True Love - Jerome Oster - E-Book

True Love E-Book

Jerome Oster

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Beschreibung

Kiki Aster und Charles Krzysztof sterben im Kugelhagel. Der Täter scheint schnell gefunden. Das Model und der Galeriebesitzer wurden zum Opfer eines klassischen Tatmotivs: Eifersucht. Der Ex-Ehemann und Basketballstar Robert Powell soll die tödlichen Schüsse abgegeben haben. Dessen Alibi ist dünn, und sein Wagen mit dem auffälligen Kennzeichen 3PTLAND wurde zur Tatzeit am Tatort gesehen. Für das Cop-Duo Janet Truelove und Mabel Segura scheint der Fall eindeutig zu sein. Doch Powells offenkundige Vorliebe für rothaarige Luxus-Callgirls und harte Sex-Spiele bringen die Cops auf eine ganz andere Spur, und die führt direkt zum organisierten Verbrechen im Spielerparadies Atlantic City. Zweifelsohne ließ sich Jerry Oster von dem spektakulären Mordfall O. J. Simpson inspirieren. So finden in »True Love« sowohl die Anhänger reiner Krimi-Action als auch die auf Tiefe bedachten Intellektuellen, die im Genre des Kriminalromans einen Reflex der realen Welt suchen, faszinierenden Lesestoff. Vielfältige Handlungsstränge laufen wie Fäden einer Spinnmaschine zusammen und kulminieren in einem furiosen Höhepunkt. Die Komplexität und stilistische Raffinesse machen den Reiz dieses Romans aus, und so collagiert er die zersplitterten Elemente des Großstadtlebens zu einem raffiniert komponierten Sittengemälde. »In Jerry Osters grotesken Kriminalromanen ist New York ein Alptraum mit Klimaanlage.« Männer Vogue (GQ)

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Seitenzahl: 319

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True Love

NYC Novels #6: EXPERIENCE BLUES

Jerome Oster

Übersetzt vonJürgen Bürger

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Anmerkungen

Über den Autor

Mehr spraybooks …

Titel der amerikan. Originalausgabe »Experience Blues«, 1995

Copyright © 1995, 2020 by Jerome Oster

Copyright der deutschen Übersetzung © 1996, 2020 by Jürgen Bürger

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

ISBN: 978-3-945684-23-8

eBook v1.0, November 2020

Copyright © dieser Ausgabe bei spraybooks Verlag, Köln, 2020

Redaktion + Korrektorat: Ute Lüers

spraybooks Verlag Bielfeldt und Bürger GbR, Remigiusstr. 20, 50999 Köln

www.spraybooks.com

Jerome Oster: Die New York Times bezeichnete ihn als den besten Krimi-Autor der 1990er Jahre. Diese Meinung teilte seinerzeit auch der Kritiker Rudi Kost: »Man könnte meinen, man habe mittlerweile so ziemlich alles erfahren über die Schattenseite New Yorks. Aber diese Stadt ist noch längst nicht abgeschrieben, wie Jerome Oster in literarisch ausgefeilter Form beweist.«

1

Direkt vor Tony Dantes Haus war eine Parklücke frei, aber ein Subaru-Kombi bog vor Tonys Dodge Daytona in die Garden ein und schnappte ihm die Lücke vor der Nase weg.

»Kratz ab, Yuppie-Abschaum«, knurrte Tony und sah beifallheischend Angela Palermo an, die in schwarzem Mikromini, roter Seidencorsage und schwarzen Plateauschuhen neben ihm auf dem Beifahrersitz saß.

Angela lachte und schob eine Hand zwischen Tonys Schenkel. »Kratz ab, Yuppie-Abschaum«, wiederholte sie.

»Kratz! Ab! Yuppie! Abschaum!« Tony legte sich im Takt seiner Worte auf die Hupe.

Angela klatschte mit. »Kratz! Ab! Yuppie! Abschaum!«

Die Parklücke zu verlieren bedeutete, den ganzen Weg bis zur Jefferson zurückfahren und die Suche durchs ganze Viertel von vorne anfangen zu müssen. »Sonntagabends ist es immer die Hölle«, knurrte Tony. »Alle sind zu Hause, keiner ist unterwegs.«

Angela drückte Tonys Bein. »Wo du recht hast, hast du recht. Sonntags ist’s immer die Hölle.«

Tony bog links auf die Jefferson ein, und einfach so war er da, direkt hinter der Stoßstange von Robert Powells silbernem Benz, gar keine Frage, das war das von Küste zu Küste bekannte und berühmte Nummernschild:

»Heilige Mutter Gottes! Siehst du den geilen Benz da, Ange?«

Angela legte auf diese Art ihren Zeigefinger an die Lippen, die Tony echt wahnsinnig machte, es war, als würde sie den Rauch aus dem Lauf einer Kanone blasen, mit der sie eine Supermutter weggeputzt hatte, die Tony anbaggern wollte. »Du hast ja so recht, Tony. Geile Karre.«

»Nicht nur das, Babe. Schmeiß mal nen Blick aufs Nummernschild.«

Angela hob auf diese umwerfende Art ganz langsam ihre Nase, dass Tony sie am liebsten von oben bis unten abgeleckt hätte. Es war, als würde sie voller Verachtung die Supermutter taxieren, die nicht wusste, dass Angela auch noch da war, als würde sie der Supermutter auf die Schulter tippen und sagen: »Jaaa?« Angela demontierte das Nummernschild: »… Drei … Pttt … Drei Pott Land?«

»Drei–Punkte–Land«, sagte Tony. »Drei–Punkte–Land. Das ist Robert Powells Karre, Babe. Robert Powell, der König der Dreier, der Duke der Wegputzer, der Prinz der Feldlinien. Absolut obergeil ist das.«

»Du hast ja so recht«, sagte Angela. »Wenn das da Robert Powells Karre ist, dann ist das so was von absolut obergeil.«

»Nicht, wenn, Babe«, korrigierte Tony. »Nicht, wenn. Vertrau mir. Das ist abso-geilo-lut Robert Powells Karre.«

Tony bog nicht zu einer weiteren Runde durchs Viertel links auf die Ninth Street ab. Er blieb auf der Jefferson, blieb direkt hinter dem Benz, versuchte durch die getönte Heckscheibe was zu erkennen.

»Die Frage ist nur: Was zum Geier hat der King im ’Boken zu suchen?«, sinnierte Tony laut. »Hat er sich vielleicht verfahren, oder was?«

»Wo du recht hast, hast du recht, Tony«, meinte Angela. »Wenn der King im ’Boken ist, dann muss er sich wohl verfahren haben.«

»Kannst du einen drauf lassen.« Tony klopfte mit der Faust auf den Schaltknüppel. »Kannst du voll einen drauf lassen. Jede Wette, der ist aus dem Tunnel gekommen, sucht die Turnpike, weiß nicht, dass er die Route 9 nehmen muss, lange Rede, kurzer Sinn, und schwupps ist er im ’Boken gelandet. Jede Wette war’s so. Ich wette, so war’s.«

»Er hat die Turnpike gesucht«, sagte Angela einfach.

»Aber er fährt die Küste runter«, sagte Tony. »Er hat eine Bude unten an der Küste. In Spring Lake. Auf der anderen Seite von Asbury. Auf der anderen Seite von Bradley Beach und alles. Eine Villa. Da hängt er immer ab mit, du weißt schon, Denzel Washington und den ganzen Typen. Mit Ice T, Toni Braxton und so Leuten. Lange Rede, kurzer Sinn, ich mach jede Wette, genau dahin will er jetzt.«

»Überhaupt keine Frage, dass er jetzt die Küste runterfährt, um mit Toni Braxton zu chillen«, bestätigte Angela.

Als sie sich einer roten Ampel am Observer Highway näherten, debattierte Tony ernsthaft mit sich, ob er aussteigen, zu dem Benz rüberflitzen, an die Scheibe klopfen und Robert Powell um ein Autogramm bitten sollte. Aber a) hatte Tony weder Papier noch Kuli oder Bleistift oder sonst irgendwas zur Hand, und b) hielt Robert Powell nicht vor der roten Ampel, er tippte nur einmal kurz auf die Bremse, dann ließ er den Benz weiter über die Kreuzung gleiten.

»Scheiße, häh? Ich meine, wenn der nicht hält, dann halte ich auch nicht«, sagte Tony. »Ich meine, hab ich recht oder hab ich recht?«

»Absolut, Tony«, sagte Angela. »Wo du recht hast, hast du recht. Scheiß doch drauf. Halt nicht an.«

Obwohl Angela Palermo, also, die echte Angela Palermo, nicht mal in der Nähe des Beifahrersitzes von Tony Dantes Dodge Daytona war, sie war nämlich bei ihrem Mann, Paul Dante, Tonys verschissenem Bruder, eine Meile weit weg und sechs Stockwerke über der Erde in einer Wohnung an der Hudson Street, machte Tony trotzdem genau das, wozu sie ihn anfeuerte, und er glitt ebenfalls über diese Kreuzung und folgte Robert Powells Benz ins finsterste Jersey City.

Zwei Stunden später knirschte Robert Powells Benz mit gelöschten Scheinwerfern über den angewehten Sand auf einem Parkplatz in Ocean Grove und fuhr bis direkt an die hölzerne Uferpromenade. Der Motor wurde ausgeschaltet, und dann stand der Wagen einfach da, die teure Karosserie knackte beim Abkühlen, auf den teuren Lack peitschte Sand und vom Wind mitgerissene Gischt, als wäre er den ganzen weiten Weg allein deswegen gekommen und wollte jetzt nicht mehr weiterfahren, nein, danke, nicht an so einem miesen Abend wie diesem, noch keine Woche nach dem Labor Day, aber trotzdem war’s schon wie im Herbst, also, praktisch schon so wie im Winter.

Zwanzig Minuten stand der Wagen einfach nur da.

Dann ging schließlich die Fahrertür auf, und Robert Powell stieg aus, seine vollen zwei Meter. Er warf die Tür hinter sich zu, verriegelte sie mit einer lässigen Bewegung der Fernsteuerung und erklomm die Stufen hinauf zur Uferpromenade. Der Wind fuhr unter seinen langen Trenchcoat und blähte ihn auf. Powell überquerte die Promenade und blieb am Kopfende der hinunter auf den Strand führenden Treppe stehen. Er schaute nach links, er blickte nach rechts, sah wieder nach links und ging schließlich die Treppe hinunter.

Es war Nippflut mit geringem Wasserstand, und Robert Powell trat aus dem Lichtkegel der Straßenlaterne oben auf der Uferpromenade, ging hinunter bis zur Hochflutlinie, hinunter bis zum nassen Sand, hinunter zum Atlantik, hinunter in die Nacht, weiter hinaus auf die Mole aus dicken Steinplatten und Felsblöcken, weiter hinaus Richtung Europa oder Afrika oder was immer da draußen liegt.

Die Steinplatten und Felsblöcke waren wasserschlüpfrig, schleimschlüpfrig, und auch wenn er vorsichtig auf Zehenspitzen bis ans Ende der Mole ging, rutschte Robert Powell doch einmal aus und stürzte zunächst um ein Haar, stürzte dann tatsächlich, fiel hart auf die linke Hüfte, den linken Ellbogen. Langsam richtete er sich wieder auf, erinnerte für einen Augenblick an eine zwei Meter große Spinne, die Finger ausgestreckt und auf den Steinplatten und Felsblöcken nach Halt suchend, nach Balance, während sich die Beine langsam durchdrückten, der Rücken sich krümmte, sein Nacken sich beugte.

Dann stand Robert Powell wieder in voller Größe da und tastete seine linke Seite ab. Er holte tief Luft und setzte den Weg bis ans Ende der Mole fort. Dort hatte er es urplötzlich ungeheuer eilig, nahm etwas aus der Tasche seines Trenchcoats und warf es weit hinaus ins Meer.

Während er von seinem Beobachtungsposten unter der Uferpromenade zuschaute, wohin er von seinem Daytona aus gekrochen war, den er nicht auf dem Parkplatz abgestellt hatte, sondern auf der Straße, auf der anderen Straßenseite, vor dem Nachbau eines Hauses im viktorianischen Stil, wurde Tony Dante durch Robert Powells Wurf an so ungefähr den berühmtesten 3–Punkte–Wurf erinnert, den der König der Dreier je hingelegt hatte, vielleicht war’s ja sogar der berühmteste 3–Punkte–Wurf aller Zeiten. Gegen keinen geringeren Gegner als die verschissenen Knicks, die Mannschaft von Tonys verkacktem Bruder, und noch dazu immerhin im Square Garden, nur noch sieben Zehntelsekunden zu spielen, die verschissenen Knicks mit zwei Punkten vorne, die mussten nichts anderes mehr tun, als die wenige Zeit bis zum Abpfiff mit Laufen abreißen, und da streckt Robert Powell eine Hand aus, nimmt keinem geringeren als Derek Harper die Pille ab, wirbelt herum, bringt den Ball völlig cool auf den Weg, hat überhaupt keine Eile, macht’s lässig mit einer Hand, ein gerader Wurf mit gestrecktem Arm über Kopf, wie ein Quarterback beim Football oder ein Baseball-Rightfielder, der den langen Wurf zum dritten Base macht, lässt das Ding über drei Viertel des Spielfelds fliegen, schlägt ihn hoch bis irgendwo unter die Dachsparren, vorbei an den Transparenten und Trikots der ehemaligen verschissenen Knicks, dann kommt der Ball wieder runter runter runter, von ganz weit oben, und segelt genau in den Korb, wuschschsch, jaaaa, nada als Netz. Pashas eins-zehn, Knicks eins-null-neun. Lies es und heul doch!

Aber es gab einen Unterschied. Diesen Ball pfefferte Robert Powell mit absoluter Gewissheit, was das Ziel betraf. (Tony war natürlich nicht dabei gewesen. Er wäre nicht mal dann in den Square Garden gegangen, wenn er eine Karte hätte kriegen können, für den Fall nämlich, dass er zufällig seinem verkackten Bruder in die Arme lief, der manchmal Karten von einem Typen kriegte, mit dem er kegeln ging, ihm dort mit Angela Palermo in die Arme lief, wo er sich dann Typen ansehen musste, die sie anglotzten und dachten, Maaann, ich hätt’ überhaupt nichts dagegen, wenn die sich mal auf mein Gesicht setzt, die Tony anglotzten und dachten, Was zum Geier hat der Typ, dass die sich auf sein Gesicht setzt, was hat er gemacht, hat er im Lotto gewonnen oder was, muss wohl, dieser Scheißkerl von einem Glückspilz. Aber für ihn war’s genauso, als wäre er dabei gewesen. Er hatte das Video mit den Höhepunkten des Spiels oft genug gesehen, er hätte genauso gut dabei gewesen sein können. Den Leuten erzählte er immer, dass er dagewesen war – scheiß doch der Hund drauf, wer will was anderes behaupten?) Robert pfefferte diesen Ball mit absoluter Gewissheit, was das Ziel betraf, er dröhnte das Ding ab und wusste einfach, dass er glatt durch den Korb segeln und zu ihm zurückkommen würde, zurück genau in seine Hände, hat überhaupt nichts mit Zauberei zu tun oder so, es ist einfach, du verstehst schon, irgendwer schnappt sich die Pille und gibt sie dem Prinz der Feldlinien, damit er sie sich auf den Kamin stellen kann oder weiß ich, er könnte sie sich bronzieren lassen oder irgendwas, Der–Ball–von–einem–der–längsten–3–Punkte–Würfe–aller–Zeiten–wenn–nicht–sogar–der–längste–jemals–geworfene oder so was.

Das Ding jedoch, das Robert Powell in den Atlantik pfefferte, was immer es nun war, unmöglich zu sagen für Tony Dante, wie er sich da unter die Uferpromenade quetschte und mit zusammengekniffenen Augen in die Schwärze stierte, dieses Ding pfefferte Robert Powell, als wollte er es in seinem ganzen Leben nicht mehr wiedersehen.

2

»›I woke up one morning‹«, sang Janet Truelove, »›walking ’cross my floor. I woke up one morning, walking ’cross my floor. I’m gonna relieve you baby, I don’t need you no good no more.‹« Und sang:

You didn’t mean it, baby, you had no right to lie.

You didn’t mean it, baby, you had no right to lie.

Go, go, baby, go, and see her till you die.

I’m talking ’bout a man, a man by the name of John.

I’m talking ’bout a man, a man by the name of John.

He’s the meanest man that ever lived under the sun.

You sit here drinking, just look what you done done.

You sit here drinking, just look what you done done

Lord, you treat me like my troubles have just begun.

Lord, you left me worried, that’s why I’m all confused.

Lord, you left me worried, that’s why I’m all confused.

That’s why I’m screaming these old experience blues.

»Danke. Vielen Dank.« Truelove deutete mit einer ausholenden Handbewegung auf den Klavierspieler. »Ron Alexander!« Sie beteiligte sich an dem Applaus für Ron und warf ihm eine Kusshand zu. Sie verbeugte sich noch einmal, dann verschwand sie hinter der Bühne und wartete auf Ron.

»Würg«, sagte Truelove und umarmte Ron.

»Mal gewinnt man, mal verliert man. ›Mama’s Blues‹ ist doch spitze gelaufen.«

»Was dir zu verdanken ist. ›Lovesplosion‹ hat super geklungen.«

»Es wird so langsam.«

»Ich liebe dich, Ronnie. Wir seh’n uns in zwei Wochen.«

»Ich liebe dich auch«, erwiderte Ron. »Bis dann.«

Janet Truelove zwängte sich in die sogenannte Garderobe, schlüpfte aus ihrem kleinen Schwarzen und den hochhackigen Pumps und zog Jeans, T-Shirt und Reeboks an. Ihre Bühnenkleidung stopfte sie in einen Matchbeutel und warf ihn sich über die Schulter. Sie schob einen Finger durch den Aufhänger ihrer Lederjacke, verließ das Gebäude durch den Bühnenausgang auf eine Gasse und ging nach vorn zum Vordereingang.

Rocky saß an der Bar und las die News. J.J. trocknete Gläser ab. Aus der Anlage rieselte Herbie Hancock.

»Dy-na-mit!«, meinte Rocky.

»Genau.«

»Gutes Programm«, meinte J.J.

»Einen Weißwein, bitte, Jadge. … Und, danke.«

Janet Truelove ging mit ihrem Glas zu dem Tisch, an dem Mabel Segura und Farrell Coughlin saßen und schmusten. Sie ließ ihren Kram auf einen Stuhl fallen, zog sich einen anderen heran, drehte ihn um und setzte sich rittlings darauf. »Tut mir leid, Leute.«

»Du warst spitze«, sagte Segura.

»Überragend«, sagte Farrell.

»Zweimal Meineid«, kommentierte Truelove.

»Mir hat ganz besonders dein Kleid gefallen«, sagte Farrell. »Extrem feuergefährlich.«

Segura kniff ihm in die Wangen. »Du musst es ja wissen, Herzchen.« Farrell war Brandermittler bei der Feuerwehr. »Lass deinen Schlauch aber schön aufgerollt, okay?«

»Au!«, machte Farrell.

»Mir hat besonders die Zugabe gefallen«, sagte Segura. »Wie heißt das Stück?«

»Experience Blues.«

»Ooh. Das gefällt mir. Davon hab ich reichlich. Blues mit Erfahrungen, meine ich.«

Trueloves und Seguras Pieper gingen gleichzeitig los.

»Verstehst du, was ich meine?«, sagte Segura.

Farrell sackte zusammen. »Nicht heute Abend, Mabel.« Er sprach ihren Namen MEI-ball aus, wie’s die Amerikaner machen, statt Mah-BELL, wie die Hispanics, wie sie selbst, was bedeutete, er war wirklich enttäuscht.

Sie drückte seine Hand. »Tut mir leid, Süßer.«

»Ich übernehme das«, sagte Truelove. »Macht einen Quickie, wenn ihr Lust habt.« Sie ging hinter die Theke, nahm den Hörer des Telefons ab und wählte die Nummer der Einsatzzentrale. »Detective Truelove, Midtown West. Ich rufe auch für Detective Segura an, gleiche Einheit.«

»Momentchen, Detective«, antwortete die Frau in der Zentrale.

Rocky blätterte eine Seite seiner Zeitung um. »Die gnadenlose Stadt.«

»Du sagst es.«

Die Zentrale meldete sich wieder. Die Frau sagte, sie werde Truelove jetzt zu Bel Geddes am Tatort durchstellen.

Knack, knister, peng! Die Wunder der modernen Telekommunikation. Ein Freizeichen. Dann nichts mehr, absolut nichts. Dann statisches Rauschen. Schließlich: »Bel Geddes hier.«

»Truelove.«

»Zwei zum Preis von einem. West Eight-four, West End und Riverside. Bringen Sie ne Zahnbürste mit.«

»Ach?«

»Das wird eine harte Nuss und uns noch ordentlich auf die Eier gehen. Oh, he, ’tschuldigung. Kleiner sexistischer Ausrutscher. Ich weiß einfach nur nicht, wie ihr Leute dazu sagt.«

»›Ihr Leute‹?«

»Sie wissen schon, was ich meine – ihr Frauen.«

»Wir nennen’s auch harte Nüsse. Wie sieht’s aus?«

»Die Opfer sind Kiki Aster, dieses Model, Robert Powells Ex –«

»Robert Powell?«, wiederholte Truelove. Es kam ihr einfach so über die Lippen. Sie drehte Rocky den Rücken zu, auch wenn sie genau wusste, dass er es mitbekommen hatte.

»Und dann noch ihr Lover. Oder jedenfalls ein Kerl. Charles Kiz-Kris-Krzysztof. Charles Krzysztof. Inhaber einer Kunstgalerie. Fifty-seventh Street.«

»East oder West?«

»Spielt das eine Rolle?«

»Es spielt immer eine Rolle.«

»East.«

»Das bedeutet, er ist ein arrivierter, alter Hase.«

»Tja, also, jetzt ist er kein alter Hase mehr, jetzt ist er tot.«

»Und was ist mit Powell?«

»Un-be-kannt.«

»Sie wollen also, dass wir ihn ausfindig machen?«

»Wenn’s recht ist, okay? Und seid vorsichtig. Der Tatort ist ein vierstöckiges Brownstone. Powell hat früher ebenfalls hier gewohnt … als sie noch verheiratet waren. Keinerlei Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen. Der Täter hatte einen Schlüssel. Oder sie haben ihn reingelassen. Oder er ist einfach so reinspaziert. Die Tür hinten raus führt auf einen Garten. War nicht abgeschlossen. Die zwei sind in so was wie einem Fernsehzimmer im ersten Stock genietet worden. Sie haben sich anscheinend gerade ein Video reingezogen – The Last Day at Chess Noose oder so. Noch nie davon gehört.«

»Chez Nous«, korrigierte Truelove. »›The Last Days of Chez Nous‹. Ein australischer Film mit diesem deutschen Schauspieler in der Hauptrolle. Wie heißt er noch schnell … Bruno. Bruno Ganz. Der aber einen Franzosen spielt. Interessanter Film.«1

»Tja, schön und gut, aber ich hab trotzdem noch nie davon gehört«, erwiderte Bel Geddes. »Falls es Ihnen nichts ausmacht, wenn ich fortfahre: Die Tatwaffe war eine Neunmillimeter. Allem Anschein nach hat der Täter zwei Magazine leergeballert – eins pro Opfer. Hat nicht besonders oft danebengetroffen.«

»Kein Scheiß? Zwei Magazine?«

»Sie sind wahrscheinlich zu jung, um sich noch an Fearless Fosdick erinnern zu können.2 Genau so sehen die zwei nämlich aus – voller Löcher. Ein Nachbar hat die Schüsse gehört, hat sie gemeldet. Allerdings nicht direkt. Wir sind schließlich in New York. Ständig ballert irgendwo irgendwer mit einer Kanone rum. Der Nachbar konnte von seiner Wohnung aus in das Brownstone hineinsehen. Für ihn sah’s aus, als würden die zwei fernsehen. Nach einer Weile ist ihm dann aufgefallen, dass sie sich nicht bewegt hatten und auch nicht mehr bewegen würden. Der Notruf erfolgte um dreiundzwanzig Uhr dreizehn. Gut möglich, dass die Nietung bereits um zweiundzwanzig Uhr gelaufen ist.«

»Weiß die Presse schon davon?«

»Noch nicht, aber bald. Vor dem Haus haben sich inzwischen ziemlich viele Schaulustige eingefunden. Powell wohnt im Peck Towers. Wir haben mehrfach versucht, ihn telefonisch zu erreichen, aber es geht keiner ran. Er hat einen Telefonservice, und wenn man an denen vorbeikommt, kriegt man seinen Anrufbeantworter. Ich sollte vielleicht mal eine Nachricht hinterlassen. Gut möglich, dass ich dann doch noch zu meinem Nickerchen komme.«

Truelove drehte Rocky wieder den Rücken zu. »Klingt ziemlich nach einem zweiten O.J., oder?«

»Ach ja, bevor ich’s vergesse …«, fuhr Bel Geddes fort. »Powell besitzt einen Waffenschein für eine Neunmilli. Seien Sie also vorsichtig.«

»Immer!« Truelove legte auf.

Rocky faltete seine Tageszeitung zusammen und klopfte sie auf der Theke zurecht. »Was war das gerade mit Robert Powell?«

Truelove stellte das Telefon zurück. »Gutes Publikum heute Abend, Rock.«

»Erzähl mir jetzt bloß nicht, er zieht sich zurück, um mit Baseball anzufangen oder so. Oder Eishockey. Ich hab das mit Michael immer noch nicht verkraftet.«

»Michael wer?«

»Wir haben hier einen zweiten O.J., stimmt’s?«, fragte Rocky.

»Wer ist Fearless Fosdick?«, konterte Truelove.

3

Der Portier im Peck Towers war Sonntagabend um zehn Uhr zur Arbeit gekommen. Während seiner Schicht hatte Robert Powell das Penthouse weder betreten noch verlassen.

»Rufen wir doch mal den Knaben an, den Sie abgelöst haben«, schlug Segura vor.

»Der schläft bestimmt.«

»Dann wecken wir ihn eben.«

»Ich hab seine Nummer nicht.«

»Dann holen wir eben Ihren Chef aus dem Bett.«

»Kann gut sein, dass ich die Nummer doch habe. Im Büro liegt eine Liste.«

Sie fanden die Telefonliste und die Nummer. Truelove benutzte das Telefon im Büro.

»Der wird bestimmt nicht begeistert sein«, meinte der Portier. »Er ist frisch verheiratet.«

»Dann wird er noch nicht schlafen, sie wird auf seinem Schwanz sitzen. Was meinst du, Mabs?«

»Frag nicht mich. Ich war nie verheiratet. Läuft das so?«

»O ja.« Truelove lachte. »Dauernd.«

»Sie sind nicht verheiratet?«, fragte der Portier Segura. »Hätten Sie vielleicht Interesse an einem Date?«

»Aus welchem Land kommen Sie?«, fragte Segura.

»Kroatien.«

»Ich bin Bosnierin«, sagte Segura. »Das würde nie gutgehen.«

Eine Frau meldete sich. »Hallo?«

»Pat Doyle, bitte«, sagte Truelove.

»Ich hab dir doch verboten, hier anzurufen.«

»Ist auch bestimmt das letzte Mal. Ich schwör’s.«

»Das hast du beim letzten Mal auch gesagt. … Sie ist’s schon wieder.«

Doyle nahm seiner Frau den Hörer ab. »Gottverdammt noch mal, Iris!«

»Detective Janet Truelove am Apparat, New York City Police Department.«

Das wirkte. »Jaaa?«

»Hat Robert Powell während Ihrer Schicht seine Wohnung betreten oder verlassen?«

»Robert Powell?«

»Machen Sie das doch nicht, Pat. Deshalb haben Sie all den Ärger mit Iris und wie heißt sie noch schnell. Die Leute stellen Ihnen eine einfache Frage, und Sie geben keine einfache Antwort.«

»… Er ist so gegen sechs gegangen. Aber gesehen hab ich ihn nicht, er ist durch die Garage raus. Viertel vor hat er angerufen, damit sein Wagen zur Rampe raufgeholt wird.«

»Haben Sie das gemacht?«

»Für so was haben wir Berto.«

»Und Berto ist wer …?«

»Berto ist, Sie wissen schon, eben Berto.«

»Haben Sie Powell während Ihrer Schicht überhaupt gesehen?«

»Nein.«

Im Hintergrund sagte die Frau: »Pa-h-at. Was ist lo-h-os?«

»Sie ist ein Cop. Sie stellt mir Fragen.«

Die Frau schnaubte verächtlich. »Ja, klar!«

»Ist irgendwer rauf zu Powell?«, fragte Truelove.

»Nein.«

»Irgendwelche Anlieferungen?«

»Nein.«

»Ist das normal – ihn nicht zu sehen, keine Besucher bei ihm?«

»Irgendwie schon, ja. Powell geht oft aus, und wenn er zu Hause ist, dann kommen Leute zu ihm rauf, besonders …«

»Besonders femmes.«

»Er steht auf Laufkatzen, solche Mädchen von, Sie wissen schon, Begleitagenturen. Manchmal hat er drei oder vier die Woche.«

»Immer dieselbe oder verschiedene?«

»Die sind schon verschieden, aber irgendwie sind sie auch immer gleich, wenn Sie verstehen, was ich meine. Alles Rotschöpfe.«

»Und alle, wenn ich das jetzt richtig verstehe, weiß?«

»Je blasser desto besser. So sieht’s wenigstens für mich aus.«

»Woher wissen Sie, dass es Laufkatzen sind? Powell hat sie bestimmt nie so genannt. Nennen die sich selbst so?«

»Ich weiß es einfach, verstehen Sie. Laufkatzen sind, Sie wissen schon, eben Laufkatzen. Die sind wie die Jungs vom Pizzaservice. Die kommen hier an, finden’s gar nicht toll, eine heiße Pizza bis ganz nach oben schleppen zu müssen, sie kommen wieder runter, sie fühlen sich etwas besser, sie sind die Pizza los und haben ein Trinkgeld in der Tasche. Man weiß es einfach, verstehen Sie.«

»Wird oft Pizza ins Peck Towers geliefert?«, fragte Truelove.

»Sie würden staunen … Diese Mädchen – die benutzen alle denselben Namen. Ist so was wie ihr Passwort bei ihm.«

»Wie praktisch. Welchen Namen denn?«

»Kiki.«

»Kiki.«

»Kiki. Falls Sie’s nicht wissen: er war mal mit einem Mädel namens Kiki verheiratet.«

»Doch, wusste ich«, sagte Truelove.

»Bevor er hier eingezogen ist. Davor hat er irgendwo auf der West Side gewohnt.«

»West Eighty-fourth.«

»So was in der Richtung, ja. Also vermute ich, dass er einen Fimmel hat von wegen Mädchen namens Kiki oder so. Kiki ist ein Rotschopf. Ich hab Fotos gesehen. Die Mädchen, die Powell sich kommen lässt, die tragen manchmal Perücken. Rote Perücken.«

»Rote Perücken.«

»Ja. Die Mädchen. Manchmal. He, was hat Powell überhaupt gemacht?«

»Danke für Ihre Hilfe, Mister Doyle. Wirklich sehr nett von Ihnen. Wir schicken jemanden vorbei, wenn Sie auf der Arbeit sind. Der Kollege wird Ihre Aussage offiziell aufnehmen, die Sie dann noch unterschreiben müssten. Viel Glück für Ihre Ehe.«

»He, tun Sie mir einen Gefallen, okay? Ich geb Ihnen jetzt noch mal Iris. Sagen Sie ihr, dass Sie ein Cop sind. Iris, hier, hey, nimm den Hörer. Hör zu, hör zu, was sie sagt. Sind Sie noch dran? Na los, sagen Sie’s ihr, sagen Sie, dass Sie ein Cop sind. Hier. Nimm ihn. Nimm ihn. Und hör gut zu.«

»H-hallo?«

»Mrs. Doyle, Detective Truelove am Apparat, New York Police Department. Ich habe angerufen, um Ihrem Mann einige Fragen über einen Mieter im Peck Towers zu stellen. Das ist alles.«

»Und?«

»Wollte nur, dass Sie das wissen.«

»Jetzt weiß ich’s. Was mach ich jetzt?«

Truelove seufzte. »Gute Nacht, Mrs. Doyle.«

Iris Doyle legte auf.

»Was?«, fragte Segura.

Truelove legte ebenfalls auf. »Sie wollte mir irgendwas sagen.«

Umberto Pabon sprach nur un poco Englisch, also unterhielt sich Segura mit ihm auf Spanisch. Er erzählte, Robert Powell habe sich wie üblich bei ihm bedankt, habe ihm wie üblich low five gegeben und wie üblich einen Fünfdollarschein, und sei dann, ebenfalls wie üblich, ohne ein weiteres Wort abgedüst. Er war weder gereizt, erregt, gedankenverloren noch in Eile. Berto machte um neun Feierabend, und zu diesem Zeitpunkt war Robert Powell noch nicht wieder zurück. Am späten Sonntagabend war niemand da, der sich um die Garage kümmerte, der Portier ließ Mieter rein und raus, aber parken oder ihre Autos holen mussten sie dann schon selbst.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Segura.

»Wir können anfangen, Nachbarn aus dem Bett zu holen, oder wir tun erst mal gar nichts«, sagte Truelove.

»Dann lass uns gar nichts tun«, meinte Segura. »Wenn wir sie wecken, werden wir ihnen sagen müssen, wir können ihnen nicht sagen, warum wir sie wecken, und dann sagen die doch keinen Piep mehr. Wenn wir uns bis sieben oder so nicht rühren, und falls Bel Geddes recht hat, dass die Presse die Story schon hat, dann werden sie Bescheid wissen und förmlich darauf brennen, mit uns zu reden. Die menschliche Natur. Oder Powell kommt angebraust, was dann bedeutet, dass wir in sämtlichen Zeitungen stehen werden.«

»Apropos in der Zeitung stehen«, sagte Truelove. »Krzysztof, das andere Opfer. Ich hab schon mal was über ihn gelesen. Hatte allerdings nichts mit Kunst zu tun. Hatte mit einer Nietung zu tun.«

Sie dachten nach.

»Ein Restaurant«, sagte Segura.

»Das Far West«, sagte Truelove. »Der Inhaber hat nebenbei mit Äitsch gedealt, ist damit einer jamaikanischen Posse in die Quere gekommen, und die haben ihn dann genietet.«

»Albertini«, sagte Segura. »Nein – Albreghetti.«

»Albreghetti. Genau. Albreghetti.«

»Er war nicht der Inhaber, der Laden hatte einen ganzen Haufen Inhaber, aber Krzysztof war einer von ihnen. Kim hat seinerzeit den Fall bearbeitet.«

»Kim Kenny oder Charlie Kim?«

»Kim Kenny. Willst du den Chef anrufen?«

»Mach du das.«

Sie stiegen vor dem Peck Towers in ihren Wagen, und Segura rief Bel Geddes an.

Pannesi meldete sich. »Der Cap ist unterwegs, um mit ein paar Bürgern zu reden, die gegen halb zehn mit ihren Hunden draußen waren und der Besatzung des ersten, am Tatort eintreffenden Streifenwagens erzählt haben, sie hätten einen silbernen Benz gesehen, was wiederum exakt Roberts Karre wäre.«

»Gute Bürger?«, fragte Segura.

»Bessere haben wir nicht.«

»Arbeitet Kim Kenny an dem Fall?«

»Ich meine, ich hätte sie hier irgendwo gesehen. Warum?«

»Krzysztof?«

»Wer? Oh, ja. Das andere Opfer.«

»Er hatte was mit einem gewissen Albreghetti zu tun, den Vornamen habe ich vergessen, der Mann ist letzten Sommer genietet worden, ich glaube wenigstens, dass es letzten Sommer war, und zwar von ein paar Jamaikanern. Ging um Äitsch.«

»Ich erinnere mich dunkel. Dachte, es wär Crack gewesen.«

»Was immer. Kim hat jedenfalls den Fall bearbeitet. Vielleicht hängt das irgendwie zusammen.«

»Ich werd’s dem Cap sagen.«

»Sag ihm, wir unternehmen im Peck Towers erst mal nichts.«

»Werd’s ausrichten.«

Segura legte auf. »Einige unserer Kollegen glauben nicht, dass Powell die zwei genietet hat.«

»Zum Beispiel wer?«, fragte Truelove.

»Pannesi.«

»Wie kommst du drauf?«

»Er hat Powell Robert genannt.«

»Hmh.«

»Einige Bürger haben gegen halb zehn Powells Wagen auf der West Eight-four gesehen – der richtige Ort zur richtigen Zeit.«

»Wenn du jemanden nieten wolltest«, sagte Truelove, »würdest du dann deinen eigenen Wagen benutzen, besonders wenn’s ein silberner Benz mit einem Nummernschild ist, das schon bei Letterman in der Sendung war?«

»Ich dachte, es wäre Leno gewesen«, meinte Segura.

»Letterman, weil der nämlich aus Indiana stammt, und dort hat Powell auf dem College gespielt, und danach für die Pacers, bevor er zu den Pashas gewechselt ist.«

»Glaubst du, das ist ein genetisches Ding – dieses Interesse für Sport?«

»Meinst du, ob ich denke, es wäre eine Frage der Rasse, dass ich bei Basketball voll den Durchblick habe?«

»Okay – glaubst du’s?«

»Du stehst doch auf Fußball, stimmt’s? Du hast dir doch vor ein paar Jahren die ganze Weltmeisterschaftsscheiße reingezogen.«

»Das ist wirklich erstklassige Unterhaltung auf hohem Niveau«, meinte Segura.

»He, wir sind doch auch erstklassige Bräute.«

»Apropos, als ich noch bei der Sitte gearbeitet habe, gab’s da eine Lincoln Tunnel-Bordsteinschwalbe namens Lily White. Sie heißt wirklich und wahrhaftig so. Ich hab ihr aus der Klemme geholfen, als ein Loddel gerade dabei war, sie in Streifen zu schneiden, also schuldet sie mir was. Aber wo’s eigentlich drauf ankommt, sie hat’s inzwischen zu was gebracht, sie leitet heute einen teuren Escortservice. Die müsste eigentlich wissen, wer mit Powell gearbeitet hat. … Und was zum Geier will der jetzt?«

Sie meinte den kroatischen Portier, der ihnen mit wilden Gesten zu verstehen gab, sie sollten nochmal aussteigen und wieder reinkommen.

»Powell«, sagte Segura.

»Wär das nicht mal nett?«, sagte Truelove.

Aber der Portier deutete auf Truelove und gab ihr das Telefon. »Für Sie.«

Truelove nahm das Gespräch an. »Truelove.«

»Iris Doyle hier. Er ist im Bad und erleichtert sich. Ich habe nicht viel Zeit. Er hat Ihnen nicht erzählt, dass Powell einmal eine von diesen Nutten zusammengeschlagen und Pat fünfhundert Bucks gegeben hat, damit der sie in ein Taxi setzt und ansonsten den Mund hält. Er spült jetzt ab. Ich muss Schluss machen.« Und Iris Doyle legte auf.

»Was war?«, fragte Segura.

Truelove legte den Hörer auf die Gabel. »Sie wollte mir was erzählen.«

4

Wenn’s einen Gott gibt, dachte Tony Dante, während er Paul, diesen Beutel Scheiße von einem Bruder, quer durch die Druckerei auf sich zukommen sah, dann wird er jetzt gleich ausrutschen, dieser Beutel Scheiße von einem Bruder, auf irgendwelcher Druckfarbe, die irgendwer verschüttet hat, auf irgend so einer Reinigungsflüssigkeit, in einer Lache Dr. Pepper. Er wird ausrutschen und sich den Schädel an der sechsköpfigen Siebdruckmaschine aufschlagen, das Beste, was es heute für Geld zu kaufen gab, sechzig Riesen, neunhundert T-Shirts pro Stunde. Lange Rede, kurzer Sinn, er wird ausrutschen und sich den Schädel aufschlagen und abnippeln, und ich werde die Firma übernehmen und Angela Palermo heiraten, die mir schwören wird, dass sie diesen Beutel Scheiße von einem Bruder nie rangelassen hat, außer vielleicht, na okay, das eine Mal, also, das erste und einzige Mal, bevor sie’s besser wusste, bevor sie checkte, was er für eine ekelhafte Sau war.

»Was hältst du jetzt von ihm?«, fragte Paul Dante.

»Von wem?«, antwortete Tony Dante.

»Na, von deinem Helden.«

»Meinem Helden? Wer ist mein Held? Ich hab keinen beschissenen Helden. Wer ist mein Held?«

Paul antwortete in einem Singsang. »Der König der Dreier, der Duke der Wegputzer, der Prinz der Feldlinien.«

»Jaaah? Und? Robert Powell. Na und? Der ist nicht mein Held.«

»Er ist dein Held. Glaubst du vielleicht, das wüsste ich nicht?«

»Was weißt du? Einen Scheißdreck weißt du.«

»Glaubst du vielleicht, ich wüsste nicht, dass du dir dieses Basketball World-Package bestellt hast? Ein Zweijahresabo, ein Trikot Größe 3 und ein Video mit allen Highlights – das Robert Powell-Dreierpack. Du hast es auf die Firma bestellt, du knauseriger kleiner Arsch, damit du beschissene neunzehnneunundneunzig plus Porto und Versand sparst.«

»Auf welche Firma soll ich’s bestellt haben?«

»Auf diese Firma. Was soll die blöde Frage, auf welche Firma? Auf diese Firma.«

»Ich hab’s mir nur an diese Adresse schicken lassen, das ist alles, damit’s die Tupfen-Typen1 von gegenüber nicht gleich klauen.«

»Affenscheiße. Was sollten die Tupfen-Typen mit einem Robert Powell-Dreierpack?«

»Woher soll ich denn wissen, was die damit wollen? Woher soll ich denn wissen, was Tupfen-Typen mit irgendwas machen?«

Paul beugte sich über Tonys Schreibtisch und tippte ihm auf die Brust. »Was ich von dir wissen will, ist folgendes: Was hältst du jetzt von Robert Powell, dem König der Dreier, dem Duke der Wegputzer, dem Prinz der Feldlinien? Was hältst du davon, dass er seine Ex umgelegt hat?«

»Seine was? Seine Ecks? Was redest du da für eine Scheiße, seine Ecks umgelegt? Von was für ’nem Eck redest du überhaupt?«

»Seine Ex«, sagte Paul Dante. »Seine Ex-Frau.«

»… ›Umgelegt.‹ Du meinst, umgelegt im Sinne von abmurksen?«

»Tsss«, machte Paul.

Und einfach so war Tony Dantes Gesicht schweißgebadet, als hätte er sein Gesicht in eine Schüssel Schweiß gestippt, hätte seinen Kopf bis über den Haaransatz hineingetaucht. »Robert Powell hat Kiki Aster abgemurkst?«

»Tsss«, machte Paul wieder. »Was ist eigentlich los mit dir, warum schwitzt du so, du schwitzt, sieh dir nur an, wie du schwitzt.«

»Woher hast du das? Wo hast du gehört, dass Robert Powell Kiki Aster abgemurkst hat?«

»Im Radio, wo sonst? Glaubst du vielleicht, ich hätt’s von Irving? Meinst du, Manny hätt’s mir erzählt? Was denn, hat Angela mich von zu Hause angerufen und es mir gesagt?«

Angela. Tony musste unbedingt mit Angela reden, er musste ihr unbedingt alles erzählen.

»W-wie hat er sie denn abgemurkst?«, stammelte Tony, auch wenn er die Antwort kannte. »W-wie hat er sie abgemurkst?«

»Wie er sie abgemurkst hat?«, wiederholte Paul. »Mit einer Kanone, so hat er sie abgemurkst. Du weißt schon, peng, peng, und du bist tot. Nicht nur das, ihren Lover hat er gleich mit abgemurkst. Im Radio haben sie gesagt, ›ein Freund‹, aber so wie sie’s gesagt haben, weiß man doch sofort, dass es ihr Lover war, irgend so ein Bursche, den sie gevögelt hat. Klatsche, klatsche Schenkelchen, aber damit ist jetzt Schluss … Verdammt, was ist mit dir, so wie du schwitzt?«, fragte Paul. »Wo willst du hin? … Hey, Tony? … He, zum Scheißhaus geht’s da lang … Tony? … Anthony!«

Tony ging nicht zu Angela. Er stieg in seinen Dodge Daytona und fuhr von der Fabrik in Elizabeth nicht Richtung Norden nach Hoboken, sondern Richtung Süden, sprich südlich über die Turnpike rüber nach Woodbridge, zum Garden State. Er war schon an Red Bank vorbei, ehe er das Radio einschaltete, das wie immer auf FAN eingestellt war.

Urplötzlich waren alle auf Sendung. Imus war drauf, obwohl seine Show längst vorbei war. Mike und der Mad Dog waren drauf, auch wenn ihre Show noch lange nicht dran war. Anwälte und Ärzte waren auf Sendung, Zeitungsreporter waren im Äther, die normalerweise aus dem Polizeipräsidium und dem Gericht berichteten, und einer war für die Modebranche zuständig und redete von der letzten großen Show, bei der Kiki Aster mitgemacht hatte, in Mailand oder München oder in der Mongolei oder weiß der Kuckuck wo, Tony konnte sich nicht konzentrieren, er konnte nichts von alledem glauben. Genauso wenig wie jeder andere, nach allem, was sie sagten. Immer und immer wieder sagten die Leute: Unglaublich, ich glaub’s einfach nicht, das übersteigt einfach jede Vorstellungskraft, unfassbar, ich glaub’s nicht. Er ist so ein wunderbarer Mann, dieser Robert Powell, so anständig, aufmerksam und respektvoll. Ein echter Gentleman, ein Held, ein Vorbild, eine Ikone. Ein zweiter O.J.

Dann brachten sie die Nachrichten zur vollen Stunde, und der Sprecher redete genau über den Ort, an dem Tony Dante sich in genau diesem Augenblick befand, vom Garden State Parkway. Er redete darüber, weil eine Braut, die in einem Mauthäuschen in Woodbridge arbeitete, Tony war gerade erst vorbei, weil sie die Cops angerufen hatte, die Robert Powell jetzt überall suchten, weil kein Mensch wusste, wo er steckte, sie hatte gesagt, Powell sei kurz nach Mitternacht genau an ihrem Häuschen vorbeigebraust, Richtung Süden, nur Tony hielt das für falsch, er meinte, es müsste eher Viertel vor zwölf gewesen sein, vielleicht auch zehn vor. Powell hatte nur Zehner dabei, deshalb brauchte die Mauthäuschenbraut eine Weile mit dem Kleingeld, wodurch sie ausreichend Gelegenheit bekam, sich den Mann richtig gut anzusehen. Sie war ein Nets-Fan, aber sie erkannte einen Robert Powell, wenn sie ihn sah.

Die Mauthäuschenbraut erzählte den Cops nichts davon, dass Tony Dante unmittelbar hinter Robert Powell die Mautstelle passierte, sagte nicht, dass Tonys Dodge Daytona förmlich am Heck von Robert Powells silbernem Benz geklebt hatte, dass Tony genau abgezähltes Geld bereithielt, ja sogar eine Wertmarke, und die Mauthäuschenbraut sagte, in Zukunft könnte er die Spur für Leute mit passendem Geld nehmen, und er sagte, er wüsste, dass er mit offenen Augen geträumt hätte, he, war das da nicht Robert Powell, und sie sagte, ja, war er, und ich weiß schon, was Sie meinen, mit offenen Augen träumen, ich mach’s selbst dauernd, sogar nachts, und sie lachten, und Tony hing sich wieder an den Benz. Beziehungsweise sagte der Sprecher nichts darüber, dass die Mauthäuschenbraut irgendwas davon erzählt hatte.

Also war es keine Überraschung für Tony, dass die Cops vor ihm bei Robert Powells Villa mit Blick auf den Atlantik in Spring Lake eintrafen. Hunderte. Also, zwanzig. Aus dem ganzen Land. Also, aus Jersey und New York. Und dann noch ein paar ungekennzeichnete Wagen. FBI? Oder einfach nur Detectives? Tony wünschte, er könnte den Detectives, die er sehen konnte, denen in Anzügen und Sakkos, denen, die vielleicht FBI-Agenten waren, er könnte denen einfach sagen: Tja, Jungs, was habt’n ihr so lange gebraucht? Ich war schon heute morgen um vier hier, bin den ganzen weiten Weg zurück in die Stadt gefahren, und jetzt bin ich wieder hier, und ihr trudelt gerade erst ein.

Und Fernsehteams. Von überall her. Von Channel 2 und Channel 4 und Channel 5 und Channel 7 und Channel 9 und Channel 11 und Channels, von denen er noch nie gehört hatte, mussten wohl aus Trenton und Philly sein, höchstwahrscheinlich, und von Entertainment Tonight und Hard Copy und Current Affair, und auch Radiostationen, natürlich FAN, und dann noch WINS und News Radio 88 und WOR und WNEW und WMCA und BLS und NPR, dem öffentlich-rechtlichen Genitalfunk2, so nannte es Tonys Vater, die brachten immer Storys über Schwuchteln und Lesben und Abtreibung und Pornographie, Frauen redeten einfach so im Radio über ihre Vaginas.