, stellte Quirin ihn Christel vor. „Meine Kollegin Christel Postler.“

„Ach, diesmal ohne Ihre Kollegin, die Pfeiffer?“ Dr. Schmidt grinste und pfiff dann anerkennend durch die Zähne. „Ist das Ihre neue Uniform? Da bin ich ja froh, dass ich nur einen weißen Overall brauche.“

„Wir kommen gerade von einer Hochzeit“, beeilte sich Christel zu erklären und verschränkte die Arme vor ihrem lavendelfarbenen Kleid.

„Na, solange es nicht Ihre war ...“

„Gott bewahre, nein!“

Sowohl Quirin als auch Dr. Schmidt warfen ihr nach dieser Reaktion einen erstaunten Blick zu. Christel bemerkte es, wurde verlegen und schaute sich erst einmal im Zelt um.

„Schön, dass Sie auch mal vorbeischauen“, schallte es da quer durch das Zelt. Staatsanwalt Stefan Höppner kam wie ein Schlachtschiff unter vollen Segeln auf Christel und Quirin zu. „Nanu, ist das Ihre neue Amtstracht?“

„Die beiden kommen gerade von einer Hochzeit“, half Dr. Schmidt aus, ehe Quirin etwas sagen konnte.

„Ach, wer ist denn der Unglückliche?“

„Frau Pfeiffer hat heute geheiratet“, erklärte Quirin.

„Ach, ich habe Ihre charmante Kollegin schon vermisst.“ Höppner grinste. „Und Sie sind die Neue?“, wandte er sich Christel zu.

„Ja. Christine Postler“, nickte die.

„Ach, die Christel von der Post!“ Höppner lachte dröhnend.

Christel verzog gequält den Mund. Wieder einmal fluchte sie innerlich darüber, dass ihre Eltern es für einen witzigen Einfall gehalten hatten, sie ausgerechnet Christine zu nennen.

Quirin räusperte sich.

„Jaja, schon gut.“ Höppner klopfte ihm auf die Schulter. „Ich hab schon mal die Zügel in die Hand genommen. War ja nur ein Zelt weiter. Den Festauftakt durfte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Ein Pflichttermin sozusagen.“

Das erklärte, warum der Staatsanwalt so passend mit einer langen Wildlederhose, einem Trachtenhemd und einem Janker bekleidet war.

„Und wissen Sie schon, wer der Mörder ist?“, fragte Quirin und machte ein unschuldiges Gesicht.

Höppner schaute einen Moment verdutzt, dann winkte er lachend ab: „Schon gut, machen Sie weiter!“ Er ging zurück zum Tresen, der eine Seite des Zeltes einnahm. Dort stand ein Bierkrug für ihn bereit. Der Tote hatte ihm den Durst anscheinend nicht verdorben.

„Wann ist es denn passiert?“, fragte Quirin derweil der Arzt und deutete auf den Toten.

„Oh, das kann ich erst sagen, wenn ich ihn auf dem Tisch habe“, wich Dr. Schmidt jedoch aus.

„Was soll denn das heißen? Da muss es doch Zeugen geben“, mischte sich Christel wieder ein.

„Nein, anscheinend nicht.“ Der Arzt schüttelte den Kopf. „Und ich vermute, er ist tatsächlich schon eine Weile tot.“

„Aber das Zelt war doch bestimmt gut besucht!“

„Ja, schon.“ Dr. Schmidt lächelte die aufgebrachte Christel gutmütig an. „Aber ich bleibe dabei. Zwei bis drei Stunden waren es bestimmt, eher länger. Die Totenstarre hat schon an den Augenlidern eingesetzt. Allmählich wird auch der Hals steif, aber das Meiste ist noch beweglich. Nachdem es hier nicht so warm ist wie draußen, würde ich auf um die Mittagszeit tippen. Aber das ist wirklich nur ein Schuss ins Blaue.“

„Aber wie kann denn das sein? Da muss es hier doch ziemlich zugegangen sein!“

„Wie das möglich ist, müssen Sie herausfinden. Das geht über meine Kompetenz.“ Der Arzt grinste Christel an, nickte Quirin zu und ging dann zu dem Toten, der abtransportiert werden sollte. Auf sein Zeichen hin, wurde die Leiche in den Leichensack gehoben.

Quirin kam näher, um selbst einen Blick auf den Toten zu werfen. Der Mann dürfte bereits über sechzig gewesen sein, etwas beleibt, aber nicht fett. Rote Äderchen um die dunkle Nase zeigten, dass ihm das Bier sehr gut geschmeckt hatte. Die fleischigen Hände sprachen von einem arbeitsamen Leben. Er trug braune Kordhosen und ein blau kariertes Hemd, das makellos sauber war – abgesehen von dem roten Fleck rund um den Griff eines schmalen Messers, der aus der Brust des Toten ragte.

„Die Todesursache dürfte klar sein“, meinte Quirin zu Christel, die neben ihn getreten war. Sie holte tief Luft und schaute etwas unbehaglich drein.

„Dein erster Toter?“, fragte er mitfühlend.

„Natürlich nicht!“ Sie warf ihm einen bösen Blick zu und wandte sich dann ab.

Quirin seufzte. Natürlich hatten sie alle beim Streifendienst, mit dem die Laufbahn eines Polizisten immer begann, schon Tote gesehen. So gesehen eine dumme Frage. Aber das war Christels erster Einsatz als führende Ermittlerin. Da war so eine Leiche doch irgendwie etwas anderes. Fand er zumindest. Christel offenbar nicht.

Energisch schob Quirin den Gedanken beiseite, um wie viel einfacher doch alles mit Sabine gewesen war, und ging stattdessen zu einem der beiden Beamten, die bei der achtköpfigen Gruppe standen. Diese Leute waren wohl die unmittelbaren Zeugen.

Als Quirin dazukam, beschwerte sich einer gerade bei einem Polizisten: „Hören Sie, wir sind auf Urlaub hier! Wir lassen gutes Geld bei euch Bauern. Die Stadt lebt doch vom Tourismus, oder? Da kann man doch wohl eine bessere Behandlung erwarten. Wir stehen jetzt hier schon seit Ewigkeiten rum, nur weil da einer einen Unfall hatte und wir zufällig gerade am selben Tisch saßen!“

Der Mann gehörte zu einer Gruppe aus zwei Frauen und zwei Männern. Die beiden Frauen trugen Dirndl zu Zöpfen und mit Stoffblumen besetzten Haarreifen. Grell bestickt, schulterfrei und megakurz hätte Quirin solch einen Aufzug auf dem Oktoberfest erwartet. Hier auf dem Gäubodenfest sah man das eher selten. Zumindest noch. Das galt auch für die überreich bestickten Lederbundhosen der beiden Männer.

Der Polizist, den der eine angemault hatte, ballte die Fäuste. Als er Luft holte, um eine Antwort zu geben, ging Quirin schnell dazwischen.

„Grüß Gott. Ich bin Hauptkommissar Quirin Kammermeier. Ich bin der leitende Beamte hier. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“ Er schenkte dem Touristen ein zuckersüßes Lächeln, während er sich im Stillen darüber wunderte, wie man erstens solche Hosen – bei näherem Hinsehen entpuppte sich das Wildleder auch noch als billiges Kunstleder – und zweitens zu solchen Bundhosen dann auch noch Sandalen tragen konnte, mit weißen Sportsocken, um das Ganze abzurunden.

„Lang! Das können Sie laut sagen!“, ging der Mann nun Quirin an und schenkte dem Polizisten keine Beachtung mehr.

„Tu ich ja“, meinte Quirin.

„Wie?“ Der Bundhosenmann schaute nun etwas verwirrt.

„Laut sagen. Ich habe es ja laut gesagt.“

„Auch noch witzig, oder? Mensch, was fällt Ihnen eigentlich ...“

„Richtig, ich bin ein Mensch“, unterbrach Quirin und zog sein Notizbuch hervor, „genau wie der Mann, der mit Ihnen am Tisch saß und erstochen wurde. Was übrigens kaum als Unfall gelten kann.“ Er musterte den aufgebrachten Mann jetzt kalt.

„Manfred-Schatzi, lass doch“, zwitscherte da eine der Damen im Mini-Dirndl und legte dem Mann die Hand auf den Arm.

„Ah, Ihr Name ist also Manfred“, stellte Quirin fest und lächelte wieder. „Und wie weiter?“

„Barth – haben wir alles schon Ihrem Kollegen gesagt“, antwortete Manfred Barth irritiert.

„Sehr schön. Und Sie saßen also mit Ihrer Begleitung an dem Tisch mit dem Toten?“

„Aber wir wussten doch gar nicht, dass er tot ist!“, mischte sich nun der andere Mann ein. Er trug Sneaker zu den Lederhosen. Auch nicht viel besser. Quirin stellte interessiert fest, dass seine nackten Waden nicht nur sehr gebräunt, sondern auch rasiert waren.

„Das will ich hoffen“, nickte Quirin, „sonst kämen Sie als Mörder in Frage.“

„Wann sind Sie denn angekommen?“, ging Christel da ungeduldig dazwischen.