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Wie lange dauern intergalaktische Reisen? Man kann es nie wissen. Wenn der Pilot Pech hat, landet er zwischen zwei Galaxien und entdeckt auf einem verlorenen Planeten außerirdische Intelligenz. Sie versucht mit Hilfe von Primzahlen Kontakt aufzunehmen. Aber was hat das mit Urknallen zu tun?
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Andy S. Falkner
Urknalle
Science Fiction Story
Megalomane und Gigantophobe, Band 15
Text & Bild © Andreas Solymosi
Umschlaggestaltung: Judith Solymosi, nach einem Gemälde-Motiv von Vera Solymosi-Thurzó
Einige Darstellungen stammen aus Wikipedia
Alle Rechte vorbehalten
Das Problem mit diesen intergalaktischen Reisen ist, dass man nie wissen kann, wie lange sie dauern. Theoretisch kann man sie in ein-zwei Stunden abwickeln; freilich ist dies nicht der Normalfall. Wenn man Pech hat, kann eine Reise sogar jahrelang dauern. Na, so ein Pech habe ich nie gehabt, aber es ist schon mal vorgekommen, dass ich acht Monate lang im Raum meine Haken schlug, als ich ein halbplanetengroßes Manganstück in eine sehr ferne Galaxis transportieren sollte. Dies ist nämlich ein seltenes Metall dort, weil im jungen Universum nur wenige schwere Elemente entstanden sind. Auf dem Rückweg importierte ich festes Helium, das es bei uns nicht gibt – dieses Material ist härter als Diamant, man kann es nur mit der Atomschere zerstückeln. Dort gibt es ganze Monde daraus, die zu uns transportiert werden müssen. Im Prinzip ist dies nicht schwer: Das Ganze muss nur mit einigen Millionen g in die Nähe der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und nach dem halben Weg genauso abgebremst werden. Der Rückweg ist ziemlich gut gelungen, aber der Hinweg, wie gesagt, dauerte fast acht Monate subjektiver Zeit. Ich habe den Adressaten immer wieder aufs Neue angezielt, aber die Unbestimmtheitsrelation schlägt bei solchen Entfernungen und besonders bei einer solchen Masse stark zu.
Diese Reisen funktionieren nämlich so, dass nach gründlicher Berechnung der Raumverzerrer ein virtuelles schwarzes Loch vor mich in eine solche Entfernung projiziert, dass wir gerade von der Nähe seines Ereignishorizonts in seine Richtung stürzen. Je größer die virtuelle Masse des Lochs ist, desto höher ist unsere Beschleunigung. Wir erleben dies als freien Fall, das heißt, wir sind schwerelos; aber die Lichter des umgebenden Weltalls verzerren sich sehr komisch: die neben uns sehen wie lange Streifen aus, dann später verteilt sich ihre Energie im Streifen so stark, dass sie verblassen und schließlich verschwinden. Die Sterne hinter uns werden röter, dann wird die Wellenlänge ihres Lichts so groß, dass man auch sie nicht mehr sieht. Das Licht eilt uns zwar nach, aber wenn wir fast gleich schnell sind, dann erreicht es uns kaum – und es wird tiefer wie die Sirene des sich entfernenden Rettungswagens. Dies heißt Doppler-Effekt. So etwas weiß ich daher, dass ich während der unbekannt langen Zeit der Reisen alles Mögliche zusammenlese. Physik, Philosophen aus dem Altertum, kombinatorische Linguistik, so in der Art. Ich bin halt schon ein komischer Vogel.
Nach vorne sieht man wegen des schwarzen Lochs nichts, das alle Strahlung von dort verschluckt; aber das ist ein Glück, weil der Doppler-Effekt die Wellenlänge der entgegenkommenden Lichter zur härtesten Gammastrahlung verkürzt. Also, wir sehen während der Reise nichts: Wir wissen nicht, wo wir sind und auf welche Weise die anfänglichen Berechnungen modifiziert werden sollten, obwohl dies meistens gut wäre. Nur wenn wir uns in der Nähe des angenommenen Ziels genügend langsam geworden sind, merken wir, wie sehr wir uns verrechnet haben. Oder eben nicht, wenn wir Schwein hatten.
Weil der Raumverzerrer selbst auch beschleunigt wird, rast das virtuelle Loch vor uns mit; so kann die Beschleunigung beliebig lang aufrechterhalten werden. Das muss man aber nicht allzu lang, weil wenn sie groß genug ist, wir in kürzester Zeit fast mit Lichtgeschwindigkeit fliegen, und (weil sich Einstein entsprechend unsere wahrgenommene Zeit verlangsamt) schon sind wir angekommen. Die Frage ist nur, wo. Hoffentlich einen Schritt näher zum Ziel, aber dies ist überhaupt nicht sicher. Die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation besagt, dass man das unmöglich genau wissen kann, egal wie gründlich wir unsere Bahn berechnet haben. Und wenn wir Pech haben, haben wir danebengeschossen, wir müssen es neu versuchen, bis es irgendwann klappt. Wie gesagt, je größer die Entfernung und die Masse, desto unsicherer ist die Reisezeit. Was lange dauert ist nicht das eigentliche Vorwärtskommen, sondern die Rechnerei und das Ärgern.
Der Großteil der intergalaktischen Reisen dauert ein-zwei Tage, schlimmstenfalls einige Wochen: Früher oder später gelingt es, das Ziel anzuschießen, und dann ist es innerhalb der Galaxis nicht mehr so schwer, den Transport an den gewünschten Ort zu bringen. Dies wird meistens von örtlichen Firmen erledigt, die schon Erfahrung und genau Daten über die hin- und herrasenden Raumverzerrer haben, deren Gravitationswirkung neben den echten schwarzen Löchern und Sternen ebenfalls in die Bahn einberechnet werden muss – sie kennen sich damit aus. Nur wenn der Auftraggeber sparen will und ich ein gutes Angebot mache, muss ich noch weiter innerhalb der Zielgalaxis zwischen den Sternen zacken – aber wie gesagt, dies ist nicht mehr so kompliziert. Und wenn ich die Ware einige Lichtjahre weiter ablade, können wir vielleicht auch darin einig werden – schlimmstenfalls siedelt er dann seinen Manganverarbeitungsbetrieb im benachbarten Sonnensystem an.
Also, ich lebe davon. Freilich mache ich es nicht alleine, meine Familie kommt mit; wenn sie bleiben würde, könnte ich keine Urgroßenkel meiner Urgroßenkel wiedersehen. Ich sehe nicht einmal meinen Startplaneten wieder, weil selbst seine Sonne längst zu Nova geworden ist. Die Menschheit hat sich in Raum und Zeit zerstreut, seitdem wir den Raumverzerrer erfunden haben und im Weltall hin- und herflitzen. Das nennen wir Neuen Urknall.