Ulrike das schwarz Schaf im Internat - Marie Louise Fischer - E-Book

Ulrike das schwarz Schaf im Internat E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Ulrike ist jetzt schon einige Zeit im Internat auf Burg Hartenstein. Während sie sich zunächst gegen die Entscheidung der Eltern für das Internat aufgelehnt hat, hat Ulrike mittlerweile die Gesetze der Gemeinschaft anerkannt. Die anderen Mädchen behandeln sie nicht mehr als Einzelgängerin, sondern als ein der ihren. Zudem ist sie in die Redaktion der Schulzeitung aufgerückt. Jetzt beginnt sie aber, ihre gute Position massiv zu gefährden, ja wieder zum schwarzen Schaf zu werden. Durch einige kritische Reportagen macht sie sich bei ihren Mitschülerinnen nicht beliebt. Wieder muss Ulrike lernen. Sie muss begreifen, dass Kritik die Kunst ist zu urteilen, ohne andere zu verletzen. -

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Marie Louise Fischer

Ulrike das schwarz Schaf im Internat

Saga Egmont

Ulrike das schwarz Schaf im Internat

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)

represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1964 by F. Schneider Verlag, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711719374

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

Ulrike als eifrige Reporterin

In den ersten Januartagen fuhren Ulrike Moeller und Gaby Reitmann aus ihrer Heimatstadt zurück nach Burg Hartenstein.

Hätte jemand im Herbst Ulrike prophezeit, daß sie eines Tages im besten Einvernehmen mit Gaby reisen und sich auf Burg Hartenstein sogar freuen würde, dann hätte sie ihm wahrscheinlich an die Stirne getippt und etwas von „überhitzter Phantasie“ gemurmelt.

Mit Händen und Füßen hatte sie sich gegen das Internat gesträubt. Ihren Eltern hatte sie vor deren Abreise nach Persien schlimme Szenen gemacht und sich im Internat bockig und widerspenstig benommen.

Kurz vor Weihnachten war alles anders geworden. Damals war ihre kleine Zimmergenossin Gerti ausgerückt – gerade, als Katja, die Zimmerverantwortliche, auf der Krankenstation lag. Ulrike hatte, von Selbstvorwürfen gepeinigt, eine Geschichte über die Flucht geschrieben. Die war durch Katjas Vermittlung im „Hartensteiner Boten“, der Schulzeitung, abgedruckt und Ulrike in die Redaktion aufgenommen worden. In ihrer Herzensfreude hatte sie bei Beginn der Weihnachtsferien Gaby eingeladen, im Auto der Tanten, bei denen Ulrike einstweilen lebte, mit heimzufahren.

Und nun fuhr sie zurück ins Internat mit dem Gefühl, ganz dorthin zu gehören.

Nach den ersten Begrüßungen ging das Leben und Treiben im Internat weiter wie seit eh und je. Aber für Ulrike war alles anders geworden.

Zwar hieß es immer noch, um sechs Uhr früh aufstehen, fertigmachen zum morgendlichen Appell und Dauerlauf rund um die mächtigen verwitterten Gebäude von Burg Hartenstein, zwar gab es immer noch Margarinebrot zum Frühstück und die verhaßten dicken Suppen zum Abendbrot, zwar blieb kaum eine Minute am Tag, die man beschaulich und allein verbringen durfte, und dennoch! Ulrike sah jetzt alles mit anderen Augen. Sie hatte begriffen, daß alle diese Regeln und Vorschriften einen guten Sinn besaßen – die von der Schulleitung festgelegten genauso wie die ungeschriebenen, die sich die Schülerinnen selber gegeben hatten.

Oder kam es einfach daher, daß sie jetzt dazu gehörte? Ja, es war tatsächlich so: Ulrike hatte die Gesetze der Gemeinschaft anerkannt, und die anderen Mädchen behandelten sie nicht mehr als Einzelgängerin, sondern als eine der Ihren.

Katja, die ernste Fünfzehnjährige, hatte nach den Ferien ihr Amt als Zimmerverantwortliche, Z. V. genannt, wieder übernommen. Und soviel Ärger und Kummer es anfangs mit Ulrike, Gaby und Gerti gegeben hatte – nun schien es, als könne sie sich endlich an ihren Sorgenkindern freuen.

Denn auch die kleine Gerti Moll schien sich gewandelt zu haben. Sie schluchzte nachts nicht mehr wie ein verängstigtes Kaninchen hinter der bewunderten Katja Kramer her; sie hatte ihren Platz unter den gleichaltrigen Jüngsten des Internats gefunden. Eigentlich kam sie nur noch zur Nachmittagsruhe zum Umziehen und zum Schlafen in das gemeinschaftliche Zimmer.

Gaby Reitmann, vergnügt und unternehmungslustig wie immer, machte es genauso. Sie brauchte, laut Erlaß von Direktor Heilmann, dem „Eisenbart“, wie die Schülerinnen ihn nannten, keine Nachhilfestunden mehr zu nehmen. Aber sie hatte die scheußliche Zeit, in der fast ihre ganzen Nachmittage mit Extrastunden ausgefüllt gewesen waren, nicht vergessen und war eifrig bemüht, nicht mehr zurückzufallen. Endlich hatte sie ihr ersehntes Ziel erreicht und war in den Sportklub aufgenommen worden. Als hervorragende Turnerin war sie sofort in die erste Mannschaft, die Sportriege des Hauses, eingeteilt worden und verbrachte jede freie Minute beim Training.

Selbst die Ordnung klappte vorzüglich, seit Ulrike sich angewöhnt hatte, ohne große Worte hinter der hudeligen Gaby herzuräumen.

Eine Tatsache war es, die Ulrike gegen ihre Natur zu kameradschaftlichem Verhalten anspornte und sie alle Unbequemlichkeiten und Härten des Internatslebens klaglos ertragen ließ: Sie arbeitete als Reporterin für den „Hartensteiner Boten“ und durfte sogar bei den allwöchentlichen Redaktionssitzungen mitreden.

Das brachte eine Menge Vorteile mit sich. Ulrike hatte Zugang zu allen Klubs, Vereinen, Arbeitsgemeinschaften des Internats und deren Veranstaltungen; es war sogar ihre Pflicht, sich über alles zu informieren, was auf Burg Hartenstein geschah. Wo sie auftauchte, kam man ihr mit betonter Höflichkeit entgegen, denn jeder Kreis legte natürlich Wert darauf, in der Internatszeitschrift lobend erwähnt zu werden. Außerdem durfte Ulrike lesen, soviel sie wollte, es war einzusehen, daß sie auch geistige Anregung für ihre Tätigkeit brauchte.

Ulrike fühlte sich großartig und merkte gar nicht, daß sie drauf und dran war, wieder in den leicht überheblichen Ton zurückzufallen, der sie in den ersten Monaten im Internat so unbeliebt gemacht hatte. Sie hatte das Gefühl, über den Dingen zu stehen, und das machte sie manchmal ausgesprochen unausstehlich. Aber da sie als Mitarbeiterin an der Zeitschrift einen gewissen Einfluß besaß, ließ man es ihr durchgehen: niemand mochte sich mit ihr anlegen.

An einem Sonntag Ende Februar hatte der Zeichenund Mal-Klub seine erste Ausstellung im neuen Jahr eröffnet. Am Vormittag nach der Kirche war ein großes Gedränge in dem oberen Saal des Hauptgebäudes gewesen, wo die Bilder hingen. Jetzt, gleich nach der Mittagsruhe, war es verhältnismäßig leer. Ulrike benutzte diese Stille, um, mit Notizblock und Bleistift bewaffnet, von Bild zu Bild zu schlendern. Mit kritischem Gesicht – die dünnen, schön geschwungenen Augenbrauen hochgezogen, die schmale Nase leicht gerümpft – kritzelte sie allerlei Stichworte als Gedächtnisstützen auf das geduldige Papier.

Sie war so in ihre Betrachtungen vertieft, daß sie Katja Kramer gar nicht herankommen sah. Katja war sehr fesch in einem flaschengrünen Rollkragenpullover, der ihr fabelhaft zu dem schimmernden roten Haar und den leuchtend grünen Augen stand.

„Großartig, nicht wahr?“ sagte sie anerkennend und deutete auf das Aquarell einer Winterlandschaft: Im Vordergrund stand eine verschneite Birke an einem zugefrorenen Bächlein.

„Nun ja“, erklärte Ulrike blasiert, „recht nett.“

„Was?!“ Katja starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. „Das gefällt dir etwa nicht?“

Ulrike zuckte die Achseln. „Verlangst du, daß ich vor diesem Bildchen in Begeisterungsstürme ausbreche?!“

„Nein! Aber daß du die ehrliche Arbeit anderer anerkennst!“

Ulrike setzte ihre Stimme tiefer an, sprach in jenem getragenen, leicht nasalen Ton, den sie selber todschick fand, der jedem anderen aber an den Nerven reißen mußte. „Ehrliche Arbeit … du sagst es! Aber um ein Kunstwerk zu schaffen, braucht es wohl doch etwas mehr.“

Katja holte tief Atem, um die Beherrschung nicht zu verlieren. „Ach, du bist ja verrückt“, sagte sie mit erzwungener Ruhe, „was verstehst du denn schon davon!“

„Vielleicht mehr als du denkst“, erwiderte Ulrike herablassend.

Katja packte sie beim Arm. „Jetzt hör mich einmal an, jeder wird es dir bestätigen … dies hier ist das beste Bild der ganzen Ausstellung!“

Ulrike steckte mit einem Schulterzucken ihren Bleistift ein, wandte sich ab. „Eben.“

Katja lockerte ihren Griff nicht, riß sie zu sich herum. „Was soll das heißen?“

Ulrike erwiderte ihren flammenden Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. „Genau das, was ich gesagt habe. Ich muß doch wohl nicht jedes Wort wiederholen, damit du es verstehst?“

„Du meinst also, daß diese Ausstellung nicht gut ist?“

„Du hast eine schnelle Auffassungsgabe.“

„Und du willst das etwa auch im ,Boten’ schreiben?“

„Warum nicht? Ich glaube nicht, daß du mich daran hindern kannst!“

„Ulrike“, sagte Katja beschwörend, „bist du denn wirklich unfähig, zu begreifen, mit wieviel Fleiß, wieviel Freude, wieviel ehrlichem Bemühen jedes einzelne dieser Bilder, von denen du so verächtlich sprichst, gestaltet worden ist?“

„Um so schlimmer, daß nicht mehr dabei herausgekommen ist“, erwiderte Ulrike kühl. „Schau dich nur einmal um … allein zwölf Linolschnitte, vierzehn Kreidezeichnungen, ich habe sie gezählt. Mir kann man nichts vormachen. Die vom Mal- und Zeichenklub haben gerade solche Techniken gewählt, durch die sich mit dem geringsten Können der größte Effekt erzielen läßt.“

„Du sprichst wie ein Buch! Wo hast du das gelesen?“

„In einem Fachbuch. Irgend etwas dagegen einzuwenden?“

„Ja! Ich will nicht, daß du das schreibst! Ich will nicht, daß du den anderen die Freude verdirbst, ich will nicht …“

„Du hast nichts zu wollen, meine liebe Katja! Es genügt, wenn du mich als Z. V. von früh bis spät schikanierst. Meine Zeitungsarbeit geht dich gar nichts an.“

Ulrike gelang es, sich mit einem scharfen Ruck aus Katjas Griff zu befreien. Den schmalen Kopf mit dem silberblonden Haar hocherhoben, schritt sie davon, die Erhabenheit in Person.

Aber Katja war noch nicht bereit, aufzugeben. Sie lief hinter Ulrike her, und es gelang ihr, sie gerade noch am Ausgang einzuholen.

„Hör mal, Ulrike“, sagte sie, „vielleicht hast du mich falsch verstanden …“

„Gewiß nicht!“

„… ich gebe ja zu, wir haben schon bessere Ausstellungen gehabt!“

„Na also!“

Katja wollte sich einfach nicht unterbrechen lassen. „Aber darauf kommt es doch nicht an“, erklärte sie unbeirrt, „wichtig ist doch bloß, daß jeder sein Bestes gegeben hat!“

„Finde ich nicht“, behauptete Ulrike von oben herab.

„Das Beste ist nicht immer gut genug. Was man in einer Ausstellung zeigt, hört auf, eine Privatsache zu sein. Von mir aus können die in ihrem Mal- und Zeichenklub machen, was sie wollen. Doch daß wir ihre öden Kritzeleien bewundern sollen, finde ich ein bißchen viel verlangt.“

„Aber sie haben das Recht, einen Querschnitt durch ihre Arbeit zu zeigen.“

„Sicher. Dann müssen sie sich auch gefallen lassen, daß man sie kritisiert.“

Katja sah Ulrike mit einem sonderbaren Ausdruck an. „Wie kannst du nur so eingebildet und selbstgerecht sein! Als wenn du selber nie einen Fehler gemacht hättest.“

Ulrike wurde rot. Katjas Bemerkung erinnerte sie unliebsam an jene Zeit, als sie vor Selbstvorwürfen fast nicht schlafen konnte, weil sie sich mitschuldig daran fühlte, daß die kleine Gerti Moll fortgelaufen war.

„Sehr taktvoll!“ sagte sie giftig. „Aber es hilft dir nichts, wenn du versuchst, die Dinge zu verdrehen. Ich habe nie behauptet, daß ich unfehlbar bin. Doch vom Zeichnen verstehe ich zufällig etwas, und ich sage dir … es ist höchste Zeit, daß in diesen vergammelten Klub mal ein frischer Wind hineinbläst. Und das werde ich auch im ,Boten’ schreiben.“

„Warum tritts du nicht lieber selber dem Klub bei? Warum versuchst du nicht, die Dinge von innen heraus zu ändern? Warum zeigst du ihnen nicht, wie man es besser macht?“

„Das, liebe Katja, ist nicht meine Aufgabe!“ Ulrike warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Ich hoffe, du erlaubst, daß ich mich jetzt zurückziehe. Ich habe heute noch einiges zu erledigen.“

Ulrike stolzierte davon, und Katja ärgerte sich über sich selber.

Warum konnte sie nicht endlich damit aufhören, sich für alle anderen verantwortlich zu fühlen? Ulrike würde schon selber sehen, wie weit sie mit ihrer unverschämten Haltung kam. Die Redaktion vom „Hartensteiner Boten“ würde bestimmt nicht ohne weiteres abdrucken, was Ulrike anbrachte. Traudel Simson, die Chefredakteurin, war ein ausgesprochen vernünftiges Mädchen. Wie wäre es, wenn sie mal mit ihr sprechen würde?

Dieser Gedanke erschien Katja als eine gute Lösung. Sie entschloß sich, ihn sofort in die Tat umzusetzen.

Ulrike ahnte nichts von Katjas Vorhaben, und auch wenn sie es gewußt hätte, würde es sie nicht beunruhigt haben. Es tat ihr zwar ein wenig leid, daß sie schon wieder mit ihrer Zimmerverantwortlichen aneinandergeraten war, aber sie fühlte sich durchaus im Recht. Es wäre ja noch schöner, wenn sie sich Vorschriften machen lassen sollte, was sie in der Internatszeitung zu schreiben hatte! Zugegeben, Katja war fast fünfzehn, also beinahe drei Jahre älter als sie selber, zugegeben, sie war klug und meinte es gut; doch das durfte nicht dazu führen, daß sie ihre Nase in alles, aber auch alles steckte! Na ja, bei ihr war sie schlecht damit angekommen, das geschah ihr nur recht. Vielleicht würde es ihr für die Zukunft eine Lehre sein.

Sehr mit sich zufrieden trat Ulrike in den Burghof hinaus. Es war ein kalter, unfreundlicher Wintertag; nur wenige Mädchen waren draußen. Auf den Dächern lag dünner Schnee, der Himmel war grau und trostlos.

Ulrike, die keinen Mantel mitgenommen hatte, fröstelte in ihrer Jacke. Sie beeilte sich, den Hof zu überqueren und das Nebengebäude zu erreichen, in dem ihr Zimmer lag. Fünf solcher Häuser standen neben dem Haupthaus um den Burghof herum.

Schon von weitem hörte sie lebhaftes Stimmengewirr, und als sie die Tür aufstieß, sah sie, daß das halbe Haus im Flur versammelt war. Alle drängten sich um das Schwarze Brett, an dem eine neue Mitteilung angeschlagen war.

Ulrike versuchte, sich einen Weg nach vorn zu bahnen.

„Was ist los?“ fragte sie. „Bitte, laßt mich durch! Ich bin doch von der Zeitung!“ Sie fummelte den Ausweis, den alle Mitglieder des „Hartensteiner Boten“ stets bei sich trugen, aus der Tasche, hielt ihn hoch in die Luft. „Presse!”

Sie verzog keine Miene, als alle Köpfe zu ihr herumfuhren.

„Mensch, du hast’s aber wichtig!“ rief Gisela Schütz.

„Gib bloß nicht so an!“ mahnte Hertha Kaiser.

Auch die anderen murrten oder lachten. Aber Ulrike hatte ihren Zweck erreicht. Man ließ sie vor.

Dicht beim Schwarzen Brett stand – wie konnte es anders sein? – Gaby Reitmann, immer die erste, wenn irgend etwas los war.

„Ulrike, alte Bohnenstange!“ schrie sie und hopste vor Begeisterung von einem Fuß auf den anderen. „Stell dir bloß vor! Wir fahren ins Schilager!“

„Wer?“

„Jeder, der will! Siehst du denn nicht, hier steht’s doch … vierzehntägige Schikurse im Allgäu für Anfänger und Fortgeschrittene! Du, da mach’ ich mit!“

„Nicht so hastig“, sagte Irene Sievers, „es stehen drei große Wenns davor! Wenn die Schneeverhältnisse im Februar günstig sind, wenn deine Regierung zu Hause es erlaubt und wenn deine Schulleistungen dir gestatten, vierzehn Tage mit dem Unterricht auszusetzen!“

„Kleinigkeit!“ rief Gaby. „Das werde ich schon schaffen! Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, wie mein Familienoberhaupt zu sagen pflegt!“

„Na, du scheinst ja fabelhafte Beziehungen zum ollen Petrus zu haben“, rief eine von hinten, und die anderen lachten.

„Ich darf bestimmt nicht“, klagte Gerti Moll, „mein Vater wird es nie erlauben, und Schier habe ich auch nicht!“

„Mach dir nichts draus“, tröstete eine andere Kleine, „was glaubst du, wie schön es hier sein wird, wenn die Hälfte weg ist!“

„Hälfte ist nun doch wohl übertrieben“, erklärte Irene Sievers, „mehr als zwanzig dürfen nie auf einmal fort.“

So wurde noch eine ganze Weile über das Für und Wider der Beteiligung an einem Schikurs geredet, bis sich die Gruppe auflöste.

Ulrike war eine der ersten, die die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufging.

Gaby Reitmann lief ihr nach. Vor lauter Eifer nahm sie immer zwei Stufen auf einmal. „Ich muß sofort nach Hause schreiben“, sagte sie atemlos, als sie Ulrike erreicht hatte. „Meine Eltern sind bestimmt einverstanden; fragt sich bloß, ob mein großer Bruder mir seine Schier leiht. Du machst doch auch mit, was?“

„Ich denke gar nicht daran“, gab Ulrike hochmütig zurück.

„Ja, aber warum denn nicht?“ Vor lauter Staunen vergaß Gaby weiterzugehen und blieb mitten auf der Treppe stehen.

„Weil ich sehr froh sein werde, wenn ich Fräulein Faust einmal vierzehn Tage lang nicht zu Gesicht bekomme!“

„Bloß weil ,Gretchen’ die Kurse leitet? Also hör mal, sei kein Frosch, was kann die dir denn schon antun?“

„Nichts.“

„Na also! Dann …“

Ulrike fiel ihr ins Wort. „Kennst du mich eigentlich immer noch so wenig? Ich habe nicht die geringste Lust, mir beim Schifahren die Haxen zu brechen. Du solltest doch schon langsam gemerkt haben, daß ich nicht der sportliche Typ bin!“

„Stimmt“, gab Gaby ohne weiteres zu, „aber Schi fahren ist doch schließlich etwas anderes als Turnen! Ich habe da mal einen Film gesehen …“

„Bitte, Gaby, verschone mich!“

Gaby war nicht im geringsten beleidigt. „Wie du willst“, sagte sie, „bloß, ich hätt’s puffig gefunden, wenn du mitgemacht hättest.“

Plötzlich hatte Ulrike eine Sekunde edler Selbsterkenntnis. Sie spürte eine beschämende Verwunderung darüber, daß Gaby immer noch zu ihr hielt, obwohl sie sich selber doch alles andere als freundschaftlich ihr gegenüber verhielt, oft sogar mehr als unausstehlich war.

„Sei mir nicht böse“, sagte sie versöhnlich, „aber ich passe nun einmal nicht zu so was. Ich würde bloß den ganzen Kurs aufhalten und euch anderen den Spaß verderben. Glaub mir, es ist viel besser, wenn ich hier bleibe. Aber ich werde dir beide Däumchen halten, daß es bei dir klappt.“

„Tu das“, sagte Gaby rasch getröstet, „ich kann’s brauchen!“

Es war gar nicht so einfach, Traudel Simson zu finden.

Katja suchte das ganze Internatsgebäude ab. Ohne Erfolg. Traudel war weder auf ihrem Zimmer noch in der Bibliothek, im Park oder in einem der Versammlungsräume der einzelnen Klubs. Schließlich bekam Katja heraus, daß Traudel ins Dorf gegangen war – als Chefredakteurin der Internatszeitung durfte sie das jeder Zeit, ohne die für jeden anderen erforderliche Sondererlaubnis einzuholen.

Katja blieb nichts anderes übrig als zu warten. Erst war sie darüber sehr ärgerlich, dann aber kam sie zu der Einsicht, daß ein Aufschub auch seine guten Seiten hatte. So hatte sie Gelegenheit, sich zurechtzulegen, was sie sagen wollte, und ihren Zorn verrauchen zu lassen.

Sie erwischte Traudel Simson erst nach dem Abendessen, als die Schülerinnen aus dem Speisesaal in ihre einzelnen Häuser zurückströmten. Sie machte sich an Traudel, die in einer Gruppe größerer Mädchen den Hof überquerte, heran.

„Du, Traudel, hast du fünf Minuten Zeit für mich?“

„Was gibt’s?“ fragte Traudel, die sich aus der Unterhaltung gerissen fühlte, nicht eben erfreut.

„Könnten wir irgendwo in Ruhe sprechen?“

Traudel zögerte eine Sekunde. Dann sagte sie; „Na schön. Komm mit auf mein Zimmer.“

Katja wartete ab, bis Traudel sich von ihren Freundinnen verabschiedet hatte. Dann lief sie hinter ihr her nach oben. Traudel riß die Tür zu ihrem hübschen Zweibettzimmer auf, das sie zusammen mit der gleichaltrigen Henny Pfeiffer bewohnte. Katja stellte mit Erleichterung fest, daß Henny noch nicht da war.

„Es ist wegen Ulrike“, sagte sie, „Ulrike Moeller.“

„Ah, ja?“ sagte Traudel nicht besonders interessiert und hängte ihren Mantel auf einen Bügel.

„Ich bin mit ihr heute in der Ausstellung des Mal- und Zeichenklubs zusammengestoßen …“

„Da hatte ich sie hingeschickt. Sie soll drüber schreiben.“ Traudel setzte sich in einen der Korbsessel, streckte die Beine weit von sich.

„Findest du das wirklich richtig?“ fragte Katja.

„Was?“

„Daß du ausgerechnet Ulrike mit so etwas betraust?“

„Warum nicht? Ich hielt sie dafür sehr geeignet. Oder stimmt’s etwa nicht, daß sie im Kunstunterricht ganz vorne liegt?“ „Doch“, mußte Katja zugeben.

„Na, also“, sagte Traudel. „Sonst noch was?“

Katja begriff, daß Traudel dieses Gespräch so rasch wie möglich zu beenden wünschte. Aber sie war nicht bereit, sich abwimmeln zu lassen. „Darf ich mich setzen?“ fragte sie. „Bitte …“

„Glaub nicht, daß ich dich gern mit diesen Dingen belästige. Aber ich mache mir große Sorgen um Ulrike.“ Traudel lachte. „Das wundert mich nicht. Du bist ja berunmt für dein Talent, dir um andere Leute Sorgen zu machen. Aber laß man, meines Erachtens ist Ulrike ganz in Ordnung.“

„Das würdest du nicht sagen, wenn du sie so gut kennen würdest wie ich! Was sie da heute in der Ausstellung verzapft hat … so etwas von Überheblichkeit war noch nie da! Und das Schlimmste ist, sie wird ihre Kritik genau in diesem Ton abfassen.“

„Deshalb machst du dir Gedanken?“ fragte Traudel erstaunt. „Selbstverständlich wird der Artikel gründlich redigiert, bevor er in Satz geht … aber abgesehen davon kann ein bißchen Pfeffer gar nicht schaden. Mir ist das jedenfalls lieber, als diese zuckersüßen Sachen, die wir immer wieder eingereicht bekommen.“

„Aber das ist doch himmelschreiend!“ sagte Katja, die die Geduld zu verlieren begann, aufgebracht. „Daß ausgerechnet jemand wie Ulrike, die außer der reinen Schularbeit überhaupt nichts leistet, sich getraut, über die anderen herzuziehen! Und du unterstützt das auch noch!”

„He, he! Nun mal langsam! Wer hat denn dieses Wunderkind bei uns angeschleppt?“

„Stimmt, das habe ich getan“, erwiderte Katja hitzig, „weil ich hoffte, daß dadurch ihr Interesse an der Gemeinschaft geweckt würde …“

„Hat es ja auch getan“, sagte Traudel. „Wenn du bei unseren Sitzungen dabeisein könntest, würdest du mit Vergnügen feststellen, wie sehr sie an allem, was auf Burg Hartenstein geschieht, Anteil nimmt.“

„Aber auf die ganz falsche Weise. Sie macht nirgends mit, sondern sie fühlt sich über alles erhaben. Glaub mir doch, Traudel, sie wird von Tag zu Tag überheblicher!“ „Das kann ich beim besten Willen nicht finden“, sagte Traudel ungläubig, „auf unseren Redaktionssitzungen benimmt sie sich durchaus manierlich.“