Verborgene Chronik 1914 - Herbert Kapfer - E-Book

Verborgene Chronik 1914 E-Book

Herbert Kapfer

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Beschreibung

Das »Echolot« des Ersten Weltkriegs. 1914 von unten – Einblicke ins Alltags- und Gefühlsleben der Deutschen im Schicksalsjahr, wie es sie noch nie gab. Fast hundert Jahre lang blieben sie in privaten Händen, unveröffentlicht, dann fanden sie den Weg ins Deutsche Tagebucharchiv. Jetzt sichteten Lisbeth Exner und Herbert Kapfer, unterstützt von den Mitarbeitern des Archivs, für diesen Band erstmals die dort lagernden ca. 240 Tagebücher aus der Zeit zwischen 1914 und 1918 und komponierten aus den dafür geeigneten die Verborgene Chronik, eine Art kollektives Tagebuch des Ersten Weltkriegs. Die Verborgene Chronik 1914 erzählt – anhand privater Schicksale – von der komplizierten Vorgeschichte bis zur großen Euphorie bei Kriegsbeginn, von den frühen Siegen bis zur ersten Ernüchterung, als sich der Krieg im Westen in den Schützengräben um Somme und Marne und im Osten festfuhr. Stimmen von der Front und aus der Etappe, aus den Schützengräben in Ost und West, von den Weltmeeren, aus dem Hinterland. Von einfachen Soldaten und Offizieren, von Daheimgebliebenen, Müttern, Geliebten und Kindern, Sanitätern, Feldpastoren, Arbeitern in Munitionsfabriken, Ehefrauen. Eine Collage subjektiver Stimmen, die in ihrer Gesamtheit ein Bild des Jahres 1914 malt, wie es noch nie zu sehen war.

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Seitenzahl: 488

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Lisbeth Exner / Herbert Kapfer

Verborgene Chronik 1914

Herausgegeben vom Deutschen Tagebucharchiv

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Lisbeth Exner / Herbert Kapfer

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

MottoVorwortVerborgene Chronik 1914Montag, 27. Juli 1914 Dienstag, 28. Juli 1914Mittwoch, 29. Juli 1914Donnerstag, 30. Juli 1914Freitag, 31. Juli 1914Samstag, 1. August 1914Sonntag, 2. August 1914Montag, 3. August 1914Dienstag, 4. August 1914Mittwoch, 5. August 1914Donnerstag, 6. August 1914Freitag, 7. August 1914Samstag, 8. August 1914Sonntag, 9. August 1914Montag, 10. August 1914Dienstag, 11. August 1914Mittwoch, 12. August 1914Donnerstag, 13. August 1914Freitag, 14. August 1914Samstag, 15. August 1914Sonntag, 16. August 1914Montag, 17. August 1914Dienstag, 18. August 1914Mittwoch, 19. August 1914Donnerstag, 20. August 1914Freitag, 21. August 1914Samstag, 22. August 1914Sonntag, 23. August 1914Montag, 24. August 1914Dienstag, 25. August 1914Mittwoch, 26. August 1914Donnerstag, 27. August 1914Freitag, 28. August 1914Samstag, 29. August 1914Sonntag, 30. August 1914Montag, 31. August 1914Dienstag, 1. September 1914Mittwoch, 2. September 1914Donnerstag, 3. September 1914Freitag, 4. September 1914Samstag, 5. September 1914Sonntag, 6. September 1914Montag, 7. September 1914Dienstag, 8. September 1914Mittwoch, 9. September 1914Donnerstag, 10. September 1914Freitag, 11. September 1914Samstag, 12. September 1914Sonntag, 13. September 1914Montag, 14. September 1914Dienstag, 15. September 1914Mittwoch, 16. September 1914Donnerstag, 17. September 1914Freitag, 18. September 1914Samstag, 19. September 1914Sonntag, 20. September 1914Montag, 21. September 1914Dienstag, 22. September 1914Mittwoch, 23. September 1914Donnerstag, 24. September 1914Freitag, 25. September 1914Samstag, 26. September 1914Sonntag, 27. SeptemberMontag, 28. September 1914Dienstag, 29. September 1914Mittwoch, 30. September 1914Donnerstag, 1. Oktober 1914Freitag, 2. Oktober 1914Samstag, 3. Oktober 1914Sonntag, 4. Oktober 1914Montag, 5. Oktober 1914Dienstag, 6. Oktober 1914Mittwoch, 7. Oktober 1914Donnerstag, 8. Oktober 1914Freitag, 9. Oktober 1914Samstag, 10. Oktober 1914Sonntag, 11. Oktober 1914Montag, 12. Oktober 1914Dienstag, 13. Oktober 1914Mittwoch, 14. Oktober 1914Donnerstag, 15. Oktober 1914Freitag, 16. Oktober 1914Samstag, 17. Oktober 1914Sonntag, 18. Oktober 1914Montag, 19. Oktober 1914Dienstag, 20. Oktober 1914Mittwoch, 21. Oktober 1914Donnerstag, 22. Oktober 1914Freitag, 23. Oktober 1914Samstag, 24. Oktober 1914Sonntag, 25. Oktober 1914Montag, 26. Oktober 1914Dienstag, 27. Oktober 1914Mittwoch, 28. Oktober 1914Donnerstag, 29. Oktober 1914Freitag, 30. Oktober 1914Samstag, 31. Oktober 1914Sonntag, 1. November 1914Montag, 2. November 1914Dienstag, 3. November 1914Mittwoch, 4. November 1914Donnerstag, 5. November 1914Freitag, 6. November 1914Samstag, 7. November 1914Sonntag, 8. November 1914Montag, 9. November 1914Dienstag, 10. November 1914Mittwoch, 11. November 1914Donnerstag, 12. November 1914Freitag, 13. November 1914Sonntag, 14. November 1914Sonntag, 15. November 1914Montag, 16. November 1914Dienstag, 17. November 1914Mittwoch, 18. November 1914Donnerstag, 19. November 1914Freitag, 20. November 1914Samstag, 21. November 1914Sonntag, 22. November 1914Montag, 23. November 1914Dienstag, 24. November 1914Mittwoch, 25. November 1914Donnerstag, 26. November 1914Freitag, 27. November 1914Samstag, 28. November 1914Sonntag, 29. November 1914Montag, 30. November 1914Dienstag, 1. Dezember 1914Mittwoch, 2. Dezember 1914Donnerstag, 3. Dezember 1914Freitag, 4. Dezember 1914Samstag, 5. Dezember 1914Sonntag, 6. Dezember 1914Montag, 7. Dezember 1914Dienstag, 8. Dezember 1914Mittwoch, 9. Dezember 1914Donnerstag, 10. Dezember 1914Freitag, 11. Dezember 1914Samstag, 12. Dezember 1914Sonntag, 13. Dezember 1914Montag, 14. Dezember 1914Dienstag, 15. Dezember 1914Mittwoch, 16. Dezember 1914Donnerstag, 17. Dezember 1914Freitag, 18. Dezember 1914Samstag, 19. Dezember 1914Sonntag, 20. Dezember 1914Montag, 21. Dezember 1914Dienstag, 22. Dezember 1914Mittwoch, 23. Dezember 1914Donnerstag, 24. Dezember 1914Freitag, 25. Dezember 1914Samstag, 26. Dezember 1914Sonntag, 27. Dezember 1914Montag, 28. Dezember 1914Dienstag, 29. Dezember 1914Mittwoch, 30. Dezember 1914Donnerstag, 31. Dezember 1914Freitag, 1. Januar 1915AnhangDie Autorinnen und Autoren der TagebücherZeittafel und Chronik-BerichteZur EditionTextnachweiseDas Deutsche TagebucharchivDankOrtsverzeichnis
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Es muss möglich sein, die Realität als die geschichtliche Fiktion, die sie ist, auch darzustellen.

Alexander Kluge

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Vorwort

Zufälle aller Art haben die Aufzeichnungen, aus denen die Verborgene Chronik schöpft, ein Jahrhundert lang vor der Vernichtung bewahrt. Auf verschiedenen Wegen fanden sie, von privaten Besitzern übergeben, in das Deutsche Tagebucharchiv. Die Motive und Entscheidungen, die letztlich zum Erhalt und damit zur Überlieferung der Aufzeichnungen beigetragen haben, sind nur bedingt und manchmal gar nicht rekonstruierbar. Auch die Absichten und Wünsche derer, die diese Aufzeichnungen verfassten, sind im Einzelnen unbekannt. Wir können nur feststellen, dass diese Tagebücher im Gegensatz zu anderen Selbstzeugnissen nicht zerrissen, verbrannt, verschüttet oder weggeworfen wurden und dass sie uns nun für eine vielstimmige historische Erzählung zur Verfügung stehen. Das erhalten Gebliebene, das Handschriftliche und das Getippte, ist der Stoff der Verborgenen Chronik. Was sie berichtet, ist dementsprechend vom Zufall getragen. Eine Chronik mit anderen Aufzeichnungen hätte einen anderen Erzählverlauf. Sie wäre eine Geschichte anderer Möglichkeiten.

In diesem Buch kommen nur unveröffentlichte Tagebücher zu Wort. Es beginnt am 27. Juli 1914, einen Tag vor der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, es endet mit dem ersten Tag des zweiten Kriegsjahrs, am 1. Januar 1915. Es berichtet von den spontanen und inszenierten Kundgebungen und Truppenverabschiedungen an Bahnhöfen, von den seit der Mobilmachung einsetzenden Veränderungen des gesellschaftlichen und alltäglichen Lebens und den wechselvollen, zwischen Nationalstolz, Angst und Trauer hin- und hergerissenen Stimmungen in der Heimat, von ersten militärischen Erfolgen und Niederlagen im Sommer bis zum Beginn des Stellungskrieges, wie er bereits ab November 1914 vor allem die Westfront für Jahre beherrschen sollte. Es erzählt, wie aus der Sicht Einzelner Geschehnisse erlebt wurden, die heute Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts sind – chronologisch, Tag für Tag, mit ständig wechselnden Schauplätzen und Perspektiven. Die für die Chronik verwendeten Aufzeichnungen sind durchdrungen von der eigenen unmittelbaren Beobachtung und Erfahrung. Sie entstanden jedoch nicht unabhängig von der öffentlich zugänglichen Information, sondern sind beeinflusst von Kriegsberichterstattung, Regierungsverlautbarungen, Propaganda und politischen Lügen, von Zensur und verlegerischer Selbstzensur. Die Chronik zeichnet Bilder verschiedener Bewusstseinslagen aus einer vergangenen Zeit. Politische Unwahrheiten, Täuschungen und historische Irrtümer werden nicht widerlegt, der Horizont der dargestellten Zeit wird nicht verlassen. Im Vordergrund steht die zeitnahe, subjektive Niederschrift von Berichten und Reflexionen.

Es mag vielleicht auch manchen Leserinnen und Lesern so ergehen, wie es uns bei der Zusammenstellung und Montage der Selbstzeugnisse erging. Die Verfasserinnen und Verfasser der Tagebücher, über die in vielen Fällen nur bekannt ist, was aus ihren Notizen hervorgeht, nehmen mehr und mehr Gestalt an: Aus Berichtenden werden Figuren. Ihre Einträge beschreiben eigene Erlebnisse. Es sind Nahaufnahmen, die eine Fülle unbekannter Details sichtbar machen und gleichzeitig die Ausschnitthaftigkeit der Beobachtung, die Begrenzung der eigenen Erfahrung, des eigenen Wissens und der individuellen Handlungsmöglichkeiten zeigen.

Wir stellen uns vor, wie damals die verordnete militärische Mobilmachung einherging mit einer alltäglichen und individuell erlebten: Die Wahrnehmung und das Gefühl, an großen, epochalen Ereignissen teilzunehmen, eine Art innerer Mobilmachung dürfte viele Menschen bewegt haben, ab Kriegsbeginn eigene Beobachtungen und Erlebnisse festzuhalten – sei es aus dem Bedürfnis rein privater Orientierung, sei es aus dem Bewusstsein eigener Zeitzeugenschaft heraus, das schemenhaft den möglichen Einfluss erlebter Gegenwart auf die Zukunft begriff. Wir wissen heute, dass der Kriegsbeginn Auslöser für das Entstehen einer regelrechten Schreibbewegung war. Es wurden nicht nur massenhaft Tagebücher angefangen, es entstanden angeblich allein im Monat August 1914 in Deutschland auch über eine Million Kriegsgedichte. Aber was besagt so eine Zahl? Sie sagt etwas aus, wenn sie in eine Relation zu anderen Zahlen gesetzt wird: Vier Millionen Männer wurden im August 1914 eingezogen. Bis Dezember 1914 hatte die deutsche Armee über 140000 Tote.

Die Aufzeichnungen zu diesem Band der Verborgenen Chronik stammen von 37 Tagebuchautorinnen und -autoren. Sie kommen mit fast täglichen Einträgen oder auch sporadisch zu Wort. Sie treten irgendwann mit ihren Notizen in die Montage-Erzählung ein und geraten zu einem anderen Zeitpunkt wieder aus dem Blickfeld. Im Laufe der Kriegsmonate kommen neue Tagebuch schreibende Beiträger hinzu, während andere verschwinden – weil sie ihre Skizzen einstellten aus Gründen, die unbekannt sind, oder weil der Tod zum Abbruch der Aufzeichnungen führte oder weil die Einträge unsere Gesamtdarstellung nicht oder nur geringfügig bereichert hätten. Aus unserer Sicht bot es sich nach intensiver Lektüre an, die Aufzeichnungen zu den ersten Kriegsmonaten in einer literarischen Montage vorzustellen, die eine tägliche Chronik mit häufig wechselnden Schauplätzen ergeben sollte – auch und gerade, weil sie Lücken in den Ereignisfolgen zeigt und mit jedem Wechsel oder Schnitt die fragmentierende Erzählweise in Erinnerung bringt. Der entstehende Erzählraum der Verborgenen Chronik umfasst in seiner Gesamtdimension den Ersten Weltkrieg bis zu seinem Ende. Die stoffliche Fülle der auf drei Bände angelegten Edition beruht auf den von insgesamt 189 Autorinnen und Autoren geschriebenen Tagebüchern, die uns der Herausgeber, das Deutsche Tagebucharchiv, großzügig zur Verfügung stellt.

 

Lisbeth Exner, Herbert Kapfer

München, Januar 2014

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Verborgene Chronik 1914

 

 

Der irre Zufall kann heute, kann morgen, kann jede Minute rufen, und alle, alle werden kommen. Der Not gehorchend – aber gehorchend. Anfangs werden sie heulen, da sie ihr bisschen Erdenglück zusammenbrechen sehen, – bald jedoch werden sie, wenn auch nicht mit ganz sauberer Unterwäsche, vom allgemeinen Taumel besessen sein und besinnungslos morden und ermordet werden.

Franz Pfemfert, Die Besessenen, geschrieben am 27. Juli 1914

Montag, 27. Juli 1914 

Josef Glaser, im Zug bei Zittau

Um 9 Uhr vormittags Telegramm erhalten folgenden Inhalts: »9. Korps mobil, sofort kommen.« Die Vorstandsmitglieder telefonisch verständigt. Von 11 bis 12 Uhr Vorstandssitzung. Kollege Röllig, Hildesheim, als Vertreter bestellt. Nach dem Essen in Uniform geworfen. Bei Herrn von Krosigk und Inspektor Rauch Abschiedsbesuche gemacht und in Fabrik die letzten Anordnungen getroffen. Um 2.15 Uhr in Begleitung von Irma mit dem Wagen zum Bahnhofe Belleben gefahren, dort von Kollegen Hartmann verabschiedet. Um 3.42 Uhr abgefahren über Halle, Leipzig, Dresden, Zittau nach Reichenberg. Auf den Stationen normales Leben.

Annemarie Pallat, Wannsee

Trübes Wetter und trübe Aussichten: Österreich mobilisiert. Abends bemerkte Ludwig eine kleine schmerzhafte Stelle am Fuß.

Gertrud Blanckenhorn, Kassel

Spannung stark, da Russland mobilisiert. Unser Kaiser aber wünscht den Frieden.

Dienstag, 28. Juli 1914

Josef Glaser, Schüttenitz (Österreich-Ungarn, Böhmen)

In Reichenberg eingetroffen. Einige Stunden geschlafen. Die Feldausrüstung in Ordnung gebracht, um 9.50 Uhr abgefahren. Reserveleutnant Hendrich vom 73. Infanterie-Regiment fährt bis Leitmeritz mit. Dort um 1.30 Uhr eingetroffen. In der Stadt herrscht reges Leben, vor allen öffentlichen Gebäuden stehen große Menschenmengen. Zahlreiche Wagen mit Ausrüstungsgegenständen rollen durch die Straßen. In der Kaserne erfahre ich die Zuteilung zur 8. Kompanie. Mittels Wagen mein Gepäck abgeholt und nach Schüttenitz gefahren. Dort beim Fleischermeister Kubitschek Wohnung bezogen. Um 7 Uhr mit Reserveleutnant Liebisch nach Leitmeritz gefahren und im Hotel Schwane gegessen, das erste Essen seit 8 Uhr früh. An Stelle des Holzkoffers einen leichten Stoffkoffer gekauft, da unsere Verwendung in Serbien gesichert erscheint. In der Stadt noch bewegtes Leben. Nach 9 Uhr den Rückweg zu Fuß angetreten, dreiviertel Stunden Gehzeit. Sehr voluminöses Bett in geräumigem Zimmer.

Mittwoch, 29. Juli 1914

Annemarie Pallat, Wannsee

Der Fuß bessert sich, aber Ludwig muss ruhig liegen. Dabei werden die Zustände immer aufregender. Alles hängt davon ab, ob Russland sich einmischt. Es regnet Bindfäden. Nachmittags in Friedenau. Die Kriegserklärung Österreichs wird veröffentlicht und das Manifest Kaiser Franz Josephs an seine Völker.

Friedrich Link, Freiburg

Krank gemeldet bis 16. August, werde ich heute zum Dienst berufen wegen großen Telegrammverkehrs. Lage beginnt ernst zu werden.

Donnerstag, 30. Juli 1914

Josef Glaser, Schüttenitz (Österreich-Ungarn, Böhmen)

Nachmittag um 1.30 Uhr mit der Kompanie zur Schießstätte nach Trabschitz marschiert in zweieinhalb Stunden. Mannschaft schießt gut.

Friedrich Link, Freiburg

Tag und Nacht Dienst. Telegramme deuten auf Verschlimmerung der Lage hin.

Annemarie Pallat, Wannsee

Russland mobilisiert! Frau Sievers telefoniert, dass in Berlin Extrablätter ausgegeben seien mit der Nachricht, dass Deutschland auch mobilisiere. Aber die Nachricht wird öffentlich dementiert. Abends Jolles bei uns, der sich als Kriegskorrespondent melden oder sonst was Nützliches tun will. Später kamen noch Sievers in großer Aufregung. Ludwig arbeitet mit unerschütterlicher Ruhe an seinem Buch.

Freitag, 31. Juli 1914

Mädchen, Karlsruhe

Da Serbien eine unzureichende, unbefriedigende Note an Österreich sandte, wurde der Krieg zwischen Serbien und Österreich beschlossen. Serbien hat die Unterstützung Russlands zugesichert bekommen. Welch eine Verantwortung liegt jetzt auf dem russischen Staat! Österreich hat vollständig mobilisiert, die Truppen sollen Belgrad schon eingenommen haben. Die Friedensverhandlungen Englands hat Deutschland abgelehnt. Gestern war der junge Graf Geßler hier zu Tisch.

Elisabeth Schwarz, Heidelberg

Vor Erwartung und Neugierde hielt es kein Mensch daheim aus. So war alles auf den Straßen versammelt, wir selbst auf der bekannten Hauptstraße, als uns gegen Abend die »roten« Zettel verkündeten: Kriegszustand, noch keine Kriegserklärung!

Annemarie Pallat, Wannsee

Der Fuß wieder etwas schlechter: Es ist scheußlich, dass Ludwig so festsitzt. In Berlin morgens, als ich mit Peter dort war, um Geld zu holen, noch alles ruhig, nur Banken und Sparkassen voller Menschen. In den Warenhäusern wollen sie keine Lebensmittelvorräte mehr ausgeben. Nachmittags wird der Kriegszustand über Deutschland verhängt. Der Kaiser fährt durchs Brandenburger Tor ein und hält eine Ansprache. Schade, dass man nicht dabei war! Hier regelt man seine Finanzen und sucht sich Vorräte zu sichern. Ludwig arbeitet ruhig weiter.

Ernst Eberlein, Schweidnitz, Schlesien

Um 5½ Uhr nachmittags Verkündung des Kriegszustandes durch einen Offizier und vier Begleiter. Der Marktplatz hatte sich gefüllt. Nach Verlesung des ersten Teils brauste ein kräftiges Hurra durch die Luft, angestimmt durch einen alten weißbärtigen Herrn. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, war das Stadtleben ein unverändertes. Oft drängte sich neugieriges Publikum zusammen, eifrig alle Möglichkeiten der Zukunft erörternd. Am Bahnhof reges Leben, die Sommerfrischler kehrten zurück, die eingezogenen Reservisten füllten die Straßen. Bei Zivilbevölkerung teilweise Freude, teilweise Betrübnis insbesondere beim besonnenen Publikum, das den Ernst der Situation mehr übersah. Bei den jungen Offizieren wider Erwarten viele ernste Gesichter und oft nur gezwungenes Lächeln.

Samstag, 1. August 1914

Josef Glaser, Schüttenitz (Österreich-Ungarn, Böhmen)

Um 9 Uhr am Marktplatz in Leitmeritz feierliche Einsegnung. Blauer Himmel, große Menschenmenge. Tscheche demonstriert durch Ruf: »Hoch Serbien!«, wird verprügelt. Nachmittags wimmelt es von Menschen in Schüttenitz, die die eingerückten Reservisten besuchen.

Mädchen, Karlsruhe

Hier ist schon alles gerüstet. Die Brücke bei Maxau ist von den hiesigen Dragonern bewacht. Man darf nur in Begleitung eines Soldaten die Brücke betreten. Heute hat sich Wilhelm als Kriegsfreiwilliger bei den Dragonern gestellt. Am zweiten Mobiltage muss er eintreten. Es ist kaum noch etwas zu bekommen. Die Preise sind gewaltig gestiegen, Mehl von 20 auf 35 Pfennig. Da ich erst fünfzehn Jahre alt bin, darf ich mich als Krankenhilfe noch nicht melden. Um aber nicht müßig zu Hause zu sitzen, will ich sehen, ob ich genommen werde, um im Ernstfalle den Soldaten Erfrischungen an der Bahn zu reichen. – Abends 6 Uhr. Der Krieg ist erklärt! Ich kann es nicht glauben, kann es mir nicht vorstellen … was heißt es, Krieg … Gott sei mit uns, wir Menschen können nichts mehr machen. Wilhelm kommt Montag in die Kaserne. Major Moser hat sich noch sehr nett und liebenswürdig mit ihm unterhalten und hat ihm gesagt, dass Graf Geßler den Wunsch hege, ihn in seinem Regiment als Fahnenjunker zu sehen. Er wird aber als Kriegsfreiwilliger eintreten. Gott schütze ihn. In der ganzen Stadt herrscht Begeisterung. Bei der Kriegsverkündigung sangen sie heute ›Deutschland, Deutschland über alles‹.

Annemarie Pallat, Wannsee

Gegen 7 Uhr wird die Mobilisierungs-Ordre hier an den Säulen angeschlagen. Also wirklich. Ich möchte nach Berlin, aber Peter hat keine besondere Lust. Wenn nur Ludwig nicht so festsäße. Jolles macht alles in Berlin mit.

Elisabeth Schwarz, Heidelberg

Ungeheure Begeisterung bei Alt und Jung! Arm und Reich reicht sich die Hand, spricht zusammen auf den Straßen. Alles ist eins in dem Gedanken: Zusammenhalten, was da kommen mag. Nun wird nichts mehr gearbeitet, alles macht Feierabend. Viele junge Männer sieht man eilends heimwärts laufen: »Ich muss mich morgen früh stellen«, heißt’s. Überall die gleiche Begeisterung, alle freuen sich dreinzuschlagen.

Hilde Grapow, Kassel

Am Vorabend des Weltkrieges!?! steht heute auf den meisten Depeschen! So sieht Krieg aus, muss ich immer denken! Es ist viel, viel grässlicher, als man immer dachte und aus Büchern las.

Georg Becker, Alzey

Gegen 6 Uhr hörte ich im Kreiskrankenhaus zu Alzey, die Mobilmachung sei befohlen. Wir eilten auf den Roßmarkt, wo eine große Menge in dumpfem Schweigen harrte, denn noch war hier nichts angeschlagen, und nur Einzelne hatten die Nachricht mitgebracht. Nun erschien auch ein Schutzmann und klebte an die Litfaßsäule die Meldung, die alle wussten und die doch jeder sehen wollte. Die meisten waren erschüttert. Jeder, der nicht selbst mitmusste, hatte einen ihm Nahestehenden, der ins Feld sollte. Die zwei Bayern Hirtreither und der Provisor Godesbauer waren am meisten kriegsbegeistert. Sie fuhren noch am selben Abend nach München.

Meta Iggersheimer, Kolberg, Pommern

Tausende von Fremden ergriffen eiligst die Flucht, die Züge waren riesig überfüllt. Mich überkam ein eigenartig dumpfes Gefühl, ich konnte das Schwere noch nicht ganz fassen. Am Abend letztes Konzert, die Gäste kargten nicht mit Applaus.

Sonntag, 2. August 1914

Richard Walzer, Stuttgart

Sachen gepackt und abends Abschied gefeiert im Wilhelmsbau.

Hilde Grapow, Kassel

Hier ziehen immerzu die Truppen aus, alle laufen in feldgrauer Uniform herum. Man sieht schrecklich viel verweinte und ernste Gesichter. Kassel ist belebt wie nie. Nagelneue Autos flitzen herum, Pferde und Leiterwagen, Möbelwagen, alles wird herangeholt. Viele Soldaten sind riesig vergnügt, singen und freuen sich, dass wir Deutsche auch mal zeigen können, was wir können! Alles ist in Bewegung. Heute Morgen war ich bei Pfarrer Stein in der Kirche. Er sprach kurz und wunderhübsch über meinen Konfirmationsspruch: »Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme.« Alle waren gerührt. Wunderhübsch war es!

Annemarie Pallat, Wannsee

Mich litt es nicht länger hier, ich musste nach Berlin. Peter enttäuscht mich sehr durch seinen Mangel an Begeisterung, er wollte nicht mit. Ich ging mit Frau Jolles und Jan, um ½ 11 Uhr Gottesdienst am Bismarck-Denkmal vor dem Reichstag. Um ½ 12 Uhr gingen wir die Linden entlang bis zum Schloss, sahen die Wache aufziehen und die kronprinzliche Familie anfahren. Fabelhaft war der Menschenandrang und die allgemeine Begeisterung. Um ½ 4 Uhr war ich wieder in Wannsee. Jolles telefoniert um ½ 9 Uhr, dass Japan den Krieg an Russland erklärt habe! Die Franzosen haben Nürnberg bombardiert per Aeroplan. Wilde Gerüchte überall.

Meta Iggersheimer, Kolberg, Pommern

Erster Mobilmachungstag wurde durch überall angeschlagene Zettel kundgegeben. Alles befand sich in furchtbarer Erregung. Ich wurde nicht mehr Herr meiner selbst, eine Unruhe überkam mich, die mir alles klare Denken verwehrte. In den Hafen fuhr ein Schleppdampfer herein, der in Kriegszeiten den Weg für feindliche Schiffe versperren muss. Eine Menge russische Spione wurde verhaftet und standrechtlich erschossen. In unserem Hause wohnte gleichfalls eine russische Dame, welche verdächtigt wurde, Bomben bei sich zu haben. Die Polizei hielt Haussuchung, fand aber zum Glück nichts Verdächtiges vor. Trotzdem war die Aufregung eine maßlose.

Montag, 3. August 1914

Paula Busse, Bensberg bei Köln

Seit gestern früh ist mein Herzallerliebster fort, um sich seinem Vaterland zur Verfügung zu stellen. Welche Tage und Nächte gingen dem Abschied voran, davon will ich schweigen. Wie viel kann das Menschenherz ertragen. Wir sind die Tage keinen Schritt voneinander gewichen, jede Minute wollte man zusammen sein. Er hat den Abschied wie ein Held getragen. Ein kleines Ringlein, das ich ihm schon als Braut einmal gegeben, habe ich ihm an einem goldenen Kettchen um den Hals gehängt, das soll ihn schützen. Mit heißen Tränen und Küssen habe ich es benetzt und an die Lippen gedrückt, vielleicht hat meine heiße Liebe die Macht, eine feindliche Kugel von ihm abzuwenden. Sein Vater und ich gaben ihm das Geleit zum Bahnhof. Ich ließ es mir nicht nehmen, ich musste den Säbel tragen, wie habe ich ihn verstohlen an den Mund gepresst. Wie stattlich sah mein Liebster aus. Ich hielt mich tapfer, nur als der Zug nicht mehr zu sehen, da verließ mich die mühsam bewahrte Fassung. Lieber, lieber Gott, gib uns ein Wiedersehen!

Clara und Josephine Bohn, Ingersheim, Elsaß-Lothringen

Es mussten viele militärpflichtige Männer und Jünglinge zum Heer einrücken und ihre Heimat verlassen. Der »letze Berg« wurde mit Kanonen und Soldaten besetzt. Man vermutete, der Feind rücke in das Münstertal ein.

Meta Iggersheimer, im Zug bei Berlin

Krieg mit Frankreich. Französische Truppen halten deutsche Ortschaften besetzt. Bomben werfende Flieger kommen seit gestern nach Baden und Bayern und versuchen unsere Bahnen zu zerstören. Frankreich hat damit den Angriff gegen uns eröffnet und den Kriegszustand erklärt. Unseres Reiches Sicherheit zwingt uns zur Gegenwehr. Der Kaiser hat die erforderlichen Befehle erteilt.

Hilde Grapow, Kassel

Heute Morgen kamen feine Depeschen. 1) Deutsche über die russische Grenze bei Thorn, 2) ein französischer Flieger heruntergeschossen, 3) Sprengung eines Tunnels bei Kochem verhindert, die zwei Leute erschossen. 4) König Peter von Serbien mit 20000 Mann von Österreichern gefangen genommen!!! 5) Kreuzer Augsburg im Hafen Libau (Russland) Minen gelegt, Hafen in Brand! 6) Russische Flotte im Hafen Libau vollständig vernichtet!!!!!! Das ist doch fein! Ich habe mich mächtig gefreut!

Georg Becker, Alzey

Der Montag begann mit einer Blinddarmoperation: ein Patient, der schon vor Wochen bei mir gewesen war und bisher keine Zeit zur Operation gehabt hatte. Jetzt schien es ihm das Sicherste, sich den Bauch aufschneiden zu lassen. Dies ging noch an, da er wirklich nach meiner Ansicht nicht ausrücken konnte. Auch sonst fanden sich manche ein, die ein Zeugnis über früher im Krankenhaus durchgemachte Erkrankungen verlangten. Es wurde eine große Razzia abgehalten. Alles, was einigermaßen entlassen werden konnte, vor allem die Drückeberger wurden ausgewiesen. So konnte ich Dr. Drescher das Haus mit einem Bestand von zwanzig Patienten übergeben. Der Nachmittag war mit Packen ausgefüllt.

Dienstag, 4. August 1914

Oberst a. D., Schlesien

Wenn ich nicht solch alter Krüppel wäre, ginge ich auch mit. Leider kann ich mich in keiner Weise dem teuren Vaterlande nützlich machen.

Otto von der Meden, Liebemühl, Ostpreußen

Ich und meine Jungens Adolph und Friedrich haben uns sofort freiwillig zum Heeresdienst gemeldet. Adi meldete sich in Spandau beim Garde-Fußartillerie-Regiment und Friedel bei der Ersatz-Schwadron eines Regiments Jäger zu Pferde in Hannover. Ich kaufte sofort in Osterode als Militärkommission ca. 500 Pferde und 200 Ackerwagen zur Beförderung von allerhand Kriegsmaterial an. In zwei Tagen mussten die Pferde und Wagen ausgehoben sein. Ich konnte dem Generalkommando Allenstein melden, dass ich genügend Pferde angekauft hätte. Während des Ankaufsgeschäftes erhielt ich schon die Anfrage, ob ich für den erkrankten Hauptmann von Mandel die Führung der 6. Artillerie-Munitions-Kolonne übernehmen wollte. Ich willigte natürlich ein und musste am dritten Mobilmachungstage zwei Stunden nach beendigtem Pferdeankauf mit der Kolonne ausrücken. Sie bestand aus ca. 25 Munitionswagen mit Vorder- und Hinterprotze, 180 Kanonieren, 180 Pferden und zwei Offizieren. Alles nigelnagelneues Material. Jeder Rock, jede Hose, jeder Wagen, alles neu. Ich ließ aufsitzen, brachte ein Hurra auf unseren Kaiser und König aus, und fort ging es in den Krieg. Ganz so einfach war das nun allerdings nicht. Die Pferde, die an Kummetgeschirre nicht gewöhnt waren, sondern vom Lande her nur Brustblattgeschirre, wollten nicht anziehen. Schließlich ging es aber. Um 4 Uhr nachmittags verließen wir Osterode, und um 9 Uhr abends waren wir im ersten Quartier in dem kleinen Städtchen Liebemühl.

Annemarie Pallat, Wannsee

In Wannsee tragikomische Aufregung über 24 Autos mit russischem Gold und Spionen, die hier durchkommen sollen und aufgehalten werden müssen, am Rathaus große Absperrung der Chaussee. Ich fuhr per Rad nach Nikolassee zur Versammlung des Vaterländischen Frauenvereins, aber es war viel zu voll. In Berlin tritt der Reichstag zusammen, feine Thronrede des Kaisers, Einigkeit mit den Sozialdemokraten.

Gertrud Blanckenhorn, Kassel

Nun möchte ich nur irgendwo helfen, aber ich kann ja nicht fort, Papa will es nicht. Ich schäme mich so, nicht mitmachen zu können. Einzelschicksale gibt es nicht mehr, nur Deutschlands Geschick zu bedenken.

Milly Haake, Hamm

Die Deutschen drei russische Städte eingenommen. Hurra! Montag hat Russland den Krieg erklärt. Heute ist Notabiturium, und Donnerstag fährt Wilhelm nach Paderborn. Es wurde gesagt, dass bald der Landsturm aufgeboten wird. Dann muss Enzio auch mit, o Schreck. Und doch freu ich mich in einer Beziehung, denn ich glaube, dass er sehr tapfer sein wird. Montag Morgen habe ich ihn getroffen und bin mit ihm gegangen. Leider war Marianka auch dabei. Er erzählte, dass zwei Brüder von ihm mitmüssten. Was Gretchen wohl sagt, wenn ihr Paul wegmuss. Ich nenne ihn nur Enzio, weil ich finde, dass das der schönste Jungensname ist. Ich hab mal eine Geschichte gelesen von Bertha Josephson-Mercator: ›Unter Jerusalems Toren‹ heißt sie, doch ursprünglich ›Gott will es‹. Fein, o ganz wunderbar schön. Da hieß auch einer Enzio, und den mocht ich auch so gern leiden.

Mittwoch, 5. August 1914

Meta Iggersheimer, im Zug bei Lichtenfels

Die ganze Nacht im Zug verbracht! Morgens ½6 Uhr in Saalfeld, reizendes Thüringer Städtchen. Nachricht von einer russischen Niederlage. Siebzig Russen und zehn Franzosen wurden in unserem Zug verhaftet. Es herrscht überall die denkbar größte Begeisterung. Die Bahnhöfe sind bis spät in die Nacht mit Menschen dicht besetzt, welche den vorüberfahrenden Reservisten ein lautes »Hurra!« zurufen. Kurzer Aufenthalt in Probstzella und Lichtenfels. Erneuerung des Eisernen Kreuzes. Die Deutschen rücken in breiter Front in Belgien ein.

Georg Becker, Würzburg

Am vierten Mobilmachungs- und meinem Gestellungstag meldete ich mich um ½8 Uhr in der Kaserne des 2. Train-Bataillons. Ich erfuhr, dass die Kriegslazarettabteilung, der ich zugehöre, in der Turnhalle in der Huttenstraße sei. Um ½12 Uhr hatte man uns bestellt, um uns dem Generaloberarzt vorzustellen. Er war ein 67er, der schon im Krieg 70 mit gewesen, eine schöne charakteristische Soldatenerscheinung, von Henn aus Bodenheim. Die Mannschaft betrug neunzig Mann. Es stellte sich bald heraus, dass niemand recht Bescheid wusste und dass der Trainleutnant der Einzige war, der etwas von der Sache verstand. Das Einzige, was von ärztlichem Material vorhanden war, war ein großer zahnärztlicher Kasten. Verbandsmaterial, Instrumente, alles, hieß es, würden wir von den Feldlazaretten, die wir übernehmen müssten, bekommen. Die einzige von oben angeordnete ärztliche Funktion, das Impfen des ganzen Kriegslazarettpersonals, war nicht möglich.

Mädchen, Karlsruhe

Wilhelm ist schon in der Kaserne. Er kam gestern mit einem Bekannten, Herrn Holthusen, einem sehr netten Menschen, zum Essen. Die jungen Leute sind alle begeistert. Heute hat England den Krieg erklärt. Jetzt heißt es, bis zum Letzten aushalten. Das Volk steht auf, der Sturm bricht los. Gestern Nachmittag habe ich schon fest im Roten Kreuz geholfen. Wie schrecklich ist es, wenn man all das viele Verbandszeug sieht und weiß, dass man es braucht und dass die Verwundeten es nötig haben.

Paula Busse, Bensberg bei Köln

Gibt es einen Gott, so muss er uns seinen Schutz verleihen, denn ungerechter und grundloser ist wohl nie ein Krieg vom Zaun gebrochen worden. Ich war heute Morgen mit meiner Schwester in der Schlosskapelle in Bensberg zum allgemeinen Gebet. So viele Menschen hat unser kleines Kirchlein wohl noch nie beisammen gehabt. Herrliche Worte sprach unser Militärpfarrer, die ich wohl nie vergessen werde.

Gertrud Blanckenhorn, Kassel

Selbst ich brauche wieder Gott und schäme mich, ihn in glücklichen Zeiten abgestritten zu haben. Man hört nichts von den Grenzen. Wären doch erst einmal alle Truppen hinaus. Es dauert noch reichlich lange, finde ich. Wenn es nur bald zum Schlagen käme, dann sähe man doch einmal klar. Die Ungewissheit ist zum Umbringen.

Ernst Eberlein, Breslau, Schlesien

Übernachtet auf Strohsäcken, oft zwei Mann auf einem, gegen 2000 bis 3000 Mann in einem Saal. Welcher Staub! Welcher Geruch?!! Die Begeisterung stellt alle Widerwärtigkeiten in den Hintergrund. Früh um 8 Uhr Abmarsch nach Cawallen. Die militärische Tätigkeit bestand beim Arbeiterbataillon zunächst im Aufwerfen von Schanzen (9 m lang, 1 m hoch). In Cawallen jedes Haus voll Militär. Erste Abendmahlzeit bestand in einer Suppe und einer Scheibe Kommissbrot.

Jakob Krebs, Karlsruhe

Kürnbach, um 4 Uhr früh ein kurzer, aber schwerer Abschied, und fort geht’s einer dunklen Zukunft entgegen. Eine stattliche Zahl, fast lauter Familienväter, fahren wir 5.27 Uhr in Flehingen ab. In Bretten ein kurzer Abschied von den nach Bruchsal und Mannheim einberufenen Kameraden. Unser Zug geht erst 7.48 Uhr weiter. Ein Zug mit jungen Reservisten aus München für Metz erregt große Begeisterung durch die Ausschmückung ihres Zuges, an jedem Wagen hängen Bierflasche und Rettich. Um 10 Uhr melden wir uns in der Gottsauer-Kaserne beim Feldartillerie-Regiment 50, werden nach längerem Herumstehen eingeteilt, erhalten Bürgerquartiere, empfangen unsere Ausrüstungsstücke und geben abends noch unsere Zivilkleider zur Post.

Clara und Josephine Bohn, Ingersheim, Elsaß-Lothringen

In vier Tagen mussten 900 Männer und Jünglinge fort. Da herrschte abends Ruhe im Dorf.

Donnerstag, 6. August 1914

Karl Groppe, bei Theux (Belgien)

Nachdem wir 4. August abends verladen waren, kamen wir morgens 7 Uhr in Malmedy, der deutschen Grenzstation, an. Die Fahrt war herrlich, überall große Begeisterung. Komische Vorträge wechselten mit vaterländischen Liedern ab. Auf allen Bahnhöfen erhielten wir Essen und Erfrischungen, Zigarren und Zigaretten, überall wurden wir mit Hochrufen empfangen. In Malmedy angekommen, wurde der zweite Halbzug des 1. Zuges der 2. Kompanie, zu der Karl Weber und ich gehörten, zur Bedeckung der Bagage kommandiert und folgte unmittelbar dem Bataillon. Um 9.45 Uhr überschritten wir mit einem kräftigen Hurra die belgische Grenze. Der erste Ort, den wir berührten, war der schöne Badeort Spa. Der Ort war noch ziemlich belebt. Leute anscheinend aller Nationen gingen spazieren, vielfach wurden wir deutsch angeredet. In Theux machten wir Halt und bekamen in einem Kloster Mittagessen. Die Leute waren erst schüchtern, aber nach und nach kamen sie aus den Häusern heraus. Wir unterhielten uns mit den Leuten, so gut es ging. Mancher von uns konnte Französisch, da war alle Schüchternheit verflogen. Nach längerem Halt ging’s vorwärts. Bald jedoch mussten wir unfreiwillig Aufenthalt nehmen, eine steile Straße war durch gefällte Bäume und teergefüllte Gruben gesperrt und musste geräumt werden. Als wir glücklich alle Hindernisse beseitigt und einen Wagen mithilfe von vier Pferden hinaufgebracht hatten, erhielten wir aus dem Walde Feuer. Wir schickten gleich eine starke Patrouille vor, diese konnte jedoch nur noch eine fliehende Patrouille feststellen. – Bald stießen wir auf die große Bagage der 73., 72., 20. und 39. Diese kamen von Lüttich zurück, einige erzählten uns von dem ersten Gefecht der Unseren vor Lüttich am 4. und 5. August. Friedensstarke Infanterie-, Kavallerie- und Artillerie-Brigaden rückten in großen Eilmärschen auf die Festung Lüttich zu und dachten, dieselbe gleich im ersten Ansturm zu nehmen. Ehe sie sich’s versahen, waren sie bei Nacht und Nebel herangekommen und erhielten plötzlich aus unmittelbarer Nähe Feuer. In der Dunkelheit konnten die Führer die Truppen nicht in der Hand behalten, und diese, durch die Plötzlichkeit des Angriffs verwirrt, beschossen sich teilweise gegenseitig und brachten sich empfindliche Verluste bei. Nach den Aussagen von Augenzeugen sollen mehr Deutsche durch deutsches als durch belgisches Blei erschossen sein, denn die Belgier hätten nicht gewagt, den Kopf aus den Schützengräben herauszustecken, sondern hätten in die Luft geschossen. Als es dann hell wurde, haben unsere Truppen tüchtig aufgeräumt und auch sehr viele Gefangene gemacht. Unsere Truppen hatten aber auch beträchtliche Verluste, und da sie keine Verstärkung erhalten konnten, mussten sie sich zurückziehen. Unser Bataillon hatte an Toten und Verwundeten sechs Offiziere und etwa fünfzig Mann. Empört waren die Unseren über die Falschheit der Belgier. Diese hatten, als die Unsrigen etwa auf 300 Schritt heran waren, die weiße Fahne gehisst, ein Zeichen, dass sie sich ergeben wollten. Als unsere aufstanden, um sie gefangen zu nehmen, fingen sie wieder an zu schießen. Da kannten unsere aber auch keine Rücksicht mehr und machten alles erbarmungslos nieder, ob Belgier die Waffen streckten oder nicht.

Freitag, 7. August 1914

Gertrud Blanckenhorn, Kassel

Lüttich von den Deutschen nach heftigem kurzem Angriff gestürmt, 3000 bis 4000 Belgier gefangen. Wer ist gefallen oder verwundet? Diese Ungewissheit ist schrecklich. Tante Anneles Einquartierungsleutnant sagt, gefallen kein Offizier, aber verwundet zum Beispiel Hauptmann Lignier und Pempel.

Hilde Grapow, Kassel

Endlich habe ich was gefunden, wo ich mich betätigen kann! Mutti und ich sind immer am Wilhelmshöher Bahnhof und verpflegen die durchreisenden Truppen. Das macht riesig viel Freude! Heute war ich den ganzen Morgen von 9 bis 2 Uhr dort. Die Soldaten bekommen immer Kaffee, Butterbrote usw. Wenn ein Zug einfährt, gehen die Damen an die Wagen: Eine hat einen Eimer mit Kaffee, die andere Tassen und Brötchen. Die Soldaten sind alle zu nett, freuen sich über alles und sind fast alle furchtbar fidel und lustig. Dann steigen sie zum Teil aus und bekommen auch Zigarren, Schokolade, Keks und Ansichtskarten. Über die Postkarten freuen sie sich immer besonders. Jeder will noch mal nach Hause schreiben. Die geschriebenen Karten nehmen wir dann wieder an zur Besorgung. Man kann morgens von 5 bis 9 Uhr, dann von 9 bis 2 Uhr, von 2 bis 6 Uhr und dann von abends bis Mitternacht kommen. Ein Fräulein Consbruch steht der Sache vor und ordnet alles an. Die Züge waren teilweise mit Laub geschmückt, und alle Wagen waren mit Kreide bemalt und beschrieben. Zum Beispiel: »Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoß ein Franzos, jeder Tritt ein Brit. Alle Serben müssen sterben, und der Engländer darf nicht erben.« Dann stand dran: »¼ Liter Russenblut 30 Pfennige!« Grässlich! »Nikolaus, nimm dich in Acht, aus dir wird Leberwurst gemacht!«, »Speisenfolge: Franzosengulasch mit Zarenkompott!« und »Poincaré-Suppe, Russischer Salat, Englische Sauce«. Oft stand auch dran: »Nach Paris!« oder »Parole: Paris« und noch alle möglichen herrlichen Sachen. Ich habe mich mal schlapp gelacht!

Meta Iggersheimer, Amberg

Mein lieber Bruder ist voll glühender Begeisterung. Er meldete sich freiwillig, Mutter vergoss schon viele Tränen, es ist eben der einzige Sohn. Doch auch ich habe Kämpfe im Innern zu führen, die Schwesterliebe regt sich. – Montenegro erklärt an Österreich den Krieg.

Eugen Miller, im Zug nach Ludwigsburg

Um 16 Uhr noch gepackt, kurze Hosen angezogen. Großmutter ist da, von ihr noch 4 Mark erhalten. 17.04 Uhr Abfahrt nach Ludwigsburg. Albert begleitet mich. Bis Crailsheim gefahren. Dort von 18 bis 21.05 Uhr Aufenthalt. Während dieses Aufenthalts war ich zum ersten Mal Zeuge von der menschenfreundlichen, keinen Unterschied kennenden Tätigkeit des Roten Kreuzes. Es fuhren mehrere bayerische Militärzüge durch. Der eine fuhr unter Musik seiner beiden Kapellen in den Bahnhof ein und machte Halt. Da sah man junge bildhübsche Damen, die einen mit Körben voll Brot, die anderen mit hartgesottenen Eiern und Salz, den haltenden Kriegern ihre Gaben verteilen, so viel jeder wollte, ja überhaupt mitnehmen konnte. Andere Mädchen des Roten Kreuzes trugen zu zweien saubere Kübel voll süß dampfenden Kaffees und Tees. Jeder Krieger ließ sich seine Feldflasche von schöner Hand füllen und trank mit seinem Kochgeschirr, im Vaterland schon als kriegsbereiter Beschützer, das freundlich mundende Getränk. Ein Mädchen verteilte Zigarren aus einer Riesenschachtel, eine andere Ansichtspostkarten. Es ist und war ergreifend, wie ins Feld ziehende Krieger von ihren edlen deutschen Heldentöchtern noch freundliche Gaben auf den Weg bekamen. Herrlich, wie das schöne, an der ernsten Lage unseres Vaterlandes ebenso teilnehmende Geschlecht den doch nicht betrübten, sondern immer noch humorvollen Kriegern den Abschied erleichtern will, vielleicht aber auch erschwert. Als Dank gaben ihnen die Krieger die Versicherung, dass sie fest fürs Vaterland und seine Kleinode, die es birgt (besonders in seinen deutschen Frauen und Mädchen), kämpfen und den Franzosen das Fell gerben wollen. An den Wagen stehen die Worte mit Kreide: »Eilzug nach London über Moskau – Petersburg – Paris«. Dann »Auf Wiedersehen in Paris« und dergleichen. Kein Unterschied, keine Partei, alles hilft mit, Deutschland ist einig.

Friedrich Link, Festung Istein

Abmarsch nach Müllheim Bahnhof und Abfahrt nach Istein Festung. Abends Ankunft auf Feste. Feind bereits im Anmarsch. Gegen Abend schwerer Kanonendonner in Gegend Altkirch hörbar.

Karl Groppe, Theux (Belgien)

Kavalleriepatrouillen erzählten uns, dass sie vielfach in Dörfern und Wäldern von Zivilisten überfallen und angeschossen worden seien. Wir mussten deshalb die erste Nacht in Feindesland unter freiem Himmel mit aufgepflanztem Seitengewehr im Arm schlafen. Dass die Vorsicht zweckmäßig war, sahen wir bald ein, denn unsere Posten wurden öfter beschossen, ohne dass jedoch jemand verletzt war. Am Morgen ging’s weiter nach Louveigné. Unterwegs wurden wir aus einem Gebüsch beschossen. Hier waren schon Spuren des Krieges zu sehen. Viele Häuser, aus denen auf unsere Truppen geschossen worden war, waren in Brand gesteckt, viele Gehöfte von den Einwohnern verlassen.

Samstag, 8. August 1914

Friedrich Link, Festung Istein

Alarm, französische Kavallerie im Anmarsch auf Feste. Großes Gefecht bei Mülhausen: furchtbares Gewehrfeuer, Kanonendonner, Sennheim brennt. Patrouille mit Oberleutnant Lessel nach Kembs und Blansingen. Gefecht, Artillerie 76 ziemliche Verluste, Franzosen in fluchtähnlichem Rückzug auf Belfort.

Ernst Eberlein, Breslau, Schlesien

Es regnete. Fingerdicker Lehm auf den Wegen nach der Arbeitsstätte. Vor Breslau (Hundsfeld) Tausende von Soldaten, an der Fortifikation arbeitend. Man sprach von russischen Patrouillen, die bis vor Breslau gekommen sein sollen.

Oberst a. D., Schlesien

Mich überfiel eine so furchtbare Angst und der Kummer, dass ich den lieben Herzensjungens noch nicht den 91. Psalm geschickt habe. Ich setzte mich sofort hin, um ihn abzuschreiben und jedem zu schicken. Er ist aber kaum vor dem ersten Zusammenstoß mit dem Feinde in L.s und P.s Hände gelangt. Umso betrübter bin ich, dass ich so lange gezögert habe. Überhaupt habe ich meine guten Ratschläge aus meiner Kriegserfahrung zu spät mitgeteilt. Wo habe ich gedacht, dass dies alles so schnell gehen würde. Der Psalm 91 gilt als Talisman in unserer Familie seit meinem Großvater, dem die Großmutter denselben mitgegeben hat, mit Erfolg. Da ich aber die Erfahrung an meinem lieben Bruder E. gemacht habe, dass dieser ihn nicht vor tödlicher Verwundung geschützt hat, so war ich etwas ungläubig geworden. Daher die törichte Verzögerung. Ich befinde mich in großer Sorge und Angst um meinen geliebten L. Der Herzensjunge hat einen sehr gefährlichen Auftrag, er hat die Aufklärung gegen Brüssel mit seiner Eskadron.

Karl Groppe, Louveigné (Belgien)

In Theux wurden wir in einem Fabrikgebäude einquartiert und konnten schön ausschlafen. Wir sollten Ruhetag haben, mussten jedoch mit den Reservisten der 74. wieder zurück nach Louveigné. Unterwegs begegneten uns 82. mit 600 belgischen Gefangenen. Die Belgier trugen schwarze Uniform, Wickelgamaschen und Käppi, Gewehr wie unsere 88. Von Ferne sahen wir schon, dass Louveigné brannte. Als wir hinkamen, bot sich uns ein schrecklicher Anblick. Die Häuser zusammengeschossen und ausgebrannt, die noch stehenden geplündert und überall entstellte Leichen. Als unsere Truppen von Lüttich zurückkamen, glaubten die Einwohner, wir wären geschlagen und müssten wieder aus dem Lande hinaus. Dies schien für sie ein günstiger Augenblick zur Rache. Schnell rotteten sie sich zusammen und fielen über unsere Nachzügler und Patrouillen her. Sie taten freundlich, gaben ihnen zu essen und zu trinken, nahmen sie in Quartier und schnitten ihnen im Schlaf den Hals ab und verübten sonstige Gräueltaten an ihnen. Einen hatten sie mit Händen und Füßen auf dem Fußboden festgenagelt, einen anderen mit Teer übergossen und lebendig verbrannt. Sogar die Frauen beteiligten sich an den Gräueltaten, sie warfen aus den Häusern Handgranaten. Eine reichte einem Husaren mit der Linken Wasser, mit der Rechten erschoss sie ihn. Wie wir nachher erfuhren, hatte der Pastor die Leute von der Kanzel aus aufgefordert, so zu handeln, und ein Graf, der in der Nähe wohnte, hatte sie bewaffnet. Durch diese Gräueltaten aufs höchste erbittert, verübten unsere Truppen, vor allen Dingen die Kavallerie, ein furchtbares Strafgericht. Die Häuser wurden in Brand gesteckt und jeder, der aus dem Hause hinauswollte, niedergeknallt. Wo Männer lebendig gefangen wurden, banden wir sie zu vieren zusammen und erschossen sie. Was an ess- und trinkbaren Gegenständen da war, gehörte uns. Wein, Sekt, Zigarren und Zigaretten waren die begehrtesten Artikel, mancher wechselte auch schnell seine Leibwäsche.

Sonntag, 9. August 1914

Meta Iggersheimer, Amberg

Der Kolonialkrieg beginnt. Aus Togo kommt die Nachricht, dass die Engländer Lome, die Hauptstadt Togos, besetzt haben.

Otto Gehrke, Truppentransport bei Berlin

Morgens ½4 Uhr Wecken. ½5 Uhr Abmarsch zum Bahnhof, ½9 Uhr Abfahrt Richtung Berlin. Wohin unbekannt. 45 Mann im Wagen, etwas eng, aber gemütlich. Wetter gut.

Jakob Krebs, Wittenheim, Elsaß-Lothringen

Gegen 12 Uhr kommen wir in Breisach an, werden ausgeladen und setzen uns gegen 2 Uhr in Marsch, denn es wird bekannt, dass bei Mülhausen schon ein Gefecht im Gange sei. Wir gehen über den Rhein, passieren Neubreisach, wo Drahtverhaue vor den Festungsanlagen errichtet werden, und gelangen auf schlechter Straße spätnachmittags bis Ensisheim, von wo man schon in südwestlicher Richtung Schrapnells krepieren sieht. Etwa 3 km südlich von Ensisheim gibt’s Halt. Einwohner erzählen, dass französische Patrouillen am Vormittag da waren. In der Dämmerung fahren wir bis zum Südausgang von Wittenheim und fahren auf einem Stoppelacker zum Biwak auf, alle Leichten Munitionskolonnen der 28. Brigade halten hier. Von der Napoleon-Insel her wälzen sich dicke Rauchwolken, auch aus Mülhausen leuchten verschiedene Brände.

Richard Walzer, bei Aspach, Elsaß-Lothringen

Alarm nachts 2 Uhr. Abmarschiert auf die Höhe bei Hattstatt. Von 3 bis 7 Uhr morgens an der Landstraße gelegen und auf weitere Befehle gewartet. In der Ferne war die Entwicklung eines heftigen Kampfes zu hören. Abmarsch in der bereits enormen Augusthitze. Wir marschierten über Pfaffenheim, Rufach nach Isenheim. Überall erhielten wir zu trinken. Auf einer Wiese zwanzig Minuten Rast. Um ½11 Uhr kamen wir vollständig erschöpft auf einer Anhöhe vor Sennheim zu unserer Artillerie, die funkte, was möglich war. Hier pfiffen aber auch schon die ersten Infanteriekugeln um unsere Ohren herum, die allgemein Verwirrung in die in Marschkolonnen ankommenden Kompanien brachten. Wir schwärmten hierauf zwischen der Artillerie hindurch aus und nahmen ca. 200 m vor den Geschützen in einem Kornacker Stellung. Da wir hier das feindliche Infanteriefeuer zu stark zu fühlen bekamen, ging es nun gruppen- und sprungweise vor. Unterwegs fanden wir einen Graben mit ganz schmutzigem, lehmigem Wasser. Da sonst jedoch nichts mehr zum Trinken zu finden war, ging es raus in die Pfützen, die Feldflaschen wurden gefüllt. Weiter bis zu einem auf halber Höhe des Berges hinführenden Wegrand. Die feindliche Linie wurde nochmals unter heftiges Infanterie- und Artilleriefeuer genommen, worauf allgemeiner Sturm befohlen war. Die Franzosen zogen sich zurück in den Ort Sennheim. Eine Fabrik links von uns wurde von unserer Artillerie mit vier Schuss in Brand geschossen. Ungefähr eine Kompanie Franzosen, die sich in der Fabrik eingenistet hatte, musste in die Ortschaft flüchten, verfolgt von unserem auf 200 m einsetzenden Infanteriefeuer. Die meisten fielen. Hierauf wurde der linke Flügel vorgeschoben, und das Ganze ging im Sturm nach Sennheim rein. Hierbei erhielten wir eigenes Artilleriefeuer. Um 6 Uhr nachmittags war Sennheim vom Feinde frei. Die Kompanie sammelte sich, Verluste wurden festgestellt. Wir rasteten in einem Wirtschaftsgarten. Die Leute waren frech und unfreundlich.

Montag, 10. August 1914

Karl Groppe, Louveigné (Belgien)

Unser Bataillon umstellte Louveigné, ging von allen Seiten zugleich vor und nahm sämtliche männlichen Einwohner gefangen. Wir fanden noch 62 Mann, darunter die beiden Pfaffen. Im Pfarrhaus fanden wir ein blutiges Bett und deutsche Soldatenstiefel. Das Haus wurde sofort in Brand gesteckt, ebenfalls diejenigen, die verbarrikadiert waren. Zum Teil spielten sich erschütternde Szenen ab, vor allen Dingen der Abschied der noch anwesenden Frauen von ihren Männern und die Angst und Not der Alten und Kinder waren rührend. Eine alte Frau von mindestens achtzig Jahren saß auf einem Klotz und knabberte an einer trockenen Brotrinde. Da dankte mancher im Stillen Gott, dass der Krieg nicht in unserer Heimat war. Nach und nach kam eine Kompanie Pioniere und vollendete das Zerstörungswerk. Alles, was noch da war, sprengten sie in die Luft, so dass der Ort vollkommen dem Erdboden gleich war. Ebenso wurde mit dem Grafen-Schloss verfahren. Der Graf selbst war entwischt, aber seine Pferde und einen Teil seines Rindviehs ließen wir mitgehen.

Jakob Krebs, Bruebach, Elsaß-Lothringen

Gegen Mitternacht setzt heftiges Gewehrfeuer ein, unsere Infanterie säubert Mülhausen von den Franzosen. Gegen 4 Uhr beginnt Artillerie zu feuern bis ½7 Uhr. Um 9 Uhr fahren wir ab über Kingersheim bis zum Rande der Stadt. Einzeln umherliegende Leichen (Grenadier-Regiment 109), auch Franzosen, zerschossene, teils noch brennende Häuser zeugen von den stattgefundenen Kämpfen. Auch ein Trupp Gefangener liegt hier. Der eine gibt einem unserer Unteroffiziere eine Art Dolmetscher – ein kleines Büchlein, das dem Franzmann bei dem Marsch durch Deutschland behilflich sein sollte, sich zu verständigen. Da bei den nächtlichen Kämpfen auch Zivilpersonen auf unsere Leute geschossen hatten, wurden bei der Durchfahrt durch Mülhausen die Waffen schussbereit gehalten, doch verlief alles ohne Zwischenfall. Im Stadtinnern gaben die Einwohner reichlich Liebesgaben. Wir fuhren über Didenheim bis Brunstatt, ließen die 28. Feldartillerie-Brigade und Füsilier-Regiment 40 an uns nach rückwärts vorbeiziehen und bezogen südlich Brunstatt auf einem hochgelegenen Grundstück mit noch anderen Kolonnen Biwak. Bald darauf erschienen ein feindlicher Flieger und auch eine feindliche Reiterpatrouille, die beschossen wurde. Um 8 Uhr wurde das Biwak abgebrochen, wir sollten nach Mülhausen zurück. Am Eingang von Brunstatt, beim Friedhof, erfahren wir, dass der Ort vom Feinde bereits besetzt, wir also abgeschnitten sind. Gleichzeitig setzt ein ganz rasendes Infanterieschnellfeuer ein, dem gleich Artilleriefeuer folgte. Wir machen kehrt und schlagen den Weg nach Bruebach ein. Eine Eskorte Jäger-Regiment zu Pferde Nr. 5 und die Biwakwache eines Infanterie-Bataillons decken unseren Rückzug. An einer Weggabel bleiben sie stehen und, kaum sind wir ein paar Hundert Meter von ihnen weg, da eröffnen sie Schnellfeuer. Auf den links von uns aufsteigenden Berg ist Artillerie aufgefahren und feuert, was die Rohre hergeben, so dass wir sicher glauben, im nächsten Augenblick komme der Feind aus dem Walde und mache uns den Garaus. Wir gelangen nach längerem Fahren durch den Wald auf einen Acker und fahren dort auf. Ein Infanterie-Unteroffizier mit 24 Mann, die sich uns angeschlossen haben, schwärmen sichernd aus, und wir selbst bleiben mit gezogenen Revolvern bei den Fahrzeugen.

Richard Walzer, an der Ill, Elsaß-Lothringen

Um 2 Uhr nachts bezogen wir Quartier in der Kirche und kochten darin ab, Kartoffeln und Kaffee. Morgens 6 Uhr abmarschiert nach Aspach. Wir kamen gegen 11 Uhr in den Weinbergen wieder ins Gefecht, wobei stellenweise mit dem Bajonett gekämpft werden musste. Wir mussten gegen heftiges Maschinengewehrfeuer anstürmen und hatten ziemliche Verluste.

Gertrud Blanckenhorn, Kassel

Sonntag auf Spaziergang nach Vöhler Bahnhof, dort Hilfe bei der Erfrischungsstelle. Gehe nun täglich 2 bis 7 Uhr hin, freue mich, dass ich etwas zu tun habe. Papa macht unnötige Schwierigkeiten, will kein bisschen unter dem Krieg leiden. Muss sich daran gewöhnen.

Dienstag, 11. August 1914

Otto Gehrke, Truppentransport

Fahrt wohin?

Paula Busse, Bensberg bei Köln

Morgen fahre ich nach Coblenz zu meinem Liebsten.

Max Schmidt, Truppentransport bei Berlin

Ich nahm früh um 7 Uhr Abschied von meiner Familie. Um 8.30 Uhr rückte die Gefechtsbagage vom Kasernenhof ab, nachdem noch ein dreifaches Hurra auf den obersten Kriegsherrn ausgebracht worden war. Stolz zu Ross ging es durch Berlin nach dem Hamburger Güterbahnhof. 10.44 Uhr! Ein Pfiff! Abfahrt zur Westgrenze!

Richard Piltz, Peltre, Elsaß-Lothringen

Ankunft Metz Ost 6 Uhr abends nach sechzigstündiger heißer Fahrt. Nach Abladen Marsch nach Crépy, 20 km vor Metz. Bereits viele Kriegsvorbereitungen: Abhauen von Bäumen, Drahthindernisse, Unterstände, Geschützdeckung, Feldlazarette etc. In Crépy im Schloss Schwierigkeiten mit Unterkunft. Wir zogen nach Peltre in Dunkelheit weiter und fanden schließlich nach vielen Mühen Quartier in der Schule. Wir Offiziere wurden nett aufgenommen von Landwehroffizieren Fußartillerie-Regiment 8, die uns in einem herrschaftlichen Hause anbei dem Nonnenkloster, den anderen Offizieren im Kloster Feldbettunterkunft verschafften.

Jakob Krebs, bei Mülhausen, Elsaß-Lothringen

In Mülhausen finden überall Haussuchungen statt. Infanterie-Trupps mit Polizisten durchziehen die Stadt. Ein Anschlag des Polizeipräsidenten verlangt Ablieferung aller Waffen bis abends 7 Uhr, alles Folgen der nächtlichen Schießerei, denn da sollen Zivilisten mit versteckt gebliebenen Franzosen mitgespielt haben. Im Laufe des heutigen Nachmittags hat sich ein Gefecht entwickelt, und wir müssen noch bei großer Hitze weiterfahren. Zahlreiche schlappe Grenadiere (Regiment 109) liegen am Straßenrand. Gegen Mitternacht beziehen wir Biwak.

Mittwoch, 12. August 1914

Paula Busse, Bensberg bei Köln

Nun habe ich meinen Liebsten doch nicht zu sehen bekommen. Unverrichteter Sache musste ich wieder heimkehren. Zu all dem Schweren, das ich zu tragen habe, kommt nun noch der peinigende Gedanke, ihm diesen Wunsch nicht erfüllt zu haben, ihn noch einmal zu besuchen. Aber es war nicht möglich. 5.06 Uhr sollte der Zug in Köln abgehen, und um 7 Uhr stand ich noch auf dem Perron, eingepfercht zwischen Soldaten und ausgewiesenen Fremdlingen. Da meine Kräfte nicht mehr ausreichten, um noch länger zu stehen, und noch drei Truppenzüge vorgelassen werden sollten, entschloss ich mich schweren Herzens, mein Billett zurückzugeben und nach Hause zurückzukehren. An diesem Vorwurf, den ich mir mache, dass ich nicht ausgeharrt habe, werde ich noch lange kranken. Ich habe heute den Tag im Bett gelegen, so elend fühlte ich mich. – Bei Lagarde, südlich von Dieuze am Rhein-Marne-Kanal, hat heute ein kleines Treffen stattgefunden, aus dem wir siegreich hervorgingen.

Meta Iggersheimer, Amberg

In der Nähe von Lunéville ein großer Sieg. Anny und ich und noch einige Mädchen schneiden im Kloster Kommiss für Brotsuppen, die die Armen täglich dort bekommen.

Josef Glaser, Schüttenitz (Österreich-Ungarn, Böhmen)

Früh nicht ausgerückt. Mittags Bataillonsinspektion übernommen. In verschiedenen Gasthäusern muss die Mannschaft zum Verlassen der Lokale aufgefordert werden. Alkoholverbot wäre angebracht.

Georg Becker, Zweibrücken

Wir fanden hier in dem Neubau der schönen König-Ludwig-Schule unter der Leitung der Frau Kommerzienrat Schwinn vom Roten Kreuz ein Lazarett eingerichtet. Der Mittwoch brachte etwas ernstere Stimmung. Abends um 8 Uhr war die ganze Garnison vor die Intendantur, die im Justizpalast untergebracht war, befohlen. Der General erschien, schritt unsere Reihen ab und ließ dann die Chefs, von uns nur den Generaloberarzt von Henn mit dem ihm vorgesetzten Generaloberarzt Ehehalt und dem Generalarzt Rapp, hereinkommen. Während wir noch herumstanden, kam ein Generalstabsoffizier, gab uns den Befehl, in die Häuser einzudringen und von den Bürgern Bett und Bettzeug zu requirieren. Gleichzeitig hatte er den Bürgermeister auffordern lassen, dies durch öffentliche Ausschallung bekannt zu machen. Es war am Nachmittag schon ein Verwundetentransport von Lagarde eingetroffen, etwa vierzig Mann, die von der Sanitätskolonne eingeholt und im Rot-Kreuz-Lazarett in der Turnhalle der Schule untergebracht worden waren. Offenbar erwartete man in der Nacht noch einen großen Transport von Verwundeten. Der Befehl war in großer Eile und Überstürzung gegeben. Man hatte nicht Zeit, sich zu verständigen, welche Straßen und Gegenden jede einzelne Gruppe übernehmen sollte. Interessant war die nächtliche Expedition. Ich ging in einer Straße von Haus zu Haus und bat um Bettzeug. Im Allgemeinen waren die Leute sehr bereit, Geringere mehr wie die Reichen. Andere, darunter Oberstabsarzt Geigel, führten den Befehl straffer aus, verlangten in höflicher, aber bestimmter Form auch von denen, die nichts geben wollten. Der aktive Assistenzarzt Dr. Müller war in seinem Element, er requirierte einen Wagen, der bald gefüllt war. Ich ließ meine Sachen auch hier aufladen, sie wurden nach dem Gymnasium gebracht. Während wir hier noch im Schweiße unsres Angesichts arbeiteten, kam eine Ordonnanz mit der Meldung, das Gymnasium sei für das 3. Korps, das 2. habe für die neue Schule genug gefasst, wir möchten an die Kommandantur zurückkommen. Hier trafen wir unsern Generaloberarzt, der ebenfalls hierher bestellt war. Niemand wusste, was los war. Schließlich erschien der Major des Generalstabs, er wurde befragt. »Halten Sie sich hier nicht auf, begeben Sie sich an den Ort Ihrer Wirksamkeit.« Nach diesen dunklen Worten verschwand er. Wir machten uns auf einen jeden Augenblick eintreffenden Truppentransport gefasst. Da bekamen wir die Nachricht, dass vor 8 Uhr des nächsten Morgens nichts zu erwarten sei. So endete dieser Tag, der schon um 4 Uhr begonnen hatte.

Donnerstag, 13. August 1914

Annemarie Pallat, Wannsee

Nachmittags im Rathaus Sitzung des Kriegs-Ausschusses des Vaterländischen Frauenvereins unter Vorsitz von Frau Wille. Ich meldete mich für die Kommission der Beratungsstelle an zwei Tagen der Woche. Man liest von schauderhaften Gräueltaten der Bevölkerung in Belgien. Sonst hört man wenig vom Kriegsschauplatz.

Karl Groppe, bei Huy (Belgien)

Wir hatten Ruhetag. Unser Kompanieführer Oberleutnant von Cramer-Möllenberg zog aber mit uns ins Feld und hielt Exerzieren. Da übten wir Griffe und Marsch, das hatten wir uns vorher nicht träumen lassen. Nachmittags sollten wir Bettruhe haben, aber es kam anders. Mittag 1 Uhr kam Befehl, um 3 Uhr fertig zum Abmarsch. Nun ging’s im Eilmarsch an die Maas zur Bedeckung der Kavallerie und Pioniere beim Pontonbrückenbau. Die Belgier hatten nämlich sämtliche Brücken, die über die Maas führten, in die Luft gesprengt.

Freitag, 14. August 1914

Freifrau von Wertheim, Coburg

Ein furchtbarer Zwiespalt martert mich von früh bis spät und von spät bis früh. Auf der einen Seite der Wunsch, der brennende Wunsch, dass ich es nicht zu erleben brauchte, Siegfried ins Feld rücken zu wissen, bei welchem Gedanken allein mir zumute ist, als müssten mir die Sinne schwinden. Auf der anderen Seite das Gefühl, dass Siegfried etwas unwiederbringlich Herrliches verliert, wenn er als Offizier in dieser begeisterten wunderbaren Zeit nie vor dem Feind gestanden, sondern fest an einem inneren Platz gesessen hat. Ich denke an die Rückkehr aus dem Feld!! Und er soll nur Zuschauer sein, wenn alle anderen stolz und selig sind? Und wenn er ins Feld zieht, käme er zurück??? Ich habe immer geglaubt, ich wäre nicht sehr patriotisch, ich wäre auch nicht weiter stolz, deutsch zu sein, und der Kaiser wäre mir gleichgültig. Meine Kinderchen, eure Mutter ist auf einmal glühend patriotisch geworden, sie ist stolz aufs Deutschsein und liebt den Kaiser! Aber meinen Mann kann ich nicht hergeben, ich kann es nicht, ich müsste wahnsinnig werden oder sterben, einen Mittelweg kann ich mir nicht denken. Könnt ihr mich begreifen? Könnt ihr den Zwiespalt verstehen? Später werdet ihr, wenn ihr dies lest, darüber nachdenken, ob ihr euch in meine Seele versetzen könntet! Denkt aber nicht über den Stil und die Schrift dieses Tagebuchs nach. Ich schreibe, wie es mir ums Herze ist, und kann nicht darüber grübeln, ob’s schön klingt. Es wäre nicht ich, wenn ich packend oder sensationell schreiben würde. Ich kann nur so schreiben für euch. Von jetzt an will ich täglich die Erlebnisse des Tages eintragen. Vielleicht werdet auch ihr euch später an manches erinnern können, wenn ihr dies Buch lest.

Karl Groppe, bei Hermalle-sous-Huy (Belgien)

Wir wurden bei Hermalle auf Pontonkähnen übergesetzt. In einer halben Stunde war das ganze Bataillon rüber. Die Leute waren erstaunt über unser plötzliches Auftauchen, denn die belgischen Zeitungen hatten bloß immer von Siegen der Ihren geschrieben. Da glaubte die Bevölkerung, wir seien schon längst wieder in Deutschland. Bei Huy wurde eine richtige Brücke gebaut, auf der die Kavallerie und Bagage rüberkam. Unser Jäger-Bataillon 10 gehörte zur Aufklärungsdivision. Da waren wir stets vorn und hatten nur Kavallerie-Patrouillen vor uns. Wir mussten viel marschieren, immer kreuz und quer, hatten aber den Vorteil, dass wir noch überall Lebensmittel fanden. Kamen wir in einen Ort, wo wir länger Halt machten, dann nahmen wir den Bürgermeister oder den Pastor gefangen. Diese mussten dann mit uns ins Dorf und Lebensmittel requirieren und gleichzeitig den Leuten bekanntgeben, dass im Falle eines Angriffs auf uns oder auch nur eines Schusses der Geistliche oder Bürgermeister sofort erschossen und der Ort in Brand gesteckt würde. Hierdurch wurden die Einwohner eingeschüchtert und gaben von selbst raus, was sie übrig hatten.

Richard Piltz, Peltre, Elsaß-Lothringen

In Saint-Julien bei Metz in der Decke einer Gastwirtschaft Hunderte Gewehre gefunden. Seinen Gastwirt verhaftet. Weiteres nicht bekannt. Schon seit mehreren Tagen blüht der Kriegsklatsch. Bald soll das 5. Korps von den Russen völlig aufgerieben sein. Dann sollen wieder Belfort, Toul, Verdun gefallen sein. Schließlich soll Graf von Haeseler zum Kaiser gesagt haben: »Sonnabend sind wir in Paris, Majestät.«

Jakob Krebs, Didenheim, Elsaß-Lothringen

Es geht das Gerücht um, wir sollten nach Belgien kommen. Der Hauptmann stellt dies vor versammelter Mannschaft in Abrede, verlangt aber über die weiteren Unternehmungen strengstes Stillschweigen und droht Erschießen wegen Landesverrats an.

Samstag, 15. August 1914

Meta Iggersheimer, Amberg

Kriegserklärung Ägyptens an Deutschland. Schließung eines neuen Balkanbundes: Rumänien, Bulgarien, Türkei.

Hilde Grapow, Kassel

Jetzt wird der sogenannte heimliche Krieg geführt, man erfährt ungefähr nichts vom Kriegsschauplatz. Wir haben vier Gemeine, 83er, im Quartier, es sind zu nette Kerle! Sie müssen aber auch bald fort an die Front. Hoffentlich werden die grässlichen Belgier ordentlich verhauen. Die haben sich schlimmer als Wilde benommen, immer aus dem Hinterhalt geschossen, die Verwundeten schrecklich misshandelt und ermordet, einfach entsetzlich!

Oberst a. D., Schlesien

Die letzten Zeitungen bringen schreckliche Nachrichten über die Grausamkeiten, welche die rohe gemeine Bevölkerung von Belgien begeht. Das sind ja die reinen Bestien. Welche Angst befällt mich bei dem Gedanken, dass mein L. diesen gefahrvollen Auftrag hat, wo er tagelang ohne jede Verbindung mit seiner Truppe bleibt. Wenn er nur vorsichtig sein wollte und sich nicht zu weit hinausbewegt. Ich bin in steter Angst um sein Leben und bin ganz benommen und krank davon. Wie leicht kann er hinterlistig erschossen werden oder sonst in die Hände dieser Bestien fallen, Gott stehe ihm bei. Die Bevölkerung ist jedenfalls aufgehetzt von der Regierung, wir haben also auch hier mit einem ganz gemeinen Feinde zu tun. Wenn nur unsere Führer mit der größten Strenge und Härte auftreten und alles massakrieren möchten, fangen und brennen, dann würden diese Bestien doch vielleicht zur Besinnung kommen. Auf andre Weise behandelt, wird es immer schlimmer. Das haben wir im Jahre 70 gesehen, dass die milde Behandlung des Volkes nur zu unserem Nachteil ausschlug. Denn die Proklamation König Wilhelms an das französische Volk, worin er sagte, dass er den Krieg nur gegen die Regierung führe, machte das Volk nur noch frecher. Darauf entstanden erst die Franktireur-Banden. Infolge dieser Proklamation erließ das General-Kommando einen Befehl, der uns vollständig die Hände band. Es ist oft genug vorgekommen, dass die Hunde vor Offizieren und Mannschaften ausgespuckt haben, ohne dass ihnen etwas getan wurde. Diese Milde führt selbstverständlich zu diesen Frechheiten. Geknechtet müssen die Hunde werden bis aufs Blut.

Ernst Eberlein, Breslau, Schlesien

Schanzarbeiten. Meldete mich freiwillig zur Infanterie. Viel Stimmung bestand nicht. Es machte sich eine Zurückhaltung bemerkbar. Viele drückten sich, weil ihnen die wenigen Tage schon das Soldatspielen verleidet hatten. Löhnung und Abmarsch.

Max Schmidt, Ville (Belgien)

Durch eine herrliche Landschaft marschierten wir nur vier Stunden nach Ville, einem kleinen, aber sauberen Dörfchen. Hier fand unser Feldpostamt Quartier im Maison Paulus. Firmenschild ›Feldpostamt des Gardekorps‹ und der Feldbriefkasten wurden aufgehängt, und schon ging der Betrieb los. Ungezählte Postkarten nach der Heimat wurden eingeliefert, Postanweisungen aufgegeben und Zeitungen bestellt. Nur ankommende Post gab es nicht.

Sonntag, 16. August 1914

Meta Iggersheimer, Amberg

Der Kaiser verlässt Berlin, um den Oberbefehl über die Westarmee zu übernehmen.

Max Schmidt, Ochain (Belgien)