Gestatten, Erkül Bwaroo, Elfendetektiv - Ruth M. Fuchs - E-Book

Gestatten, Erkül Bwaroo, Elfendetektiv E-Book

Ruth M Fuchs

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  • Herausgeber: Raposa
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Kennen Sie Schneewittchen? Wirklich? Nein! Denn eigentlich war alles ganz anders, als das Märchen uns glauben machen will! Der berühmte belgische Detektiv der Queen of Crime trifft auf Märchen - wie sieht das wohl aus?

Erkül Bwaroo hat einen für einen Elfen ziemlich ungewöhnlichen Beruf – er ist Privatdetektiv.

Als der Elf mit dem stattlichen Schnurrbart und dem französischen Akzent eines Tages von sieben Zwergen zu der Leiche einer wunderschönen Prinzessin gerufen wird, scheint jeder außer diesen Zwergen von einem Unfall auszugehen. Doch auch Bwaroo wittert ein Verbrechen. Allerdings kann er nicht die Meinung der Zwerge teilen, nur die Stiefmutter der Prinzessin könne die Mörderin sein. Vielmehr gibt es für ihn eine ganze Reihe von Verdächtigen, einschließlich der sieben Zwerge. Der Detektiv macht sich also daran, mit seinen ‚kleinen grauen Zellen’ den Fall zu lösen. Dabei schreckt er auch nicht davor zurück, seine eleganten Lackschuhe dem feuchten Waldboden auszusetzen. Mit Hilfe seines unerschütterlichen Dieners Orges kommt er bei der Aufklärung auch scheinbar gut voran – da geschieht ein zweiter Mord.

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Inhaltsverzeichnis

Sie ist ein Biest

Es war Mord!

Ein Sarg aus Glas

Ein toter Hase?

Das Büro Inspektor Jupps

Elsie, die 'Ortshexe'

Ansichten eines Butlers

Ich habe nachgedacht

Besuch im Königsschloss

In tiefer Trauer

Nein, sie war nicht beliebt

Spieglein, Spieglein

Pardon, ich habe mich verlaufen

Nicht mit Erkül Bwaroo

Ich glaube, sie kommt nicht

Paparazzi vor dem Haus

Ein Puzzle, bei dem noch Teile fehlen

Welch unerwartete Begegnung

Zu Gast im Goldhaufen

Elsie verschweigt etwas

Damenbesuch für Monsieur Bwaroo

Ach, Sie sind es!

Sie muss ihn gekannt haben

Orges hat wie immer Recht

Das Geheimnis des Spiegels

Sie darf es nie erfahren!

Das hätt’s früher nicht gegeben

Ein Pressesprecher mit kleinen Schwächen

Blick in die Polizeiakten

Bleistifte, richtig spitz

Ein Zwerg wird flügge

Nochmal der Goldhaufen

Aussprache unter Vettern

Leonie schüttet ihr Herz aus

Die Zeiten ändern sich

Vertrauen Sie Papa Bwaroo!

Letzte Vorbereitungen

Ein Staatsbegräbnis

Das große Finale

Die Sache mit dem Schnupftabak

Bwaroo weiß Bescheid

Ende gut, alles gut

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

Weitere Bücher von Ruth M. Fuchs

Gestatten, Erkül Bwaroo, Elfendetektiv

von Ruth M. Fuchs

Phantastischer Kriminalroman

Impressum

© 2022 Raposa

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Werks darf in irgendeiner Form ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herausgeber: Raposa – Ruth Fuchs

c/o Block Services, Stuttgarter Str. 106, 70736 Fellbach

eMail: [email protected]

Umschlaggestaltung: Chris Schlicht

www.dreamspiral.de

Lektorat: Jochem Reineck

www.ruthmfuchs.de

Für Dieter

Sie ist ein Biest

Leonie spülte wie jeden Abend die schmutzigen Gläser. Seit etwa einer Stunde hatten sie geschlossen – Sperrstunde. Ihr Vater war schon zu Bett gegangen. Sie war allein. Leonie liebte diese Zeit, wenn sie für sich sein und in Ruhe nachdenken konnte. Normalerweise kam ja immer irgendjemand, um etwas zu wollen – meistens ihr Vater. Und gerade in letzter Zeit war ihr der besonders auf die Nerven gegangen mit seinen Plänen. Die junge Frau mit den dicken, dunklen Zöpfen schüttelte unwillig den Kopf. Heiraten sollte sie. Nun, dagegen war an und für sich nichts einzuwenden. Aber ausgerechnet diesen Orgulo? Lieber würde sie als alte Jungfer enden. Zwischen Leonies Augenbrauen bildete sich eine steile Falte, so zornig war sie über das Ansinnen ihres Vaters. Was der nur an diesem Burschen fand? Diese Frage hatte sie sich schon oft gestellt. Und nie hatte sie eine Antwort gefunden.

Da riss ein Geräusch sie aus ihren Gedanken. Jemand klopfte an die Tür. Dreimal kurz und schnell, zweimal mit merklicher Pause. Nanu? Die zwei Wochen waren doch noch gar nicht rum. Neugierig ging Leonie zur Tür, schloss auf und öffnete einen kleinen Spalt. Aber da stand er wirklich und leibhaftig, der Mann, dem ihr Herz gehörte. Doch die erste Freude verflog sofort wieder, als sie sah, in welchem Zustand er war. Er sah gehetzt aus, verstört und verzweifelt. Schnell öffnete die junge Frau die Tür ganz und trat beiseite, um ihn einzulassen.

„Was ist geschehen?“, fragte sie bestürzt.

„Leonie, verzeih, dass ich so hereinplatze. Aber ich wusste nicht, wohin sonst.“ Er sah aus, als würde er gleich zusammenbrechen.

„Ist schon in Ordnung.“ Sanft drängte sie ihn auf einen Stuhl. „Aber sag mir doch, was los ist?“

„Sie wollte sie töten! Sie wollte meine kleine Wuhli töten, mein Schätzchen, mein Mäuselchen“, brach es schließlich aus ihm hervor. „Ich hab sie gerettet, aber bei mir kann sie nun nicht mehr bleiben ...“

Leonie verstand, was er meinte. Sie verkniff es sich, zu sagen, was ihr im ersten Moment durch den Kopf ging: ‚Ich hab's ja gleich gesagt.’ Stattdessen strich sie ihrem Liebsten beruhigend über den Kopf. In seiner Aufregung hatte er doch tatsächlich sogar seine Mütze vergessen. Na, nicht so schlimm, es war ja eine warme Nacht.

„Leonie, du hattest in allem Recht“, fuhr er fort. „Sie ist ein Monster! Jetzt begreif ich auch, warum du so sauer geworden bist, wenn ich von ihr erzählt habe.“

Sie nickte. Ja, sie war sauer geworden. Und eigentlich hatte er keine Ahnung wie sehr. Die Eifersucht hatte an ihr genagt wie ein Maikäfer an einem Eichenblatt. Dieses ständige Gerede von Schönheit, Anmut, Liebreiz – aber das war nun egal. Diese unvergleichliche Schönheit hatte jetzt anscheinend endlich ihr wahres Gesicht gezeigt.

Leonie ging und zapfte ein Bier, das sie vor ihren Liebsten hinstellte. Das würde ihm jetzt gut tun. Mit einem dankbaren Blick griff er nach dem Humpen und trank einen langen Zug.

„Was genau ist passiert?“, forschte sie dann, während sie sich auf dem Platz ihm gegenüber niederließ.

„Sie hat Wuhli bisher nie zu Gesicht bekommen“, berichtete er. „Ich hab immer gut aufgepasst. Aber vorhin lief sie an ihr vorbei, und sie schrie auf. Dann hat sie gezetert, wie eklig Wuhli doch sei und wie widerlich. Ich hab mein Schätzchen gleich wieder eingefangen. Aber da hat sie verlangt, ich sollte Wuhli wieder hergeben, sie würde sie höchstpersönlich erschlagen.“

„Und die anderen?“

„Haben entweder halbherzig dagegen geredet oder ihr zugestimmt, weil, wie sie sagten, es wär doch nicht so schlimm …“

„Nein!“ Leonie war ehrlich entsetzt. So weit war es mit der Gemeinschaft also schon gekommen. Und alles nur wegen dieser falschen Schlange von einer Frau.

„Aber du hast nicht nachgegeben, oder?“, fragte sie. Eigentlich war es mehr eine Feststellung. Schließlich hatte er ja schon gesagt, dass er seine kleine Freundin gerettet hatte.

„Oh, wenn die anderen nicht dazwischen gegangen wären, hätte ich diesem Monster den Hals umgedreht“, bekannte er und nahm noch einen tiefen Schluck. „Aber sie haben mich zurückgehalten. Also hab ich mir Wuhli geschnappt und bin aus dem Haus gelaufen. Und weil ich nicht wusste wohin, bin ich zu dir.“

Die junge Frau lächelte. Wenn es darauf ankam, kam er also zu ihr. Egal, was auch immer diese Fremde bisher versucht haben mochte, seine Zuflucht, seinen Schutz suchte er immer noch bei ihr, seiner Leonie.

„Das war genau richtig“, versicherte sie ihm. „Und gut, dass die anderen dich aufgehalten haben. Das Weib ist es nicht wert, dass du für sie ins Gefängnis gehst. Wuhli kann natürlich bei mir bleiben. Das geht schon irgendwie.“

„Ach, Leonie. Du bist wunderbar.“ Dankbar legte er die Hand auf ihren Arm. „Wenn dein Vater nur endlich zustimmen würde, dass wir heiraten. Ich würd es auf der Stelle tun.“

Leonie seufzte. Sie hatte nicht den Mut zu erzählen, dass ihr Vater mehr denn je darauf drängte, dass sie Orgulo nahm. Es stand in den Sternen, ob er jemals seine Meinung ändern würde.

„Wenn er nicht bald zustimmt, werd ich noch verrückt. Dann könnt ich genauso gut ins Gefängnis gehen und hätte der Welt vorher noch einen Dienst erwiesen, wenn ich dieses Biest beseitigt hätte ...“

Leonie schnappte erschrocken nach Luft.

Es war Mord!

„Also dann“, redete Bilmo sich selber gut zu, „reiß dich zusammen. Die Leiche kann schließlich nicht ewig so rumliegen.“

Er holte noch einmal tief Luft und stellte sich dann auf die Zehenspitzen, um den Klingelzug erreichen zu können. Noch einmal zögerte er kurz, dann zog er kräftig daran. Nervös drehte er seine Zipfelmütze in den Händen und ertappte sich dabei, wie er hoffte, es sei niemand zu Hause. Doch da öffnete sich auch schon die Tür und ein distinguierter Butler blickte mit undurchdringlicher Miene auf ihn herab: „Sie wünschen?“

„Ich möchte zu Erkül Bwaroo.“ Bilmo schluckte, fügte dann aber noch rasch hinzu, „in einer geschäftlichen Angelegenheit.“

„Natürlich.“ Der Butler verzog immer noch keine Miene, machte jedoch einen Schritt zur Seite und gleichzeitig eine Geste ins Innere des Hauses. „Wenn Sie die Güte hätten, einen Moment im Vestibül Platz zu nehmen ...“

Bilmo hatte keine Ahnung, was das sein sollte, trat jedoch ein. Gehorsam nahm er auf dem Stuhl Platz, auf den der Butler wies, allerdings nur vorsichtig auf dem Sitzrand. Denn er war überzeugt, dass es nicht sehr geschäftlich aussah, wenn er die Füße baumeln ließ.

„Wen darf ich melden?“, fragte der Butler mit ausdruckslosem Gesicht.

„Äh ... mein Name ist Bilmo Taschler“, stotterte Bilmo.

„Sehr wohl.“ Der Butler verschwand durch eine Tür auf der rechten Seite und alleingelassen wagte es Bilmo, sich verstohlen umzusehen, wobei er weiter seine Mütze umklammert hielt.

Er befand sich in einer Eingangshalle, von der zwei Türen abgingen, eine rechts, durch die der Butler verschwunden war und eine identisch aussehende links. Überhaupt kam man sich vor, als wäre in der Mitte des Raumes ein Spiegel, denn alles war absolut spiegelbildlich. Der Stuhl, auf dem Bilmo saß, hatte ein genau gleich aussehendes Gegenstück auf der anderen Seite des Raumes. Nur war der eben leer, und Bilmo hatte bald das Gefühl, einen Frevel zu begehen, weil er die Symmetrie durch seine bloße Anwesenheit störte.

„Draußen wartet ein Herr Bilmo Taschler“, meldete der Butler seinem Herrn. „Er bittet um eine geschäftliche Unterredung.“

Erkül Bwaroo blickte von seinem Pollentörtchen auf, das er gerade mit Genuss verspeiste: „Bilmo? Bilmo Taschler? Nie gehört. Will da mal wieder einer eine Versicherung gegen Hexenflüche verkaufen?“

„Das glaube ich nicht. Es handelt sich um einen, äh, rustikalen Zwerg. Wegen eines Versicherungsvertreters hätte ich Sie nie gestört.“

„Natürlich nicht, Orges. Ein rustikaler Zwerg? Interessant. Es muss etwas Außergewöhnliches dahinter stecken, wenn ein Zwerg vom Land sich aus freien Stücken an einen Elfen aus der Stadt wendet.“

„In der Tat.“ Orges, der Butler, machte nach wie vor ein ausdrucksloses Gesicht.

Bwaroo strich sich gedankenvoll seinen üppigen Schnurrbart: „Très intéressant. Vielleicht ein neuer Fall. Nun gut, bitten Sie ihn in mein Büro. Ich komme gleich.“

Mit einer knappen Verbeugung verließ der Butler das Zimmer wieder. Erkül Bwaroo blickte ihm lächelnd nach. Ja, es war bestimmt ein neuer Fall. In letzter Zeit war nicht viel los gewesen und Bwaroo hatte bereits angefangen, sich zu langweilen. Selbst der brillanteste Verstand des Elfenreichs – und er zweifelte keine Sekunde daran, dass das der seine war – brauchte doch Anregung von außen. Philosophische Erwägungen oder theoretische Denkspielchen waren nichts für ihn. Nun, vielleicht bekamen seine grauen Zellen ja bald wieder etwas zu tun.

Gut gelaunt verzehrte Erkül Bwaroo den Rest des Törtchens, seiner Lieblingsspeise zu einem späten Frühstück wie heute, und trank genüsslich seine Tasse Würzmilch leer. Dann tupfte er sich sorgfältig die Mundwinkel mit der Serviette ab und erhob sich.

„Dann wollen wir doch mal sehen ...“, murmelte er vergnügt.

Bilmo folgte dem Butler durch die Tür auf der linken Seite und fand sich vor einem gewaltigen, dafür aber vollkommen schmucklosen Schreibtisch aus dunklem Holz wieder. Gehorsam nahm er auf dem Stuhl davor Platz und hielt Ausschau nach dem Mann, den zu treffen er gekommen war. Als er niemanden entdeckte, begann er wieder, seine Zipfelmütze nervös in den Händen zu drehen. Um sich abzulenken, betrachtete er den Schreibtisch genauer. Alles darauf war geradezu pedantisch um die Schreibunterlage ausgerichtet, der Federhalter lag genau parallel zum Schreibtischrand. Links davon bildete ein würfelförmiges Tintenfass einen exakten rechten Winkel dazu. Einige Briefe auf der rechten Seite waren nach Größe sortiert und genau an der oberen Ecke ausgerichtet aufeinander gestapelt.

Da ging die Tür auf, und herein kam ein Elf mit eierförmigem Kopf und einem gewaltigen Schnurrbart. Das musste Erkül Bwaroo sein! Er war erstaunlich klein für einen Elfen, vielmehr als anderthalb Ahle konnte er nicht messen. Gut, damit überragte er Bilmo noch immer um eine halbe Ahle. Aber für einen Elfen war das doch klein. Dafür hatte er ein beachtliches Bäuchlein. Und wie der angezogen war! Der maßgeschneiderte Anzug war für die Tageszeit entschieden zu elegant, das wusste sogar ein Zwerg wie Bilmo. Und unter den modischen Hosen blitzten schwarze Lackschuhe hervor, in denen man sich geradezu spiegeln konnte. Irgendwie hatte sich Bilmo einen Privatdetektiv ganz anders vorgestellt. Der hier wirkte eher wie ein Stutzer, noch dazu wie ein alter Stutzer, ein ziemlich alter Stutzer. Und dann diese spitzen Ohren!

„Beltane“, murmelte Bilmo. So spitze Ohren, hieß es, hatten nur Elfen, die an Beltane gezeugt worden waren.

„Samhain!“ Die Ohren des Neuankömmlings waren offenbar nicht nur spitz, sondern auch gut. „Ich wurde an Samhain gezeugt.“

„Oh, natürlich!“ Bilmo wurde rot und drehte seine dunkelrote Mütze noch heftiger. „Die Form ist ja ganz ähnlich ...“

Grüne Augen musterten den Zwerg, während Erkül Bwaroo sich auf der anderen Seite an seinen Schreibtisch setzte: „Was kann ich für Sie tun, Monsieur?“

„Äh ...“ Bilmo stutzte und starrte den Detektiv einen Moment irritiert an. „Eigentlich bin ich ein Zwerg“, sagte er dann vorsichtig.

Erkül Bwaroo zog die Augenbrauen hoch. Seine Eigenart, französische Brocken in seine Sprache zu mischen, war ihm so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er sie selbst schon gar nicht mehr bemerkte. Aber, gestand er sich ein, es war wirklich zu viel verlangt, dass ein Zwerg, der der Aufmachung nach ein einfacher Handwerker war, auch noch Fremdsprachen beherrschte. Vielleicht sollte er versuchen, diese Angewohnheit wieder abzulegen. Dem Elfen war durchaus bewusst, dass er diese Marotte eigentlich nur angenommen hatte, um allen zu zeigen, welch weitgereister Elf er war. Elfische Adelsfamilien und solche, die es sich finanziell leisten konnten, schickten ihre Sprösslinge gern in fremde Welten, um ihrer Erziehung den letzten Schliff zu geben. Bwaroo aber stammte aus einfachen Verhältnissen und hatte hart arbeiten müssen, um sich seine Reisen leisten zu können. Deshalb sollte man auch ruhig merken, dass er viel herumgekommen war. Da er einen Streifzug durch Belgien besonders genossen hatte – ein Land, das den Feyen so freundlich gegenübersteht, dass es ein Kräuterbier nach einem Kobold benannte – hatte er sich die französische Sprache für seine verbalen Einsprengsel erkoren. Inzwischen selbst ein wohlhabender Mann und auch in gehobenen Kreisen geschätzt und geehrt, hätte er so eine etwas snobistische Ausdrucksweise eigentlich nicht mehr nötig gehabt, aber da hatte er sich bereits daran gewöhnt und blieb dabei. Nun, vielleicht könnte er sich ja ein wenig zurückhalten, beschloss er. Deshalb ging er einfach über die Antwort seines Besuchers hinweg und fragte lediglich noch einmal: „Und wie kann ich Ihnen helfen?“

„Oh, äh, ja ...“ Bilmo wusste plötzlich gar nicht mehr, wie er anfangen sollte. Dabei hatte er sich die Worte doch so schön zurecht gelegt. „Es ist wegen der Prinzessin.“

„Das Zwergenreich hat doch gar keine Monarchie“, wunderte sich Bwaroo.

„Oh, nein, es handelt sich um eine Menschenprinzessin!“

„Ah. Und was ist mit ihr?“

„Sie ist tot.“

„Wie bedauerlich.“

„Ja, und jetzt liegt sie schon seit zwei Tagen in unserer Hütte“, Bilmo atmete auf. Er hatte es ausgesprochen. Das Schlimmste war überstanden.

Erkül Bwaroo runzelte die Stirn.

„Ich bin Privatdetektiv, kein Bestattungsunternehmer“, erklärte er in leicht gekränktem Ton.

„Ja, genau“, beeilte sich Bilmo, zu versichern. „Sie wurde ermordet!“

Der Elf sah den Zwerg eine Weile schweigend an.

„Vielleicht erzählen Sie mir, wie sie zu Ihnen gekommen ist“, forderte er den Zwerg schließlich auf.

„Also. Es ist schon eine Weile her, da kamen meine Brüder und ich – also eigentlich sind wir nur fünf Brüder und die anderen beiden sind Vettern, aber verwandt ist verwandt und da nennt man uns eben die sieben Brüder. Ist einfach einfacher ...“ Bilmo blickte zu Bwaroo, um zu sehen, ob der auch verstanden hatte. Als dieser nickte, fuhr er fort: „Also, wir kamen nach Hause und fanden unser Abendessen angeknabbert, und vom Bier war auch probiert worden, und alle Betten waren zerknittert und im letzten, das ist das von Gemschi – ich bin nämlich der Älteste, und damit das Familienoberhaupt bei uns, aber der Größte ist Gemschi und deshalb hat er das größte Bett – also, da lag dieses Mädchen, zusammengerollt wie ein Kätzchen und wunderschön.“

„Sie lag wunderschön da?“

„Nein, sie war wunderschön. Was für eine Figur, und ihr Haar, lang und so schwarz wie Ebenholz. Dazu ihre Haut, hell wie Milch, nein, wie frischer Schnee. Und ihre Lippen so rot wie, wie ... eine echte Schönheit eben. Wenn Sie wissen was ich meine.“

„Eh bien, ich denke schon. Und das war die tote Prinzessin?“

„Ja. Nein.“ Bilmo knetete eifrig seine Mütze. „Da hat sie noch gelebt! Sie wachte auf und erzählte uns, sie wäre auf der Flucht vor ihrer bösen Stiefmutter, die sie abmurksen wollte, und ob sie vielleicht bei uns wohnen könnte. Die Prinzessin, nicht die Stiefmutter.“

„Und Sie ließen sie bei sich wohnen.“

„Ja, natürlich. Sie war ganz klar in Not. Wir machten aus, dass sie den Haushalt für uns führen sollte – saubermachen, kochen, solche Sachen eben.“

Erkül Bwaroo betrachtete den Zwerg. Er hatte einen für Zwergenverhältnisse ziemlich kurzen, aber gepflegten Vollbart. Seine Kleidung schien ihm jedoch zwei Nummern zu groß zu sein. Der abgeschabte Gürtel, an dem ein Hammer und ein Meißel hingen, war früher ein Loch weiter getragen worden, das zeigten deutlich die Abdrücke der Schnalle. Und die Mütze hatte Flecken. Soviel zur guten Haushaltsführung. Doch im Moment interessierte den Elfen etwas anderes: „La Princesse - hat sie gesagt, warum die Stiefmutter sie beseitigen wollte?“

„Sie wusste es nicht. Ich hab es auch nie verstanden, keiner von uns hat das. Die Prinzessin war immer lieb und nett. Und sie war so, so ... unschuldig.“

„Ein wenig naiv.“

„Na ja, richtig. Aber sie war bis dahin ja nie aus dem Palast raus gekommen. Die Tiere mochten sie übrigens auch. Ständig waren Vögel und Eichhörnchen vor der Hütte, Rehe und Hasen kamen zu Besuch. Sie sang mit ihnen, äh, mit den Vögeln, und die anderen streichelte sie und spielte mit ihnen Hofstaat.“

„Hofstaat?“ Der Elf runzelte die Stirn.

„Ja. Sie war die Königin und die Tiere ihre Minister und Höflinge und so. Und jetzt ist sie tot.“

„Was ist geschehen?“ Erkül Bwaroo beugte sich nach vorn. Jetzt wurde es richtig interessant.

„Wir wissen es nicht genau. Wir Sieben arbeiten tagsüber immer in unserem Bergwerk, und als wir vorgestern heimgekommen sind, da lag die Prinzessin auf dem Boden und atmete nicht mehr. In der Hand hielt sie einen Apfel, einen angebissenen. Da, wo sie abgebissen hatte, war alles braun.“

„Braun? Sie meinen, das Fruchtfleisch hatte sich braun verfärbt? Das ist doch nicht ungewöhnlich.“

„Doch, dieses Braun war anders, mehr so ... na ja, irgendwie anders halt ...“ Bilmo fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er wirkte plötzlich erschöpft und müde. Doch dann räusperte er sich und rappelte sich wieder auf. „Wir denken, dass unsere Prinzessin vergiftet wurde. Bestimmt war es die Stiefmutter.“

Bwaroo lehnte sich wieder zurück: „Wenn Sie das schon wissen, was führt Sie dann zu mir?“

„Wir reden hier von einer Königin!“ Der Zwerg wurde nun ganz aufgeregt und hörte sogar auf, seine Mütze zu kneten. „Eine wichtige Frau. Eine mächtige Frau. Die Menschen mögen es nicht, wenn man auf ihre Herrscher losgeht – oder ihre Herrscherinnen. Und in unserer Hütte liegt die Leiche und ... wir wussten nicht, was wir mit ihr machen sollten. Sie war immer noch so schön. Wir konnten es nicht ertragen, sie einzubuddeln.“

„Zu beerdigen.“

„Richtig. Und einfach so ohne Beweise die Königin anzuzeigen, das geht eben nicht.“

Bwaroo stimmte ihm im Stillen zu. So unrecht hatte der Zwerg da gar nicht. Zwar gehörten die Feyen – Zwerge, Elfen, Trolle, Kobolde und all die anderen – nicht zu den Untertanen der Menschen, sondern hatten ihre eigenen Regierungen, aber die einzelnen Reiche überschnitten sich. Laundom zum Beispiel, wo auch Erkül Bwaroo wohnte, hatte neben der Elfen- auch eine Zwergensiedlung. Im westlichen Teil wurde es von Menschen bewohnt – und galt diesen Menschen sogar als Hauptstadt und Residenz ihrer Königin. Das Oberhaupt eines anderen Volkes anzuklagen, bedeutete immer politische Verwicklungen, die sich unter Umständen übel auswirken konnten. Was für eine seltsam vertrackte Sachlage. Der Elfendetektiv versuchte, die Angelegenheit erst einmal von einer anderen Seite anzugehen.

„Aber letztlich bleibt nun einmal, dass Sie eine Leiche in Ihrem Haus haben. Sie werden kaum umhin kommen, die Zwergenrechtshut einzuschalten. Alles weitere haben die Rechtshüter zu ermitteln.“

„Ach ...“ Bilmo machte eine verächtliche Handbewegung. „Die werden gar nichts ermitteln. Seit den letzten beiden Malen denken die doch, wir spinnen.“

„Welche letzten beiden Male? Noch mehr tote Prinzessinnen?“ Erkül Bwaroo klang nun doch ein wenig ungeduldig.

„Neinnein!“, beeilte sich der Zwerg zu versichern, dem das trotz seiner Nervosität nicht entgangen war. Er begann wieder, seine Mütze zu malträtieren, als er fortfuhr: „Es gab bereits zwei Mordanschläge auf die Prinzessin. Einmal mit einem Gürtel und einmal mit einem Kamm. Die haben wir damals angezeigt, wurden aber an die Menschen verwiesen, weil die Prinzessin ein Mensch ist – war, meine ich. Und bei der Polizei bei den Menschen, da hat man die Fälle zwar untersucht, aber dann nur noch gelacht. Inzwischen nimmt man uns, glaube ich, einfach nicht mehr ernst. Man würde es als Unfall abtun und fertig. Deshalb bin ich ja hier! Wir können die tote Prinzessin ja nicht ewig bei uns liegen lassen ...“

„Nun, sicherlich wird es die Leichenschau zeigen, ob wirklich ein Verbrechen vorliegt ...“

„Ganz sicher, es war Mord!“

Bwaroo betrachtete den Zwerg nachdenklich. Ein Gürtel und ein Kamm als Mordwaffe. Zumindest der Kamm war höchst ungewöhnlich. Natürlich könnten die Rechtshüter und die Polizei Recht haben, aber irgendetwas sagte Bwaroo, dass hier nicht einfach nur zwergliche Hysterie vorlag. Das Ganze schien ein kompliziertes Rätsel zu sein. Ein Rätsel, wie geschaffen für Erkül Bwaroo.

„Sie möchten also von mir, dass ich die Beweise liefere, dass die Stiefmutter die Mörderin ist?“, fasste Bwaroo zusammen. Bilmo nickte eifrig.

„Donc, das kann ich nicht tun.“

Der Zwerg wurde blass. Mit so einer entschiedenen Absage hatte er nicht gerechnet.

„Sie fürchten sich also auch vor der Königin?“, fragte er leise, „Na ja, ihre Macht dürfte auch vor Elfen nicht halt machen, nehme ich an ...“

„Mon Dieu! Erkül Bwaroo hat vor nichts und niemandem Angst!“ Selbstsicher richtete der Elfendetektiv sich auf und schien einen Moment wesentlich größer, als er war. „Sie missverstehen meine Antwort, Herr Taschler. Ich kann nicht gegen eine Person ermitteln. Und auch nicht für eine Person. Ich kann lediglich die Wahrheit suchen.“

„Aber genau das will ich ja“, verdutzt hörte der Zwerg auf, an seiner Mütze zu kneten und zupfte sich stattdessen am Ohr, als habe er nicht recht gehört.

„Jedoch, wenn ich nun heraus bekomme, dass die Königin gar nicht die Mörderin ist?“

Bilmo blinzelte. Auf die Idee war er augenscheinlich noch gar nicht gekommen. Aber schließlich sagte er fest: „Wer auch immer es war. Er muss bestraft werden.“

Der Elfendetektiv holte tief Luft und fixierte seinen Gast eindringlich: „Nun, die Rechtshut respektive die Polizei muss natürlich trotzdem eingeschaltet werden. Eine Leiche ist nun mal eine Leiche. Aber natürlich könnte ich unabhängig davon ermitteln. Nun gut“, Erkül Bwaroo erhob sich. „Ich werde mein Bestes tun, die Wahrheit aufzudecken. Aber ich werde unparteiisch und objektiv vorgehen. Ganz egal, was am Ende dabei heraus kommt.“

„Prima!“ Begeistert sprang auch Bilmo auf.

„Gut. Dann möchte ich als Erstes den Tatort inspizieren.“

„Unsere Hütte? Ist recht. Ich bringe Sie gleich hin, ja? Wir können mit dem Wagen bis zu unserem Bergwerk fahren. Von da ist es nur noch ein kurzer Weg zu Fuß!“

Ein Sarg aus Glas

„Vielleicht wacht sie ja doch noch wieder auf.“

„Morry, sie liegt jetzt schon seit zwei Tagen auf dem Sofa“, der Zwerg, der das sagte, zeichnete sich durch ungewöhnliche Eleganz aus und dadurch, dass er glattrasiert war, für einen Zwerg schon fast ein Sakrileg. Er legte dem von ihm mit Morry angeredeten Zwerg tröstend den Arm um die Schulter. „Schau, Morry“, fuhr er fort, „sie atmet nicht mehr. Kein Herzschlag ...“

„Und außerdem riecht sie schon ein bisschen“, mischte sich ein anderer Zwerg ein, an dem vor allem eine regelrechte Knollennase auffiel. „Wir sollten sie irgendwo reinlegen, wo man einen Deckel drauf machen kann.“

„Bilmo hat gesagt, wir sollen nichts anrühren“, widersprach Morry, während er unglücklich auf die Leiche schaute, die vor ihm auf dem Sofa lag. Morry war selbst für einen Zwerg ungewöhnlich klein. Seine Haare wirkten ein bisschen struppig, seine Lederhose abgetragen. Irgendwie hatte er etwas von einem streunenden Hund. Er hielt seine speckige Mütze in der Hand und schniefte.

Die Tote, auf die er so traurig blickte, war eine schöne junge Frau mit rabenschwarzem Haar, das über die Sofakante auf den Boden fiel wie ein dunkler Wasserfall. Ihre Haut war bleich und wächsern, aber die Lippen schimmerten noch immer so rot wie frisch erblühter Mohn. Das Möbelstück, auf dem sie lag, war eigentlich zu klein für den Körper, denn es war für Zwerge gefertigt, die Frau aber war ein Mensch. Ihr blaues Kleid bauschte sich deshalb auf dem Boden und die Beine der Toten ragten soweit über die Polster, dass die Füße den Boden berührten. Einer ihrer Arme war herab geglitten und ruhte auf dem Teppich vor dem Sofa.

„Pah, nicht anrühren!“ Der glattrasierte Zwerg warf die Hände in die Höhe. „Als ob wir nicht längst alle möglichen Spuren verwischt hätten, als wir versuchten, sie wieder zu sich zu bringen! Und überhaupt – sagt, wir sollen nichts anrühren und kann sich dann nicht entscheiden, ob er zur Polizei oder zu den Rechtshütern gehen soll. Und weil er sich nicht entschließen kann, sitzt er rum und tut gar nichts. Bis er sich dann endlich aufrafft, zu diesem Detektiv zu gehen. Das hat wirklich gedauert!“

„Stimmt.“ Ein weiterer Zwerg, der eine große Warze auf der Nase hatte, trat an das Sofa und blickte auf die Tote hinab. „Als ob nicht ohnehin alles klar wäre - es war die Königin.“

„Na ja, bei den anderen beiden Malen hat man uns immer ausgelacht“, wandte Morry ein, „die Polizei genauso wie die Rechtshut. Da kann ich Bilmo schon verstehen, wenn er zögert.“

„Trotzdem, so kann das nicht bleiben.“ Der bartlose Zwerg schüttelte den Kopf.

„Hast du eine bessere Idee, Sem?“, fragte der Zwerg mit der Warze.

„Wir sollten sie in einen Sarg legen, wie es sich gehört.“ Sem kratzte sich sein nacktes Kinn. „Und den Apfel können wir auch endlich wegwerfen.“

„Aber Bilmo hat gesagt ...“

„Er wäre vergiftet, ich weiß. Aber die Fliegen gehen mir allmählich auf den Geist - und noch keine ist gestorben, nachdem sie auf dem Apfel gelandet ist. Spricht nicht gerade für Gift. Oder?“

„In einen Sarg?“ Morry war entsetzt. „Aber dann sieht man sie doch gar nicht mehr.“

„Wir könnten mein Aquarium nehmen“, bot da ein vierter Zwerg schüchtern an. „Ihr wisst doch, ich wollte mir mal eins bauen. Es wäre groß genug und ist dicht. Einen Deckel hat's auch – und Morry könnte seine Prinzessin immer noch anschauen.“

„Sie ist nicht meine Prinzessin!“, widersprach Morry. „Sie war mit uns allen befreundet.“

„Na, dich und deine Blumensträuße hat sie schon besonders gemocht“, spottete da der Zwerg mit der Knubbelnase.

„Du bist ja nur neidisch, Peppim, weil sie gekocht hat, und nicht du“, konterte der kleine Zwerg.

„Wenn man das Kochen nennen will ...“ Betont lässig zuckte Peppim die Schultern. „aber das Aquarium wäre wirklich eine gute Idee. Wir könnten es in eine Ecke schieben.“

„Warum nicht gleich auf den Misthaufen?“ Morry lief vor Zorn ganz rot an. „Das ist also euer Dank, dass sie unser Leben verschönt hat! Garralf, sag doch auch mal was.“

Der mit Garralf angesprochene Zwerg mit der Warze schaute etwas betreten drein.

„Ich finde, wir sollten sie an ihrem Lieblingsplatz beim Rosenstrauch aufstellen“, meinte er schließlich. „Und wenn der Detektiv kommt, schicken wir ihn wieder heim.“

„Warum das denn?“

„Was kann der schon erreichen?“ Garralf schaute alle der Reihe nach an. „Wir wissen, dass es die Königin war. Aber wir wissen auch, dass niemand es wagen wird, sie anzuklagen. Am besten, wir betrauern die Prinzessin und fertig. Alles weitere ist ohnehin sinnlos.“

„So darfst du das nicht sehen“, widersprach Peppim. „Es gibt so was wie Gerechtigkeit. Wenn Beweise gefunden werden, muss sogar eine Königin sich für ihr Tun verantworten.“

„Hört, hört!“ Höhnisch verzog Garralf den Mund.

„Angebot zum Frieden“, mischte sich Sem ein, „wir legen sie ins Aquarium und schieben es fürs erste dort an die Wand, da ist es gut zu sehen. Wo hast du das Ding hin geräumt, Frolo?“

„Sollten wir nicht auf Bilmo warten?“, warf Morry ein.

„Wer weiß, was dem wieder einfällt. Außerdem hat er gemeint, es könnte länger dauern, weil er gar nicht weiß, ob der Detektiv überhaupt da ist und den Fall übernimmt. Wenn nämlich nicht, muss Bilmo einen anderen suchen“, gab Peppim zu Bedenken und kratzte sich an seiner ausgeprägten Nase.

„Stimmt. Außerdem ist Bilmo zwar unser Führer, aber nicht unser Vormund“, beendete Sem die Diskussion. „Frolo, Gemschi - ihr holt das Aquarium und legt die Prinzessin hinein. Und du, Peppim, wirfst den Apfel auf den Misthaufen.“

Gehorsam machten sich die Angesprochenen an die Arbeit.

Morry betrachtete traurig die Tote auf dem Sofa.

„Ich werde ein paar Blumen für sie pflücken“, murmelte er schließlich und machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen.

Doch an der Tür stieß er mit Peppim zusammen.

„Ich weiß nicht, wie das passieren konnte“, stammelte der, kreideweiß im Gesicht. „Ich hab den Apfel auf den Misthaufen geworfen. Da muss er wieder runtergekugelt sein und dann ...“

Verdutzt starrten die anderen Zwerge auf das, was ihnen Peppim hinhielt.

„Was soll ich damit machen?“, frage er. Seine Stimme klang ein wenig panisch. „Bestimmt kommt jetzt Bilmo gleich zurück und dann?“

Ein toter Hase?

„So, gleich sind wir da!“ Bilmo wies nach vorne, dahin, wo sich der Wald sichtlich lichtete. Sie waren nun schon ein ganzes Weilchen auf einem Weg, den Bwaroo eher als Trampelpfad bezeichnet hätte, bergab gelaufen, der Zwerg in kräftigen Schritten, der Elf mit deutlich unsichererem Gang.

Erkül Bwaroo war sich darüber im Klaren, dass Lackschuhe nicht eben die beste Fußbekleidung waren, um durch den Wald zu gehen. Grobe Lederstiefel, wie sie der Zwerg trug, waren da sicher passender. Auch seine Hose aus Wildleder und das Hemd aus ungefärbtem Nesselstoff waren höchstwahrscheinlich praktischer als Bwaroos Salonanzug. Aber der Elf war nicht bereit, irgendwelche Zugeständnisse zu machen, wenn es um sein Äußeres ging. Gleichwohl hoffte er, dass der rutschige, mit Wurzeln übersäte Trampelpfad bald zu Ende gehen würde. Sein leichter Spazierstock war da keine große Hilfe, und allmählich fingen die Schuhe an zu drücken. Die feuchte Erde, die daran klebte, sah außerdem entschieden unordentlich aus.

Endlich öffnete sich vor ihm eine kleine Lichtung. Dort, geduckt unter uralten Eichen, stand ein Häuschen, das Zuhause der sieben Zwerge. Während Bilmo vorauseilte, um die Ankunft des großen Elfendetektivs zu verkünden, blieb Bwaroo etwas zurück, um mit seinem seidenen Taschentuch die Lackschuhe, so gut es ging, zu säubern und seinen Rock wieder zurecht zu zupfen. Erst dann folgte er dem Zwerg so würdevoll wie möglich ins Haus.

Drinnen erwarteten ihn sechs weitere Zwerge. Sie sahen sich alle ziemlich ähnlich, wenn auch fünf von ihnen glattes, hellbraunes Haar hatten und zwei rötliches, wild gelocktes. Jeder trug einen Werkzeuggürtel mit mindestens einem Hammer darin, schlichte Hemden, und Hosen, die in Stiefeln steckten. Und alle hatten auch die gleichen dunkelroten Zipfelmützen in den Händen. Doch nein, das stimmte nicht. Einer war entschieden besser gekleidet als die anderen und seine Mütze war leuchtend rot. Auch sah er nicht so ausgehungert aus. Und, das fiel bei einem Zwerg besonders auf, er war glattrasiert.

Erkül Bwaroo sah sich weiter um. Eigentlich hatte er nach Bilmos Beschreibung erwartet, ein totes Mädchen vor sich auf einem Sofa zu finden. Da stand auch ein Sofa, aber es war leer.

„Wo ist die Prinzessin?“, fragte in dem Moment auch Bilmo. „Hatten wir nicht ausgemacht, dass ihr nichts anrührt, bis der Detektiv alle Spuren untersucht hat?“

„Aber Bilmo“, wagte der gut gekleidete Zwerg zu antworten, „sie lag einfach zu sehr im Weg herum! So auf dem Sofa. Wir mussten immer um sie herum gehen und darauf achten, dass wir nirgends drauf treten – sie war ja eigentlich zu groß für das Sofa. Und dann hat Frolo sich an sein Aquarium erinnert ...“ Er deutete auf einen Zwerg, der in der hintersten Ecke stand, nun aber vortrat.

„Sem hat recht“, erklärte er. „Du weißt doch noch, wie ich mir ein Aquarium bauen wollte, ein riesengroßes. Aber als ich mir dann vorstellte, wie oft ich dieses Ding saubermachen müsste, da hab ich es dann doch gelassen.“

„Es hatte genau die richtige Größe“, nahm Sem den Faden wieder auf. „Und da dachten wir, wir legen sie hinein.“

Bwaroo schaute in die Richtung, in die der Zwerg zeigte. Tatsächlich, dort an der Wand lag eine weibliche Gestalt in einem Glaskasten. Der Elf schritt hinüber und blickte auf den Körper des Mädchens. Ja, sie war – wie hatte Bilmo es noch genannt? – ein herzerwärmender Anblick. Tiefschwarzes Haar umrahmte ein blasses Gesicht mit ebenmäßigen Zügen. Die Augen waren geschlossen, aber bestimmt waren sie groß und blau. Sie war von schlanker, zierlicher Gestalt, gekleidet in ein einfaches blaues Kleid. Bwaroo erkannte jedoch sofort, dass es sich trotz des schlichten Schnitts zweifellos um ein teures Modellkleid handelte. Über dem Körper hatte man zahlreiche Blumen verstreut, die jedoch bereits zu welken anfingen.

Und zu Füßen des Mädchens lag ein toter Hase.

„Oh, ihr Idioten!“, schimpfte Bilmo und schleuderte voller Wut seine Mütze auf den Boden. „Habt ihr wenigsten den Apfel noch?“

„Den hab ich auf dem Misthaufen geworfen“, erklärte ein anderer Zwerg, der eine bemerkenswerte Warze auf dem Nasenrücken hatte.

„Wie könnt ihr unseren einzigen Beweis wegwerfen? Und jetzt sind alle Spuren verwischt!“ Bilmo machte ein Gesicht, als würde er gleich einen Tobsuchtsanfall bekommen.

„Was ist mit diesem Hasen?“, mischte sich Erkül Bwaroo ein.

„Na ja ...“ Der Warzenzwerg kratzte sich hinterm Ohr. „Als ich den Apfel auf den Misthaufen warf, war der Hase schon da und mümmelte an ein paar Obst und Gemüseresten. Er machte das öfter. Die Prinzessin hat ihn ganz besonders geliebt, und er war immer ihr erster Minister, wenn sie spielte. Deshalb haben wir das dem Hasen auch immer durchgehen lassen, wenn er sich bediente, obwohl er dabei oft auch etwas verzog und wir dann wieder alles zurückwerfen mussten. Na ja, da war der Hase also und schnappt sich auch gleich den Apfelrest. Hat ihm geschmeckt, wie es aussah. Jedenfalls wollt ich grade gehen, da macht der Hase noch einen Hoppler und fällt stocksteif um.“

„Du meinst, der Hase ...“ Bilmo wurde bleich. „Der Hase hat also ... den Apfel ... restlos?“

„Ja“, bestätigte der Zwerg mit der Warze. „Nix mehr übrig. Wir haben ihn dann zu der Prinzessin gelegt. Warum auch nicht, sie hatte diesen Hasen doch so gern.“

Bilmo holte tief Luft, riss sich dann aber sichtlich zusammen.

„Da ist nichts mehr zu machen“, seufzte er resigniert.

„Keine Sorge“, unterbrach ihn Erkül Bwaroo lächelnd. „Das ist nicht so schlimm. Was letztlich zählt, sind die grauen Zellen!“ Er tippte sich bedeutungsvoll an die Stirn. „Erkül Bwaroo wird das Rätsel mit seinem überragenden Verstand schon lösen.“

Seine Feststellung erntete reihum verständnislose Blicke. Doch das störte ihn nicht im Geringsten.

„Ich werde mich mit jedem von Ihnen unterhalten müssen“, verkündete er. „Dann sehen wir weiter. Aber zuerst muss die Rechtshut der Zwerge alarmiert werden. So will es das Gesetz.“

„Garralf, du fährst ins Dorf und holst die Rechtshüter“, befahl Bilmo dem Zwerg mit der Warze.

„Aber Bilmo“, protestierte Garralf, „die haben uns doch schon die letzten beiden Male gesagt, es wäre eine Sache der Menschen, weil ein Mensch zu Schaden kam.“

„Stimmt, wir sollten uns an die Polizei der Menschen wenden, hatte es geheißen“, mischte sich nun noch ein anderer Zwerg ein, der Kleinste der Gruppe, dessen krauses Haar in alle Richtungen stand. „Was wir ja die letzten zwei Mal auch getan haben. Aber das waren ja alles Trottel.“

„Sagen Sie den Rechtshütern, sie sollen die Polizisten dazu bitten“, entschied Bwaroo, bevor die Diskussion ausartete. „Es dürfte ja kein Problem sein, einen Boten zu schicken. Und sagen Sie ihnen auch gleich, dass ich bereits vor Ort bin.“

Garralf zögerte einen Moment, dann stürzte er davon.

„Bis alle eingetroffen sind, können wir ja mit den Gesprächen beginnen“, Erkül Bwaroo rieb sich die Hände. „Gibt es ein Plätzchen, an dem wir ungestört sind?“

Nach einigem hin und her führte ihn Bilmo in ein Zimmer, das mit etwas größeren Möbeln als der Rest des Hauses ausgestattet war.

„Hier hat sie gelebt“, flüsterte er. „Wir haben das extra für sie umgebaut, damit sie sich nicht immer auf unsere kleinen Stühle kauern musste.“

Der Elfendetektiv sah sich aufmerksam um. Das Zimmer war hübsch eingerichtet, mit Gardinen an den Fenstern und geschmackvoll arrangierten Blumensträußen in jeder Ecke. Ein kleiner, offener Kamin, davor ein Sessel mit einem Beistelltischchen und auf der anderen Seite des Raumes ein bequem aussehendes Bett mit Baldachin. Daneben ein kleines Regal mit Büchern. Bwaroo trat davor und zog wahllos einen Band heraus. Lyrik. Daneben „Die Abenteuer der Fee Herzlynde“ – ein nach Bwaroos Meinung ziemlich schwülstiger Roman, in dem eine Fee mehr oder weniger damit beschäftigt war, ihren Liebsten, einen Prinzen, anzuschmachten und trotzdem ihre Unschuld zu behalten. Und mehrere Folgen von „Ritter Eisblum“, einer Serie, die die Fahrten des gleichnamigen Ritters und die zum Teil recht aberwitzigen und abstrusen Situationen beschrieb, in die er ständig geriet. Die Bücher über den blonden Eisblum erfreuten sich bei jungen Mädchen großer Beliebtheit. Ganz unten entdeckte der Elf noch drei Kochbücher „Kochen leicht gemacht“, „Gesund kochen“ und „Schnelle und einfache Rezepte“. Nur das letztere der Bücher sah benutzt aus. Einige Flecken und Knicke zeigten deutlich, dass es bei den Kochversuchen direkt dabei gewesen war. Neben dem Regal befand sich ein Kleiderschrank. Erkül Bwaroo öffnete ihn und fand mehrere Kleider in weiß und blau darin. Alle aus wertvollen Stoffen und exquisit geschneidert. Die Zwerge hatten wirklich keine Mühen gescheut, es ihrer Prinzessin behaglich zu machen. Auf dem Schrankboden lagen zerknüllt zwei Kochschürzen voller Flecken, achtlos hingeworfen.

„Très bien.“ Bwaroo schloss befriedigt den Schrank und ließ sich dann in dem Sessel nieder. „Bitte sagen Sie doch dem ersten Zwerg Bescheid. Und er soll sich eine Sitzgelegenheit mitbringen.“

„Hätten Sie vielleicht gern eine Tasse Tee und ein paar Kekse?“, fragte Bilmo noch, bevor er ging.

Erkül Bwaroo zögerte einen Moment. Eine Tasse Kräutertee wäre jetzt wunderbar gewesen, aber alle Welt außer ihm schien Früchtetee oder, noch schlimmer, Hagebuttentee zu bevorzugen. Doch er beschloss, das Risiko einzugehen.

„Gern.“ Er lehnte sich gemütlich zurück und zog sein kleines Notizbuch hervor.

Als erstes betrat nach einer Weile der kleinste der Zwerge das Zimmer. Er trug ein Tablett mit einem Becher und einem Teller Kekse, die er auf das Tischchen neben den Detektiv stellte. Dann flitzte er noch einmal hinaus und kam mit einem Stuhl zurück, der nach Zwergenmaß gefertigt war. Den stellte er hin und setzte sich darauf.

„Ich bin Morry Rogl, einer der zwei Vettern.“ Erwartungsvoll blickte er den Elfen an. Doch der betrachtete unglücklich die rote Flüssigkeit im Becher: Hagebuttentee. Er überwand sich und nahm einen kleinen Schluck. Dann biss er in einen Keks.

„Oh!“ Erstaunt hielt er das Gebäck hoch. Seine Zähne hatten noch nicht einmal die kleinste Spur hinterlassen. Der Keks war steinhart.

„Das müssen die Kekse sein, die die Prinzessin gebacken hat, bevor sie ... bevor sie ...“ Der Kleine brach ab. Tränen standen in seinen Augen. „Tschuldigung“, flüsterte er und zog ein großes kariertes Taschentuch hervor, in das er sich geräuschvoll schnäuzte.

„Ihr Tod geht Ihnen sehr nahe“, stellte Erkül Bwaroo teilnahmsvoll fest. „Sie haben wohl sehr an ihr gehangen.“

„Sie hat die Liebe zu den Blumen bei mir geweckt!“

Der Elf wunderte sich im Stillen über diese blumige Ausdrucksweise, die zu einem Zwerg gar nicht recht passen wollte. Aber Morry fuhr bereits fort: „Das hat sie selbst gesagt. Und das stimmt auch. Ich ... ich hatte ihr einen Blumenstrauß mitgebracht – hab einfach alles gepflückt, was nach Blume aussah. Da hat sie erst mal dumm geguckt und dann schallend gelacht.“

„Sie hat Sie ausgelacht?“

„Nö. Nur über meine Dummheit. Hat gemeint, es wär in erster Linie Unkraut. Und damit hatte sie Recht. Ich hab mich dann mehr damit beschäftigt, mit Blumen, Kräutern und so. Und als ich ihr danach einen Strauß gebracht hab, war sie sehr beeindruckt. Wie sie mich dann immer angeschaut hat. Und ihre Augen haben so gestrahlt ...“ Der Zwerg bekam einen ganz verträumten Gesichtsausdruck. „Ohne sie hätte ich nie erkannt, wie wunderbar Pflanzen sind. Bis dahin gab es für mich nur die Arbeit in der Mine und, in der Freizeit, in die Stadt zu gehen und einen drauf zu machen. Erst durch sie ...“

„Dann sind all die Blumen hier von Ihnen?“, holte ihn Bwaroo sachte wieder in die Gegenwart zurück.

„Ja“, der Kleine schluckte, riss sich dann aber sichtlich zusammen. „Sie hat sich immer so gefreut. Sie war toll. Ich kann mir gar nicht denken, wer sie hätte umbringen sollen.“

„Aber kochen konnte sie nicht“, bemerkte der Elf trocken.

„Ach das.“ Morry machte eine wegwerfende Handbewegung. „Man kann eben nicht alles haben.“

„Es hat sie alle einiges an Gewicht gekostet.“

„Stimmt. Aber sie hatte so eine Freude am Kochen, dass wir ihr unmöglich sagen konnten, dass ihr Essen schlecht war – sie hat erzählt, sie würde unsere Küche so besonders niedlich finden. Sie würde so aussehen wie die Puppenküche, mit der sie als Kind gespielt hat. Da konnten wir uns doch unmöglich beschweren!“ Morry beugte sich vertraulich vor. „Wir haben uns ein Lager im Bergwerk angelegt. Dauerwürste, Dörrfleisch, Zwieback, Obst und so. Da war es dann schon auszuhalten.“

„Verstehe. Apropos Obst. Ich habe draußen eine Schale Äpfel stehen sehen.“

„Ja, leider sind die gelben Dinger ziemlich mehlig. Da hat sich Sem beim Einkauf etwas vertan.“

„Vielleicht wegen der Prinzessin.“

„Nö, die mochte die Dinger gar nicht.“

„Trotzdem hat sie einen gegessen.“

„Oh nein“, Morry lachte auf, „nie und nimmer hätte sie die angerührt! Der, den sie gegessen hat, das war so ein roter, saftiger ...“, wieder schien der Zwerg mit den Tränen zu kämpfen.

„Ein roter?“ Erkül Bwaroo horchte interessiert auf. „Dann haben Sie hier noch andere Sorten?“

„Nein. Keine Ahnung, woher sie den hatte.“

Der Detektiv machte sich eine Notiz in sein kleines Büchlein. „Sem ist für die Vorräte zuständig?“, vergewisserte er sich.

„Ja, er fährt immer am Markttag nach Laundom-Zwergenstadt. Das ist die nächste Zwergensiedlung von hier aus.“

„Könnte er den Apfel mitgebracht haben?“

„Nein, ich meine, glaub ich nicht. Zum letzten Mal war er vor vier Tagen auf dem Markt. Da hätte er ihr den Apfel doch gleich beim Zurückkommen geschenkt, oder?“

„Wahrscheinlich, Monsieur Rogl“, stimmte Erkül Bwaroo gönnerhaft zu. „Sie sind ein guter Beobachter.“

Der Zwerg errötete, war aber sichtlich stolz.

„Kommen wir zu dem Tag, an dem die Prinzessin verschied“, wechselte der Detektiv das Thema. „Was ist an diesem Tag alles geschehen? Erzählen Sie mir von Anfang an.“

„Also, eigentlich war alles wie immer. Wir standen auf, die Prinzessin schlief noch und wir haben sie geweckt. Eigentlich finde ich das ja barbarisch, eine Prinzessin bei Morgengrauen zu wecken, aber Bilmo meinte, das muss so sein, denn er hatte ja ausdrücklich mit ihr abgemacht, dass sie uns dafür den Haushalt führt. Sie ist auch herausgekommen, hat uns Milch für das Müsli warm gemacht – ist wieder etwas angebrannt, aber es ging schon – und hat, als wir fertig waren, die Schüsseln in die Küche geräumt. Wir haben dann unser Werkzeug genommen und sind zur Mine gegangen. Wir haben eine Kupfermine. Die hat schon unseren Vätern gehört, dem Vater von den fünf Brüdern und seinem Bruder, dem Vater von Gemschi und mir. Und die hatten sie von ihren Vätern. Ist immer noch sehr ergiebig.“

Erkül Bwaroo neigte verstehend den Kopf: „Waren Sie den ganzen Tag im Bergwerk?“

„Den ganzen Tag“, versicherte Morry eifrig, „bis auf die Pause mittags. Da sind wir für einen kleinen Imbiss raus gegangen. Das Wetter war gut, also haben wir im Freien gegessen.“

„Alle zusammen?“

„Ja, alle.“

„Und wie ist es während des Tagwerks? Arbeiten Sie immer alle zusammen?“

„Oh nein! Zu siebt in einem engen Stollen? Das gäbe ein schönes Gedränge. Jeder hat seinen eigenen Abschnitt. Manchmal sind wir zu zweit, wenn die Ader da gerade sehr reich ist. Im Moment arbeite ich zum Beispiel mit Peppim zusammen.“

„Und die anderen jeder für sich?“

„Ja.“

„Das heißt, wenn sich einer von ihnen für eine Weile von der Mine entfernt, würde es niemandem auffallen?“

„Na ja, es würde bestimmt Bilmo auffallen, der ist für das Ausladen der Loren und so zuständig. Aber warum sollte denn einer weggehen?“

„Irgendjemand muss in Ihrer Abwesenheit hier gewesen sein und der Prinzessin den Apfel kredenzt haben.“

„Aber das war doch keiner von uns!“, brauste Morry da entrüstet auf. „Wir haben sie alle geliebt! Jeder von uns hätte sich ein Bein für sie ausgerissen! Das muss die Königin gewesen sein oder vielleicht irgend so ein Irrer, der zufällig vorbei kam ...“

„Sie nennen sie immer nur Prinzessin“, lenkte Erkül Bwaroo ab. „Sicher hatte sie doch auch einen Namen.“

„Adelaide oder so.“ Morry beruhigte sich nur langsam wieder. „Aber den Namen hat sie gehasst. Und dann gab es da noch so einen Spitznamen. Den hab ich aber vergessen. Wir haben sie jedenfalls immer nur Prinzessin genannt. Das hat ihr gefallen.“

Der Elfendetektiv schlug eine neue Seite in seinem Notizbuch auf und sagte dann langsam: „Wie mir Herr Bilmo mitteilte, hat es schon früher Anschläge auf die Prinzessin gegeben. Sie sollte wohl mit einem Gürtel erwürgt werden ...“

„Nö.“

Bwaroo sah verdutzt auf: „Nicht?“

„Doch schon, aber sie wurde nicht gewürgt. Sie trug den Gürtel um die Taille.“

„Das würde ich gern genauer wissen. Im Allgemeinen ist das doch das, was man mit einem Gürtel tut.“ Der große Detektiv schien ein wenig verwirrt.

„Also, das war nicht einfach so ein Gürtel, wie wir Zwerge ihn tragen“, Morry zeigte auf seinen eigenen Gürtel. „Das war so ein breites Ding. Vorne mit Häkchen und hinten zum Schnüren und mit Stäbchen rundrum im Stoff eingenäht.“

„Ah“, Erkül Bwaroo machte eine verstehende Geste, „ein Korsett.“

„Keine Ahnung, wie das heißt“, Morry zuckte die Achseln. „Jedenfalls war das Ding total fest verschnürt. Die Taille von der Prinzessin war so schmal, dass ich mit beiden Händen rumfassen konnte. Dadurch kamen wir ja überhaupt drauf. Sie ist ... war ... ja eh schon so schlank. Aber das war richtig unnatürlich.“

„Das ist meistens bei Korsetts so“, bemerkte Bwaroo trocken. „Aber was genau war geschehen?“

„Wir kamen heim und die Prinzessin lag auf dem Boden und rührte sich nicht. Wir dachten wirklich, sie wär’ tot. Wir bespritzten ihr Gesicht mit Wasser und versuchten, ihr etwas Wein einzuflößen. Und als wir sie da so anhoben, fiel mir der Gürtel auf. Ich spürte, dass er ganz hart war und die Taille eben sehr schmal. Wir haben die Häkchen nicht auf bekommen. Aber als wir die Prinzessin umdrehten, waren da die Schnüre. Als wir die durchgeschnitten hatten, hat es nicht lang gedauert und die Prinzessin kam wieder zu sich.“

„Und hat sie gesagt, woher sie den Gürtel hatte?“

„Sie sagte, so eine Hausiererin wäre vorbei gekommen und hätte ihr das Ding ganz billig angeboten und als sie sagte, sie hätte gar kein Geld, da hat die Frau ihr den Gürtel geschenkt, weil sie so hübsch wäre. Sie hat ihr dann auch gleich beim Anziehen geholfen. Als die Alte wieder weg war, ist der Prinzessin dann schwindelig geworden und irgendwann wurde sie ohnmächtig.“

„Kommen oft fliegende Händler bei Ihnen vorbei?“

„Eigentlich kommt immer nur eine ab und zu vorbei. Aber die war es nicht.“

„Das hat die Prinzessin nicht gewundert?“

„Sie war immer so arglos.“ Morry seufzte und sah aus, als würde er gleich wieder weinen.

„Und wie war das mit dem Kamm?“, lenkte der Elf ab. „War das dieselbe Händlerin?“

„Ach ja, der Kamm.“ Der Zwerg riss sich wieder zusammen. „Nö, das war die, die uns öfter mal besucht. Wir hatten der Prinzessin eingeschärft, auf keinen Fall mehr mit Fremden zu reden. Aber die Alte kannte sie ja ...“

„Was geschah?“

„Wir kamen heim, und die Prinzessin lag auf dem Sofa. Wir meinten alle, sie schläft und wollten sie wecken, während Garralf in die Küche stürzte und nachsah, wo der Rauch herkam. Die Prinzessin hatte wohl Gemüse kochen wollen und das Wasser vergessen, stellte er fest. Vielleicht war es aber auch schon verdunstet, denn die Prinzessin erzählte uns später, sie hätte Kopfschmerzen bekommen und sich ein bisschen hingelegt. Und dann war sie eingeschlafen. Fest. Wir bekamen sie erst wach, als wir den Kamm rauszogen und ihr auf die Wangen patschten. Das fand sie im ersten Moment gar nicht lustig.“

„Wo haben Sie den Kamm rausgezogen?“

„Aus dem Haar. Es war so ein Schmuckkamm zum Haare Hochstecken. Er steckte so fest drin, dass es blutete.“

„Es blutete?“ Der Elf richtete sich interessiert auf. „Und war die Prinzessin danach krank?“

„Nein.“ Der Zwerg schüttelte den Kopf „Es war ja nur ein Kratzer. Nichts Gefährliches.“

Wieder machte Erkül Bwaroo eine Notiz.

„Und wer von Ihnen hat den Kamm herausgezogen?“, wollte er dann wissen.

„Das weiß ich nicht mehr genau. Warten Sie mal ...“ Morry dachte angestrengt nach, was man an seiner gerunzelten Stirn und dem Blick, der ins Leere ging, genau sehen konnte. „Ich glaube, es war Bilmo. Oder vielleicht Frolo. Ist das denn wichtig?“

„Vielleicht nicht“, Erkül Bwaroo winkte ab. „Und den Kamm – kann ich den mal sehen?“

„Den hat die Prinzessin irgendwo hingeräumt“, suchend sah sich der Zwerg im Zimmer um. „Aber so auf Anhieb weiß ich nicht, wo er sein könnte.“

„Nicht so schlimm.“ Der Elf schrieb wieder etwas in sein Büchlein. „Kennen Sie Name und Adresse der Händlerin?“

Morry schüttelte den Kopf: „Leider keine Ahnung. Ist einfach ne alte Frau. Eine Menschenfrau. Aber wie sie heißt ...“

„Macht nichts.“ Erkül Bwaroo machte eine abwertende Handbewegung. „Wie sind denn überhaupt Ihre Tage mit der Prinzessin so verlaufen?“

„Je nun, wir sind zur Arbeit und dann wieder heim, haben noch ein bisschen geplaudert und sind schließlich schlafen gegangen“, Morry breitete die Arme aus. „Mehr war nicht.“

„Kein Kartenspiel, kein Würfeln, keine Musik ...“

„Na ja, wenn die Prinzessin früh schlafen ging oder lesen wollte, dann konnten wir schon mal Karten spielen, aber nur leise, damit wir nicht stören.“

„Ah!“ Der Elf strich sich gedankenvoll seinen Schnurrbart. „Die Prinzessin mochte das Spielen nicht.“

„Ja, stimmt.“ Morry blickte verlegen zu Boden. „Leider.“

Erkül Bwaroo schrieb auch dazu etwas in sein Buch und fragte dann beiläufig: „Die letzten Tage, war da irgendetwas anders als sonst?“

Morry schaute ihn ein wenig verstört an, sagte aber kein Wort.

„Ich meine, kam jemand zu Besuch, gab es Streit ... irgendetwas, das anders war als sonst?“

„Nö“, beschied ihn Morry nach einigem Zögern. „Nein, gar nicht.“

Erkül Bwaroo warf ihm einen forschenden Blick zu, drang aber nicht weiter in den Zwerg.

„Très bon“, sagte er schließlich.

„Ich fürchte, mit einem Bonbon kann ich nicht dienen“, Morry breitete entschuldigend die Hände aus.

Der Elf stutzte nur einen Moment, dann lächelte er: „Nein, ich meinte ‚sehr gut’. Nur so eine dumme Ausdrucksweise von mir.“

„Ach so“, Morry schien erleichtert. „Wär mir auch wirklich arg gewesen, Ihnen nicht mal so einen kleinen Wunsch erfüllen zu können.“

Der Detektiv versicherte ihm daraufhin, dass er wirklich alles hatte, was er brauchte. Dann bedankte er sich bei ihm und bat ihn, einen der anderen herein zu schicken.

Als nächstes kam ein breitschultriger Zwerg herein, der sich als Gemschi Rogl vorstellte. Er erzählte so ziemlich dasselbe wie sein Bruder. Ja, die Prinzessin sei so wunderschön gewesen und ja, sie hätte gerne mal was anbrennen lassen. Nein, die alte Frau mit dem Gürtel kenne er auch nicht und er hätte keine Ahnung mehr, wer den Kamm damals aus dem Haar der Prinzessin gezogen hatte. Auch die Herkunft des roten Apfels war ihm unerklärlich. Als Bwaroo dann auf Ungewöhnliches in den letzten Tagen zu sprechen kam, druckste der breitschultrige Zwerg herum und zupfte an seinem Hemd, bis es ihm halb aus der Hose stand.

„Wahrscheinlich hat Ihnen mein Bruder ja schon alles erzählt“, meinte er schließlich.

„Ich würde gern Ihre Version hören“, erklärte Bwaroo, der nicht den leisesten Schimmer hatte, wovon der Zwerg sprach.

„War ja auch gar nich so schlimm, wie es sich anhört“, versicherte Gemschi und schielte zur Tür, als hoffte er inständig, dass gleich ein Wunder hereinkäme, um ihn zu erlösen.

„Nun, erzählen Sie mir doch einfach, wie es wirklich gewesen ist“, bestärkte der Elf ihn in der Hoffnung, dass sich die nebulösen Andeutungen des Zwergs dann klarer darstellten.

„Na ja. Sie hat sich halt erschreckt wegen Wuhli.“

„Und Wuhli ist ...“

„Na, meine Haselmaus!“

„Genau. Und die hat sie erschreckt.“

„Ja. Ich hab sie sonst immer in meiner Tasche – hier.“ Der Zwerg zeigte eine kleine Ledertasche vor, die an seinem Gürtel hing. „Aber einmal muss sie mir ausgekommen sein und ist ins Zimmer von der Prinzessin gelaufen. Gerade, als mir auffällt, dass Wuhli nicht da ist, hör ich jemanden kreischen. Ich sofort rein gelaufen – da steht die Prinzessin auf ihrem Tisch und unten läuft Wuhli rum. Ich sammel sie also gleich wieder ein, da beginnt sie zu schimpfen, die Prinzessin, mein ich, von wegen Ungeziefer und eklig und widerlich, und sie hat verlangt, dass ich ihr Wuhli auf der Stelle gebe, damit sie sie vor meinen Augen tottreten kann. Meine Wuhli!“

„Ich verstehe“, versicherte Erkül Bwaroo. „Aber das haben Sie nicht.“

„Das konnte ich doch nicht! Wuhli ist meine Freundin.“ Gemschi standen nun tatsächlich Tränen in den Augen. „Ich bin mit Wuhli raus und dann hab ich sie weggegeben.“

„Und die Prinzessin war noch eine Weile verstimmt?“

„Hat mich von da an immer recht schnippisch angeredet.“ Gemschi zuckte die breiten Schultern. „Aber was hätte ich denn machen sollen?“

„Sie haben völlig richtig gehandelt“, bestätigte ihm Erkül Bwaroo. „Sicher hätte das die Prinzessin auch irgendwann eingesehen.“

„Das hat Peppim auch gesagt. Aber die anderen ...“ Der Zwerg blickte verlegen zu Boden.

„Die waren anderer Meinung?“, mutmaßte der Elf. „Und Sie selbst? Sie waren doch bestimmt wütend auf die Prinzessin.“

„Nein!“, fuhr Gemschi auf. „Ich meine, im ersten Moment natürlich schon ... aber eigentlich konnte sie ja nichts dafür. Sie war eben so.“

„So? Wie war sie denn?“

Dem Detektiv entging nicht, dass der Zwerg lange mit der Antwort zögerte.

„Verwöhnt“, kam schließlich die vorsichtige Antwort, „und, na ja, sie hatte eben keine Ahnung von Haustieren. Ich meine, von richtigen Haustieren. Mit den Waldtieren hat sie ja oft gespielt. ‚Mein Hofstaat’, sagte sie dazu. Vögel, Eichhörnchen, Rehe und Hasen waren das, aber keine Mäuse. Und wenn die Prinzessin genug hatte, sind die immer wieder zurück in den Wald. Haustiere aber ...“ Hilflos wedelte Gemschi mit den Händen. Er wusste nicht, wie er sich ausdrücken sollte.

Bwaroo fragte nicht weiter nach. Stattdessen schrieb er vor sich hin nickend in sein Büchlein. Dabei beobachtete er aus den Augenwinkeln, wie Gemschi weiter nervös an seinem Hemd zupfte und fast flehentlich zur Tür sah. Als der Elf ihn dann gerade bitten wollte, den nächsten Zwerg zu schicken, wurden nebenan Stimmen laut.

Garralf hatte zwei Rechtshüter der Zwerge mitgebracht. Fast zeitgleich traf auch ein Polizist der Menschen ein.

Als Erkül Bwaroo dazu trat, waren die drei Gesetzeshüter schon in eine Diskussion verstrickt.

„Da ist ein Mensch gestorben, das geht uns Zwerge gar nichts an“, behauptete der Rechtshüter und reckte sich neben seinem hochgewachsenen, menschlichen Kollegen so weit er konnte.

„Das Mädchen starb auf Zwergenterritorium“, hielt der Mensch dagegen.

„Das spielt keine Rolle. Sie ist nun mal ein Mensch! Und dieses Gebiet gehört auch zu einem Menschenkönigreich.“

„Die Gebiete überschneiden sich doch überall. Was zählt, ist doch, dass hier nur Zwerge wohnen.“

„Das Mädchen hat aber auch hier gewohnt!“

„Meinen Sie nicht, die Entscheidung sollte sich danach richten, wer der Mörder ist?“

Beide Kontrahenten fuhren herum. Da stand ein komischer, kleiner Elf mit einem eierförmigen Kopf und einem beeindruckenden Schnurrbart. Er wippte sehr selbstgefällig auf seinen Füßen und schien gar nicht zu bemerken, wie lächerlich er dabei aussah.

„Wer sind Sie denn?“, knurrte der Mensch.

„Mein Name“, Bwaroo schaffte es, der simplen Feststellung eine Bedeutung zu verleihen, als hebe sich gleich der Vorhang zum letzten Akt eines Dramas, „mein Name ist Erkül Bwaroo.“

Während der Zwerg noch immer erstaunt drein blickte, schien seinem menschlichen Kollegen etwas zu dämmern: „Der Elfendetektiv! Ich habe schon von Ihnen gehört. Sie sind einer der Größten Ihres Faches, heißt es.“

„Nicht einer der Größten“, berichtigte Bwaroo mit Würde, „sondern der Größte. Und das heißt es nicht nur. C'est un fait - das ist eine Tatsache.“

Um die Mundwinkel des Menschen zuckte es verdächtig. Sein Zwergenkollege tat das Ganze mit einer Handbewegung ab: „Wie auch immer. Hier irren Sie sich. Es gibt keinen Mörder, weil es keinen Mord gibt. Das ist wieder so eine Spinnerei der sieben Zwerge, wie schon bei den letzten beiden Malen.“

„Und wie erklären Sie sich dann die Leiche?“, forschte Erkül Bwaroo.

„Ein Unglücksfall. Ist wahrscheinlich dumm gefallen. Oder hat sich verschluckt und ist erstickt. Ziemlich ungeschickt, das Mädel, das hat sie ja bereits bewiesen.“

„Und der tote Hase?“

„Welcher Hase?“, wollten Rechtshüter und Polizist gleichzeitig wissen.

Erkül Bwaroo deutete auf den gläsernen Sarg, erkannte aber im selben Moment, dass dort, wo der Hase gelegen hatte, nur noch Leere herrschte. Das Tier war fort.

„Was ist mit dem toten Hasen passiert?“, fragte der Detektiv in die Runde. Lediglich vier Zwerge waren anwesend.

„Wieso?“ Bilmo blickte nun auch zu dem Glaskasten. „Nanu? Wo ist er denn hin?“

Niemand konnte darauf eine Antwort geben.

„Ich kann nicht verstehen, warum ein toter Hase hier wichtig sein sollte“, ließ sich da der Zwergenrechtshüter vernehmen.

„Er starb wahrscheinlich ebenfalls an dem Apfel“, erklärte Bwaroo. „Zumindest kann man nicht ausschließen, dass ...“

„Ja, möglicherweise“, mischte sich da unerwartet Sem ein, der etwas außer Atem gerade zur Tür herein kam. „Kann aber auch Altersschwäche gewesen sein. Er war schon recht alt, das konnte man sehen.“

Erkül Bwaroo warf ihm einen so erstaunten wie verärgerten Blick zu. Er schätzte es nicht, in seinen Ausführungen unterbrochen zu werden. Außerdem war er entschieden anderer Meinung. Er kam jedoch nicht dazu, dies auch zu begründen, denn die beiden Rechtshüter nahmen Sems Antwort dankbar zum Anlass, sich nicht weiter mit der Hasenfrage zu beschäftigen.

„Jedenfalls gibt’s hier nichts für uns zu tun.“ Der größere der beiden zog seine graue Uniformjacke zurecht, die ihn als Rechtshüter auswies, strich sich nachdenklich über den Bart und verkündete dann: „Hier liegt kein Verbrechen vor. Es geht damit nur noch um den Abtransport der Toten, die ein Mensch ist. Folglich hat sich mein geschätzter Kollege darum zu kümmern.“

Er musterte den Polizisten noch einmal, machte dann kehrt und schritt, ohne auf eine Erwiderung zu warten, aus der Hütte, dicht gefolgt von seinem Kollegen.

„Zwerge sind immer so übertrieben zackig“, schüttelte der Mensch den Kopf, während er ihm nachsah. „Oh, Anwesende ausgenommen“, verbesserte er sich schnell, als er sich daran erinnerte, dass da um ihn herum noch weitere Zwerge standen.

„Aber im Grunde hat er recht“, wandte er sich dann mit einem Schulterzucken an Bwaroo, „Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Inspektor Jupp.“

„Sehr erfreut. Dann sind Sie also auch der Meinung, es läge kein Mord vor?“, forschte der Elfendetektiv.

„Allerdings. Wir hatten schon zweimal falschen Alarm. Auch diesmal gibt es keine Anhaltspunkte, dass es sich um ein Verbrechen handelt. Keine Feinde, nichts Wertvolles im Haus – dafür aber ein Mädchen, dass schon mehrfach bewiesen hat, dass es sich, äh, dass es nicht unbedingt die Geschickteste ist, dafür aber eine überbordende Phantasie hat. Allein schon die Geschichte, wie und warum sie hierher kam.“

„Ihre Stiefmutter wollte sie angeblich töten“, warf Bwaroo hin.

„Ja, aber vor allem das ganze Drumherum!“ Jupp grinste. „Ein Jäger hätte sie in den Wald geführt und ihr erklärt, er müsse sie töten und ihr Herz und ihre Leber der Königin als Beweis bringen. Aber von ihrer Schönheit gerührt, lässt er sie laufen und meint, er könne ja auch das Herz und die Leber eines Rehs nehmen ...“

„Da spricht doch nichts dagegen?“, mischte sich einer der Zwerge ein. „Unsere Prinzessin hatte keinen Grund zu lügen. Sie war in Gefahr, ganz eindeutig. Ihre Stiefmutter wollte sie ermorden und hat es jetzt auch geschafft.“

„Und Sie sind?“ Inspektor Jupp ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, was ihm einen anerkennenden Blick des Elfen einbrachte, den er aber nicht bemerkte.

„Garralf heiß ich“, erklärte der Zwerg mürrisch. „Und ich bleibe dabei. Die Prinzessin ist hinterhältig ermordet worden.“

„Dafür gibt es keinen Beweis“, widersprach der Inspektor. „Der angeblich vergiftete Apfel ist auch nicht mehr da, der tote Hase ist fort. Es tut mir leid. Ich kann lediglich den Leichenwagen schicken. Und dann werde ich einen Bericht schreiben, den mein Vorgesetzter und die Familie ihrer Hoheit erhalten wird, wie die letzten beiden Male auch. Es wird bestimmt eine Leichenschau stattfinden, um die Todesursache festzustellen. Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass eine Vergiftung festgestellt werden wird.“

„Die Königin wusste also von allem?“, fragte Erkül Bwaroo interessiert.