Tharsya - Ruth M. Fuchs - E-Book

Tharsya E-Book

Ruth M Fuchs

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Beschreibung

Eigentlich wollten Lumiggl und sein Freund, der Elf Floritzl nur einfach wieder nach Hause. Doch dann werden sie in den Kampf um Tharsya verwickelt. Einst wäre es den roten Drachen beinahe gelungen, die Herrschaft über Tharsya zu erlangen. Damals wurden sie von dem Zauberer Yorick und den vereinten Völkern Tharsyas zurückgeschlagen. Nun aber sind die roten Drachen zurück und haben gefährliche Verstärkung mitgebracht. Und von Yorick fehlt jede Spur. Ein spannender, humorvoller Fantasy-Roman für Leser von 12 bis 120 um die Rettung einer Welt voller skurriler Wesen, gewürzt mit spritzigen Dialogen und haarsträubenden Einfällen. Es geht um Freundschaft, um Zauberei, um Religion, um einen Traum - und um zickige Feen.

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Tharsya. Die Rückkehr der roten Drachen

von Ruth M. Fuchs

Fantasyroman

© 2016 Raposa Verlag

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Werks darf in irgendeiner Form ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herausgeber: Raposa Verlag, 85757 Karlsfeld

Umschlaggestaltung: Ruth M. Fuchs

www.ruthmfuchs.de

www.raposaverlag.de

... Vereint standen sie gegen die Drachenbrut

die einigen Völker Tharsyas.

Ob Wombling, ob Troll - keiner blieb zurück

Im Kampf gegen die Roten.

Und mit ihnen kämpfte und brachte den Sieg

Yorick, der Größte der Großen...

(Aus dem Epos 'Über die große Schlacht unter der Führung des großen Zauberers auf dem großen Feld der langen Gräser')

 

Kapitel 1

Wir erfahren hier, dass Obst nicht immer gesund ist, sondern einen sogar in große Verlegenheit bringen kann

Ein neuer Tag über Tharsya. Kaum ein Wölkchen, das den Himmel zu trüben vermochte. Die Sonne kletterte gut gelaunt und ausgeschlafen über den Horizont, sah sich zufrieden um, ließ es erst mal langsam angehen. Schließlich hatte sie sich so weit vorgeleuchtet, dass sie auf einen ganz bestimmten Erdhügel schien – Lumiggls Wohnstatt, Heimat und Eigentum.

Lumiggl wohnte unter einem Dach aus Riedgras. Genauer gesagt wuchs es oben auf seinem Dach. Nur damit wir uns richtig verstehen: Es war nicht sorgfältig geerntet, zurechtgeschnitten und nach allen Regeln des Regenschutzes kreuz und quer und übereinander geschachtelt wie es sich für ein echtes Hüttendach gehörte. Lumiggls Hütte war keine Hütte, sein Dach also auch kein Dach, und eigentlich wohnte er in einer Höhle, bei der obendrauf eben Riedgras wucherte.

Jetzt am Morgen schlief Lumiggl noch in seiner Höhle selig auf einem Lager aus Heu und Blättern.

Dort fand ihn endlich ein Sonnenstrahl, der sich, ganz der Sohn seiner Mutter, einen Spaß daraus machte, ihn ausgiebig an und in der Nase zu kitzeln. Und davon wachte Lumiggl schließlich auch auf. Missmutig blinzelte er in den rotzfrechen Sonnenstrahl, der sich nichts drum scherte und einfach ein klein wenig auf der Bettdecke abrückte und dort weiter Unfug trieb. Das besserte Lumiggls Laune kein bisschen. Womblinge gehören nicht zu den Frühaufstehern. Und wenn sie dann aufstehen, sind sie erst einmal brummig und wortkarg. Kein Wombling, der auf sich hält, macht da eine Ausnahme. Nun hielt Lumiggl erstens auf sich und zweitens hasste er es aus ganzem Herzen, aus den schönsten Träumen, die sich ja bekanntlich immer morgens einstellen, gerissen zu werden. Obendrein stammte er aus dem Geschlecht derer von Farnwedel. Bei denen lag es sozusagen in der Familie, kleinwüchsig zu sein – sogar für Womblingverhältnisse. Zum Ausgleich gab es bei ihnen besonders viele Langschläfer.

Lumiggl Farnwedel1 brummelte also ein Weilchen vor sich hin und erwog sogar, sich noch mal hinzulegen und zu versuchen, weiter zu träumen.

Aber schließlich tat er die Idee mit einem Achselzucken ab. Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass so etwas nicht funktionierte. Meistens stellte sich statt des Endes des ersten Traumes ein neuer Traum ein und dann kam irgend etwas dazwischen und man konnte den auch nicht zu Ende träumen und war noch schlechter dran als vorher, als man nur einen Traum hatte, von dem man nicht wusste, wie er ausging. Lumiggl kam zu dem Schluss, dass es am besten wäre aufzustehen. Eigentlich hatte er ja sowieso etwas vor und konnte es sich nicht leisten, gerade an diesem Tag zu verschlafen. Er streckte sich genüsslich, gähnte ausgiebig und rieb sich den letzten Schlummer aus den Augen. Nach einer gründlichen Wäsche am Regenwasserbottich auf der anderen Seite des Zimmers ging er zu seiner Kleidertruhe und holte vorsichtig, ja geradezu andächtig sein neues Hemd hervor. Stolz hielt er es mit ausgestreckten Armen in die Höhe, um es zu bewundern. Was für ein Meisterwerk der Schneiderkunst. Strahlender, gebleichter Nesselstoff, dicht und weich zugleich, doppelte Nähte, vorteilhaft tailliert, maßgeschneidert, ein faltenloses Anschmiegen und – natürlich – das Schönste am ganzen Hemd: Farnwedelstickereien auf Kragen, Manschetten und Brusttasche appliziert.

Und heute war der große Tag, die Feuertaufe für sein neues, sündhaft teures Hemd. Heute sollte sich zeigen, ob es sich dies alles gelohnt hatte.

Ganz, ganz vorsichtig und mit Bedacht schlüpfte Lumiggl in sein Hemd. Und erst als das saß, folgten die moosfarbene Hose – frisch gewaschen und gebügelt – und die braunen Lederstiefel, die so gestriegelt waren, dass es einen blendete. Jetzt fehlten nur noch sein Gürtel mit der Silberschnalle und der Paradierdolch aus reinem, kaltgeschmiedetem, handgehämmertem Kupfer2. Zum Schluss brachte Lumiggl noch sein dunkles Haar in Ordnung, indem er es mit den Fingern hinter die spitzen Ohren strich. Voller Wohlgefallen fiel sein Blick auf das Spiegelbild im mannshohen Kupferschild, der noch aus den Zeiten seines Urgroßvaters stammte.

Sollte er den vielleicht auch noch mitnehmen? Vielleicht ja, schließlich erinnerte er an eine Zeit als seine Vorfahren und ein paar andere Völker in glorreichem Kampf die Freiheit von Tharsya verteidigten. Dann aber wieder vielleicht besser nicht, denn wenn Lumiggl nervös war – und wie nervös er heute war! – rettete er sich in solchen Fällen gern in die zahlreichen Legenden und Lieder über die Großtaten seiner Vorfahren, die er alle auswendig kannte und dann zum besten gab. Er rezitierte sie, bis sich seine Nervosität besserte, was dauern konnte. Einmal hatte er das ganze 143 Strophen zählende Epos von der großen Schlacht dafür gebraucht. Das war an sich nicht schlimm, denn in dem Epos wurde auch sein Urgroßvater dreimal erwähnt, und spielte sogar eine ganze Strophe lang über eine führende Rolle. Aber Lumiggl wollte ja niemanden langweilen – nicht jeder teilte seinen Sinn für Geschichte.

In eben jener Schlacht hatte dieser Schild seine Beulen und Scharten davon getragen. Und obwohl er von Generation zu Generation weitergereicht, wie eine Reliquie verehrt, in Ehren gehalten und mit Hingabe blank poliert wurde, hinderte das Lumiggl nicht, ihn als Spiegel zu gebrauchen. Wenn er ihn schon besser nicht mitnahm, konnte er ihm wenigstens anders weiterhelfen, und so drehte sich unser nervöser Wombling hin und her, bis ihn sein Bild von allen Seiten zufrieden genug stellte. Jawohl! Er war ein stattlicher Wombling – für seine Größe auf jeden Fall – und jawohl, er konnte sich sehen lassen. Und gerade heute war es so wichtig, dass er eine gute Figur machte. Schließlich feierte Milvola heute ihren 111. Geburtstag.

Ach, Milvola. Hinter diesem Namen steckte ein bildhübsches Womblingmädchen mit lebhaften Augen und Haaren so rotbraun wie Kastanien – zumindest soweit man das nach den zwei Zopfenden beurteilen konnte, die unter der weißen Mädchenhaube hervorlugten, die eigentlich eher einer Mütze ähnelte mit einem langen, daran genähten Tuch, das bis weit in den Rücken herabfiel. Für Womblingverhältnisse galt Milvola als schlank und zierlich – und sie war kleiner als Lumiggl. In seinen Augen war das enorm wichtig. Und keine Womblinga trug ihr Kleid so adrett wie Milvola; keine konnte sich mit ihr vergleichen, wenn sie lachte, was sie viel und gern tat. Heute wurde sie also volljährig, durfte die Mädchenhaube absetzen, allein tanzen gehen, Ausflüge machen und überhaupt alles machen, was sie wollte – soweit Sitte und Anstand es zuließen natürlich. Sie war jetzt in heiratsfähigem Alter. Zufälligerweise zählte sie ziemlich genau elf Jahre weniger als Lumiggl, was unter Womblingen als idealer Altersunterschied zwischen Mann und Frau galt. Lumiggl Farnwedel hatte nun in letzter Zeit immer häufiger festgestellt, dass Gesellschaft in seiner Höhle, bevorzugt die Gesellschaft eines gewissen Womblingmädchens, etwas sehr Angenehmes sein müsste. Er wollte deshalb unbedingt als Erster bei dem hohlen Baum sein, den Milvola mit ihren Eltern bewohnte. Wenn er ihr als Erster gratulierte, würde ihm das bestimmt das Wohlwollen der Womblinga – und nicht zu vergessen ihrer Eltern – eintragen.

Ach, und wenn er erst einmal diese Klippe genommen hätte, wer könnte schon sagen, was alles sich weiter ergeben könnte. Man hatte schon andere, seltsamere Dinge gesehen. Ach, Milvola, wie wohl ihr Haar ohne Mädchenhaube aussah? Sicher ein Traum, ein Gedicht, eine...

PLATSCH!!!

Ein Schwall kaltes Wasser traf ihn mitten im Gesicht, riss ihn jäh aus seinen verliebten Träumen. Von draußen kicherte es.

Nein! Nicht schon wieder!! Und vor allem nicht heute!!!

„Beim Gerstenkorn! Floritzl! du gemeiner Kerl, das sollst du mir büßen!“

Lumiggl stürmte ins Freie. Vor Wut waren seine Ohrspitzen ganz rot angelaufen.

„Bist du jetzt endlich wach?“, kam es ganz unschuldig von oben.

Floritzl, ein Elf und deshalb mit Flügeln gesegnet, schwebte etwa einen halben Meter über dem Boden – außerhalb der Reichweite seines aufgebrachten Womblingfreundes und bog sich vor Lachen. Seine Libellenflügel schimmerten im Licht der Morgensonne.

„Komm sofort runter da!“ schrie Lumiggl und versuchte hopsend, den Elf zu fassen zu kriegen. „Komm runter und kämpfe wie ein Mann!“

Normalerweise wäre Floritzl in dieser Höhe vor dem wutschäumenden Lumiggl ganz sicher gewesen, und der hätte sich auf Dauer beruhigt, die Revanche auf später verschoben. Sie hätten sich versöhnt, Floritzl hätte das nasse Hemd hoch in die Sonne getragen und mit den Flügeln trocken gefächelt, Lumiggl wäre immer noch unter den ersten Gratulanten gewesen und so weiter und so weiter.

Aber so sollte es nicht kommen. Alles sollte anders kommen. Ganz anders.

Lumiggl war heute aus verständlichen Gründen so aufgebracht, dass er höher sprang als sonst. Irgendwann würde er den schon erwischen – am Gürtel, am Rockzipfel seines grünen Wamses oder an seiner Tasche, die er über die Schulter geworfen hatte. Und vielleicht war Floritzl auch zu leichtsinnig, oder war er abgelenkt, rutschte ihm doch seine Flöte aus dem Gürtel, die ihm sein Liebstes und Lumiggl ein Dorn im Ohr war. Jedenfalls erwischte ihn der Wombling und krallte sich in seine Tasche. Ließ nicht locker, hängte sich fest und wollte Tasche und Elf daran auf den Boden seiner Wut holen. Das konnte nicht gut gehen! Die Tasche riss und platzte mit ihrem Inhalt heraus, der voll auf Lumiggl platschte. Und der keckernde Elf drehte einen begeisterten Salto nach dem anderen darüber, konnte sich gar nicht mehr beruhigen.

„Hahaha!“, kicherte er. „Schau dich mal an. Du siehst vielleicht aus! Schwarz in schwarz von oben bis unten. Das kommt davon, wenn man sich an meiner Tasche vergreift. Das geschieht dir ganz recht. Kleine Sünden werden gleich bestraft......-... Lumiggl?“

„…“

„Lumiggl?“

Lumiggl antwortete nicht, saß nur da, ganz in sich hineingekauert, schaute an sich hinab auf das von den geplatzten Holunderbeeren besudelte Hemd, unterdrückte mühsam ein Schluchzen, doch aus seinen kleinen brauen Augen kullerte eine stumme Träne nach der anderen.

Was sollte er nur tun? Bis das Hemd gewaschen und getrocknet war, dauerte es einen halben Tag, falls die Holunderflecken überhaupt zu entfernen waren. Und umziehen kam auch nicht infrage. Lumiggl pflegte seine Kleider zu tragen, bis sie an unbequemen Stellen Löcher bekamen. So weit war sein altes Hemd noch nicht, aber um bei den Eltern der erhofften Braut Eindruck zu machen, war es ganz sicher nicht mehr geeignet. Zu spät fiel ihm ein, dass er schon lange vorgehabt hatte, sich für Notfälle ein Extrahemd und eine weitere Hose zu besorgen. Aber natürlich war ihm das dann nie wichtig genug erschienen – und dann hatte er ja jetzt ein neues Hemd. Wer hätte auch so etwas ahnen können. Traurig schaute er dem Holundersaft zu, wie er von seinen Ärmeln tropfte und eine Pfütze bildete.

Als er Lumiggl so still dastehen sah, erstarb Floritzls Lachen. Eigentlich hatte er mit einer wilden Verfolgungsjagd gerechnet, kreuz und quer über die Wurzeln der uralten Bäume. Da er mit seinen Flügeln im Vorteil war, machte ihm das immer großen Spaß. Verwundert flog er näher heran. Lumiggl stand da wie ein Häufchen Elend und schniefte nur.

„Lumiggl, Lumiggl, was ist denn los?“

„Phhhht...“ oder wie auch immer es klingt, wenn jemand die tränenvolle Nase hochzieht, „Milvola hat heute Geburtstag.“

„Ohoh.“

Wie hatte Floritzl das vergessen können? Seit Wochen ging der Wombling dem Elf damit doch schon auf die Nerven. Floritzl fand dieses Warten und Hinfiebern auf einen bestimmten Tag ja ziemlich albern, aber die Sitten bei den Womblingen waren nun mal etwas altmodisch. Er konnte auch nicht verstehen, was sein Freund an dieser Womblinga fand, aber alle seine Vorhaltungen waren auf taube Ohren gestoßen. Und jetzt hatte er sich eben damit abgefunden, dass Lumiggl so unvernünftig gewesen war, sich zu verlieben. Wenn er das Herz seiner Angebeteten gewinnen wollte, musste er natürlich gerade heute schick aussehen – und er sollte nach Möglichkeit der Erste sein, der ihr gratulierte. Das machte einen guten Eindruck und war – wie sollte es anders sein – Womblingsitte. Floritzl überlegte fieberhaft, wie er den Schaden schnellstmöglich wieder gut machen könnte, möglichst bevor Lumiggl wieder zu sich kam und richtig ernsthaft wütend wurde. Schließlich hatte er nicht wirklich vorgehabt, Lumiggl den Tag zu verderben. Er hatte nur vergessen, dass heute der große Tag war – so was kann doch mal passieren! Aber wenn ihm schnell etwas einfiel, käme der Wombling vielleicht gar nicht auf die Idee, ihm, dem im Grunde ganz unschuldigen Elf, irgendwelche Böswilligkeiten3 zu unterstellen. Eine Idee musste also her, wie man das alles schnellstens wieder ausmerzen konnte! Aber während Floritzl noch hin und her überlegte, sah er, wie Lumiggl mit einem Seufzer so tief wie ein Brunnenschacht in Richtung Fluss4 davon trottete. Er war schon fast hinter der Erle verschwunden, die seine Höhle beschirmte, ehe Floritzl überhaupt begriff, dass er wohl die eigentlich recht gute Idee gehabt hatte, seine Kleider auszuwaschen. Warum war ihm das nicht eingefallen? Mist. Mit einem eiligen „Warte doch auf mich!“ flatterte er dem Wombling hinterher. Ohne unterwegs jemandem zu begegnen – es war wirklich noch früh am Morgen – erreichten sie schließlich den Fluss. Lumiggl suchte sich eine seichte Stelle, zog sich nach einem schüchternen Blick in alle Richtungen die Kleider aus und stieg mit dem schmutzigen Bündel in das einladend dahinplätschernde Wasser.

Und begann zu rubbeln und zu wringen, was das Zeug hielt, aber mit nur bescheidenem Erfolg. Immer wieder unterbrach er seine Arbeit, hielt das Hemd prüfend in die Sonne, um sich davon zu überzeugen, ob das Hemd wirklich wieder weißer wurde. Aber je öfter er das wiederholte, desto mehr sank ihm der Mut. Was hatte er auch keine Seife mitgebracht, wieso hatte er kein Ersatzhemd, warum färbten Hollunderfrüchte auch so scheußlich und überhaupt: Wer war schließlich an allem Schuld? Warum hatte ihn dieser Elf nass gespritzt?

Er gab schließlich auf und haute wütend das Wäschebündel vor sich ins Wasser.

„Du könntest mir ruhig helfen und meine Kleider sauber machen, während ich mich wasche“, rief er Floritzl zu.

Der missfällige Ton dieser Aufforderung ärgerte den Elf. Er landete am Ufer und hob hochmütig den Kopf.

„Du weißt doch, dass wir außer Tautropfen kein Wasser mögen“, maulte er. „Unsere zarten Flügel sind zu empfindlich.“

„Natürlich. Wieder mal typisch! Schließlich hab ich den ganzen Ärger nur dir zu verdanken! Und jetzt drückst du dich auch noch davor, den Schaden wiedergutzumachen, weil du Angst vor Wasser hast!“

„Mit Angst hat das nichts zu tun!“

„Hat es doch, du bist wasserscheu!“

Floritzl warf sich in die Brust. Wie konnte dieser Wombling es wagen! Dem wollte er schon zeigen, wer hier wasserscheu war. Aber dann blickte er über die Schulter auf seine hauchdünnen Flügel, die im Sonnenlicht glitzerten, und dann wieder auf das munter dahinplätschernde Wasser. Er kratzte sich hinterm Ohr und trat zögernd auf das Wasser zu.

„Die Strömung ist aber auch wirklich reißend“, murmelte er.

„Unsinn! Hier, wo ich stehe, ist es fast ein stiller Tümpel“, unterbrach ihn Lumiggl barsch. „Komm schon, schließlich ist es deine Schuld, dass ich so aussehe. Wenn ich das Herz von Milvola nicht gewinne, weil ich zu dreckig bin oder weil ein anderer schneller ist, verzeih ich dir das nie!“

„Ich hab's geahnt. Du schiebst alles wieder auf mich. Das ist ja auch so einfach, so bequem. Wer hat denn an meinem Sack gezerrt? Wer hat einfach nicht losgelassen? Und außerdem hat jedes vernünftige Wesen etwas zum Umziehen zu Hause“, ereiferte sich Floritzl. „Schließlich kann einem, wenn's drauf ankommt, immer wieder mal was passieren!“

„Zum Beispiel gemeine Elfen, die einen mit Früchten bewerfen?“ Lumiggls Ohren färbten sich allmählich rot.

„Hab ich gar nicht, du hast an meinem Frühstück gezerrt!“

„Du hast mit Absicht dieses Obst mit dir rumgeschleppt.“

„So ein Quatsch! Ein harmloser Scherz, der außer Kontrolle geriet.“

„Flegel!“

„Spaßverderber!“

„Gemeiner Kerl!“

„Griesgrämiger Tölpel!“

„Wasserscheuer Lump!“

„Nimm das sofort zurück!“

„Wasserscheu, wasserscheu!“

„Du...“

„Was ist denn hier los?“

Erschrocken drehten die beiden Streithähne ihre Köpfe. Aus der Mitte des Flusslaufes tauchte ein Mädchenkopf auf, dem ein sehr weiblicher Körper folgte, allerdings mit Schuppen und Flossen – vor allem an den Beinen. Goldenes Haar, geschmückt mit allerlei Muscheln und schillernden Wasserpflanzen, fiel offen auf ihre nackten Schultern. Floritzl und Lumiggl stöhnten gleichzeitig auf. Jetzt war es also passiert: Sie hatten Rusilda, die Wassernymphe5, auf sich aufmerksam gemacht.

„Rusilda, die hat uns gerade noch gefehlt“, murmelte Floritzl deprimiert. Natürlich kannte er sie – jeder kannte sie. Die Urteile über sie reichten von ,schwierig, nicht leicht zu nehmen’ auf der höflichen Seite bis ,grauenhaft und absolut nervtötend‘ auf der ehrlichen. Beide Seiten waren sich gleichermaßen einig, dass sie nicht allzu klug war und ihr Selbstbewusstsein sozusagen umgekehrt proportional zu ihren Geistesgaben.

Jetzt schaukelte sie vor dem Wombling und dem Elf gemächlich auf den Wellen. Ihre blasse Haut hatte einen leicht bläulichen Schimmer und ihre Augen waren groß und tiefblau. Neugierig blickte sie zu den beiden Kontrahenten. Dann richtete sie sich auf, als wäre das Wasser des Flusses ein bequemes Sofa und rief theatralisch: „Wer wagt es, die Ruhe meines Wassers zu stören, den Sand aufzuwühlen und meine Fische zu erschrecken – wer wagt es, meinen Fluss zu besudeln?“

„Hör mal, das bisschen Holundersaft ist doch keine Besudelung!“, widersprach Lumiggl ärgerlich. „Und deine ach so erschreckten Fische scheinen ganz wild drauf zu sein!“

Wirklich drängte sich ein regelrechter Schwarm um den Wombling, um an den Holundersaft an seinen Kleidern zu kommen, die er ins Wasser getaucht hatte.

„Und Sand“, fuhr Lumiggl fort, „gibt es hier auch nicht.“

„Schon gut“, winkte Rusilda hoheitsvoll ab. „Aber ihr müsst zugeben, es klang phantastisch.“

Sie zupfte an den Muscheln in ihrem Haar und musterte Wombling und Elf erwartungsvoll. Aber keiner der beiden schien ein Wort sagen zu wollen. Schließlich siegte die Neugier der Nymphe:

„Was macht ihr hier eigentlich, ein nackter Wombling und ein Elf?“

Lumiggl errötete. Floritzl aber beeilte sich, die Geschichte von Lumiggls Missgeschick in den dramatischsten Farben zu schildern, weil ihm in den Sinn gekommen war, dass Rusilda vielleicht an seiner Stelle beim Waschen helfen würde, wenn ihr Mitleid erregt wäre. Schließlich war sie doch schon nass und das Wasser war ohnehin ihr Element.

„Weißt du vielleicht Rat, schöne Rusilda?“, endete er schließlich mit einem galanten Augenaufschlag.

Er hatte das Wassermädchen scheinbar richtig eingeschätzt. Sie neigte geschmeichelt den Kopf und schenkte ihm ein Lächeln. Dann legte sie die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach.

„Da meine Fische den Saft offensichtlich lieben, können sie ihn auch von Deinen Kleidern putzen“, verkündete sie schließlich und strahlte voller Stolz über diesen genialen Gedanken,

„Gib sie mir, dann tauche ich mit ihnen in eine tiefere Strömung, damit sich der Saft besser löst.“

„Großartige Idee!“, versicherte Floritzl.

Lumiggl wollte gerade protestieren, da hatte ihm die Nymphe schon geschickt sein Kleiderbündel entwunden und tauchte unter. Der Wombling starrte ihr entgeistert nach.

„Bist du wahnsinnig?“ wandte er sich schließlich aufgebracht an Floritzl.

„Ich hab sie um den Finger gewickelt, du wirst schon sehen“, winkte der ab.

„Elfen und ihre Arroganz“, stöhnte Lumiggl. „Die Sache hat einen Haken. Dieses Weib tut doch nie etwas umsonst!“

„Sie ist Wachs in meinen Händen“, behauptete der Elf, „und deshalb...“

„Schscht“, unterbrach Lumiggl sofort, „willst du, dass sie uns hört? Wenn das gut geht, heiße ich Hugo!“

„Schon recht, Hugo“, flüsterte Floritzl siegessicher und strahlte dann die Nymphe an, die bereits mit den sauberen Kleidungsstücken auf die beiden zuschwamm.

„Wunderbar, schönste Rusilda“, tönte der Elf.

Aber die Nymphe hielt in sicherer Entfernung an, lachte und versteckte Lumiggls Kleider hinter ihrem Rücken.

„Was gebt ihr mir dafür?“, fragte sie lächelnd und legte neckisch den Kopf schief.

Lumiggl warf dem Elf einen finsteren Blick zu. Floritzl machte ein langes Gesicht. „Wir dachten eigentlich, dass du aus Freundlichkeit und um zu helfen...“

„Natürlich habe ich aus Freundlichkeit geholfen“, versicherte Rusilda unbekümmert. „Und ihr bedankt euch jetzt für die Freundlichkeit mit einem kleinen Geschenk. So ist das üblich beim Wasservolk. Das ist allgemein bekannt!“

„Soll ich ein schönes Lied spielen, eines nur für dich?“, bot Floritzl eifrig an. Er spielte für sein Leben gern auf seiner Flöte und am liebsten vor Publikum. Schon hatte er die Flöte aus dem Gürtel gezogen, da winkte Rusilda blasiert ab.

„Ein schöner Gedanke, mein lieber Elf. Dein Angebot hat nur einen kleinen Schönheitsfehler. So ein Lied kann man doch nicht behalten. Du spielst es und dann ist es wieder fort und ohne Instrument bekommt man es nie mehr zurück...“

„Du wirst doch hoffentlich nicht die Flöte wollen...“

„Aber nein, du Dummerchen.“ Rusilda kicherte.

„Was möchtest du denn?“, wollte Lumiggl vorsichtig wissen.

„Etwas, das mir meine ganze Schönheit zeigt“, kam die prompte Antwort. „Etwas, das wie gefrorenes Wasser aussieht, das blinkt und glitzert wie Wellen im Mondschein und ganz glatt poliert ist und...“

„Du willst einen Spiegel!“, rief Lumiggl. Die Nymphe strahlte und nickte eifrig.

„Ja, aber hast du ihn nicht schon, ist nicht alles um dich her, das ganze Wasser ein einziger Spiegel deiner Schönheit?“

„Ach, bei Wasser ist man so abhängig, so ausgeliefert; ein Windstoß und schon ist die ganze Pracht dahin und ich kann sehen, wo ich bleibe, und wieder eine halbe Ewigkeit warten, bis ich mich ganz klar sehe. Aber so ein Spiegel, den kann man immer und überall verwenden. So wie die Zwergin, die damit vor einiger Zeit über die Wiese tanzte!“ Die Nymphe deutete auf die Stelle. „Ich wollte das Ding haben, aber die dumme Pute wollte es nicht hergeben.“

Rusilda zog einen Schmollmund.

Floritzl belegte in Gedanken Frauen im Allgemeinen und die Zwerginnen im Besonderen mit einem wenig schmeichelhaften Ausdruck. Was mussten diese Weiber auch immer tanzen und sich herausputzen und mit ihren Sachen angeben!

„Ich habe dich vor kurzem mit so einem Spiegel hier entlang kommen sehen...“, fuhr die Nymphe an Lumiggl gewandt fort.

Lumiggls Gedanken wanderten zurück zu seiner Höhle. Dort war tatsächlich ein solcher Spiegel, hergestellt von den Erdzwergen6, extra für Lumiggl, d. h. letztendlich für Milvola. Es war ein zierlicher Silberspiegel, den Lumiggl als Geschenk für sie erworben hatte. Einen großen Korb sorgsam geschälter Körner des wilden Weizens hatte er dafür gegeben, die Arbeit vieler Tage. – Und als er endlich fertig gewesen war, waren seine Finger taub und rissig gewesen und er hatte geglaubt, nie wieder gerade stehen zu können, so weh hatte im alles getan vom langen Bücken. Er hatte sich schon auf Milvolas entzücktes Lachen gefreut und ihre gespielte Entrüstung über das viel zu teure Geschenk. Bestimmt hätte sie ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt und ihm dann den ersten Tanz versprochen und vielleicht sogar den Platz an ihrer Seite beim Festschmaus. Er konnte diesen Spiegel doch nicht einfach so einer habgierigen Nymphe überlassen. Doch zugleich wusste er ganz genau, dass kein Weg daran vorbeiführte.

„Unsinn“, redete derweil Floritzl auf die Nymphe ein. „Was sollte ein Wombling mit einem Spiegel wollen? Das muss was anderes gewesen sein. Auf keinen Fall ein Spiegel. Lumiggl, sag du ihr, was das war!“

„Ein Spiegel.“

„Siehst du, es war kein... Was? Ein Spiegel? Was machst du auf einmal mit einem Spiegel?“

„Ein Geschenk für Milvola.“

„Oh...“

Lumiggl seufzte tief und wandte sich dann an Floritzl, wobei er versuchte, möglichst gefasst zu erscheinen: „In meiner Höhle, in einem blauen Beutel neben meinem Bett, liegt so ein Spiegel. Würdest du ihn bitte holen?“

Floritzl sah ihn forschend an. Schon öffnete er den Mund, um Einwände zu machen, ließ es dann aber, als er Lumiggls deprimierten Blick sah. Er nickte nur kurz und flog davon, um den Spiegel zu holen.

Rusilda schaukelte derweil vergnügt auf den Wellen, voller Vorfreude auf ihr Geschenk. Lumiggls Betrübnis bemerkte sie gar nicht, und wenn, störte sie sich nicht daran. Sie ließ sich von der Strömung wiegen und stimmte ein Lied an über die Schönheit der Nymphen und das Glück und die Seligkeit, das jeder Mann nur bei ihnen finden konnte.

Lumiggl saß im seichten Wasser und fühlte sich durch die Gegenwart der Nymphe weder beglückt noch voller Seligkeit. Er war den Tränen nahe. Dieser Tag hätte der schönste seines Lebens sein sollen – und jetzt?

„Ach, mein Spiegel“, jammerte er. „Wie lang hab ich gearbeitet und geschuftet, um ihn zu bekommen! Für die schönste Womblinga der Welt sollte er sein!“

„Du meinst sicher, die schönste Nymphe der Welt“, Rusilda hatte ihr Lied unterbrochen und schwamm heran, „Das schönste Wesen der Welt überhaupt! Mal ehrlich, wer außer mir braucht eigentlich überhaupt einen Spiegel? Wer hat schon ein Aussehen, das es wert wäre, sich darin zu spiegeln? Ganz sicher nicht irgend so eine kleine Womblinga.“

„Sie ist nicht irgendeine!“, brauste Lumiggl auf. Dann aber zuckte er müde die Schultern, „Das verstehst du nicht. Du liebst niemanden als dich selbst. Da kannst du das gar nicht verstehen.“

In diesem Moment kam Floritzl zurück. Rusilda vergaß alles andere und streckte verlangend die Hände nach dem Spiegel aus.

„Moment!“ Floritzl flog etwas höher, um außerhalb ihrer Reichweite zu sein, „zuerst die Kleider.“

„Ach ja“, Rusilda hob ihm das Bündel mit der einen Hand entgegen, mit der anderen griff sie nach dem Spiegel.

„Oh, ich bin ja noch schöner als ich dachte!“, rief sie entzückt, kaum dass sie einen ersten Blick auf ihr Spiegelbild geworfen hatte. Sie drehte sich auf den Rücken, hielt den Spiegel über sich und ließ sich mit der Strömung davon treiben, wobei sie sich ununterbrochen im Spiegel zulächelte und Laute des Entzückens von sich gab. Lumiggl und Floritzl würdigte sie keines Blickes, geschweige denn eines Abschiedsgrußes oder gar eines Dankeschöns.

Lange blickten die beiden Freunde ihr nach. Lumiggl war, als bräche ihm das Herz. Auch Floritzl war für einen Elf ungewöhnlich ernst. Ihn drückte sein schlechtes Gewissen. Aus seinem harmlos gedachten Scherz hatte sich eine echte Katastrophe für seinen Freund entwickelt. Und es fiel ihm beim besten Willen nichts ein, was er hätte tun können.

„Soll ich dir ein Lied spielen?“, schlug er zaghaft vor, aber Lumiggl achtete überhaupt nicht auf ihn. Normalerweise hätte das den Elf tief gekränkt. Er war der festen Überzeugung, dass Elfenmusik über jeden Kummer hinweg trösten konnte und Floritzl tröstete gerne mit Musik. Er war ein ausgezeichneter Flötenspieler - niemand wusste das so gut, wie er selbst. Aber diesmal zuckte er nur betreten die Achseln.

„Komm aus dem Wasser“, sagte er schließlich zu Lumiggl. „Du siehst schon ganz schrumpelig aus.“

„Ist doch egal“, gab Lumiggl zurück. „Ich kann ja ohnehin nicht zu Milvola gehen – ohne Geschenk.“

„Das ist doch Blödsinn! Erst konntest du nicht gehen, weil du schmutzig warst...“

„Was allein deine Schuld war“, warf Lumiggl dazwischen.

„Und dann“, fuhr Floritzl fort, als hätte er nichts gehört, „bist du schneller als gedacht wieder sauber und kannst trotzdem nicht gehen und musst im Wasser bleiben?“

Darauf fiel Lumiggl keine Antwort ein, was ihn wütend machte. Gleich darauf schämte er sich wieder und kroch schließlich wortlos aus dem Wasser.

„So ist es besser“, lobte Floritzl.

„Was soll das heißen – 'soistesbesser'? Du bist doch Schuld daran, dass ich keinen Spiegel mehr habe! Nur weil du Angst hattest, nass zu werden!“, explodierte Lumiggl. „Ohne dich wäre das alles nicht passiert. Ich wäre sauber und ich hätte einen Spiegel...“

„Es hat doch keinen Sinn, Geschehenem nachzutrauern“, unterbrach ihn Floritzl schnell, denn sein schlechtes Gewissen wuchs. „Wir gehen einfach zu ihr hin, und erklären ihr das Ganze – und ihren Eltern auch...“

„Natürlich! Aber sicher doch!“, meinte Lumiggl sarkastisch. „Auf so dumme Ideen kannst auch nur du kommen!“

„Was soll das heißen: Dumme Idee! Ich wäre schließlich mitgekommen!“

„O ja, dein Wort hat Gewicht“, höhnte Lumiggl. „Dir glaubt man doch noch nicht mal im Elfenreich!“

„Sag das noch mal!“ Floritzl flatterte kampflustig auf den Wombling zu und hob die Fäuste vors Gesicht.

Beim Anblick des nassen Bündels fiel Lumiggl wieder ein, dass er ja der ärmste Wombling der Welt war. Mit einem herzzerreißenden Schluchzer sank er auf die Wiese nieder. Dort zupfte er ein großes Sauerampferblatt ab, um sich geistesabwesend damit trocken zu reiben.

Floritzl hob wortlos Hemd und Hose wieder auf und breitete sie über zwei üppigen Grasbüscheln zum Trocknen aus.

„Du kannst ihr doch etwas anderes schenken“, schlug er vor. „Vielleicht finden wir etwas, das genauso schön ist oder wenigstens fast. Und wenn nicht, kannst du ihr beim Überreichen immer noch erklären, dass du alles durch meine Schuld verloren hast.“

Gegen seinen Willen war Lumiggl gerührt über dieses Angebot. Dass der Elf bereit war, für seine Streiche einzustehen, kam nicht allzu oft vor.

„Und was soll ich ihr schenken?“, fragte der Wombling daher schon ein wenig hoffnungsvoller.

„Also, da wäre...“ der Elf kratze sich an der Ohrspitze, „tja...“

Ratlos sah er sich um. Plötzlich klatschte er in die Hände, schlug einen Purzelbaum in der Luft und landete dann breit grinsend neben dem Wombling.

„Welches ist das Geschenk für eine junge Dame?“, schrie er aufgeregt, „Na?“

„Ein Kochtopf für die Aussteuer?“

„Quatsch – Blumen!“

„Blumen“, murmelte Lumiggl, „Blumen...“

„Du weißt schon! Diese Dinger mit den bunten Blättern oben und den grünen unten und dem Stiel dazwischen!“

„Blumen...“ Lumiggl sah seinen Freund immer noch an, als ob er nicht ganz bei Trost sei.

„Du spinnst doch!“, schimpfte er schließlich. „Was glaubst du, wie viele Blumen Milvola heute von all den Womblingen geschenkt bekommen wird? Auf die Idee kommt doch wohl jeder! Ich wollte ihr etwas ganz Besonderes schenken! Wenn ich mit einem windigen Strauß Blumen und sonst nichts ankomme, werde ich gar nicht erst Gelegenheit haben, ihr zu erklären, warum das so ist!“

„Ach komm, wer sagt denn, dass er windig sein muss!“, widersprach Floritzl. Ihm war ein wenig unbehaglich zumute, denn am liebsten hätte er die wenig schmeichelhafte Rolle, die er bei Lumiggls Missgeschick gespielt hatte, ganz einfach verschwiegen.

„Es müssen eben ganz besondere Blumen sein“, erklärte er und flog sofort auf, um einerseits Ausschau zu halten und gleichzeitig Lumiggl keine Gelegenheit zur Antwort zu geben.

Kapitel 2

in dem wir erfahren, dass Hummeln einen sehr verantwortungsvollen Beruf und Blumen ihre Tücken haben

Suchend blickte Floritzl sich um, entdeckte aber nur gewöhnliche Wiesenblumen. Er wollte gerade aufgeben, da sah er etwas über die Wiese laufen. Allerdings musste er genau hinschauen um zu erkennen, was es war7.

„Da läuft ein Moosweibchen!“, rief er Lumiggl zu. „Wenn uns jemand in Sachen Blumen helfen kann, dann jemand vom Moosvolk!“

Sprach's und schwirrte los, das Mädchen anzusprechen.

Ehe Lumiggl richtig begriffen hatte, was los war, war der Elf schon fort. Nach einem Weilchen sah Lumiggl ihn und das Moosweibchen in seine Richtung kommen und sprang entsetzt mitten zwischen den Sauerampfer, um seine Blöße zu bedecken. Er hatte ja immer noch nichts an. Floritzl schien seine Verlegenheit gar nicht zu bemerken.

„Das ist Tilly“, stellte er das Moosweibchen vor. „Ich erzählte ihr gerade von deinem Liebeskummer!“

„Äh...“, sagte Lumiggl. Anscheinend war Floritzl bestrebt, ganz Tharsya über sein Missgeschick zu informieren und das möglichst, solange er in seiner Nacktheit eine möglichst lächerliche Figur machte.

Tilly schien sich gar nicht an seiner Erscheinung zu stören.

„Du Armer“, sagte sie, „dabei war das Geschenk so eine schöne Idee. Aber du wirst sehen, wir finden ein paar ganz besonders schöne Blumen, die wir ganz furchtbar originell arrangieren. Und mit ein bisschen Glück - ich will ja nichts beschwören, aber ich hab da so ein Gefühl – da schaffen wir bestimmt die ganz große Überraschung, gell? Und dann werden alle staunen, du wirst sehen. Aber lass mich erst einmal überlegen, wo wir suchen könnten.“

Sie klopfte Lumiggl aufmunternd auf die Schulter. Der wurde davon nur noch verlegener und stotterte: „Könntest du dich zum Überlegen vielleicht umdrehen?“

Tilly guckte irritiert.

„Ich möchte mich anziehen“, flüsterte Lumiggl errötend.

„Ach, du bist niedlich, aber vor mir brauchst du dich doch nicht zu genieren. Du kannst ruhig so bleiben, bis die Sachen trocken sind. Sonst holst du dir womöglich noch den Tod, du Ärmster. Denn, weißt du, ich, ich seh euch, auch wenn ihr mich nicht seht, und was ich da alles zu sehen bekomme, also ich kann dir sagen... also keine Bange.“

Lumiggl errötete prompt noch ein bisschen mehr. Aber Floritzl war neugierig geworden: „Und was genau bekommst du da zu sehen?“

„Tztztzt. Also wirklich, Floritzl!!“

„Schon gut, ich habe nie gefragt.“

„Aber dein Freund friert sich noch immer zu Tode.“

„Nein, nein, Tilly, mach dir keine Sorgen, mir geht es gut.“ Hastig versuchte Lumiggl, in seine Kleider zu schlüpfen und sich gleichzeitig keine Blöße zu geben. „Denk lieber an mein Geschenk, mir ist warm, nur wird die Zeit knapp.“

„Tja, was könnten wir da machen, was nur? – Wisst ihr was?“

„Nein, was?“

„Wir gehen jetzt erst einmal zu meiner Lieblingswiese, und da wird mir schon was einfallen, wenn ich erst mal die Blumen sehe. Aber natürlich nur, wenn dir nicht kalt ist, Lumiggl.“

„Keine Bange, lass uns gehen.“ Lumiggl hätte niemals zugegeben, dass ihn fröstelte. Womblinge sind hart im Nehmen, in klammen Kleidern und sonst auch – jedenfalls wollen sie das sich und andere glauben machen.

Zu dritt machten sie sich auf zur großen Blumenwiese. Floritzl stapfte wacker mit, hatte, so behauptete er, aufs Fliegen verzichtet, um in den Genuss einer Unterhaltung mit den beiden zu kommen. Lumiggl wurde den Verdacht nicht los, dass der Elf, als er Tilly von seinem Unglück erzählte, seine eigene Rolle wohlweislich verschwiegen oder doch beschönigt hatte und nun sicher gehen wollte, dass Lumiggl das nicht richtig stellte. Tilly plapperte derweil vor sich hin, erzählte von den Blumen, die ihre ganze Liebe waren, obwohl auch Baumschösslinge und seltene Farne ihr Interesse fanden – die Moose nicht zu vergessen, wirklich, die Moose würden sehr unterschätzt. Zwischendurch unterbrach sie sich dabei immer wieder, um Lumiggl zu fragen, wie es ihm gehe, ob ihm nicht etwa doch kalt sei, und um ihn zu beruhigen: Das werde ein schönes Geschenk. Und dann lobte sie zu allem Überdruss auch noch Floritzl – jeder Wombling könne sich glücklich schätzen, einen solchen Elfenfreund zu haben. Da musste sich ein gewisser Wombling schon sehr zusammennehmen, und seinem Elfenfreund war es peinlich, wenigstens ein bisschen.

Als sie den Hügel emporgeklettert waren, bot sich ihnen ein herrlicher Anblick: Blüten und Kelche aller Farben hatten sich bei den ersten Sonnenstrahlen geöffnet und wippten nun in einer sanften Brise wie in einem lautlosen Tanz hin und her. Auf den Blumen, die im Schatten der höheren Pflanzen standen, perlte noch der Tau und blitzte auf, wenn die Sonnenstrahlen den Schatten wieder ein wenig weiter zurückdrängten. Schmetterlinge und Bienen waren bereits eifrig damit beschäftigt, von Blüte zu Blüte zu fliegen. Lumiggl, der Langschläfer, wunderte sich immer mehr darüber, wie viele Wesen schon zu einer Zeit unterwegs waren, zu der er normalerweise noch tief und fest schlummerte.

„Wahnsinn“, flüsterte er.

„Gefällt es dir? Das gefällt dir oder? Ich seh schon, ich seh schon, an dir ist ein Blumenfreund verloren gegangen. Ach, das trifft man ja so selten heutzutage.“

„Äh, ja. Also dann, lasst uns anfangen“, Lumiggl wollte den Hügel hinunterstürmen. Schließlich lief ihm allmählich die Zeit davon. Wer konnte schon wissen, wann Milvola und ihre Familie morgens aufstanden?

„Halt, halt, halt! Bevor du dich wie ein Berserker auf die Blumen stürzt, müssen wir erst einmal wissen, was es denn werden soll.“

„Wieso denn noch lange überlegen? Wir gehen nach unten und jeder nimmt so viel wie er tragen kann“, antwortete Lumiggl ungeduldig.

„Lumiggl, so geht das nicht. So geht das einfach nicht. Einmal dürfen wir nicht zu viele nehmen.“

„Aber es sind doch jede Menge.“

„Von jeder Sorte dürfen nur so viele weggenommen werden, dass noch genügend übrig bleiben, die von den Insekten befruchtet werden und Samen bilden können. Denn aus den Samen wachsen wieder neue Blumen. Nimmt jeder so viele, er will, ist die Wiese bald leer. Das war schon immer so.“

„Aha.“ Lumiggl war schwer beeindruckt, wie er ja immer schwer beeindruckt war, wenn etwas traditionell und immer schon und von altersher war. „Ja, aber was machen wir dann?“

„Siehst du und deshalb müssen wir vorher wissen, welche Blumen wir nehmen wollen, welche und wie viele. Und schließlich müssen wir ja auch noch die Hummeln fragen. Jaja, die Hummeln! Und deshalb müssen wir vorher wissen, was wir machen wollen. Und außerdem, wenn man einfach so irgendwelche Blumen zusammensammelt, dann sieht das sehr bald nicht mehr schön aus. Also?“

Lumiggl war schon wieder niedergeschlagen. Eben noch hatte er geglaubt: Das ist es, das machen wir, das ist die Lösung, damit kann ich Renommee einlegen, und so lange wird es schon nicht dauern, so einen Blumenstrauß zu pflücken – und prompt kam ihm wieder mal wieder was dazwischen. Heiliges Gerstenkorn, warum war bloß alles so kompliziert und vor allem so langwierig? Das konnte ja wieder dauern!

„Also?“

„Was?“, wurde er aus seinen Grübeleien gescheucht.

„Ja, was. Was wollen wir machen?“

„Ich weiß auch nicht. Es soll… es soll… es soll einfach so schön und so… und so umwerfend sein wie gerade eben, als ich diesen Blumenteppich zum ersten Mal gesehen habe.“

„Ein Teppich“, sagte Tilly und wirkte plötzlich sehr nachdenklich.

Erstaunt sahen die beiden Freunde sie an. Aber noch bevor sie nachfragen konnten, was sie damit meinte, sprang sie auf und lief den Hügel halb hinab. Vor einem Busch blieb sie stehen.

„Was macht sie denn da?“, fragte Lumiggl

„Sie redet mit einem Busch.“

„Sie redet mit einem Busch? Gibt er ihr auch Antwort?“

„Woher soll ich das wissen? Lass uns nachsehen“, schlug Floritzl vor und flatterte auch schon davon. Lumiggl erhob sich und trabte hinterher.

Als sie Tilly erreichten, drehte die sich strahlend zu ihnen um.

„Ich wusste doch, dass ich hier eine finde!“ Sie deutete auf eine Spinne, die auf einem Ast saß.

„Wirklich toll“, meinte Lumiggl trocken. „Du hast diese Art bestimmt schon lange gesucht. Aber, sollten wir nicht eigentlich...“

„Sie wird uns helfen“, unterbrach Tilly ihn.

„Klasse!“, rief Floritzl enthusiastisch. „Nur der Form halber: wobei?“

„Beim Weben!“

„Ach ja, wie konnte ich das vergessen.“ Floritzl warf Lumiggl einen vielsagenden Blick zu. Der beachtete ihn aber nicht, sondern wandte sich zunehmend lebhafter an Tilly: „Beim großen Gerstenkorn und seiner Hülse! Du meinst, die Blumen...“

Tilly nickte eifrig.

Floritzl sah vom einem zum anderen und wieder zurück. Er verstand überhaupt nichts.

„Wir werden die Hummeln fragen, wie viele und welche...“ sprudelte Tilly weiter.

„Welche Hummeln?“, wollte Floritzl wissen.

„Und dann weben wir ein Muster, was ganz Originelles, vielleicht ein Herz“, stimmte Lumiggl zu, „und dann...“

„Welche Hummeln?“, fragte Floritzl.

„Oh, es wird ganz zauberhaft werden!“

„Was?“, schrie da Floritzl. „Könnte mir mal einer erklären, worum es hier geht?“

Verärgert stemmte der Elf die Hände in die Seiten und seine Flügel zitterten.

„Verzeiht, wenn ich euch störe“, maulte er. „Es liegt wahrscheinlich daran, dass ich zu blöd bin, und ich bin ja auch nur versehentlich hier und eigentlich gar keine Hilfe...“

„Also genau genommen...“, begann Lumiggl, doch Tilly ging dazwischen. „Du hast natürlich Recht“, wandte sie sich besänftigend an Floritzl. „Also, wir haben nur überlegt, dass es eine hübsche Idee wäre, einen Teppich aus Blumen zu weben.“

„Ich könnte ihn Milvola zu Füßen legen“, fuhr Lumiggl eifrig fort, „oder das Dach damit schmücken, oder sie darin einhüllen – nein, das wäre für das erste Mal wohl zu vertraulich. Aber vor ihr ausbreiten, das wäre toll!“

„Na, dann los!“, rief Floritzl schon wieder gut gelaunt. „Wo ist die nächste Hummel, wozu auch immer die gut sind8?“

Als sie den Rand der Blumenwiese erreicht hatten, sahen sie sich nach einer Hummel um, die ihnen vielleicht weiterhelfen konnte. Es waren auch mehrere da, aber keine beachtete die drei. Staunend betrachtete Lumiggl diese Insekten. An ihrem Hinterteil hatten sie alle einen weißen Streifen. Gelegentlich gab es auch welche, die zusätzlich auch noch einen gelben Streifen hatten9. Lumiggl war noch ganz in Gedanken versunken, als eine Hummel ihn ansprach: „Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Wir wollten ein paar Blumen pflücken“, antwortete Lumiggl verdutzt.

„Wir wollten um die Erlaubnis bitten, einige Blumen zu pflücken“, verbesserte Floritzl diplomatisch.

„Er“, Tilly stieß Lumiggl an, „möchte das Herz einer Womblinga gewinnen.“

Die Spinne, die in Tillys Grashaaren saß, enthielt sich jeden Kommentars.

„In Herzensdingen liegst du mit unseren Blumen genau richtig!“, brummste die Hummel stolz. „Soll es ein Bukett sein?“

„Nein, ein Teppich.“

„Was? Was glaubt ihr denn, wie viele Blumen dazu nötig sind? Ihr wollt wohl die ganze Wiese plündern!“ Die Hummel war jetzt sichtlich verärgert.

„Neinnein“, beeilte sich Tilly zu erklären, „es soll mehr ein symbolhafter Teppich sein. Und wir nehmen vor allem Blätter, verstehst du, Blätter. Dann kommen die Blüten sowieso viel besser zur Geltung, gell?“

„Was soll das heißen, symbolhaft, ich will ihn doch Milvola zu Füßen legen...“, mischte sich da Lumiggl ein.

„Na eben“, presste Tilly zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und stieß ihn schmerzhaft in die Rippen, „sym-bo-lisch.“

„A-a-aber natürlich, symbolisch. Und was hab ich gesagt? Hab ich was anderes gesagt? Nein – ja“, nickte der Wombling, der endlich begriffen hatte, „also symbolisch, ein symbolischer Teppich, als Symbol, äh, meiner Liebe, äh, und der ganzen Welt, die ich, äh, ihr zu Füßen lege...“ er lächelte die Hummel möglichst unschuldig an.

„Nun ja, wenn das so ist...“, meinte die Hummel, immer noch leise zweifelnd.

Die drei Freunde strahlten sie an, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Die Spinne rollte die Augen und zog sich wieder zurück in Tillys Haargestrüpp. Sie musste ja nicht alles mitkriegen. Und ohne sie konnte ja doch keiner anfangen.

„Na gut“, brummte die Hummel besänftigt, „kommt mal mit. Da drüben ist, glaube ich, eine Stelle, die sowieso etwas ausgedünnt werden muss, damit die nachfolgenden Blüten Sonne abbekommen. Am besten, ich schau mal auf den Plan.“

Sie folgten der Hummel, die in leicht taumelnden Flug voran eilte.

„So, hier ist es“, erklärte sie schließlich, als sie vor einem riesigen Plan angekommen waren, der – auf ein Stück Rinde gezeichnet – am Rand der Wiese aufgestellt war. Die Hummel wies mit ihrem rechten Vorderbein auf eine Ecke des verzeichneten Gebietes.

„Wollen Sie etwa jemanden dort hinschicken?“, mischte sich eine vorbeifliegende Hummel ein und landete. „Das geht nicht! Da habe ich gerade einem Erdzwerg Zutritt gewährt, der den Hochzeitstag mit seiner Frau würdig begehen will.“

„Und warum weiß ich davon nichts?“, beschwerte sich die erste Hummel. „Das ist ja unerhört!“

„Das Rundschreiben ist schon längst raus. Entweder ist es noch irgendwo unterwegs. Oder es wurde mal wieder nicht gelesen“, verteidigte sich die andere Hummel. „Also mehr, als ein Rundschreiben aufzugeben, kann ich nun wirklich nicht tun. Ich kann doch nicht noch überwachen, ob es auch alle erreicht. Soll ich etwa jeden hinterher fragen, ob er auch mein Rundschreiben bekommen hat? Dafür bin ich nicht zuständig!“

„Ja, ja, das sagen alle. Die Jugend heutzutage!“, schimpfte die erste Hummel, die offensichtlich die ältere war. „Zu meiner Zeit hat man sich noch bemüht, jedem persönlich Bescheid zu geben. Rundschreiben, dass ich nicht lache! Und damit, denken die, alles sei erledigt. Keine Sorgfalt mehr, kein Verantwortungsbewusstsein!“

„Und vor lauter Bescheidsagen ist man gar nicht mehr zum Arbeiten gekommen“, wagte es die jüngere einzuwerfen. „Die Rundschreiben sind schon ganz gut – man muss sie nur lesen!“

„Ich habe kein Rundschreiben erhalten!“, protestierte die erste Hummel. „Ist ja auch kein Wunder. Ich erfahre doch immer alles als Letzte! Kein Respekt mehr vor dem Alter!“

Die jüngere Hummel schwieg. Offensichtlich hatte sie bereits einschlägige Erfahrungen mit ihrer Kollegin.

Schließlich räusperte sich die ältere Hummel und wandte sich wieder dem Plan zu: „Also gut, dann wollen wir mal sehen. Hmm hmm hmm. Und was ist damit?“

„Ich glaube, die hat ein Kollege an zwei Womblingkinder vergeben, die ihre Mutter...“

„Kann denn niemand diesen Plan auf den neuesten Stand bringen?“, zeterte die erste Hummel, wobei sie auf und ab taumelte. „Muss man denn hier alles allein machen!“

„Ich glaube, diese Stelle ist noch frei!“ Die jüngere Hummel zeigte auf eine andere Stelle auf dem Plan.

„Da wachsen doch die Gänseblümchen!“, widersprach die erste Hummel, „die haben viel zu kurze Stiele...“

„Die wachsen dort – das wusste ich gar nicht...“ wunderte sich die andere.

„Ihr habt hier Gänseblümchen? Aber die wachsen doch überall!“, staunte Floritzl.

Beide Hummeln wandten sich gleichzeitig um und bedachten den Elf mit einem dermaßen eisig durchbohrenden Blick, dass der zurückwich, sich auf die Zunge biss und sich schwor, nie mehr nichts mehr zu sagen. Jedenfalls nicht so bald.

„NOCH treten sie häufig auf, ja“, belehrte ihn die ältere Hummel schließlich. „NOCH! Aber wenn die Blumenpflückerei so verantwortungslos und unkontrolliert weitergeht, wird das bald anders sein. Deshalb haben wir auch das Gänseblümchen in unserer Sammlung...“

Floritzl nickte stumm und zupfte a Saum seines Hemdes herum.

„Eigentlich wollte ich ja eine besondere Blume für Milvola“, wandte Lumiggl schüchtern ein, „und da die Gänseblümchen ja im Moment noch eher gewöhnlich sind...“

„Im Moment, du sagst es“, stimmte die Hummel zu, „nun gut, in Herzensdingen... ach ja, da ist eine Stelle – genau das Richtige“, sie wandte sich ihrer Kollegin zu, „oder gibt es da auch irgendwelche Einwendungen?“, herrschte sie sie an.

„Nicht dass ich wüsste“, meinte die.

„Wie beruhigend“, spöttelte die ältere Hummel. „Dann können Sie unsere Gäste ja sicher auch auf dem kürzesten Weg hinbringen. Und von euch“, wandte sie sich an die drei Freunde, „darf ich mich verabschieden. Bitte zu beachten, dass den Anweisungen meiner Kollegin strikt Folge zu leisten ist. Für Rückfragen steht sie natürlich jederzeit zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen.“

Sie nickte noch kurz allen zu und flog dann schwankend davon.

„Ich glaube, die Verwaltung wird langsam zuviel für sie“, murmelte die zurückgebliebene Hummel, während sie ihrer Kollegin nachsah. „Sie ist schon seit Jahren hier. Früher war sie eine echte Konifere, äh, Koryphäe – niemand konnte ihr eine Margerite für eine Kamille vormachen. Aber die Zeit ging eben auch an ihr nicht spurlos vorüber. Allmählich sollte sie sich in den Innendienst zurückziehen, um unser Blumenalphabet neu zu erfassen oder so.“

Sie schüttelte bedauernd den Kopf. Dann aber besann sie sich auf ihre Pflicht und wandte sich an die drei Freunde und die Spinne: „Bitte folgt mir.“

Sie kamen schließlich an den Rand der Wiese zu einer Stelle, wo üppige Blumen in Rosa und Weiß blühten.

„Wozu braucht ihr sie denn?“, fragte die Hummel.

„Für einen Teppich – äh, oder besser für das Symbol eines Teppichs“, erläuterte Floritzl.

„Sozusagen ein kleiner Teppich als Symbol für einen großen!“, mischte sich Tilly schnell ein.

„Ein symbolischer Teppich“, beeilte sich auch Lumiggl zu versichern, „mit einem Herz drauf.“

„Einem Herz?“, wunderte sich die Hummel.

„Nur symbolisch!“ versicherte Tilly.

Die Spinne zog es vor, nichts zu sagen.

„Es ist für den Geburtstag seiner Liebsten“, wechselte Floritzl die Taktik und zeigte auf Lumiggl, „ein Symbol seiner Liebe.“

Damit konnte die Hummel weitaus eher etwas anfangen.

„Ah, für den Geburtstag der Liebsten!“, rief sie begeistert. „Ich verstehe, ich verstehe. Das ist ja so romantisch! Als ob ich’s gewusst hätte. Dann sind das hier auf jeden Fall die passenden Farben. Frauen mit Geschmack lieben Sträuße in Pastellfarben, die Ton in Ton harmonieren. Das wird sicher ganz entzückend.“

Dann wandte sie sich direkt an Lumiggl: „Du bist also letzten Endes der Urheber und trägst also die Verantwortung. Ich gestatte dir, fünfzehn der voll erblühten zu nehmen. Aber keine Knospen! Ich muss Dich darauf hinweisen, dass eine Zuwiderhandlung eine schwere Strafe in Form von Sozialarbeit bei der Mistkäferbrigade zur Folge hat, deren Dauer sich nach der Höhe des Verstoßes richtet. Dein Name und Deine Adresse bitte?“

Lumiggl stotterte verdattert die gewünschten Informationen und die Hummel notierte eifrig seine Angaben. Dann kritzelte sich noch etwas auf ein kleines Blättchen, von denen sie etliche bei sich trug.

„Hier, das ist dann die Erlaubnis über fünfzehn Blüten und angemessene Beipflückung von Grünzeug. Nur für den Fall, dass ihr von einer Kollegin kontrolliert werden solltet. Damit sind die Formalien erledigt, und ich darf noch einmal an die strikte Einhaltung aller Auflagen erinnern. Ich wünsche noch einen schönen Tag und gutes Gelingen.“ Die Hummel nickte und flog davon.

„Puh“, atmete Lumiggl auf. Bei all diesen Anweisungen war ihm ganz schwindelig geworden. Tilly aber begutachtete bereits mit Feuereifer die Blumen. Da ihr niemand – nicht mal die Spinne – absprach, dass sie meiste Ahnung von Blumen hatte, begaben sich Elf und Wombling brav zu den von Tilly bezeichneten Blüten und brachen sie so weit unten ab wie möglich. Lumiggl zählte außerdem sorgfältig mit. Er hatte nur eine verschwommene Vorstellung davon, was die Mistkäferbrigade war, aber die genügte, um sicher zu wissen, dass er auf keinen Fall mit der Brigade zu tun haben wollte. Die Spinne saß derweil im Haar des Moosmädchens und schaute zu.

„So, und die Blumen bringen wir jetzt in den Schatten an den Rand“, entschied Tilly, als die fünfzehnte Blüte ausgewählt und gepflückt war. „Jetzt kommt unser Spinnchen zum Zuge.“

Spinnchen? So klein war sie nun wirklich nicht, widersprach die Spinne ganz für sich.

Ganz behutsam wurden die Blumen in den Schatten getragen.

„Schön, gell?“, schwärmte Tilly, „Und jetzt noch Gräser, Blätter, Farne, Moose.“ Und alle ihre anderen Lieblinge. „Damit es auch nach was aussieht.“

Sie blieb bei den Blüten und bewachte sie, sortierte, was ihr Floritzl und Lumiggl brachten, auf verschiedene Haufen, sann vor sich hin und verkündete schließlich: „Das langt, langt lang. Ihr könnt aufhören.“

„Aaah, danke, ich bin schon ganz geschafft.“

„Reicht es auch wirklich? Nicht dass ich dir nicht glaube, aber der Teppich ist für Milvola, und je später es wird, desto mehr muss er hermachen.“

„Aber ja, aber ja, aber ja, nur keine Bange, lass mich nur machen.“

Die Spinne kletterte in das erste Stockwerk des Baumes, ließ sich wieder herabfallen und spann so die ersten Fäden, webte das Grundgerüst des zukünftigen, sozusagen symbolischen Teppichs. Als die Spinne so weit war, reichte ihr Tilly Blätter, Blüten und andere Pflanzenteie hinauf. Kein Wort fiel zwischen den beiden, nur ab und zu ein fragender Blick, eine Falte auf Tillys Stirn, ein zustimmendes Nicken oder auch nicht. Sie verstanden sich, wussten, was zu tun war, und langsam nahm der Teppich Gestalt an – ein grünbuntes Meisterwerk, von schimmernden Seidenfäden zusammengehalten und natürlich mit einem Herz in der Mitte.

„Soll ich ein wenig Flöte dazu spielen?“, schlug Floritzl vor, aber Tilly bedeutete ihm, dass das nur stören würde. Na dann eben nicht! Er zuckte mit den Achseln und ließ seine Flöte im Gürtel stecken. Wen hätte seine Musik je gestört! Ganz schön zickig, diese Floristen.

Und endlich war es so weit: Die Spinne kletterte vom Baum herunter, setzte sich auf Tillys Schulter und prüfte – mit ebenso schief gelegtem Kopf wie das Moosweibchen – das gemeinsame Werk. Anscheinend war es zu beider Wohlgefallen geraten, und so kletterte sie um den Teppich herum und löste die Haltefäden. Tilly nahm den Teppich in Empfang und breitete ihn vor Floritzl und Lumiggl aus: „Na?“

„Der ist ja wunderschön!“, rief Lumiggl begeistert.

„Ja, ja, er ist uns beiden, glaube ich, ganz gut gelungen.“ Tilly errötete vor Freude und die Spinne kratzte sich geschmeichelt am Kopf.

„Gut gelungen? Das ist großartig, das ist...“

„Aber das Beste habt ihr ja noch gar nicht gesehen.“

„Das Beste?“

„Ja, das Beste. Nur noch ein bisschen Geduld. Armer Lumiggl! Ja, ja, ich weiß, du möchtest jetzt nix wie los, aber warte nur noch... da, seht ihr?“

„Was?“

„Da! Der Teppich.“

„Das gibt's doch gar nicht.“

„Gibt es doch, meine Freunde, und das war meine Überraschung.“

Und wirklich, die war Tilly gelungen: Wie von Zauberhand gehoben schwebte der Teppich einige Handbreit über dem Boden und wiegte sich im Wind.

„Und wie geht das?“

„Ja, das ist Spinnchens Werk. Wenn man ihm gut zuredet und es gerade dazu aufgelegt ist und jemandem wohlgesonnen, wenn Mond und Sonne richtig stehen, das Wetter stimmt und Spinnchen will, dann kann es solche Fäden spinnen, die alles, was man in sie hinein verwebt, so leicht machen wie ein Spinnennetz.“

Floritzl hatte sich unterdessen herangewagt, strich mit seiner Hand unter und über den schwebenden Teppich.

„Kein Trick? Kein doppelter Boden?“, vergewisserte er sich.

„Aber nein, aber nein, was denkst du? Und was noch besser ist: Alles und jeder, der sich auf den Teppich setzt, wird genauso leicht.“

„Das glaub ich nicht.“

„Doch, doch, probier es ruhig mal aus! Setz dich ruhig einmal auf den Teppich.“

„Lass das, Floritzl, du machst ihn nur kaputt!“

„Aber bitte, Freund Lumiggl, bitte, ich lasse dir natürlich den Vortritt. Wie schweben geht, das weiß ich sowieso, wozu hab ich schließlich meine Flügel.“

„Äh... Soll ich wirklich?“

„Ja, ja, mach ruhig.“

„Siehst du, Tilly, er traut sich nicht.“

„Ich trau mich wohl! Aber mach ich auch ganz bestimmt nichts kaputt?“

„Nein, nein.“

Und so hievte sich Lumiggl vorsichtig auf den Teppich, die Hände über den Rand, dann ein Bein nach dem anderen, legte sich erst flach hin, noch skeptisch genug, aber endlich richtete er sich doch auf und setzte sich, schaute in die Runde.

„Schwebt der Teppich noch?“

„Aber sicher.“

„Na, wird es dir nicht schon schlecht in zwei Fuß Höhe?“

„Lass ihn in Ruhe, Floritzl.“

„Das ist ja sagenhaft. Und wie lange hält das?“

„Das kommt darauf an.“

„Und worauf?“

Ein Windstoß fuhr unter den Teppich und wehte ihn höher.

„Was ist jetzt los? Hilfe!“

„Um Gerstenkornswillen. Halt dich fest Lumiggl, Floritzl, du musst den Teppich packen und festhalten. Mach schnell!“

„Jetzt braucht man mich wieder.“

„Schnell, Floritzl, mach schnell, bevor noch ein Windstoß kommt.“

Floritzl flatterte los, dem Teppich und Lumiggl hinterher. Die beiden hatten schon eine beachtliche Höhe erreicht, als er den Teppich zu packen bekam.

„Ha, hab ich dich, du Ausreißer.“

„Floritzl, hilf mir, ich bin nicht schwindelfrei.“

„Keine Bange, bald sind wir wieder unten. Äh, oder auch nicht. Tilly! Ich krieg ihn nicht runter.“

„Oje, oje, oje.“

„Tilly!! Was soll ich jetzt tun?“

Da traf sie der nächste Windstoß und trieb sie noch höher.

„Wenn ihr an einen Baum kommt, musst du einen Ast packen und dich daran festhalten.“

„Das geht nicht, wir sind schon zu hoch. Wir sind schon zu hoch.“

„Oje, oje, oje, was mach ich nur, was mach ich nur.“

„Tilly, sag was, was soll ich tun?“

„Er muss den Wombling retten“, entschied die Spinne.

„Ach, Spinnchen, und die ganze Arbeit umsonst? Aber du hast recht. Floritzl, hörst du, du musst Lumiggl retten., Nimm ihn auf deine Schultern und bring ihn mit herunter.“

„Hast du gehört Lumiggl? Lumiggl?“

„Ja, ich hab es gehört!“

„Komm schon, steig auf meine Schultern, ich bring dich heil nach unten.“

„Nein, nein, nein. Niemals. Das ist mein Geschenk. Ich lasse nicht los.“

„Mach keinen Unfug, Lumiggl, du wirst dir den Hals brechen.“ Floritzl zog sich auf den Teppich hinauf. Hier fand er den Kobold, der sich flach hingelegt hatte und die Hände in den Teppich krallte.

„Tilly, er will nicht loslassen.“

„Aber er muss, er kann sich nicht ewig festhalten! Irgendwann lässt die Wirkung nach! Er wird sich noch den Hals brechen. Lumiggl, mach keine Dummheiten und komm mit Floritzl herunter.“

„Nein, nein, nein.“

Über der Talsenke und ungehindert von irgendwelchen Bäumen frischte der Wind auf und trieb sie immer weiter fort und höher hinauf.

„Hör auf damit, Lumiggl, kapierst du nicht, du musst hier runter. Was hat Milvola von deinem Geschenk, wenn du vorher abstürzt?“ Floritzl zog den Wombling brutal an Kragen und Haaren, was, da Lumiggl massiger und schwerer war als der zierliche Elf, praktisch keine Wirkung hatte. „Nimm endlich Vernunft an, zum Gerstenkorn.“

„Also gut – aber ich bin nicht schwindelfrei.“

„Lass die Augen zu, und ich bring dich nach unten, wie hoch sind wir eigentlich schon? Oh, oh, lass die Augen zu und bleib, wo du bist.“

„Wieso? Was ist?“

Floritzl hatte einen Blick über den Rand des Teppichs gewagt: Sie waren schon viel zu hoch, selbst für ihn. Und dann noch mit einem Wombling huckepack. Das würde seine Flügel in Fetzen reißen.

„Bleib da. Und mach etwas Platz, ich muss mich festhalten.“

„Was ist denn los?“

„Was los ist? Ich werde dir sagen, was los ist. Du sturer Bock, du wolltest ja unbedingt nicht loslassen. Und das hast du jetzt davon. Wir sind schon viel zu hoch, das ist los. Mach Platz!“

„Und was sollen wir jetzt tun?“

„Festhalten. Abwarten. Hoffen, dass wir irgendwann wieder nach unten kommen. Und dann nicht zu hart landen. Mach endlich Platz!“

Und unten am Rande der Blumenwiese stand Tilly und schaute gebannt dem Blumenteppich hinterher, wie er immer höher stieg und weiter getrieben wurde, immer weiter, bis er schließlich nicht mehr zu sehen war.

„Das ist zu hoch, das ist viel zu hoch, das schaffen sie nicht mehr. Oje, oje, oje, und an allem bin ich schuld“, sie raufte sich die Haare und lief im Kreis herum, zertrampelte die Blumen und merkte nichts davon. „Ich bin schuld, ich bin schuld, das ist alles meine Schuld. Nur weil ich sie überraschen wollte mit dem schwebenden Teppich, habe ich den Haltefaden vergessen, nur weil ich zu eingebildet war auf meinen tollen Einfall und auf deine Arbeit, Spinnchen. Spinnchen? Was haben wir nur getan. Das werd ich mir nie verzeihen. Oje, oje, oje, was sollen wir nur tun? Spinnchen, was bin ich doch für ein dummes, eitles, schusseliges Weibchen. Es ist alles meine Schuld, ganz allein.“

Und Spinnchen versuchte sie zu trösten, aber Tilly war untröstlich. Na ja, nicht völlig untröstlich. Aber dazu kommen wir ein andermal.

Lumiggl und Floritzl flogen derweil über die Dörfer hinweg, in denen sie wohnten und weiter ins Unbekannte. Hinter den beiden Ansiedlungen machte der Fluss eine Biegung und bildete eine natürlich Grenze. Darüber waren die beiden noch nie hinaus gekommen.

Floritzl, an die Perspektive aus der Luft gewöhnt, schob sich bald neugierig an den Rand des Teppichs und spähte auf das Land unter sich.

„Guck mal, der Fluss“, rief er und deutete unter sich.

Lumiggl gab keine Antwort. Er lag auf dem Bauch, die Hände fest an den Teppich geklammert, die Augen fest geschlossen und versuchte, nicht daran zu denken, dass er gerade durch die Luft flog.

„Schau mal, da hinten sind die Berge. Ich hab sie noch nie so klar gesehen – die sind ja größer als ich dachte! Und da ist noch ein Fluss – oder unser Fluss macht eine Schleife. Wenn das ein neuer Fluss ist, müssen wir unserem Fluss einen Namen geben, damit man sie nicht verwechselt“, plapperte Floritzl weiter. „Ich glaube, 'Einfluss' klingt gut. Der andere würde dann 'Zweifluss' heißen...“

Lumiggl sagte immer noch nichts. Der Elf stieß ihn an, was den Teppich ganz leicht ins Schlingern brachte.

„Hey, pass doch auf!“, schrie Lumiggl panisch. „Bist du wahnsinnig? Du willst uns wohl abstürzen lassen!“

„Hast wohl Angst?“, neckte ihn Floritzl.

„Womblinge haben nie Angst, vor nichts und niemandem!“

„Du hast Angst.“

„Hab ich nicht.“

„Dann dreh dich doch mal um und genieße die Aussicht – oder noch besser: Setz dich auf!“

Lumiggl verzog das Gesicht.

„Das ist doch kindisch“, wehrte er ab, „einfach lächerlich!“

„Das sagst du nur, weil du dich nicht traust!“

„Ich habe an anderes zu denken.“

„Ach? Was denn?“

„Wir werden Tage brauchen, um wieder nach Hause zu kommen.“

„Ach was, bestimmt dreht der Wind wieder – du willst nur davon ablenken, dass du Angst hast“, Floritzl klopfte dem Freund neckisch auf die Schulter. „Schau mal, die Berge, die sind jetzt ganz nah – äh, viel zu nah.“

„Wann wohl die Wirkung nachlässt von diesem Teppich?“

„Weiß ich nicht, nur nicht gerade jetzt, wenn wir auf die Berge zutreiben.“

„Was ist passiert?“

„Noch nichts. Wir sind nur nicht hoch genug, um über die Berge hinweg zu segeln.“

„Was?“

„Ich glaube, die Wirkung des Windes lässt nach. Wir verlieren an Höhe.“

„Und was heißt das?“

Plötzlich erfasste sie ein Wirbel und drehte sie mit dem Teppich um und um.

„Halte dich fest, Lumiggl!“

„Wir stürzen ab, heiliges Gerstenkorn, hilf.“

Beide warfen sich in die Mitte des Teppichs und klammerten sich schreiend aneinander. Floritzl erschrak so, dass er sogar vergaß, dass er Flügel hatte. Der Boden raste auf sie zu.

Der Teppich begann, sich vom Rand her aufzulösen, und in einem Schweif aus Blumen, Gräsern, Moos und Seidenfäden rasten die beiden Freunde dem Erdboden zu. Plötzlich ein Bums, ein Ruck, ein Aufschlag, und dann nichts mehr.

Kapitel 3

handelt von Drachen und Tischmanieren und einem Moosvolk im Innern eines Berges