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Kriminelles und Übernatürliches für die Freunde des schwarzen Humors. In "Mutterliebe" beweist eine junge Frau ihre besonderen Eigenschaften als liebende Mama. Mit katastrophalen Folgen... Eine Dame mit dem festen Willen, ewig jung zu bleiben, treibt in der zweiten Story "Tödliche Schönheit" ihren Schönheitschirurgen fast in den Wahnsinn - bis sie selbst das Gruseln kennen lernt... In der dritten Story "Jakob" ist nichts, wie es scheint. Der Herzenswunsch einer alten Dame wird auf recht ungewöhnliche Weise erfüllt... Klaus Enser-Schlag, Hörspielautor und Verfasser von Kurzgeschichten, wartet wieder mit einem besonderen Krimi-Cocktail auf. Freuen Sie sich dieses Mal auf einen "Bloody Mary mit schwarzem Humor". 3-fach gemordet und nicht betrübt!
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Seitenzahl: 32
Veröffentlichungsjahr: 2019
Mutterliebe
Sarah Thiele seufzte tief und lange. Auf ihrem Schreibtisch lag ein Stapel Diktathefte. Das musste sie alles noch bis zum Wochenende korrigieren! Der Lehrerin lief regemäßig ein Schauer über den Rücken, wenn sie die teilweise katastrophale
Orthographie ihrer Schüler über sich ergehen lassen musste. Manchmal war sie so gefrustet, dass sie schon erwogen hatte, den Beruf hinzuwerfen und etwas anderes anzufangen. Nur was? Auf jeden Fall gab sich Sarah Thiele oft selbst die Schuld an den schlechten Ergebnissen ihrer Schüler. Vielleicht konnte sie den Stoff nicht richtig vermitteln, vielleicht hatte sie aber auch ganz einfach Pech gehabt, gerade diese Klasse unterrichten zu müssen.
Zu allem Übel stand heute noch eine Unterredung mit Frau Steinmann, der Mutter eines ihrer Schüler, an. Beide hatten sich um 15 Uhr hier in der Schule verabredet.
Sarah dachte an den kleinen Max, um den es hier ging und sie begann zu frösteln.
„Ein höchst eigenartiges Kind“, dachte sie bei sich und kaute an einem Kugelschreiber herum. Der Junge sah aus wie die reine Unschuld, ja er besaß ein fast engelhaftes Gesicht. Blonde Locken fielen ihm fast bis auf die Schultern herab. Seine strahlenden blauen Augen hatten eine Intensität, der man sich nur schwer entziehen konnte. Er war äußerst zartgliedrig und bewegte sich mit einer für sein Alter erstaunlichen Grazie. Nur seine Stimme passte nicht zu dem äußeren Erscheinungsbild. Sie war laut, schrill und manchmal musste sich Sarah Thiele zusammennehmen, um ihre Aggressionen zu zügeln, wenn Max´ Organ wieder einmal so nervenzerfetzend durchs Klassenzimmer gellte. Das, was er seinen Klassenkameraden mitteilte, ließ seine Klassenlehrerin das Blut in den Adern gefrieren und sie hatte ihn schon unzählige Male ermahnt, dieses Thema ein für alle Mal zu beenden. Es hatte nichts genutzt. Auch der Schuldirektor, der daraufhin mit Max ein ernstes Gespräch „unter Männern“ führte, konnte nichts ausrichten. Die Unterredung mit Max´ Mutter schien Frau Thiele deshalb der letzte Ausweg aus dieser ganzen Situation.
Pünktlich um 15 Uhr erschien Miriam Steinmann. Sarah Thiele war erstaunt, als sie die junge Frau sah. Miriam Steinmann wirkte selbst noch wie ein Kind, hatte etwas Verschüchtertes in ihrem Wesen. Da Sarah Thiele erst seit drei Monaten die neue Klassenlehrerin von Max war, hatte sie dessen Mutter noch nie zuvor gesehen.
„Bitte, nehmen Sie doch Platz, Frau Steinmann“, sagte Sarah freundlich und zeigte auf den leeren Stuhl, der vor ihrem Schreibtisch stand. Max´ Mutter bedankte sich und nahm Platz. Dabei betrachtete sie die ganze Zeit unsicher und ängstlich ihr Gegenüber. Sarah wusste, dass Frau Steinmann von sich aus nicht das Gespräch eröffnen würde, deshalb brach sie das Schweigen.
„Schön, dass Sie gekommen sind“, sagte sie deshalb und lächelte Max´ Mutter an. Die erwiderte mit starrer Miene ihren Blick.
„Nun ja, es muss sich wohl um etwas Außergewöhnliches handeln, wenn Sie mich außerhalb der Elternsprechzeiten sehen möchten“, sagte sie leise.
„Das ist es“, erwiderte Frau Thiele. „Außergewöhnlich – da haben Sie das passende Wort gefunden“.
„Sind Sie nicht zufrieden mit meinem Sohn?“, fragte die besorgte Mutter. Allmählich schien sie mutiger zu werden.
„Seine schulischen Leistungen sind durchschnittlich“, meinte Sarah. „Weder besonders gut noch außergewöhnlich schlecht. Ihr Sohn bewegt sich im Mittelfeld. Er hat kein Fach, in welchem er glänzt, aber auch keines, wo er besondere Schwierigkeiten hätte. Ich glaube allerdings, dass, wenn er sich mehr Mühe gäbe, mit Sicherheit ein besserer Schüler werden würde“.
Sarah konnte einen feuchten Schimmer in Miriam Steinmanns Augen erkennen und es tat ihr augenblicklich leid, dass sie dieser offensichtlich sehr sensiblen Frau nichts Schöneres erzählen konnte. Leider stand ihr noch eine weit schlimmere Sache bevor.
„Frau Steinmann“, fuhr Sarah deshalb mit sanfter Stimme fort. „Abgesehen von Max´ schulischen Leistungen gibt es da noch etwas, das mir große Sorgen macht“.
Nun füllten sich Miriam Steinmanns Augen mit Tränen. Sie holte ziemlich umständlich ein Taschentuch aus ihrer Jacke und schnäuzte dreimal kräftig hinein.
„Was…was wollen Sie denn damit sagen?“, entgegnete sie so leise, dass Sarah sie fast nicht mehr verstehen konnte.
„Nun – ich meine die Vorlieben Ihres Sohnes“, erklärte Sarah und bemühte sich, besonders einfühlsam zu wirken.
„Vorlieben?“, schniefte Miriam. „Ich weiß überhaupt nicht, was Sie meinen, Frau Thiele“.