Wo ist Erkül Bwaroo? - Ruth M. Fuchs - E-Book

Wo ist Erkül Bwaroo? E-Book

Ruth M Fuchs

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Beschreibung

Hans und Greta, die Kinder eines reichen Besenfabrikaten werden vermisst. Eine Entführung! Erkül Bwaroo, der so geniale wie exzentrische Elfendetektiv, soll diskret herausfinden, wer dahintersteckt. Schnell wird klar, dass die beiden Kinder nicht die Einzigen sind, die plötzlich aus dem Haushalt des Fabrikanten verschwanden. Stimmt es zum Beispiel wirklich, dass das Stubenmädchen Lizzie über Nacht einfach so auf und davon ging, oder wurde da nachgeholfen? Wurde sie ebenfalls verschleppt? Oder gar ermordet? Gerade, als die Ermittlungen ihren Höhepunkt erreichen, ist plötzlich auch Erkül Bwaroo nicht mehr auffindbar. Sein Freund Dr. Artur Heystings muss über sich selbst hinauswachsen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Die rothaarige Journalistin Maja Behn bietet ihm ihre Unterstützung an. Doch ist sie wirklich so hilfsbereit, wie sie vorgibt?

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Inhaltsverzeichnis

Ein Interview

Finden Sie sie!

Unerwartete Begegnung

Das kann kein Zufall sein!

Ein ungewöhnliches Gefährt

Ein Mann im braunen Anzug

Ein Hallodri

Ein Pfefferkuchenhaus

Alles nicht so einfach

Ein Detektiv verschwindet!

Rendezvous in der Remise

Amseln, nichts als Amseln

Er hat keine Feinde

Das Lösegeld

Die Feeneiche

Endlich zurück

Anders als erwartet

Ein zweites Verbrechen

Wo ist Erkül Bwaroo?

von Ruth M. Fuchs

Phantastischer Kriminalroman

Impressum

© 2022 Raposa

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Werks darf in irgendeiner Form ohne ausdrückliche vorherige Zustimmung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Herausgeber: Raposa – Ruth Fuchs

c/o Block Services, Stuttgarter Str. 106, 70736 Fellbach

eMail: [email protected]

Umschlaggestaltung: Chris Schlicht

www.dreamspiral.de

Lektorat: Jochem Reineck

www.ruthmfuchs.de

Für Dieter

Ein Interview

Die Kursaison stand bevor, und Pendrin lag daher noch in tiefem Schlaf. Pendrin, das ist eine eher kleine Stadt im Ostreich, in der es das ganze Jahr recht ruhig zugeht. Abgesehen von der Kursaison. Das sind jedes Jahr einige Wochen im Frühling, wenn die Reichen und Schönen – und solche, die dafür gehalten werden wollen – die zahlreichen Hotels der Stadt heimsuchen, um das berühmte Heilwasser in möglichst kleinen Schlucken zu trinken. Wichtiger als das scheint jedoch jedes Jahr aufs Neue zu sein, durch die Straßen zu flanieren, um gesehen zu werden. Abends besucht man dann einen der zahlreichen Bälle und feiert oft bis in den frühen Morgen. Den Kater bekämpft man dann wieder mit dem Wasser undsoweiter.

Ich habe während dieser Wochen stets viel in meiner Arztpraxis zu tun. Doch jetzt war es bemerkenswert ruhig. Ich fand, dass ich mir ruhig einen kleinen Urlaub vor dem großen Ansturm gönnen konnte. Da kam mir eine Winddepesche mit der Einladung eines Freundes, doch ein paar Tage bei ihm zu verbringen, gerade recht.

Winddepeschen sind eine feine Sache. Man fängt dazu auf magische Art einen Windhauch ein, der dann einen Brief durch die Luft transportiert. Das ist wesentlich schneller als jeder Botendienst und kann inzwischen auch von Nichtzauberern genutzt werden, sofern die es sich leisten können. Ich erhielt den Brief noch am selben Tag, an dem er abgeschickt worden war, und hatte so genügend Zeit, mich mit meiner Assistentin abzusprechen und eine Vertretung für Notfälle zu organisieren.

Mein Freund residiert in Laundom, der Hauptstadt der Westländer. Das allein versprach bereits eine Menge Möglichkeiten an Zerstreuung und Abwechslung, denn Laundom hat Theater, Musikhallen und sogar ein Lichtspielhaus zu bieten. Ganz zu schweigen von den zahlreichen großen und kleinen Lokalen und Restaurants, die es gibt. Dort kann man neben einer deftigen Mahlzeit für Zwerge oder einer ausgefallenen Fruchtkreation für Fabelwesen nicht nur die regionale Küche, sondern auch Spezialitäten aus allen vier Ländern probieren. In Laundom kommt alles zusammen, alle Nationalitäten und alle Völker. Menschen und Feyen, also Zwerge, Elfen, Feen und alle anderen, leben zwar im Großen und Ganzen in eigenen Vierteln, aber nichtsdestotrotz einträchtig nebeneinander. In dieser Stadt wird es einem nie langweilig.

Aber mehr noch war es mein Freund selbst, der mir eine interessante Zeit verhieß. Denn er ist von Beruf Privatdetektiv, und mit ihm zusammen habe ich schon so manchen spannenden Fall gelöst. Obwohl er selbst ein Elf ist, suchen auch Menschen und Feyen aller Art bei ihm Rat. Sie alle wenden sich mit den seltsamsten Anliegen an ihn und werden selten enttäuscht. Eigentlich habe ich bisher noch nie erlebt, dass er bei seinen Ermittlungen einmal scheiterte, und er selbst ist der Erste, der behauptet, dass er der größte Privatdetektiv aller Zeiten sei.

Als ich in Laundom ankam, schüttete es wie aus Kübeln. Obwohl der Winter eigentlich schon vorüber war, war es noch empfindlich kühl. Als ich aus dem beheizten Abteil meines Zuges ausstieg, schlug ich den Mantelkragen hoch und vergrub die Hände in den Taschen. Langsam stieg ich die beiden Stufen zum Bahnsteig hinab und wartete, bis auch mein Gepäck ausgeladen war. Dabei sah ich mich suchend um.

Ich musste nicht lange warten. Erkül Bwaroo, das ist der Name meines Freundes, eilte mir bereits entgegen. Wie immer war er wie aus dem Ei gepellt in einem eleganten maßgeschneiderten Anzug und Mantel und blankpolierten Lackschuhen. Den stattlichen Schnurrbart, der sein ganzer Stolz ist, trug er zu zwei Spitzen gezwirbelt, mit denen man jemanden hätte erstechen können. Eigentlich wirkte er ein wenig lächerlich dabei, denn er ist klein und rundlich, mit einem Kopf, der sehr an ein Ei erinnert. Dass er zu den Elfen gehört, merkt man eigentlich nur an seinen überaus spitzen Ohren.

„Mon ami Heystings! Wie schön, Sie wieder einmal zu sehen!“, begrüßte er mich enthusiastisch. Ach ja, seine Unart, alles mit französischen Brocken zu würzen, hatte er also auch immer noch behalten. Nichtsdestotrotz schüttelte ich ihm hocherfreut die Hand. Bei all seinen Allüren ist Bwaroo nämlich ein großartiger Bursche und wirklich liebenswert.

Jetzt geleitete er mich zu einer Kutsche, die bereits auf uns wartete.

„Wie lange ist es her, mon cher? Fast ein Jahr! Letztes Jahr im Frühling! Unsere Reise im Onyx-Express, n'est-ce pas?“

„Genau, Bwaroo“, lachte ich, denn er tänzelte vor Begeisterung praktisch auf den Zehenspitzen herum. „Ich hoffe ja, dieses Mal wird es weniger aufregend.“

Wir hatten damals einen verzwickten Mordfall aufzuklären, Bwaroo und ich. Es war spannend, aber die Reise in vollen Zügen genießen konnten wir dabei natürlich nicht.

„Ah, mon ami, im Moment ist es ruhig, sehr, sehr ruhig“, Bwaroo breitete die Arme aus und sein Schnurrbart schien einen Moment traurig nach unten zu hängen. „Erkül Bwaroo hat alle Verbrecher in Angst und Schrecken versetzt. Alle benehmen sich nun wie Musterknaben, und die kleinen grauen Zellen haben nichts zu tun!“

„Na, so schlimm wird es schon nicht sein“, versuchte ich ihn amüsiert zu beruhigen. Mein lieber Freund Bwaroo neigt einfach dazu, sich selbst zu überschätzen. Dass allein seine Existenz irgendeinen Spitzbuben dazu bringen soll, lieber kein Verbrechen mehr zu begehen, ist wirklich absurd. Es schien ihm aber ganz ernst damit, also sagte ich nichts weiter dazu. „Dann machen wir es uns eben zu Hause gemütlich“, schlug ich stattdessen vor. „Mit Orges‘ unvergleichlicher Würzmilch!“

Orges ist Bwaroos menschlicher Diener, ein absolutes Original, der Inbegriff eines Dieners schlechthin. Er versteht es, heiße Milch mit ein paar Kräutern so zu würzen, dass eine Delikatesse daraus wird. Bei dem schlechten Wetter und der Kälte, die mir allmählich unter den Kragen kroch, schien mir die Aussicht auf so einen behaglichen Abend geradezu göttlich.

„Oui, das wird uns guttun“, stimmte Bwaroo zu. „Aber wir werden später noch Besuch bekommen. Eine junge Dame ...“ Er schmunzelte, während er mir zuzwinkerte.

„Also doch ein neuer Fall?“

„Non, hier geht es um ein Interview.“

„Will die Zeiten einen Artikel über Sie bringen?“

Die Zeiten ist die renommierteste Tageszeitung der Westländer. Natürlich ging ich davon aus, dass alles andere unter Bwaroos Niveau wäre. Doch er schüttelte den Kopf.

„Mademoiselle kommt von der Elfenfreundin“, erklärte er.

„Wirklich?“ Ich staunte. „Ist das nicht ein bisschen unter Ihrem Niveau?“

Die Elfenfreundin war eine Frauenzeitschrift speziell für weibliche Elfen. Sie warb damit, die Themen Mode, Schönheit, Psychologie & Partnerschaft, Gesundheit & Ernährung, Job, Lebensstil, Reisen, Wohnen, Kochen und Kultur für Frauen zu behandeln. Auch in meinem Wartezimmer lag die eine oder andere Ausgabe herum. Soweit ich das beurteilen konnte, bedeutete das im Klartext, dass sich in jeder Ausgabe ein paar Ratschläge fanden, was man anziehen und wie man sich herrichten sollte, das eine oder andere schokoladenlastige Rezept, gefolgt von einer neuen Diät, ein Artikel, wie eine Frau für einen Mann besonders attraktiv wird, und einer, wie eine Frau ohne Mann glücklich werden kann. Dazu kam dann noch ein sogenannter Psychotest, in dem man Antworten zu Fragen ankreuzen musste, die im normalen Leben so gar nicht vorkamen, und schon bekam man als Testergebnis, dass man einen ganz wundervollen Charakter hat. Fertig. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, an welcher Stelle Erkül Bwaroo da hineinpassen sollte.

„Mais pourquoi?“ Bwaroo sah mich geradezu entrüstet an. „Dieses Magazin ist sehr erfolgreich, und wird von vielen gelesen.“

„Aber Sie können das doch unmöglich ernst nehmen!“

„Es geht ja gar nicht darum, es ernst zu nehmen.“ Bwaroo putzte ein unsichtbares Stäubchen von seinem Ärmel. „Es geht darum, einen Dienst zu leisten. Privatdetektiv zu sein, bedeutet, ein Dienstleister zu sein, denn man sucht im Dienst seines Auftraggebers nach der Wahrheit bei einem Verbrechen. Und bei einem Interview sagt Erkül Bwaroo dann eben die Wahrheit über Erkül Bwaroo. Voilá!“

Und so nebenbei konnte man dann auch ein wenig im Mittelpunkt stehen, ging es mir durch den Kopf. Wenn es zur Zeit tatsächlich so ruhig war, wie Bwaroo behauptete, musste es ihn vor allem treffen, dass er nicht vor aller Welt mit seiner Brillanz glänzen konnte. Theoretische Denkspiele und philosophische Überlegungen nur für sich allein waren nichts für meinen Freund. Seine Lösungen mussten bekannt werden und Applaus einheimsen. So gesehen war es nur zu verständlich, dass er sogar für eine Frauenzeitschrift ein Interview gab.

Inzwischen waren wir vor Bwaroos Heim angekommen. Orges öffnete die Tür, half uns aus unseren nassen Mänteln und wies den Weg in den Salon, in dem bereits ein lustiges Feuer im Kamin brannte und anheimelnde Wärme verbreitete. Auf Bwaroos Einladung setzte ich mich ihm gegenüber in einen seiner eckigen, aber bequemen Sessel und streckte die Füße dem Feuer entgegen. Es dauerte auch nicht lange, da erschien Orges mit einem Tablett, auf dem zwei Tassen seiner hervorragenden Würzmilch standen. Wort- wie auch ausdruckslos platzierte er diese auf einem kleinen Kartentisch, der zwischen mir und Bwaroo stand. Ich möchte einmal erleben, dass Orges eine andere als eine stoisch ausdruckslose Miene macht. Aber egal, Hauptsache, seine Milch schmeckte.

Bald plauderten Bwaroo und ich, als wären wir nicht über ein Jahr getrennt gewesen. Die Zeit verging im Flug. Dementsprechend war ich ein wenig überrascht, als Orges wieder hereinkam und verkündete, dass eine gewisse Maja Behn draußen warte, um zu Erkül Bwaroo vorgelassen zu werden.

„Ah ja!“, rief Bwaroo entzückt. „Die Dame von der Zeitschrift. Führen Sie sie doch herein, mein lieber Orges.“

Wenig später betrat eine junge Elfe den Raum. Sie war ganz in Dunkelbraun gekleidet, was angenehm mit ihrem kastanienbraunen Haar harmonierte.

Erkül Bwaroo stellte mich vor und bot der jungen Dame dann Platz an. Leider nickte sie mir nur kurz und höflich zu, ehe sie sich voll auf Bwaroo konzentrierte. Nun ja, sie war gekommen, um ihn zu interviewen, und wollte es wohl schnell hinter sich bringen. Bwaroo ist nicht mehr der Jüngste und weder stattlich noch sportlich. Verständlicherweise fand ihn eine junge Frau nicht unbedingt attraktiv. Bestimmt wäre sie zugänglicher, sobald das Interview beendet und ihre Pflicht damit erfüllt war.

Bwaroo bot Fräulein Behn eine Erfrischung an, die sie aber ablehnte. Stattdessen zog sie einen Notizblock heraus und zückte einen Bleistift. Eifrig neigte sie sich nach vorn. Dabei fiel der Schein des Kaminfeuers auf ihr Haar und ließ es rot aufleuchten. Ein reizvoller Kontrast zu ihren zarten, spitzen Ohren, fand ich. Auch Bwaroo fiel das auf.

„Beltane?“, fragte er nämlich und nickte zu den Ohren hin.

„Ja“, erwiderte die Elfe. „Ich wurde an Beltane gezeugt.“

„Beltane“, wandte sich Bwaroo an mich, als er meine verwirrte Miene sah, „ist das Fest der Feyen zum Sommeranfang. Elfen, die an diesem Tag gezeugt werden, gelten als besonders flink und gewandt. Sie sind schlau, neugierig ...“

„Wissensdurstig!“, berichtigte die Elfe.

„... dreist ...“

„Vorwitzig!“, widersprach sie erneut.

„... und oft verantwortungslos.“

„Ein wenig unbekümmert“, verbesserte die Elfe auch hier und hob angriffslustig das Kinn.

Bwaroo lächelte ihr gutmütig zu.

„Ihr Wortschatz ist ganz ausgezeichnet, Mademoiselle“, lobte er.

Die schöne Elfe neigte mit einem feinen Lächeln das Haupt.

Wie ich weiß, ist Bwaroo ein Samhainelf. Das heißt, er wurde am Tag des Fruchtbarkeitsfestes im Herbst gezeugt. Solche Kinder gelten bei den Elfen als ganz außergewöhnlich intelligent. Zu erkennen sind sie angeblich an ganz besonders spitzen Ohren. Oft aber wird Bwaroo auch für einen Beltaneelf gehalten, was ihn immer sehr erbost. Als ich mir nun die Ohren der beiden hier vor mir so anschaute, stellte ich fest, dass Bwaroos Ohren wirklich ganz außergewöhnlich spitz waren, während die Ohren unserer Besucherin zwar auch spitzer als üblich erschienen, aber auch runder an der Seite. Insgesamt waren sie jedenfalls ganz entzückend.

Aber sie war ja nicht hier, um von uns – ich glaube, auch Bwaroo war sehr angetan von ihr – bewundert zu werden. Jedenfalls hob sie ihren Block.

„So angenehm es in Ihrer charmanten Gesellschaft ist, Herr Bwaroo … Dürfte ich mit meinen Fragen beginnen?“, bat sie.

Bwaroo gab ihr mit einer Geste zu verstehen, dass sie anfangen möge.

Ich war ein wenig enttäuscht, dass sie sich so gar nicht an mich gewandt hatte, aber zugegebenermaßen hatte ich bisher ja auch nicht viel zur Unterhaltung beigetragen. Außerdem war sie ja wegen Bwaroo gekommen. Also tröstete ich mich erneut mit dem Gedanken, dass ich nach dem Interview bestimmt auch ein wenig mit ihr plaudern könnte.

Die Fragen, die Fräulein Behn stellte, waren eigentlich das Übliche: Wie war Bwaroo zu seinem Beruf gekommen? Wie ging er an einen neuen Fall heran? Was war sein lustigstes, sein gefährlichstes und sein ungewöhnlichstes Erlebnis? War er schon einmal in Lebensgefahr gewesen? War er schon einmal gescheitert?

„Non, Mademoiselle!“ Bei dieser Frage schüttelte Bwaroo energisch den Kopf. „Erkül Bwaroo hat bisher jedes Rätsel gelöst, selbst wenn es lange gedauert hat. Er ist sich aber auch nicht zu schade, Hilfe anzunehmen. Mein Freund Doktor Heystings hier zum Beispiel ...“ Er wies lächelnd auf mich, „hat mir schon oft gute Dienste bei meinen Ermittlungen geleistet.“ Bwaroo machte eine bedeutungsvolle Pause, ehe er fortfuhr: „Er ist nicht nur ein hervorragender Arzt, sondern auch so etwas wie ein Privatdetektiv.“

„Tatsächlich?“ Endlich sah mich Fräulein Behn auch einmal an.

„Nur ein wenig.“ Ich war Bwaroo sehr dankbar, dass er mich so ins Gespräch gezogen hatte. „Kein Vergleich zu meinem Freund Bwaroo.“

„Mein Freund ist immer viel zu bescheiden!“, rief Bwaroo da eifrig. „Ich bin sicher, dass er zum Beispiel längst bemerkt hat, was so ganz besonders außergewöhnlich an Ihnen ist, Mademoiselle.“

„An mir? Ich wüsste nicht ...“ Sie schaute etwas verwundert drein. Doch dann warf sie mir einen koketten Seitenblick zu. „Nun?“

Ich betrachtete sie aufmerksam. Ihr braunes Kleid war hochgeschlossen, das Oberteil schmiegte sich jedoch sehr vorteilhaft an ihre schlanke Gestalt. Das rotbraune Haar war hübsch hochgesteckt, wobei es die zarten spitzen Ohren frei ließ. Ihre mandelförmigen Augen leuchteten honigfarben. Dazu kam eine reizende kleine Nase, hohe Wangenknochen und ein Mund wie eine Rosenknospe. Sie hatte außerdem einen Teint wie feinstes Porzellan.

„Fräulein Behn ist eine ganz außergewöhnliche Schönheit“, platzte ich heraus.

Maja Behn lächelte geschmeichelt. Auch Bwaroo lächelte, aber eher nachsichtig.

„C'est etendu!“, erklärte er vergnügt. „Aber vergessen Sie vor lauter Charme nicht, den zweifellos sehr wertvollen Ring zu erwähnen, den Mademoiselle Behn am Finger trägt.“

Einen Ring hatte ich noch gar nicht bemerkt. Himmel, war die Dame etwa verheiratet, und Bwaroo wollte mir das schonend beibringen? Ich linste auf die Hände unserer Besucherin. Da war ein Ring, aber kein Ehering. Es war ein ovaler Saphir, umgeben von einem Kranz kleiner Perlen. Tatsächlich ein ungewöhnlicher Gegensatz zu der sonst eher schlichten Kleidung der jungen Reporterin. Womöglich ein Verlobungsring?

Maja Behn berührte mit der anderen Hand das Schmuckstück an ihrem linken Ringfinger und senkte den Blick darauf.

„Ein Erbstück von meiner Mutter“, erklärte sie leise. „Sie war ein Mensch, die Tochter eines Barons. Als sie meinen Vater gegen den Willen ihrer Familie heiratete, gab sie alle Privilegien auf. Nur der Ring war ihr geblieben.“

„Und Ihr Vater, Mademoiselle?“, forschte Bwaroo, wobei er ein teilnahmsvolles Gesicht machte und sich nach vorn beugte. „War er ein armer Mann?“

„Eigentlich nicht. Aber ...“ Fräulein Behn zögerte, „auch die Familie meines Vaters war gegen die Heirat und wandte sich von meinen Eltern ab", fuhr sie dann fort. „Mein Großvater, der Vater meines Vaters, war ein mächtiger Mann. Und völlig unversöhnlich. Er hat meine Eltern praktisch ruiniert.“

„Aber es hat Sie nicht gebrochen, ma chère.“ Bwaroo tätschelte väterlich die Hand der Elfe. „Wie ich sehe, stehen Sie mit beiden Beinen fest im Leben und gehen Ihren Weg.“

„Nun, das versuche ich!“ Maja lachte auf.

Wenig später kam Orges herein. Auf einem Silbertablett brachte er einen Brief, den er Bwaroo präsentierte. Der warf mit einem Stirnrunzeln einen Blick auf den Absender und legte den Umschlag dann ungeöffnet neben sich.

„Ein neuer Auftrag?“, fragte Maja.

Doch Bwaroo zuckte nur die Schultern und sagte nichts weiter dazu.

„Nun, ich muss mich langsam wieder auf den Weg machen.“ Die schöne Reporterin beugte sich nach unten, um ihren Block wieder in ihrer Tasche zu verstauen, die neben ihr auf dem Boden stand. Als sie aufstand, erhoben Bwaroo und ich uns ebenfalls. Sie reichte erst Bwaroo die Hand, dann mir. Dabei schenkte sie mir ein strahlendes Lächeln, das sie noch hübscher machte.

„Entzückende junge Dame“, stellte ich fest, als Fräulein Behn gegangen war.

„Mais oui, ich habe durchaus bemerkt, dass sie ganz Ihr Typ ist", sagte Bwaroo vergnügt.

„Mein Typ? Was soll denn das schon wieder heißen?“ Ärgerlich verzog ich den Mund. „Sie sagen das, als würde ich Frauen in Schubladen stecken!“

„Non, natürlich nicht. Aber eine gewisse Schwäche für rotes Haar ...“ Bwaroo schmunzelte.

„Ach, Unsinn!“, protestierte ich. „Nur weil ihr Haar einen Rotstich hatte ...“

„Den Sie sofort bemerkt haben!“

„Der war ja wohl kaum zu übersehen. Kastanienfarbenes Haar ist nunmal rötlich.“

„Ah, Sie nennen es nicht einfach braun, wie es wohl zwei Drittel der Männerwelt tun würden“, stellte Bwaroo zufrieden fest, als hätte er mich bei irgendetwas ertappt.

„Das war Zufall“, wehrte ich mich.

„Naturellement.“

„Ist es denn nun ein Mandant, der Ihnen da geschrieben hat?“, wechselte ich mit Nachdruck das Thema.

„Wir werden sehen.“ Bwaroo nahm den Umschlag zur Hand und schlitzte ihn sorgfältig auf. „Der Brief kommt von Sebastian Bleibtreu, dem Besenfabrikanten.“ Er faltete das einzelne Blatt auseinander und überflog es. „Mon Dieu!“, rief er dann aus. „Heystings, wir müssen auf der Stelle aufbrechen.“

Auf meinen fragenden Blick hin reichte er mir den Brief. Er bestand nur aus einer Zeile: 'Bitte kommen Sie sofort zu mir. Meine Kinder wurden entführt.'

Finden Sie sie!

Es regnete inzwischen nicht mehr so heftig. Unter ihrem Regenschirm schritt Maja nachdenklich die Straße entlang. Sie war ganz zufrieden mit ihrem Interview mit Erkül Bwaroo. Eine komische Erscheinung zweifellos, aber auch weltgewandt und charmant. Was sie von seinem Freund, dem Arzt halten sollte, wusste sie noch nicht so recht. Zumindest sah er ganz gut aus.

Aber im Moment ging ihr auch etwas ganz anderes im Kopf herum. Als sie so umständlich wie möglich ihren Block eingepackt hatte, war es ihr gelungen, einen Blick auf den Brief zu erhaschen, den Bwaroo nicht in ihrer Gegenwart hatte öffnen wollen. Als Absender hatte dort Sebastian Bleibtreu gestanden. Warum hatte der reiche und bekannte Fabrikant an Erkül Bwaroo geschrieben? Ganz bestimmt hatte er ein Problem, das der Detektiv für ihn lösen sollte. Aber was konnte das sein? Natürlich war ihr der Name ein Begriff. 'Bleibtreubesen bleiben treu ein Leben lang' lautete das Motto, unter dem Sebastian Bleibtreu seine Produkte anbot. Und das waren alle Arten von Besen und Bürsten – vom Schrubber bis zur Haarbürste. Ging es vielleicht um Industriespionage? Maja hatte Gerüchte gehört, dass die Firma einen grandiosen neuen Besen auf den Markt bringen wollte. Einen faltbaren Hexenbesen. Ein Besen, der nicht immer im Weg herumstand, wenn man nicht darauf ritt, war bestimmt eine Goldgrube! Oder ging es vielleicht doch um etwas ganz anderes? Sie überlegte angestrengt, was sie über Bleibtreus Privatleben wusste. Der Fabrikant ging auf die sechzig zu und hatte vor nicht allzu langer Zeit wieder geheiratet. Davor war er lange Jahre Witwer gewesen. Aus seiner ersten Ehe hatte er einen Sohn, der sicher einmal das Unternehmen übernehmen würde. Sein Name wollte ihr aber partout nicht einfallen. Den der zweiten Frau aber wusste sie ganz genau! Gerlinde. Obwohl sie bereits Mitte dreißig, eher vierzig, sein musste, war sie eine bekannte Schönheit und praktisch bei jedem Fest und jeder Veranstaltung der Mittelpunkt. Selbst die Elfenfreundin, die sich eigentlich mehr um Elfen kümmerte, berichtete immer mal wieder davon, wie die elegante, erdbeerblonde Dame Spenden sammelte, um herrenlosen Katzen eine Heimat zu geben, oder auf einem Ball alle anderen Frauen mit einem atemberaubenden Kleid in den Schatten stellte. Hatte Gerlinde Bleibtreu nicht eine Tochter mit in die Ehe gebracht? Maja runzelte die Stirn. Möglich, aber sie war sich nicht sicher.

Mit einem kleinen Seufzer gestand sich Maja ein, dass all dieses Wissen sie nicht weiter brachte. Dabei wäre es ein so schöner Abschluss gewesen, wenn sie zu dem Interview auch noch über einen aktuellen Fall von Erkül Bwaroo hätte berichten können. Die langersehnte Gehaltserhöhung wäre ihr damit sicher gewesen!

Plötzlich blieb Maja wie angewurzelt stehen. Ein Mann, der arglos hinter ihr herging, wäre fast in sie hineingelaufen und gab seinem Unmut darüber mit einem verhaltenen Fluch Ausdruck. Maja merkte es gar nicht. Ihr war eine großartige Idee gekommen. Sie würde selbst zu dem Anwesen gehen, in dem Sebastian Bleibtreu mit seiner Familie residierte. Jetzt sofort. Es wäre doch gelacht, wenn sie nicht irgendjemanden vom Personal zu dieser Sache ausfragen konnte! Irgendein männliches Wesen würde sich bestimmt umgarnen lassen. Das klappte doch immer.

In gehobener Stimmung setzte sie sich wieder in Bewegung und eilte zu ihrer kleinen Wohnung, um sich umzuziehen. Bei Gesprächen mit Bediensteten trat man am besten bescheiden auf – wie jemand aus deren Kreisen. Sie würde also ihr schlichtestes Kleid anziehen, am besten das schon ein wenig fadenscheinige, graue, und dazu dieses billige Hütchen, das ein totaler Missgriff gewesen war, obwohl es im Laden so gut ausgesehen hatte. Aber wenn sie einfach und schlicht aussehen wollte, war es genau richtig. Vor allem aber musste sie ihren Ring ablegen. Der war entschieden zu auffällig. Das hatte Bwaroo vorhin beim Interview ja schon bemerkt.

Das Personal, das hatte Maja schon oft festgestellt, wusste meistens besser über seine Dienstherrn Bescheid, als die es sich träumen ließen. Es wäre doch gelacht, wenn sie da nicht das eine oder andere über den Fall, zu dem Bwaroo zweifellos gerufen worden war, erfahren würde.

Maja gestattete sich ein paar Gedanken an eine rosige Zukunft. Wenn das klappte, würde sie sich bestimmt bald etwas Besseres als diese winzige, dunkle Wohnung leisten können, in der sie jetzt hauste. Möglichst etwas, bei dem die Vermieterin nicht gleich nebenan wohnte und ständig dumme Bemerkungen machte.

***

Es regnete noch immer, als Bwaroo und ich in einer Mietdroschke vor dem Haus von Sebastian Bleibtreu hielten, wenn auch nicht mehr so heftig. Doch obgleich es nur wenige Schritte waren, wurden unsere Mäntel und Hüte ordentlich nass. Der Butler, der uns die Tür öffnete, nahm sich erst unserer Hüte an, die er sorgfältig ablegte, bevor er uns aus den Mänteln half, die er auf Bügel daneben hängte. Dann schritt er uns voran durch das Vestibül eine Treppe hinauf und hin zu einer hohen Eichentür, an die er respektvoll klopfte. Er erinnerte mich in seiner ernsten Würde ein wenig an Orges. Vielleicht hatten die beiden ja dieselbe Schule besucht. Auf ein lautes „Herein“ öffnete er die Tür und trat zur Seite, um uns einzulassen und die Tür dann hinter uns von außen zu schließen.

Wir standen in einem Raum mit hohen Regalen an den Wänden, die vor Ordnern, Papierstapeln und -bündeln nur so überquollen. Lediglich an der Wand gegenüber der Fensterfront stand eine Vitrine, und die hatte einen seltsamen Inhalt: Große und kleine Besen, Bürsten, Feger, und was es sonst noch so mit Borsten daran gab. Obskure Ausstellungsstücke, dachte ich mir. Aber schließlich war unser Gastgeber ja der führende Besenfabrikant des Landes. Wahrscheinlich handelte es sich bei den Stücken im Schaukasten also um Prototypen. Kein Wunder, dass er darauf stolz war.

Sebastian Bleibtreu selbst saß an einem großen Schreibtisch in der Mitte des Raumes. Ich betrachtete ihn neugierig, aber natürlich so unauffällig wie möglich. Er kam mir irgendwie bekannt vor. Sein Bild war natürlich in allen Zeitungen zu finden, denn er war nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, sondern auch ein Mäzen der Künste und ein großer Wohltäter. Wahrscheinlich kam es daher. Von Angesicht zu Angesicht hatte ich ihn jedenfalls noch nie getroffen. Ein wenig enttäuscht stellte ich fest, dass er eher unscheinbar wirkte. Er war nicht besonders groß, dafür aber sehr beleibt, mit bereits schütterem Haar und weit auseinanderstehenden kleinen Augen, die müde dreinblickten. Außerdem hatte er dunkle Ringe unter den Augen und sah ziemlich abgehärmt aus. Kein Zweifel, diesem Mann ging es nicht gut.

„Sie sind also Erkül Bwaroo?“, sprach er meinen Freund an, und ich horchte auf. Seinem Aussehen nach mochte er ein Durchschnittstyp sein, doch seine volle, tiefe Stimme war ehrfurchtgebietend.

Bwaroo deutete eine Verbeugung an.

„Und dies ist mein enger Freund und Assistent, Doktor Artur Heystings“, stellte er mich vor.

„Verstehe.“ Bleibtreu nickte und deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Ich habe nur mit Ihnen allein gerechnet“, sagte er entschuldigend.

Ich schaute mich nach einer anderen Sitzgelegenheit um, da stand Bleibtreu aber auch schon persönlich auf und holte aus einer Ecke einen weiteren Stuhl herbei. Bei einem Mann wie ihm hätte ich eher damit gerechnet, dass er dafür extra nach seinem Butler klingelte. Verblüfft bedankte ich mich und setzte mich auf den zweiten Stuhl.

„Sie haben meine Nachricht gelesen?“, fragte Bleibtreu, als auch er sich wieder gesetzt hatte. Er schien eigentlich sehr gefasst. Doch dann brach es aus ihm heraus: „Ich bin nur ein einfacher Mann, Herr Bwaroo. Hab mich von ganz unten hochgearbeitet und musste oft und schnell schwere Entscheidungen treffen. Das fiel mir nicht schwer, und ich hab immer dazu gestanden. Aber jetzt weiß ich nicht, was ich machen soll! Zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich nicht, was ich tun soll! Und dann fiel mir ein, was mir mein Vetter Josef über Sie erzählt hat …“

„Votre Cousin?“

„Meister Josef Bleibtreu. Er war Koch im Onyx-Express, als dort dieser Mord geschah.“

Da dämmerte es mir, warum er mir bekannt vorkam. Er ähnelte tatsächlich dem Koch im Onyx-Express, einem Luxuszug, in dem Bwaroo und ich im letzten Frühjahr nach Pendrin gereist waren und prompt einen Mord aufzuklären hatten. Die Ähnlichkeit der beiden Männer war eigentlich unverkennbar. Wie auch der Koch war der Unternehmer ziemlich beleibt. Wobei ich gestehe, dass mich der Koch immer an einen Schneemann erinnert hatte – eine große Kugel als Körper und eine kleinere als Kopf. Natürlich ein höchst unpassender Vergleich, aber er drängte sich einfach auf, zumal der Eindruck noch verstärkt wurde durch die Tatsache, dass der Koch völlig kahl war. Sebastian Bleibtreu sah entschieden nicht wie ein Schneemann aus. Doch die füllige Figur und auch die Gesichtszüge waren jetzt, da ich es wusste, unverkennbar.

„Je comprends, Monsieur Bleibtreu“, nickte Bwaroo. „Sie schrieben, Ihre beiden Kinder wurden entführt“, fuhr er schließlich fort, als Bleibtreu nichts sagte. „Was genau ist geschehen?“

„Ich weiß es nicht!“, rief Bleibtreu und hob verzweifelt die Hände. „Die beiden gingen heute Vormittag aus dem Haus und kamen nicht wieder. Und dann bekam ich diese Nachricht ...“ Er warf einen Umschlag vor uns auf den Tisch. Bwaroo nahm ihn und holte den Inhalt heraus – einen Zettel und ein Bild. Mein Freund betrachtete beides aufmerksam, dann reichte er Bild und Zettel an mich weiter.

Das Bild war mit einem dieser Bildkristalle gemacht worden, die inzwischen ziemlich verbreitet sind. Darauf war ein junger Mann zu sehen, der ziemlich unglücklich aussah und eine Ausgabe der Tageszeitung Zeiten vor sich in die Kamera hielt. Das heutige Datum war deutlich zu erkennen. Auf dem Zettel standen nur zwei Sätze: Wir haben Ihren Sohn. Warten Sie auf weitere Anweisungen. Die Buchstaben waren aus einer Zeitung ausgeschnitten und aufgeklebt worden. Der Größe der Buchstaben nach hatte man sich dabei an die Überschriften gehalten.

„Hier steht nur etwas von Ihrem Sohn“, merkte Bwaroo an.

„Wahrscheinlich glaubt man, dass mir Greta nicht so wichtig ist.“ Bleibtreu machte eine wegwerfende Handbewegung. „Zumindest hoffe ich, dass es nur das ist und dass es ihr trotzdem gut geht.“

„Greta ist eigentlich die Tochter Ihrer zweiten Frau?“

„Ja, aber ich habe sie adoptiert, und sie wird einmal die Firma übernehmen.“

Erkül Bwaroo hob erstaunt die Augenbrauen. Auch ich war verblüfft. Eigentlich geben Väter ihre Firma doch eher an ihre Söhne weiter, vor allem, wenn der Sohn das leibliche Kind ist.

„Darf ich Sie bitten, etwas deutlicher zu werden, damit ich mir ein Bild machen kann?“, bat Bwaroo.

Bleibtreu seufzte, nahm sich dann aber mit sichtlicher Anstrengung zusammen.

„Hans ist mein Sohn aus erster Ehe“, erzählte er dann. „Er ist jetzt zwanzig und kommt ganz nach seiner Mutter. Genau wie sie ist er hochmusikalisch, intelligent und liebenswert. Aber er ist auch verträumt und hat so gar kein Interesse an Geschäften und schon gar nicht an Bürsten. Er lebt nur für seine Musik und für die Malerei. Greta dagegen ist nicht nur hübsch, sondern auch klug und gewitzt. Mit ihren sechzehn Jahren hat sie sich bereits mit den meisten Bereichen meines Geschäfts vertraut gemacht und sogar schon den einen oder anderen vernünftigen Vorschlag für Verbesserungen. Sie interessiert sich für alles, und niemand kann ihr ein X für ein U vormachen. Bei ihr wird meine Firma in guten Händen sein.“

„Aber dieser Plan ist nicht allgemein bekannt“, vermutete Bwaroo.

„Das stimmt“, gab Bleibtreu zu. „Ich habe schon vor einiger Zeit mit meinem Sohn, Greta und Gerlinde darüber gesprochen. Die Firma soll zu Gretas einundzwanzigstem Geburtstag an sie übergeben werden, und ich ziehe mich zurück. Vor kurzem habe ich außerdem beschlossen, mein Testament entsprechend zu ändern. Ich habe ein kleines Problem mit dem Magen. Nichts Ernstes, aber es macht einen doch nachdenklich. Ich beschloss, auf Nummer sicher zu gehen. Also habe ich mich auch noch mit meinem Anwalt beraten, der die nötigen rechtlichen Schritte in die Wege leiten soll.“

„Was aber noch nicht geschehen ist?“

„Nein, die Adoption hat einige Zeit gedauert. Wir hatten für morgen einen Termin für die Testamentsänderung vereinbart. Das wurde jetzt natürlich verschoben. Und bis alles in trockenen Tüchern ist, soll es geheim bleiben, dass Greta die Firma übernehmen wird. Greta selbst wollte es so.“

„So gesehen ist es also nachvollziehbar, dass man bei der Entführung mehr Wert auf ihren Sohn legte.“ Bwaroo strich sich nachdenklich seinen Bart. „Ist es denn sicher, dass auch das Mädchen verschwunden ist? Vielleicht bummelt sie ganz vergnügt durch die Stadt und wird heute Abend wieder zurück sein.“

„Das wäre natürlich wunderbar. Eine Sorge weniger.“ Bleibtreu schien das jedoch nicht wirklich zu glauben, denn er schüttelte traurig den Kopf. „Die beiden wollten heute gemeinsam in die Ausstellung von Eduard Manee.“

Vor meinem geistigen Auge stieg ein Gemälde auf, das einen eigentlich von Menschen völlig überfüllten Park zeigte. Der kühne und schnelle Pinselstrich gab dem Bild etwas Lebendiges, Lebhaftes, obwohl eigentlich alle nur irgendwie herumstanden oder -saßen. Eduard Manee war zweifellos ein Meister seines Faches, wenn es darum ging, etwas schnell und flüchtig hinzuwerfen. Einige Freunde von mir finden ihn zu modern, aber mir gefällt seine frische Art. Von der Ausstellung hatte ich auch gehört und vorgehabt, sie mit Bwaroo zu besuchen.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich getrennt haben. Sie hängen sehr aneinander“, fuhr der Industrielle derweil fort.

„Donc.“ Bwaroo neigte den Kopf. „Gehen wir davon aus, dass beide entführt wurden. Aber was soll ich tun? Dies ist eine Angelegenheit der Polizei.“

„Keine Polizei!“ Der reiche Industrielle sah ganz entsetzt aus. „Ich will die beiden wieder haben! Gesund und munter! Es ist mir egal, was mich das kostet. Und ganz bestimmt werde ich nicht riskieren, dass man ihnen etwas antut, weil man mitbekommt, dass Polizei im Haus ist.“

„Dann gehen Sie davon aus, dass jemand hier im Haus hinter der Sache steckt?“, mutmaßte Bwaroo.

In diesem Moment klopfte es an der Zimmertür.

Auf Bleibtreus „Herein“ trat eine Frau mittleren Alters ein. Sie trug ein kleines Tablett mit einem Glas darauf. Nachdem sie Bwaroo und mir grüßend, aber uninteressiert zugenickt hatte, trat sie zu Bleibtreu hinter den Schreibtisch und hielt ihm das Tablett hin.

„Es ist Zeit für Ihre Medizin, Herr Bleibtreu“, sagte sie.

„Ah ja, danke, Helene.“ Bleibtreu nahm das Glas, leerte es in einem Zug und verzog das Gesicht. „Bäh. Seit ein paar Tagen schmeckt das Zeug noch bitterer als sonst“, beklagte er sich.

„Das bilden Sie sich nur ein“, beschwichtigte Helene in dem freundlichen Ton, den Krankenpflegerinnen immer ihren Patienten gegenüber benutzen, wenn sie sie beruhigen wollen. Ich kenne das zur Genüge, und ich konnte feststellen, dass es nur selten funktioniert. Trotzdem scheinen alle Krankenschwestern überall auf der Welt diesen Ton unbeirrt anzuschlagen. Vielleicht eine Berufskrankheit.

Helene nahm das leere Glas entgegen und verließ das Zimmer wieder, ohne uns noch eines Blickes zu würdigen.

„Ich habe Probleme mit meiner Verdauung“, entschuldigte sich Bleibtreu, nachdem die Tür wieder ins Schloss gefallen war. „Helene ist meine gute Seele, Sie kümmert sich nicht nur um meine Geschäftskorrespondenz, sondern auch um vieles andere. Und sie ist auch dahinter, dass ich meine Medizin nicht vergesse.“

Bei einem Mann von Bleibtreus Leibesfülle wunderte es mich wenig, dass er gesundheitliche Probleme hatte. In seiner jetzigen Situation machte ihm das bestimmt noch mehr zu schaffen.

Während ich noch ein wenig darüber nachdachte, wie die Beschwerden Herrn Bleibtreus sich wohl äußern mochten, beantwortete der Bwaroos Frage: „Ich weiß nicht, ob jemand hier im Haus in diese Sache verwickelt ist. Ich kann es mir kaum vorstellen. Aber ich möchte auf keinen Fall etwas außer Acht lassen.“ Auf Bwaroos forschenden Blick hin zuckte er die Schultern. „Sehen sie, die beiden sollten jetzt eigentlich gar nicht hier sein. Jetzt sind Ferien, und eine Kusine von mir hat die zwei zu sich in die Nordlande eingeladen. Die beiden sollten vor drei Tagen abreisen, aber Hans hatte sich ein wenig erkältet, und so hat sich der Aufbruch verzögert. Morgen sollte es nun endlich soweit sein. Für die Testamentsänderung hätte ich die beiden ja nicht gebraucht. Dass sich das Ganze verschoben hat, weiß jedoch niemand außer meiner Frau und den Hausangestellten.“

„E votre cousine“, berichtigte Bwaroo trocken. „Ihre Kusine wurde doch sicher auch informiert.“

„Ja, natürlich“, gab Bleibtreu zu, schaute jedoch ziemlich zweifelnd drein.

„Haben Sie in letzter Zeit etwas Auffälliges bemerkt?“, forschte Bwaroo weiter. „Jemanden, der vor dem Haus herumlungerte oder verdächtig oft vorbeikam?“

„Mir ist nichts aufgefallen.“ Bleibtreu schüttelte den Kopf. „Aber ich hab auch nicht darauf geachtet. Vielleicht hat einer der Dienstboten etwas gesehen.“

„Und wie ist es mit Feinden?“

„Ich? Nicht dass ich wüsste ...“

„Aber Sie haben doch sicher Konkurrenten. Und Neider.“ Bwaroo hob fragend die Augenbrauen.

„Wie ich schon sagte, ich hab ganz unten angefangen. Mit Besen aus Heidekraut.“ Bleibtreu wies auf die Vitrine mit den vielen Besen und schien einen Moment seine Sorgen zu vergessen. „Die Idee kam von meiner Mutter, die wirklich eine patente Frau war. Leider hat sie den Erfolg nicht mehr erleben dürfen. Und was für ein Erfolg das war! Die Reiser kehrten gründlich und rochen auch noch gut. Ich habe eisern gespart und wieder investiert. Und ich hab immer fest zugepackt, wenn sich eine Gelegenheit ergab. Unehrlich bin ich dabei aber nie gewesen! Und mit wem auch immer ich es zu tun hatte, ich habe mich immer bemüht, fair zu sein. Was ich von anderen nicht sagen kann ...“ Er verzog bitter den Mund. Doch dann hob er den Kopf und sah Bwaroo fest an: „Niemand hat Grund, sich über mich zu beklagen oder mich zu hassen.“

„Nun, Monsieur, das bedeutet noch lange nicht, dass es nicht doch jemand tut.“ Bwaroo zwirbelte seinen Schnurrbart. „Hass ist in den seltensten Fällen gut begründet.“

Sebastian Bleibtreu machte ein befremdetes Gesicht.

„Ich kann und will mir das nicht vorstellen“, sagte er schließlich langsam. „Aber gut. Helene kann Ihnen sagen, mit wem ich geschäftlich zu tun habe und vielleicht auch, ob sich jemand abfällig gegen mich geäußert hat.“

„Ihnen selbst fällt niemand ein?“

Bleibtreu runzelte die Stirn.

„Ich habe vor vielen Jahren ein Unternehmen aufgekauft“, gab er dann zu. „Aber mit dem früheren Besitzer stehe ich noch heute auf gutem Fuß.“

„Und Ihre Angestellten?“

„Also wirklich! Ich behandle meine Leute gut. Guter Lohn für gute Arbeit ist mein Motto.“

„Und wenn die Arbeit nicht gut ist?“

„Ja, dann … vor zwei Monaten musste ich einen meiner Männer entlassen. Er war schlampig und unzuverlässig.“

„Ich nehme an, Ihre Sekretärin hat den Namen und die Adresse?“

„Aber natürlich.“

„Bon.“ Mein Freund holte tief Luft. „Bwaroo ist immer noch der Meinung, dass die Polizei hinzugezogen werden sollte ...“ Er hob beschwichtigend die Hände, als Bleibtreu empört widersprechen wollte. „Inspektor Jupp ist ein guter Bekannter von mir. Ich habe keinen Zweifel, dass er sehr diskret vorgehen würde. Aber nun gut.“ Bwaroo machte eine ergebene Geste. „Das müssen Sie entscheiden, Monsieur Bleibtreu.“ Bwaroo räusperte sich und wurde dann ganz geschäftlich. „Solange keine Forderung und keine genaueren Anweisungen vorliegen, bleibt uns nur abzuwarten. Aber es wäre sicher sinnvoll, wenn ich schon jetzt mit allen hier im Haus sprechen könnte.“

„Natürlich. Ich habe Jende bereits angewiesen, dass ein Zimmer für Sie vorbereitet wird.“ Sebastian Bleibtreu bemerkte unsere fragenden Blicke und fügte als Erklärung an: „Jende ist unser Butler.“ Er drückte auf einen Knopf an seinem Schreibtisch und erhob sich. „Ich ging davon aus, dass Sie meine Angestellten unter vier Augen sprechen wollen ...“

„E votre femme, Ihre Ehefrau, möchte ich natürlich auch befragen.“

„Aber das ist lächerlich!“, brauste Bleibtreu da auf. „Sie liebt die Kinder! Greta ist außerdem ihre leibliche Tochter … Ich verbiete es!“

„Nun, Monsieur Bleibtreu ...“ Bwaroo stand auf, wobei er den Unternehmer unverwandt anschaute. „In diesem Fall möchte ich mich verabschieden. Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.“ Er verbeugte sich leicht und wandte sich dann der Tür zu. Ich beeilte mich, ihm zu folgen.

„Warten Sie ...“, rief Bleibtreu und hob die Hand, als wollte er Bwaroo festhalten.

Mein Freund hatte bereits die Türklinke umfasst und drehte nur den Kopf.

„Alles, wie Sie wollen“, gab Bleibtreu da nach und ließ die Schultern nach vorne sacken.

„Madame Bleibtreu weiß noch gar nichts von der Entführung?“, vermutete Bwaroo.

„Nein“, gab der Industrielle zu. „Ich wollte sie nicht unnötig beunruhigen. Schon, weil wir so gar nichts über Greta gehört haben ...“

„Sie muss es erfahren“, beharrte Bwaroo. „Und zwar von Ihnen.“

„Ich hatte gehofft, es ihr ersparen zu können ...“

„Das kann ich verstehen“, merkte ich an, als Bwaroo nichts weiter dazu sagte. „Nichts liegt einer Mutter mehr am Herzen, als das Wohl ihres Kindes.“

„Das kommt auf die Mutter an.“ Sebastian Bleibtreu verzog bitter den Mund. Seine Mutter war wohl nicht allzu liebevoll gewesen.

„Sie würde Ihnen gerade deshalb nie verzeihen, wenn Sie ihr die Entführung verschweigen“, erklärte Bwaroo.

„Ja, Sie haben natürlich Recht.“ Bleibtreu trat neben meinen Freund und öffnete die Tür. Draußen wartete bereits der Butler. Anscheinend war es in diesem Haus üblich, dass der Hausherr Gäste zur Zimmertür brachte und der Butler sie erst draußen in Empfang nahm.

„Zeigen Sie den Herren ihr Arbeitszimmer, Jende“, ordnete Bleibtreu an. „Wo ist meine Frau?“

„Sie hält sich meines Wissens im Grünen Salon auf“, erklärte der Butler. „Wäre es genehm, wenn ich ...“

„Nein, ich gehe selbst zu ihr.“ Damit nickte Bleibtreu Bwaroo und mir noch knapp zu und ging davon.

Jende bedeutete uns, ihm zu folgen.

Unerwartete Begegnung

Der Butler führte Bwaroo und mich in ein Zimmer im Erdgeschoss. Es war bis auf ein paar Möbel ziemlich schmucklos und wurde ganz offensichtlich selten benutzt. Aber für unsere Zwecke würde es sicherlich reichen.

„Sie werden Jende gerufen?“, fragte mein Freund, als der Butler sich erkundigte, ob wir noch etwas benötigten.

„Ja, das ist mein Name, Herr Bwaroo“, lautete die Antwort.

„Sehr schön, Jende.“ Bwaroo nahm an dem Tisch Platz, der mitten im Raum stand, während ich mir einen gemütlich aussehenden Stuhl neben einem Beistelltischchen suchte, die Beine übereinanderschlug und mein Notizbuch samt Stift hervorzog. Ich hatte mir schon im Büro von Bleibtreu dezent Notizen gemacht und wollte damit fortfahren, während Bwaroo das Personal befragte. Diese Arbeitsteilung hatte sich schon früher oft als sehr hilfreich erwiesen. Bwaroo schätzte meine diskrete Art der Aufzeichnung.

„Sie wissen, warum ich hier bin?“, wollte Bwaroo derweil vom Butler wissen.

„Mein Herr hat geruht, mich darüber zu informieren.“

„Très bien. Wer weiß sonst noch Bescheid?“

„Meines Wissens niemand.“

„Sie haben es niemandem vom Personal gesagt?“

„Selbstverständlich nicht. Ich habe strikte Anweisung, es für mich zu behalten.“ Jende sah einen Moment ganz entrüstet aus.

„Nun gut.“ Bwaroo nickte. „Belassen wir es fürs Erste dabei. Sie sind für das Personal verantwortlich, nicht wahr? Bitte erklären Sie uns doch, wer so alles dazugehört!“

„Nun, da ist Herrn Bleibtreus Kammerdiener Thomper“, zählte Jende auf. „Frau Bleibtreus Zofe Sabine, die Köchin Frau Walden, Helene, Herrn Bleibtreus Sekretärin, Manfred, der Kutscher und Mann fürs Grobe, Hubart, der Gärtner, und das Küchenmädchen Nellie.“

„Kein Hausmädchen zum Saubermachen?“, wunderte ich mich.

„Das Stubenmädchen Lizzie ...“ Jende hüstelte hinter vorgehaltener Hand, „ist vor wenigen Tagen ausgeschieden. Ich hatte noch keine Gelegenheit, den Posten wieder neu zu besetzen.“

„Et pourquoi?“ Bwaroo beugte sich interessiert nach vorn. Als Jende ihn verständnislos ansah, wiederholte er die Frage noch einmal in unserer Sprache: „Weshalb ging das Stubenmädchen?“

„Das entzieht sich meiner Kenntnis.“

„Aber sagten Sie nicht eben, dass Sie für das Personal zuständig sind?“, staunte ich.

„Jawohl.“ Jende wandte sich jetzt mir zu. „Aber Lizzie verließ uns ohne vorherige Ankündigung. Sie ist sozusagen heimlich über Nacht fortgegangen.“

„Ohne Zeugnis und Arbeitsbuch? Und sie hat noch nicht einmal eine Nachricht hinterlassen?“

„Nein.“

„Wann genau war das?“, fragte Bwaroo.

„Vor gut einer Woche“, erklärte Jende nach kurzer Überlegung. „Als wir alle zu Bett gingen, war sie noch anwesend. Am nächsten Tag war sie mit all ihren Habseligkeiten verschwunden.“

„Und an dem Abend war sie ganz wie sonst?“

„Bei genauer Betrachtung schien sie mir etwas aufgeregt“, überlegte der Butler laut. „Allerdings muss ich sagen, dass Lizzie schon immer sehr lebhaft war. Insofern maß ich dem Ganzen keine Bedeutung bei.“

„Lebhaft? Meinen Sie, sie war launisch?“ Einer launischen Frau hätte ich so etwas schon zugetraut.

„Nein“, verneinte Jende jedoch, „möglicherweise ein wenig vorlaut und etwas zu neugierig. Aber sie hat ihre Arbeit sehr gut gemacht, und solange sie nicht in den Sachen der Herrschaft herumschnüffelte, ließ ich ihr das durchgehen.“

„Nun gut“, winkte Bwaroo da ab. „Ich denke, Dr. Heystings und ich hätten gerne etwas Tee. Aber für mich bitte keinen Hagebuttentee. Hätten Sie vielleicht auch einen Kräutertee?“

Aus unerfindlichen Gründen konnte Bwaroo Hagebuttentee nicht ausstehen. Dabei wurde gerade der eigentlich überall angeboten, wo man auf sich hielt. Jende jedoch ließ sich nichts davon anmerken, was er über Bwaroos Bitte dachte.

„Ich bin sicher, dass die Köchin die eine oder andere Kräutermischung parat hat“, erklärte er. „Was darf ich Ihnen bringen, Dr. Heystings?“

„Ich nehme gerne Hagebuttentee“, versicherte ich.

„Ich könnte wetten, Jende und Orges haben dieselbe Schule besucht“, scherzte ich, als der Butler den Raum verlassen hatte.

„Gut möglich“, nickte Bwaroo. „In dem Fall können wir uns wenigstens darauf verlassen, dass er sehr zuverlässige Angaben machen wird.“ Er strich sich den Schnurrbart. „Was halten Sie von unserem Auftraggeber?“, fragte er dann unvermittelt.

„Er schien mir aufrichtig in Sorge“, antwortete ich. „Um beide Kinder. Er muss seine Stieftochter sehr ins Herz geschlossen haben.“

„Peut-être. Aber warum geht er mit seinen Sorgen nicht zu der Frau, die er liebt?“

„Er wollte sie schonen ...“

„C'est absurd!“ Bwaroo warf die Hände in die Luft. „Je länger er wartet, desto schlimmer wird es doch. Und sollte man nicht alles mit seiner Frau teilen? Auch den Kummer?“

Ich lächelte. Erkül Bwaroo war nie verheiratet gewesen und hatte meines Wissens auch nie eine Liebschaft gehabt. Er konnte also kaum als Experte für Herzensangelegenheiten gelten. Ich dagegen war zwar auch nicht verheiratet, hatte jedoch schon einige Erfahrungen mit dem schönen Geschlecht gemacht. Und auch wenn es vermutlich zwecklos war, die Frauen verstehen zu wollen, so schmeichelte ich mir doch, ein wenig über sie zu wissen. Allerdings behielt ich meine Gedanken für mich.

„Vielleicht ist sie von zarter Gesundheit“, bot ich lediglich als Erklärung an.

Bwaroo wiegte den Kopf.

„Wir werden sehen“, sagte er dann. „Denn wir werden nicht umhin kommen, Madame Bleibtreu zu befragen.“

Wenig später erschien Jende wieder, der uns Tee und Gebäck brachte.

***

Maja Behn knabberte genüsslich an einem Keks. Sie hatte sich kurzentschlossen zum Personaleingang des Bleibtreu-Anwesens begeben und, weil ihr nichts Besseres einfallen wollte, nach einer freien Stelle für sich gefragt. Und da hatte man sie sofort ohne das leiseste Misstrauen hereingebeten. Den Grund erfuhr sie erst, als sie drinnen war: Man suchte tatsächlich ein neues Stubenmädchen!

Im ersten Moment war Maja erschrocken, doch dann hatte sie sich gesagt, dass Staubwischen und Feuermachen ja nicht so schwer sein konnten. Außerdem würde der Butler, der über dergleichen entschied, sie ganz sicher nicht nehmen, weil sie keine Zeugnisse vorzuweisen hatte. Bis er jedoch Zeit fand, sich darum zu kümmern, saß Maja gemütlich in der warmen Küche, trank eine Tasse Tee und aß Kekse. Die hatte ihr Frau Walden, die Köchin, hingestellt.

„Armes Ding, bist ja ganz mager“, hatte sie gesagt und Maja mütterlich angelächelt. Sie selbst erinnerte Maja an eine Teekanne – rund und bauchig, und geradezu überwältigend behaglich. Sie hatte eine anheimelnde, wohlige Ausstrahlung, dabei unerschütterlich und fest, als wäre sie ein Kachelofen im tiefsten Winter. Kein Wunder, dass das Küchenmädchen zu ihr aufsah und beim leisesten Wink sofort lossprang.

„Jende wird noch eine Weile brauchen. Also mach es dir gemütlich und trockne deine Sachen. Ist ja ein scheußlicher Regen da draußen.“ Frau Walden hob den Kopf und betrachtete eine Weile den Regen, der gegen die hochliegenden Küchenfenster trommelte. „Du wirst deine Kräfte brauchen, hier in dem Haushalt.“ Anscheinend war sie jetzt schon sicher, dass Maja bleiben würde. Das dürfte auch der Grund sein, warum sie sie duzte wie jemanden, den sie schon seit Jahren kannte.

„Ist der Dienst denn so anstrengend?“, staunte Maja.

„Nun, vermutlich nicht. Aber immerhin sind sie hier zu viert – Herr und Frau Bleibtreu und die beiden Kinder Hans und Greta. Und nicht zu vergessen, Helene ...“ Hier schnaubte Frau Walden verächtlich.

„Helene?“, fragte Maja vorsichtig nach.

„Die ist eigentlich die Sekretärin des Hausherrn“, berichtete die Köchin eifrig, als hätte sie nur auf das Stichwort gewartet. „Kümmert sich aber nicht nur um die Briefe, sondern auch um ihn. Hat es wer weiß wie wichtig mit ihm! Schön, er hat es mit dem Magen. Nichts Schlimmes. Und an meinem Essen liegt es bestimmt nicht. Auf meine Ehre! Aber sie bringt ihm immer seine Medizin und schmeichelt sich bei ihm ein. Anscheinend hat sie daneben noch genug Zeit, sich Flausen in den Kopf zu setzen. Führt sich auf, als wäre sie die Herrin im Haus.“

„Was sagt denn Frau Bleibtreu dazu?“

„Die gute Seele, die merkt das gar nicht.“ Frau Walden warf einen forschenden Blick zur Tür und beugte sich dann vertraulich zu Maja hinab. „Ich glaube, Helene würde gerne die dritte Frau Bleibtreu werden.“

„Nein!“ Maja riss erstaunt die Augen auf, obwohl sie eigentlich gar nicht so erstaunt war. In der Redaktion nannten sie so etwas ein Standardgerücht. Aber egal.

Frau Walden war jedenfalls mit der Reaktion zufrieden und nickte bedeutungsschwer, um ihre Behauptung zu unterstreichen.

„Warum wurde das bisherige Stubenmädchen eigentlich entlassen?“, wollte Maja etwas später wissen, als das Gespräch ins Stocken geriet.

„Die wurde nicht entlassen“, erklärte da das Küchenmädchen.

---ENDE DER LESEPROBE---