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Auf der Suche nach meinem russischen Vater. Es ist Sommer, Christa und Wolodja sind verliebt. Die Deutsche und der sowjetische Offizier träumen von einer gemeinsamen Zukunft. Bis sie verraten werden. Jahrzehnte später spürt Ulrich Schacht der verhängnisvollen Geschichte seiner Eltern nach. Gegen den Widerstand seiner Mutter versucht er, seinen Vater zu finden. An einem Frühlingstag steht er einem Mann gegenüber, von dem er hoffte, dass er sein Vater sei. Ein tief bewegendes Zeitzeugnis, exakt wie ein Geschichtsbuch, anschaulich wie ein Roman. »Aber ihr erster gemeinsamer Sommer war mitten im August schon zu Ende gewesen: vereist, über Nacht. Einen nächsten würde es nicht mehr geben, nie.«
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Seitenzahl: 324
Veröffentlichungsjahr: 2012
Ulrich Schacht
Vereister Sommer
Auf der Suche nach meinem russischen Vater
ISBN E-Pub 978-3-8412-0420-2
ISBN PDF 978-3-8412-2420-0
ISBN Printausgabe 978-3-351-02729-2
Aufbau Digital,
veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, November 2011
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin
Die Originalausgabe erschien 2011 bei Aufbau, einer Marke
der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
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Informationen zum Buch
Informationen zum Autor
Impressum
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|5|Der Autor dankt der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen für die Förderung seiner Arbeit an diesem Buch.
|6|Meinen Freunden
Konstantin Issakow, Moskau,
und John Albert Jansen, Amsterdam,
zugeeignet,
ohne deren nie nachlassende Hilfe
die Suche nach meinem Vater
niemals von Erfolg gekrönt
worden wäre.
|7|»Wo beginnt Geschichte? Wo sind die Quellen unseres individuellen Lebens? Welche versunkenen Abenteuer und Leidenschaften haben unser Wesen geformt? Woher kommt die Vielfalt widerspruchsvoller Züge und Tendenzen, aus denen sich unser Charakter zusammensetzt? Ohne Frage, wir sind tiefer verwurzelt, als unser Bewusstsein es wahrhaben will … Jede unserer Gesten wiederholt einen urväterlichen Ritus und antizipiert zugleich die Gebärden künftiger Geschlechter; noch die einsamste Erfahrung unseres Herzens ist die Vorwegnahme oder das Echo vergangener oder kommender Passionen.«
Klaus Mann: »Der Wendepunkt«
»Gewöhnlich poetisiert man die Liebe, schmückt sie mit Rosen und Nachtigallen, wir Russen aber schmücken unsere Liebe mit diesen schicksalsschweren Fragen … «
Anton Tschechow: »Von der Liebe«
|9|4. April 1999
Ein Mann geht durch den Schnee. Der Schnee unter seinen Füßen bricht, splittert, knirscht. Seit Monaten liegt das eisige Weiß über dem Land, zusammengepresst, verharscht. Jeder Schritt ist zu hören, es dröhnt in seinen Ohren, als stapfe ein mächtiges Wesen durch eine totenstille Winterlandschaft. Manchmal aber gibt der Schnee nach, geräuschlos, morsch und schwach rutscht er dann unter dem Gewicht des Mannes zur Seite, es liegt Tauwetter in der Luft. Die Augen des Mannes überfliegen die leicht abschüssige Dorfstraße, auf der er sich unsicheren Schrittes voranbewegt: Vor keiner Minute noch hat er sie zum ersten Mal in seinem Leben betreten, links und rechts, hinter Zäunen aus Holz oder Draht, Häuser. Datschen: Von Moskau aus, mit dem Auto Richtung Smolensk, in einer guten Stunde zu erreichen. Vorbei am Dichterdorf Peredelkino und der kleinen Stadt Moschaisk, in deren Nähe Napoleon 1812 sein russisches Waterloo erlebte. Die Wände der Häuser aus hellen oder nachgedunkelten Balken, verputzten und unverputzten Ziegeln, kein Leben regt sich vor oder hinter den Fenstern, weiße Flächen die Gärten, verblichenes Gras sticht heraus, vergessenes Kraut, frostschwarze Gemüsestauden. Am Ende der Straße füllt ein Birkenwäldchen den niedrig liegenden Horizont aus. Birken, denkt der Mann, russische Birken im Winter. Für den Bruchteil einer Sekunde hat er das Bild einer Formation erstarrter Ballettelevinnen vor Augen, so zart und zerbrechlich stehen sie, neben Eichen seine Lieblingsbäume, am Rande des Dorfes zwischen hellblauem Himmel und grauweißem Grund. Schwanensee, denkt der Mann, und lacht, ohne eine Miene zu verziehen, lautlos in sich hinein, |10|nur das Geräusch des knirschenden, brechenden Schnees in seinen Ohren: Wenn hier einer tanzt, denkt er, der spürt, wie er beim Gehen schwankt, an der Seite eines anderen, kleineren, feingliedrigen Mannes, in schwarzer Hose, schwarzer Lederjacke und mit schwarzer Baseballkappe auf dem Kopf, der seinen linken Arm in seinen rechten eingehakt hat, damit er nicht stürzt, wenn hier einer tanzt, dann ich: mit Klischees, mit reinen Klischees, noch auf den letzten Metern vorm Ziel. Tschaikowski, Tschechow, Turgenjew, russische Birken, russischer Winter, russische Seele, und in der Supermarkttüte in meiner linken Hand schaukeln Wodka und Kaviar, eingekauft noch in Moskau, auf dem Weg hierher. Aber was weiß ich denn wirklich vom Land des Menschen, dem ich gerade entgegengehe, weil er zu mir gehört wie nur noch ein anderer, weit weg von hier, in einem Raum aus anderen Wörtern und Sätzen, anderen Wintern und Sommern, anderem Licht und anderen Finsternissen, in dem auch ich groß geworden bin, nicht hier, und der mich geprägt hat wie kein anderer auf dieser Erde?
Förslöv, den 25. März 1999
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