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Schützenfestzeit in Kronach! Der Hauptkommissar und sein Assistent werden von ihrer Sekretärin Adelgunde Reif zum alten Schiefertagebau Schallersbruch in der Nähe von Ludwigsstadt gerufen. Dort scheint es einen Unfall gegeben zu haben, der allerdings bereits auf den ersten Blick Fragen aufwirft. Bald stellt sich heraus, dass ein Mann ums Leben gekommen ist, der womöglich das Opfer in einem Geflecht unterschiedlicher Interessen wurde. In den Fokus der Ermittlungen rückt sehr schnell ein Ebersdorfer Unternehmer. Allerdings scheinen auch die Pläne, aus dem alten Schieferbruch einen Kletterpark machen zu wollen, eine wichtige Rolle zu spielen. Als auch noch eine junge Umweltaktivistin an gleicher Stelle zu Tode kommt, gilt es für Pytlik und sein Team, am Rennsteig auch hinter die Kulissen zu blicken.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Carlo Fehn
Tod im Schallersbruch
Schützenfestzeit in Kronach! Der Hauptkommissar und sein Assistent werden von ihrer Sekretärin Adelgunde Reif zum alten Schiefertagebau Schallersbruch in der Nähe von Ludwigsstadt gerufen. Dort scheint es einen Unfall gegeben zu haben, der allerdings bereits auf den ersten Blick Fragen aufwirft. Bald stellt sich heraus, dass ein Mann ums Leben gekommen ist, der womöglich das Opfer in einem Geflecht unterschiedlicher Interessen wurde. In den Fokus der Ermittlungen rückt sehr schnell ein Ebersdorfer Unternehmer. Allerdings scheinen auch die Pläne, aus dem alten Schieferbruch einen Kletterpark machen zu wollen, eine wichtige Rolle zu spielen. Als auch noch eine junge Umweltaktivistin an gleicher Stelle zu Tode kommt, gilt es für Pytlik und sein Team, am Rennsteig auch hinter die Kulissen zu blicken.
Tod im Schallersbruch - Hauptkommissar Pytliks 18. Fall
Carlo Fehn
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2025 Verlag Carlo Fehn
ISBN 978-3-565147-13-7
Samstag, 12. August 2017
»Franz? Franz?«, hörte Hauptkommissar Pytlik eine Stimme flüstern, die ihm zwar bekannt vorkam, er allerdings erst nach einigen Augenblicken der langsamen Besinnung richtig zuordnen konnte.
Beim ungestümen Tasten nach seinem Handy, das wie immer auf dem weißen Nachttischchen neben seinem Bett lag, war zunächst die Wasserflasche zu Boden gefallen und auch die kleine Lampe hatte er mit abgeräumt.
Der laute Klingelton hatte ihn unsanft aus seinem Schlaf gerissen, und auch wenn er vermutete, dass es bestimmt nicht mehr früher Morgen war, wusste er, dass die Nacht für ihn sehr kurz und der Alkoholkonsum am Freitagabend auf dem Kronacher Schützenfest viel zu hoch gewesen waren.
In seinem Kopf verspürte er einen leichten Druck, die Mundwinkel waren verklebt, den Geschmack, den er im Mund hatte, empfand er als widerlich und sein Körper schien aufgrund der Wärme und der feuchten Luft mit einer Art schmierigem Film bedeckt zu sein.
Mehrmals hatte Adelgunde Reif nun den Vornamen ihres Chefs mit andächtig anmutender Stimme in ihr Handy gesprochen, und erst nach einer gefühlten Ewigkeit bekam sie von Hauptkommissar Pytlik eine Antwort.
»Gundi? Bist du das? Was… was ist los? Wie spät ist es eigentlich?«
Die Sekretärin des Kronacher Ermittlers war zunächst sehr erleichtert, die Stimme ihres Chefs zu hören. Sie erinnerte sich, dass der Hauptkommissar am Vorabend mit einigen Bekannten das größte Kronacher Volksfest besucht hatte und allem Anschein nach noch im Bett lag.
»Ach Gott, Franz! Es tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe. Es ist jetzt gleich halb elf, und wenn die Sache nicht so dringend wäre, hätte ich gar nicht bei dir angerufen«, erklärte Adelgunde Reif, und Pytlik hatte Mühe, sie zu verstehen, da sie immer noch sehr leise sprach.
Er hatte sich mittlerweile aufgerappelt und saß nun an das Kopfteil seines Betts gelehnt. Nachdem er einmal kräftig gegähnt hatte, schüttelte er sich kurz und fragte dann nach.
»Also, jetzt mal ganz langsam! Zunächst mal möchte ich wissen, wo du bist und warum du flüsterst! Und was sind das denn für Geräusche im Hintergrund?«
»Ich bin hier in der Nähe von Ludwigsstadt.«
Obwohl er noch nicht richtig auf der Höhe war, fiel es Pytlik wie Schuppen von den Augen. Sie hatte es ihm gesagt. Er hörte weiter zu.
»Ich habe dir doch gestern erzählt, dass ich heute an einem Ausflug teilnehme. Wanderung auf dem Schieferpfad! Erinnerst du dich? Jedenfalls haben wir dann gestern noch kurzfristig Bescheid bekommen, dass alles ein bisschen nach vorne gezogen wird, weil es heute ja wieder so heiß werden sollte tagsüber. Treffpunkt war um neun Uhr am Marktplatz in Ludwigsstadt. Wir sind eine Gruppe mit – ich schätze – zehn oder elf Leuten. Geführt werden wir von einem Mitarbeiter aus dem Schiefermuseum in Ludwigsstadt. Unser erstes Ziel war der Schallersbruch, ein ehemaliger Schiefertagebau, der bereits vor über 100 Jahren stillgelegt wurde. Ich bin nun ja nicht mehr die Jüngste und das war schon einigermaßen anstrengend, hier hochzukommen – das kann ich dir sagen! Aber ist jetzt egal! Wichtig ist was ganz anderes!«
Im Hintergrund konnte Pytlik nun immer deutlicher ein Sammelsurium wild durcheinander redender Menschen hören, die allem Anschein nach über verschiedene Dinge diskutierten. Sie schienen von irgendetwas in Aufruhr gebracht worden zu sein. Er wollte Adelgunde Reif aber zunächst nicht unterbrechen.
»Dieser alte Schieferbruch liegt unmittelbar an einem Forstweg, auf dem wir entlanggelaufen sind. Dass hier überhaupt direkt am Wegesrand so ein Krater, ein 30 oder 40 Meter tiefes Loch ist, kannst du eigentlich erst erkennen, wenn du diese kleine Aussichtsplattform siehst, auf der man etwas nach vorne gehen und hinunterschauen kann. Das Gelände ist eigentlich mit einem festen Maschendrahtzaun umzäunt. Logisch, man möchte ja nicht, dass hier jemand aus Versehen vielleicht einen falschen Schritt macht und dann da runterfällt.«
Pytlik kannte seine Sekretärin, die gute Seele in der Dienststelle am Kaulanger, schon sehr lange und sehr gut. Je mehr er ihr zuhörte, desto mehr ahnte er, dass sie ihm im weiteren Verlauf etwas erzählen würde, das die Planungen für seinen Samstag wahrscheinlich infrage stellen würde.
»Der Helmut, unser Tourenführer, hat uns gerade noch von der Geschichte dieses Schieferbruchs erzählt, als er plötzlich – er lief einige Meter vor uns – die Hand hob und sich zu uns umdrehte.«
Pytlik hatte mittlerweile die Plastikflasche mit dem Wasser darin vom Boden aufgehoben, den Verschluss aufgedreht und einen kräftigen Schluck getrunken. Er merkte, wie die Neugier in ihm wuchs. In wenigen Minuten sollten sich die Vorahnungen bezüglich seines Wochenendes bestätigen.
»Er hat uns angewiesen, dass wir kurz stehenbleiben sollen, er müsse mal etwas nachschauen. Wir haben uns alle zwar ein bisschen komisch angesehen, aber letztendlich noch keinerlei Sorgen gemacht. Der Helmut ist dann noch circa 20 Meter nach vorne gelaufen, und plötzlich haben wir gesehen, dass er einigermaßen hektisch wurde und auf dieser Aussichtsplattform in alle möglichen Richtungen in den Krater hinuntergeschaut hat. Wir haben dann schon gemerkt, dass wohl irgendetwas nicht stimmt und deswegen haben wir uns langsam in Bewegung gesetzt in seine Richtung. Und dann haben auch wir es gesehen!«
Die Störgeräusche in Pytliks Ohr nahmen jetzt wieder deutlich zu. Es war ein lautes Rascheln, Äste vielleicht, die geknickt wurden! Er meinte auch, vereinzelt Steine fallen zu hören.
»Gundi, verdammt nochmal! Wo bist du und was machst du?«
»Aua, Mist!«, schrie Adelgunde Reif plötzlich auf, nachdem sie sich anscheinend an irgendetwas gestoßen hatte.
»Gundi?«, fragte Pytlik, nun schon etwas besorgt und aufgebracht, nach.
»Was ist da los bei dir?«
»Auf jeden Fall«, fuhr seine Sekretärin fort, und man merkte ihr an, dass sie anscheinend eine anstrengende Situation zu bewältigen hatte, »stehen wir dann also auf diesem Weg direkt vor dem Schieferbruch, da, wo es nur wenige Meter hinter dem Zaun in die Tiefe geht. Und was soll ich dir sagen: Dieser Zaun ist auf einer Länge von zwei oder drei Metern weg, einfach nicht mehr da und das Gras und Gestrüpp davor und dahinter plattgemacht, so als wäre...«
Pytlik saß mittlerweile bereits auf der Bettkante und vollendete Adelgunde Reifs Schilderung.
»...ein Fahrzeug durch den Zaun gebrochen und in den Schieferbruch gestürzt!«
Nur für einen kurzen Augenblick sagte keiner von beiden einen Ton. Immer noch hörte Pytlik im Hintergrund mehrere Personen hektisch miteinander reden. Einer rief plötzlich mehrmals nach Frau Reif. Pytlik vermutete, dass es Helmut, der Tourenführer war, und schon verzahnten sich bei ihm die gedanklichen Räder, aber er wollte seine Mitarbeiterin die Geschichte zu Ende erzählen lassen.
»Wir waren natürlich alle erst mal total verwirrt und irgendwie geschockt. Das sah frisch aus, so, als wäre es erst vor kurzem passiert. Helmut hat dann versucht, alle zunächst mal zu beruhigen und überlegt, was er machen sollte. Ich glaube, er hat dann auch sofort die Polizei angerufen.«
Pytlik überlegte. Er wollte einerseits nicht überstürzt reagieren, andererseits ahnte er, dass Arbeit auf ihn zukommen würde.
»Wahrscheinlich werden Kollegen aus Ludwigsstadt zu euch kommen. Wenn die da sind, sag ihnen bitte, dass sie mich dringend anrufen sollen!«, wies er seine Sekretärin an.
»Ja, ja, das mache ich!«
Adelgunde Reifs Bestätigung klang, als wäre sie etwas abwesend. Im nächsten Augenblick schreckte Pytlik hoch.
»Oh, Gott!«, hörte er am anderen Ende. Die Stimme klang fast etwas weinerlich, schockiert allemal!
»Gundi! Verdammt! Was ist los? Was hast du?«, wollte er wissen und machte nun aus seinem Unmut keinen Hehl mehr. Es dauerte einen kurzen Moment, bis sie antwortete.
»Als wir hier angekommen waren und der erste Schock verdaut war, habe ich mich etwas umgesehen. Auch wenn ich nur deine Sekretärin bin, aber ein bisschen Ermittlerblut und Skepsis steckt halt auch in mir. Ich habe mir vorgestellt, was hier passiert sein könnte. Außer den zerstörten Zaun und die Spuren, die in die Tiefe geführt haben, konnten wir nichts sehen oder hören. Aber es hat ja alles darauf hingedeutet, dass jemand da runtergestürzt ist.«
Sie machte eine etwas längere Pause, Pytlik war irritiert.
»Gundi? Noch dran?«
»Ja, ja! Ich bin noch da. Es ist nur…«
Im Hintergrund hörte Pytlik immer noch jemand ihren Namen rufen. Seine Geduld ging zu Ende.
»Was ist los bei dir?«
»Ich kann ihn sehen!«, berichtete sie dann, mit jetzt tränenerstickter Stimme.
»Wen?«, wollte der Hauptkommissar wissen.
»Da liegt ein Körper! Vielleicht 25 Meter unterhalb dieser Aussichtsplattform. Ich bin in einem unbemerkten Moment – zu einer Frau aus der Gruppe habe ich gesagt, ich müsste mal – hinter dem Maschendrahtzaun ins Gebüsch gegangen, um zu schauen, ob ich da irgendwo einen besseren Blick in die Tiefe haben kann…«
Pytlik lief ein Schauer über den Rücken. Er überlegte kurz und zwang sich gleichzeitig, ruhig zu bleiben. Er stellte sich vor, dass Adelgunde Reif womöglich gerade im wahrsten Sinne des Wortes am Abgrund stand.
»Hör zu, Gundi! Du gehst jetzt bitte zurück zu deiner Gruppe und den anderen Leuten! Du hast da nichts verloren! Alles Weitere machen wir! Hast du mich verstanden?«
Adelgunde Reif schien das, was sie sehen konnte, sehr zu beschäftigen. Pytlik meinte, sie höre ihm gar nicht richtig zu.
»Mein Gott! Der ist… tot! Ein Mann!«
»Gundi!«, versuchte Pytlik, beruhigend auf sie einzureden, aber sie schien ihn nicht zu hören.
»Wie furchtbar!«, schluchzte sie. Pytlik wurde nun energischer.
»Hör mir jetzt gut zu! Du kannst für den Mann anscheinend nichts mehr tun! Geh zur Gruppe zurück! Vorsichtig! Uns ist am wenigsten geholfen, wenn du auch noch da unten liegst! Hast du das verstanden?«
Das leise »Ja, verstanden!« ließ ihn durchatmen. Dann hatte er doch noch eine Frage.
»Kannst du noch etwas sehen? Ein Auto? Einen Traktor? Irgendwas?«
Adelgunde Reif bat um einen kurzen Moment, ehe sie antwortete.
»Nein, nichts! Komisch! Der liegt auf so einer Art Felsvorsprung, als sei er beim Sturz dort hängengeblieben. Aber er gibt kein Lebenszeichen von sich. Der muss ja dann aus seinem Fahrzeug geschleudert worden sein.«
»Ja, möglich!«, bestätigte Pytlik ihre Überlegung, und gleichzeitig merkte er, dass es in ihm bereits zu arbeiten begann. Dann gab er ihr noch etwas mit auf den Weg.
»Also, noch mal, Gundi: Warte auf die Polizisten! Sie sollen sich unverzüglich bei mir melden! Kein Wort über unser Telefonat zu jemandem. Kein Wort über deine Beobachtung! Mach ein paar Fotos von der Absturzstelle – aus sicherer Entfernung! Du kannst ihnen sagen, wer du bist und wo du arbeitest, damit sie nicht im Umkreis der Absturzstelle unbedacht mögliche Hinweise oder Spuren vernichten. Nur für alle Fälle! Pass auf dich auf! Bis später!«
***
Gut eine Viertelstunde, nachdem Pytlik das Telefonat mit Adelgunde Reif beendet hatte, stand er frisch geduscht und mit einer Tasse Kaffee in der Hand in der Küche seiner Doppelhaushälfte in der Rhodter Straße in Kronach. Die Folgen der langen und feucht-fröhlichen Nacht auf dem Kronacher Freischießen spürte er noch. Sein Assistent Cajo Hermann war über den Anruf seines Vorgesetzten nicht gerade erfreut. Als dieser ihm jedoch erzählte, dass ihre Sekretärin sich in einer misslichen Lage befand und es besser wäre, ihr vor Ort zu helfen und sie abzuholen, plante auch er seinen Samstag spontan um.
»Bestenfalls holen wir Gundi ab und bringen sie nach Hause. Sollte es sich um einen Unfall handeln, haben wir mit der Sache nichts zu tun; dann können sich die Kollegen aus dem Oberland darum kümmern.«
Hermann zögerte kurz, dann fragte er dennoch.
»Der Konjunktiv hört sich schon wieder verdächtig an! Du bist doch nicht etwa der Meinung, da könnte etwas passiert sein, das in unseren Zuständigkeitsbereich fallen würde?«
Pytlik antwortete nicht gleich.
»Wahrscheinlich nur ein Hirngespinst! Mach dich auf den Weg, wir wollen Gundi nicht zu lange warten lassen! Ich bin in zehn Minuten fertig! Beeil dich!«
***
Als Pytlik und sein Assistent gegen kurz nach elf Kronach in Richtung Norden verließen, schien dem Hauptkommissar die Sonne von rechts unangenehm ins Gesicht. Er hatte sich eine kleine Wasserflasche mit ins Auto genommen, die er bereits nach wenigen Minuten fast leer getrunken hatte.
»Du siehst nicht so wirklich gut aus, wenn ich das mal sagen darf.«
Hermann schaute zu seinem Chef auf dem Beifahrersitz hinüber und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
»War es sehr schlimm?«, hakte er nach.
Pytlik schaute etwas genervt zunächst aus dem Fenster und ließ dann kräftig Luft aus seinem Mund entweichen, nachdem er vorher die Backen aufgeblasen hatte.
»Es ist jedes Mal das Gleiche!«, seufzte er anschließend.
»Du meinst die berüchtigte vierte Maß Bier?«, war Hermann sofort im Bilde. Pytlik nickte.
»Das geht einfach nicht! Die ersten beiden sind ruckzuck weg und du denkst: Heuer läuft es besser als sonst. An die dritte erinnerst du dich noch…«
»Bis du die vierte getrunken hast!«
Hermann lachte, Pytlik nickte und verzog etwas wehleidig das Gesicht. Dann klingelte sein Handy, das er in der Mittelkonsole abgelegt hatte.
»Pytlik! Hallo!«
Er wurde von einem der beiden Ludwigsstädter Schutzpolizisten angerufen, die nach Alarmierung durch den Tourenführer am Unfallort in der Nähe des Rennsteigs angekommen waren. Zunächst war der Hauptkommissar froh, dass sich ein Kollege bei ihm meldete.
»Guten Morgen! Ich gehe davon aus, dass meine Sekretärin, die mit euch gesprochen hat, bereits erzählt hat, worauf es jetzt ankommt. Zunächst solltet ihr…«
Pytlik zog schnell die Augenbrauen nach oben, als er unerwartet unterbrochen wurde.
»Also, bass moll auf!«, herrschte ihn der junge Mann an, Polizeimeisteranwärter Julian Schmidt.
»Mir wissen scho ganz goud, wossmer zerdunn homm! Und vo aaner Segredehrin aus Groonich« – er zog Adelgunde Reifs Berufsbezeichnung arrogant in die Länge – »lossmer unners schomoll gleich goanie soch, wossmer zerdunn oder zerlossn homm! Dess scheint a ganz normola Unfollaufnohm zersenn und zwoar in unnerm Zuständigkeitsbereich. Do braungmer ka Understützung aus Groonich.«
Pytliks Telefon war mit der Freisprechanlage im Dienstwagen gekoppelt. Hermann konnte mithören und vermutete bereits nach wenigen gesprochenen Silben, dass sein Chef innerlich bereits zu brodeln begann. Der Hauptkommissar gab seinem Assistenten auch noch mit einem entsprechenden Gesichtsausdruck und einer Handbewegung zu verstehen, dass er teilweise gar nicht verstand, was der Mann sagte.
»Hört sich nach Hirschfeld oder Windheim an«, flüsterte Hermann und hob leicht die Schultern, bevor aus dem Lautsprecher der letzte Satz zu hören war, der Pytlik dann endgültig auf die Palme brachte.
»Is dess gloa, meina Herrn?«
Pytlik ließ ganz bewusst ein paar Sekunden verstreichen, und er wartete geduldig, da er wusste, was nun kommen würde.
»Hallo? Seid ihr nuch do? Hallo?«
Dann begann Pytlik mit ruhiger Stimme, und er musste sich konzentrieren, damit es auch sitzen würde. Mit den unterschiedlichen Dialekten im Frankenwald hatte er, der gebürtige Berliner, sich nie richtig anfreunden können, obwohl er den Großteil seiner über sechzig Lebensjahre bereits in Kronach lebte.
»Ja, mir sennuch do, mei Gouder!«, gab er zum Besten, und Hermann musste sehr kämpfen, um nicht laut loszulachen. Pytlik stoppte dann zunächst noch einmal und verpasste dem Aspiranten danach eine verbale Backpfeife, die es in sich hatte.
»Und zum Schluss merken Sie sich noch eine Sache ganz gut, Herr Schmidt: Der Blumenstrauß, den meine äußerst geschätzte Sekretärin« – Pytlik hatte das Wort noch länger gedehnt – »von Ihnen am Montagmorgen ins Büro in ›Groonich‹ geliefert bekommen wird, sollte schön bunt sein! Haben Sie mich verstanden, Polizeimeisteranwärter Julian Schmidt? Dann ist es ja gut, und ich freue mich, Sie in wenigen Minuten persönlich kennenzulernen. Und bis wir angekommen sein werden, werden Sie jetzt genau folgendes tun!«
Pytlik gab dem jungen Mann danach in militärisch strengem Ton und ohne ein einziges Mal seine Rede zu unterbrechen, strikte Anweisungen. Danach beendete er das Telefonat mit einem kurzen Gruß und ohne eine Antwort abzuwarten. Anschließend schaute er mit ernster Miene zu Hermann, der sich zwar auf die Fahrt konzentrierte, aber dennoch, den Kopf schüttelnd, aus ganzem Herzen lachen musste.
»De hosters besorchd!«
***
Die Zufahrt zum ehemaligen Schiefertagebau Schallersbruch erfolgte auf dem letzten Stück entlang einem Forstweg, der links und rechts von dichtem Wald gesäumt war. Hermann steuerte das Auto etwa einen Kilometer auf der Schotterpiste, die in einem leichten Rechtsknick nach Nordosten führte. Aus einiger Entfernung waren bereits die Fahrzeuge der unterschiedlichen Einsatzkräfte zu sehen.
»Da!«, deutete Pytlik mit der Hand nach vorne.
»Volle Kapelle, wie es aussieht!«, bemerkte Hermann.
»Ich stelle mich einfach erstmal dahinter.«
Nachdem die beiden Kronacher Ermittler ihr Auto hinter einem großen Geländewagen, an dem die Aufschrift »Bergwacht am Rennsteig« zu lesen war, abgestellt hatten, versuchten sie, sich so rasch wie möglich ein Bild von der Situation vor Ort zu machen.
Die Sonne brannte, nun kurz vor Mittag, gnadenlos herunter, und Pytlik spürte, wie ihm bereits der Schweiß am Rücken entlang nach unten lief.
Der Hauptkommissar konnte dann sehr schnell feststellen, dass die Anweisungen, die er dem jungen Polizisten gegeben hatte, bereits in die Tat umgesetzt worden waren. Vor dem dunklen Pickup der Bergretter stand ein Polizeiauto, davor auf dem schmalen Weg ein Rettungswagen, der hinter einem Kombi des Notarztes gestoppt hatte.
An den Fahrzeugen vorbei gingen Pytlik und Hermann auf das Absperrband zu, wo sie bereits von einem jungen Mann in Polizeiuniform erwartet wurden, der die rot-weiße Plastikfolie mit einem freundlichen »Servus« hochhob, so dass der Hauptkommissar und sein Assistent bequem darunter durchgehen konnten. Auf der gegenüberliegenden Seite, etwa zehn Meter geradeaus, begrenzte eine weitere Barriere das abgesperrte Areal.
»Hobbders gleich gfunna? Subber! Und wecher vorhin nuchmoll…«
Pytlik hatte andere Sorgen, als sich mit Polizeimeisteranwärter Julian Schmidt wegen des Telefonats auseinanderzusetzen. Vielmehr würde er sich später dessen Partner, der die beiden ebenso kurz begrüßt hatte, noch einmal vorknöpfen.
Er und Herrmann näherten sich nun der Stelle, an der zunächst die Aussichtsplattform zu sehen war, von der aus man in den beeindruckenden Krater blicken konnte. Und daneben, wenige Meter entfernt, sah Pytlik tatsächlich das, von dem ihm Adelgunde Reif berichtet hatte. Er blieb kurz stehen und drehte sich um. Er sah sie bereits winken und erwiderte, indem er kurz die Hand hob.
Etwas abseits saß die Wandergruppe auf einem Baumstamm. Vor dem dahinter gestapelten Holz wirkten die Männer und Frauen fast etwas verloren. Pytlik bat Hermann, sich zunächst bei Adelgunde Reif nach deren Wohlbefinden zu erkundigen, während er sich die ersten Informationen einholte.
»Und Sie sind?«, fragte er den zweiten Polizisten, an dessen Schulterklappen er sehen konnte, dass er seinem Kollegen, den er hatte anrufen lassen, vorgesetzt war.
»Gerhard Beier, Servus!«
»Servus, Gerhard Beier! Ich stelle mir das so vor: Du hast dem Jungen gesagt, er soll uns Kronachern einfach mal zeigen, wer hier die Chefs sind! Richtig?«
»Ähm..!«
»Richtig?«, wiederholte Pytlik seine Frage nun etwas eindringlicher, und sein Gegenüber, Mitte 30, kratzte sich verlegen im Nacken und sein ohnehin schon leicht gerötetes Gesicht bekam noch mehr warme Farbe.
»Naja, ich wollte halt auch wegen Ausbildung und so…«
»Blabla!«, erwiderte Pytlik und zeigte seinen Unmut mit entsprechendem Gesichtsausdruck.
»Zeig mir, dass du schon mehr kannst und weiter bist als er! Also, was wissen wir?«
Gerhard Beier bat Pytlik, ihm an das vordere Geländer der Aussichtsplattform zu folgen. Dann deutete er hinüber zu der Stelle, an der der Maschendrahtzaun, der das Gelände um den Schieferbruch komplett einschloss, durchbrochen war.
»Darf ich mal?«, hörten sie plötzlich eine ruhige Stimme hinter sich. Der Mann, der sich als Rocco Reitz von der Bergwacht am Rennsteig vorstellte, sah aus wie ein Alpinist, der auf dem Weg ins Hochgebirge war: Einen Helm hatte er bereits auf dem Kopf, ein aufgewickeltes Seil lastete auf der einen Schulter und hing diagonal über den durchtrainierten Oberkörper. Diverse Gurte und Karabinerhaken waren so befestigt, dass der Mann, der aussah wie Anfang 40, einsatzbereit schien. Zwei weitere Männer, seine Kameraden, standen noch am Auto.
Pytlik hatte ein gutes Gefühl, und er wollte die Gelegenheit nutzen, ihm noch einige Anweisungen mitzugeben. Er bat ihn ein paar Schritte zur Seite.
»Sie wissen und sehen ja, was hier wahrscheinlich passiert ist.«
Der Mann nickte und nestelte weiterhin an seiner Ausrüstung, während er dem Hauptkommissar zuhörte.
»So, wie es aussieht, ist hier jemand mit seinem Auto in den Bruch gestürzt«, vermutete er kurz angebunden. Pytlik nickte ebenso.
»Es gibt bisher keine Lebenszeichen, keine Stimmen – nichts! Wir müssen davon ausgehen, da unten möglicherweise eine oder mehrere tote Personen zu finden. Meine Mitarbeiterin, die in der Wandergruppe dabei war« – Pytlik zeigte mit ausgestrecktem Arm hinüber, wo er Adelgunde Reif bereits mit Cajo Hermann reden sehen konnte – »hat uns bereits informiert, dass sie ziemlich genau senkrecht unter uns, etwa 20 oder 25 Meter tief, auf einem Felsvorsprung eine Person hat liegen sehen.«
Reitz und Beier schauten sich fragend und überrascht an.
»Ja, sie musste mal austreten – offiziell – und da hat sie diese Entdeckung gemacht«, erklärte Pytlik seinen Wissensvorsprung.
»Von einem Fahrzeug konnte sie nichts sehen. Wichtig für uns – da wir aktuell noch keine Anhaltspunkte haben – ist, dass Sie sich lediglich darauf beschränken, zu prüfen, ob Sie unmittelbar helfen können und – falls nicht – wie eine Bergung Ihrer Meinung nach aussehen müsste.«
Rocco Reitz erläuterte Pytlik dann noch kurz, wie er vorgehen wollte, anschließend gingen sie zurück auf die Plattform, wo der Bergretter begann, am Geländer seine Sicherungsmaßnahmen durchzuführen, und einer seiner Kollegen half ihm dabei.
Pytlik wollte sich gerade verabschieden, um zu Adelgunde Reif zu gehen, als Rocco Reitz einer seiner Haken hinunterfiel und auf dem Stahlgitter landete. Pytlik bückte sich, um das Teil aufzuheben und machte in diesem Moment eine Entdeckung, die ihn in Alarmbereitschaft versetzte.
Beim Griff nach dem kleinen Karabiner sah er beim Blick auf das Bodengitter, dass das Metall auf einer Fläche so groß wie eine Hand dunkel verfärbt war. Er reichte Rocco Reitz den Haken, blieb aber in der Hocke und kratzte mit den Fingernägeln leicht am Bodengitter. Dann sah er sich seine Fingerkuppen an und begann zu grübeln. Er hatte in den letzten Jahrzehnten genügend Erfahrung gesammelt um zu wissen, worum es sich bei der dunkelroten Substanz handelte. Die anschließende Geruchsprobe war obligatorisch. Sowohl der Bergwachtler als auch Pytliks Kollege Gerhard Beier sahen das Bemühen des Hauptkommissars, seine Entdeckung zu verheimlichen.
»Kein Wort hiervon zu irgendjemandem! Ist das klar?«, reagierte er sofort, und die beiden Männer nickten pflichtbewusst.
»Sorg dafür, dass niemand mehr in diesen Bereich kommt!«, wies Pytlik Beier an.
»Die Gruppe soll so schnell wie möglich weggebracht werden – ohne Hektik! Keine Informationen! Wir warten ab, was uns Herr Reitz berichtet, dann werden wir schauen, ob wir die Spusi brauchen. Alles klar?«
Beier nickte und machte sich auf den Weg, die Anweisungen des Hauptkommissars in die Tat umzusetzen. Währenddessen sprach Rocco Reitz noch einmal mit dem Hauptkommissar, nachdem er ihm ein kleines Funkgerät in die Hand gedrückt hatte.
»So stehen wir miteinander in Kontakt. Sie kennen sich damit aus, vermute ich!«
Pytlik nickte.
»Sie können Rocco zu mir sagen. Kein Problem!«
»Du kannst Franz sagen!«
»Hundert Meter Reichweite, das ist für hier genug!«, ergänzte Rocco Reitz.
Während Reitz weiter mit dem Hauptkommissar sprach, erledigte er die letzten Handgriffe. Dann stieg er über das hüfthohe Geländer und versuchte, zwischen den Verstrebungen des Geländers Fuß zu fassen. Angesicht zu Angesicht mit Pytlik ließ er sich anschließend leicht nach hinten fallen und verschwand langsam nach unten.
»Viel Glück! Pass auf dich auf!«, rief Pytlik ihm noch hinterher, und im Kopf des Kronacher Ermittlers gingen die Gedanken bereits weiter. Noch einmal schaute er zu Boden auf die Verfärbungen des Metalls, bevor er sich auf den Weg zu den Holzstämmen machte.
***
Pytlik hatte sich zunächst bei seiner Sekretärin erkundigt, ob mit ihr alles in Ordnung war. Mittlerweile hatte die Mittagssonne ihren Höchststand erreicht, und die anwesenden Sanitäter hatten vorsorglich bei allen Teilnehmern der Wanderung überprüft, ob der Rückweg auch wegen des Erlebten und Gesehenen möglich war.
Nachdem der Hauptkommissar auch eingehend mit dem Mitarbeiter des Schiefermuseums gesprochen hatte, der die Führung leitete, wandte er sich noch einmal Adelgunde Reif zu.
»Eigentlich müsste ich dir den Hintern versohlen, das weißt du hoffentlich! Aber ich bin heute selbst nicht ganz auf der Höhe, also lassen wir das.«
Er schaute sie streng an, aber sie wusste, dass er es nicht ernst meinte. Adelgunde Reif trank aus der Wasserflasche und versuchte, sich zu rechtfertigen.
»Das ist halt nun mal so, wenn man mit euch zusammenarbeitet – und das über so viele Jahre! Da hat man dann anscheinend diesen Knacks weg und vermutet hinter allem und jedem immer gleich etwas Schlimmes. Ich wollte ja nur mal…«
»Schon gut, ist ja noch mal gut gegangen!«, wiegelte Hermann ab. Für einige Augenblicke schwiegen alle drei, während sie beobachteten, wie sich Adelgunde Reifs Wandergruppe auf den Rückweg machte.
»Und du bist dir sicher, dass du mit uns zurückfahren willst? Es könnte noch einige Zeit dauern«, gab Pytlik zu bedenken.
»Ich bleibe hier! Ist ja irgendwie auch ein bisschen mein Fall! Oder?«
Pytlik schaute wie auf Kommando zu Hermann, der zu seinem Chef.
»Wird es denn ein Fall für uns?«, fragte der Assistent dann nach. Pytlik hob die Augenbrauen und zeigte die Fingerspitzen seiner rechten Hand.
»Ich habe ein komisches Gefühl!«
Er erzählte anschließend, was er auf der Aussichtsplattform entdeckt hatte und dass diese Spuren relativ frisch aussahen. Natürlich müsste das auf jeden Fall untersucht werden, aber letztendlich konnte er zum aktuellen Zeitpunkt noch gar nichts sagen.
»Da ist halt dieses komische Gefühl«, schloss er seine Gedanken ab. Aber seine Sekretärin hatte auch noch etwas zum Besten zu geben.
»Die waren ja vorhin alle sowas von aufgebracht! Wo ich denn war und warum ich mich da in Gefahr gebracht hätte und weiß der Geier! Der Helmut war richtig wütend, das hat er auch gezeigt. Naja, die Hitze und dann noch so was! Jedenfalls war ich natürlich total geschockt, aber ich habe niemandem was von meiner Entdeckung gesagt.«
»Sehr gut!«, lobte Pytlik.
»Und als wir dann so gewartet haben, habe ich mir dennoch ein bisschen die Beine vertreten. Das konnte mir ja schlecht jemand verbieten. Aber eigentlich wollte ich mir ein Bild davon machen, was hier passiert sein könnte.«
