Wenn es Orangenblüten schneit - Mira Morton - E-Book
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Wenn es Orangenblüten schneit E-Book

Mira Morton

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Beschreibung

Das Meer, Orangenhaine und ein malerisches Dorf in Südspanien mit großen und kleinen Geheimnissen. Ein Urlaub, der ihr Leben für immer verändert ...

›El Sueño war nur die Leinwand. Das Licht. Die Gelegenheit. Den Pinsel und die Farben musste jeder von ihnen selbst in die Hand nehmen, und auch die Wahl des Motivs lag bei ihnen.‹

Loris Herz geht auf, als sie in dem kleinen Dörfchen El Sueño eintrifft. Sofort verliebt sie sich in die verwinkelten Pflastersteingassen, die außergewöhnlichen Menschen und den Duft von Orangenblüten, der überall in der Luft liegt. Es ist der perfekte Ort, um Kraft zu tanken – denn die benötigt die junge, völlig ausgebrannte Ärztin dringend! Zu allem Überfluss hat sie nämlich auch einen Freund zu viel.
Mit der Ruhe ist es allerdings vorbei, als Frauenschwarm Darius Hall auftaucht. Niemand im Dorf ahnt, was der attraktive Milliardär im Schilde führt, und auch Lori weiß nur eines: Lockerlassen kennt Darius nicht! Außerdem bringt er ihre Gefühle ganz schön durcheinander. Doch als Darius die Nachricht von Loris’ spurlosen Verschwinden erreicht, muss sich der sonst so coole und unnahbare Darius eingestehen, dass Lori mehr ist als nur ein netter Zeitvertreib …

Mit Humor, Drama und ganz viel Gefühl erzählt Bestseller-Autorin Mira Morton von einer starken Heldin, die sich nicht so leicht um den Finger wickeln lässt, und dem augenscheinlichen Bad Boy, der erst noch lernen muss, sich seinen Gefühlen zu stellen. Ein Feel-Good-Roman vor der atemberaubenden Kulisse Südspaniens, in dem Träume wahr werden.

Der Roman ist abgeschlossen, nicht Teil einer Serie und 400 Taschenbuchseiten lang.

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Inhaltsverzeichnis

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

 

Danksagung

Quellen

 

Impressum

 

Viel Spaß mit meinem Roman

und keep on dreamin´!

Herzlichst,

Facebook:www.facebook.com/MiraMorton.Autorin

www.miramorton.com

[email protected]

Kapitel 1

Zu verreisen ist einfacher, als anzukommen.

Lorena schloss für einen kurzen Moment die Augen. Es ist schöner, als im Internet beschrieben, dachte sie, ohne dabei zu lächeln. Dann atmete die Ärztin tief durch. Sie hoffte inbrünstig, die richtige Wahl getroffen zu haben.

Der Blick ins Tal war umwerfend. Geradezu unwirklich. Postkartenmäßig.

Lori wusste, dass dieser Ausblick sie zum Strahlen bringen sollte, aber dieses helle Licht, die Bäume mit den dunkelgrünen Blättern und das Blau des Himmels erreichten ihr Herz trotzdem nicht. Das muss sich ändern, schoss ihr durch den Kopf. Und zwar schnell.

Deshalb war sie hierhergekommen. Um eine Entscheidung zu fällen.

Im Grunde eher, um Mut und Energie zu tanken.

Links von ihr versperrte ein Berg die Sicht aufs Meer. Lori stellte sich vor, wie die Wellen sanft auf den ockerfarbenen Strand zurollten und sich dieses sandfarbene Band zwischen dem Blau des Wassers und dem Grün der Küste entlang schlängelte. Sie würde definitiv einen Ausflug an die Costa del Sol unternehmen, die nur etwa zehn oder fünfzehn Kilometer von dem kleinen Dorf entfernt war, das sich nun zu ihren Füßen hin erstreckte.

Idyllisch. Wie aus dem Bilderbuch. Geradezu kitschig. So musste sie es sehen und sich auf das Dorf freuen, denn genau das war ihr Ziel.

Unter dem blitzblauen Himmel stach der Dorfplatz mit einer blütenweiß gestrichenen katholischen Kirche hervor. Das Kreuz und der Glockenturm waren gut auszumachen. Rundherum standen alte Steinhäuser, verstreut wie kleine Miniaturhäuschen auf einer dieser Spielzeug-Eisenbahnen. Lori tat ihr Bestes, sich von diesen Eindrücken hinreißen zu lassen, doch trotz all ihrer Bemühungen gelang es ihr nicht.

Sie war ausgebrannt. Ein emotionales Wrack. Abgestumpft. Und sie hatte einen verdammten Freund zu viel!

Und genau das alles musste sich so rasch wie möglich ändern.

Müde setzte sie sich wieder in ihr Auto. In weniger als einer Viertelstunde würde sie unten ankommen und für vier Wochen aus ihrem alten Leben aussteigen. Lori betrachtete es nicht als Urlaub, obwohl es natürlich einer war. In ihren Augen war es eine selbstverordnete Therapie.

Die Diagnose war ihr peinlich, hauptsächlich vor sich selbst. Wenn sie doch ungebeten an die Oberfläche drängte, so wie in diesem Augenblick, dann umschrieb Lori sie gedanklich mit ›Was solls. Bin ich zurzeit eben ausgepowert.‹ Um sich anschließend mit einem Satz wie ›Aber das muss ja nicht so bleiben.‹ zu motivieren. Und auch damit, dass ihre Patientinnen und Patienten während ihrer Abwesenheit sicher bestens versorgt wurden.

Noch eine Sache fühlte sich richtig gut an: Er war nicht mitgekommen!

 

Lori startete den Wagen und fuhr weiter. Seit gestern in der Früh war sie unterwegs, denn nach ihrer Ankunft in Malaga hatte sie eine Nacht in einem Hotel verbracht und sich gegen neun Uhr vormittags mit dem Mietauto auf den Weg hierher in den Süden begeben. Der warme Fahrtwind, der durch die offenen Scheiben wehte, blies auf den letzten Kilometern all ihre Zweifel weg. Ohne ihn Urlaub zu machen, war richtig. Sie brauchte diese Auszeit, wenn sie nicht selbst auf der Psychiatrie landen wollte. Wie ein Mantra murmelte sie: »Alles wird gut.«

Während Lori talwärts fuhr, passierte sie einen Olivenhain mit einer verwitterten Holzbank.

Diese dämlichen Bänke sind etwas für glückliche Menschen. Wer sonst will absichtlich innehalten, stundenlang auf das Gleiche starren und den Film ansehen, der sich bei der Gelegenheit ungefragt in deinem Kopf abspielt?

Sie jedenfalls nicht.

Die Bank verschwand aus ihrem Blickfeld, jetzt säumten nicht allzu hohe Bäume mit hellen Stämmen, grünen Blättern und birnenförmigen Früchten die staubige Straße. Sie vermutete, dass es sich um riesige, noch unreife Zitronen handelte, doch dafür erschienen ihr die Früchte zu groß. Auf Avocados kam sie erst später.

Der schmutzige Weg, mehr war diese Landstraße hier nicht, endete direkt vor einer Steinbrücke, die über einen schmalen Bach führte.

Endlich! Das ist also das Dorf!

Da hier bereits einige Autos unter Dächern, bestückt mit Solarpaneelen, parkten, stellte Lori ihren nicht mehr ganz neuen mausgrauen Mietwagen neben einem roten Fiat ab und stieg aus. Vor der nicht allzu breiten Brücke stand nicht nur ein großes Schild, sondern auch ein Steinhaus, in dem ein Mann saß. Lori beschloss, sich erst mal bei ihm anzumelden.

Auf vier Holzbalken las sie ›Herzlich willkommen in El Sueño‹. Die Lettern waren eingebrannt worden, was gut aussah.

Lori hatte schon in Wien gefunden, dass der Name des Dorfes magisch klang. Aber jetzt, da sie über die Brücke hinweg ein paar der frisch renovierten Steinhäuser mit eigenen Augen sehen konnte, war sie überzeugt davon, dass dieser Ort genau der richtige war, um wieder zu Kräften zu kommen. Nach dem Urlaub musste ein für alle Mal Schluss mit Martin sein. Doch um ihm das zu sagen, brauchte sie Energie. Und genau die erhoffte sie sich unter der andalusischen Sonne zu tanken.

Bevor sie mit dem kleinen, dunkelhaarigen Mann sprechen konnte, der ihr bereits aus dem Häuschen entgegenkam, klingelte ihr Handy, und sie deutete dem sympathischen Einheimischen, dass sie noch einen Moment brauchen würde.

Klar war er dran. Wer sonst?

»Hallo, mein Schatz. Und? Bist du schon angekommen?«, wollte Martin wissen.

Alles in Loris Magen verknotete sich, und ihr Kopf schrie: ›Der spinnt! Das letzte Mal hat er dich vor zwanzig Minuten angerufen!‹ Und wie immer sackte sie unmerklich in sich zusammen. Sie hasste diese Kontrollanrufe wie die Pest.

Aber noch er war ihr Freund, wie auch die letzten fünf langen Jahre. Bereits nach den ersten zwölf Monaten hatte sich ihr brünetter Traumprinz in eine Kröte verwandelt, und wie es schien, war sie all die Jahre schlicht und ergreifend zu tierlieb gewesen, um ihn in den Tümpel zurückzuschicken, aus dem er offenbar gekrochen war.

Seufzend dachte sie, so muss es wohl sein.

Andererseits hatte sie wenigstens endlich erkannt, dass er sicher nicht ihr Traummann war.

Lori riss sich zusammen und antwortete Martin so fröhlich, wie es ihr möglich war: »Ja, gerade eben. Es ist herrlich hier. Aber heiß. Ich schätze, es muss so an die fünfunddreißig Grad haben.« Über das Wetter zu sprechen war unverfänglich.

»Du Glückspilz. In Wien regnet es bei was? Ich glaube, so um die neunzehn Grad.«

Er hatte keine Ahnung, wie egal ihr das war. Es könnte ein Hurrikan über Wien hinwegfegen, begleitet von heftigen Schneefällen, und sie würde nicht mit der Wimper zucken. Nicht einmal, wenn man mitten im Sommer mit den Langlaufskiern ins Kaffeehaus skaten könnte.

»Mach dir keine Sorgen, Martin. Ich bin gut angekommen und werde jetzt mal mein Gepäck in den Ort tragen.«

»Gibt es denn dort niemanden, der dir damit helfen kann?«, fauchte er unwirsch ins Handy. Sein Tonfall reichte für ihre Magenwände aus, um aneinander zu klatschten. Unwillkürlich krümmte Lori sich.

»Keine Ahnung, aber ich habe dir doch gesagt, dass Autos in El Sueño verboten sind und man daher nicht bis direkt vor das Appartement fahren kann.«

»Weiß ich! Aber das bedeutet doch nicht, dass sie keine Hotelangestellten haben, die dein Gepäck aufs Zimmer bringen können!«

Es war müßig, mit ihm zu diskutieren, denn hier gab es nicht einmal ein Hotel. Aber zuhören war nie Martins Stärke gewesen. Die Liste seiner positiven Eigenschaften wurde ohnehin immer kürzer, während sie mit der gegenteiligen problemlos den Weg von ihrem Wohnzimmer bis in die Toilette auslegen konnte. Und das waren einige Meter!

Lori erachtete es schon als Sieg, dass sie ihm ausgeredet hatte, sie hierher zu begleiten. Bis zur letzten Sekunde hatte sie gezittert. Martin hätte ja am Flughafen in Wien plötzlich ein Ticket aus dem Sakko ziehen können. Aber zum Glück war in seiner Anwaltskanzlei viel los, und sie hatte sich nicht von ihm überreden lassen, den Urlaub zu verschieben. Darauf war sie richtig stolz.

Bevor sie etwas antworten konnte, stand der Mann mit den schütteren schwarzen Locken und der goldenen Brille vor ihr. Obwohl sie noch telefonierte, begrüßte er sie leise. »Herzlich willkommen, Frau Doktor Lang. Ich nehme an, das sind Sie, oder?«

Schon seltsam, hier mitten im Nirgendwo den vertrauten Klang der deutschen Sprache zu hören, wenn auch mit spanischem Akzent versehen.

»Wer ist denn das?«, fuhr Martin sie durchs Handy an.

»Äh, der Mann am Eingang. Ich muss jetzt auflegen. Mach dir keine Sorgen, wenn du in den nächsten Tagen nichts von mir hörst, aber ich glaube, das Handy wird hier nicht funktionieren.« Vom Internet wusste sie es. Angeblich gab es in dem Dorf nur einen einzigen Ort mit WLAN, von der Telefonverbindung konnte sie nur hoffen, dass sie miserabel sein würde. Nein, sie betete, dass es so war. Mit etwas Glück lag El Sueño inmitten eines riesengroßen Funklochs.

»Was soll denn der Blödsinn? Du bist doch nicht mitten im Dschungel irgendwo in Südamerika, sondern innerhalb der EU!«

Was anscheinend ein großer Fehler ist, schoss Lori durch den Kopf, aber laut sagte sie nur: »Du hast ja recht. Wir werden sehen. Also, hab noch einen schönen Tag.«

In sein »Du auch. Vergiss nicht, ich liebe dich« legte sie auf.

Geduldig und mit einem Lächeln im sonnengegerbten Gesicht voller Falten wartete der nicht allzu große Spanier auf das Ende ihres Telefonats. Nun sah Lori auch den herannahenden jüngeren Angestellten, der einen Leiterwagen hinter sich herzog.

»Entschuldigen Sie! Mein Freund«, begann Lori den Versuch einer Erklärung für das peinliche Gespräch, aber der ältere Mann im weißen, kurzärmeligen Leinenhemd und der Jeans winkte ab.

»Kein Problem! Schön, dass Sie gut angekommen sind. Carlos wird Ihnen mit dem Gepäck helfen. Mein Name ist Rodríguez.«

»Freut mich. Und danke«, erwiderte Lori und stellte sich auch gleich dem jüngeren, sportlichen Mann vor, der gerade den Leiterwagen neben ihr abstellte.

»Carlos. Herzlich willkommen in El Sueño. Dann lass uns mal dein Gepäck aus dem Auto holen.«

Verdutzt über die amikale Begrüßung meinte sie nur: »Ja, gerne. Vielen Dank!«

Der ältere Spanier wischte sich mit einem blütenweißen Stofftuch die Schweißperlen von der Stirn. »Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Urlaub, und machen Sie sich keine Sorgen wegen Ihres Autos, der Parkplatz ist bewacht, Lorena.«

Erstaunt antwortete Lori ein weiteres Mal: »Vielen Dank. Gut zu wissen.«

Wieso sollte sie sich Sorgen um ein Mietauto machen? Hier? Am Ende der Welt?

 

Gefolgt von Carlos marschierte Lori zurück zum Wagen, öffnete den Kofferraum, und Carlos, ähnlich wie Rodríguez in Weiß gekleidet, wuchtete mühelos ihren schweren Koffer aus dem Auto. Lori nahm den Rucksack und die Sporttasche heraus und legte sie ebenfalls auf den hölzernen Gepäckwagen mit den riesigen Gummireifen.

»Ist das alles?«, wollte Carlos wissen.

»Ja. Ich habe sonst nur die Handtasche, mehr an Gepäck hat mir die Fluggesellschaft nämlich nicht gestattet.« Die Tasche hängte sie über die Schulter und folgte Carlos, der bereits losgegangen war.

»Wunderbar. Nun … Dann noch einmal herzlich willkommen in unserem Dorf. Als Erstes bringe ich dich zur Rezeption.«

»Klar. Danke.«

Über die Steinbrücke hinweg musterte Lori die Häuser, die vor ihr lagen.

Ohne Übertreibung, dieser Ort machte seinem Namen alle Ehre. El Sueño bedeutete der Traum. Das stand auf der Homepage des Ferienresorts.

Und so sah das Dorf aus. Traumhaft schön. Liebevoll restauriert und überall mit Blumen dekoriert.

Die sechs einstöckigen Gebäude, an denen sie vorbeikamen, wirkten unecht. Wie aus einem Märchen. Jedes der Steinhäuser hatte einen ganz eigenen Charakter, auch wenn sie alle in dem typischen südspanischen Stil mit Gauben, kleinen Terrassen mit schmiedeeisernen Geländern und Türen und Fensterläden aus Holz gebaut waren.

Auf Anhieb gefiel ihr die dritte, etwas nach hinten versetzte Villa auf der linken Seite am besten. Das Gebäude war weiß gestrichen und hatte eine Art steinernen Turm in der Mitte, der mit einem hellbeigen Ziegeldach gedeckt war. Die rosafarbene Bougainvillea, welche die Mauer hinaufzuklettern schien, war ein echter Blickfang. Auf der Vorderseite wurden beide Terrassen von verspielten Balustraden eingefasst, die rechts und links in den Steinmauern verankert waren.

Hier lässt es sich bestimmt vier Wochen aushalten. Ganz sicher war sie sich allerdings nicht, was sie einen Monat lang hier tun sollte, aber nun gab es kein Zurück mehr. Und angeblich boten sie zum Zeitvertreib verschiedene Aktivitäten an. Und wenn ich töpfern muss oder Kröten zählen muss! Alles besser als bei Martin zu sein.

Carlos erklärte ihr auf dem Weg so einiges über das Dorf, während sie gemächlich in Richtung des Dorfplatzes gingen. Zwischendurch zeigte er auf eines der Häuser und schwärmte Lori vom Dorfcafé vor, das seines Erachtens nach den besten Kaffee, wie auch die besten Cocktails der Welt anbot.

»Aber das wirst du gleich selbst testen können.« Der muskulöse Spanier grinste und blieb vor einem langen, ebenerdigen Steinhaus gegenüber vom Restaurant stehen. »Da sind wir. Carmen wartet drinnen am Empfang auf dich.«

»Okay.« Lori sah sich um. Das war er also, der berühmte Dorfplatz von El Sueño. Sie hatte mehr Menschen erwartet, aber dass hier nicht alle Tische im Kaffeehaus besetzt waren, ebenso wenig wie im Lokal, war bestimmt kein Fehler. »Die Kirche sieht toll aus«, stellte sie fest. Und das tat sie. Aus der Nähe war sie noch schöner.

Über einer dunkelbraun gestrichenen, doppelflügeligen Holztüre ragte ein geschwungener Turm mit einer bronzefarbenen Glocke in die Höhe. Als Krönung wies noch ein eisernes Kreuz in Richtung Himmel.

Ansonsten war die Kirche ein schlichter, viereckiger Bau mit kleinen Seitenfenstern und großen Laternen. Aber sie verlieh dem Dorfplatz Würde, was Lori extrem gut gefiel.

Hätte Carlos sie nicht aufgefordert, sich ins Innere der Casa del Sol zu bewegen – der Name stand auf einer für Andalusien typischen blau-weißen, mit Blumen verzierten maurischen Fliese, die als Schild diente –, hätte Lori noch etwas länger die Umgebung auf sich wirken lassen.

Sie wusste nicht, warum, aber hier zu stehen, fühlte sich gut an und sie sich definitiv leichter als noch vor ein paar Minuten auf dem Parkplatz. Selbst ihr Magen hatte sich wieder entspannt.

Die enge Gasse, durch die sie gekommen waren, und die weißen Blumentöpfe an den Außenwänden der Gebäude erzeugten ein ganz eigenes Flair. Unverhohlen starrte Lori die Damenrunde im Gastgarten an. Die vier Frauen, die im Café Nero saßen, waren zwischen dreißig und vierzig Jahre alt, richtig toll geschminkt und trugen wie alle anderen, denen sie am Weg hierher begegnet war, weiße Kleidung. Zwei davon eine Art moderne Fassung der Fünfziger- oder Sechzigerjahre-Hängekleider, die anderen beiden so etwas wie bodenlange Tuniken.

Besonders aber stach ihr die Blondine ins Auge, die gemütlich ein Bein über die Lehne des großen Korbsessels geschlagen hatte und mit verdammt hohen, naturfarbenen Sandalen wippte, während sie am Strohhalm eines Cocktails sog. Lori gefiel der extrem breite, beigefarbene Hut, unter dem ihre Locken hervorquollen, und auch die vielen Ketten in Erdtönen.

Gleich nach dem Einchecken setze ich mich in dieses Café und sehe mir diese entspannte Frauenrunde genauer an, nahm sie sich vor. Kann ja nicht schaden, ein paar Urlaubsbekanntschaften zu schließen. Ihren Frust allein in Alkohol zu ertränken, war schließlich auch keine Lösung, obwohl sie das heute definitiv vorhatte.

Allerdings wusste Lori schon jetzt, dass sie ganz eindeutig die falschen Sachen mithatte. Was in ihrem Koffer darauf wartete, ausgepackt zu werden, taugte hier wenig, denn mit farbenfrohen Sommerkleidern oder sportlicher Mode wie Jeans und T-Shirts war ihr bisher niemand untergekommen.

Wieso hatte ihr bei der Buchung keiner gesagt, dass hier alle ausschließlich Weiß trugen? Oder stand das klein gedruckt auf der Homepage, und sie hatte es übersehen? Aber vermutlich würde es egal sein, ob sie sich weiß oder bunt kleidete. Sie wollte hier ausspannen und nicht an einer Modeschau teilnehmen.

»Ist es okay, wenn ich dein Gepäck schon mal rüber ins Appartement bringe?«, fragte Carlos, der ihr ein paar Augenblicke gegeben hatte, um sich in Ruhe umzusehen. Aber sie erwarteten noch einen weiteren Gast, und daher wollte er Loris Sachen so schnell wie möglich abladen.

»Äh, entschuldige. Ja, klar. Ich check mal ein.«

»Wunderbar. Und wenn du etwas brauchst, ruf mich an oder frag Carmen nach mir.«

Zu blöd! Das Telefon funktionierte hier dann wohl doch überall.

»Mach ich, das ist nett.«

Carlos hob die Holzdeichsel vom Boden auf und rollte mit dem Wagen los, während Lori ins Haus eintrat.

Im Inneren der Villa strömte ihr kühle Luft entgegen. Außerdem war die Rezeption ein Fest fürs Auge.

»Wow!«

Lori war schlichtweg überwältigt.

Diese Lobby war unglaublich geschmackvoll und toll eingerichtet. Die moderne Ledergarnitur in einem pastelligen Orangeton passte perfekt zum hellen gehauenen Sandsteinboden und den aufwendig geschnitzten Holzkommoden zu beiden Seiten des Raumes. Dazwischen standen große Blumentöpfe aus, wie es schien, dem gleichen Stein, wie er für die Bodenfliesen verwendet worden war. Die blühenden und gleichzeitig Früchte tragenden Orangen- und Zitronenbäumchen verliehen dem Raum Frische und versprühten gemeinsam mit Blüten von dem großen Strauß am Couchtisch ein herrliches Aroma. So muss Andalusien riechen, dachte Lori. Sonnig, mit einem Schuss Abenteuer und einer sinnlichen Unternote.

»Es gefällt Ihnen also bei uns?« Die Dunkelhaarige hinter der Rezeption lächelte sie an. Lori zuckte kurz zusammen.

»Absolut! Alles, was ich bis jetzt gesehen habe, ist, nun ja … einzigartig.«

»Dann haben wir alles richtig gemacht.« Die Frau, Lori schätzte sie auf Ende fünfzig, ging um die Holztheke herum und streckte ihr die Hand entgegen. »Herzlich willkommen! Ich bin Carmen. Darf ich dich Lorena nennen?«

Spannend, sie sprach fließend Österreichisch und hieß Carmen?

»Gerne, aber noch lieber wäre mir, du nennst mich Lori.«

»Ja, gerne natürlich. Also Lori, ich habe hier dein Armband und den Schlüssel für das Appartement vier in der Casa de las Flores de Limón.«

»Dort wohne ich? Klingt schön.« Hieß wohl übersetzt Haus der Zitronenblüten oder so. Zumindest reimte sie sich das aus den Bruchstücken an Spanisch, die sie mal in der Schule gelernt hatte, zusammen. Dann betrachtete sie den silbernen Reifen, den Carmen ihr entgegenhielt.

»Was ist das?«, fragte sie nach, während sie die extrem breite Spange entgegennahm, obwohl sie natürlich sofort erkannt hatte, dass es ein Armreif war. »Oh! Und ihr habt meinen Namen eingraviert?«

Aber gut, Lori schätzte, bei dem Preis, den sie hier für die vier Wochen bezahlte, konnte man schon den Vornamen der Gäste auf Armbänder ritzen lassen.

Carmen ging wieder hinter die Holztheke. »Ja, das macht es einfacher, mit anderen ins Gespräch zu kommen, und außerdem dient der Armreif als Zahlungsmittel. Deine Konsumationen werden auf die Zimmerrechnung gesetzt, und das Personal sieht, dass du keine Tagestouristin bist.« Sie grinste breit. »Die Gäste zu chippen, kam nicht sonderlich gut an, obwohl das unsere erste Idee gewesen ist.«

Loris Augen wurden groß, was Carmen amüsierte. »Wirklich?«

»Nein, das war nur Spaß, Lori. Für die Anmeldung bräuchte ich bitte deinen Reisepass, und du müsstest das Formular für die Ortstaxe ausfüllen.«

Erleichtert fand Lori zu einem Lächeln zurück. Einen Moment lang war da dieser dumme Gedanke gewesen, möglicherweise in einer Sekte gelandet zu sein, die einen dann auf ewig verfolgte und mit sinnlosen E-Mails zumüllte.

Ich darf nicht immer so negativ denken, ermahnte sie sich deshalb. Das hier ist ein Luxusresort. Nicht mehr und nicht weniger.

Aberseltsam war das mit dem Armreif doch. Auch wenn er ihr gefiel.

 

Wenig später führte Carmen Lori durch die Casa de las Flores de Limón.

Der Name war gleichzeitig Thema, und zu Loris Freude ähnelte dieses Haus jener Villa, die ihr zuvor sofort ins Auge gestochen war. Ihr Appartement mit Blick auf eine weitläufige Garten- und Poollandschaft gefiel ihr über alle Maßen.

Sämtliche Sitzmöbel und schweren Vorhänge waren hellgelb. Edler, erdiger und zugleich fröhlicher Farbton, fand Lori. Die Möbel im geräumigen Wohnzimmer waren beige, die Räume weiß gestrichen und insgesamt von einem bestechend einfachen, aber sehr modernen Design.

»Die gesamte Einrichtung kommt aus Spanien, ist ökologisch und nachhaltig produziert. Wie vieles hier im Dorf. Darauf legen wir großen Wert«, erklärte ihr Carmen und öffnete die Vorhänge in Loris Schlafzimmer. »Und wir haben alles nach der Devise ›So viel Technik wie notwendig und so wenig wie möglich‹ gebaut oder renoviert.«

»Weiß ich schon von der Homepage. Das war mit ein Grund, warum ich mich für El Sueño entschieden habe. Ich finde es sehr beeindruckend, was hier auf die Beine gestellt worden ist. Vorher war das Dorf ja halb verfallen gewesen.«

Direkt vor dem Fenster drehte Carmen sich wieder zu Lori. Sie fand die junge Ärztin sehr sympathisch.

»Stimmt absolut. Und ja, wir sind auch stolz auf die Häuser, aber noch umwerfender ist der Spirit, der hier in El Sueño herrscht.« Carmen kam auf Lori zu. »Weißt du, das Materielle schmeichelt dem Auge. Zu oft nur dem Ego. Aber es ist das Unsichtbare, das das Leben lebenswert macht oder aber, im schlimmsten Fall, deine Seele zerstört.«

Unwillkürlich trat Lori einen Schritt zurück. Fühlte sich irgendwie ertappt, auf jeden Fall aber überfahren. Wieso sprach diese Fremde plötzlich von der Seele? War sie der Meinung, Martin hätte ihre zerstört? Aber die Frau wusste ja nichts von ihrer Beziehung.

Der letzte Gedanke beruhigte sie wieder. Vielleicht war das einfach Carmens Art zu sprechen. Das musste es sein.

»Und daher haben wir sehr viel Wert darauf gelegt, die richtigen Menschen für das Dorf zu finden«, beendete Carmen ihren Gedanken.

»Sprichst du von den Angestellten oder den Gästen?«

»Von beiden.«

»Aha.«

Die schlanke Frau lächelte ihren neuen Gast an, hatte aber das Gefühl, dass die Ärztin das irgendwie in den falschen Hals bekommen hatte.

»Genieß einfach deinen Urlaub hier, Lori. Falls du Fragen hast, stehe ich dir gerne und jederzeit zur Verfügung, wie auch der Rest unserer Crew. Fühl dich wie zu Hause.« Dann griff Carmen nach einem kleinen Büchlein, dessen Einband kunstvoll aus getrockneten Blättern und kleinen Holzstückchen gefertigt war. »Hier drinnen findest du all unsere Angebote und auch Ausflüge. Und im Schrank jede Menge Kleidung. Wir tragen hier nur Weiß. Ein Statement ans Licht und das Leben. Ich hoffe, du hast das gelesen, und es macht dir nichts aus.«

Nein, das hatte sie nirgendwo gelesen. »Äh, tut mir leid, aber das hab ich nicht gewusst.«

»Oh, es stand auf der Buchung und steht ebenso auf der Homepage. Nun, die Idee dahinter ist, dass wir hier eine Art Gesamtkunstwerk schaffen wollten. Natürlich sollte jeder seine Individualität ausleben können, aber eben in Weiß.« Carmen sah Lori an, dass ihr dieser Gedanke nicht allzu sehr behagte, daher sprach sie weiter. »Und außerdem ist es bei dieser Hitze hier ziemlich angenehm zu tragen.«

Na super. Jetzt bin ich einmal meinen Kittel als Ärztin los, schon muss ich mich wieder weiß anziehen?

Lori seufzte und erwiderte knapp: »Verstehe. Mach ich.«

»Ich danke dir für dein Verständnis. In dem Buch findest du auch die Ideen unserer Gründer zu El Sueño, eine Art Mission Statement, und ein Notizbüchlein für dich. Die Stifte sind in der Lade. So, ich verlasse dich jetzt, damit du in Ruhe ankommen kannst, und hoffe, dich dann in einer halben Stunde im Café zum Begrüßungscocktail und einer Art spätem Brunch zu sehen.«

Lori sammelte sich wieder. »Klar, gerne. Ich mach mich nur schnell frisch.«

Sie beobachtete Carmen, deren langer dunkelbrauner Pferdeschwanz bei jedem ihrer Schritte wippte, während sie zur Tür ging. Auch sie trug ein knöchellanges weißes Kleid. Ärmellos und doch raffiniert geschnitten, mit großen Taschen auf beiden Seiten.

»Bis gleich, Lori!«

Dann werde ich mal nachlesen, was sich diese Gründer so gedacht haben!

Auf der Homepage hatte Lori dazu nämlich nur wenig gefunden, außer, dass ein österreichischer Investor vor rund sieben Jahren dieses verlassene Dorf gekauft hatte und mit einer kleinen Gruppe an Freunden hierher gezogen war, um den Ort zu renovieren.

Doch zuvor ging Lori auf die Terrasse hinaus, legte ihre Hände auf das schmiedeeiserne Geländer und sah sich um. Ja, der Ort hatte etwas. Im Gegensatz zu diesen so oft ähnlich gebauten Hotelanlagen wirkte er authentisch. Hatte Flair. Trotz des riesigen Pools direkt vor ihr. Vor allem der Blick hinaus auf den großen Blumengarten gefiel ihr.

Na gut, wenn es Carmen glücklich, laufe ich sogar in einem Kartoffelsack herum.

Warum auch nicht? Sie hatte nicht vor, jemandem gefallen zu wollen, sondern ganz im Gegenteil einfach mal in Ruhe gelassen zu werden. Kein nerviger Mann, keine schwierigen Patienten, keine Angehörigen, denen sie schlechte Nachrichten überbringen musste.

Ausspannen, nicht an Martins Wünsche denken müssen und zur Abwechslung mal ohne Liste im Kopf herumlaufen. Mehr will ich ja gar nicht! Mir reicht ein unaufgeregter, total langweiliger Urlaub.

Wie sehr Lori sich irrte, wusste sie zu diesem Zeitpunkt nicht, daher war sie für ihre Verhältnisse geradezu gut gelaunt. Das Appartement war perfekt, sie fühlte sich hier auf Anhieb pudelwohl und gleich gab es etwas zu essen und zu trinken. Was wollte sie mehr?

Einen Moment lang betrachtete sie das Pärchen, das im Pool planschte. Anscheinend durfte man wenigstens bunte Bikinis und Shorts tragen, stellte Lori fest. Dann sah sie einen Mann, der sie von der Holzliege aus ganz offensichtlich beobachtete.

Sofort trat sie einen Schritt nach hinten und ging zurück ins Appartement. Irgendetwas an diesem Typen hatte sie irritiert. Er hatte durchschnittlich ausgesehen und dürfte so um die vierzig Jahre alt sein. Vielleicht ist er nur neugierig gewesen, dachte sie und öffnete den Schrank. Ob gut oder schlecht, sie vergaß den Mann schnell wieder.

»Du meine Güte!«, rief sie laut aus.

Die linke Seite des Kleiderkastens war prall gefüllt, aber es waren nicht ihre Kleidungsstücke, die da auf den Bügeln hingen. Sie zog ein Minikleid heraus und hielt es vor ihre Brust. Schien ihre Größe zu sein. Woher wussten sie die denn? Spionierten sie ihren Gästen auf Social-Media-Seiten nach?

Aber dann bemerkte Lori, dass es das Kleid auch noch eine Nummer größer und kleiner gab, was sie wieder beruhigte. Ebenso wie das Schild in der Tür des Schrankes, das ihr erst jetzt auffiel: ›Diese Kleidungstücke aus natürlichen Materialien stammen aus der Region und wurden speziell für die Gäste und Angestellten in El Sueño designt und handgefertigt. Alle Stücke, die Sie tragen, gehen in Ihr Eigentum über, und wir erlauben uns, sie auf Ihre Rechnung zu setzen. Damit unterstützen Sie Arbeitsplätze rund um El Sueño, wofür wir Ihnen schon jetzt danken. Viel Freude mit Ihren neuen Lieblingsstücken!‹

Darunter fand sie eine Preisliste und musste feststellen, dass die Sachen relativ günstig waren, obwohl sie hochwertig aussahen. Okay. Dann würde sie in eines der Kleider schlüpfen, denn wenigstens tat sie damit etwas Gutes.

Schnell in die Dusche, dann kann mein Urlaub hier beginnen. Als Erstes checkte Lori jedoch ihr Handy. Wie befürchtet hatte sie ja Empfang und zwei Nachrichten von Martin.

Sie ersparte es sich, diese zu lesen, und schaltete das Telefon aus.

Fühlt sich doch gleich besser an.

Und das erste Mal, seit sie angekommen war, schmunzelte sie aus ganzem Herzen in sich hinein, denn nun begann ihre neue Freiheit.

Definitiv.

Nun ja, mit der klitzekleinen Einschränkung, dass Martin nicht ahnte, dass auch er ab sofort wieder Single war.

Aber egal.

Es reichte, dass sie es für sich wusste.

Und darauf würde sie im Café etwas trinken.

Kapitel 2

Vorurteile fußen auf Vertrautem, nicht auf Fremdem.

Carmen verließ die Villa und schaute nach oben, denn der Helikopter im Anflug war nicht zu überhören.

Er ist überpünktlich, dachte sie nach einem kurzen Blick auf ihre Armbanduhr und marschierte zügig in Richtung Rezeption weiter, denn Carlos stand sicher am Hubschrauber-Landeplatz bereit, um die vier Gäste in Empfang zu nehmen.

Manche ihrer Besucher reisten eben lieber auf diese Weise an. Darius Hall war einer von ihnen, und Victor, der überhaupt erst die Idee geboren hatte, mit knapp fünfundfünfzig Jahren einen verlassenen Ort in Spanien zu kaufen und umzubauen, ließ sich hin und wieder selbst von Malaga direkt hierherfliegen. Daher hatte er am hinteren Rand des Dorfes ein Helipad anlegen lassen.

Carmen war gespannt auf Darius Hall. Was wollte ein Milliardär wie er bei ihnen? Erst hatte sie angenommen, dass Victor dahintersteckte und Darius irgendwo auf der Welt kennengelernt und eingeladen hatte, aber sie hatte nachgefragt, und Victor hatte das eindeutig verneint. Nun, sie würde den Grund für den Kurzbesuch von Darius Hall schon herausbekommen.

Da Carmen nicht vorhatte, ihn anders als alle anderen Menschen zu behandeln, war es nicht wichtig, was ihn zu einem Ausflug nach El Sueño bewogen hatte.

Am Weg zurück zur Rezeption plauderte sie ein paar Takte mit einigen der Gäste, denen sie begegnete, und auch mit Mei, die sie vor dem Avocado-Atelier traf, dem Estudio de Aguacates.

Mei leitete es, wie auch einige der anderen Werkstätten. Es war Carmens Idee gewesen, alle kleinen Manufakturen im Ort als Ateliers zu bezeichnen, schlicht deshalb, weil es ihr gefallen hatte und Victor damit einverstanden gewesen war.

»Wer besucht uns denn heute mit dem Hubschrauber?«, wollte die zarte Frau sofort wissen und bändigte gleichzeitig ihr schwarzes Haar, indem sie es am Hinterkopf zusammennahm und mit einem Haargummi, den sie in den Taschen ihres kurzen Kleides gefunden hatte, fixierte.

»Du wirst es nicht glauben: Darius Hall.«

Mei riss ihre großen mandelförmigen Augen auf. »Was? Der Milliardär? Was will der denn hier, und warum sagt mir das keiner?«

»Entschuldige, das habe ich vergessen.«

Die nicht allzu große Asiatin stemmte ihre Fäuste in die Hüften. »Vergessen? Carmen! Wir sprechen hier von Darius Hall. Den vergisst man nicht.«

»Meine Güte! Du klingst ja wie ein Fan, Mei!«

»Ich bin auch einer. Aber nur von seiner Technik, nicht von ihm als Mensch. Aber sag schon, was tut er hier?«

Carmen zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Vielleicht ist ihm zu Ohren gekommen, dass du unglaublich tolle Produkte aus den Hass-Avocados zauberst?«

Mei grinste. »Natürlich. Das wird es sein.«

»Wer weiß? Möglicherweise wirst du mit deiner Avocadocreme noch weltberühmt?« Carmen schmunzelte. »Hast du heute Abend Lust auf ein Gläschen mit mir? Victor kommt erst in der Nacht vom Segeln zurück.«

Wie immer überging Mei, dass ihre beste Freundin so klang, als wären Victor und sie ein Paar. Der Boss sprach nicht anders über Carmen, daher hatten sich alle bereits daran gewöhnt.

»Gerne. Passt acht Uhr? Im Café?«

»Perfekt«, freute sich Carmen. »Aber lieber wäre mir das Restaurant, ich komme bis dahin sicher nicht zum Essen.«

»Auch okay. Also, bis später, Carmen. Ich muss jetzt rüber zu Juanita. Sie macht gerade frisches Zitroneneis, und wir wollten etwas Neues ausprobieren.«

»Mach das und vergiss ja nicht, mich am Abend davon kosten zu lassen«, rief Carmen ihr nach, denn Mei war ein Genie.

Die Biologin mit dem schwarzen Zopf war eine der Ersten gewesen, die sich bei Carmen beworben hatte, und allein ihr war es zu verdanken, dass ihre biologisch hergestellten Produkte mittlerweile weit über die Grenzen des Landes bekannt waren. Die Nachfrage war um ein Vielfaches größer als das, was sie produzieren konnten. Ein Erfolg, den wirklich niemand von Mei – mit ihren erst knapp dreißig Jahren – erwartet hatte.

Die eigenwillige Asiatin war ein Segen für das Dorf. Ein Glück, dass sie in Wien eine so liebevolle Adoptivfamilie gefunden hatte, die sie als Baby aufgenommen hatte. Meis Eltern kamen immer wieder einmal auf eine Woche zu Besuch und waren mittlerweile ebenfalls Teil der großen, bunten El Sueño-Familie.

Aus irgendeinem Grund dachte Carmen plötzlich seufzend an die Anfänge zurück.

So schön es hier war, es blieb ein kleines Kaff in Südspanien mit begrenzten Anbauflächen. Leider ein Opfer der Landflucht. Über zwei Jahrzehnte war das Dorf völlig verlassen gewesen. War leise und unbeachtet in sich zusammengefallen. Sehr zur Freude der Natur, die langsam in jede Fuge zwischen den Steinen gekrochen war und sich zurückgeholt hatte, was der Mensch ihr zuvor entrissen hatte.

Beinahe hätte sie gewonnen, doch dann kaufte Victor den vor sich hinwelkenden Ort für knapp eine Million Euro von einem englischen Makler.

Das war sieben Jahren her. Und lustigerweise waren sie zu siebent gewesen, die dann, nachdem sie die ersten drei Häuser renoviert hatten, hierhergezogen waren. Gemeinsam nannten sie sich nun auf Victors Vorschlag hin die Gründer. Selbstverständlich war er intern der Präsident.

Das klang alles großartig, dabei waren sie nichts anderes als eine Runde an Freunden, die vorhatten, mit den zwei, drei Lebensjahrzehnten, die ihnen vielleicht noch blieben, etwas Sinnvolles zu tun. Und Spaß zu haben. Hauptsächlich aber, den kalten Wintern in Österreich zu entfliehen. Das ist uns eindeutig gelungen, schmunzelte Carmen in sich hinein.

Erst vor einem Jahr hatten sie das Dorf für den Tourismus geöffnet. Davon, wie schnell ihr Marketingkonzept aufgehen würde, war Carmen am meisten überrascht gewesen. Noch mehr allerdings von der Eigendynamik, die unter ihren Gästen entstanden war.

Nie und nimmer hätte sie vorhersehen können, was El Sueño heute war. Sie hatte das Dorf immer ›den bunten Traum‹ genannt, el sueño colorido. Und obwohl Victor sich dann bloß für El Sueño, den Traum, entschieden und auf Weiß statt Farbe bestanden hatte, war es genau das geworden: das Dorf der bunten Träume.

Voller bunter Menschen. Voller Unterschiede, wie sie krasser nicht sein konnten. Carmen versuchte immer, eine möglichst diverse Gruppe an Gästen zu haben. Manche waren reich, andere nicht so wohlhabend. Paare, Singles und Familien. Ältere und jüngere Sonnenhungrige, aber selten kleine Kinder, da sie gelernt hatte, dass die meisten hier Ruhe suchten. Und ihre Feste waren schon jetzt legendär und weit über die Grenzen Spaniens hinaus bekannt.

Außerdem konnten sie es sich bei der derzeitigen Überbuchung glücklicherweise aussuchen, wer einen Platz in El Sueño bekam und wen sie ablehnten, daher war Carmen mit der aktuellen illustren Mischung ihrer Gäste höchst zufrieden. Wie auch mit ihrem Manager Gerd, den Victor und sie angeheuert hatten. Er machte einen tollen Job. Allerdings war er gerade auf Geschäftsreise und daher musste sie ihn vertreten.

Auf jeden Fall passte diese Lori ganz wunderbar hierher. Überhaupt hatte Carmen bei der hübschen Rothaarigen das seltsame Gefühl beschlichen, sie bereits zu kennen. Das passierte ihr öfter, was kein Wunder war, da sie an Seelen, Wiedergeburt und Bestimmung glaubte. Eine Meinung, die nicht alle Gründerinnen und Gründer mit ihr teilten, was Carmen aber herzlich egal war, zumal sie sich nun innerlich auf die Ankunft von Darius Hall vorbereiten musste.

Sie war gespannt, wie er in Wirklichkeit sein würde. Aus dem Internet kannte sie nur einige seiner Statements und Interviews, und da kam er eher arrogant rüber. Aber wer weiß, vielleicht war er ganz anders? Und für den gegenteiligen Fall war sie ebenfalls gerüstet. Sie hatte so viel mit wohlhabenden Menschen zu tun gehabt, dass ihr jemand wie Hall sicher keine Angst einjagte.

Kaum war Carmen vor der Casa del Sol angekommen, bog auch schon Carlos gemeinsam mit Darius Hall im Schlepptau um die Ecke. Sie atmete tief durch.

Mal sehen, wie das mit ihm laufen würde. Er galt als exaltiert, cholerisch und narzisstisch. Drei Eigenschaften, vor denen sie geflüchtet war. Nicht zuletzt deswegen lebte sie jetzt hier und ihr Ex-Mann in Paris.

Sie streckte ihm ihre Hand entgegen.

»Darius Hall! Herzlich willkommen in El Sueño!«

Ziemlich offensichtlich musterte der schlanke Dunkelhaarige mit den außergewöhnlichen Augen Carmen von oben bis unten.

Schaut der aber heiß aus, schoss es Carmen durch den Kopf.

Grinsend reichte er ihr dann auch seine Hand. »Ich danke Ihnen. Aber es wird sich erst zeigen, ob Ihr Dorf ein Traum oder ein Albtraum ist.«

Und schon hatte er die Vorurteile der Presse bestätigt.

Alles in Carmen zog sich zusammen. Wie konnte in einer so ansehnlichen Hülle ein so sarkastischer Kern stecken? Bitte, dann würde sie ihn eben höflich, aber bestimmt in die Schranken weisen müssen.

»Nun … Falls es zu Letzterem wird, was wir nicht hoffen, übernehmen wir keine Verantwortung«, erklärte sie ihm aufgesetzt schmunzelnd und deutete Darius, ihr nach drinnen zu folgen.

Er grinste. »Ach, und wieso nicht?«

Sie blieb abrupt stehen, weshalb Darius fast auf Carmen auflief, weil er so knapp hinter ihr war. »Weil wir nur die Hülle gestaltet haben. Für den Inhalt ist jeder Gast bei uns selbst verantwortlich.«

»Weise Worte. Die könnten von mir sein.«

Sie überging die Bemerkung. Dann packte Carmen ihr charmantestes Lächeln aus, griff auf das Tablett mit Orangen- und Zitronen-Trüffeln, das auf der Holzkommode stand, und reichte ihm eine der gelben. »Probieren Sie das mal. Sauer macht lustig, heißt es.«

Darius wehrte mit den Händen ab. »Nein, danke. Ich vermeide Zucker, wenn ich kann.«

»Schade, aber ich nehme an, Sie haben nichts gegen einen Willkommensdrink und ein paar kleine Köstlichkeiten aus der Region?«

»Erraten, doch ein Drink reicht«, erwiderte er und deutete nach hinten. »Die Bar ist am Dorfplatz, nehme ich an?«

So wie er das sagte, klang es nach Kuhstall. »Richtig. Im Café. Aber erst muss ich Sie bitten, mit mir noch die Formalitäten zu erledigen.«

Wieder grinste der knapp Vierzigjährige Carmen spitzbübisch an. »Bitten können Sie mich natürlich, aber das wird Cornelius erledigen. Er sollte gleich hier sein.«

Ach ja, dachte Carmen. Klar, wofür hat man denn einen persönlichen Assistenten? Sie kannte diesen Mann schon vom Telefonieren, denn ein gewisser Cornelius hatte die Buchung vorgenommen.

»Dann erledige ich das später und gebe Ihnen nur noch Ihr Armband.« Sie reichte es ihm über die Theke hinweg.

Darius nahm es und drehte den Silberreif erstaunt in jede Richtung. »Was soll ich denn damit? Ich weiß, wie ich heiße.« Dann legte er das Stück zurück auf den Counter. »Und ich nehme an, alle anderen hier ebenfalls.«

Doch Carmen blieb stur und drückte ihm das Ding wieder in die Hand. »Bitte tragen Sie ihn, denn der Armreif ist eine Art Beleg, dass Sie hier Gast sind, und die Crew wird Ihre Konsumationen auf diesen Namen und damit auf Ihre Rechnung schreiben.«

Darius hatte ganz bestimmt keine Lust, einen albernen Armreif zu tragen. Daher steckte er ihn achtlos in die Tasche seiner Jeans, was Carmen mit einem »Auch gut« kommentierte.

»Darf ich Ihnen Ihre Villa zeigen?«

»Danke, aber nein danke. Dass das hier kein Sieben-Sterne-Hotel ist, weiß ich bereits. Und da mir nun ebenfalls bekannt ist, wo sich die Bar befindet, weiß ich alles, was ich wissen muss.«

Carmen war kurz sprachlos. Sein Lächeln und diese fröhlichen Augen passten für sie nicht zu dem, was er sagte, aber sie nickte. »Na, gut. Wie Sie wollen. Ich bringe Sie rüber ins Café. Folgen Sie mir bitte.«

»Sie? Ich dachte, der Charme dieses Dorfes am Ende der Welt läge zu einem großen Teil daran, dass hier alle gleich behandelt werden, und meiner Recherche nach heißt das, alle sind per Du. Oder etwa nicht, Carmen?«

Sie sah ihm nun direkt in seine Augen mit der sonderbaren Farbe. Möglicherweise war es ein blaues Türkisgrau. Oder aber ein türkises Eisgrau? Vielleicht könnte man seine Augenfarben auch als Hellblau mit einem Stich Türkis bezeichnen? Auf jeden Fall gefiel ihr, dass sie dunkel umrandet waren, denn das verlieh ihnen etwas absolut Besonderes, Scharfsinniges und Stechendes, was im Fernsehen gar nicht so zur Geltung kam wie jetzt, da er vor ihr stand.

Kurz schüttelte Carmen den Kopf und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch. Darius Hall hatte recht. Irgendwie hatte er sie aus der Fassung gebracht. Und das mit nur zwei Sätzen. Eine Niederlage! Wo sie doch der Meinung gewesen war, das könnte ihr niemals passieren.

»Klar, Darius, das wäre der nächste Punkt auf meiner Liste gewesen, aber wir respektieren selbstverständlich, wenn jemand es anders möchte.« Vielleicht will ich das nämlich ausnahmsweise?

Er blieb mitten in der Tür stehen. Von hinten erleuchtete ihn die Sonne, was seine Silhouette ein wenig gespenstisch wirken ließ. »Carmen, Carmen! Wer hat denn gesagt, dass ich anders sein will? Genau deshalb bin ich doch hier, um nicht anders zu sein.«

»Ach? Sind Sie? Und deshalb tragen Sie wohl auch Schwarz, vermute ich.«

Er trat einen Schritt auf Carmen zu und grinste. »Bist du.« Kurz hielt er inne und durchbohrte sie mit einem intensiven Blick. »Darius. Aber das weißt du schon. Und was die Farbe meiner Kleidung betrifft, mir hat niemand gesagt, dass es hier einen Dresscode gibt.«

Nun … Das erklärte es wohl. Gar nicht zu erklären war für Carmen hingegen, dass er sie gerade so ansah, als wolle er sie vernaschen! Sie hatte bei Gott nichts mit ihm vor, und außerdem war er über fünfzehn Jahre jünger als sie. Das war zwar kein Argument, aber es stimmte. Ungeachtet dessen hatte sie definitiv kein Interesse an einer Affäre. Und schon gar nicht an einer mit Darius Hall.

Was denke ich denn da?

Carmen wiederholte ihren eigenen Vornamen. »Nun, dann noch einmal ganz offiziell: Herzlich willkommen bei uns, Darius.«

»Danke. Da das nun geklärt ist«, Darius legte freundschaftlich einen Arm um ihre Schulter und geleitete sie nach draußen, »haben wir jetzt hoffentlich Zeit, übers Wesentliche zu sprechen.«

»Und das wäre?«

»Was eure Bar so hergibt, natürlich! Aber keine Sorge«, wieder blickte er Carmen tief in die Augen, was sie durchaus nicht kaltließ, denn zweifelsohne verfügte Darius über Sex-Appeal. Das lag einerseits an seinem durchtrainierten Körper und andererseits an seinem schelmischen und zugleich tiefgründigen Grinsen. Aber dann riss er sie aus ihren Gedanken. »Also, Carmen: Ich habe sicherheitshalber nicht nur kistenweise Champagner mitgebracht, sondern auch einen alten und exzellenten Single-Malt, wie auch einen hervorragenden Tequila. Wie du gesagt hast, jeder Gast muss sich selbst um seine kleinen Freuden kümmern, und daher habe ich vorgesorgt.«

Nach ein paar tiefen Atemzügen hatte Carmen sich wieder gesammelt. »Nun … Das wäre nicht nötig gewesen. Wir haben so manch guten Tropfen hier. Speziell unser Sherry, gereift in Soleras, wird dich begeistern.«

»Das werden wir testen. Wi-Fi gibt es nur im Café, hat Cornelius behauptet?«

»Ja, das stimmt. Wir wollen doch, dass unsere Gäste aktiv am Dorfleben teilnehmen.« Oder auch nicht, dachte Carmen.

»Kein Problem. Wir haben unsere eigene Verbindung in die große weite Welt.«

»Klar.«

Auf dem Dorfplatz sah sie sich kurz um. Carlos war wohl wieder losgegangen, sicher, um Cornelius, den zweiten Bodyguard sowie eine weitere Assistentin, die alle ebenfalls angekündigt waren, und das Gepäck zu holen. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als Darius selbst die paar Meter hinüber zum Café zu begleiten und sicherzustellen, dass er irgendein Getränk bekam, das ihn glücklich machte. Sie hoffte inbrünstig, sich anschließend in ihr eigenes Haus zurückziehen zu können. Sie brauchte dringend eine Pause.

Vor dem Sitzgarten des Kaffeehauses, das auch die Tagesbar betrieb, blieb Darius stehen und sah sich um. Natürlich fiel er auf. Schon allein deshalb, weil er schwarze Jeans und ein ebenso schwarzes T-Shirt zu schwarzen Sneakers trug. Und natürlich kannte ihn jede und jeder, der hier saß oder an ihnen gerade vorbeischlenderte.

Jaja, der Teufel ist gelandet, dachte Carmen fast ein wenig amüsiert.

Sie beobachtete, wie sich ihnen im Café einer nach dem anderen zuwandte und erstaunt verstummte.

Doch Darius passierte das nicht das erste Mal in seinem Leben. Auch wenn er im Grunde verschlossen war, so viel soziale Kompetenz hatte er mittlerweile erworben, dass diese Situation ein Klacks für ihn war.

Lässig hob er die Hand und begrüßte die Gäste. »Hola, alle zusammen!« Er fuhr in Deutsch fort, da er dachte, die Mehrheit der Anwesenden würde ohnehin aus Österreich oder Deutschland kommen. »Ja, ich bin Darius Hall, aber nein, ich nehme keine Reklamationen zu Handys, Computern oder sonstigen meiner Geräte entgegen, da ich, wie ihr alle, hier im Urlaub bin. Bitte auch keine Fotos, solange ich nicht eines dieser weißen Outfits trage.« Er grinste in die Runde. »Wir wollen doch das perfekte Bild von El Sueño nicht mit schnöden schwarzen Jeans und T-Shirts zerstören!«

Die Gäste lachten entspannt und laut auf. Einige unter ihnen waren selbst Firmenbosse, aber keiner auch nur annähernd so reich und berühmt wie Darius Hall.

Eine der jüngeren Frauen, Miriam, es war die Blonde, die noch immer die Beine kess über die Armlehne baumeln ließ, meinte keck: »Auch nicht zu deinem Haarföhn? Ich habe ihn mit, aber er funktioniert plötzlich nicht mehr!«

Noch während sie gesprochen hatte, scannte Darius die schlanke Frau. Genau sein Beuteschema. Er stand auf langes blondes Haar und noch längere Beine. Und sie hatte das richtige Alter. Doch er mochte es nicht, wenn Frauen sich ihm zu Füßen warfen. So wie diese jetzt. Sie beugte sich vor. Gerade so weit, dass ihre Brüste beinahe ganz zu sehen waren. Implantate, notierte er innerlich. Aber gut gemacht.

»Das kann nicht sein, vielleicht hast du vergessen, ihn einzustecken?« Immerhin war sie blond. »So ein Föhn lebt von Strom.«

»Sehr witzig!«, erwiderte Miriam, und Mariella, die neben ihr saß, fauchte ihn an. »Das ist ja so was von Macho!«

»Tja, das habe ich schon des Öfteren gehört. Doch ich gebe zu: Ich bin eindeutig besser im Bauen von Computern und Handys als von Haarföhns. Sorry, Ladys, das war leider nur ein Spaßprojekt von mir. So wie die Seifenblasenpistole. Habt ihr beiden die vielleicht auch gekauft?«

Beinahe erschrocken von seinem süffisanten Tonfall wich Miriam zurück und fuhr sich durchs Haar. »Nein. Ich habe ja nicht einmal gewusst, dass du so etwas entwickelt hast.«

Ihm gefiel der verbale Schlagabtausch. »Das ist dann eine Wissenslücke. Ich nehme an, ihr habt auch noch nie etwas von meinem neuen Vibrator gehört? In Gold selbstverständlich.« Darius musste sich beherrschen, um ernst zu bleiben. Natürlich gab es das Ding nicht.

Kurz blieb einigen die Luft weg. Am schnellsten sammelte sich Mariella und keifte ihn an: »Meine Güte nein. Ich habe nicht einmal ein Telefon von dir, und dabei bleibt es auch! Du bist doch nur auf unsere Daten aus! Vermutlich auch vom Sex. Du solltest dich schämen!«

Das ging für Miriam zu weit. »Mariella!« Sie zog ihre Beine von der Lehne und rückte etwas zur Seite. Mariella war nur eine Urlaubsbekanntschaft hier aus dem Dorf. Von ihr würde sie sich ein eventuelles Date mit einem Milliardär ganz bestimmt nicht ruinieren lassen. »Also, meine Daten kannst du gerne haben, verwende sie halt nicht für etwas Verbotenes«, raunte sie ihm mit einem Augenzwinkern zu.

Er fand es lustig. Sie bemühte sich, das war ja wenigstens etwas. »Ich mache nur Verbotenes. Oder denkst du, man wird mit ehrlicher Arbeit reich?«

Ein Seitenhieb auf diese andere Frau, die sich sogar weggedreht hatte.

Carmen war diese Diskussion unangenehm, und deshalb schlug sie vor: »Wir sollten uns da hinten an den Tisch setzen.«

»Machen wir«, erwiderte Darius, wandte sich aber ein weiteres Mal den beiden Frauen zu: »Wie gesagt, Beschwerden bitte per Kontaktformular an Hall Industries.«

Dann sah er zu Carmen. »Ich denke, wir nehmen den Tisch gleich neben der Bar.« Zu ihrer Überraschung verabschiedete er sich bei den Frauen formvollendet. »Ich wünsche euch noch einen schönen Nachmittag und freue mich bereits auf das nächste Gespräch.«

»Ich mich auch«, erwiderte Miriam und schickte ihm ihren aufreizenden Blick, der bei allen Männern funktionierte. Mariella reagierte gar nicht. Sie hasste ihn.

Carmen musterte Darius von der Seite. Sie wurde nicht recht schlau aus ihm, daher kommentierte sie mit einer Geste bloß seine Wahl des Tisches. »Ein perfekter Platz.«

Ihr persönlich war es völlig egal, wo er saß. Hauptsache, sie würde bald von hier wegkommen. Sie hatte ohnehin noch genügend zu erledigen, und geschlafen hatte sie auch nicht allzu viel.

Wie so oft hatte sie die ganze Nacht lang Beziehungsprobleme mit Beatrice gewälzt. Diese Frau hasste Victor, aber alle seiner Trennungsversuche und selbst ihre eigenen waren gescheitert. Die beiden verhielten sich wie zwei Magneten, die einander immer wieder anzogen, nur damit dann einer aus heiterem Himmel den Pol wechselte. Und schon begann das Drama erneut.

Enervierend. Aus vielerlei Gründen. Um nicht zu sagen, es kostete Carmen mehr Kraft als die beiden, was keiner von ihnen wissen konnte. Ihr Geheimnis war auch die Ursache dafür, dass Carmen ihrer Freundin bloß noch zuhörte, aber schon seit Jahren keine Ratschläge mehr gab. Das war Beatrice nie aufgefallen, und so sollte es aus Carmens Sicht auch bleiben.

Doch dann schob sie diese Gedanken zur Seite und ermahnte sich selbst, dass es ja ihr eigenes Credo an die Crew war, alle Gäste wie Königinnen und Könige zu behandeln. Egal, wie schwierig sie waren. Und einige machten es ihnen mit all ihren Ansprüchen bei Gott nicht einfach. So gesehen war Darius zwar von sich selbst überzeugt, aber bislang noch weit weg von schwierig.

Wir hätten dabei bleiben sollen, die Häuser nur für uns selbst herzurichten! Dummerweise war alles anders gelaufen als geplant. Sie hatten immer mehr Ideen für den Ort entwickelt, wollten auch unbedingt die Menschen aus der Umgebung miteinbeziehen und ihnen Arbeit geben, und nun waren sie hier angelangt. El Sueño war quasi viral gegangen, und jetzt musste sie damit leben.

Während sie sich setzten und Carmen wohlwollend zur Kenntnis nahm, dass Darius ihr sogar den Stuhl zurechtgerückt hatte, sah sie aus den Augenwinkeln Lori, die soeben auf das Café zukam. Carmen schmunzelte. Das weiße Hängekleid mit den trapezförmigen Taschen und dem V-Ausschnitt stand ihr wahnsinnig gut.

»Es gibt außer dir und deinen Leuten heute noch einen weiteren neuen Gast, Darius. Du hast doch nichts dagegen, wenn wir gemeinsam einen kleinen Willkommensdrink nehmen?«

»Solange der Gast nicht hundert Jahre alt und männlich ist, nicht. Nein.«

Carmen nickte, sprang auf und ging Lori entgegen.

Die bemerkte sie sofort. Mit ihrem knöchellangen Leinenkleid mit dem raffinierten Schnitt und der dicken Halskette aus verschieden großen Holzringen war Carmen auch schwer zu übersehen.

»Carmen!«

»Schön, dass du dich schon frisch gemacht hast. Toll schaust du aus, Lori. Komm, setz dich zu uns. Wir nehmen einen kleinen Drink, und der Begrüßungsbrunch wird auch gleich serviert.«

»Gerne.«

Lori fühlte sich aber keineswegs toll. Ganz im Gegenteil. Eher verloren. Alle Gäste, die sie auf dem Weg getroffen hatte oder die an den Tischen saßen – es waren eindeutig mehr geworden –, schienen mit dem Partner oder der Partnerin hier zu sein. Wenigstens aber mit einer Freundin. Sie nicht.

Ihre beste Freundin Clara war nicht mitgekommen, obwohl sie es ihr vorgeschlagen hatte. Aber Lori hatte die Entscheidung verstanden. Vier Wochen in diesem Dorf zu verbringen war nichts für Clara, die mehr Action im Urlaub brauchte. Da schob sie lieber Dienst im Krankenhaus. Außerdem hatten sie sich in den letzten Jahren etwas voneinander entfernt. Zwar unbewusst, aber es war dennoch ein großer Fehler, wie Lori vor einigen Wochen aufgegangen war. Seit diesem Aha-Moment bemühte sie sich sehr um diese Freundschaft. Deshalb hatte sie Clara auch sofort ein Selfie aus dem Appartement geschickt und ihr geschrieben, dass es schön gewesen wäre, es mit ihr zu teilen. Zum Glück war Clara easy und im Grunde war alles mit ihr auf Kurs, seit sie sich selbst wieder mehr einbrachte. Das brachte Lori zum Lächeln.

Und ihr fiel auf, dass dieses weiße Kleid auf jeden Fall etwas Gutes hatte. Es fühlte sich definitiv anders als ihre Krankenhauskluft an. Irgendwie nach Urlaub. Leichter. Sommerlich und fast ein wenig unbeschwert. Und dieses Gefühl genoss Lori im Moment, wie auch die fröhlichen und gebräunten Gesichter der Gäste im Café. Ja, sie war allein hier, aber sie könnte ja nette Menschen kennenlernen, was kein Problem zu sein schien, denn alle wirkten hier recht offen und manche quatschten sogar über die Tische hinweg miteinander.

»Komm mit, Lori, wir sitzen da drüben.«

»Gerne«, erwiderte sie sofort und folgte Carmen an einen Tisch weiter hinten, der etwas versteckt neben der Outdoor-Bar und den riesigen Sonnenschirmen stand.

Dann sah sie ihn.

Das darf jetzt aber nicht wahr sein!

Darius Hall? Hier?

Abrupt setzte ihr Herz kurz aus, nur um dann doppelt so schnell weiter zu schlagen. Diese Augen! Und sein Gesicht erst. Er könnte die Hauptrolle in einem Film spielen.

Er war der Einzige, der Jeans und ein dunkles T-Shirt trug. Das schwarze T-Shirt spannte sich über seine trainierten Oberarme. Meine Güte, dachte Lori. Was ist denn mit mir los?

Da der Platz neben ihr frei war, schlug sie sofort eine Planänderung vor. »Carmen, ich will euch nicht stören und nehme den Tisch gleich hier.«

Doch Carmen schüttelte den Kopf. »Sicher nicht, Lori. Du störst doch nicht, ganz im Gegenteil.«

Aber Darius störte Lori.

Seine Augen waren direkt auf sie gerichtet, und in natura sah er nicht nur noch besser aus als auf den Fotos, sondern brachte sie aus dem Gleichgewicht, das sie gerade erst gefunden hatte. Nicht einmal bei Martin hatte sie solches Herzklopfen gehabt, als sie ihn zum ersten Mal bei Freunden getroffen hatte.

Kein Wunder, dass Lori ihre Augen nicht auf der Handtasche hatte, die am Boden neben einem der Flechtsessel stand, und deshalb über deren Träger stolperte.

»Nein!«, schrie sie, während Darius bereits aufsprang.

Im Fallen griff Lori nach der Lehne, kippte den weißen Sessel dabei aber erst recht um. Da er jedoch teilweise unter die Tischplatte geschoben war, hob er ihn ein Stück hoch, bevor er nach hinten purzelte und Lori beinahe mit ihm.

Die kleine Vase mit den Rosen glitt vom Tisch und fiel auf den Stuhl daneben, aber wenigstens zerbrach sie nicht, und Lori gelang es, sich in der letzten Sekunde irgendwie am Sessel dahinter anzuhalten und damit wieder zu fangen. Ein Wunder bei ihren hohen Sandalen.

»Das ist ja mal ein Auftritt«, bemerkte Darius amüsiert, der sie am Arm zu fassen bekommen hatte, wenn auch einen Augenblick zu spät. Wäre sie gefallen, hätte er sie nicht mehr auffangen können.

So aber hielt er ihren Arm fest und half ihr in die Senkrechte.

Lori war das alles mehr als peinlich. Sie schüttelte den Schreck ab. »Entschuldigung! Ich habe diese Tasche übersehen.«

Wer war auch so dämlich und stellte seine Handtasche neben einem unbesetzten Tisch ab?

Carmen hob die Vase auf und steckte die zu Boden gefallenen Rosen wieder hinein. »Nicht einmal kaputtgegangen.« Das bisschen Wasser, das durch das weiße Geflecht auf den Steinboden rann, würde im Nu wieder auftrocknen. »Sorry, Lori! Das war meine Handtasche.«

»Schon okay, ist ja nichts passiert«, erwiderte Lori sofort, doch am liebsten hätte sie kurz mal laut geschimpft. Stattdessen trat sie einen Schritt nach hinten, weshalb Darius sie wieder losließ.

Vielleicht war doch etwas geschehen, denn Darius musste sich selbst einen Augenblick lang sammeln. Wenn das seine Gesellschaft für den Nachmittag war, dann würde er wohl hier sitzenbleiben, da diese zarte Person etwas an sich hatte, das ihn interessierte.

Beinahe förmlich meinte er: »Ich schlage vor, du setzt dich lieber. Ich bin übrigens Darius.«

Als ob sie das nicht längst wüsste!

Dann sah er auf ihr Armband. »Lorena ist ein seltener Name.«

Lori spürte, dass die Gäste sie nach wie vor verstohlen beobachteten, was ihr äußerst unangenehm war. Sie war schon immer lieber im Hintergrund geblieben. Jetzt aber gab es kein Entrinnen. Alle sahen ihr dabei zu, wie sie ihr Kleid glatt strich und sich in den Flechtsessel setzte, den er ihr anbot.

Nach einem tiefen Atemzug fühlte sie sich besser. »Danke. Freut mich ebenfalls, dich kennenzulernen.«

Nun nahmen auch Darius und Carmen wieder Platz. Um irgendetwas zu sagen, fragte er: »Woher kommt dein Name?«

Wie aus der Pistole geschossen, beantwortete sie die Frage mit: »Nun ja, der Plan meiner Eltern war, dass ich ein Lorenz werde. Ist ihnen aber nicht geglückt, und nach mir haben sie aufgegeben.« Kurz entwich Lori ein seltsamer Lacher. »Insofern haben sie sich bei meiner Namensgebung nicht sonderlich angestrengt. Lorena finde ich jetzt persönlich nicht so prickelnd. Aber sie haben es verabsäumt, mir einen zweiten Vornamen zu geben, auf den ich ausweichen könnte.« Sie kicherte ein weiteres Mal unnatürlich laut. »Der Name stammt übrigens vom lateinischen Wort für Lorbeerkranz ab, laurus, und bedeutet sozusagen Siegerin. Wie man gesehen hat, sehr unpassend für mich.«

Litt sie spontan an Sprechdurchfall?

Wieso um alles in der Welt erzählte sie ihm das? Und was war daran so lustig? Sie grinste noch immer. Ziemlich dämlich, wie Lori annahm. Daher verging ihr das Lachen.

»Also, ich finde den Namen toll«, erwiderte Darius, dem nicht entgangen war, wie nervös die hübsche Frau auf ihn reagierte. Aber auch er musste schnellstens wieder zu sich zurückfinden. So etwas Lahmes sagte er ja sonst nicht.

Darius gestand sich ein, dass er nicht nur ihren Namen außergewöhnlich fand.

Ihre wilden, kupfrig glänzenden Locken fielen ihr zu beiden Seiten des Mittelscheitels ins Gesicht und passten perfekt zu ihren aufsässigen Lippen und den grünen Augen. Sie hatte keine dieser künstlichen Stupsnasen, sondern einfach die perfekte Nase. Weder zu lang noch zu breit und ohne jeden Höcker.

Blond wäre ihm lieber, aber sie könnte ihr Haar ja umfärben. Sollte sie, denn was er sah, war geradezu perfekt. Inklusive ihrer Figur und der Größe ihres Busens. In Blond wäre sie der Jackpot.

Ihm fiel auf, dass er so einiges an ihr perfekt gefunden hatte. Aber etwas störte ihn.

Was ihm gar nicht gefiel, war Loris Blick. Es war zwar klar und intelligent, aber gleichzeitig auch traurig und fast ein wenig abwesend. Siegerinnen sahen anders aus, doch an dem kleinen Missgeschick von vorhin konnte das nicht liegen. Es wirkte eher, als hätte diese schöne Frau gar keinen Spaß im Leben. Schade für sie. Und eventuell auch für ihn selbst.

Daher nahm er sich vor, sie dazu zu bringen, von Herzen zu lächeln. Das sollte ihm doch gelingen.

»Danke. Darius ist auch nicht ganz alltäglich«, meinte Lori, die ihm gegenüber saß, was sie gut fand, denn der Tisch zwischen ihnen war wie eine Sicherheitsbarriere.

Er hob den Blick. Wo waren sie gerade? Ach ja, bei ihren Vornamen. »Stimmt, denn das Hobby meiner Mutter war Archäologie. Darius bedeutet das Gute besitzend und war der Name einiger Könige des altpersischen Reiches der Achämeniden. Letzteres hat meine Mutter wohl überzeugt.«

»Weil du persisch ausgesehen hast?«, fragte Lori etwas naiv nach.

»Nein, weil ich den Namen eines Königs erhalten sollte, natürlich.«

Carmen schüttelte unbemerkt den Kopf. Seine Selbstherrlichkeit war auf jeden Fall von königlicher Statur.

Lori wusste nicht genau, wie sie darauf reagieren sollte, und zu ihrer eigenen Überraschung versuchte sie es mit einem Scherz. »Das hat sie dir sicher nur später erzählt, in Wahrheit hast du wahrscheinlich gleich nach der Geburt alt ausgesehen, und das ist der Grund für ihre Namenswahl gewesen.«

Grinsend konterte er: »Könnte sein. Ich war meiner Zeit schon immer voraus.«

»Klar. Was sonst?« Lori fühlte sich rundum unwohl.

Warum hake ich nach, wenn es mich sowieso nicht interessiert? Wieso hab ich mich nicht einfach an den anderen Tisch gesetzt? Das ist ja wie Folter. Wie mit Martin!

»Wie recht du hast. Und was machst du beruflich?«

Diese Frage musste ja kommen! »Nichts, was die Welt verändert, so wie du.«

»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Doch, denn das ist alles, was du wissen musst, und vermutlich alles, das dich interessiert.

---ENDE DER LESEPROBE---