Tränen im Sommer - Ute Dombrowski - E-Book

Tränen im Sommer E-Book

Ute Dombrowski

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Beschreibung

Nelly Hardeg ist fünfzehn Jahre alt. Als ihr ihre erste Liebe Ricardo begegnet, beginnt eine aufregende Zeit, die beinahe in einer Katastrophe endet. Paolo, ein guter Freund, macht sich große Sorgen, denn Ricardo und seine Clique sind alles andere als vertrauenswürdig. Liebe, Zärtlichkeit, Kummer – all das ist neu für Nelly. Begleiten Sie das Mädchen aus dem Rheingau durch eine turbulente Zeit.

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Seitenzahl: 284

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Ute Dombrowski

Tränen im Sommer

Nelly lernt die Liebe kennen

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum neobooks

Tränen im Sommer

Nelly lernt die Liebe kennen

Ute Dombrowski

3. Auflage 2017

Copyright © 2017 Ute Dombrowski

Umschlag: Ute Dombrowski mit www.canvas.de

Lektorat/Korrektorat: Julia Dillenberger-Ochs

Satz: Ute Dombrowski

Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach

Druck: epubli

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Das ist die Geschichte von Nelly Hardeg, der Tochter von Katja und Christian. Erleben Sie mit ihr die erste Liebe, den ersten Kummer und begleiten Sie sie in die Welt der Erwachsenen.

„Alles Gute zu deinem fünfzehnten Geburtstag. Ich bin sehr stolz auf dich, mein Kind.“

Katja umarmte Nelly und küsste sie auf die Wange. Nun trat Christian zu ihnen und nahm beide in den Arm.

„Auch von mir alles Gute, mein Engel, ich bin so froh, dich zu haben, dass ich es dir gar nicht beschreiben kann. Aber ich bin auch traurig, denn du wirst langsam erwachsen und bald bist du weg und hast eine eigene Familie.“

„Ach, nein, Papa, so ein Quatsch, ich werde für immer bei euch bleiben und hier wohnen und wenn ihr alt seid, dann sorge ich für euch, so wie ihr jetzt immer für mich sorgt. Ich habe euch beide sehr lieb.“

Christian musste grinsen, Katja hielt kichernd die Hand vor den Mund. Nelly schüttelte nur den Kopf. Sie hatte die besten Eltern der Welt, auch wenn sie sich manchmal wunderte, dass ihre Mutter schon so alt war. Sie nahm sich vor, nun endlich genauer nachzufragen. Mit ihrer Freundin Simona hatte sie in den Mädchengesprächen schon oft überlegt, was das Geheimnis ihrer Mutter war. Vielleicht konnte Katja keine Kinder bekommen und hatte es bei Nelly mit einer künstlichen Befruchtung versucht. Wenn Simona sagte, dass Katja und Christian sie auch adoptiert haben könnten, dann schüttelte sie nachdrücklich den Kopf. Das war in ihren Augen unmöglich, denn sie sah ihrer Mutter sehr ähnlich. Sie hatte lange, braune Haare, eine zarte Figur, die gleichen Augen wie Katja und auch in ihren Bewegungen ähnelten sie sich. Bei Diskussionen gab keine von ihnen nach, bis Christian meist schlichtend eingriff.

„Was gibt es zum Frühstück?“

„Komm mit in die Küche, Nelly, Papa hat alles vorbereitet. Und da findest du auch dein Geschenk.“

Die Eltern zwinkerten sich zu und als sie in der Küche angekommen waren, standen sie vor einem reichlich gedeckten Tisch. Vor Nellys Teller stand ein Tulpenstrauß, durch das große Fenster zur Terrasse hin bahnten sich freundliche Sonnenstrahlen den Weg. An der Vase lehnte ein Briefumschlag mit ihrem Namen darauf. Die Familie setzte sich und Nelly öffnete den Umschlag. Sie faltete das innenliegende Blatt auseinander und brach in einen lauten Jubel aus.

Sie sprang auf, umarmte Mutter und Vater und setzte sich mit Tränen in den Augen zurück auf ihren Stuhl.

„Mann, Mama, Papa, ihr seid verrückt. Ich freue mich so, danke, danke, danke … oh Mann, das ist total krass. Ein Sommer mit meiner Freundin alleine im Urlaub meiner Wahl. Ich darf wirklich ganz alleine wegfahren?“

Katja sagte sanft: „Das hast du dir doch gewünscht, mein Schatz. Immer mit uns nach Südfrankreich in den Ferien ist schon toll, aber du sollst auch andere Ecken der Welt kennenlernen. Du darfst Simona gerne mitnehmen, wir haben schon mit ihren Eltern gesprochen.“

Aufgeregt sprang Nelly wieder auf und lief zum Fenster. Sie überlegte, wohin sie mit Simona reisen könnte. Nelly drehte sich um, griff nach ihrem neuen Handy, das ihr Tante Cora gestern schon geschenkt hatte, und schaute Christian an. Er hasste es, wenn sie bei Tisch mit dem Handy beschäftigt war, also hatten sie vereinbart, dass es beim Essen auf dem kleinen Schränkchen am Fenster liegen musste. Heute war ihr Geburtstag, also nickte Christian freundlich. Er musste auch nicht zur Arbeit ins Weingut, denn Onkel Benni hatte ihm freigegeben. Sonst frühstückten Katja und Nelly sonntags meist alleine, denn die Arbeit im Weingut musste auch am Wochenende getan werden.

Nelly wählte Simonas Nummer und dann hörten Katja und Christian nur noch Gekreische und Gelächter. Am Ende verabschiedete sich Nelly bis zum Nachmittag von ihrer Freundin. Die beiden wollten zur Feier des Tages ins Kino und dann essen gehen. Nach dem Frühstück zog sie sich an und dann machte die Familie einen langen Spaziergang, der im Weingut endete. Benjamin kam ihnen aus dem Keller entgegen, er umarmte Nelly und küsste sie auf beide Wangen.

„Alles Gute zum Geburtstag, mein kleines Mädchen, ach, was sage ich … mein großes, schönes Mädchen. Weißt du, dass du deiner Mutter immer ähnlicher wirst? Sie war … ist genauso hübsch.“

Katja hatte Benjamin in die Seite geboxt und gelacht. Im letzten Sommer war sie sechzig geworden, daran durfte sie gar nicht denken. Die ersten Falten hatten von ihrem Gesicht Besitz ergriffen, seit drei Jahren trug sie eine Lesebrille und vor ein paar Monaten hatte sie die silbernen Strähnen in den langen, braunen Haaren akzeptiert. Trotz oder gerade wegen der Zeichen des Alters war sie eine schöne Frau, die seit Jahren mit Christian glücklich verheiratet war. Katja blickte stolz auf ihre hübsche Tochter, die bisher keine Probleme bereitete und anscheinend blieben sie auch von den oft so heftigen Ärgernissen der Pubertät verschont.

Christian hatte einen Arm um Katja gelegt. Seine grauen Schläfen standen ihm gut. Er hatte sich sein jungenhaftes Aussehen bewahrt, nun zwinkerte er seinem Freund zu.

Nelly rief: „Danke, Onkel Benni, ich habe dich lieb. Ist dein Bein wieder besser? Du humpelst nicht mehr.“

„Ja, die Wunde ist verheilt und es drückt nicht mehr so sehr im Kunstbein. Ich muss halt vorsichtiger sein. Jetzt hast du auch deinen Papa wieder öfter bei dir. Es tut mir leid, dass ich ihn so oft gebraucht habe.“

„Ach, Onkel Benni, das ist schon in Ordnung. Papa arbeitet gerne hier. Und ich bin ja schon groß und komme sehr gut alleine klar.“

„Benni“, mischte sich nun Christian ein, „du kannst doch nichts dafür, dass sich der Stein gelöst hat und du den Hang hinuntergefallen bist. Aber ich muss Nelly Recht geben, du läufst schon wieder viel besser. Hast du auch ein Geschenk für das Kind?“

„Papa, ich bin kein Kind mehr, sondern eine junge Dame. Bitte blamiere mich nicht. Hast du ein Geschenk, Onkelchen?“

„Komm mit, Schatz.“

Nelly folgte Benjamin und Katja küsste Christian sanft. Er schlang die Arme um seine Frau und presste seine Lippen gierig auf ihre. Nelly drehte sich um und schüttelte den Kopf: Nein, so etwas, ihre alten Eltern benahmen sich manchmal wie Teenager. Als Nelly mit Benjamin hinter dem Haus angekommen war, hörten alle nur noch einen Schrei. Vor der Vinothek saß ein kleiner Mischlingshund mit schwarzen Locken und schaute verwundert auf den kreischenden Menschen. Bellend sprang er an Nelly hoch und versuchte, ihr Gesicht zu lecken.

„Ist der für mich? Ist das mein Geschenk?“

Benjamin nickte.

„Er heißt Wuschel und sucht ein neues Frauchen. Willst du sein Frauchen sein?“

„Das haben Mama und Papa tatsächlich erlaubt?“

Benjamin nickte wieder.

„Krass. Mein Hund … ich habe einen eigenen Hund. Krass, cool. Komm, Wuschel, ich habe dich lieb!“

Sie bückte sich und drückte den kleinen Kerl, der nun seelenruhig Nellys Gesicht abschleckte, an sich. Mit Tränen in den Augen sah sie auf zu Benjamin, der sich über Nellys Begeisterung freute.

„Danke, Onkel Benni, du bist der Beste! Was für ein krasser Geburtstag. Wenn Simona den sieht!“

Katja und Christian waren zu ihnen getreten und schauten Nelly gerührt zu, die den kleinen Hund streichelte und küsste. Das Mädchen leinte den Hund an und dann liefen sie wieder nach Hause, wo Nelly Wuschel mit in ihr Zimmer nahm. Christian hatte die anderen Sachen getragen: Körbchen, Decke, Futter- und Wassernapf, Spielzeug. Der Futtersack stand schon zwei Wochen in der Doppelgarage hinter einem Karton.

Kurz nach der Hochzeit hatten Katja und Christian ein größeres Haus gekauft und die beiden anderen vermietet. Bea und Hannes waren in Christians Architektenhaus gezogen, in Katjas kleines Fachwerkhaus war ein junges Pärchen eingezogen. Ursula Heunbach hatte einen Woche nach der Hochzeit einen Herzinfarkt erlitten und war gestorben, auch Christians Mutter war nicht mehr am Leben. Sie hatte sich nicht mehr in Deutschland blicken lassen, Christian erfuhr durch die Behörden auf Mallorca vom Tod seiner Mutter. Katja hatte den Namen Hardeg behalten und auch Nelly trug ihn weiter. Sie sollte, wenn sie volljährig war, entscheiden, ob sie den Namen Lauterberg annehmen wollte.

Am Nachmittag kam Simona, Nellys Freundin, mit dem Fahrrad. Simona Felsbrach war blond, hübsch, klug und ihre blauen Augen strahlten immer. Die beiden Mädchen gingen in eine Klasse im Frieda-Häuser-Gymnasium in Wiesbaden. Katja brachte ihre Tochter und Simona morgens zum Bus und fuhr dann selbst in die Privatschule, wo sie immer noch als Lehrerin für Kunst, Musik und Deutsch arbeitete. Christian fehlte die Schule überhaupt nicht, er war nun Winzer und sehr glücklich damit. Benjamin hatte ihm die Hälfte des Weingutes überschrieben. Die beiden waren ein gutes Team.

„Oh, mein Gott, du hast einen eigenen Hund!“, hörte man Simonas lauten Ruf, als sie nach der Begrüßung von Katja und Christian in Nellys Zimmer gestürmt war.

„Mensch, Simona, sei nicht so laut, der kleine Wuschel bekommt sonst einen Schock. Komm, setz dich zu uns.“

„Ach was, ich will dir erst einmal gratulieren und dir dein Geschenk geben. Alles Gute zum Geburtstag, meine allerbeste Freundin. Ich habe dich sehr lieb, endlich bist du fünfzehn. Ich habe mich schon voll alt gefühlt. Jetzt kannst du dir auch einen Jungen aussuchen.“

„Hör auf, die Jungs in der Klasse gehen gar nicht, ich brauche keinen Freund. Danke, meine Liebe, ist das für mich?“

Simona nickte und übergab ihr Paket, das in leuchtend rotes Papier gewickelt war, mit einem strahlenden Lächeln.

„Ich weiß, du wirst es lieben.“

Nelly riss ungeduldig die Bänder ab und danach das Papier. Zum Vorschein kam ein Karton, der gefüllt war mit Lippenstift, Wimperntusche, Lidschatten, buntem Modeschmuck und einem Shirt, das sich Nelly schon lange gewünscht hatte. Simona hatte das gleiche Shirt und Nelly zog es gleich an. Dann betrachteten die beiden Mädchen die Schminke. Simona hatte sich schon öfter leicht geschminkt, Nelly wollte es lieber nicht. Christian hatte seiner Tochter deutlich zu verstehen gegeben, dass sich Jungs mehr für natürliche Schönheit interessieren. Nelly glaubte das weniger, aber sie wollte es sich mit ihrem Vater nicht verscherzen, darum waren das Schminken und Jungs bisher keine wichtigen Themen.

„Komm, ich mache dich mal hübsch. Ich meine, ich mache dich noch hübscher. Du bist eh die Schönste in der Klasse, wenn nicht in der Schule. Das ist sogar schon den Großen aufgefallen. Kennst du Ricardo? Der ist so süß.“

Simona seufzte. Dann setzte sie sich Nelly gegenüber und trug zuerst Farbe auf die Augenlider, dann Wimperntusche auf die Wimpern auf.

„Papa wird mich erschlagen. Ich sehe voll erwachsen aus, das mag er gar nicht.“

„Nelly, dein Papa ist ein Schatz, aber er hat sich in deine Mutter auch nicht in Sack und Asche verliebt. Wie haben sich deine Eltern kennengelernt?“

„Das ist eigentlich eine traurige Geschichte. Mamas erster Mann war in Südfrankreich mit einem Helikopter abgestürzt und gestorben. Als sie wieder in Deutschland war, wollte sie von einem Felsen springen. Da kam Papa und hat sie gerettet.“

„Das ist nicht traurig, sondern romantisch. Die sind zwar viel älter als meine Eltern, aber ich glaube, die lieben sich noch total. Das siehst man denen an.“

„Ja, die beiden sind das perfekte Paar. Ich will auch später mal so eine Ehe führen. Aber im Moment sind die Jungs uninteressant und du lass lieber die Finger von diesem Ricardo. Man sagt, er hat jede Woche eine andere Freundin. Aber in einem hast du recht: Er ist süß. Nur, dass er sich nicht für kleine Mädchen interessiert, er ist schließlich schon erwachsen.“

„Na und? Er ist neunzehn und wenn ich zwanzig bin und er vierundzwanzig, dann ist es völlig normal. Sag mal, gibt es auch Kuchen oder muss ich verhungern? Dein Wuschel guckt auch schon ganz verhungert.“

Im Wohnzimmer gab es Kaffee und Kuchen und danach fuhr Christian die beiden Mädchen zum Kino. Er hatte seine geschminkte Tochter stirnrunzelnd betrachtet und Luft geholt, um etwas zu sagen, aber da hatte Katja ihm die Hand auf den Arm gelegt. Er hatte den Mund wieder zugeklappt.

Am Kino drückte Christian Nelly hundert Euro in die Hand und küsste sie auf die Wange. Sie grinste ihn an und reichte ihm die Hand.

„Danke Papa, du bist der Beste. Wir rufen an, wenn wir heim wollen, in Ordnung?“

„Ja, meine Damen, aber bitte nicht zu spät. Simona schläft ja heute bei dir, da könnt ihr noch die halbe Nacht zuhause reden.“

„Danke, Herr Lauterberg, Sie sind sehr nett. Ich glaube, Sie waren ein toller Schuldirektor.“

„Hör auf, Simona, die Zeiten sind längst vorbei. Jetzt habt Spaß und benehmt euch gut.“

„Ja, Papa.“

„Ja, Herr Lauterbach.“

Er stieg ins Auto und fuhr davon. Simona hakte sich bei Nelly ein und sie gingen ins Kino, um mit einer großen Tüte Popcorn den gemeinsamen Abend zu beginnen. Hinterher trödelten sie noch eine Weile durch die Stadt und unterhielten sich über den Film.

„Pizza? Chinesisch? Griechisch? Was wollen wir denn zur Feier meines Geburtstages essen?“

„Mir ist das egal, dort hinten ist ein toller Italiener, da war ich schon mit meinen Eltern. Der ist teuer, aber dein Papa hat dir ja ordentlich Kohle übergeben.“

Nelly nickte und sie liefen um die Ecke. „La dolce vita“ stand auf dem Schild. Das passt perfekt, dachte Nelly und schob Simona durch die Tür. Es war fast dunkel geworden, die gedämpften Lichter des Restaurants zauberten einen sanften Schimmer. Ein Kellner führte sie zu einem Tisch, schob ihnen die Stühle zurecht und die beiden Mädchen kamen sich sehr erwachsen vor.

„Mein Freundin hat heute Geburtstag“, platze es aus Simona heraus und Nelly verdrehte die Augen.

„Das ist schön“, sagte der junge Mann lächelnd. „Alles Gute.“

Er kam Nelly bekannt vor und als er weg war, fragte sie Simona.

„Ich glaube, der ist auch bei uns auf der Schule. Aber der ist viel zu alt. An Ricardo kommt er sowieso nicht dran.“

„Du und dein Ricardo. Na gut, reden wir also jetzt über Jungs. Ich finde den Kellner ganz nett, vom Aussehen jedenfalls. Er hat schöne, sanfte, graue Augen, du musst ihn mal ansehen.“

Simona beobachtete ihn ohne Scheu, wie er an einem der anderen Tische bediente.

„Er sieht aus wie ein Allerweltskerl. Dunkle, kurze Haare, graue Augen, böser Blick. Und dann diese Tattoos, das geht gar nicht. Seine Nase ist mir zu groß. Seine Lippen sind zu schmal.“

„Uh, Simona, du bist so oberflächlich. Seine Nase ist schön. Vielleicht hat er einen guten Charakter.“

„Ach, als ob es darauf ankommt. Mein Freund muss toll und aufregend sein. So wie Ricardo.“

„Dein Ricardo hängt aber immer mit diesen beiden unheimlichen Typen herum. Wenn ich an den mit den langen Haaren denke, dann kriege ich eine Gänsehaut. Der hat gar keine Mimik. Und der andere platzt fast vor Arroganz. Wenn ich den schon reden höre! Wie ein alter Mann.“

„Die beiden mag ich auch nicht, aber es ist mir egal. Ricardo schaut mich auf keinen Fall an, dem bin ich sicher zu kindisch.“

Der Kellner brachte die Getränke, er stellte die beiden Gläser mit Apfelschorle auf einen Untersetzer und fragte, ob sie schon etwas zum Essen gewählt hatten.

„Ich nehme eine Pizza mit Salami und Pilzen und das Geburtstagskind?“

„Ich mag heute keine Pizza, die kann ich jeden Tag haben. Lasagne Bolognese bitte und einen kleinen Salat mit Joghurt-Dressing dazu. Geht das?“

„Natürlich geht das. Darf es danach noch ein kleines Dessert sein?“

Simona schaute den jungen Mann pikiert an.

„Das wissen wir erst, wenn wir aufgegessen haben.“

Nelly sagte streng: „Also nun sei mal nicht so unhöflich. Wir nehmen ein Dessert, aber was, das entscheiden wir später. Danke.“

Der Kellner ging von dannen. Simona redete weiter über Ricardo, in den sie verknallt war, seit sie an der Schule waren. Aber sie hatte recht: Er beachtete sie überhaupt nicht. So ein Typ wie er gab sich nicht mit kleinen Mädchen ab. Sie hörte Simona seufzen.

„… er mich nur einmal küssen würde, das wäre schon toll.“

„Ja, ich gehe am besten morgen mal hin und frage ihn, ob er dich küsst, wenn du dann aufhörst, über ihn zu reden.“

„Untersteh dich!“, rief Simona, die eigentlich immer nur mit dem Mund mutig war, wenn es darum ging, etwas zu tun, dann kniff sie sehr gerne.

Nun mussten die beiden Mädchen lachen.

„Tut mir leid, Süße, ich hatte ganz vergessen, dass heute DEIN Tag ist. Also sage mir, was dich bewegt, jetzt, wo du ein Jahr älter bist. Welcher Junge könnte dich interessieren?“

„Mich interessiert niemand. Ich habe jetzt einen Hund, wer braucht da schon Jungs? Und dann gibt es da noch einen coolen Typen in meinem Freundeskreis. Aber wir sind schon so lange Freunde, da geht das mit einer Beziehung nicht.“

„Wer? Warum weiß ich nichts davon?“

„Oliver ist der Enkel von Bea, der besten Freundin meiner Mutter. Er studiert schon mit seinen einundzwanzig. Darum ist er nur selten bei seiner Oma. Er ist voll süß und nett, aber viel zu alt.“

„Wie sieht er aus? Hat er eine Freundin? Hast du ein Foto?“, bestürmte Simona Nelly mit Fragen, als die Pizza kam.

„Guten Appetit, die Damen. Das Geburtstagkind bekommt noch eine Überraschung.“

Nelly schaute den jungen Mann an und senkte verlegen den Blick.

„Ach, das ist doch nicht nötig. Es ist auch so ganz toll hier. Arbeitest du immer hier? Du bist doch auf unserer Schule, oder?“

„Ja, das Restaurant gehört meinem Onkel und ich verdiene mir mein Taschengeld an den Wochenenden. Und ja, ich bin auf eurer Schule. Dann lasst das Essen nicht kalt werden. Ich bin übrigens Paolo.“

„Danke, Paolo. Dann freue ich mich mal auf die Überraschung.“

Simona sah ihm mit zusammengekniffenen Augen nach.

Sie flüsterte: „Ich glaube, der steht auf dich.“

„Quatsch, der ist nur höflich. Und jetzt iss! Guten Appetit. Gib mir eine kleine Ecke zum Probieren. Magst du von der Lasagne kosten?“

„Nein, lass mal, hier hast du eine Ecke, aber du musst mir nichts abgeben. Nudeln am späten Abend machen dick. Hau rein, Geburtstagskind.“

Nach dem Essen räumte Paolo den Tisch ab, nach drei Minuten kam er mit den Desserts wieder. Es waren zwei Portionen Tiramisu, auf dem einen glitzerten die Funken einer Wunderkerze.

„Die Desserts gehen aufs Haus. Das ist bei Geburtstagskindern immer so.“

Paolo hatte das Wort Kinder extra betont und sah, wie Nellys Lippen ein Strich wurden. Eine Sekunde später war der Ärger fort und sie strahlte.

„Danke, das ist super.“

Paolo ging weg und ein anderer Kellner kam später abkassieren. Nelly nahm das neue Handy und rief ihren Vater an, der in einer halben Stunde kommen würde, um sie wieder abzuholen. Als Nelly sich beim Hinausgehen noch einmal nach Paolo umschaute, sah sie ihn im hinteren Bereich stehen und lächeln. Sie hob den Zeigefinger und winkte leicht. Er zwinkerte nur.

Der Abend endete mit Mädchengeschnatter in Nellys Zimmer. Nelly berichtete ausführlich von Oliver und zeigte Bilder von ihm. Irgendwann wurde es still und der Geburtstag war vorbei.

Nelly hatte in den zwei Wochen nach ihrem Geburtstag Paolo nur einmal kurz in der Ferne auf dem Schulhof gesehen. Nun stand sie mit Simona und drei weiteren Mädchen aus der Klasse vor der Sporthalle. Gleich würde Frau Bürau kommen, die sie seit der fünften Klasse unterrichtete. Nelly kramte in ihrer Sporttasche nach einem Haargummi, denn die strenge Sportlehrerin verlangte von den Mädchen mit langen Haaren einen geflochtenen Zopf. Simona schaute unruhig zwischen den anderen hinunter zum großen Schulhof, wo ihr großer Schwarm Ricardo Linda Vahrek aus der elften Klasse küsste. Die beiden schienen seit einer Woche ein Paar zu sein. Dementsprechend mies war Simonas Laune.

„Was findet er an der? Die ist doch so eine Püppi ohne Hirn.“

Norma sagte trocken: „Die macht mehr als küssen. Ich habe gehört, sie hat schon fast alle Oberstufenschüler durch.“

„So eine Schlampe“, zischte Ina, die Mitleid mit Simona hatte. „Er würde viel besser zu dir passen. Ich finde ihn auch so süß.“

„Verdammt, wo ist dieser blöde Haargummi?“

Nelly hatte nur mit halbem Ohr zugehört, richtete sich nun verärgert auf und warf die Sporttasche zu Boden.

„Hat eine von euch noch einen Haargummi? Sonst muss ich den Hof kehren.“

Die Mädchen schüttelten den Kopf. Simona und Ina benötigten ihren selbst, Norma hatte genauso kurze Haare wie Becky, die wie immer schwieg. In dem Moment bog Heide Bürau um die Ecke. Die drahtige Frau Mitte fünfzig hatte wie immer den mausgrauen Trainingsanzug und die dazu passenden Turnschuhe an, die Scharen von Gymnasiasten zu wilden Geschichten inspiriert hatten. Einige sagten, der Anzug sei ein Erbstück von ihrer Mutter, andere behaupteten, Heide Bürau gesehen zu haben, als sie mit einer große Tasche aus der Kleiderkammer kam. Die Mädchen hatten Angst vor ihr, denn sie war gemein und wenn eine Schülerin unsportlich oder übergewichtig war, wurde sie von ihr vor der ganzen Klasse vorgeführt. Oft gab es Tränen im Sportunterricht.

Nelly trat an die Lehrerin heran und sagte kleinlaut: „Frau Bürau, ich kann meinen Haargummi nicht finden. Darf ich ausnahmsweise …“

Weiter kam Nelly nicht, denn die Lehrerin fiel ihr ins Wort: „Tja, Fräulein, du weißt, was das heißt. Keine Diskussion. Geh zum Hausmeister und hol den Besen und die Kehrschaufel!“

Nelly sah hilfesuchend zu Simona, aber die schüttelte nur den Kopf. Genervt nahm Nelly ihr Sportzeug und die Schultasche und lief die Treppe hinunter zum großen Schulhof, auf dem das Pärchen immer noch knutschend stand.

„Scheiße, so eine blöde Kuh!“, fluchte Nelly und warf ihre Sachen auf die Tischtennisplatte.

Sie sah, wie Ricardo seine großen, gepflegten Hände fest auf Lindas Po drückte und hörte sie dazu kichern. Dann machte sich Linda los, grinste Nelly an und lief eilig ins Haus. Ricardo drehte sich zu Nelly um, klatschte in die Hände und kam auf sie zu. Mit einem lässigen Schwung setzte er sich auf die Tischtennisplatte.

„Haargummi vergessen?“

Nelly nickte. Sie schaute dem Schwarm ihrer Freundin in die blauen Augen mit den langen Wimpern und konnte Simona in diesem Moment gut verstehen. Sein Gesicht war schmal, auch die Nase. Der Mund mit den vollen Lippen wurde von einigen kurzen Barthaaren eingerahmt. Sein dunkelblondes Haar war locker nach hinten gestylt, er trug einen winzigen Stein im linken Ohrläppchen und zeigte ihr nun ein Lächeln mit blendend weißen Zähnen. Unter seinem weißen T-Shirt zeichnete sich ein gut trainierter Oberkörper ab. Seine Haut war glatt und gebräunt und mit einem Windzug wehte Nelly ein edler Duft entgegen. Ricardo zwinkerte ihr zu, rutschte von der Tischtennisplatte und griff nach seiner Schultasche. An der Treppe drehte er sich noch einmal um.

„Und schön sauber machen, Kleine.“

Nelly hatte es die Sprache verschlagen. Was war los mit ihr? Sie konnte nicht mehr atmen und sich nicht bewegen. Eigentlich müsste sie jetzt Besen und Schaufel holen, aber sie war wie versteinert. Dieses Zwinkern am Schluss galt ihr allein. Sie konnte an nichts anderes mehr denken. Oh nein, dachte Nelly, ich bin verknallt. War das die berühmte Liebe auf den ersten Blick? Seufzend kniff sie sich in den Oberschenkel, was sie endlich wieder zur Besinnung brachte.

„Simona, verzeih mir. Ich bin verknallt.“

Dann lief sie zum Hausmeister und begann den Hof zu kehren, nachdem sie das Werkzeug erhalten hatte. Der hatte schmierig gegrinst, denn der wusste genau, warum die Schülerinnen das tun mussten. Er mochte Frau Bürau sehr. Der Schulhof war meist wie geleckt, denn nach der Stunde ging sie mit der Betroffenen über die Steine und zeigte auf jeden noch so kleinen Krümel, der liegengeblieben war. Für die Schülerin war das immer sehr peinlich, darum gaben sich alle sehr große Mühe.

Morgen werde ich mir fünf Haargummis in die Sporttasche packen, schwor sich Nelly insgeheim.

Katja war zuerst zuhause und hatte ihre Schultasche auf dem kleinen Schrank im Flur abgelegt, ehe sie durstig an den Kühlschrank ging, eine halbvolle Wasserflasche herausnahm und in einem Zug leerte. Dann schüttelte sie sich, denn das eisige Wasser hatte ihren Kopf schmerzen lassen. Sie räumte die leere Flasche in den Kasten in der Speisekammer neben der Küche.

Die Tür ging auf und sie hörte Nelly rufen: „Mama, ich bin schon da. Wo bist du?“

„Küche. Hast du Hunger?“

Nelly war zu ihrer Mutter getreten und hatte sie auf die Wange geküsst. Dann fiel ihr ein, dass sie direkt die Haargummis einstecken wollte und rannte ins Bad. Dort riss sie die Dose mit den Sachen für die Haare vom Schrank und schüttete sie auf den Boden. Sie fand vier feste, schmale Gummis und packte sie in die Sporttasche. Ihre Mutter hatte begonnen, einen Salat, zwei Tomaten und eine halbe Gurke zu schneiden.

Als Nelly wieder in die Küche kam, hatte sie sich umgezogen und setzte sich versonnen lächelnd an den großen Küchentisch. Katja war schon aufgefallen, dass ihre Tochter nicht wie sonst gleich lossprudelte, was in der Schule gewesen war, und drehte sich zu ihr um.

„Schatz, ist etwas passiert? Du bist so schweigsam, war dein Tag nicht gut?“

„Ja … nein … ja, doch, er war blöd und gut. Ich hatte meine Haargummis vergessen und musste den Hof kehren.“

Sie schwieg. Katja hatte den Salat und das andere Gemüse in eine Schüssel gegeben und kam nun an den Tisch, um ein Joghurt-Dressing aus der Flasche darüber zu geben.

„War das der blöde oder der gute Teil? Da kommt doch noch etwas? Du siehst aus, als wenn du dich verliebt hättest.“

„Oh Mann, als ich nicht mit in die Turnhalle durfte, habe ich den aufregendsten Jungen getroffen, den coolsten Typen der Schule und er hat mit mir geredet. Er ist so süß. Aber …“

Nelly schwieg resigniert, ihr Blick verfinsterte sich.

„Aber?“

Katja hatte den Tisch gedeckt und frisches Baguette zum Salat aufgeschnitten. Nun sah sie Nelly neugierig an.

„Erstens“, begann diese, wie um sich selbst zu überzeugen, „ist er viel zu alt. Zweitens liebt Simona ihn. Drittens mag ich mich nicht verlieben. Das gibt nur Ärger und endet mit Tränen.“

„Woher hast du denn diese Weisheit?“

„Das hat Simonas Mutter gesagt.“

„So ein Quatsch. Wenn der Richtige kommt, dann weiß man das …“

Plötzlich stockte Katja. Ausgerechnet sie wollte jemandem Ratschläge in Sachen Liebe geben. Sie musste an den langen Weg der Schmerzen und Irrtümer denken, den sie gegangen war, ehe sie endlich die richtige Entscheidung getroffen und zu Christian ja gesagt hatte. Nun grinste sie.

„Es tut mir leid, mein Mädchen, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es manchmal sehr schwer ist, den Richtigen zu finden. Ein bisschen hat Simonas Mutter schon recht: Es gibt oft Ärger und Tränen, aber die Liebe ist etwas Besonderes und manchmal dauert es ewig, bis man sie findet. Manchmal kann man sie auch nicht festhalten und manchmal ist es der Falsche.“

„Warum bist du eigentlich schon so alt? Wolltest du keine Kinder?“

„Das ist eine lange Geschichte.“

„Ich habe meine Hausaufgaben in der Freistunde gemacht. Also habe ich Zeit. Ich bin fast erwachsen, also möchte ich gerne ein wenig mehr über die Vergangenheit wissen.“

„Wir essen auf und dann gehen wir ein Stück mit Wuschel, in Ordnung?“

Wuschel, der die ganze Zeit still und aufmerksam unter dem Küchentisch gelegen hatte, hörte seinen Namen und hob den Kopf. Nelly strich sanft über sein lockiges Fell, dann nickte sie ihrer Mutter zu. Beim Abräumen betrachtete sie Katja genauer. Trotz ihrer sechzig Jahre war ihre Mutter jung geblieben. Sie trug Jeans, ein T-Shirt und war barfuß. Ihre schlanke Gestalt war die eines jungen Mädchens. Nelly überlegte, dass Katja besser und jünger aussah als manche andere Mutter in ihrer Klasse. Das lange, braune Haar hatte sie heute zu einem Knoten gebunden und so fielen die grauen Strähnen kaum auf. Kleine Härchen hatten sich aus dem Knoten gelöst und standen widerspenstig in der Luft.

„Mama, du bist die allerschönste Frau, die ich kenne. Wenn ich mal alt bin, will ich so sein wie du.“

„Du wirst viel besser aussehen, denn du ruhst dich ja aus, statt deiner alten Mama im Haushalt zu helfen. So, zieh dir was an, wir gehen dann los. Komm, Wuschel!“

Der kleine, schwarze Hund schoss unter dem Tisch hervor und sprang an Katja hoch, die die Leine in der Hand hielt. Sie schlüpften in die Turnschuhe und machten sich auf den Weg in die Weinberge. Anschließend wollten sie Christian am Weingut besuchen und gemeinsam mit ihm und Benjamin Kaffee trinken.

„Alter, wo bleibst du denn so lange?“, fragte Kevin, als Ricardos Sportwagen vor der Schule hielt.

„Ich habe noch etwas zu trinken besorgt, also halt die Klappe. Wo ist Martin?“

„Der musste noch dableiben und mit der Chemie-Zicke reden. Wer weiß, was schon wieder los ist.“

Kevin Gruhsek lümmelte sich auf die schmale Rückbank des Autos und zündete sich eine Zigarette an. Er blies den Rauch durch die Tür nach draußen, denn Ricardo war empfindlich, was seinen Wagen anging. Der blonde, langhaarige, junge Mann war spindeldürr und hatte ein sehr schmales Gesicht mit wässrigen, grauen Augen und einer Hakennase. Er war immer blass, selbst wenn er stundenlang in der Sonne war. Kevin war die Nummer Drei in der Clique, Ricardo und Martin wollten ihn erst nicht dabeihaben, aber dann stellte sich heraus, dass Kevin Dinge besorgen konnte, die man heute so brauchte, wenn man etwas auf sich hielt. Er bekam nie ein Mädchen ab und so hatten die Freunde ihm zum letzten Geburtstag den Besuch einer Nutte geschenkt. Kevin hatte hinterher geprahlt, was er für ein toller Kerl war, so sehr hatte er sich dafür geschämt, dass nichts gelaufen war. Die junge Dame hatte sich ehrlich bemüht, aber das einzige, was sie für ihn tun konnte, war zu schweigen über die Schmach.

Im Gegensatz zu Kevin lagen Ricardo die Mädchen und Frauen zu Füßen. Er musste nur lächeln, dann bekam er, was er wollte. Im Moment war Linda, die Schul-Schlampe, ein williges Opfer, das nach seiner Pfeife tanzte. Er hatte aber schon genug von ihr und beschloss, diese Affäre kommende Woche zu beenden. Er würde wie immer einfach anrufen und sagen, er hätte die Liebe seines Lebens gefunden und müsste sich nun ehrlicherweise von ihr trennen. Das zog immer und die Mädchen hatten sogar noch Mitleid mit ihm und wünschten ihm alles Gute.

Martin Bruhneck war ein völlig anderer Typ. Er war zweimal sitzengeblieben und in der Achten in Ricardos Klasse gekommen. Seitdem waren die beiden unzertrennlich. Er war blond wie Kevin, aber seine Haare waren kurz und gepflegt. Martin war ein glatter Schönling, der aussah, als wenn er von einem Werbeplakat heruntergestiegen war. Martin musste schon früh erwachsen werden. Sein Vater war ein bedeutender Regisseur und immer auf irgendwelchen Reisen. Die Mutter war eine reiche Erbin, die sich einen Liebhaber hielt und manchmal sogar mit ins Haus brachte. Martin hasste darum Frauen im Allgemeinen und seine Mutter im Speziellen, obwohl die Mädchen bei ihm Schlange standen. Sie liebten seine düsteren, braunen Augen und den Zug von Arroganz um seine vollen, wunderschönen Lippen. Nur, wenn er vollkommen betrunken war, ließ er sich dazu herab, ein Mädchen zu verführen, welches er am nächsten Tag nicht mehr kannte.

Im Gegensatz zu Martin, der in einer großzügigen Villa am Stadtrand lebte, hauste Kevin mit seinem stets betrunkenen Vater in einer kleinen Hinterhof-Wohnung in der Nähe des Bahnhofs. Seine Mutter war bei seiner Geburt gestorben und sein Vater war daran zerbrochen und heillos mit der Erziehung seines Sohnes überfordert. Es schaltete sich nur nie das Jugendamt ein, weil Kevin ein schlaues Kind war, dem in der Schule das Wissen nur so zuflog. Selbst wenn er schwänzte, was oft vorkam, schrieb er nur Einser. Er hatte schon ein privates Stipendium für die medizinische Fakultät einer deutschen Eliteuniversität und niemand konnte es fassen, dass Kevin noch Bedenkzeit wollte. Aber er war sich nun mal seiner besonderen Begabung nicht bewusst und hatte andere Sachen im Kopf als Lernen.

Endlich kam Martin aus dem Schulgebäude. Ricardo startete den Motor und verkniff sich eine böse Bemerkung, weil Martin die Tür heftig zuknallte.

„Was wollte die Alte von dir?“

„Halt die Klappe, Kevin. Und du fahr endlich los.“

Die beiden jungen Männer zogen nur kurz die Augenbrauen hoch, dann machten sie sich auf den Weg. Sie wussten, dass sie lieber nichts sagten, wenn Martin solch eine Laune hatte. Seine düsteren Augen waren heute noch dunkler und er schnaufte ein paarmal. Sie hielten vor der großen Treppe der Villa von Martins Eltern. Es war niemand daheim, darum ließen sich die drei Freunde in die Sessel im Wohnzimmer fallen.

Martin sah in die Runde und sagte mürrisch: „Ich muss die Scheiß-Klausur wiederholen. Sonst bin ich raus. Ihr müsst mir helfen. Ich habe der Alten versprochen zu lernen, damit sie endlich die Schnauze hält. Die hat die ganze Zeit gelabert von wegen ich wäre immer alleine und bräuchte eine führende Hand.“

Kevin grinste und erwiderte: „Wohin will sie denn ihre führende Hand anlegen? An deine Eier? Die hat dicke Titten, pack sie doch mal an.“

Ricardo schüttelte den Kopf. Er fand Kevin immer noch blöd und mochte seine dummen Sprüche nicht, aber das vergaß er schnell, als der dünne Junge in die hintere Tasche seiner viel zu großen Jeans griff und einen kleinen Beutel mit bunten Pillen zutage förderte.

Ricardo und Martin grinsten.

„Das Wochenende ist gesichert, Männer. Ich habe die für einen Hunderter bekommen.“

„Kevin, du bist ein Arsch, aber ein ziemlich cooler. Ricardo, was denkst du, die Klausur ist Mittwoch, kannst du mir bis dahin auf die Sprünge helfen?“