Zorn des Geliebten - J. R. Ward - E-Book

Zorn des Geliebten E-Book

J. R. Ward

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der attraktive Peyton hat alles, was sich ein Vampir nur wünschen kann: Er stammt aus einer der ältesten Adelsfamilien des Landes, er ist reich und die Frauen liegen ihm zu Füßen. Bis auf eine: Novo. Die ebenso schöne wie toughe Vampirin wird zusammen mit Peyton von den BLACK DAGGER für den Kampf gegen die Feinde der Bruderschaft ausgebildet. Sie hat den Körper einer Göttin und das Herz einer Kriegerin – und für einen verwöhnten Schnösel wie Peyton hat sie so gar nichts übrig. Doch Peyton ist ihr bereits mit Haut und Haaren verfallen, und zum ersten Mal in seinem Leben muss er um die Liebe einer Frau kämpfen ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 593

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Peyton, Sohn des Peythone, hat alles, was sich ein Vampir nur wünschen kann: Er stammt aus einer ebenso angesehenen wie reichen Adelsfamilie, er sieht unverschämt gut aus und die Frauen liegen ihm reihenweise zu Füßen. Bis auf eine: Novo, die schöne Vampirin, die zusammen mit Peyton von der Bruderschaft der BLACK DAGGER für den Kampf gegen die Lesser ausgebildet wird. Sie hat den Körper einer Göttin und das Herz einer Kriegerin – und für einen verwöhnten Schnösel wie Peyton hat sie eigentlich gar nichts übrig. Trotzdem beginnen die beiden so ungleichen Vampire eine stürmische Affäre miteinander – nur Sex, keine Gefühle, wie sie einander immer wieder versichern. Als Novo im Einsatz gegen die Feinde der Bruderschaft schwer verletzt wird, merkt Peyton, dass er der Vampirin bereits mit Haut und Haaren verfallen ist. Doch Novo vertraut ihm nicht, und zum ersten Mal in seinem Leben muss Peyton um etwas kämpfen: die Liebe seiner Traumfrau …

Die Autorin

J. R. Ward begann bereits während des Studiums mit dem Schreiben. Nach dem Hochschulabschluss veröffentlichte sie die BLACK DAGGER-Serie, die in kürzester Zeit die internationalen Bestsellerlisten eroberte. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Kentucky und gilt seit dem überragenden Erfolg der Serie als Star der romantischen Mystery.

Mehr über Autorin und Werk erfahren Sie auf:

www.jrward.com

Ein ausführliches Werkverzeichnis der im Heyne Verlag erschienen Bücher finden Sie am Ende des Bandes.

www.twitter.com/HeyneFantasySF

@HeyneFantasySF

www.heyne.de

J. R. Ward

ZORN DES GELIEBTEN

Roman

Wilhelm Heyne Verlag

München

Titel der amerikanischen Originalausgabe

BLOODFURY – BLACKDAGGERLEGACY

Deutsche Übersetzung von Corinna Vierkant und Julia Walther

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Redaktion: Bettina Spangler

Copyright © 2018 by Love Conquers All, Inc.

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Animagic GmbH, Bielefeld

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-22170-6V004

www.heyne.de

Für den Kleinen, in Liebe.

Danksagung

Ein riesengroßes Dankeschön an meine Leser und alle, die die Bruderschaft der Black Dagger so sehr lieben wie ich. Mein Dank gilt außerdem Steven Axelrod, Kara Welsh, Leslie Gelbman und allen Mitarbeitern bei NAL!

Vor allem aber danke ich Team Waud und meiner Familie, sowohl der blutsverwandten als auch der frei gewählten.

Und wie immer meinem wunderbaren WriterAssistant Naamah.

Glossar der Begriffe und Eigennamen

 Ahstrux nohtrum– Persönlicher Leibwächter mit Lizenz zum Töten, der vom König ernannt wird.

 Die Auserwählten– Vampirinnen, deren Aufgabe es ist, der Jungfrau der Schrift zu dienen. Sie werden als Angehörige der Aristokratie betrachtet, obwohl sie eher spirituell als weltlich orientiert sind. Nachdem sie aus dem Heiligtum befreit wurden, gehen sie zunehmend eigene Wege und lösen sich von den kultartigen Einschränkungen ihrer traditionellen Rolle. In der Vergangenheit dienten sie alleinstehenden Brüdern zum Stillen ihres Blutbedürfnisses. Diese Praxis wurde von den Brüdern wieder aufgenommen.

 Bannung– Status, der einer Vampirin der Aristokratie auf Gesuch ihrer Familie durch den König auferlegt werden kann. Unterstellt die Vampirin der alleinigen Aufsicht ihres Hüters, üblicherweise der älteste Mann des Haushalts. Ihr Hüter besitzt damit das gesetzlich verbriefte Recht, sämtliche Aspekte ihres Lebens zu bestimmen und nach eigenem Gutdünken jeglichen Umgang zwischen ihr und der Außenwelt zu regulieren.

 Die Bruderschaft der Black Dagger– Die Brüder des Schwarzen Dolches. Speziell ausgebildete Vampirkrieger, die ihre Spezies vor der Gesellschaft der Lesser beschützen. Infolge selektiver Züchtung innerhalb der Rasse besitzen die Brüder ungeheure physische und mentale Stärke sowie die Fähigkeit zur extrem raschen Heilung. Die meisten von ihnen sind keine leiblichen Geschwister; neue Anwärter werden von den anderen Brüdern vorgeschlagen und daraufhin in die Bruderschaft aufgenommen. Die Mitglieder der Bruderschaft sind Einzelgänger, aggressiv und verschlossen. Sie pflegen wenig Kontakt zu Menschen und anderen Vampiren, außer um Blut zu trinken. Viele Legenden ranken sich um diese Krieger, und sie werden von ihresgleichen mit höchster Ehrfurcht behandelt. Sie können getötet werden, aber nur durch sehr schwere Wunden wie zum Beispiel eine Kugel oder einen Messerstich ins Herz.

 Blutsklave– Männlicher oder weiblicher Vampir, der unterworfen wurde, um das Blutbedürfnis eines anderen zu stillen. Die Haltung von Blutsklaven wurde vor Kurzem gesetzlich verboten.

 Chrih– Symbol des ehrenhaften Todes in der alten Sprache.

 Doggen– Angehörige(r) der Dienerklasse innerhalb der Vampirwelt. Doggen pflegen im Dienst an ihrer Herrschaft altertümliche, konservative Sitten und folgen einem formellen Bekleidungs- und Verhaltenskodex. Sie können tagsüber aus dem Haus gehen, altern aber relativ rasch. Die Lebenserwartung liegt bei etwa fünfhundert Jahren.

 Dhunhd– Hölle.

 Ehros– Eine Auserwählte, die speziell in der Liebeskunst ausgebildet wurde.

 Exhile Dhoble– Der böse oder verfluchte Zwilling, derjenige, der als Zweiter geboren wird.

 Gesellschaft der Lesser– Orden von Vampirjägern, der von Omega zum Zwecke der Auslöschung der Vampirspezies gegründet wurde.

 Glymera– Das soziale Herzstück der Aristokratie, sozusagen die »oberen Zehntausend« unter den Vampiren.

 Gruft– Heiliges Gewölbe der Bruderschaft der Black Dagger. Sowohl Ort für zeremonielle Handlungen als auch Aufbewahrungsort für die erbeuteten Kanopen der Lesser. Hier werden unter anderem Aufnahmerituale, Begräbnisse und Disziplinarmaßnahmen gegen Brüder durchgeführt. Niemand außer Angehörigen der Bruderschaft, der Jungfrau der Schrift und Aspiranten hat Zutritt zur Gruft.

 Hellren– Männlicher Vampir, der eine Partnerschaft mit einer Vampirin eingegangen ist. Männliche Vampire können mehr als eine Vampirin als Partnerin nehmen.

 Hohe Familie– König und Königin der Vampire sowie all ihre Kinder.

 Hüter– Vormund eines Vampirs oder einer Vampirin. Hüter können unterschiedlich viel Autorität besitzen, die größte Macht übt der Hüter einer gebannten Vampirin aus.

 Jungfrau der Schrift– Mystische Macht, die dem König als Beraterin dient sowie die Vampirarchive hütet und Privilegien erteilt. Existierte in einer jenseitigen Sphäre und besaß umfangreiche Kräfte. Gab ihre Stellung zugunsten einer Nachfolge auf.

 Leahdyre– Eine mächtige und einflussreiche Person.

 Lesser– Ein seiner Seele beraubter Mensch, der als Mitglied der Gesellschaft der Lesser Jagd auf Vampire macht, um sie auszurotten. Die Lesser müssen durch einen Stich in die Brust getötet werden. Sie altern nicht, essen und trinken nicht und sind impotent. Im Laufe der Jahre verlieren ihre Haare, Haut und Iris ihre Pigmentierung, bis sie blond, bleich und weißäugig sind. Sie riechen nach Talkum. Aufgenommen in die Gesellschaft werden sie durch Omega. Daraufhin erhalten sie ihre Kanope, ein Keramikgefäß, in dem sie ihr aus der Brust entferntes Herz aufbewahren.

 Lewlhen– Geschenk.

 Lheage– Respektsbezeichnung einer sexuell devoten Person gegenüber einem dominanten Partner.

 Lhenihan– Ein mystisches Biest bekannt für seine sexuelle Leistungsfähigkeit. In modernem Slang bezieht es sich auf einen Vampir von übermäßiger Größe und Ausdauer.

 Lielan– Ein Kosewort, frei übersetzt in etwa »mein Liebstes«.

 Lys– Folterwerkzeug zur Entnahme von Augen.

 Mahmen– Mutter. Dient sowohl als Bezeichnung als auch als Anrede und Kosewort.

 Mhis– Die Verhüllung eines Ortes oder einer Gegend; die Schaffung einer Illusion.

 Nalla oder Nallum– Kosewort. In etwa »Geliebte(r)«.

 Novizin– Eine Jungfrau.

 Omega– Unheilvolle mystische Gestalt, die sich aus Groll gegen die Jungfrau der Schrift die Ausrottung der Vampire zum Ziel gesetzt hat. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und hat weitreichende Kräfte, wenn auch nicht die Kraft zur Schöpfung.

 Phearsom– Begriff, der sich auf die Funktionstüchtigkeit der männlichen Geschlechtsorgane bezieht. Die wörtliche Übersetzung lautet in etwa »würdig, in eine Frau einzudringen«.

 Princeps– Höchste Stufe der Vampiraristokratie, untergeben nur den Mitgliedern der Hohen Familie und den Auserwählten der Jungfrau der Schrift. Dieser Titel wird vererbt; er kann nicht verliehen werden.

 Pyrokant– Bezeichnet die entscheidende Schwachstelle eines Individuums, sozusagen seine Achillesferse. Diese Schwachstelle kann innerlich sein, wie zum Beispiel eine Sucht, oder äußerlich, wie ein geliebter Mensch.

 Rahlman– Retter.

 Rythos– Rituelle Prozedur, um verlorene Ehre wiederherzustellen. Der Rythos wird von dem Vampir gewährt, der einen anderen beleidigt hat. Wird er angenommen, wählt der Gekränkte eine Waffe und tritt damit dem unbewaffneten Beleidiger entgegen.

 Schleier– Jenseitige Sphäre, in der die Toten wieder mit ihrer Familie und ihren Freunden zusammentreffen und die Ewigkeit verbringen.

 Shellan– Vampirin, die eine Partnerschaft mit einem Vampir eingegangen ist. Vampirinnen nehmen sich in der Regel nicht mehr als einen Partner, da gebundene männliche Vampire ein ausgeprägtes Revierverhalten zeigen.

 Symphath– Eigene Spezies innerhalb der Vampirrasse, deren Merkmale die Fähigkeit und das Verlangen sind, Gefühle in anderen zu manipulieren (zum Zwecke eines Energieaustauschs). Historisch wurden die Symphathen oft mit Misstrauen betrachtet und in bestimmten Epochen auch von den anderen Vampiren gejagt. Sind heute nahezu ausgestorben.

 Trahyner– Respekts- und Zuneigungsbezeichnung unter männlichen Vampiren. Bedeutet ungefähr »geliebter Freund«.

 Transition– Entscheidender Moment im Leben eines Vampirs, wenn er oder sie ins Erwachsenenleben eintritt. Ab diesem Punkt müssen sie das Blut des jeweils anderen Geschlechts trinken, um zu überleben, und vertragen kein Sonnenlicht mehr. Findet normalerweise mit etwa Mitte zwanzig statt. Manche Vampire überleben ihre Transition nicht, vor allem männliche Vampire. Vor ihrer Transition sind Vampire von schwächlicher Konstitution und sexuell unreif und desinteressiert. Außerdem können sie sich noch nicht dematerialisieren.

 Triebigkeit– Fruchtbare Phase einer Vampirin. Üblicherweise dauert sie zwei Tage und wird von heftigem sexuellem Verlangen begleitet. Zum ersten Mal tritt sie etwa fünf Jahre nach der Transition eines weiblichen Vampirs auf, danach im Abstand von etwa zehn Jahren. Alle männlichen Vampire reagieren bis zu einem gewissen Grad auf eine triebige Vampirin, deshalb ist dies eine gefährliche Zeit. Zwischen konkurrierenden männlichen Vampiren können Konflikte und Kämpfe ausbrechen, besonders wenn die Vampirin keinen Partner hat.

 Vampir– Angehöriger einer gesonderten Spezies neben dem Homo sapiens. Vampire sind darauf angewiesen, das Blut des jeweils anderen Geschlechts zu trinken. Menschliches Blut kann ihnen zwar auch das Überleben sichern, aber die daraus gewonnene Kraft hält nicht lange vor. Nach ihrer Transition, die üblicherweise etwa mit Mitte zwanzig stattfindet, dürfen sie sich nicht mehr dem Sonnenlicht aussetzen und müssen sich in regelmäßigen Abständen aus der Vene ernähren. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme können Vampire Menschen nicht durch einen Biss oder eine Blutübertragung »verwandeln«; in seltenen Fällen aber können sich die beiden Spezies zusammen fortpflanzen. Vampire können sich nach Belieben dematerialisieren, dazu müssen sie aber ganz ruhig werden und sich konzentrieren; außerdem dürfen sie nichts Schweres bei sich tragen. Sie können Menschen ihre Erinnerung nehmen, allerdings nur, solange diese Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert sind. Manche Vampire können auch Gedanken lesen. Die Lebenserwartung liegt bei über eintausend Jahren, in manchen Fällen auch höher.

 Vergeltung– Akt tödlicher Rache, typischerweise ausgeführt von einem Mann im Dienste seiner Liebe.

 Wanderer– Ein Verstorbener, der aus dem Schleier zu den Lebenden zurückgekehrt ist. Wanderern wird großer Respekt entgegengebracht, und sie werden für das, was sie durchmachen mussten, verehrt.

 Whard– Entspricht einem Patenonkel oder einer Patentante.

 Zwiestreit– Konflikt zwischen zwei männlichen Vampiren, die Rivalen um die Gunst einer Vampirin sind.

1

Wenn man alles auf der Welt besaß, kam einem nie in den Sinn, dass man eine Chance verpassen könnte. Gelegenheiten, die sich kein zweites Mal boten. Träume, die nicht erfüllt werden konnten.

Peyton, Sohn des Peythone, hatte den Blick ans andere Ende des Pausenraums im Trainingszentrum gerichtet, die Augen hinter blauen Brillengläsern verborgen. Dort saß auf einem recht einfachen Stuhl Paradise, Tochter des ersten Beraters des Königs, Abalone, und ließ die Beine über eine Armlehne baumeln, während sie den Rücken an die andere gelehnt hatte. Den blonden Kopf gesenkt, ging sie das Script zu ISP durch.

Improvisierte Sprengkörper.

Die Informationen auf diesen Seiten – das Versprechen von Tod, die Realität des Krieges gegen die Gesellschaft der Lesser, die Gefahr, in die sie sich selbst gebracht hatte, indem sie in das Trainingsprogramm der Bruderschaft der Black Dagger eingetreten war – weckten in Peyton den Wunsch, ihr die Papiere wegzunehmen und die Zeit zurückzudrehen. Zurück zu ihrer beider altem Leben, bevor Paradise hierhergekommen war, um kämpfen zu lernen … und bevor sie begriffen hatte, dass in ihr so viel mehr steckte als eine aristokratische Vampirin mit makellosem Stammbaum und klassischer Schönheit.

Ohne den Krieg würden sie sich allerdings vermutlich nicht so nahestehen.

Jene schreckliche Nacht, als die Gesellschaft der Lesser die Häuser der Glymera geplündert und ganze Familien und unzählige Bedienstete abgeschlachtet hatte, war der Katalysator gewesen, der sie beide einander nahegebracht hatte. Peyton hatte immer ordentlich Party gemacht, mit einer Horde reicher Jungs abgehangen, die nachts durch die Clubs der Menschen zogen und die Tage kiffend zu Hause verbrachten, nach dem Motto »uns gehört die Welt«. Doch nach den Plünderungen hatten sich ihre beiden Familien in sichere Anwesen außerhalb von Caldwell zurückgezogen, und er und Paradise hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, sich gegenseitig anzurufen, wenn sie nicht schlafen konnten.

Was die meiste Zeit der Fall gewesen war.

Sie hatten Stunden am Telefon verbracht, sich über alles und nichts unterhalten, von ernsten über unsinnige bis hin zu albernen Themen.

Er hatte ihr Dinge erzählt, die er noch nie jemandem anvertraut hatte. Ihr gegenüber gab er zu, dass er Angst hatte, dass er sich allein fühlte und sich Sorgen um die Zukunft machte. Er sprach das erste Mal laut aus, dass er glaubte, ein Drogenproblem zu haben. Er zweifelte daran, ob er es in der echten Welt außerhalb der Clubszene jemals zu etwas bringen würde.

Und sie war für ihn da gewesen.

Er war noch nie zuvor mit einer Vampirin befreundet gewesen. Klar, er hatte haufenweise Frauen gefickt, aber bei Paradise war es nicht um Sex gegangen.

Obwohl er sie begehrte. Natürlich tat er das. Sie war unglaublich …

»Gib’s schon zu.«

Ihre Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. Hastig sah er sich um. Der Aufenthaltsraum war leer, abgesehen von ihnen beiden. Alle anderen waren entweder im Fitnessbereich, den Umkleiden oder hingen draußen im Flur herum, bis sie nach Hause konnten.

Also, ja, sie redete mit ihm. Sah ihn auch an.

»Na los.« Ihr Blick war sehr direkt. »Warum sprichst du’s nicht endlich aus.«

Peyton wusste nicht, wie er reagieren sollte. Und während sich das Schweigen zwischen ihnen ausdehnte, fühlte er sich, als hätte er eine Line Koks gezogen: Sein Herz verwandelte seinen Brustkorb in einen Moshpit, seine Handflächen fingen an zu schwitzen, und seine Lider flatterten so heftig, dass es ihm vorkam, als würde er durch eine Jalousie schauen.

Paradise richtete sich in ihrem Stuhl auf, schwang die langen Beine herum und schlug sie sittsam übereinander. Es war ein Reflex, ein Überbleibsel ihrer vornehmen Erziehung: Jede Frau ihres Standes pflegte auf diese Weise zu sitzen. Das tat man einfach, egal, wo man sich befand oder was man trug.

Ikea oder Versailles, Lycra oder Lanvin. Manieren, Schätzchen.

Peyton stellte sie sich in einem Ballkleid vor, geschmückt mit den Juwelen ihrer toten Mahmen, unter einem Kristallleuchter eines Festsaals, die Haare hoch aufgetürmt, ihr bezauberndes Antlitz strahlend, ihr Körper … an seinen geschmiegt.

»Wo ist dein Kerl?« Seine Stimme kratzte, und er hoffte, sie würde es auf seine Kifferei schieben.

Bei dem Lächeln, das ihr Gesicht aufleuchten ließ, fühlte er sich alt und verbraucht, obwohl er nicht älter war als sie und noch dazu nüchtern.

»Er zieht sich noch schnell um.«

»Heute Abend was Größeres vor?«

»Nein.«

Ja, klar. Ihre geröteten Wangen verrieten ihm ganz genau, was die beiden vorhatten – und wie sehr sie sich darauf freute.

Peyton schob die Sonnenbrille hoch und rieb sich die Augen. Es war schwer zu glauben, dass er nie erfahren würde, wie das war … Paradise unter sich zu haben, während er sie ritt, ihren nackten Körper erforschen zu dürfen, ihre Oberschenkel so weit gespreizt, dass er …

»Du willst doch nur vom Thema ablenken.« Sie beugte sich auf ihrem Stuhl nach vorn. »Komm schon. Sag es. Die Wahrheit wird dich befreien, stimmt’s?«

Als der Generator hinterm Getränkeautomaten ansprang, warf Peyton einen Blick hinüber zur Essenstheke, wo an Unterrichts- und Trainingstagen Mahlzeiten und Snacks serviert wurden. Obwohl die Brüder die Schüler inzwischen zu richtigen Einsätzen gegen den Feind draußen antreten ließen, absolvierten sie hier immer noch regelmäßig eine Menge Theorie, Nahkampftraining und Waffenkunde.

Mindestens zwei- bis dreimal die Woche aß er im Trainingszentrum.

Wow. Sieh mal einer an. Er versuchte, sich abzulenken.

Peyton ließ den Blick wieder Richtung Paradise wandern. Beim Schleier, sie war so schön. Mit ihren blonden Haaren, mit diesen großen blauen Augen … und diesen Lippen. Weich, von Natur aus rosa. Ihr Körper war etwas muskulöser, seit sie so viel trainierte, etwas weniger kurvig doch das machte sie erst recht sexy.

»Weißt du«, murmelte sie, »es gab mal eine Zeit, da haben wir uns alles anvertraut.«

Nicht wirklich, dachte er. Wie sehr er sich von ihr angezogen fühlte, hatte er immer schön für sich behalten.

»Leute ändern sich.« Er streckte die Beine aus und ließ die Schulterwirbel knacken. »Beziehungen auch.«

»Unsere nicht.«

»Was soll das bringen?« Er schüttelte den Kopf. »Es führt doch zu nichts …«

»Komm schon, Peyton. Ich merke doch, wie du mich im Unterricht und draußen beim Einsatz anstarrst. Das ist so was von auffällig. Und hör zu, ich verstehe ja, wie es dir geht. Ich bin schließlich nicht naiv.«

Die Anspannung war an ihren hochgezogenen Schultern und den schmalen Lippen deutlich abzulesen. Und ganz ehrlich, er hasste die Situation, in die er sie beide brachte, genauso. Wenn er dem ein Ende setzen könnte, würde er das tun, aber Gefühle waren wie wilde Tiere, sie machten, was sie wollten, scheißegal, was sie dabei zertrampelten oder zerbissen oder zertraten.

»Sosehr ich auch versuche, es zu ignorieren« – sie strich sich die Haare nach hinten über die Schulter – »und sicher bin, dass du auch lieber nicht so empfinden würdest, es ist nun mal, wie es ist. Ich glaube, wir sollten offen darüber reden, damit wir reinen Tisch machen können. Bevor es uns oder die anderen beim Einsatz in Gefahr bringt.«

»Ich glaube nicht, dass sich das so einfach klären lässt.« Außer vielleicht du willst deinen Gefährten loswerden. »Und ich finde auch nicht, dass es so wichtig ist.«

»Das sehe ich anders.« Sie ließ frustriert die Arme sinken. »Komm schon. Wir haben so viel zusammen durchgestanden. Es gibt doch nichts, womit wir beide nicht fertigwerden. Erinnerst du dich an die vielen Stunden am Telefon? Rede mit mir.«

Peyton fragte sich, warum zum Dhunhd er sich keine Bong mitgebracht hatte. Er stand auf und ging im Slalom zwischen den Möbelstücken umher, die mit der Sorgfalt und Präzision eines Murmelspiels arrangiert worden waren: Die verschiedenen Stühle, Sofas und Tische standen willkürlich im Raum verteilt. Das Ergebnis diverser Lerngruppen und einiger fragwürdiger Wetten in Bezug auf Liegestützen, Sit-ups und Armdrücken, die zur Unordnung beigetragen hatten.

Schließlich blieb er stehen und drehte sich um. Dann redeten sie beide gleichzeitig drauflos.

»Ich weiß, dass du es nach wie vor nicht gut findest …«

»Ich bin in dich verliebt …«

Und wie aufs Kommando verstummten beide im selben Moment wieder.

»Was hast du gesagt?«, hauchte sie.

Knarre. Er brauchte eine Knarre. Damit er sich in echt ins Bein schießen konnte, statt bloß sprichwörtlich.

Die Tür zum Aufenthaltsraum schwang auf, und ihr Gefährte Craeg kam hereinspaziert, als wäre er hier der King. Groß, muskelbepackt und einer der besten Kämpfer der Gruppe. Die Art von Kerl, der einen rostigen Nagel als Zahnstocher benutzt, dabei in einem brennenden Lagerhaus seine eigenen Wunden vernäht, während ihn zwei Lesser angreifen, und das alles mit einem verängstigten Golden-Retriever-Welpen unterm Arm.

Craeg blieb stehen und sah von einem zum anderen. »Störe ich?«

Novo schaffte es kaum noch rechtzeitig zu dem großen metallenen Mülleimer. Als sie sich würgend darüberbeugte, kam jedoch nichts als Wasser heraus. Sobald der Brechreiz vorbei war, ließ sie sich auf die Matte plumpsen. Den Rücken an die kalte Betonwand gelehnt, wartete sie darauf, dass die Welt um sie herum aufhörte, sich zu drehen.

Schweiß rann ihr wie Tränen übers Gesicht, und ihr Hals brannte wie Feuer – wobei daran weniger die Kotzerei als das scharfe Einatmen beim Kreuzheben schuld war. Von ihren Lungen wollte sie lieber gar nicht erst anfangen. Sie fühlte sich, als hätte sie in einer Wolke heißem Rauch versucht, Sauerstoff zu atmen.

Klonk. Klonk. Klonk…

Als sie dazu in der Lage war, hob sie den Kopf und stellte ihren Blick scharf. Am anderen Ende des Kraftraums trainierte ein riesiger Vampir mit langsamen, kontrollierten Bewegungen an der Beinpresse. Die Muskeln seiner Unterarme wölbten sich, so fest hielt er die Griffe auf Hüfthöhe umklammert, seine Oberschenkel schienen aus Stein gemeißelt, und überall traten die Adern hervor.

Er starrte sie an. Aber nicht auf unangenehme Weise.

Eher auf eine Art, als wollte er fragen, ob es Zeit war, einen Arzt zu rufen.

»Mir geht’s gut«, sagte sie und wandte dabei den Blick ab. Wobei er sie mit seinen Kopfhörern sowieso nicht hören konnte.

Mirgehtsgut. Mirgehtsgut. Neinwirklichmirgehtsgut…

Sie streckte sich zur Seite und zog ein frisches weißes Handtuch vom Stapel auf einer der Bänke, um sich den Schweiß abzuwischen. Das Trainingszentrum der Bruderschaft war hochmodern, nur das Feinste vom Feinsten, durchweg Profiausstattung: angefangen bei diesem eisernen Verließ der Selbstgeißelung hier, über den Schießstand, die Klassenräume, den fünfzig Meter langen Pool, den Fitnessraum bis hin zur Klinik, der pharmazeutischen Ausrüstung und den OPs waren keine Kosten gescheut worden. Das Ganze zu unterhalten verlangte ebenso viel Aufwand wie Knete.

Mit einem letzten Klirren setzte sich der Vampir auf und wischte sich übers Gesicht. Seine dunkelbraunen Haare waren frisch geschnitten, an den Seiten so kurz, dass es wie abrasiert wirkte, die Deckhaare jedoch lang und lässig. Seine Augen hatten irgendeinen Braunton, und insgesamt sah er ziemlich nach Durchschnittsamerikaner aus – nun ja, abgesehen von seinen Fängen Marke Bram Stoker und der Tatsache, dass er kein bisschen menschlicher oder amerikanischer war als sie. Sein weißes ärmelloses Shirt wurde von seiner breiten Brust auf eine ziemliche Zerreißprobe gestellt, ähnlich wie sich seine dunkle, haarlose Haut über seinen Sixpack spannte.

Er hatte keinerlei Tattoos. Kein aufgeblasenes Gebaren. Klamotten Marke nullachtfünfzehn. Und er redete so gut wie nie – wenn er den Mund aufmachte, dann nur wegen logistischer Fragen, zum Beispiel, welches Gerät sie als Nächstes benutzen wolle oder ob das hier ihr Handtuch sei. Er war stets höflich, so distanziert wie der Horizont, und er bemerkte offenbar gar nicht, dass sie eine Frau war.

Kurz, dieser Fremde war ihr neuer bester Freund. Obwohl sie nicht einmal seinen Namen kannte.

Dabei verbrachten sie wirklich jede Menge Zeit zusammen. Nach Unterrichtsende im Ausbildungszentrum waren sie beide meist alleine hier, da die Brüder tagsüber trainierten und die anderen Schüler bereits erschöpft von den Herausforderungen des absolvierten Programms waren.

Novo hingegen hatte immer noch etwas Sprit im Tank.

Scheiß auf Energydrinks oder Powerriegel. Die eigenen Dämonen waren wesentlich effektiver, wenn es darum ging, den Arsch hochzukriegen.

Ach ja, und dann gab es da noch einen anderen Grund, weshalb sie lieber in einen Mülleimer kotzte als mit den anderen auf den Bus zu warten, der sie den Berg runterbringen würde.

»Ihr blutet.«

Novo hob ruckartig den Kopf. Der Vampir stand direkt vor ihr, und als sie fragend die Stirn runzelte, zeigte er auf ihre Handflächen.

»Blut.«

Ein Blick auf ihre Hand bestätigte, dass sie in der Tat etwas undicht war. Sie hatte ihre Handschuhe vergessen, und die Stange mit den zweihundertfünfundzwanzig Kilo dran hatte in ihre Haut geschnitten.

»Wie heißt du?«, fragte sie, während sie das Handtuch auf die aufgerissenen Stellen drückte.

Mann, wie das brannte.

Als er nicht antwortete, blickte sie wieder auf. Daraufhin legte er die Hand aufs Brustbein und verbeugte sich.

»Ich bin Ruhn.«

»Das brauchst du nicht zu tun.« Sie faltete den Frotteestoff zusammen und wischte sich erneut die Stirn ab. »Das mit dem Verbeugen. Ich gehöre nicht zur Glymera.«

»Ihr seid eine Vampirin.«

»Ja, und?« Angesichts seiner verwirrten Miene kam sie sich plötzlich mies vor. »Wie dem auch sei, ich bin Novo. Ich würde dir ja die Hand geben, aber na ja.«

Als sie die verletzte Hand hob, räusperte er sich. »Freut mich, dich kennenzulernen.«

Er sprach wie sie, ohne die arroganten, langgezogenen Vokale der Aristokraten, wofür er ihr gleich noch sympathischer war. Wie ihr Vater immer gesagt hatte, reiche Leute konnten es sich leisten, langsam zu sprechen, weil sie nicht für ihren Lebensunterhalt schuften mussten.

Was es ziemlich schwierig machte, diese Gruppe begünstigter Leichtgewichte zu respektieren oder ernst zu nehmen.

»Steigst du mit ins Programm ein?«, erkundigte sie sich.

»In was?«

»Das Trainingsprogramm?«

»Nein. Ich bin nur zum Workout hier.«

Er lächelte sie an – als läge darin seine gesamte Lebensgeschichte genauso wie alle seine Pläne für die Zukunft – und ging dann zur Klimmzugstange hinüber. Seine Ausführung war unglaublich: schnell, aber kontrolliert, immer und immer wieder, bis sie nicht mehr mitzählen konnte. Und er machte immer noch weiter.

Als er schließlich aufhörte, waren seine Atemzüge tief, aber gleichmäßig.

»Und warum tust du es nicht?«

»Was denn?«, fragte er überrascht. Als hätte er vergessen, dass sie immer noch hier saß.

»Das Trainingsprogramm. Warum steigst du nicht mit ein?«

Er schüttelte heftig den Kopf. »Ich bin kein Kämpfer.«

»Solltest du aber werden. Du bist enorm stark.«

»Ich bin einfach nur an körperliche Arbeit gewohnt. Daher kommt das.« Er hielt inne. »Du bist im Programm?«

»Ja.«

»Und du kämpfst?«

»Oh ja. Und es gefällt mir. Ich gewinne gerne, und ich mag es, anderen Schmerzen zuzufügen. Vor allem den Jägern.« Als Ruhn sie ungläubig ansah, verdrehte sie genervt die Augen. »Ja, auch weibliche Vampire können so sein. Wir brauchen keine Erlaubnis, um aggressiv oder stark sein zu wollen. Oder um zu töten.«

Als er sich wegdrehte, wieder die Stange umfasste und seine Klimmzüge fortsetzte, verfluchte sie sich innerlich.

»Sorry«, murmelte sie. »Das war nicht gegen dich gerichtet.«

»Siehst du hier sonst noch jemanden?«, fragte er zwischen zwei Wiederholungen.

»Nein.« Novo stand auf und schüttelte den Kopf. »Wie ich schon sagte, es tut mir leid.«

»Schon in Ordnung.« Hoch. Und runter. »Aber …« Hoch. Und runter. »… warum bist du dann …« Hoch. Und runter. »… nicht bei den anderen?«

»Den anderen Trainees?« Sie sah auf die Uhr an der Wand. »Die chillen gerne, bis der Bus kommt. Ich hasse es, untätig herumzuhängen. Wobei ich jetzt tatsächlich los muss. Bis dann.«

Sie war bereits an der Tür, als sie seine Stimme hinter sich hörte: »Du solltest das nicht machen.«

Novo blickte über die Schulter zurück. »Was denn?«

Ruhn deutete mit dem Kopf in Richtung Mülleimer. »Du übergibst dich oft, wenn du trainierst. Das ist nicht gesund. Du verlangst dir selbst zu viel ab.«

»Du kennst mich doch gar nicht.«

»Das muss ich auch nicht.«

Novo öffnete den Mund, um ihm zu sagen, dass er seine Besserwisserei gefälligst für sich behalten sollte, doch er drehte sich einfach weg und machte mit seinen Klimmzügen weiter.

Na super, dachte sie. Schöne Scheiße. Soll ich mir niedliche Videos auf BuzzFeed anschauen und Selfies in Yoga-Stellungen machen?

#kotzfreiezone.

Wut kochte in ihr hoch. Wie gerne hätte sie einen Streit mit ihm vom Zaun gebrochen! Obwohl sie so müde war, dass ihr sogar der Hintern wehtat, und vielleicht hatte er ja nicht ganz unrecht, was die Kotzerei betraf. Leben und leben lassen, richtig?

Oder leben und selbstzerstören lassen.

Kam aufs Gleiche raus.

Egal. Kein Grund, mit einem Fremden über etwas zu diskutieren, das sie sowieso nicht vorhatte zu ändern.

Draußen auf dem Flur war es kühler – oder vielleicht lag es auch nur daran, dass man auf dem langen Gang mit den Betonwänden, der zum Parkplatz führte, den Eindruck hatte, als gäbe es mehr Luft zum Atmen. Novo zwang sich weiterzugehen und die Umkleide anzusteuern, die sich Paradise und sie als die beiden einzigen Frauen in der Klasse teilten. Kaum war sie über die Schwelle, schloss sie die Augen und zog ernsthaft in Erwägung, verschwitzt nach Hause zu gehen.

Verdammt noch mal.

Dieser verfluchte Duft.

Paradises Shampoo war wie Sprühfarbe an den Wänden, wie Teppich auf dem Fußboden, Deckenventilatoren im Turbolauf, Stroboskoplicht und eine Discokugel: Der Geruch nahm jeden Kubikzentimeter des Raums ein.

Was noch schlimmer war: Ihre Mitschülerin war weder hassenswert noch unfähig noch eine Barbiepuppe, die man als Taylor Swift in einer Nirvana-Welt abtun konnte. Paradise hatte bei dieser höllischen Orientierungsprüfung am Längsten durchgehalten, war draußen im Einsatz absolut spitze, mit verblüffend schnellen Reflexen und einer unglaublichen Zielsicherheit.

Aber es gab noch etwas anderes, worin sie gut war.

Und obwohl es Novo verdammt egal sein konnte, sie es eigentlich gar nicht bemerken und generell einen Dreck interessieren sollte, war es über alle Maßen nervtötend, Peytons Blicke zu sehen, wie er sich in ihrer Nähe herumdrückte und fast dahinschmolz, wann immer die Vampirin lachte.

Das Einzige, was Novo daran noch mehr nervte als die Tatsache selbst, war, dass sie diese Scheiße überhaupt auf dem Radar hatte.

Peyton, Sohn des Peythone, war nichts, wofür sie sich interessierte. Manche Dinge verstanden sich schließlich von selbst. Wie zum Beispiel sich nicht freiwillig für eine Beinamputation zu melden.

Außerdem, hallo, persönliche Erfahrungswerte.

Nicht mit ihm im Speziellen. Aber trotzdem.

Allein schon, dass ihr aufgefallen war, wie besessen der Typ von Paradise war, weckte in Novo den Wunsch, sich selbst den Hintern zu versohlen.

Als sie sich auf den Weg zu den Duschen machte, streifte ihr Blick den Ganzkörperspiegel – der in der Umkleide der Männer bestimmt fehlte.

Was einfach so unglaublich sexistisch war.

Sie brach die übliche innerliche Schimpftirade abrupt ab, als sie ihr Spiegelbild wahrnahm. Ihre Augen waren zu leeren Höhlen geworden, und ihr Bauch, der zwischen Sport-BH und Leggings zu sehen war, wölbte sich nach innen. Ihre Beine waren muskelbepackt, mit Ausnahme der kleinen knöchernen Knoten ihrer Kniescheiben.

Keine Hüften, keine Brüste, nichts Weibliches … selbst ihre schwarzen langen Haare waren zu einem festen Zopf geflochten, der sich zwischen den mächtigen Muskelsträngen zu beiden Seiten ihrer Wirbelsäule verstecken zu wollen schien.

Novo nickte sich anerkennend zu.

Sie wollte es nicht anders haben.

Paradise durfte den ganzen Weiberkram und die sehnsüchtigen Seitenblicke gerne behalten. Es war weitaus besser, stark zu sein als sinnlich. Für Letzteres wurde man bewundert …

… Ersteres schützte einen.

2

»Nein«, sagte Peyton. »Du störst überhaupt nicht.«

Er lächelte Craeg an und dachte: Jaaaaa, alles ganz easy. Ich hab nur gerade deinem Mädchen gestanden, dass ich sie liebe, während sie dachte, ich hätte immer noch ein Problem damit, dass sie am Trainingsprogramm teilnimmt. Also, ja, bildlich gesprochen haben wir uns gerade duelliert, sie mit einer Kanone und ich mit zwei Büroklammern und einem Gummiband bewaffnet. Aber alles cool. Wobei, hey, wo wir schon beim Thema sind, vielleicht möchtest du gerne meine Eier abschneiden und sie dir hinten in die Hosentasche stecken? Denn nach dieser Aktion werde ich sie ohnehin nicht mehr brauchen.

Während er schnurstracks auf die Tür zusteuerte, vermied er es, Paradise anzusehen. Es lag durchaus im Bereich des Möglichen, dass er sie nie wieder anschauen würde. Doch Craeg schlug er sicherheitshalber im Vorbeigehen kumpelhaft auf die Schulter.

»Ich kann’s kaum erwarten, morgen wieder draußen im Einsatz zu sein.« Falls er sich nicht vorher daheim im Badezimmer erhängte. Dann würde er eher nicht auftauchen. »Spitzenmäßiges Workout heute. Echt verdammt gut.«

Vor allem, der Bodyslam, den er gerade seinem eigenen Ego verpasst hatte. Dieses kleine Miststück würde so schnell nicht wieder aufstehen. Brauchte wahrscheinlich plastische Chirurgie und eine Prothese.

Draußen auf dem Korridor blieb er fluchend stehen. Er hatte seinen verdammten Mantel vergessen, aber er würde nicht wieder hineingehen. Nein. Kein Grund, dem zigsten Wiedersehenskuss zwischen Craeg und Paradise beizuwohnen, gefolgt von Beim Schleier, stell dir vor, was Peyton gerade gesagt hat. Die gute Nachricht war, dass Craeg das Programm, die Teamleitung und den Kampf gegen den wahren Feind so ernst nahm, dass der gebundene Vampir mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Moment nicht nach einem Dolch griff.

Trotzdem war es vermutlich eine gute Idee, runter zum Parkplatz zu gehen. Wenn auch nur, um sich einen kleinen Vorsprung zu verschaffen.

Peyton sah auf die Uhr und ging flotten Schrittes auf die gepanzerte Stahltür zu. In einer Viertelstunde würde der kugelsichere Bus bereitstehen, um sie zurück in die Stadt zu bringen. Zum Glück! Sollte Craeg während der Fahrt ausrasten, würde doch bestimmt jemand einschreiten. Boone war ein guter Schütze und würde eingreifen, und vielleicht …

Peytons gesamter Körper ging blitzschnell in Alarmbereitschaft, seine Haut fing an zu glühen, die Haare in seinem Nacken stellten sich auf, und sein Blut pochte so heftig, als hätte er einen Sprint hingelegt.

Er blieb stehen und drehte sich langsam um.

Novo trat aus der Frauenumkleide, ihr gestählter Körper in schwarzes Leder gehüllt, eine Sporttasche über der Schulter. Der straffe Zopf fiel ihr über den Rücken.

»Hey«, murmelte er, als sie ihn einholte. »Du hast eine gute Figur gemacht heute Abend.«

Das tat sie immer. Und nicht nur beim Kampftraining.

»Du willst damit bestimmt sagen« – sie ging an ihm vorbei –, »dass ich dich besiegt habe.«

»Das habe ich aber anders in Erinnerung.«

»Aha. Dann hat dein Hirn wohl etwas Schaden genommen, als ich dich flach auf den Rücken gelegt habe.«

Seine Erregung drückte gegen den Reißverschluss seiner Hose. Unauffällig schob Peyton sein Paket zurecht und folgte Novo dicht auf den Fersen. Ihre Haltung strahlte die Kompetenz und Einstellung einer Anführerin aus, und ja, er betrachtete ihren Hintern – und wollte ihn gerne mit den Händen erkunden.

Und mit dem Mund.

Etwas an ihr weckte das Animalische in ihm, seit er sie das erste Mal gesehen hatte. Er wollte keine Liebe mit ihr machen. Er war noch nicht einmal an Gefälligkeiten ihrerseits interessiert. Er wollte Sex. Von der Sorte, die Spuren auf der Haut und kaputte Möbel und zerbrochene Lampen hinterließ.

»Am Ende habe ich gewonnen«, raunte er.

Nun war sie diejenige, die abrupt stehen blieb und sich umdrehte, wobei der lange Haarstrang herumflog und gegen ihre Hüfte peitschte. »Weil ich den Halt verloren habe, als ich dich unterworfen habe. Mein Fuß ist weggerutscht. Dadurch warst du im Vorteil.«

»So oder so hatte ich dich am Schluss auf der Matte.«

»Ich hab dich zu Fall gebracht.«

»Und ich hab gewonnen.«

Als das Feuer in ihren blaugrünen Augen aufflackerte und sie ihre Fänge ausfuhr, konzentrierte er sich auf ihren Mund. In seiner Vorstellung drängte er sie mit dem Rücken gegen die harte Betonwand, obwohl sie sich wehrte, bevor sie sich küssten, als müssten sie sterben, sobald sie mit dem Vögeln fertig waren. Wild. Wütend. Mit Orgasmen, die ihre Gehirnchemie noch auf Nächte danach veränderten.

»Du hast nicht gewonnen«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich bin ausgerutscht. Und wenn das nicht passiert wäre, würdest du immer noch wie ein Teppich auf dieser Matte liegen.«

Peyton trat näher an sie heran und senkte die Stimme. »Ausreden, nichts als Ausreden.«

So wie sie ihn anfunkelte, war klar, dass sie ihm gerne eine runterhauen würde. Ihm die Beine brechen. Ihn erstechen. Und er wollte all das auch. Es war die Strafe dafür, dass er vorhin im Aufenthaltsraum die Bombe hatte platzen lassen. Es wäre Selbstverletzung, lediglich von einem anderen ausgeführt. Eine wesentliche, schmerzhafte Ablenkung von der Tatsache, dass er der falschen Person gegenüber viel zu ehrlich gewesen war, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt.

Verdammt, hatte er Paradise gerade wirklich gesagt, dass er sie liebte?

»Also, wann ficken wir?«, knurrte er. »Ich bin bereit, das hier nicht länger zu ignorieren.«

Novos Augen wurden zu noch schmaleren Schlitzen. »Niemals. Wie klingt das für dich?«

»Du willst es doch auch.«

»Nicht mit dir.«

»Lügnerin.« Er beugte sich noch etwas näher zu ihr. »Feigling. Wovor hast du Angst …«

Mit der freien Hand griff sie blitzschnell nach seinem Hals, wobei sie mit ihrem Fingernagel die Blutzufuhr an der Halsschlagader abdrückte. »Pass auf, Schönling. Sonst richte ich womöglich ästhetischen Schaden an, der sich nicht beheben lässt.«

Peyton schloss die Augen und schwankte. »Genau das will ich.«

Er packte ihre Hand und presste ihren Nagel tiefer in seine Haut, bis Blut hervorquoll. Als ihr Blick aufloderte, löste er ihren Griff und betrachtete den roten Fleck an ihrem Daumen.

»Möchtest du kosten?« Er führte sein Blut an ihren Mund. »Mach auf für mich.«

Als ihre Kiefermuskeln zuckten, als würde sie die Backenzähne aufeinanderpressen, rieb er ihren Daumen über ihre Unterlippe, darauf vertrauend, dass die Versuchung zu groß sein würde, als dass sie widerstehen könnte.

Ihre rosa Zunge zuckte heraus, dann übernahm sie wieder die Führung, indem sie fest an ihrem Finger saugte, und ihn betont sinnlich bewegte, bis Peyton beinahe in seiner Hose gekommen wäre.

Doch als es gerade interessant wurde, trat Novo plötzlich einen Schritt zurück und wandte den Blick ab.

»Schneesturm, Leute.«

Beim Klang der männlichen Stimme fluchte Peyton ein paarmal stumm vor sich hin. Dann funkelte er Axe an, der aus dem Büro trat.

»Was soll das heißen?«, nuschelte er.

Ihr Mitschüler kam herbeigeschlendert. Axe war ein Neo-Goth, zur Hälfte tätowiert und ein anständiger Kerl – sofern man darüber hinwegsehen konnte, dass er wie ein Serienkiller aussah. Er war vor Kurzem mit einer Aristokratin zusammengezogen, einer von Peytons Cousinen, also gehörte er gewissermaßen zur Familie, und Peyton war froh darüber. So wie es in der Welt da draußen zuging, konnte er zumindest sicher sein, dass Elise nicht nur geliebt wurde, sondern auch in Sicherheit war.

»Wir sitzen hier fest.« Axe beugte seine kräftigen Arme, als würden sie schmerzen. »Man kann uns nicht heimbringen. Der Bus fährt nicht.«

»Was zum …?« Peyton musste an den Grasvorrat zu Hause in seinem Zimmer denken wie an einen verloren geglaubten Verwandten. »Ich habe noch was vor.«

»Da musst du dich an die Verwaltung wenden, Kumpel. Ich kann dir nicht weiterhelfen.«

Das Problem war, dass sie sich von hier nicht einfach dematerialisieren konnten. Das Anwesen der Bruderschaft, zu dem dieser unterirdische Komplex gehörte, befand sich auf einem Hochsicherheitsgelände: Erstens kannten die Schüler seine genaue Lage gar nicht, und zweitens war das eine Information, die man sowieso besser nicht besaß. Wer wollte schon wissen, wo die Erste Familie wohnte? Das brachte einen bei einem Anschlagsversuch lediglich in die engere Folterauswahl. Vor allem jedoch war das Anwesen von einem Mhis umgeben, das die Landschaft visuell verschwimmen ließ und es für jemanden, der die genauen Koordinaten nicht kannte, unmöglich machte, sich auf dem Gelände oder in dessen unmittelbarer Umgebung zu dematerialisieren. Niemand würde heute hier wegkommen.

Mist. Und er hatte schon gedacht, die Fahrt zurück nach Caldwell würde schlimm werden. Das hier war ein verfluchter Albtraum. Mit Paradise und Craeg hier festzusitzen, mindestens bis fünf oder sechs Uhr am nächsten Abend, wenn es dunkel genug war, dass der Bus sie nach Hause bringen konnte. Mal angenommen, der Schneesturm hatte sich bis dahin gelegt.

Peyton blickte zu Novo hinüber. Sie und Axe unterhielten sich über den ISP-Stoff, den Paradise vorhin gebüffelt hatte, und als er beobachtete, wie sich Novos Lippen bewegten … stellte er sich all die Stellen seines Körpers vor, die sie damit berühren könnte.

Na gut, dachte er. Wenigstens erlaubte die Bruderschaft ihren Leuten Alkohol, wenn sie nicht im Dienst waren. In Kombination mit der entsprechenden Überzeugungsarbeit … Es war allerhöchste Zeit, dass Novo und er sich ein ungestörtes Eckchen suchten und die Gelegenheit nutzten. Das hätte außerdem den Vorteil, den fliegenden Fäusten der einen Hälfte des glücklichsten Pärchens der Welt zu entgehen.

Das hier war eine Chance. Keine Krise.

Verfluchte Scheiße. Er schmeckte unglaublich.

Novos Unterhaltung mit Axe war lediglich ein verbales Tennismatch aus Worten und Begriffen, die sie im Unterricht gelernt hatten. Währenddessen durchlebte sie insgeheim noch einmal den Moment, als sie von Peytons Blut gekostet … und es für gut befunden hatte.

Er starrte sie immer noch an, sein Körper angespannt, als wäre er bereit, sie jeden Moment zu packen und auf den Boden zu werfen. Eine erotische Hitze ging wie Wellen von ihm aus, die Novo förmlich auf der nackten Haut spüren konnte.

Angesichts seiner edlen Abstammung überraschte sie dieser aggressive Hunger, war aber nicht schockierend in Anbetracht dessen, was er war. Für einen reichen Schnösel hatte er sich als schlauer und zäher Kämpfer erwiesen, stark und seltsam furchtlos. Nun schien sich die Frage zu stellen, ob sie herausfinden wollte, was für eine Art von Lover er war.

»… die Geburtstagsparty für Paradise«, sagte Axe gerade zu ihm. »Elise hat mir erzählt, dass ihr zwei euch treffen wollt, um alles zu besprechen.«

Novo riss sich von ihren Gedanken los, als Peyton zustimmend nickte. »Ich ruf sie heute Abend an. Ich glaube, wir haben alles, was wir brauchen.«

»Wann soll die denn stattfinden?«, hörte Novo sich fragen.

Während es um Datum, Zeit, Ort und weitere Details rund um die Feierlichkeit ging, zog sie sich wieder in sich selbst zurück.

Das war nicht ihre Welt. Zwei- bis dreihundert Mitglieder der Glymera im Alter von unter hundert Jahren, die sich in geselliger Stella McCartney/Tom Ford-Runde versammelten, versorgt mit allerfeinsten Spirituosen, Fingerfood auf Silbertabletts und aristokratischen Privilegien.

Da lasse ich mich doch lieber gleich erschießen, dachte sie.

Nicht zu vergessen das Sahnehäubchen obendrauf: Peyton, der das Geburtstagskind anstarrte, als hätte sie seine Seele gestohlen und in ihrer Chanel-Tasche versteckt.

»… kommst doch auch, oder?«

Als kurz Schweigen herrschte, sah Novo Axe an. »Äh, was?«

»Du musst kommen«, murmelte der. »Ich brauche jemanden, mit dem ich mich halbwegs unterhalten kann.«

»Warum lassen wir die Party nicht einfach sausen und gehen ins Keys?«

»Die Zeiten sind für mich vorbei.«

»Ach, stimmt. Du hast dein Glücklich-bis-an-dein-Lebensende ja schon bekommen, also bist du zu gut für uns Schlampen.«

Ihr war völlig egal, dass sie verbittert klang …

Okay, vielleicht tat es ihr ein bisschen leid, so fies zu sein. Aber der Kerl war in Caldwells berühmtem Sexclub so was wie eine Legende gewesen. Warum jemand das für eine einzige Person aufgab, konnte sie einfach nicht begreifen. Das war, als würde man ein Büfett mit den köstlichsten Leckereien gegen einen Schrank voll mit der immer gleichen Tütensuppe eintauschen, auf Jahrzehnte hinaus. Außerdem, alles auf ein Pferd zu setzen, das war nicht so ihr Ding.

Diese Lektion hatte sie nur ein einziges Mal lernen müssen.

»Gehst du da öfter hin?«, wollte Peyton von ihr wissen.

Als sie seine ungläubige Miene sah, war Novo versucht, Mr. Ewiggestrig zu erklären, dass Frauen inzwischen – oh Schreck – Auto fahren, Immobilien besitzen und Hosen tragen durften. Und die Zivilisation war trotzdem nicht untergegangen. Von wegen, früher war alles besser.

»Ich bin Mitglied.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Hast du damit ein Problem?«

»Wann nimmst du mich mit?«

Sie überspielte ihre Verblüffung. »Das würdest du nicht verkraften.«

»Woher willst du das wissen?«

Novo musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Keine Ahnung, aber du interessierst mich nicht genug, um es herauszufinden.«

Axe stieß einen leisen Pfiff aus. »Autsch.«

Peyton schenkte ihm keine Beachtung. Ein kalter Glanz trat in seine Augen. »Ich nehme die Herausforderung an. Welcher Abend?«

Novo schüttelte den Kopf. »Das war keine Herausforderung.«

»Doch, das glaube ich schon. Ich bin bereit, großzügig darüber hinwegzusehen, dass du eben nicht gerade nett zu mir warst, obwohl du noch dazu lügst. Genau wie vorhin, als du behauptet hast, mich nicht ficken zu wollen.« Er schlug sich die Hand vor den Mund. »Ups. Habe ich das etwa gerade laut gesagt?«

»Könnt ihr zwei bitte mit dem Quatsch aufhören und euch ein Zimmer suchen«, seufzte Axe. »Nichts für ungut, aber bei romantischen Komödien wird mir schlecht.«

»Das ist keine romantische Komödie«, knurrte Novo. »Sondern ein Krimi, bei dem das Ende schon klar ist.«

»Da muss ich ihr ausnahmsweise recht geben.« Peyton streckte die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen Novos Schlüsselbein entlang. »Ein guter Orgasmus ist auch bekannt als kleiner Tod. Und ich bin mehr als bereit, für dich zu sterben. Ein bisschen.«

Bevor sie seine Hand wegschlagen konnte – oder ihm körperlichen Schaden zufügen –, spazierte er lächelnd davon.

»Wo gibt es denn hier was zu trinken«, rief er über die Schulter. »Ich brauch was Hartes, wenn ich den heutigen Tag überstehen soll und du das Offensichtliche leugnest.«

Novo verschränkte die Arme vor der Brust. »Was für ein Arschloch!«

»Jeder braucht ein Hobby.« Axe zuckte mit den Schultern. »Und er hat offensichtlich Freude daran, dich zu nerven.«

»Wenn du mir jetzt sagst, ich soll ihn nicht auch noch ermutigen, dann trete ich dir in die Eier.«

Axe hob beschwichtigend die Hände. »Das würde ich nie wagen. Außerdem ist deine pure Anwesenheit schon genug Ermutigung. Was willst du tun, deine Haut abstreifen?«

»Na klar. Er will doch nur Paradise. Und deute da jetzt bloß nicht irgendeinen Quatsch rein. Ich gönne ihr diese Ehre von Herzen. Und umgekehrt genauso. Wenn er an dieser Betonmauer baggern will, bis er schwarz wird, werde ich ihm den Spaß sicher nicht verderben.«

Axe betrachtete sie einen Moment lang. Dann streckte er ihr die Hand hin. »Ein Hunderter, dass du die Richtige für ihn bist.«

»Ich wette nicht.«

»Feigling.«

Novo ergriff ruckartig seine Hand und drückte fest zu. »Fick dich. Und es gilt.«

»Du darfst nichts tun, um ihn davon abzubringen.«

»Aber das ist mein Grundprinzip im Umgang mit diesem Mistkerl. Damit werde ich jetzt ganz sicher nicht aufhören.«

»Das habe ich nicht gemeint.« Axe schüttelte den Kopf. »Das hier hast du nicht unter Kontrolle. Und er auch nicht.«

»Als wärst du Experte auf dem Gebiet.«

»Bin ich auch.« Der Vampir zuckte mit seinen breiten Schultern. »Hab’s gerade erst selbst erlebt. Deshalb weiß ich, wie das mit euch enden wird.«

Axe schlenderte davon, so gelassen wie jemand, der in die Zukunft sehen kann. Novo hoffte, dass er seine Überlegenheit genoss – denn sie würde nicht lange anhalten.

Sie würde seine Knete bald mit dem größten Vergnügen ausgeben.

Davon war sie absolut überzeugt.

3

Saxton stand am bodentiefen, von grünen Samtvorhängen mit goldenen Quasten und bestickten Schärpen eingerahmten Fenster, starrte hinaus in den Schneesturm und bereitete sich innerlich auf ein Eisbad vor. In der einen Hand hielt er seine Aktentasche, in der anderen seinen Gucci-Schal – und seine intensive Abneigung gegen kaltes Wetter hüllte ihn ein wie ein zweiter Mantel.

Da das Anwesen der Bruderschaft auf einer Anhöhe lag, warfen sich die Windböen mit der Wucht einer einmarschierenden Armee gegen die dicken Steinmauern. Die Windstöße kamen in Wellen und aus unterschiedlichen Richtungen, und während Saxton die wild umherwirbelnden Schneeflocken betrachtete, musste er an Fischschwärme denken, die in organisiertem Chaos zuerst in die eine und dann in die andere Richtung schossen.

Ich will das nicht mehr, dachte er.

Als sich dieser Satz in seinem Kopf festsetzte, sagte er sich, dass dieses Gefühl des Überdrusses lediglich mit dem Monat Januar zu tun hatte, der im nördlichen Teil von New York an sich schon eine scheußliche Jahreszeit war, kalt, dunkel und gefährlich, wenn man sich zu lange draußen aufhielt. Saxton fürchtete jedoch, dass mehr dahintersteckte als saisonaler Wetterfrust.

»Willst du den Heimweg wagen?«

Er blickte durch den Bogendurchgang des Billardzimmers. Wrath, Sohn des Wrath, der Blinde König, hatte das Foyer betreten. Der riesige Vampir war so beeindruckend und mächtig, ein stolzer Killer in schwarzem Leder – mit einem wunderschönen, freundlich dreinblickenden Golden Retriever an seiner Seite.

Saxton räusperte sich. »Ich bin mir nicht sicher, mein Herr.«

»Für dich ist hier immer ein Zimmer frei.«

»Das ist sehr gütig.« Saxton hielt seine Aktentasche hoch, obwohl der König sie nicht sehen konnte. »Aber ich habe zu arbeiten.«

»Wann hast du dir das letzte Mal eine Nacht oder einen Tag freigenommen?«

»Ich habe keinen Grund dazu.«

»Bullshit. Ich kenne die Antwort, und sie gefällt mir nicht.«

In Wahrheit war es schon ewig her. Die nächtlichen Audienzen beim König mit Mitgliedern der Spezies erforderten viel Nachbearbeitung und Papierkram – und zusätzlich zu all diesen legitimen Aufgaben war vielleicht noch ein wenig selbst verschriebene Suche nach Ablenkung im Spiel.

Wie aufs Stichwort ertönten in der großen Eingangshalle zwei weitere Stimmen. Saxton atmete tief durch. Blay und Qhuinn kamen lachend die elegante Treppe herunterspaziert, jeweils mit einem Kind im Arm. Als das Paar die unterste Stufe erreicht hatte, legte Qhuinn seinem Gefährten liebevoll die Hand auf den Rücken, und Blay sah ihn an. Sein Blick ruhte auf Qhuinn, als könnte er dieses schöne Gesicht ewig anschauen.

Der Stich, den dieser Anblick Saxton versetzte, war ihm ebenso vertraut wie das flaue Gefühl in der Magengrube, der Faustschlag von Blays Entscheidung, von wegen nein, ich will nicht dich, sondern ihn, was den kalten Nordostwind auf einmal sehr einladend wirken ließ. Schließlich war die Alternative, sein unbewohntes Zimmer hier zu nutzen und zu versuchen, unter demselben Dach wie das glückliche Pärchen und ihre beiden süßen Kleinen Schlaf zu finden.

Manchmal vermittelte einem nichts so sehr das Gefühl, alt und müde zu sein, wie das Glück anderer. Und ja, das war kein besonders edler Gedanke – aber deshalb war es ja auch gut, dass man seine Gedanken nur mit sich selbst teilte.

»Mein Herr, genießt Euer Letztes Mahl.« Saxton setzte ein Lächeln auf, obwohl der Blinde König auch das nicht wahrnehmen würde. »Ich denke, ich werde …«

»Schließ dich uns doch noch zum Essen an. Verdammt lecker. Komm schon, wir gehen zusammen rein.«

Saxton räusperte sich und suchte verzweifelt nach einem Vorwand, einer Verabredung oder Verpflichtung, die nicht vernachlässigt werden durfte.

»Ich warte«, murmelte Wrath. »Und du weißt, wie sehr ich das hasse.«

Mit einem stummen Seufzer erkannte Saxton, dass er diese Diskussion verloren hatte, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Er wusste außerdem nur zu gut, dass es um die Geduld des Königs ebenso knapp bestellt war wie um seine Beherrschung.

Nach diesem kleinen Warnschuss vor den Bug konnte Wrath ihn als Nächstes durchaus draußen im Schnee vierteilen lassen.

»Aber natürlich, mein Herr.« Saxton verbeugte sich und zog seinen Lieblingsmantel von Marc Jacobs aus. »Es ist mir eine Ehre.«

Neben seinem König durchquerte er das Foyer und betrat den weitläufigen Speisesaal, wo er seine Aktentasche, den Schal und den feinen Kaschmirmantel auf einem Stuhl neben einer der Anrichten ablegte. Mit etwas Glück würde keiner der Doggen »hilfsbereit« seine Sachen aufräumen. Bei einem Gebäude dieser Größe könnten sie eine Meile entfernt in irgendeinem Schrank landen.

Und Sturm hin oder her, sobald diese Mahlzeit vorbei war, würde er sich auf den Weg machen.

Aus dem Augenwinkel sah er die bezaubernde vierköpfige Familie und wählte strategisch einen freien Queen-Anne-Stuhl auf derselben Seite des riesigen Tisches, jedoch am anderen Ende. So würden sich gut fünfzehn Personen zwischen ihnen befinden, sobald alle ihre Plätze eingenommen hatten. In der Zwischenzeit beschäftigte Saxton sich intensiv damit, sein bereits akkurat angeordnetes Silberbesteck zurechtzurücken, um dann einem geduldigen Doggen ausführlich zu erklären, wie viel Cranberrysaft im Verhältnis zu wie viel Sprudel er für sein Getränk wünschte.

Kein Alkohol. Alkohol machte ihn, um es plump auszudrücken, geil, was nur zu sexueller Frustration führen würde. Zu Hause wartete niemand auf ihn. Es gab niemanden, den er gerne besuchen wollte. Daran ließ sich nichts ändern.

Ich will das nicht mehr.

Als der Gedanke wieder auftauchte, beschloss Saxton, dass sein König möglicherweise recht hatte. Vielleicht sollte er einen Abend freinehmen, um sich mit irgendeinem Fremden ein oder zwei Runden zu entspannen. Mehr würde es nie sein. Sein Herz war vergeben und würde nicht zurückkehren. Manchmal war dann eben ein anonymer Körper, den man als Fitnessgerät benutzte, alles, was das Schicksal einem bot.

Auf der anderen Seite des Tisches, ihm direkt gegenüber, nahm ein groß gewachsener Vampir Platz. Saxton merkte, wie er sich auf seinem Stuhl unwillkürlich etwas aufrichtete.

Es war Ruhn. Der blutsverwandte Onkel von Rhage und Marys adoptierter Tochter Bitty. Ein neues Mitglied der Hausgemeinschaft. Ein rundum anständiges, sehr … beeindruckendes … Exemplar ihrer Spezies.

Seltsam, dass jemand von dieser Größe sich so beherrscht und präzise bewegen konnte. Es war, als hätte er nicht nur Kontrolle über seine Arme und Beine, sondern über jede Zelle bis hin zu jedem Molekül, die als koordinierte Kette seine Anweisungen ausführten.

Ganz erstaunlich.

Und die schlichte Kleidung stand ihm gut. Kein maßgeschneiderter Tweedanzug mit handgenähtem Hemd, Krawatte und Schuhen aus Straußenleder, wie Saxton sie trug. Nein, Ruhns Outfit bestand aus einem schlichten T-Shirt unter einem dunkelblauen Strickpullover und dazu Levi’s-Jeans. Die Ärmel hatte er hochgeschoben, sodass die Sehnen und Adern seiner starken, aber schlanken Unterarme zum Vorschein kamen. Seine schwieligen Hände waren sauber, mit unpolierten, kurz geschnittenen Nägeln, und sein Brustkorb war so breit, dass der arme Pullover fast …

»Hallo, Onkel Ruhn!«

Als Bitty um den Tisch herum auf ihren Onkel zugehüpft kam, wurde Saxton kurz aus seinen Träumereien gerissen. Doch sein Blick kehrte rasch an seinen Ausgangspunkt zurück.

»Hallo, Bitty.« Ruhns Stimme klang sehr angenehm, leise und wohltönend. Der Akzent war der eines Zivilisten aus den Südstaaten. »Wie geht’s dir?«

Alles an ihm sprach von Zurückhaltung. Und auf die Umarmung des Mädchens reagierten die großen Hände so sanft und vorsichtig, als hätte er Angst, sie zu zerdrücken.

So wie er gebaut war, wäre das absolut denkbar.

»Mir geht’s prima! Deine Haare sind ja nass.«

Tatsächlich, die dunkelbraunen weichen Wellen waren zurückgekämmt und fingen in der trockenen Heizungsluft bereits an, sich zu locken.

»Kommst du vom Training?«, fragte das Mädchen.

»Ja.«

»Bald bist du so stark wie mein Dad.«

»Oh, noch lange nicht.«

Saxton musste lächeln. Der Vampir hatte tatsächlich ordentlich Muskelmasse zugelegt, das Ergebnis von zahllosen Stunden im Kraftraum des Trainingszentrums. Deutlich erkennbar an seiner Brust, den Schultern … und diesen Armen. Doch offenbar war seine Bescheidenheit ebenso außergewöhnlich wie seine Körperbeherrschung.

Als sich das Mädchen neben ihn setzte, um sich weiter zu unterhalten, gab Ruhn lächelnd kurze Antworten auf einen wahren Schwall von Fragen. Leider war die lange Tafel bald voll besetzt, sodass Saxton nichts mehr hören konnte.

Aber schauen konnte er noch. Mit Marissa auf der einen Seite und Tohrment auf der anderen hielt Saxton eine angenehme Unterhaltung in Gang, während das Essen auf Silberplatten und in tiefen Porzellanschüsseln serviert wurde. Ab und an erlaubte er seinem Blick, zur gegenüberliegenden Seite des Tisches zu wandern.

Ruhn aß mit gerunzelter Stirn, als würde er sich ganz bewusst auf jeden Schnitt seines Messers und jedes Aufspießen seiner Gabel konzentrieren. Ob es daran lag, dass er Hunger hatte oder sein Essen nicht hinunterschlingen wollte aus Angst, etwas fallen zu lassen, war schwer zu sagen, doch Saxton kam zu dem Schluss, dass es wohl Letzteres war.

Seit Ruhn Teil der Hausgemeinschaft geworden war, war er stets höflich und still gewesen. Er musste einem leidtun. Es war, als fürchtete er, man würde ihn beim leisesten Fehltritt auffordern zu gehen. Dabei war nichts abwegiger. Er gehörte jetzt zur Familie, weil Bitty zur Familie gehörte, und die Art, wie der Vampir sich mit Rücksicht auf das Wohlergehen seiner Nichte verhalten hatte, war wahrlich außergewöhnlich. Durch den Tod von Bittys Mutter hatte Ruhn als nächster Angehöriger jedes Recht gehabt, sie Rhage und Mary wegzunehmen.

Die sich um das Kind gekümmert und sich sehnlichst gewünscht hatten, es zu adoptieren.

Doch statt auf sein Recht zu pochen, hatte Ruhn selbstlos die tiefe Liebe erkannt, die die kleine Familie vereinte. Er hatte darauf bestanden, dass die Adoption durchgeführt wurde, und auf alle Ansprüche verzichtet, ohne eine Gegenleistung zu erwarten.

Wenn das keine Liebe war, dann wusste Saxton auch nicht.

Als Entschädigung für diese selbstlose Tat war Ruhn von der gesamten Gemeinschaft freudig aufgenommen worden. Was nicht bedeutete, dass die Gewöhnung an Caldwell und das Leben auf dem Anwesen für ihn nicht immer noch schwierig waren. Doch was seine Zukunft unter dem Dach der Bruderschaft anging, hatte er nichts zu befürchten. Solange er dies wünschte, hatte er hier ein Zuhause.

Saxton war ihm das erste Mal während des Adoptionsverfahrens begegnet. Nachdem Bittys offizielle Adoptionspapiere unterzeichnet waren, hatte er sich jedoch bewusst ferngehalten.

Auch wenn die körperlichen Vorzüge des Vampirs zahlreich waren, hatte es keine Anzeichen gegeben, dass er sexuell an anderen Männern interessiert war oder sie überhaupt wahrnahm. Was für Frauen ganz genauso galt. So wie das Universum normalerweise tickte, war Ruhn garantiert durch und durch hetero. Und Saxton hatte wahrlich genug davon, Dinge zu wollen, die er nicht haben konnte.

Ohne Vorwarnung begegnete sein Blick über den Tisch hinweg plötzlich dem von Ruhn. Dessen Augen hatten die Farbe edlen Bourbons. Vor Schreck rutschte Saxton die Serviette vom Schoß. Was ein Segen war, denn sie diente ihm als Vorwand, um kurz abzutauchen.

Nein. Er würde ganz sicher nicht den Tag im Anwesen verbringen.

Es war ihm einerlei, ob er kopfüber in einer Schneewehe landete, weil er sich beim Dematerialisieren vertan hatte. Nichts würde ihn dazu bewegen, unter diesem Dach festzusitzen, mit unerwiderter Liebe auf der einen Seite und unerwiderter sexueller Begierde auf der anderen.

Das würde schlichtweg nicht passieren.

Er hätte auf seinem Zimmer essen sollen.

Ruhn senkte den Blick auf sein Platzgedeck und versuchte, die Furcht hinunterzuschlucken, die bei diesen Mahlzeiten jedes Mal in ihm aufstieg. So viele Gabeln und Löffel neben Tellern, die mit so viel Gold verziert waren. So viele Leute, die sich in diesem großen Speisesaal in einem Maße wohlzufühlen schienen, wie er es nicht tat. So viele Menügänge und Bedienstete und Kerzen und …

»Onkel?«

Auf Bittys leise Nachfrage hin holte er tief Luft. »Ja?«

»Noch ein Brötchen?«

»Nein, danke.«

Er lehnte das Silberkörbchen nicht etwa ab, weil er satt war. Beim Schleier, er war immer noch am Verhungern, obwohl er seinen Teller leer gegessen hatte. Doch er hasste es, wie sehr seine Hände zitterten, und hatte Angst, er würde den Korb fallen lassen und all die Gläser vor ihm zerschmettern.

Hoffentlich wanderte das Ding in die andere Richtung … oh, der Jungfrau sei Dank. Rhage nahm den Korb wieder an sich und stellte ihn zwischen den silbernen Salz- und Pfefferstreuern und den goldenen Kerzenleuchtern ab.

Ruhn verstand nicht, wie sie sich alle nach der Vorspeise einfach gemütlich zurücklehnen und ungezwungen unterhalten konnten, das Weinglas lässig in der Hand, während ringsum Teller abgeräumt und Desserts auf neuen Platten hereingetragen wurden.

Als er den Kopf hob und sah, wie der Anwalt des Königs ihn über den Tisch hinweg anstarrte, hätte er am liebsten gebellt: Ja, ich weiß, ich habe furchtbare Manieren, aber ich gebe mir größte Mühe, nur wenn Ihr jede heruntergefallene Erbse und jeden Soßentropfen mitzählt, macht es das nur noch schlimmer.

Stattdessen senkte er den Blick und fragte sich, wie lange er hier sitzen bleiben musste, bis eine Flucht nach draußen auch nur ansatzweise denkbar wäre.

Saxton, mit Sicherheit Sohn eines höchst kultivierten Aristokraten edler Abstammung, beobachtete ihn ziemlich oft. Wann immer Ruhn an dem eleganten Vampir vorbeiging oder in seiner Nähe saß, was zum Glück nicht oft vorkam, folgten ihm diese Augen abschätzig und voller Missfallen. Andererseits war der Anwalt stets perfekt gekleidet, in Anzügen, die an seinem schlanken Körper saßen wie angegossen. Außerdem war er immer absolut gepflegt, kein Härchen seines blonden Schopfs wagte, aus der Reihe zu tanzen, und selbst am Ende einer langen Nacht sah er aus wie frisch geduscht, so glatt war er rasiert.

Auf so einen Vampir musste jemand, der mit gerade einmal zwei Paar Jeans, einem alten T-Shirt und einem einzigen Paar Arbeitsstiefeln hier eingezogen war, natürlich wie eine Beleidigung wirken. Wenn man dann noch bedachte, dass Ruhn Analphabet war und nicht einmal seinen Namen unter Bittys Adoptionspapiere hatte setzen können, war es ebenso gerechtfertigt wie offensichtlich, dass Saxton ihn geringschätzte.

Doch vielleicht steckte noch mehr dahinter. Vielleicht kannte Saxton die Wahrheit über seine Vergangenheit.

Der Gedanke ließ Ruhn erschaudern. Er war ehrlich gewesen, was seine Vorgeschichte und seine Taten betraf, und er ging davon aus, dass vor dem Rechtsberater des Königs nichts geheim gehalten wurde. Aber wer konnte das schon genau sagen. Wenigstens schienen ihn alle anderen zu akzeptieren. Und wenn er sich wegen Saxton mal wieder zu viele Gedanken machte, dann versuchte er, sich damit zu trösten. Trotzdem verletzte und beunruhigte es ihn.

Dabei wollte Ruhn eigentlich nichts weiter als einen Weg finden, wie er etwas zur Hausgemeinschaft beitragen und sich seinen Unterhalt verdienen konnte. Das Problem war nur: Für alles gab es Doggen, und sosehr er auch versucht hatte, einfache Reparaturarbeiten auf dem Anwesen zu übernehmen oder in der Küche auszuhelfen, seine Hilfe wurde stets zurückgewiesen.