Wo aller Hass endet - U.H. Wilken - E-Book

Wo aller Hass endet E-Book

U. H. Wilken

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Beschreibung

U. H. Wilken war einer der ganz großen Autoren, die den Western prägten und entscheidend zum Erfolg dieses Genres beitrugen. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. U. H. Wilken ist zugleich einer der bestinformierten Autoren und kennt sich genau in der Historie des Wilden Westens aus. Was er schreibt, lässt sich hautnah belegen. Ein Meister seines Fachs, der mit Leidenschaft und Herzblut die großen Geschichten nachzeichnet, die sich in der Gründerzeit ereigneten. Windböen orgelten um die Häuser. Staub wirbelte die Straße hinauf. Zuckende Lichtbahnen fielen über die Gehsteige und auf die nächtliche Straße. Vor dem Saloon lehnte ein Mann mit hochgeschlagenem Kragen am Vordachpfosten und kaute auf einem Zigarillo. Gedämpft kamen die Stimmen aus dem Saloon. Plötzlich tauchte im wallenden Staub ein Reiter auf. Langsam ritt er dicht an den Häusern entlang. Der Mann vor dem Saloon warf das Zigarillo auf den Plankenweg; die Glut wirbelte zur Straße davon. Ohne Eile ging er in den Saloon, umschritt die besetzten Tische und beugte sich über einen jungen schwarzhaarigen Mann, der mit anderen pokerte. »Lance, das Halbblut kommt ...!« Der junge Davis atmete tief ein. In den Augen flackerte es auf. Er warf einen schnellen Blick in die Runde der Spieler. »Geh zur Theke, Sid«, raunte er. »Der Schweinehund darf uns nicht entkommen ...« Sid Brown lächelte eingefroren und nickte lässig. Er wandte sich ab und ging zur Theke, lehnte sich dort an und starrte in den Spiegel, in dem er den verräucherten Raum und die Tür sehen konnte. Draußen lenkte das Halbblut Shinto sein Pferd an die Haltestange, wo schon viele Sattelpferde standen und dem wirbelnden Staub ausgesetzt waren. Er glitt vom Pferd, schlang die Zügelenden um die Stange und näherte sich der Schwingtür.

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U.H. Wilken – 6 –

Wo aller Hass endet

U.H. Wilken

Windböen orgelten um die Häuser. Staub wirbelte die Straße hinauf. Zuckende Lichtbahnen fielen über die Gehsteige und auf die nächtliche Straße. Vor dem Saloon lehnte ein Mann mit hochgeschlagenem Kragen am Vordachpfosten und kaute auf einem Zigarillo. Gedämpft kamen die Stimmen aus dem Saloon.

Plötzlich tauchte im wallenden Staub ein Reiter auf. Langsam ritt er dicht an den Häusern entlang.

Der Mann vor dem Saloon warf das Zigarillo auf den Plankenweg; die Glut wirbelte zur Straße davon. Ohne Eile ging er in den Saloon, umschritt die besetzten Tische und beugte sich über einen jungen schwarzhaarigen Mann, der mit anderen pokerte.

»Lance, das Halbblut kommt ...!«

Der junge Davis atmete tief ein. In den Augen flackerte es auf. Er warf einen schnellen Blick in die Runde der Spieler.

»Geh zur Theke, Sid«, raunte er. »Der Schweinehund darf uns nicht entkommen ...«

Sid Brown lächelte eingefroren und nickte lässig. Er wandte sich ab und ging zur Theke, lehnte sich dort an und starrte in den Spiegel, in dem er den verräucherten Raum und die Tür sehen konnte.

Draußen lenkte das Halbblut Shinto sein Pferd an die Haltestange, wo schon viele Sattelpferde standen und dem wirbelnden Staub ausgesetzt waren. Er glitt vom Pferd, schlang die Zügelenden um die Stange und näherte sich der Schwingtür.

Rauhes Lachen schallte ihm entgegen. Er sah die Rauchschwaden, die durch die Tür kamen und vom Wind zerfetzt wurden, und er erblickte im trüben Lichtschein der flackernden Petroleumlampen und Talglichter die verschwitzten, bärtigen und bewaffneten Männer.

Reglos verharrte er an der Tür. Das Licht traf sein dunkles, etwas knochiges Gesicht, das ganz deutlich verriet, dass er ein Halbblut war – der Sohn eines weißen Mannes und einer Indianerin vom Stamm der Cheyenne. In seinen dunklen Augen war ein weicher Glanz; staunend blickte er in den Raum, in dem so viele Menschen waren ...

Doch je länger er hineinblickte, umso unruhiger wurde er. Diese Stadt war ihm fremd; nur ein paarmal war er hier gewesen. Seine Welt waren die Berge und Täler, die unberührten Pfade der Wildnis. Er traute sich nicht hinein.

Langsam wich er aus der Lichtbahn und blieb im Schatten des Vordaches stehen. Die Mähnen der Pferde flatterten im Wind, und drüben schlug eine Luke. Bleiches Mondlicht fiel sekundenlang auf die Dächer der Häuser, dann war der Himmel wieder wolkenverhangen.

Sid Brown drückte sich von der Theke ab. Er schob den Stetson aufs blonde Haar und durchquerte den Raum. An der Schwingtür blieb er stehen und starrte hinaus.

Shinto war weitergegangen.

Drüben am Tisch legte Lance Davis die Karten nieder und sagte irgendetwas zu den Spielern. Sie begehrten nicht auf, als er ihren Tisch verließ.

Brown sah ihn kommen und ging hinaus. Schon kam der Rancherssohn ins Freie. Beide blieben dicht an der Hauswand stehen.

»Da geht er!« raunte Sid Brown. »Er sieht sich alles an wie ein Kind, das noch niemals eine Stadt gesehen hat.«

Hass zerriss Lance Davis’ Gesicht. Er legte die Hand auf den Arm des Freundes und sagte mit spröder Stimme: »Dieser Bastard muss sterben, Sid! Sein Alter und dieses Indianerweib haben sich irgendwo in den Bergen eingenistet. Sie holen uns immer wieder Rinder weg. Der Hundesohn ist bestimmt auf eigene Faust in die Stadt gekommen. Der Alte weiß doch genau, wie gefährlich das für seinen Sohn ist ...«

Sid Brown betrachtete forschend das schweißglänzende Gesicht des Freundes.

»Dir geht es gar nicht um die paar Rinder, Lance. Du hasst ihn einfach, weil er anders ist.«

»Halt deine Klappe, Sid!« fuhr Lance Davis auf. »Ich leg’ ihn um! Dann wird sein Alter endlich aus den Bergen kommen. Er muss über unser Land, wenn er zur Stadt will – und dann schieß’ ich ihn aus dem Sattel!«

Brown deutete zum erleuchteten Marshals Office hinüber.

»Nicht hier, Lance ...«

Der junge Davis grinste zynisch und nickte.

»Komm!«

Sie verließen den Gehsteig, stapften durch den treibenden Staub und saßen auf, zogen die Pferde herum und ritten aus der Stadt. Dort, wo der letzte Hof endete, wo eine halb zerfallene Hütte stand, zügelten sie die Pferde und starrten lauernd zum Saloon zurück.

Der Tod wartete auf Shinto!

Ahnungslos schritt das Halbblut über den Gehsteig und kehrte schließlich um. Der junge Mann hatte auf einmal Sehnsucht nach den Bergen seines Vaters. Schnell ging er zurück und zog sich auf sein Pferd. Schon ritt er an, durch die Lichtbahn und aus der Stadt.

Er sah nicht die beiden Reiter, die ihn vorbeiziehen ließen. Vor ihm dehnte sich das wellige Grasland aus. Er trieb das Pferd durch die Mulden und über die Bodenwellen und beugte sich weit nach vorn. Der Wind kam ihm entgegen, heulte über die Ebene und brachte Sand und Staub heran.

Dumpfer Hufschlag folgte ihm, doch er hörte ihn nicht; zu heftig orgelte der Wind. Abgestorbene Sträucher kamen ihm entgegengesprungen. Über ihm war der dunkle Himmel ohne Sterne. Er starrte voraus, aber er konnte die Bergzüge nicht erkennen.

Urplötzlich tauchte rechts und links von ihm ein Reiter auf. Er riss unwillkürlich am Zügel und verhielt. Sie drängten an ihn heran. Zu spät erkannte er das Unheil. Ihre Gesichter verrieten alles ...

»Da ist ja der Bastard!« höhnte Lance Davis. »Erkennst du ihn nicht, Sid?«

»Sicher«, grinste Sid Brown, »das ist der Hundesohn aus den Bergen. Er stinkt ganz mächtig – wie eine Ratte, sag’ ich dir.«

»Yeah – und Ratten soll man totschlagen!« fauchte der junge Davis. »Mein Alter hat alle Indianer ausgerottet. Er ist ein halber Indianer, aber wir wollen nicht so kleinlich sein, wie?«

Shinto kauerte im Sattel. In den dunklen Augen glühte es auf.

Arbeit und Jagd in den einsamen Bergen hatten seine Muskeln gestählt. Er würde niemals aufgeben. Zur Waffe greifen konnte er nicht; der Colt befand sich unter der langen Felljacke.

»Ich hab’ ihn ganz selten in der Stadt gesehen«, kläffte Lance Davis durch das Wimmern des Windes. »Er muss doch auch mal ein Mädchen haben. Nicht nur dreckige Indianerweiber, was, Sid?« Er lachte gehässig und schmutzig auf und spannte den Hahn des Colts. »Sag uns doch mal, wie das ist, Bastard! Mein Freund und ich haben genug Weiber – aber du?«

Sie steigerten sich in den unseligen Rausch des Hasses hinein. Sie fieberten im Gefühl ihrer Macht über sein Leben. Er hatte ihnen nichts getan, doch er war ein Halbblut aus den Bergen, nicht Cowboy, nicht Trapper, Händler oder Spieler. Im Unterbewusstsein spürten sie, dass er besser war als sie, dass er die wahre Freiheit hatte. Doch nüchtern konnten sie es nicht begreifen. Er war eben anders, und alles andere mussten sie hassen.

»Lasst mich weiterreiten«, sagte Shinto; es klang nicht nach einer Bitte. Er war stolz auf seine Herkunft.

Lance Davis stierte ihn an, als könne er nicht begreifen.

»Du willst weiter, Bastard? Wohin denn?«

»In die Hölle!« lachte Sid Brown auf. »Wohin denn sonst, Lance?«

In dieser Sekunde warf Shinto sich vom Pferd und prallte gegen Sid Brown. Der Stoß war so hart, dass Brown aus dem Sattel stürzte. Beide fielen zu Boden. Schon wollte Shinto sich auf Browns Pferd werfen, um davonzureiten – da schoss Lance Davis mit einem heiseren Aufschrei. Die Kugel durchdrang die schwere Felljacke und schlug in Shintos Körper ein. Er kippte nach hinten weg und sackte in das harte, trockene Gras. Riesengroß erschien ihm Lance Davis’ Pferd. Er sah das verwüstete Gesicht des Rancherssohnes und die grelle Stichflamme, die aus dem langen Lauf des Coltrevolvers schlug. Wieder traf es ihn. Die Kugel schien ihn am Boden festzunageln. Er erschlaffte, lag mit ausgebreiteten Armen im Gras und rührte sich nicht mehr ...

Ohne Echo waren die Schüsse auf der stürmischen Ebene verhallt. Sand wirbelte heran und über Shinto hinweg.

Sid Brown stand gebeugt in der weiten Senke und stierte auf das Halbblut.

»Du hast ihn erschossen, Lance«, krächzte er ernüchtert, kniff die Augen zusammen und blickte zu Lance Davis empor. »Das wollten wir doch nicht ...«

»Du Narr, was sagst du da?« fauchte Davis. »Natürlich wollten wir ihn umlegen, was denn sonst?« Er stieß die Hülsen aus der Trommel und lud den Colt nach. »Was ist denn los mit dir, he? Der Bastard ist tot! Nach dem schreit kein Mensch, nur dieses alte Tier in den Bergen und die dreckige Squaw. Der Flugsand wird alle Spuren verwischen. Los, steig auf, wir reiten zur Ranch.«

Brown straffte sich. Die Worte des Freundes beruhigten ihn. Er griff zum Zügel und schwang sich in den Sattel.

Der Hufschlag der Pferde verlor sich auf der Ebene. Tief trieben die Wolken über das Land. Klagend wieherte Shintos Pferd in den heulenden Wind hinein.

Shintos Hände zuckten. Er öffnete die Augen, bewegte sich. Sand fiel von seinem grauen Gesicht. Zitternd wälzte er sich auf die Seite. Die Felljacke war zweimal durchlöchert. Darunter war das Blut, sickerte durch das Hemd. Stöhnend richtete Shinto sich auf. Mit flatternden Händen suchte er das Pferd, umklammerte das Sattelhorn und stierte blicklos über die öde Ebene. Unter den Schmerzen krümmte er sich zusammen. Pfeifend atmete er ein und schob den Fuß in den Steigbügel. Das Pferd drehte sich zu ihm herum, und mit letzter Kraft zog er sich in den Sattel, kippte nach vorn und verlor das Bewusstsein.

Das Pferd wollte wohl nicht in den Sturm hineinlaufen. Langsam ging es durch die Senke und blieb zwischen den harten Sträuchern stehen. Aus der dunklen Nacht kamen mehrere Reiter hervor. Angetrunken jagten sie an der Senke vorbei und zur Davis-Ranch davon. Ihr Grölen erstickte im Sturm ... Sterbend hockte Shinto auf dem Pferd.

Er spürte nicht, wie das Pferd ihn aus der Senke trug – über das weite Land hinweg. Stimmen schienen im Sturm zu singen. Hohe Sträucher bogen sich und schüttelten heftig die Zweige. Ein fahler Lichtstreifen erschien am Himmel und breitete sich über den ganzen Horizont aus.

Der Morgen graute.

Grau schälten sich die Häuser aus dem Dunst hervor. Wimmernd erstarb der Wind. Sandwehen zogen sich über die Straße der Stadt. Knarrend glitt die Tür des Marshals Office auf.

Marshal McDonald trat aus dem Office hervor und streckte die Arme, machte auf dem Gehsteig ein paar Kniebeugen und gähnte schläfrig. Er war einer der wenigen Frühaufsteher. Seufzend rieb er sich die Augen, ging zurück und auf den Hinterhof. Dort tauchte er das Gesicht ins Wasser und trocknete es anschließend mit den Hemdsärmeln. Dann kochte er sich im Office Kaffee. Durch die geöffnete Tür strich die kühle Luft des frühen Morgens herein. Er warf Holz in den alten Röhrenofen und kippte gemahlenen Kaffee in das kochende Wasser. Wenig später goss er den heißen Kaffee in den Blechbecher und trank vorsichtig.

Draußen wieherte ein Pferd.

»Diese Besoffenen«, knurrte er, »die finden wieder nicht rechtzeitig nach Hause.«

Hufe stampften.

Er schlürfte geräuschvoll und ahnte nicht, dass draußen ein junger Mann im Sterben lag. »Hoffentlich ist es heute ruhiger«, brummte er. »Ich will mir auch mal einen brennen. Dieser Dienst macht mich noch zum Wassersäufer.«

Wieder wieherte das Pferd durch die Stille des Morgens. McDonald lauschte und setzte den Becher langsam ab. Murmelnd richtete er sich auf und stapfte vor die Tür, blickte die Straße hinauf und sah das Sattelpferd. Es stand in einer Einfahrt. Der Zügel führte straff nach unten, aber McDonald konnte nicht erkennen, wohin der Zügel führte. Das Pferd war offensichtlich mit dem Zügel an einem Stein festgebunden.

Er ging zurück, nahm einen Schluck Kaffee, verharrte nachdenklich und verließ schließlich das Office, folgte dem Gehsteig und näherte sich der Hofeinfahrt.

Plötzlich rannte er los, stürzte in die Einfahrt und kniete neben Shinto nieder. Das Halbblut hatte die Hand um den Zügel gekrallt. McDonald löste die verkrampfte Hand vom Zügel und holte den Wassersack vom Pferd. Er goss Shinto Wasser ins Gesicht und beugte sich wieder über ihn.

»Das ist doch der Junge vom alten Cannon«, flüsterte er dumpf. Behutsam öffnete er die schwere Felljacke. Sein Gesicht wurde grau. Er fuhr sich mit harter Hand übers Gesicht und schüttelte hoffnungslos den Kopf. »Shinto!« krächzte er. »Shinto! Welcher Dreckskerl hat auf dich geschossen, Junge? Hörst du, Shinto – ich muss es wissen! Du musst zu dir kommen, mein Junge! Du darfst noch nicht sterben! Mach mir keinen Ärger, Junge. Ich will mir diesen verfluchten Hund holen!«

Shinto rührte sich nicht. Sein Gesicht war eingefallen. Er war noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, doch sein Gesicht sah so alt aus!

Erschüttert blickte McDonald auf die Hemdbrust. Selbst ein Hosenbein war fleckig vom Blut.

McDonald sprang auf und schrie über die Straße: »Doc! Komm her, Doc! Sofort!«

Die Stimme hallte durch die Stadt. McDonald wollte loslaufen, als er sah, wie Shintos Augenlider zuckten. Sofort warf er sich wieder neben Shinto zu Boden.

»Shinto!« krächzte er. »Mein guter Junge, komm zu dir! Komm schon, gib nicht auf!«

Mit leeren Augen sah Shinto ihn an. Er war schon in einer anderen Welt. Er erkannte den Marshal nicht mehr. Die Lippen bewegten sich. Wie ein Hauch war seine Stimme.

»Dad ... Lance Davis ... und ...« Er schloss die Augen, flüsterte Worte, die McDonald nicht mehr verstehen konnte.

Über die Straße kam der Arzt gelaufen. Neben McDonald stellte er seine Tasche auf den Boden. Er umfasste sofort Shintos Handgelenk, hockte steif da und starrte in Shintos Gesicht.

»Was ist denn nun?« keuchte McDonald. »Sag doch was, Doc!«

Der Arzt ließ Shintos Handgelenk los, legte die Hand langsam in den Sand und schüttelte den Kopf.

»Der Junge ist tot, McDonald.«

Die Augen des Marshals flackerten. Er blickte auf Shinto und atmete schwer ein. Mühsam erhob er sich, als müsse er eine schwere Last hochstemmen.

»Er wurde erschossen, Doc – mit zwei Kugeln aus ziemlicher Nähe. Nur die dicke Felljacke hat ihn noch Stunden leben lassen. Ich frage dich, welcher Lump hat diesen Jungen so sehr gehasst, dass er ihn erschießen musste?«

Der Doc zog aus der Tasche eine Flasche Whisky und nahm einen Schluck. Dann reichte er die Flasche dem Marshal.

»Das ist deine Sache, nicht wahr? Du musst es herausfinden.«

McDonald trank, wischte den Mund ab und gab die Flasche zurück.

»Sorg dafür, dass der Junge aufgebahrt wird, Doc.«

Dann ging er langsam zum Office zurück. Mehrere Leute kamen ihm entgegengelaufen und rotteten sich um Shinto zusammen. Im Office angekommen, setzte McDonald sich und blickte gegen die Wand.

»Lance Davis«, murmelte er vor sich hin. »Ich muss dem Jungen glauben. Ein Sterbender lügt nicht ...«

Mit einem Ruck erhob er sich und nahm den breiten Waffengurt. Sein Gesicht war eine knochige Maske geworden. Er packte sein Gewehr, trank noch etwas Kaffee und ging dann nach hinten in den Stall.

Als er auf die Straße ritt, trugen Männer den jungen Shinto zur Sargtischlerei. Er sah noch einmal auf den Toten, und in seinem Gesicht zuckte es heftig. Hart trieb er das Pferd vorwärts und jagte aus der Stadt.

Die Sonne ging auf. In rauchiger Ferne lagen die Bergketten. Dort war das Reich des alten Cannon, doch McDonald nahm einen anderen Weg.

*

»Hallo, Marshal!«

Laut hallte die Stimme des Ranchers Davis durch die gewaltige Wohnhalle. Er hatte sich vor dem schweren Ledersessel aufgerichtet und blickte Marshal McDonald forschend entgegen.

McDonald kam mit rasselnden Sporen durch die Halle. Er sah das freundliche Lächeln auf Davis’ rauem, zerfurchtem Gesicht und die sehnigen, narbigen Hände, die nach der Flasche Whisky und zwei Gläsern griffen.

»Freut mich, Sie mal wieder hier zu sehen, McDonald. Haben meine Jungens Ärger in der Stadt gemacht – den Saloon zertrümmert?«

»Nein.« McDonald hatte die schwere Sitzgruppe erreicht. Hier im Haus war es angenehm kühl; draußen brütete die Hitze über den Tälern und Hügeln. »Ich muss mit Ihrem Sohn sprechen, Davis.«

»Mit Lance?« Davis kniff die buschigen Augenbrauen zusammen. »Was ist mit Lance?«

»Ich will nicht vorgreifen. Wo ist Ihr Sohn Lance?«

Davis zuckte die Schultern.

»Er ist nicht hier. Er muss arbeiten – draußen in den Tälern. Ich schenke ihm nichts, darauf können Sie sich verlassen, McDonald. Lance ist kein verwöhnter Sohn. Ich hab’ ihn an der Leine.«

McDonald nickte. Er war davon überzeugt, dass Lance Davis die Faust seines Vaters immer im Nacken hatte.

»Ich bin schon lange unterwegs«, murmelte er. »In welchem Tal kann ich ihn finden?«

Davis füllte die Gläser und überlegte. »Natürlich ist er einer Mannschaft zugeteilt, aber mein Vormann ist nicht auf der Ranch. Ich kann es Ihnen nicht sagen, McDonald. Vielleicht finden Sie ihn auf der Südweide. Dahin geht er am liebsten.«

Er reichte dem Marshal ein Glas, und sie tranken im Stehen. Davis’ Blick tastete McDonalds Gesicht ab.

»Es muss sehr wichtig sein ...«

»Yeah, ist es auch.«

»Ich bin sein Vater. Nun sagen Sie es doch schon!«

McDonald setzte das Glas zurück und lauschte. Im Obergeschoss hatte eine Tür geklappt. Leise Schritte kamen näher. Der Marshal bewegte den Unterkiefer und spannte sich. Wieder traf ihn der Blick des Ranchers. Davis’ Augen waren auf einmal ganz dunkel und kalt. Er wandte sich ab und stellte die Flasche hin. McDonald starrte zur Treppe empor.

Dort erschien Davis’ Tochter Patricia – siebzehn Jahre alt. Lang fiel das schwarze Haar auf ihre Schultern. Sie blieb am Geländer stehen und nickte McDonald flüchtig zu.

Der Marshal entspannte sich und lächelte wie zur Entschuldigung.

»Pat«, fragte Davis, »hast du vielleicht gesehen, wohin dein Bruder geritten ist?«

»Nein, Dad«, sagte sie. »Ich hörte eure Stimmen. Sucht der Marshal Lance?«

»Er will mit ihm reden. Geh nur.«

Sie nickte und schritt oben entlang. Wieder klappte eine Tür, dann war es still.

»Mann, nun sagen Sie es doch schon!« knurrte Davis. »Was ist denn los, zum Teufel?«

Schweißperlen standen auf McDonalds Gesicht. Ernst blickte er den Rancher an.

Schwer fielen seine Worte in die Stille: »Ich habe keinen Zweifel daran, dass Ihr Sohn Lance den Jungen des alten Cannon auf der Ebene erschossen hat, Davis!«

Davis erstarrte. Gepresst klang sein Lachen auf. »Das ist doch Wahnsinn, McDonald! Wann soll denn das gewesen sein? «