Verborgene Chronik 1915-1918 - Herbert Kapfer - E-Book

Verborgene Chronik 1915-1918 E-Book

Herbert Kapfer

0,0
34,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach der Euphorie: ein Stimmengewitter aus der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. »Was Walter Kempowski mit seinem Echolot für den Zweiten Weltkrieg schuf, ist nun auch für den Ersten Weltkrieg realisiert worden.« NZZ »Eine atemberaubende, multiperspektivische Nahaufnahme des Ersten Weltkriegs, wie sie nicht im Geschichtsbuch steht und stehen kann« wurde schon der vergleichsweise bescheidene Auftaktband der Verborgenen Chronik genannt – jetzt wird das Großprojekt vervollständigt: Eine Montage aus über hundert bisher unveröffentlichten Tagebüchern aus der Zeit des Ersten Weltkriegs gibt ein erschütterndes, atemberaubendes und stark ins Nachdenken bringendes Bild des ersten großen Weltenbrandes. Die Verborgene Chronik ist eine gewaltige Collage von Originalzeugnissen von Front- und Etappensoldaten, Rekruten, Arbeiterfrauen, Kindern, sorgenden Familienmitgliedern, Ärzten, Stabsoffizieren, Krankenschwestern, propagandistischen Pressemeldungen, Altoffizieren, Kriegswitwen, Militärgeistlichen, Kriegsgefangenen etc., etc., die ihre Hoffnungen, Eindrücke und Ängste unzensiert und völlig offen ihren Tagebüchern anvertrauten. In bisher ungekannter Authentizität und Direktheit zeigt sich in ihnen die verwirrende Vielfalt und Ungleichzeitigkeit der die Biografien der Schreiber existenziell erschütternden Eindrücke. Von der Mobilmachung bis zur Niederlage entsteht so ein Echolot jener Tage: Trennungsschmerz und patriotisches Hoch, Todesangst und Heldenmut, Freudengesänge und das nackte Grauen stehen unmittelbar nebeneinander. Geschichte von unten erzählt und gleichzeitig ein großartiges Zeitzeugnis.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 998

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Lisbeth Exner / Herbert Kapfer

Verborgene Chronik 1915–1918

Herausgegeben vom Deutschen Tagebucharchiv

Kurzübersicht

> Buch lesen

> Titelseite

> Inhaltsverzeichnis

> Über Lisbeth Exner / Herbert Kapfer

> Über dieses Buch

> Impressum

> Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

MottoVorwortVerborgene Chronik 1915–1918Januar 1915Februar 1915März 1915April 1915Mai 1915Juni 1915Juli 1915August 1915September 1915Oktober 1915November 1915Dezember 1915Januar 1916Februar 1916März 1916April 1916Mai 1916Juni 1916Juli 1916August 1916September 1916Oktober 1916November 1916Dezember 1916Januar 1917Februar 1917März 1917April 1917Mai 1917Juni 1917Juli 1917August 1917September 1917Oktober 1917November 1917Dezember 1917Januar 1918Februar 1918März 1918April 1918Mai 1918Juni 1918Juli 1918August 1918September 1918Oktober 1918November 1918EpilogDonnerstag, 7. November 1918Freitag, 8. November 1918Samstag, 9. November 1918Sonntag, 10. November 1918Montag, 11. November 1918Dienstag, 12. November 1918Mittwoch, 13. November 1918Donnerstag, 14. November 1918Freitag, 15. November 1918Samstag, 16. November 1918Sonntag, 17. November 1918Montag, 18. November 1918Dienstag, 19. November 1918Mittwoch, 20. Novembe 1918 rDonnerstag, 21. November 1918Freitag, 22. November 1918Samstag, 23. November 1918Sonntag, 24. NovemberMontag, 25. NovemberDienstag, 26. NovemberMittwoch, 27. NovemberDonnerstag, 28. November 1918Freitag, 29. NovemberSamstag, 30. November 1918Sonntag, 1. Dezember 1918Montag, 2. Dezember 1918Dienstag, 3. Dezember 1918Mittwoch, 4. Dezember 1918Donnerstag, 5. Dezember 1918Freitag, 6. Dezember 1918Samstag, 7. Dezember 1918Sonntag, 8. Dezember 1918Montag, 9. Dezember 1918Dienstag, 10. Dezember 1918Mittwoch, 11. Dezember 1918Donnerstag, 12. Dezember 1918Freitag, 13. Dezember 1918Samstag, 14. Dezember 1918Sonntag, 15. Dezember 1918Montag, 16. DezemberDienstag, 17. Dezember 1918Mittwoch, 18. Dezember 1918Donnerstag, 19. Dezember 1918Freitag, 20. Dezember 1919Samstag, 21. Dezember 1918Sonntag, 22. Dezember 1918Montag, 23. Dezember 1918Dienstag, 24. Dezember 1918Mittwoch, 25. Dezember 1918Donnerstag, 26. Dezember 1918Freitag, 27. Dezember 1918Samstag, 28. Dezember 1918Sonntag, 29. Dezember 1918Montag, 30. Dezember 1918Dienstag, 31. Dezember 1918Donnerstag, 2. Januar 1918Sonntag, 5. Januar 1918Dienstag, 7. Januar 1918Mittwoch, 8. Januar 1919Donnerstag, 9. Januar 1918Samstag, 11. Januar 1918Sonntag, 12. Januar 1919Mittwoch, 15. Januar 1919Freitag, 17. Januar 1919Samstag, 18. Januar 1918Samstag, 25. Januar 1919AnhangDie Autorinnen und Autoren der TagebücherDie TagebücherEditorische NotizTextnachweisZeittafelDas Deutsche TagebucharchivDankOrtsverzeichnis
zurück

Es muss möglich sein, die Realität als die geschichtliche Fiktion, die sie ist, auch darzustellen.

Alexander Kluge

zurück

Vorwort

Vier Weltkriegsjahre, dargestellt in Form einer Chronik. Sie kreist um die kriegerischen und politischen Ereignisse, die heute von der Geschichtsschreibung hervorgehoben werden. In ihrer Ausgestaltung orientiert sich die Verborgene Chronik 1915–1918aber vor allem an den festgehaltenen persönlichen Erfahrungen damals Lebender. Denn zugrunde liegen ihr rund zweihundert bislang völlig unbekannte, samt und sonders unveröffentlichte, private Tagebücher aus dieser Zeit, handschriftliche Aufzeichnungen, die unbeachtet ein Jahrhundert überdauerten.

Wer sich diese Lektüre vornimmt und sich in dieses Material vergräbt, der mag – so ging es uns zumindest – feststellen, dass dieser Stoff jeden vorstellbaren Rahmen zu sprengen droht. Es ist ein Erzählfluss ohne Ufer.

Die verschiedenartigen Lebenssituationen und Sichtweisen, die teils von Propaganda beeinflussten Reflexionen, die zivilen und militärischen Alltagsschilderungen, kurzum die Selbstzeugnisse Einzelner in ihrer Fülle, wie können sie in eine Form gebracht werden, die den spezifischen und individuellen Stoffen angemessen ist? In einem »kollektiven Tagebuch«? Ein nicht ganz unproblematischer Begriff, wie wir finden. Er suggeriert die lebendige Beteiligung vieler an einem gemeinsamen Werk. Doch tatsächlich basiert diese Publikation auf individuellen Hinterlassenschaften, auf Nachlässen von Tagebuchautorinnen und -autoren, die ihre Niederschriften nicht als Beiträge für eine hundert Jahre später erscheinende Textmontage abfassten. Aus diesen subjektiven Quellen, genauer aus einem Bruchteil des gesamten Materials, schöpfen und destillieren wir – dialogisch arbeitend, aber auch wiederum subjektiv – eine vielstimmige Chronik globalen Kriegsgeschehens, das ein ganzes Jahrhundert prägte und in seiner Wirkung bis in die unmittelbare Gegenwart reicht.

Mit dem 1. August 1914 begann das Zeitalter der Massenvernichtung, wobei es bis heute keinen Konsens über die Opferzahlen des Ersten Weltkrieges gibt. Während des Krieges verschleierten die Staaten eigene Verluste und potenzierten die feindlichen. Aber noch in der jüngsten Vergangenheit lassen sich trotz der historischen Distanz bei Angaben zu größeren Schlachten mitunter mystisch überhöhte Zahlen zu Toten und Verwundeten finden. Nachweise zu Verlusten unter den Zivilisten einzelner Länder stellen ein Problem dar, Angaben zu den in Gefangenschaft und Deportation gestorbenen Soldaten sind unsicher, und zudem ist die Frage nicht geklärt, ob die Opfer der Grippeepidemie von 1918 zu den Kriegsverlusten gezählt werden sollen.

»Die erste Explosion« nannte Hannah Arendt einmal den Ersten Weltkrieg, und sie verglich diese mit dem »Starter einer Kettenreaktion, die bis heute nicht zum Halten gebracht werden konnte«. Gegenüber der traditionellen Historiografie mit der Besichtigung der Ereignisse »von oben« entwickelte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein neuer, zusätzlicher Ansatz, dieses Zeitalter der Massen und der Massenvernichtung stärker aus den Perspektiven derer zu zeigen, die Geschichte erlebten und erlitten. Biografien im Kontext der Geschichte und der Literatur: »Für Menschen sind Lebensläufe die Behausung, wenn draußen Krise herrscht«, bemerkte der Autor und Filmemacher Alexander Kluge: »Alle Lebensläufe gemeinsam bilden eine unsichtbare Schrift.«

In der 2014 erschienenen Verborgenen Chronik 1914 veröffentlichten wir Aufzeichnungen zur Mobilmachung, zu den ersten Kampfwochen im Sommer und Herbst sowie zum Beginn des Stellungskrieges gegen Jahresende, gestützt auf die Notizen von 37 Tagebuchautorinnen und -autoren.

Die vorliegende Verborgene Chronik 1915–1918 breitet eine Erzählung aus, die sich in ihrem Zeitraum aus tagtäglichen, insgesamt 1519 Einträgen von 111 Verfasserinnen und Verfassern zusammensetzt. Diese skizzieren die politischen Stimmungen, zeigen Nationalismus, Chauvinismus, Verrohung und Antisemitismus, sie dokumentieren die sich verschlechternde Versorgungslage in Deutschland und den Arbeitsalltag der Frauen in der Rüstungsindustrie. Sie berichten aus Einzelperspektiven vom Frontgeschehen, von der Narew-Offensive im Juli und August 1915, mit der die Russen über die lettische Düna aus Polen vertrieben werden, von der Herbstschlacht in der Champagne, in der die deutschen Feuerstellungen beispiellosem französischen Trommelfeuer ausgesetzt sind, von der im Februar 1916 bejubelten, aber dann bald festgefahrenen deutschen Offensive bei Verdun und von der Schlacht an der Somme in der zweiten Jahreshälfte mit letzten, wenige Tage vor dem Tod verfassten Notizen eines Oberleutnants; sie beschreiben das Unternehmen Alberich mit den massenhaften Deportationen französischer Zivilisten und der planmäßigen Zerstörung einer ganzen Region, die im Februar 1917 den deutschen Rückzug in die Siegfriedstellung einleiten; sie schildern die im April und Mai folgenden erfolglosen französischen Offensiven in der Champagne und am Chemin des Dames; sie skizzieren die von Oktober bis Dezember im hochalpinen Karstgelände ausgetragene Isonzo-Schlacht und den euphorisch begrüßten, für den Kriegsverlauf aber unwichtigen Durchbruch der Mittelmächte in Friaul und Venetien bis zum Piave. Andere Tagebuchaufzeichnungen halten Erfahrungen der Kriegsgefangenschaft in Japan, in Deutsch-Südwestafrika, in Deutsch-Ostafrika, in Frankreich, Schottland und England fest. Über die Wirren der Russischen Revolution berichten deutsche Gefangene aus Sibirien und der heutigen Ostukraine. Würde der Krieg nun ein Ende nehmen? Friedenshoffnung kommt auf, aber auch die Sehnsucht nach einem starken Führer. Hungerdemonstrationen und bäuerlicher Widerstand gegen staatliche Kontrollen und Verordnungen zeugen von den immer dramatischer werdenden Lebensverhältnissen. Dass nicht einmal mehr ein Jahr vergehen würde bis zu der militärischen Niederlage und dem Umsturz in Deutschland, dies ist für die Autorinnen und Autoren der Tagebücher Ende 1917 nicht abzusehen. Doch schon kurz nach dem Jahreswechsel zeugen Notizen zu Munitionsarbeiterstreiks und Unruhen in Berlin oder Jena von der endlichen Geduld einer Not leidenden Bevölkerung. Die an verschiedenen Frontabschnitten in Frankreich und Belgien mehrfach ansetzende deutsche Frühjahrsoffensive kann nur für wenige Wochen Siegeshoffnungen wecken, da sie nicht über die Rückeroberung des ein Jahr zuvor aufgegebenen Gebietes hinauskommt. Nach der über hundert Tage anhaltenden, erfolgreichen Gegenoffensive der Alliierten und angesichts der generell katastrophalen Versorgungslage schlagen sich ab dem Sommer 1918 in den Tagebüchern immer deutlicher Stimmungen der Verzweiflung, der Angst und der Empörung nieder. Die allgemein wachsende Erkenntnis, dass der Krieg nicht gewonnen werden könne, geht häufig einher mit reflexhaften, unzulänglichen Schuldzuweisungen, Fehlschlüssen, die schließlich die Propaganda künftiger Vernichtungsfeldzüge und Massenmorde vorbereiten. Für die Darstellung dieses Kriegsjahres, an dessen Ausgang der Zusammenbruch des Deutschen Reichs und die Novemberrevolution stehen, entdeckte Wolfgang Hörner eine besondere zusätzliche Quelle: die Tagebuchaufzeichnungen eines ranghohen Offiziers, der u.a. als Armeenachrichtenkommandeur an der Westfront Zugang zu geheimen Informationen der deutschen Militärführung hatte und der sich dennoch – oder gerade deswegen – von der Kapitulation und den revolutionären Entwicklungen, die vom Kieler Matrosenaufstand ausgingen und als Rätebewegung bald das ganze Reich erfassten, überrumpelt zeigte.

 

Lisbeth Exner, Herbert Kapfer

zurück

Verborgene Chronik 1915–1918

 

 

Nie war eine riesenhaftere Winzigkeit das Format der Welt. Die Tat hat nur das Ausmaß des Berichts, der mit nachkeuchender Deutlichkeit sie zu erreichen sucht.

Karl Kraus, 1915

Januar 1915

Siegfried Eggebrecht, Trosly-Loire (Frankreich)

FREITAG, 1. JANUAR. Die Sonne leuchtet über dem leicht gefrorenen Boden. Ich fahre nach Selens, wie ein kleines deutsches Dorf schmiegt sich der Flecken mit seiner langen Dorfstraße in das enge Tal. Die Kirche reicht gerade für die Mannschaften aus. Die Sonne blinkt und blitzt auf dem Gold der Marienfiguren, auf dem Boden leuchten rote Flecken von den Kirchenfenstern her. Das war der Ton, der durch meine Ansprache hindurchklang: Viel Schweres liegt hinter uns, aber das Neue, Unbekannte schreckt uns nicht. Die Erfolge von 14 geben uns die Zuversicht für einen baldigen Sieg. Wir leben hier alle von der Zukunft. Was unsere Operationen hier aufhält, ist der milde, nasse Winter. Auch haben wir ganz wenig Munition! Aber mit dem Frühjahr wird es wohl dem Ende zugehen, auf das alle lauern. Jeder will durchhalten bis aufs Letzte und fragt deshalb nicht nach sich. Aber der Landmann denkt an seine bestellten Felder, der Kaufmann an sein Frühjahrsgeschäft und alle an ihre Frauen. Ostern, spätestens Pfingsten werden wir daheim sein. Dieses stete Nur-Mann-zu-Mann-sein-Dürfen ist manchmal schwer. Man weiß ja, man hat noch etwas anderes in sich, das auch leben will, aber wann darf man darüber sprechen? Wir fühlen es wohl einer am anderen ab: Nun denkt er an daheim und wünscht sich Frauenarme um seinen Hals, aber es kommt doch niemals zu einem anderen Ausdruck als: Die daheim haben es schwer, und manch einer, der recht forsch sein will, macht dann eine rohe Bemerkung.

Käthe Lehmann, Weimar

SAMSTAG, 2. JANUAR. Auf den beiden Kriegsfronten geht es überall langsam vorwärts, der entsetzliche Schmutz, der herrscht, und der fortwährende Regen erschweren das Vorwärtskommen sehr. In Polen stehen unsere Truppen kurz vor Warschau. Im Westen wird jetzt etwas mehr als bisher gekämpft. Zu Weihnachten wollten die Franzosen unsere Reihen durchbrechen, es ist ihnen aber nicht gelungen, im Gegenteil, wir gehen immer stückweise vorwärts. Die Zukunft liegt so dunkel vor uns, doch an Vertrauen und Mut fehlt es nicht.

Paula Busse, Bensberg bei Köln

SONNTAG, 3. JANUAR. Einen schweren Schlag erlitt ich gestern durch die Nachricht, dass die Pension, die mir zusteht, nur 800 M beträgt und nicht 1600, wie mir mein Lieb bei seinem letzten Hiersein sagte. So bin ich nun auf einen Erwerb angewiesen, um mich und die Kinder durchzubringen.

Otto Gehrke, bei Tahure (Frankreich)

MONTAG, 4. JANUAR. Heftig anhaltender Regen. Geben den Infanteristen Brot und Schmalz, da diese nichts haben.

Oberst a.D., Schlesien

DIENSTAG, 5. JANUAR. Es liegt eine ganz dünne Schneeschicht, sodass es auf den Feldern weiß ist. Stets bedeckter Himmel, wenig Wind. Möge es in Russland bei unseren Lieben auch so sein. Der liebe Gott stehe uns bei und gebe einen milden Winter auch dort. Für Frankreich würde es umgekehrt besser sein, damit die Schwarzen und die Lumpen Inder erfrieren.

Johann Vollath, Montmédy (Frankreich)

MITTWOCH, 6. JANUAR. Nördlich Arras 300 m Schützengraben genommen. Hochwasser überall im besetzten Gebiet. Das regnerische Wetter wirkt sehr deprimierend auf die Etappenstellen, besonders das in aufreibenden Diensten stehende Bahnpersonal.

Friedrich Link, Wattweiler, Elsaß-Lothringen

DONNERSTAG, 7. JANUAR. Tag und Nacht im Schützengraben. Wir suchen Unterkunft in den verlassenen Häusern. Im Gebirge vor uns französische Esel-Batterien, beschießen das Dorf. Schwerer Artilleriekampf. Sennheim und Uffholtz brennen.

Karl Groppe, bei Brimont am Aisne-Marne-Kanal (Frankreich)

FREITAG, 8. JANUAR. Leuchtraketen werden von beiden Seiten abgeschossen und erhellen das Gelände taghell. Schön machen sich die französischen, dieselben sind mit einem Fallschirm versehen und halten sich bis zum Verlöschen in der Luft, haben aber den Nachteil, dass sie nicht sofort beim Abschießen leuchten. Links von uns ist schwerer Geschützkampf, vermischt mit Gewehr- und Maschinengewehrfeuer. Auch wir werden stark unter Feuer genommen.

Richard Walzer, Bavay (Frankreich)

SAMSTAG, 9. JANUAR. In der Schule sind hundert Zivilgefangene untergebracht. Den armen Kerls geht es schlimm, sie haben direkt eine preußische Rekrutenzeit mitzumachen: nachts revidiert Antreten im Hof, morgens Üben im Bettenbau, mittags großes Reinemachen, Umstellen der Betten, heute in die Ecke, morgen in die andere, alles unter Aufsicht des Oberleutnants.

Josef Kollmannsberger, Péronne (Frankreich)

SONNTAG, 10. JANUAR. Verabschiedung unseres guten unvergesslichen Herrn Hauptmann. Jedem drückte er die Hand, und fast jeder weinte, er selbst auch, und das letzte »Ade, Kameraden!« konnte er nur mehr mit tränenerstickter Stimme hervorbringen. Wir haben ihn nun verloren, er ist fort. Ob nicht mit ihm auch unser Glück?

Siegfried Eggebrecht, Trosly-Loire (Frankreich)

MONTAG, 11. JANUAR. Am Mittage wegen Beerdigung im Krankenauto nach Nouvron. Endlich lerne ich nun die Kriegswüste kennen. Es ist nicht nur Öde, Leere, Zerstörung in der Stadt, sondern dort herrscht das Grauen. In die halb zerfallenen und zerschossenen Häuser fallen die Gewehrgeschosse und prallen, einen frischen hellen Fleck im dunklen Sandstein zurücklassend, wieder ab. An der Kirche vorbei – es ragt nur noch der Turm empor, und an der einen Wand hängt allen Zerstörungen zum Trotz noch ein Kruzifix – liegt der kleine Friedhof mit den neuen Steinen, aber er muss wohl aufgegeben werden. In einer Scheune mit zerfetztem Dach liegt auf dem halb verfaulten Heu die Leiche, man hat ihr die Stiefel ausgezogen und eine Zeltplane darum gelegt. Zwei Gruppen von Kameraden kamen aus dem Graben, nass und lehmbespritzt. Im halbdunklen Raum stehen wir, die Kugeln schwirren über uns hinweg, ab und zu schlägt eine Granate schwer ins Tal. Was soll man sagen, wenn man selbst ganz erschüttert unter all der Trostlosigkeit steht?! Was helfen da Worte von Ehre und Vaterland? Vielleicht war das Beste der Händedruck, den ich allen am Grabe gab, weil mir nichts Besseres einfiel!

Adolph Mathaei, Cuxhaven

DIENSTAG, 12. JANUAR. Unser Liebling, der so pflichtgetreue, zärtliche Dolli ist uns entrissen, in Erfüllung seiner Soldatenpflicht gefallen!

Charlotte Böhringer, Grimma

MITTWOCH, 13. JANUAR. Mein Herz ist oft so schwer, dass ich unzufrieden und missmutig bin. Und dann möchte ich jubeln, dass das Glück doch mein ist. Ich bin ja noch jung. Ich muss nur Geduld haben und warten, bis es kommt und ich den hellen Schein, der in mir brennt, nicht mehr verbergen muss.

Richard Piltz, Louvigny, Elsaß-Lothringen

DONNERSTAG, 14. JANUAR. Großes Artillerieduell. Ich hatte für den Materialtransport zu sorgen, da die neuen Feldwachen mit Unterständen versehen werden sollten. Der Transport war sehr schwierig, da das Holz 14 km rückwärts der neuen Stellung vom Hautonnerie-Wald auf klapprigen Wagen auf grundlosen Wegen herangefahren werden musste. Als die Feldwachen, die 2 bis 4 km von Éply entfernt lagen, in unserem unumstrittenen Besitz waren, setzte die Tätigkeit der Pioniere ein. Ich brachte das Material mit 160 Infanteristen tunlichst lautlos vor, teils auf Wagen, teils auf den Schultern. Das Material bestand aus 4,5 m langen Balken, hölzernen 1 qm großen Holzblenden, Dachpappe, Brettern, Pfählen zu Drahthindernissen, Stacheldraht, stählernen Kopfblenden. Um unseren Holzbestand zu erhöhen, sägten unsere Pioniere unter Techniker Krohn die 10 m langen Masten der elektrischen Überlandzentrale um.

Josef Glaser, Gefangenenlager Spasskoje (Russland)

FREITAG, 15. JANUAR. Bei der Leichenhalle versammelt. Ein Leichenwagen mit weißem Behang führt den Sarg zu dem eine halbe Stunde südlich der Kaserne, am Fuße eines Berges gelegenen Grabe. Die Offiziere und ein Zug russischer Infanterie folgen dem Wagen. Vier Kameraden senken den Sarg ins Grab, die Infanterie gibt drei Salven ab. Der Feldkurat Dr. Dresel widmet in schlichten Worten dem Verblichenen einen warmen Nachruf. Mit dem Vortrage des Liedes ›Es ist bestimmt in Gottes Rat‹ schließt die ergreifende Feier. – Russische Telegramme: Deutsche Flieger versuchten Paris anzugreifen, wurden aber von französischen Fliegern daran gehindert. Gnadiev ist nach zweitägigem Aufenthalte in Rom in Bukarest eingetroffen. Der Kreuzer ›Midilli‹, der einen Transport nach Trapezunt begleitet, wurde von den Russen angegriffen, der Kreuzer entkam, der Transport wurde versenkt. Die Kreuzer ›Breslau‹ und ›Hamidiye‹ griffen ein russisches Geschwader ohne Erfolg an.

Georg Becker, Comines (Frankreich)

SAMSTAG, 16. JANUAR. Traf in Comines bei der Sanitätskompanie ein. Belgisch-Comines selbst, das durch die Lys und einen Nebenarm von Französisch-Comines getrennt ist, zeigte an manchen Häusern Spuren der Granatbeschießung. Im Übrigen bot die von Soldaten wimmelnde Stadt ein friedliches Bild. In einem Laden drängten sich die Soldaten, weil Pommes frites gebacken wurden. Militärmusik spielte gerade vor der neuen großen Kirche, in der der Pionierpark untergebracht ist. Als ich mich auf dem Hauptverbandplatz der 4. Division in der Rue de Wervicq meldete, traf ich meinen neuen Chef, Oberstabsarzt Schmidt, gerade beim Feuerschüren. Bei dem Divisionsarzt, der augenblicklich den beurlaubten Korpsarzt vertritt, musste ich mich auch melden. Er ist sehr gefürchtet wegen seiner kleinlichen Gamaschenknöpferei. Die dauernde Angst vor dem Vorgesetzten, die dem Kriegslazarett fremd war, beherrscht den ganzen Betrieb. Die Sanitätskompanie hat schon viele schwere, gefährliche Zeiten hinter sich. Jetzt hat sie im Verhältnis dazu einen Ruheposten. Nachts holt die Kompanie die Verwundeten von den Truppenverbandplätzen mit ihren Krankenwägen und einem Auto herein. Der Truppenarzt der Sanitätskompanie fährt regelmäßig mit hinaus. Unsere Aufgabe ist es, die ankommenden Verwundeten zu versorgen, sie nachts auf unseren Strohsäcken gegenüber unserem Wachlokal zu lagern und sie anderen Morgens zu verteilen, die Marschfähigen zur Leichtverwundeten-Sammelstelle, die Transportfähigen mit Auto nach dem Feldlazarett 5 in Tourcoing, die Nichttransportfähigen, vor allem Kopf-, Brust- und Bauchschüsse, in eins der fünf Feldlazarette. Unter den Verhältnissen des Positionskrieges haben wir aber nur nachts zu tun. Die Verluste sind jetzt gering. Durchschnittlich hat die Division sechs Verwundete nachts.

Freifrau von Wertheim, Coburg

SONNTAG, 17. JANUAR. Ich bin ruhiger geworden als im Anfang. Macht es die Gewohnheit oder der Umstand, dass das Regiment verhältnismäßig sicher liegt, oder die Zuversicht von Siegfried? Ich weise jeden Gedanken an ein schlechtes Ende von mir, man müsste ja sonst wahnsinnig werden. Dass ich das kann, wundert mich selbst. Ich komme ja kaum zur Besinnung den ganzen Tag und bin abends todmüde. Du heiß geliebter Mann, das Gefühl der zärtlichsten Liebe für dich verlässt mich keinen Augenblick, immer ist ein weicher, ein besorgter, glücklicher Gedanke um mich, das bist du.

Siegfried Eggebrecht, Trosly-Loire (Frankreich)

MONTAG, 18. JANUAR. In Terny-Sorny, wo wir bei einer Landwehr-Munitionskolonne unsere Pferde ließen, bekamen wir vom Führer Bericht über die heftige Beschießung, die dieser Ort durch die Franzosen erlitten hatte. Ausgebrannte Ställe, von oben bis unten durchgeschlagene Häuser und der abgedeckte Kirchturm, den die Franzosen als Richtpunkt gewählt, bis man ihn beseitigte, waren der Auftakt zum kommenden Eindruck, den eroberte französische Feldgeschütze mit ihrem eigentümlich langen Rohr wirkungsvoll unterstützten. Aber all das war nun nichts gegen die sich immer mehr steigernden Eindrücke des eigentlichen Schlachtfeldes. Mächtige Granattrichter links und rechts von der Straße, Berge von länglichen großen Geschosskörben, eine Unzahl von französischen Blindgängern führten bis zu einem kleinen Gehölz, hinter dem unsere Artillerie wohl offen aufgefahren war. Wie mit einem Messer hatten hier die Granatsplitter die Bäumchen zerbrochen, zerschnitten, zerritzt und zerspeilt. Über die stellenweise tief zerwühlte Chaussee geht es weiter nach unserer Stellung zu, die auf dem Höhenzuge der langsam ansteigenden Chaussee sich hinzieht. Wir waten durch tiefen Schlamm zu einem Zug Feldartillerie, der hier noch liegt. Wir nehmen einen Kanonier als Führer mit. Das heutige Schlachtfeld hat nichts Theatralisches mehr an sich. Kein Feldherrnhügel, keine Windmühle. Es ist überhaupt im Ganzen nicht mehr zu malen. Der moderne Maler wird Einzelausschnitte geben müssen, denn der moderne Kampf spielt sich zum größten Teil im und am Boden ab. Die Granattrichter bis zum Umfang von 2 bis 3 m häufen sich, die Bäume der Chaussee liegen mit ihren 30 cm dicken Stämmen zerknickt über der Straße, in einem Stamm steckt ein nicht krepiertes Geschoss. Hart am zweiten Reservegraben liegt ein verbranntes Flugzeug. Es wurde von den Franzosen heruntergeholt, konnte aber noch in unseren Linien landen, Führer und Begleiter konnten sich noch retten. Im wirren Durcheinander liegen Drähte, Motor, Kühlrippen und verbogene Metallteile, alles andere ist verbrannt. Heftiger haben die Franzosen mit ihren Geschossen den zweiten Schützengraben bedacht, aber die Wohnunterstände für die Reservekompanien haben gehalten, bei einigen sind allerdings die Wände eingedrückt. In der Sohle des Grabens steht fast knietiefer Schlamm, aber alles sieht ordentlich aus. Munitionslöcher sind reichlich vorhanden, Holz ist wenig verwandt, nur starke Bohlen zum Schutz in den Schlafräumen. Die Gräben sind sauber. Aber Unrat, Kartons, Blechbüchsen, zerbrochene Flaschen usw. liegen auf den Böschungen feindwärts. Während wir weiter auf der Chaussee gehen, hat der Himmel sich bezogen, es fängt an zu schneien. Im Tal bei Clamecy suchen die Franzosen mit ihren Granaten die Gegend ab, man hört nach kurzem hohlem Pfeifen den krachenden Einschlag. 200 m vor dem zweiten Graben liegt der heiß umkämpfte erste Graben. Hier wurde seit Weihnachten sehr schwer gekämpft. Jeder Tag kostete eine große Zahl Toter. Was nachts gebaut war, zerstörte am Tage die Artillerie, oft wechselte der Besitzer. Es waren Zustände, welche auf die Dauer zu kostspielig wurden, daher wurde nach mehrstündiger Artillerievorbereitung der Sturm auf der ganzen Linie befohlen. Was unsere Artillerie an Wirkung erreichte, zeigte der französische Graben, der nur einer flachen Mulde glich, aus dessen schlammigem Grunde Köpfe und Arme der Verschütteten sahen. Die französischen Verluste müssen gewaltig gewesen sein. Lange Reihengräber liegen an den Gräben. Viele noch nicht Beerdigte liegen in den Stellungen, wie sie die Kugeln trafen: im Anschlag, sich vorstreckend, laufend zusammengesunken. Aber auch manch Einzelgrab der Unsrigen ließ auf zahlreiche Verluste schließen, und an einer Stelle hatte man zwölf nebeneinandergelegt, damit sie ein schon gegrabenes Grab aufnähme. In wilder Flucht hatten die Franzosen hier den Graben verlassen. Tornister, Gewehre, Feldflaschen, Patronen, Wäsche, Konservenbüchsen, Mützen, Uniformen, Minenwerfer, Handgranaten, all das lag auf und neben der Straße, die sich in Windungen dem Aisne-Tal zusenkte. Wieder hatte unsere Artillerie in dem Waldgehölz stark gewirkt, auch hier lag noch mancher Tote. In den Gebüschen lagen die verlassenen Unterkünfte der französischen Reserven. Eine größere Anzahl Geschütze, die sie nicht mehr aus den engen Geschützständen herausbekamen, standen da noch samt ihrer Munition. Hier mussten früher schwarze Truppen gelegen haben, ihre kleinen, niedrigen Reisighütten atmeten noch den scharfen Geruch ihrer Anwesenheit. Die ganze Umgebung sehr unsauber! Mitten zwischen den Hütten niedrige Gräber, ungepflegte kleine Erdhügel, an der einen Seite auf einer Stange eine Glasflasche mit dem hineingesteckten Soldbuch, das sind die einzigen Kennzeichen. Einmal hing eine kleine Tafel an einem Baum. Durch das Gehölz sahen wir 300 m vor uns am Aisne-Ufer die neuen Schützengräben. Die Aisne ist ziemlich hoch, ihr schmutzig gelbes Wasser steht auf den breiten Wiesen. Deutlich liegen vor uns die Häuser von Soissons. In der Ferne sieht die Stadt wie unbeschädigt aus. Aber totenstill liegen die Straßen. Ich bücke mich nach einigen französischen Briefen und Postkarten. Bonne Année steht auf den meisten. Eine Schwester wünscht ihrem Bruder ein frohes Jahr und eine gute Aussicht auf baldige Wiederkehr. Ob der Bruder noch am Leben ist? Eine andere Karte zeigt ein zerstörtes Schloss, darunter »l’invasion allemande«, doch unten steht: Engländer haben es am 8. und 9. September zerschossen, um die Deutschen daraus zu vertreiben. Ironie des Schicksals! Ein Tagebuch geführt vom 4. August bis 22. Dezember fällt noch in meine Hände. Ob in arabischer Schrift oder im Stenogramm geschrieben, kann ich nicht erkennen. Auf der Höhe der französischen Stellung grüßt ein frisches Grab mit Stein, 3m davon hat sich vorhin eine Granate ihr Loch gewühlt. Ist es Zufall oder lockt die Franzosen der Stein? Wir wundern uns noch, dass die Gefallenen zum Teil mit Schnürschuhen, zum Teil in Strümpfen liegen, aber der Schmutz war so groß, dass ihnen beim Sturm die Stiefel stecken blieben und sie in Strümpfen weiterstürmten. Jetzt schießen die Franzosen die Chaussee entlang. Man hört deutlich den fernen Abschuss, dann das Sausen des Geschosses, ein paar Mal schlägt’s dicht bei uns ein, und wir müssen uns in Gräben verstecken, springen. Unsere Pferde stehen weit hinten, der Bursche ist mit ihnen fortgelaufen, als ihm die Sache brenzlig wurde. Als wir nach Hause reiten, streifen Sanitäter mit Bahren und Hunden quer durch die Felder. In der Abenddämmerung liegt verdüstert das nun ganz stumme Schlachtfeld. »Bei Soissons machten wir 5200 Gefangene«, sagt der Heeresbericht, was steht an Furchtbarem dahinter!

Josef Kollmannsberger, bei Assevillers (Frankreich)

DIENSTAG, 19. JANUAR. In der alten Stellung. Die Infanterieregimenter sind jetzt mit Rekruten aufgefüllt. Auf verschiedenen Feldern sieht man noch Weizenmandl stehen, jetzt ist aber schon Januar. Die Zuckerrüben, die es hier fast ausschließlich gibt, müssen von der Zivilbevölkerung eingebracht werden und werden von der deutschen Industrie verarbeitet. Ebenso werden die Einwohner zum Instandsetzen der Wege herangezogen.

Xaver Rimmelin, Gefangenenlager Fort Surville, Île de Groix (Frankreich)

MITTWOCH, 20. JANUAR. Es ist bitter für uns, nicht dabei sein zu dürfen, nicht mithalten zu können bei dem großen Werk, sondern zu Schmach und Schande verurteilt zu sein, ein Spielball in den Händen der französischen Regierung und ihrer launischen Unterorgane. Mehr wie einmal wurde die Stunde verflucht, welche uns in die Macht der Franzosen gab. Wir besuchen öfter die Ortschaften auf der Insel, wo wir Fleisch, Gemüse, Kaffee oder Tee einkaufen, welche wir uns auf selbst verfertigten Spirituskochern zurechtmachen. Wenn für uns hundertzehn Mann 36 Pfund Fleisch, 19 Pfund Knochen, 20 kg Kartoffeln, einige Gelbrüben, ein Krautkopf und sechs Zwiebeln zwei Mahlzeiten abgeben müssen, so kann man wohl verstehen, dass wir nicht an Fettsucht leiden. Am Anfang unserer Ausgänge wurden uns noch von den Einwohnern Beschimpfungen nachgerufen, aber als sie mit der Zeit merkten, dass sie an uns Geld verdienten, hörte dies allmählich auf. Hauptsächlich, als ihnen der Pfarrer vom Hafenort Tudy klarmachte, dass wir ebensolche Menschen seien wie sie. Heute kam ein sogenannter amerikanischer Kommissar im Lager an. Auf die Beschwerde, dass die ankommenden Pakete ohne Beisein der Empfänger geöffnet werden und vielfach bestohlen ankommen, versprach er, vorstellig zu werden. Allen anderen Beschwerden gegenüber der Unterbringung im Keller, Arbeitszwang, Essen, Verpflegung erklärte der Amerikaner, dass unser Lager noch eines der besten wäre, im Übrigen aber könne seine Regierung keinen Einfluss auf die französische ausüben. Ich danke schön.

Hermann Christian Kurz, bei Dompierre (Frankreich)

DONNERSTAG, 21. JANUAR. Bin Ersatzgruppenführer, ein feines Leben. Unteroffiziersdienst: keinen Arbeitsdienst, kein Essenholen und bei Nacht nur zweimal zwei Stunden Zugwache, bei welcher ich die Posten kontrollieren muss. Wir haben seit fünfundzwanzig Stunden Regen. Im Graben steht das Wasser bis zu den Schäften, teilweise sind die Wände eingestürzt, und man versinkt im Morast. In den Stiefeln steht das Wasser, bis über die Knie ist alles Schmiere, nur oben bin ich ganz trocken dank meiner Regenhaut. Tagebuch soll nicht mehr mitgeführt werden. Vielleicht kann ich es heimschicken, denn ich möchte das Original nicht gerne verlieren. Nach Dompierre, also gleich neben uns, schießen sie mit Schnellfeuerkanonen hinein, dass alles nur so wackelt. Trotz alledem habe ich in unsere Bude Betrieb hineingebracht. Einer spielt Mundharmonika, dazu wird gesungen, und ich, ich pfeife genau wie sonst. Also unterkriegen lassen wir uns noch lange nicht.

Richard Piltz, Éply (Frankreich)

FREITAG, 22. JANUAR. Nachmittag fuhren zu meinem Schrecken zwei Lastautos heraus nach Éply, was nur abends oder nachts geschehen darf. Ich sagte dem Chauffeur und dem Festungsbautechniker Krohn, der mitgefahren war, gleich, dass wir durch diesen unverantwortlichen Leichtsinn Artilleriefeuer nach Éply bekommen würden. Es dauerte auch keine zehn Minuten, dann setzte die Kanonade ein. Erst wurden beide Hauptausgänge des Dorfes befeuert, um den Autos den Weg abzuschneiden, dann ging’s ins Dorf selbst, und zwar hauptsächlich in die Nähe unserer Pionierwohnungen, da vor diesen die Autos hielten. Zu bedenken ist, dass von den nur 1½ km entfernten, vom Feinde besetzten Seille-Höhen viele Straßenteile von Éply eingesehen werden können, weshalb am Tage nur der notwendigste Personenverkehr stattfinden darf. Ich hatte gerade meinen Pionieren befohlen, wegen der Beschießung mit der Abladung des Autos aufzuhören und sich in die Keller zu verziehen, und stand mit Techniker Krohn und meinem Burschen Busch in der Toreinfahrt meines Hauses in Unterhaltung begriffen, als eine Granate in unser Haus sauste und 5 m von uns im Torwege, also im selben Raume, laut krachend platzte. Busch flog hin, ich soll mich nach Aussagen meines Burschen ein paarmal um mich selber gedreht haben, der arme Krohn sank schwer getroffen zu Boden. Der ganze Raum war mit schwarzem giftigem Qualm erfüllt. Busch und ich eilten in den Keller, in dem sich Leutnant Kuhlmann, ein Offizierstellvertreter und ein Infanterist befanden. Wie Espenlaub zitternd, warteten wir dort den weiteren Verlauf ab. Als ich mich etwas erholt hatte, sprang ich noch während der Kanonade über den Hof in die Toreinfahrt und trug mit Leutnant Kuhlmann und Busch den schweren Krohn in den Keller hinab, wo wir den hoffnungslos Verletzten betteten. Nach etwa zwanzig Minuten hörte die Kanonade auf. Nach Feststellungen eines Artillerieoffiziers sind 68 Granaten von 7,7 cm und 12 cm in den Ort geflogen. Niemand verletzt, außer der arme Krohn, von dem ein sofort herbeigerufener Krankenträger nur feststellen konnte, dass er im Sterben liege.

Siegfried Eggebrecht, Trosly-Loire (Frankreich)

SAMSTAG, 23. JANUAR. An meiner Stelle müsste hier ein Mann stehen, der mehr könnte als ich, von dessen innerlich gefestigtem Leben aus ein Strom von Gottvertrauen und Zuneigung ging. Mich wirft jedes offene Grab um. Ich soll geben, was ich nicht habe: Trost, und ich habe doch nur Trauer und höchstens festes Zusammenbeißen der Zähne. Es wäre alles besser, wenn man sich mal aussprechen könnte. Es ist eigentümlich, dass ich reden muss, wo alles zum Schweigen drängt. Das meiste lässt sich doch am besten schweigend überwinden, wenn es sich um Inneres handelt. Ich aber muss von Amts wegen reden. Das ist der schlimmste Eindruck: Es bricht nicht nur das Morsche zusammen in dieser Weltkatastrophe, sondern das Morsche reißt ungeheuer viel Gesundes mit sich.

Jakob Krebs, Lens (Frankreich)

SONNTAG, 24. JANUAR. Beim Appell erhalte ich die Nachricht, dass Ernst Simmel gefallen ist.

Franz Xaver Hiendlmaier, an der Biała Nida (Russisch-Polen)

MONTAG, 25. JANUAR. Vorbei am früheren Verbandplatz vom 30. Dezember, wo in unserer Papiernia-Schlacht Hunderte Kameraden verbunden wurden. Vorbei an vielen Gräbern, an unserer früheren Stellung, die zu räumen uns die Russen gezwungen hatten. Da lag unsere Feldwache. Nun sahen wir die Totenwiese, wir sahen ca. 600 m vor uns den Graben, den wir erstürmt hatten, wir sahen das Massengrab, in dem Hunderte Kameraden liegen und manche guten Freunde. Auf einmal etwas links mächtiges russisches Salvenfeuer auf uns. Trotz dem Feuer schlichen wir, um unsere Aufgabe zu erfüllen, zur Feldwache 2. Wir unterhielten uns in Deckung, und der allgemeine Wunsch wurde ausgetauscht, alles, nur nicht einen solchen Angriff über den Sumpf ein zweites Mal. Tagsüber Ruhe im Unterstand. Gedanken vor Gefecht zu Hause bei den Lieben.

Annemarie Haake, Cassel

DIENSTAG, 26. JANUAR. Grad heute haben wir alle Tagebuchfieber. Ich möchte so gern schreiben und weiß doch nicht, was. Ich bin heute wieder in meiner Stimmung, wie die eigentlich ist, weiß ich gar nicht, fast könnte ich sagen, es ist ein Gefühl wie Wehmut, so eine ganz sonderbare Sehnsucht nach etwas Unfassbarem, nach etwas Idealem, Höherem. Wenn ich so draußen die Schneeflocken wirbeln sehe, dann könnte ich träumen und träumen.

Hans Finckh, Gefangenenlager Matsuyama (Japan)

MITTWOCH, 27. JANUAR. Die Tage waren sehr ausgefüllt, da wir zu Kaisers Geburtstag etwas aufführen wollten. Auch vierstimmige Lieder wurden eingeübt. Eine Tribüne wurde gebaut, der Kaiser gemalt. Zum lebenden Bild musste ein Gewehr gemacht werden und auch ein Säbel. Die Bühne wurde aus wollenen Decken angefertigt, desgleichen der Vorhang. Als Hintergrund war ein Wald auf Papier gemalt. Das Ganze machte sich großartig. Um ½6 Uhr sollte die Feier beginnen. Es waren alle vom Lager eingeladen. Sämtliche Offiziere kamen. Der Tempel war gesteckt voll.

Johann Georg Schächtele, Dürlinsdorf, Elsaß-Lothringen

DONNERSTAG, 28. JANUAR. Schanzen, es war sehr kalt. Unsere Artillerie begann zu schießen, das Feuer wurde aber von den Franzosen nicht erwidert. Abends bekam ich einen Brief von meinen Kindern, die mir erfreut schrieben, dass sie jetzt ein kleines Brüderchen erhalten hätten. Das Befinden der Mutter ist dem Brief nach noch nicht das beste, was mich mit Besorgnis erfüllt.

Ernst Eberlein, Breslau, Schlesien

FREITAG, 29. JANUAR. Erste Ausfahrt mit den Geschützen seit sechs Monaten. Ich habe mir die Ausbildung bei der Artillerie etwas glanzvoller und zusammenhängender vorgestellt. Alte Zöpfe sind beim Militär. Warum?

Annemarie Pallat, Wannsee

SAMSTAG, 30. JANUAR. Man muss seine Mehlvorräte angeben.

Clara und Josephine Bohn, Ingersheim, Elsaß-Lothringen

SONNTAG, 31. JANUAR. Es darf kein Brot über 100 g aus reinem Weizenmehl verkauft werden.

Februar 1915

Franz Xaver Hiendlmaier, an der Biała Nida (Russisch-Polen)

MONTAG, 1. FEBRUAR. Läuseplage. In den Dörfern hinter uns große Kindersterblichkeit. Endlich kommen Weihnachtspakete.

Josef Glaser, Gefangenenlager Spasskoje (Russland)

DIENSTAG, 2. FEBRUAR. Im Essraum einer Mannschaftsküche ist ein neuer Turnsaal eingerichtet. – Russische Telegramme: Die Gefechte bei Dukla werden stärker und enden meist günstig für die Russen. Nach der ›Times‹ verstärken die Deutschen ihre Kräfte in Frankreich, um gegen Paris vorzustoßen, ehe Rumänien eingreift. Goltz Pascha äußert sich zu einem Korrespondenten des ›Berliner Lokalanzeigers‹, dass England an der empfindlichsten Stelle getroffen würde, wenn es den Türken gelingen sollte, in Ägypten vorzudringen. Ein russisches Torpedoboot hat Trapezunt beschossen und viel Schaden angerichtet.

Otto Gehrke, bei Saint-Souplet (Frankreich)

MITTWOCH, 3. FEBRUAR. Nachmittags belegen die Franzosen Saint-Souplet mit schweren Granaten, 100 m von unserem Quartier. Auf den ersten Schuss zwölf Mann tot, zweiunddreißig verwundet.

Richard Piltz, Éply (Frankreich)

DONNERSTAG, 4. FEBRUAR. Abends erreichte mich die bedrückende Nachricht, dass am Nachmittag etwa acht französische 15-cm-Granaten nach Louvigny geschossen seien. Eine Granate fiel auf den Dorfplatz vor unsere Pionierküche, wo auch unser Sprengmineurwagen mit zweitausend Sprengkörpern (400 kg) steht. Der Sprengmunition hat es nicht geschadet, wohl aber ist unser Schmied Weber getötet worden.

Karl Groppe, bei Passel (Frankreich)

FREITAG, 5. FEBRUAR. Abmarsch in die vordere Stellung. Unser Kompanieführer hat uns schon von großen Höhlen erzählt, wir können uns aber noch keinen rechten Begriff machen. Der Marsch ist sehr beschwerlich, auf einem schmalen Waldwege geht’s die steile Höhe hinan. Oft ist man in Gefahr, stecken zu bleiben oder die Stiefel zu verlieren. Oben schweißtriefend angekommen, sehen wir, dass der Weg durch ein großes Tor in das Innere des Berges führt. Nun heißt es: Taschenlaterne heraus. Nachdem wir fast eine halbe Stunde in der Höhle entlangmarschiert sind, kommen wir wieder ans Tageslicht. Wir sind dicht bei unserer Hauptstellung angelangt. Unser erster Zug soll auf Feldwache, wir müssen deshalb noch etwa zehn Minuten in der Höhle entlanggehen.

Karl Groppe, bei Passel (Frankreich)

SAMSTAG, 6. FEBRUAR. Es sind uralte Sandsteinbrüche, die kilometerweit durch das Gebirge gehen. Die Höhlen haben meist die Form von nebeneinanderlaufenden und sich kreuzenden Gängen, diese sind 2,50 bis 5 m hoch und etwa 4 bis 6 m breit. Es gibt aber auch große freie Plätze, wo auf 10 bis 20 m im Umkreis keine Säule oder Wand steht. In den Gängen, die wir benutzen müssen, sind Bindfäden und Papierschnitzel befestigt. Lässt man diese aus dem Auge, so verläuft man sich sofort. Umherlaufen in den Höhlen ist verboten. In der dienstfreien Zeit machen wir aber doch mal einen kleinen Streifzug. Hierbei finden wir große Champignonbeete, nehmen Pilze mit und braten uns eine Pfanne voll. Von der Höhle aus gelangen wir über eine Treppe in unsern Schützengraben. Dieser ist sehr gut ausgebaut, mit Schießscharten und Schrapnellschutz versehen. Die feindliche Stellung ist fast 1000 m entfernt, eine vorgeschobene Feldwache liegt jedoch 150 bis 200 m vor uns.

Friedrich Link, Niederburnhaupt, Elsaß-Lothringen

SONNTAG, 7. FEBRUAR. Das war wieder ein Tag! Artilleriefeuer ins Dorf. Direkt an unserem Kellerfenster bleibt ein Blindgänger liegen. Scheinen es auf unsere Zentrale abgesehen zu haben. Keine Verluste! Gott sei’s gedankt.

Marie Peter, Karlsruhe

MONTAG, 8. FEBRUAR. Gestern fuhren wir von Baroncourt ab und luden unsere ersten Verwundeten in Conflans ein, dann in Mars-la-Tour und Chambley und noch zuletzt in Metz. Es waren sehr viele Kranke (Magen, Rheumatismus und Influenza, auch Lunge und erfrorene Zehen), einige Verwundete von den feindlichen Fliegern. Der Transport ging durch die Pfalz nach Mannheim, wo ausgeladen wurde. Leider ging’s gleich wieder zurück nach Karlsruhe, wo wir im Mutterhaus einquartiert wurden.

Richard Piltz, Éply (Frankreich)

DIENSTAG, 9. FEBRUAR. Begräbnis eines Infanteristen, der am Eingang von Éply durch Granatschuss getötet war. Nachher lief die Hiobsbotschaft ein, dass die Moince-Mühle durch einen Volltreffer erwischt sei, hierbei elf Verwundete. Während meiner dreitägigen Abwesenheit von Éply war dieses mehrfach beschossen worden, eine ganze Anzahl Häuser niedergebrannt. Eine Granate war ausgerechnet in dem Zimmer explodiert, in dem Busse und ich in den ersten acht Tagen wohnten. Ein unglückseliges Haus. In ihm sitzen nun bereits vier Granaten, die eine, ein Blindgänger, ist im Giebel stecken geblieben und schaut etwa 15 cm heraus. Außerdem hatten in dem Haus der arme Techniker Krohn durch Granatschuss und der Bursche von Busse durch Kohlengasvergiftung ihren Tod gefunden.

Eugen Miller, Lamouilly (Frankreich)

MITTWOCH, 10. FEBRUAR. Rittmeister lässt mich rufen, soll dem Maire verdolmetschen, dass er den gefundenen Hafer und das Mehl an seine Einwohner verteilen soll. Die tagsüber angestellten Haussuchungen förderten ca. 67 Zentner verborgen gehaltenen Weizen an den Tag.

Karl Bröder, bei Schirwindt (Russland)

DONNERSTAG, 11. FEBRUAR. Über die russische Grenze marschiert. Schirwindt ist von den Russen ganz niedergebrannt, die Russen gehen fluchtartig zurück. Anstrengende Märsche bei Eis und Schnee.

Meta Iggersheimer, Amberg

FREITAG, 12. FEBRUAR. Der Krieg zieht sich in schreckliche Länge. Es ist noch gar keine Aussicht auf Friedensschluss! Doch wir Deutsche wollen tapfer sein! Amerika hintergeht uns schrecklich, heuchelt »Neutralität« und liefert für viele Millionen Mark Waffen an unsere Feinde. Pfui, welche Schmach! Zahlreiche Proteste deutscherseits blieben erfolglos. Wir greifen eben jetzt zu den strengsten Maßregeln! Ab 18. Februar soll eine Blockade das schändliche Handeln vereiteln.

Freifrau von Wertheim, Coburg

SAMSTAG, 13. FEBRUAR. Der Zwiespalt, der einen immer quält, macht mir viel zu schaffen. Siegfried schrieb, dass es so betrüblich wäre, wenn er später als einer von wenigen ohne das Eiserne Kreuz in Erfurt einziehen würde. Dazu gehört aber wieder die furchtbare Lebensgefahr eines Gefechts. Bis jetzt ist er in keins gekommen. Gestern schrieb er, dass eine Granate fünfzig Schritt vor ihm explodiert wäre, neulich, dass ihnen die Granaten über die Köpfe pfiffen, ein anderes Mal hatte er sich nachts verirrt und hätte leicht in den französischen Schützengräben landen können. Wie würde ich selig sein, wenn er das Kreuz hätte, aber es ärgert mich, dass ich daran überhaupt so oft denken muss, wo mir doch sein Wiederkommen das höchste, liebste, herrlichste Ziel ist.

Friedrich Link, Niederburnhaupt, Elsaß-Lothringen

SONNTAG, 14. FEBRUAR. Französische Patrouille vor Drahtverhau angeschossen.

Karl Groppe, bei Passel (Frankreich)

MONTAG, 15. FEBRUAR. Stand am Samstag morgens Posten im Schützengraben. Da ich Zeit und auch lange nicht geschrieben hatte, holte ich mein Tagebuch hervor und machte einige Notizen. Zufällig hatte mich unser Kommandeur dabei gesehen. Auf seinen Befehl musste mich unser Kompanieführer mit drei Tagen Arrest bestrafen. Ich verbüßte dieselben, indem ich vorgestern, gestern und heute je zwei Stunden an einen Pfahl gebunden wurde. Meine Kameraden waren empört über diese unwürdige Behandlung, selbst die Vorgesetzten sprachen ihr Mitleid über mein Pech aus.

Georg Becker, Comines (Frankreich)

DIENSTAG, 16. FEBRUAR. Vorgestern war eine außerordentlich starke Kanonade, wie ich sie hier noch nicht gehört habe. Wir hatten trotzdem fast keine Verluste, da sich der Kampf in der 3. Division abgespielt hatte. Diese hat zwei englische Schützengräben genommen. Eine Patrouille stellte fest, dass der Graben leer war, die Gewehre lagen eingestellt am Grabenrand. Zweiunddreißig Gefangene wurden gemacht, etwa zweihundert Tote sollen vor der Linie liegen. Gegen 12 Uhr kamen 135 gefangene Engländer mit zwei englischen Offizieren vorbei, die nach Wervik geführt wurden: große schöne Gestalten in lehmbedeckten Uniformen. Gestern wurden auf einem Viehwagen etwa zwanzig Mädchen, die deutsche Soldaten geschlechtlich angesteckt haben, nach Tourcoing abtransportiert unter Schadenfreude der hiesigen anständigen weiblichen Bevölkerung.

Reinhard Lewald, Bois de Montfaucon (Frankreich)

MITTWOCH, 17. FEBRUAR. Der Franzose macht an unserer Front einen stärkeren Angriff. Unser Beobachtungsstand liegt unter so schwerem Feuer, dass die Infanterie den Graben in der Gegend räumt. Ich beobachte aber unsere Schüsse weiter, und meine Fernsprecher flicken unentwegt die Leitung, sodass ich Verbindung mit den Batterien behalte.

Ruth Hildebrand, Sakrau-Turawa, Schlesien

DONNERSTAG, 18. FEBRUAR. Hurra, Germania! Die Russen sind über die ostpreußische Grenze zurückgedrängt. Die X. Armee ist von unseren tapferen Soldaten völlig eingeschlossen. Über 50000 Russen sind gefangen genommen worden, vierzig Geschütze und sechzig Maschinengewehre und anderes Kriegsmaterial sind in unsern Händen. Unser Kaiser war mit in der Front. Heut kam wieder eine Nachricht von weiteren sechshundert gefangenen Russen und tausend gefangenen Franzosen. O, wie herrlich ist das, wie stolz können wir auf unsere braven Truppen sein! In allen Schulen ist heute frei, von den meisten Häusern wehen die Fahnen. Wir alle sind nur von dem Gedanken durchdrungen, dass Gott uns auch fernerhin den Sieg verleihen möchte.

Franz Xaver Hiendlmaier, bei Złotniki (Russisch-Polen)

FREITAG, 19. FEBRUAR. Forster und ich mit zwanzig Mann Patrouille, Vorgehen bis zum Feind war unser Auftrag. Hoher Berg 327 war von Regiment 47 wieder gestürmt und in unseren Händen. Viel Verluste. Beim Übergang über Lośna Verwundete am Wege, ein Zivilist mit deutschem Helm erschossen (Spion), vor ihm Heiligenbilder, Rosenkranz. Wir gingen weiter dem Feinde entgegen, bis wir Feuer erhielten.

Franz Xaver Hiendlmaier, bei Złotniki (Russisch-Polen)

SAMSTAG, 20. FEBRUAR. Mächtig dunkle Nacht, Horchposten, Feuer, Leuchtkugeln, Arbeiten. Tote schlecht vergraben, Hände, Füße, Köpfe schauen hervor. Auf der Bergspitze unser Artilleriebeobachter.

Otto Gehrke, bei Saint-Souplet (Frankreich)

SONNTAG, 21. FEBRUAR. Bruhn und Reiß gefallen. Beide sofort tot.

Otto Gehrke, bei Saint-Souplet (Frankreich)

MONTAG, 22. FEBRUAR. 8 Uhr Grab gegraben. Beide sehr zerrissen. Wetter schön. Abends Beerdigung. Schöne Trauerrede des Pfarrers. Artilleriekampf stark.

Siegfried Eggebrecht, Trosly-Loire (Frankreich)

DIENSTAG, 23. FEBRUAR. Das Lazarett kommt nach Trosly. Ein Friedhof wird angelegt bei dem alten französischen. Große Operationsräume etc., Stabsarzt Jodka wirft die Feldpost aus dem Schulgebäude.

August Gieselmann, Hooglede (Belgien)

MITTWOCH, 24. FEBRUAR. Unsere schweren Mörser 20,5 cm sind nördlich Dixmude aus der Feuerstellung gezogen und nach Roulers befohlen. Um 9 Uhr kam Befehl, südlich Ypern in Stellung zu gehen. Ypern soll scheinbar genommen werden, das sehr stark mit schwerer englischer Artillerie besetzt ist. Das geht daraus hervor, dass sämtliche Lazarette in dieser Gegend geräumt werden, wie ein Gendarm heute Nachmittag erzählte.

Josef Glaser, Gefangenenlager Spasskoje (Russland)

DONNERSTAG, 25. FEBRUAR. Vormittag trifft ein Transport von fünfhundert Türken, vierhundert Österreichern und siebzig Deutschen ein. Die Türken, meist Zivilisten, darunter ein Weib und Kind, sehen äußerst heruntergekommen aus. Viele alte, in Lumpen gehüllte Gestalten, die sich mühsam fortbewegen. Drei Kadetten sind mit angekommen, darunter Kadett Heller vom eigenen Regiment, der am 24. Dezember gefangen genommen wurde. Er erzählt, dass die Verlustlisten meinen Namen unter den Gefallenen gebracht haben. Die Offiziere des Regimentes sind ihm alle bekannt, und er kann unsere Neugierde über das Ergehen der Kameraden in weitestgehendem Maße befriedigen. Den Tod des Obersts von Reyl und des Oberstleutnants Knirsch, die beide bei Komarów gefallen sind, bestätigte er. Oberst von Maschke ist bei Komarów an der Hand verwundet worden, hat sich in Leitmeritz aufgehalten und sollte ein Etappenkommando übernehmen. Major Gasser ist nach einem Aufenthalt in Leitmeritz wieder ins Feld abgegangen. Von Hauptleuten sind bei Komarów die Kommandanten Černy und Übelacker gefallen, ferner Leutnant Trojan. Der Kommandant der Maschinengewehrabteilung, Oberleutnant Schmidt, ist gefallen, Hauptmann Černey, ein mir sehr sympathischer Offizier, in Wien seinen Verwundungen erlegen. Im Dezember war beim Regiment nur noch Reserveleutnant Papst im Feld, er ist leider noch im selben Monate gefallen. In Leitmeritz sind siebentausend, in Deutsch Gabel viertausend, in Milowitz 15000, in Reichenberg 23000 russische Kriegsgefangene untergebracht. Das Leben in Österreich soll recht ruhig verlaufen. Unsere Befürchtungen, dass der Rückzug von Lublin große Bestürzung hervorgerufen haben wird, waren hinfällig, die Nachrichten waren entsprechend zugefeilt.

Annemarie Pallat, Wannsee

FREITAG, 26. FEBRUAR. Feiner sonniger Tag. Die ersten Brotmarken bekommen!

Georg Becker, Comines (Frankreich)

SAMSTAG, 27. FEBRUAR. Scherzfrage: Warum wird dem Bauernschreck das Sterben leicht? Weil er nur ein Auge zu schließen braucht. Warum stirbt das Mondkalb leicht? Weil es keinen Geist aufzugeben hat.

Siegfried Eggebrecht, Trosly-Loire (Frankreich)

SONNTAG, 28. FEBRUAR. Gottesdienst bei der Division, sehr schön geschmückter Platz im Garten, am Altar Gewehrpyramiden. Gespräch mit Exzellenz über den Hassgedanken. Wir brauchen Hass, um gegen den Feind zu stürmen. Aber reicht dazu nicht der Vaterlandsgedanke? Beerdigung des Wehrmanns Genther 1/71, Granatsplitter Kopf, verheiratet mit Jutta Genther, Eisfeld.

März 1915

Meta Iggersheimer, Amberg

MONTAG, 1. MÄRZ. Ein heftiges Schneegestöber von einem starken Wind begleitet und grenzenlos schmutzige Wege, das waren die Umstände, unter welchen die teure liebe Schwester Walbaro zu Grabe getragen wurde. Es war gerade, als ob sich der Himmel aufbäumen wollte, da sie zur letzten Ruhe bestattet wurde, die mir schon so viel Liebes und Gutes erwiesen. Noch am letzten Tage, ehe sie sich legte, um nicht wieder ihren herrlichen Wirkungskreis aufzunehmen, wusste sie mich so schön zu trösten. Sie hat viel Edles in die Kinderherzen gelegt während der einundvierzig Jahre, die ihr vergönnt waren zu leben. Doch Ruhe und Friede ihrer Asche. Sie ist glücklich zu preisen, sie hat ausgekämpft. Schöne Kränze von dankbaren Schülerinnen schmücken jetzt ihr Grab. Sie konnte den Weltenbrand nicht mehr verlöschen sehen, den glorreichen Sieg der deutschen Lande nicht teilen!

Franz Xaver Hiendlmaier, an der Biała Nida (Russisch-Polen)

DIENSTAG, 2. MÄRZ. Höhe 327 besetzt. Schneestürme, Nebel. Ich musste mich eingraben am Fluss. Wasserrauschen erweckte selig schaurige Gefühle.

Siegfried Eggebrecht, Trosly-Loire (Frankreich)

MITTWOCH, 3. MÄRZ. Ich werde am Vormittag zur Division befohlen. Major Sloyter überreicht mir das Eiserne Kreuz. Ich bin völlig überrascht, freue mich sehr. Aber wenn ich daran denke, wie es Erich erhielt, macht mich der Gedanke ganz still und beschämt. Was ich bisher tat, war doch wohl weniger als meine Pflicht.

Otto Laukenmann, bei Karolina (Russisch-Polen)

DONNERSTAG, 4. MÄRZ. Im Unterstand des fünften Wagens geschlafen. Von der Bagage Lebensmittel- und Haferempfang. Suche nach verlorenen Sachen in den Brandruinen. Meldung gemacht, was verbrannt ist am sechsten Wagen: zwei Röcke, zwei Mäntel, drei Paar Stiefel, fünf Helme, drei Revolver mit Lederzeug, Kochgeschirr, Schanzzeug etc.

Johann Vollath, Montmédy (Frankreich)

FREITAG, 5. MÄRZ. Transport von Papierschlangen, für die Schützengräben bestimmt statt Stroh. Regen, warm.

Otto Gehrke, Saint-Souplet (Frankreich)

SAMSTAG, 6. MÄRZ. Regen in Strömen. Abends sehr traurige Nachricht. Unsere Kameraden H. Losch, mit dem ich stets zusammen war, und Unteroffizier Bachmann, mein Korporal, sind tot, von einer Granate zerrissen. Samsel verwundet. So geht einer nach dem andern fort. Losch hat 24 Stunden auf freiem Felde im Regen liegen müssen, wurde in der Dunkelheit nicht gefunden.

Otto Gehrke, Saint-Souplet (Frankreich)

SONNTAG, 7. MÄRZ. Losch besehen, schrecklich zugerichtet. 6 Uhr Begräbnis.

Friedrich Link, Hirzbach, Elsaß-Lothringen

MONTAG, 8. MÄRZ. Artilleriefeuer, die Geschosse platzen 200 m hinterm Schloss, einige Häuser am Bahnhof beschädigt. Gegen Abend ein heftiger Schneesturm, alles weiß und gefroren draußen.

Franz Xaver Hiendlmaier, an der Biała Nida (Russisch-Polen)

DIENSTAG, 9. MÄRZ. Eisige Kälte. Nachts sind unsere Stellungen durch feindliche Leuchtkugeln erleuchtet. Zwei Unterstände bei uns in Flammen. Brot und Wurst gefroren, ganz traurig. Kein Humor, viele haben Lust und Liebe verloren. Unsere Artillerie wird abgelöst, hat sich im Gutschießen nicht ausgezeichnet. Theo krank, soll nach Deutschland kommen, mein bester Freund will mich verlassen.

Siegfried Eggebrecht, Trosly-Loire (Frankreich)

MITTWOCH, 10. MÄRZ. Nun ist man schon ein Vierteljahr draußen und kann gar nicht denken, dass es mal anders sein wird. Die Schäden fressen sich von Tag zu Tag weiter in den Leib Frankreichs wie eine tödliche Krankheit. Ob sie wohl in Paris sich berechnen, welchen Schaden ihnen jeder neue Kriegstag bringt? Nicht die alles zertrümmernden Geschosse allein häufen Unheil zu Unheil, der Boden verwildert und verkommt. Gräben zerstören Feld und Wald, die Wiesen versumpfen, anstelle der verschwundenen Wälder wuchert wildes Gestrüpp, Unkraut überzieht einst fruchtbare Äcker mit dichter Decke, Grenzen und Grenzsteine verschwinden, und die Grundbücher sind in Flammen aufgegangen. Die Maschinen in den Fabriken rosten von Tag zu Tag mehr ein, die Ufer der Kanäle, die Dämme stürzen zusammen, die zerschossenen Wege zerfallen. Die Vernichtung Frankreichs ist grauenhaft. Gottlob, dass ich nicht dazu hier bin, mit zu zerstören, sondern dem Frieden dienen soll. Ich glaube nicht an eine neue Religion, wie man sie wohl von der Etappe aus verkündigt. Vor allem nicht an eine Religion mit einem deutschen Gott. Dazu denkt der Frontsoldat viel zu gerecht. Es ist für die meisten doch nur ein geografischer Zufall, ob sie hier oder drüben fechten. Auch schlägt die Wahllosigkeit des Begriffs Geschick alles besondere Sich-behütet-Fühlen zu Boden. Die einen trifft’s, die andern nicht, das ist der Weisheit letzter Schluss.

Franz Xaver Hiendlmaier, an der Biała Nida (Russisch-Polen)

DONNERSTAG, 11. MÄRZ. Ein Badenser kommt krank nach Deutschland. Er kommt unter Menschen und lebt wie ein Mensch. Gerücht!!? Italien soll an Russland den Krieg erklärt haben. Russen bei Lonśa zurückgeschlagen, unser 3. Bataillon war auch dabei. Wenn Russen wüssten, wie schwach unsere Linie mit Infanterie besetzt ist, und würden energisch angreifen, wären wir verloren. Hinter uns viele Ortschaften Cholera. In der Heimat macht sich kein Mensch einen Begriff, wie wir leben, kämpfen und sterben. Fest und unerschrocken sind wir im Kampf und in der Anschauung. Ein halbes Jahr ist schon verflossen, seit das Regiment zum Kampfe zog. Viel Blut ist geflossen. Viele Feinde fanden ihren Tod. Russen haben vom Regiment 47 einen Posten umzingelt, niedergestochen und liegen gelassen.

Otto Gehrke, Saint-Souplet (Frankreich)

FREITAG, 12. MÄRZ. Franzosen haben bei ihren letzten Angriffen 45000, wir 15000 Mann verloren.

Karl Groppe, bei Passel (Frankreich)

SAMSTAG, 13. MÄRZ. In der Nacht werden wir durch einen französischen Hund, der in unserem Drahtverhau rumkrabbelt, etwas beunruhigt. Wir schießen ihn nieder.

Hilde Grapow, Cassel

SONNTAG, 14. MÄRZ. Gestern war ein Jugendkonzert für die Verwundeten. Es fand im evangelischen Vereinshaus statt, drei- bis vierhundert Casseler Verwundete waren dazu eingeladen. Die ganze Sache ging von der Musikgruppe aus, wir, das heißt, Gertrud, Erika, Thilli und ich sangen im Chor mit. Allen haben unsre Aufführungen sehr gut gefallen. Am Schluss hat einer von den Verwundeten alle hochleben lassen und sich im Namen aller Soldaten bedankt. Das war riesig nett! – Jetzt bekommt man Brot, Brötchen, Zwieback und Mehl nur auf Brotmarken. Eine Person darf nur 2 kg Brot die Woche essen, und das ist viel weniger, als man denkt. Wir sparen natürlich sehr, und so können wir meistens noch Brotmarken am Ende der Woche zurückgeben. Jetzt müssen auch alle Mehl- und Kartoffelbestände von jedem Haushalt angegeben werden. Man merkt den Krieg! Übrigens können die Engländer eine ganze Masse Schiffe beklagen, die unsre U-Boote in den Grund gebohrt haben. Leider haben sie unser U 12 aber auch zur Strecke gebracht! Wir haben aber noch viele andere Unterseeboote!

Otto Gehrke, Saint-Souplet (Frankreich)

MONTAG, 15. MÄRZ. Beim 8. Armeekorps schon wieder heftiger Donner, da wollen die Franzosen mit aller Gewalt durch und versuchen es jetzt schon monatelang. Frühlingsluft.

Karl Groppe, bei Passel (Frankreich)

DIENSTAG, 16. MÄRZ. Majestät weilt in der Gegend von Noyon. Unsere 4. Kompanie, die in Reserve in Ville liegt, muss zur Kaiserparade. Majestät soll sehr alt und ernst ausgesehen haben.

Ernst Eberlein, bei Naurois (Frankreich)

MITTWOCH, 17. MÄRZ. Nachmittags schoss die feindliche Artillerie heftig. Ein Treffer im Graben tötete einen und verwundete fünf. Leutnant Dietrich kam, darüber ganz aufgeregt, zu uns in den Unterstand.

Jakob Krebs, Noyelles (Frankreich)

DONNERSTAG, 18. MÄRZ. Abends freiwillig in Stellung. Wir fahren mit acht Wagen über Avion, Liévin, Angres bis Souchez. Ach, wie sehen die Orte Liévin und Angres aus, die meisten Häuser sind durch Artilleriegeschosse getroffen. Die armen Einwohner kampieren in den Kellern. Aus jedem noch bewohnten Hause sehen die Ofenrohre aus den Kellerfenstern heraus. In Souchez an der Straße nach Arras staut sich der Verkehr, Fahrzeuge gehen hin und her, Infanterie geht vor und zurück, Infanteriegeschosse pfeifen über uns hinweg.

Hedwig Vogel, Berlin

FREITAG, 19. MÄRZ. Als ich vorgestern Abend auf Gotthards Wunsch für ihn mit den Worten betete: »Lieber Gott, behüte auch meinen kleinen Gotthard!«, da unterbrach er mich und sagte: »Ich bin doch schon größer, Mutti. Du musst ›größeren Gotthard‹ sagen.« Mit dem Größerwerden hat er’s überhaupt immer zu tun. Nach der Mahlzeit stellt er sich häufig auf den Stuhl und sagt: »Nun bin ich schon größer.«

Eugen Miller, Lamouilly (Frankreich)

SAMSTAG, 20. MÄRZ. Ich gehe mit Wachtmeister und dem Zivilgefangenen Maurice Roger, jardinier d’un château près de Varennes, der das gestern gefundene Kreuz des Reserveleutnant Müller trägt, auf das Massengrab bei Olizy. Von der Berghöhe sieht man prächtig das zerschossene Olizy. Der Landsturm richtet das Grab her.

Josef Glaser, Gefangenenlager Spasskoje (Russland)

SONNTAG, 21. MÄRZ. Die Fälle von Flecktyphus häufen sich, fast täglich kommen Todesfälle vor. Im Spital sind gegen vierhundert Kranke. Offiziersdiener Schmerz liegt bewusstlos an Typhus darnieder. Die Mannschaften werden gebadet, Kleider und Räume desinfiziert. – Russische Telegramme: Die Angriffe der Österreicher in Richtung Stryj sind erfolglos geblieben. In Bosnien soll eine Armee von eineinhalb Millionen Mann gesammelt werden. Nach Dedeagatsch (neubulgarischer Hafen) sind österreichische Untersee- und Torpedoboote gebracht worden. Bei Praschnitz-Ostrolenka dauern die Kämpfe. Die Geschosse, mit denen Arras beschossen wird, sind österreichischen Ursprungs, was auf einen Munitionsmangel in Deutschland schließen lässt. Ein deutsches Unterseeboot hat im Ärmelkanal einen englischen Dampfer versenkt. Japan beschwert sich durch die Vereinigten Staaten von Nordamerika über die schlechte Behandlung der in Deutschland zurückgehaltenen Japaner.

Gustav Beyer, Preußlitz

MONTAG, 22. MÄRZ. Abholen der Gefangenen aus dem Lager. Abfahrt über Ballenstedt, Aschersleben, Güsten nach Biendorf. Von Biendorf nach Preußlitz zu Fuß, eine Stunde Marsch. Hier angekommen, wurden die Gefangenen gespeist. Es sind alles Russen und daher tüchtige Fresser. Nachdem teilten wir sie auf die Stuben ein. Dann ließen wir Strohsäcke stopfen, und Decken wurden verteilt und was sonst alles noch fehlte.

Gustav Beyer, Preußlitz

DIENSTAG, 23. MÄRZ. Heute wurden die Gefangenen mit Tagesarbeit beschäftigt, erhielten dann Arbeitsanzüge, Lampen (Karbid), Trinkflaschen. Von Morgen ab fahren sie zu zwei Schichten in den Schacht, es ist Tiefbau. Für uns scheint der Dienst ganz leidlich zu werden, vor allem ungezwungen.

Xaver Rimmelin, Gefangenenlager Fort Surville, Île de Groix (Frankreich)

MITTWOCH, 24. MÄRZ. Heute verließ uns unsere Bewachung, und eine vollständig neue Kompanie kam an mit einem neuen Adjutanten. Seine erste Heldentat bestand darin, die Hunde, die sich im Fort befanden oder sich blicken ließen, zu erschießen. Er suchte uns zu überzeugen, ein wie hochgebildetes Volk die Franzosen seien, wir dagegen nur aus Strolchen, Dieben, Mördern und in der Hauptsache Spionen beständen. Abends war Appell, man darf sich nicht mehr außerhalb des Zimmers aufhalten. Auch dürfen wir von dieser Zeit an unsere Notdurft nicht mehr auf dem Abort verrichten. Zu diesem Zweck wird in einem Winkel im Fort ein Eimer aufgestellt.

Johann Vollath, Montmédy (Frankreich)

DONNERSTAG, 25. MÄRZ. Abschub von französischen Einwohnern nach Frankreich über die Schweiz. Auffallend ist dabei, dass nur Stände niederer Volksschichten zu sehen sind, während die Wohlhabenden nach wie vor faulenzen und die Müßiggänger spielen.

Josef Glaser, Gefangenenlager Spasskoje (Russland)

FREITAG, 26. MÄRZ. Mit Beyer und Niderki in der Stadt eingekauft, die Häuser sind noch beflaggt. Tierarzt Niessel und vier junge Mediziner werden verständigt, dass sie über Schweden ausgetauscht werden. Nachmittag treffen vier reichsdeutsche Ärzte aus Krasnaja Rietschka, einer Station vor Chabarowsk, ein. Dieselben erzählen, dass in dem Ort in einer Artilleriewerkstätte fünfhundert Offiziere in Räumen zu je fünfzig Mann untergebracht sind. Die Verpflegung liefert ein Unternehmer für monatlich 24 Rubel, Tee- und Waschwasser sind besonders zu bezahlen. Zwei reichsdeutsche, uns von Tomsk her bekannte Offiziere, Hauptmann Wahler und Leutnant Berger, sind entflohen, Letzterer hat aus Peking geschrieben. Der Kommandant der ›Magdeburg‹, der gleichfalls in dem Orte weilt, hatte einen Fluchtversuch unternommen, ist aber von Kosaken zurückgebracht worden. Die Ärzte bringen 255 Rubel mit, welche die Offiziere für die Mannschaft gesammelt haben. Der Königsberger Zivilarzt Dr. Kap fällt durch sein bürgerliches Benehmen auf.

Clara und Josephine Bohn, Ingersheim, Elsaß-Lothringen

SAMSTAG, 27. MÄRZ. Heute gab es die Brotkarten, welche am 1. April in Kraft treten sollen. Künftig gibt es pro Tag und pro Kopf ein halbes Pfund.

Anna Steinmetz, Uchtelfangen

SONNTAG, 28. MÄRZ. Die Preise für Lebensmittel steigen rapid. Der Reis kostet das Pfund 60 bis 80 Pf., die Seife 50 bis 60 Pf., die Butter 1,80 bis 2 M, Rindfleisch 1 M, Schweinefleisch 1,40 M, geräucherter Speck 1,60, Schweineschmalz 1,40 M, Rinderfett 1,20, Margarine Pflanzenfett 1,20 bis 1,30 M. Haferflocken bekommt man nur in größeren Geschäften, ebenso Teigwaren. Die Schuhwichse ist sehr schlecht, sie riecht nach Petroleum. Petroleum-Not im Winter: Alle vier oder sechs Wochen kamen 100 bis 200 l Petroleum ins Dorf. Jede Haushaltung erhielt 1 l. Damit sollte sie nun einen Monat auskommen, manche wussten sich auch 5 bis 10 l zu verschaffen. Wer nicht so glücklich war, musste sich die meiste Zeit ohne Licht behelfen, dazu noch an den langen Winterabenden. Zuerst wurden Kerzen gebrannt, aber mit der Zeit wurden auch diese rar, und im Übrigen war es eine teure Beleuchtung. Auch half man sich dadurch, dass man den Ofen aufstellte und dadurch zugleich Licht und Wärme erhielt. Glücklich war, wer Gas hatte. Diese merkten keinen Lichtmangel. Jetzt braucht man die Lampe nicht mehr so viel, denn die Tage werden immer länger.

Milly Haake, Hamm

MONTAG, 29. MÄRZ. Tagebuch, ist die Welt schon einmal so schön gewesen? Ich bin außer Rand und Band. Kennst du unsern Stundenplan? Nein, du kennst ihn nicht, und von unserer Klasse kennt ihn niemand außer mir, höre und staune. Heute ist bekanntlich der letzte Schultag, und da musste ich noch einmal mit Enzio gehen, ich musste einfach. Ich stand wartend oben an der Treppe, mir wurde bald heiß, bald kalt. Da kam er mit Herrn Meyer aus dem Lehrerzimmer. Ich geh also hinter ihm her. Plötzlich dreht er sich um und sieht mich, geht mir ein Stück entgegen. Und dann, dann hat er mir erzählt, dass wir bei ihm Mathematik kriegten. Ich war starr vor Staunen und verstand ihn erst nicht: »Wir bekämen bei Ihnen Mathematik?« »Ja«, war die Antwort. Tagebuch, ich glaube, an dem Ton, in dem ich das sagte, hat er gemerkt, dass ich mich viel damit beschäftigt habe. Ich weiß nur noch, dass ich selig war und mit einem Blick zum Himmel flüsterte: »Mein Gott!«

Josef Kollmannsberger, bei Vézaponin (Frankreich)

DIENSTAG, 30. MÄRZ. Mittags wurde plötzlich bekannt, dass zehn Minuten von uns ein katholischer Pfarrer Beichte hört. In der Protzenstelle, die aus selbst gebauten Bretterhütten nach Indianerart bestand, war ein preußischer Pfarrer im Unterstand der Köche. Wir zwängten uns in das Stübchen hinein und wurden von ihm belehrt über den Ernst dieser Sache. Dann beteten wir, und hernach begann die Beichte. Einer nach dem anderen musste hineingehen in das Stübchen, sich auf den Boden knien und in aller Kürze seine Sache vorbringen. Es ging ganz schnell, obwohl einige mit vier, sechs oder acht Jahren dabei waren. Als alle gebeichtet hatten, mussten wir uns, vierzehn an der Zahl, wieder in den kleinen Raum hineinpressen, beteten noch eine Weile gemeinsam und erhielten die heilige Kommunion.

Josef Glaser, Gefangenenlager Spasskoje (Russland)

MITTWOCH, 31. MÄRZ. Offiziersdiener Schmerz ist gestern an Flecktyphus gestorben. Die Epidemie hat bis jetzt gegen vierzig Leute dahingerafft. – Russische Zeitungsmeldungen: In den Karpaten wurden die deutschen Truppen bis auf 6500 Mann zurückgezogen. Die Verluste der Deutschen an Toten, Verwundeten und Vermissten betrugen am 1. Januar 1200000 Mann. Am 25. März bombardierte die Schwarzmeerflotte den Bosporus. Der Bruder des Königs von Griechenland hat sich nach Wien und Berlin begeben, die deutsche Presse hält dies für einen großen Erfolg der deutschen Politik.

April 1915

Erwin Schreyer, Berlin

DONNERSTAG, 1. APRIL.