Vergessen? Ach wo! - Ruth M. Fuchs - E-Book

Vergessen? Ach wo! E-Book

Ruth M Fuchs

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Beschreibung

Wenn das ganz normale Leben auf die Welt der Elfen, Hexen und Kobolde trifft, liegen Alltägliches und Unglaubliches oft ganz nah beieinander. In siebzehn Erzählungen zeigt Erkül-Bwaroo-Chronistin Ruth M. Fuchs, dass nicht nur der schrullige Elfendetektiv ihre Phantasie beflügeln kann: Ob nun eine Prinzessin mit Handy und Limousine sich eines Riesens erwehren muss, eine Badewanne ein Geheimnis hütet, ein Ökobestatter einen Kobold trifft, der Kühlschränke liebt oder eine Hexe einen Staubsauger zum Fliegen bevorzugt – der unverwechselbare Humor der Autorin entführt uns in zum Teil sehr moderne Fantasywelten und zeigt, dass das Genre viel mehr zu bieten hat, als epische Kämpfe und Weltenrettung.

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Vorwort

Die Vergessenen

Varra

Rätselhafte Samstage

Benebelt

Rosalinds Apfel

Herrn Müllers Verschwinden

Wult der Wender

Die Sache mit dem Hasen

Eins, zwei, drei – Hexerei

Lollepoll

Das Gastrecht der Moyren

Jenseits des Zauns

Unzufriedene Bücher

Ein Ersatzkobold

Blut, Blut, Blut

Der Schussel

Schlafende Sonnen

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Bücher von Ruth M. Fuchs

Vergessen? Ach wo!

Ein phantastisches Sammelsurium

von Ruth M. Fuchs

Kurzgeschichtensammlung

© 2016 Raposa

Alle Rechte vorbehalten.

Impressum

Raposa – Ruth Fuchs

V.i.S.d.P.

Autorencentrum.de

Ein Projekt der BlueCat Publishing GbR

Peter Maassen

Gneisenaustr. 64

10961 Berlin

Titelillustration: Arthur Rackham

Umschlaggestaltung: Ruth M. Fuchs (www.ruthmfuchs.de)

Lektorat: Carolin Olivares-Canas (http://olivares-canas.com)

www.raposaverlag.de

Für Dieter

Vorwort

Mit dem Schreiben habe ich erst relativ spät angefangen. Also, mit dem richtigen Schreiben. Eigentlich fand ich immer, dass mein Talent mehr in der bildenden Kunst liegt, besonders beim Modellieren. Dann fiel mir ganz unerwartet die Möglichkeit in den Schoß, ein Fantasymagazin herauszugeben. Neues zieht mich immer magisch an. Also machte ich mich ganz blauäugig daran, dreimal im Jahr Neues aus Anderwelt herauszubringen. Wenn ich geahnt hätte, worauf ich mich da einließ – ich hätte es trotzdem getan.

Nun ja, abgesehen von den technischen und organisatorischen Problemen musste jedes Heft auch mit irgendetwas gefüllt werden. Und dabei sollte am Ende eine Seitenzahl herauskommen, die durch vier teilbar war, wegen der Bindung. Aus irgendeinem Grund sind die Götter der Printmagazine aber der Meinung, dass immer Seiten fehlen oder auch, je nach Betrachtung, zu viel sein sollten.

Um das auszugleichen, fing ich also an zu schreiben, Artikel zum jeweiligen Thema und Kurzgeschichten. Nichts Besonderes, dachte ich.

Eines Tages erhielt ich dann eine Mail vom Eulenverlag mit der Bitte, doch ein Buch zu schreiben. Der damalige Eigentümer des Verlags, Harald Gläser, hatte meine Beiträge gelesen und gut gefunden. Er war noch einer dieser Verleger der alten Schule, die auch mal bereit sind, ein Risiko einzugehen, wenn sie glauben, ein Talent entdeckt zu haben. Ein wundervoller Mensch, wie man ihn heutzutage viel zu selten findet - und so machte ich mich daran, Die wunderbare Welt der Elfen und Feen zu schreiben, als Ruth Schuhmann. Ich weiß noch, dass das ganze Buch im Wesentlichen in vier Tagen fertig war – der „Schreibvirus“ hatte mich erwischt. Ich bin ihn bis heute nicht losgeworden und hoffe, dass das noch lange so bleibt. Auch wenn ich jetzt kaum mehr zum Modellieren komme.

Obgleich Erkül Bwaroo, der Elfendetektiv mit dem großen Schnurrbart und dem noch größeren Ego, einen großen Teil meiner Zeit für sich beansprucht, sind da doch immer auch noch andere Figuren und Ideen für Geschichten, die geschrieben werden wollen.

Einige davon sind nun in diesem Buch versammelt. Sie handeln von Kriegern, Kobolden, Prinzessinnen, Riesen, Hexen, Nebelgeistern und einem vorlauten Klopfsauger. Der eine oder andere dieser Texte ist bereits bei Neues aus Anderwelt erschienen oder in ähnlicher Form in dem Buch Kunibert Kumbernuss – Gefundene Geschichten. Doch die meisten sind neu.

Manche erzählen von haarsträubenden Ereignissen, andere sind eher leise und bescheiden. Viele sind voller Humor, einige ein bisschen traurig. Aber alle haben nur ein Ziel, dich, lieber Leser, gut zu unterhalten.

Und sie warten schon ganz ungeduldig darauf, entdeckt zu werden. Deswegen fasse ich mich kurz und wünsche einfach nur: Viel Spaß beim Lesen!

Mit herzlichen Grüßen

Ruth M. Fuchs

Die Vergessenen

Da saß er ja wieder, der alte Herr, in seinem alten Anzug, vornübergebeugt auf der Parkbank. Wer regelmäßig auf den Friedhof kam – zum Gießen, Harken und Jäten – der kannte ihn schon, so auch die Friedhofsangestellten, für die er und „solche wie er“ nichts Neues waren. Ja, da saß er wieder, Franz, still auf seiner Bank. Er dachte nicht im Traum daran, dass ihn irgendjemand beachten könnte. Denn ihm war das alles einerlei. Wie jeden Tag saß er auf seiner Bank, spürte den Minuten nach, die vorüberschlichen, und unterhielt sich mit seiner Frau, natürlich nur in Gedanken oder manchmal leise murmelnd. Er wollte ja nicht auffallen oder gar in der Klapsmühle landen.

Seine Hilde und er, sie waren fast fünfzig Jahre lang verheiratet gewesen. Und nun besuchte er sie täglich auf dem Friedhof, saß immer auf derselben Bank mit Blick auf ihr Grab. Das war nun seine Welt, und der Rest der Welt war ihm nichts mehr. Aber er beklagte sich nicht, besuchte lieber jeden Tag sein Hildchen – und sie hatte es ja wirklich nett hier. Das war Trost genug für ihn, der von den Menschen nicht zu trösten war, die es auch bald aufgaben, ihn in Ruhe ließen und auf seiner Bank vergaßen.

So schnell kann es gehen, dass man noch da ist und doch nicht mehr von dieser Welt – diese Welt, die sich heute in Blumenpracht, Vogelgezwitscher und Sonnenschein auslebte. Zum Glück stand ein Bäumchen neben der Bank und spendete Franz ein wenig Schatten. Es konnte einem im dunklen Anzug schon recht warm werden. Aber nicht im Anzug, auch wenn er noch so altmodisch und „schurwollschwer“ war, zu Mathilde zu gehen, das war undenkbar. Das war er sich und seiner Hilde schuldig. Soviel ging dahin, da konnte man sich doch nicht gehenlassen.

Gerade erzählte Franz seinem Hildchen, wie langweilig das Fernsehprogramm gestern wieder gewesen war, immer dasselbe und jedes Mal dämlicher. Und es taugte wirklich nur dazu, sich die Nacht mit den vielen schlaflosen Stunden zu vertreiben.

Da plötzlich unterbrach ein feines Stimmchen seine Gedanken: „Wurdest du auch vergessen?“

Franz sah auf und schaute sich um. Aber da war niemand. Woher kam also diese Stimme? Vielleicht war er der Klapsmühle doch schon näher als geglaubt.

„Hallo, hier bin ich!“, rief es da aus dem Baum. Dann flatterte etwas vom untersten Ast herab, um schließlich elegant auf seinem rechten Knie zu landen.

Der alte Mann staunte nicht schlecht, als da auf seinem Knie ein Junge stand, kaum größer als eine Männerhand, mit schillernd durchsichtigen Flügeln wie bei einer Libelle, die er nun sorgsam zusammenfaltete und in seinem grünen Umhang barg, den er über dem Arm getragen hatte und jetzt überwarf.

„Also doch. Klapsmühle!“

„Wie bitte?“, fragte der Junge höflich nach.

Franz hob seine rechte Hand neben den kleinen Kerl – kein Unterschied, beide wirklich gleich groß – und stupste dann mit dem Zeigefinger vorsichtig seinen Kniegast an. Der ließ sich das gefallen, schien daran gewöhnt.

„Komisch“, sagte Franz.

„Liddl, sehr erfreut“, antwortete der Junge und machte eine Handbewegung, als wollte er im Gegenzug den Alten ebenfalls anstupsen.

„Äh, Quatsch, nein, ich heiße Franz, Franz und nicht Komisch, aber, was bist du denn für einer?“

„Ich? Ich bin ein Elf.“

„Na klar, ein Elf, warum auch nicht. Meine Großmutter hat mir von Elfen erzählt, als ich noch klein war. Dass es euch wirklich gibt! Sie hat mir auch erzählt, dass Elfen unsterblich sind. Also, was machst du auf einem Friedhof?“ Er dachte kurz nach und fügte dann hinzu: „Von euch redet heute eigentlich keiner mehr.“

„Du sagst es! Ist es nicht schrecklich?“ Liddl breitete die Arme aus und seufzte theatralisch. „Wir sind Vergessene.“

„Wer ist wir?“

„Na, meine Sippe und ich. Wir sind hierher verbannt. Und ich dachte, bei dir wäre es auch so.“

„Was meinst du denn mit verbannt?“

„Siehst du, in der Welt gibt es keinen Platz mehr für uns. Früher, ja, früher, da waren hier Wälder und Wiesen. Alles, was davon übriggeblieben ist, sind ein paar schäbige Parks und Spielplätze – bessere Hundeklos und Abfalleimer, wenn du mich fragst.“

Franz nickte zustimmend.

So bestätigt, fuhr Liddl fort: „Und keiner glaubt mehr an uns, keiner bezeugt uns Respekt. Das hier ist der einzige Ort, wo es noch sauber ist und grün und nicht so überlaufen. Deshalb sind wir hier, auf dem Friedhof der Menschen. Es ist wirklich eine Schande.“

Eine Schande? Warum war das eine Schande?, fragte sich Franz. Aber das war ja nicht so wichtig. Vielmehr beschäftigte ihn, was der Elf sonst noch gesagt hatte: Die Elfen waren Flüchtlinge, Verbannte auf diesem Friedhof, weil es für sie keinen Platz mehr in der Welt gab.

„So gesehen geht es mir ähnlich“, murmelte er.

„Wieso geht es dir ähnlich?“

„Auch ich bin vergessen.“

„Hab ich es nicht gesagt? Hab ich es nicht gewusst?“, freute sich Liddl. „Ist das nicht schön, dann kannst du ja bei uns bleiben.“

„Wie soll das denn gehen?“

„Ganz einfach. Bevor die hier schließen und den letzten Rundgang machen, versteckst du dich in dem Fliederbusch da drüben. Du bist zwar groß, aber hinter dem Busch wird selbst dich niemand finden.“

„Aber … aber, das geht doch nicht, ich muss noch einkaufen, in meine Wohnung …“

„Warum?“

Ja, warum eigentlich?

***

Es hatte geklappt. Niemand hatte ihn bemerkt. Mühselig und etwas steif vom kalten Boden arbeitete sich Franz aus dem Fliederbusch heraus und befand sich in der bunten Gesellschaft kleiner geflügelter Wesen. Staunend schaute er sich um. Wo waren sie nur hergekommen? Vor ihm flatterten einige von ihnen von Grabstein zu Grabstein und gaben vorwitzige Kommentare ab.

„Ruhe in Frieden … Ruhe in Frieden … Ruhe in Frieden …“

„Unvergessen …“

„Was? Wirklich? Das ist ja mal was ganz Neues!“

„Ruhe in Frieden … Ruhe in Frieden …“

„Schade, doch nur eine Ausnahme. Und nicht wirklich originell. Also weiter im Text.“

„Ruhe in Frieden …“

Links von Franz rutschten ein paar Elfenmädchen auf der Rundung eines polierten, schwarzen Marmorgrabsteins hinunter. Er musste unwillkürlich darüber lächeln, wie sie so mit lautem „Huiiii!“ dahin sausten. Das war ihm schon lange nicht mehr passiert. Da gesellte sich auch schon Liddl wieder zu ihm. Zusammen setzten sie sich auf die alte Bank neben dem Bäumchen. Als es langsam dunkel wurde, und ein Stern nach dem anderen leuchtete, scharten sich immer mehr Elfen um ihn, plauderten mit ihm oder untereinander.

Die Elfen wurden mit der Zeit immer zutraulicher, setzten sich auf seine Knie und Schultern, tanzten in der Luft einen Reigen um seinen Kopf, dass ihm ganz wirr wurde, zausten ihm neckisch das Haar und flüsterten ihm allerlei ungereimtes Zeug in die Ohren, wobei sie fast hineinkrochen. Endlich waren seine wahrlich großen Ohren, nachdem sie ihm ein Leben lang nur Spott und blöde Bemerkungen eingebracht hatten, zu etwas nutze. Und zunehmend wurde es auch dem Alten warm ums Herz. Er taute auf und begann, aus seinem Leben zu erzählen. Die Elfen schienen gar nicht genug davon zu bekommen, wollten immer noch mehr hören, baten und bettelten geradeso wie kleine Kinder. Wie schon lange nicht mehr, fühlte er sich glücklich, aufgenommen und „leicht“. Ein Schmetterling wäre im Vergleich zu ihm ein fliegender Amboss.

Auf seiner rechten Schulter saß Liddl und ließ sich diesen Platz von niemandem streitig machen, war er doch mächtig stolz darauf, dass „er“ es gewesen war, der Franz entdeckt hatte. Wie schade, dass es nicht jeden Abend so sein konnte – oder vielleicht doch?

„Hör mal …“, begann Liddl und zupfte Franz am Ohrläppchen, weil der ihn kaum verstand.

Seit Franz nämlich von seiner Hochzeit und seinen Flitterwochen erzählte und davon, wie, wo und an welch seltsamen Stellen Hilde und er noch nach Tagen überall den Hochzeitsreis gefunden hatten, hörten die Elfen nicht mehr auf, zu kichern und zu lachen.

Franz lächelte Liddl zu, sah plötzlich viele Jahre jünger aus.

„ … möchtest du vielleicht etwas trinken?“, fuhr Liddl fort.

„Oh ja, gern, ich habe wirklich Durst.“

Liddl flog weg, kam aber bald darauf mit einem silberglänzenden Becher zurück, den er Franz ganz außer Atem reichte. Was für Franz nämlich nur so groß wie ein kleines Schnapsglas war, das konnte Liddl kaum schleppen. Aber gerade als Franz ihm das Glas an die Lippen setzen wollte, zog Liddl es wieder zurück.

„Nein, nein, nein, ich kann das nicht“, jammerte er.

Franz erschrak. Die anderen Elfen durchbohrten Liddl mit vorwurfsvollen Blicken.

Er aber wehrte sie mit wedelnden Armen ab und stammelte: „Nein, wirklich, ich kann das einfach nicht. Nicht bei ihm, er ist doch so nett.“

„Natürlich ist er nett, was sollten wir auch mit einem, der nicht nett ist?“

„Das versteht ihr nicht. Ich mag ihn“, gestand Liddl verlegen. „Ich will ihn nicht hintergehen.“

„Ach, was bist du denn für ein Elf! Hat dich vielleicht ein Spritzer Weihwasser erwischt?“

„Was ist hier eigentlich los? Und was heißt hintergehen?“, unterbrach sie Franz misstrauisch, schon etwas verärgert. „Raus mit der Sprache!“

„Das da, das Getränk da, das ist Tauwein“, gestand Liddl kleinlaut.

„Ja und weiter?“

„Wer Tauwein mit Elfen teilt, der …, der …“

„Ja?“

„Der muss bei ihnen bleiben.“ Liddl schaute seinen neuen Freund sehr unglücklich an und heulte dann los. „Wir hätten dich doch so gerne für immer bei uns. Und … und du bist doch auch verbannt, hast du wenigstens gesagt, und es ist doch so schön mit dir. Dir gefällt es doch auch bei uns, oder?“

„Ist ja schon gut, wein doch nicht“, beruhigte ihn Franz und stupste ihn freundlich an der Schulter. „Es ist gut, dass du mir das mit dem Tauwein gesagt hast. Natürlich gefällt es mir bei euch, aber so eine Sache muss doch gut überlegt sein.“

„Siehst du, Liddl, jetzt überlegt er es sich noch.“

„Seid doch mal still!“, mischte sich eine energische Elfendame ein und wandte sich dann an Franz: „Weißt du, wenn du unseren Tauwein trinkst, schließt du einen Pakt mit uns. Nur auf diese Weise können wir dich mitnehmen in unsere unterirdische Welt. Der Eingang ist gleich da vorne im alten herzoglichen Mausoleum. Natürlich könntest du zurückkehren, aber du würdest dann rasch altern und … und …“

„ … sterben“, beendete Franz ihren Satz. Dabei warf er einen Blick auf das Grab seiner Frau. „Aber eigentlich bin ich ja schon tot.“

„Das darfst du nicht sagen“, widersprach ihm Liddl. „Na ja, weißt du, du kannst es dir ja noch überlegen. Bis Sonnenaufgang ist ja noch Zeit.“

„Aber wir könnten uns doch auch so jede Nacht …“ Angesichts der betretenen Mienen unterbrach Franz seinen Satz.

. „Aha, offensichtlich nicht“, murmelte er für sich.

„Auf jeden Fall haben wir noch viel Zeit, bis die Sonne wieder aufgeht“, wiederholte Liddl und brach damit das Schweigen. „Wie auch immer du dich entscheidest, lass uns jetzt feiern und unser Zusammensein genießen.“

***

Wo blieb nur der alte Herr, der sonst jeden Tag auf seiner Bank gesessen hatte. Wo blieb er nur. War er vielleicht krank? Oder gar gestorben? Dass man ihn gar nicht mehr zu sehen bekam! Da konnte man sich ja richtig Sorgen machen. Ach nein, in ein paar Tagen war er sicher wieder da. Aber, was lag denn da auf dem Rand des Grabes? Ein Schnapsglas aus Silber? Also, was die Leute alles wegwarfen!

Varra

Ein Spaziergang an der frischen Luft ist gesund? Elfen sind zart und lieblich? Freundlichkeit zahlt sich immer aus? Vergessen Sie's! Ich gebe Ihnen einen guten Rat: Meiden Sie die freie Natur! Und wenn es unbedingt sein muss, machen Sie um Himmelswillen einen Bogen um Weißdornbüsche! Oder gehen Sie wenigstens nicht so nah ran, besonders dann nicht, wenn Sie eine hinreißende Melodie hören. Das Wesen, das diese Musik aus einer winzigen Silberflöte hervorzaubert, ist gemein, hinterhältig und gefährlich – aber wer glaubt mir das schon?

Trotzdem weiß ich, wovon ich spreche. Ich habe es selbst erlebt. Es war an einem wunderschönen, sonnigen Tag. Mein schon etwas betagtes Auto hatte schlappgemacht. Im nächsten Dorf fand sich eine Werkstatt und der Mechaniker dort war mir sofort sympathisch, als er sich den Satz verkniff, den ich sonst immer zu hören bekomme „Typisch Frau am Steuer.“ Stattdessen erklärte er mir, das sei alles gar nicht so schlimm und er könnte meinen Wagen ganz schnell wieder flott bekommen. So ein bis zwei Stunden müsste ich aber warten.

Ich beschloss, mir die Zeit mit einem Spaziergang zu vertreiben. Nach gerade mal drei Häusern schlenderte ich auch schon einen Feldweg entlang, Kraut links, Rüben rechts oder umgekehrt – ich bin nun mal ein Stadtmensch. Das Dorf hatte ich schon hinter einem Hügel gelassen, als ich mit einem Mal Musik hörte. Sie schien aus einem Busch herauszududeln. Zugegeben, ich kenn mich da nicht so aus und mit Gedudel tu ich der Musik wohl unrecht. Es klang zart und rein, voller Harmonie, aber es war immer das Gleiche. Jedenfalls ging ich näher ran. Zuerst sah ich gar nichts. Dann aber entdeckte ich auf einem Zweig ein winziges Mädchen. Es war zierlich. Goldgelocktes Haar fiel ihr über die Schulter, zwischen ihre hauchdünnen, zerbrechlich aussehenden Flügel. Das schönste und anmutigste Geschöpf, das es auf Erden gab! Zumindest dachte ich das damals. Als sie mich bemerkte, schenkte sie mir ein betörendes Lächeln. Mit einer Stimme, die für ihre Größe überraschend klar und ziemlich laut war, begrüßte sie mich. Dann fragte sie nach meinem Namen.

Schreckhaft bin ich ja nicht gerade, wenn sich aber eine offensichtliche Sinnestäuschung ganz zwanglos mit dir unterhält, da kann es einem schon anders werden.

Meine „Wahnvorstellung“ hieß Varra. Sie erklärte mir, sie sei eine Weißdornelfe und fühle sich einsam, denn sie sei die Letzte ihrer Art.

Kurz und gut, schließlich machte es sich Varra in meinem Rucksack bequem und fuhr mit mir nach Hause. Wer kann einem so entzückenden Wesen schon widerstehen! Sie würde mein Leben sicherlich verschönern und bereichern und meine Einsamkeit - ich lebte nämlich auch allein - beenden, dachte ich.

Eins wurde mir bald klar, einsam war ich nicht mehr! Varra schien niemals schlafen zu müssen. Und wozu schlief ich denn überhaupt? Wenn sich doch Varra mit mir unterhalten wollte! Eine Unterhaltung bedeutete für sie nicht etwa, gemütlich auf dem Sofa zu sitzen und tiefgeistige Gespräche zu führen. Nein, das war ihr zu langweilig. Sie schmiedete lieber Pläne. Zuerst einmal wollte sie mich von Grund auf umkrempeln, lag mir wegen meiner Kleidung und Frisur in den Ohren. Natürlich ist eine langlebige Elfe mit ihrem „Wissen von Generationen“ viel gescheiter und erfahrener als so ein Mensch und hat natürlich auch den besseren Geschmack. Aber, mal ehrlich, wie sieht das denn aus, wenn eine etwas pummelige Person von Mitte dreißig und gerade mal eins zweiundsechzig in engen Shirts und grünen Zipfelröcken aus schimmerndem, durchsichtigen Chiffon, natürlich ohne was drunter, herumläuft? Varra fand es reizvoll, genauso, wie sie fand, dass meine brünetten Schnittlauchlocken sich gut in eine goldene Mähne umfärben ließen. Dabei bin ich durch und durch ein dunkler Typ! Glauben wenigstens Sie mir: Es sähe einfach verboten aus!

„Das kannst du gar nicht beurteilen“, schmollte Varra, wann immer ich ihr dies und anderes auszureden versuchte. „Elfengeschmack ist unerreicht.“

„Elfen haben ja auch keine Figurprobleme.“

„Das spielt gar keine Rolle.“

Langsam aber sicher sehnte ich mich nach meiner Einsamkeit zurück. Das Ganze zehrte an meinen Nerven. Wer war ich überhaupt, ständig nach der Pfeife einer kleinen Elfe zu tanzen? Ich fing an, immer öfter auch mal „Nein“ zu sagen.

Ungefähr zu diesem Zeitpunkt begann meine Pechsträhne. Vor dieser Zeit war ich recht geschickt und ordentlich gewesen. Plötzlich aber verlegte ich alle möglichen Sachen, um sie erst nach Stunden wiederzufinden. Außerdem, und das war noch viel schlimmer, ging mir ständig etwas zu Bruch. Wann immer ich etwas anfasste, entglitt es auch schon meinen Fingern, um mit Geschepper auf dem Boden zu landen.

Mein Chef sah sich das ein paar Tage an. Dann versetzte er mich von Glas und Porzellan zu Plastik- und Campinggeschirr. Ich kann ihn ja verstehen, aber das war nicht gerade ein Aufstieg.

Ich hatte ja so meinen Verdacht.

„Varra, hast du mich verzaubert?“, fragte ich eines Abends vorsichtig.

„Ja, ich bin bezaubernd, nicht?“ Varra ließ sich graziös neben mir auf dem Sofa nieder.

„Äh, so meine ich das nicht. Ich meine, hast du einen Zauber über mich geworfen? Weil – ich bin in letzter Zeit so ungeschickt ...“

„Tollpatschig“, nickte Varra und sah sehr zufrieden aus. „Aber Elfen können nicht zaubern. Nur die Feen.“

„Ach. Gut.“

„Elfen können nur verwünschen. Im Guten wie im Schlechten.“

Ich hatte immer gedacht, DAS würden die Feen machen, so kann man sich irren. Aber die Antwort beruhigte mich kein bisschen.

„Und, hast du?“, forschte ich weiter. „Ich meine, hast du ...“

„Natürlich.“ Sie nickte feixend. „Ich habe das nur getan, damit du endlich einsiehst, wie gut ich es mit dir meine.“

Ab da versuchte ich, Varra wieder loszuwerden. Aber sie war zu flink. Und notfalls machte sie sich unsichtbar. Auch wenn ich noch so flehentlich bat und bettelte, hörte sie einfach nicht hin. Schließlich wusste sie es ja besser und wollte nur mein Bestes.

In der Arbeit stellte ich mich blöd an, meine Wohnung war von Varra besetzt, ich schlief schlecht, hatte zu nichts mehr Lust und keinen Appetit mehr – ich nahm sogar ab. Unter meinen Augen lagen dunkle Ringe, die in meinem unnatürlich blassen Gesicht überdeutlich zur Geltung kamen.

Hin und wieder dachte ich sogar an Selbstmord. Doch eines Tages …

Zum ersten Mal kamen wir in der Mittagspause ins Gespräch, nachdem ich mich an ihren Tisch gesetzt hatte. Ich wusste, dass sie neu war: Angela, Stoffblumen und Deko.

Aufgefallen war sie mir schon lange: zierlich, mit langen, ganz hellblonden Haaren und fließenden Kleidern in Erdfarben – richtig ätherisch und versponnen eben. Eigentlich fand ich, dass sie schwindsüchtig aussah, aber das war vielleicht auch nur der Neid. Jedenfalls saß ich gerade mal zehn Minuten an ihrem Tisch. Ich glaube, es ging in unserem Gespräch gerade um Hobbys, da eröffnete sie mir auch schon, dass sie fest an Elfen glaubte, aber noch nie eine gesehen hatte.

„Ach, da müssten Sie mal zu mir nach Hause kommen“, rutschte es mir raus.

„Sie sehen nicht gerade aus wie jemand, der Umgang mit Elfen pflegt“, meinte sie zweifelnd.

„Das sagt meine Elfe auch immer.“.

Sie dachte wohl, dass ich sie auf den Arm nehmen wollte. Zuerst war ich nur sauer, dass sie mir meine Elfe nicht glaubte, nur weil ich nicht danach aussah. Aber plötzlich hatte ich eine Idee, wurde ganz freundlich, ganz Schwester im Geiste, und lud sie zu mir ein. Zum Tee natürlich! Angela trank keinen Kaffee. Mir erzählte Varra ja auch andauernd, dass Kräutertees viel besser für mich wären.

Meine Elfe blieb unsichtbar, aber ich wusste, dass sie uns aufmerksam beobachtete. Ich ermunterte Angela in ihren Ansichten, fragte nach, wollte Genaueres wissen. Ich wuchs geradezu über mich hinaus. Eigentlich bin ich nicht gesellig und kann keinen Smalltalk. Unterhaltungen zu zweit versickern in der Regel nach wenigen Minuten, wenn ich einer von beiden bin. Aber diesmal nicht. Angela tat es offensichtlich gut, dass sie mal ernst genommen wurde, und so kam sie vom Hundertsten ins Tausendste, geriet richtig in Fahrt und ins Schwärmen. Sie gestand mir ihre liebsten Träume, schien glücklich darüber, dass sie nicht ausgelacht wurde.

Mir war auch nicht nach Lachen zumute. Schließlich wusste ich es besser, und das alles war viel zu ernst.

Als sie in das Fahrwasser „animalische, weibliche Urkräfte … Wolfsfrauen … Kräfte des Mandala … schamanische Einflüsse des Feng-Shui … Indianer in China? … Weiblichkeit der Mondzyklen …“ geriet, schwieg ich mich sicherheitshalber aus. Zum Glück war sie so mit Feuereifer bei der Sache, dass es ihr nicht weiter auffiel. Als wir uns schließlich voneinander verabschiedeten, schien sie richtig glücklich und fast bereit, mir zu glauben, dass in meiner Wohnung eine Elfe ihr Unwesen trieb, Pardon, mein Leben bereicherte.

Wie würde wohl Varra reagieren? Nun, zuerst sah und hörte ich nichts von meiner Elfe. Schließlich kam sie langsam angeflattert und ließ sich, selbstverständlich äußerst anmutig, auf der Rückenlehne des Sofas nieder.

„Na?“, begrüßte ich sie.

„Wer war denn das?“, fragte Varra in diesem gelangweilten Ton, den jeder anschlägt, wenn man nicht merken soll, dass er oder sie vor Neugier fast platzt.

„Angela, eine neue Kollegin aus dem Kaufhaus.“

„Wirst du die noch öfter einladen?“

Jetzt hieß es: aufpassen und auf der Hut sein! „Nein, weißt du, ist nicht meine Wellenlänge.“

„Was hat denn das damit zu tun?“, brauste Varra auf, ganz wie erhofft. „Und überhaupt, an mich denkst du wohl gar nicht?“

„Wieso an dich? Du warst doch die ganze Zeit nicht da.“

„Natürlich war ich da, nur eben unsichtbar.“

„Ja und? Was soll die ganze Diskussion, Angela kommt eh nicht mehr. Ich habe sie gelangweilt, wahrscheinlich noch mehr als sie mich.“

„Ja, das ist wirklich ein Problem“, gab Varra zu.

Wortlos schluckte ich diese Beleidigung. Hier stand mehr auf dem Spiel als mein angeknackstes Selbstwertgefühl.

Das Thema ließ sie nicht los. Nach einigem Hin und Her ließ ich mich dazu überreden, Angela doch noch einmal einzuladen, aber nur, wenn Varra sichtbar bliebe. Ich war mir ganz sicher, dass Angela meine Einladung auch ohne Aussicht auf ein „Elfenrendezvous“ gerne annehmen würde.

Varra sagte ich das lieber nicht.

Also „erschien“ Varra der entzückten Angela und beide waren sofort voneinander begeistert und hingerissen. Es dauerte zwar noch ein paar Wochen und Treffen, aber endlich ließ mich Varra wissen, dass sie zu Angela ziehen werde. Ich tat entsetzt, zierte mich noch ein wenig, erklärte ihr dann aber, dass ich ihrem Glück ja nicht im Wege stehen wollte. Dann ließ ich sie noch feierlich den Fluch zurücknehmen und legte sie in Angelas Hände.

Zwar kehrte ich wieder zu Glas und Porzellan zurück und Varra war ich auch los, doch dafür hatte ich jetzt Angela am Hals. Dass sie jede Mittagspause an meinem Rockzipfel hing, wäre ja gar nicht so schlimm gewesen – das eine oder andere, was sie sagte, war ja sogar interessant. Auch die spöttischen Bemerkungen der Kollegen störten mich nicht. Sollten sie ruhig. Aber dass Angela mich ständig zu Hause anrief, auch mitten in der Nacht, oder gleich ohne jede Vorwarnung an meiner Tür klingelte, ebenfalls mitten in der Nacht, das nervte. Und wie immer, sie meinte es ja nur gut, glaubte tatsächlich, dass sie mich über mein großes Opfer hinwegtrösten müsste. Dass ich überhaupt kein Opfer gebracht hatte, nahm sie mir nicht ab. In ihren Augen war ich einfach wahnsinnig selbstlos.

Was sollte ich tun, wohin mich wenden? Varra hatte mich wenigstens auf der Straße und im Kaufhaus in Ruhe gelassen, aber Angela war allgegenwärtig und das ständig. Wenn ich sie zu hart anpackte, hätte das vermutlich einen neuerlichen Fluch zur Folge gehabt.

---ENDE DER LESEPROBE---