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Liebe ist das größte Risiko – auch am Set eines Katastrophenfilms. Nachdem bei ihr multiple Sklerose diagnostiziert wurde, will Schauspielerin Jill Corrigan nichts mehr von Beziehungen wissen. Sie möchte ihrer potenziellen Partnerin nicht eines Tages zur Last fallen. Beim Dreh eines Katastrophenfilms lernt sie Stuntfrau Kristine »Crash« Patterson kennen, deren charmantes Lächeln Jill wünschen lässt, dass die Dinge anders stünden. Trotz ihrer wachsenden Gefühle will Jill Crash zwar in ihr Bett lassen, nicht aber in ihr Herz. Rasch spitzt sich die Situation vor und hinter der Kamera zu. Wird es ihnen gelingen, ihre Affäre bis Drehschluss zu beenden? »Affäre bis Drehschluss« ist das dritte Buch in der Hollywood-Reihe, kann aber auch unabhängig davon gelesen werden.
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Seitenzahl: 585
Veröffentlichungsjahr: 2016
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VON JAE AUSSERDEM LIEFERBAR
Vorsicht, Sternschnuppe
Die Hollywood-Serie:
Liebe à la Hollywood
Im Scheinwerferlicht
Dress-tease – Eine erotische Kurzgeschichte
Affäre bis Drehschluss
Die Portland-Serie:
Auf schmalem Grat
Rosen für die Staatsanwältin
Umzugsfieber
Die Mondstein-Serie:
Cabernet & Liebe
Verführung für Anfängerinnen
Die Serie mit Biss:
Zum Anbeißen
Coitus Interruptus Dentalis
Die Gestaltwandler-Serie:
Vollmond über Manhattan
Inhaltsverzeichnis
Von Jae ausserdem lieferbar
Title Page
DANKSAGUNG
PROLOG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
ÜBER JAE
EBENFALLS IM YLVA VERLAG ERSCHIENEN
Liebe à la Hollywood
Alles nur Kulisse
Wie ein neues Leben - Ein lesbischer Liebesroman
Popcorn Love - Das Glück ist so nah
DEMNÄCHST IM YLVA VERLAG
L.A. Metro - In nur einem Herzschlag
Heart’s Surrender - Ein erotischer Liebesroman
DANKSAGUNG
Wie immer möchte ich meinen Betaleserinnen, Alison Grey, Susanne und Katharina, danken. Ein herzliches Dankeschön geht auch an meine Lektorin, Devin Sumarno.
PROLOG
Jill war nicht mehr ernsthaft krank gewesen, seit sie mit sieben eine Lungenentzündung gehabt hatte. In den letzten beiden Monaten hatte sie jedoch mehr Zeit im Wartezimmer von Ärzten als am Set oder in ihrem eigenen Haus verbracht. Sie grinste halbherzig. Ich bezweifle, dass ich diesmal einen Lolli als Belohnung fürs gute Benehmen bekomme.
Sie saß im Wartebereich und blätterte in einer fünf Monate alten Zeitschrift, ohne sie wirklich zu lesen. Die Uhr an der Wand tickte laut vor sich hin. Jede Bewegung des Sekundenzeigers dröhnte wie ein Trommelschlag. Vielleicht war es aber auch nur das Pochen ihres eigenen Herzens, das sie hörte.
Beruhig dich. Es ist nur dein verflixtes Bein, nichts Lebensbedrohendes. Normalerweise war Jill eine unverbesserliche Optimistin, aber irgendwie hatte sie diesmal ein ungutes Gefühl.
Keiner der vielen Ärzte, bei denen sie in den letzten acht Wochen gewesen war, hatte ihr helfen oder zumindest sagen können, was mit ihrem Bein nicht stimmte. Zuerst hatte sie das unangenehme Kribbeln in ihrer linken großen Zehe auf die spitz zulaufenden Schuhe geschoben, die sie beim Dreh tragen musste, aber dann hatte es sich ausgebreitet und den ganzen Fuß und schließlich den Unterschenkel erfasst. Mittlerweile war ihr linkes Bein von den Zehenspitzen bis zur Hüfte taub.
Die Blutergebnisse sahen jedoch normal aus, ebenso ihre Röntgenaufnahmen. Diabetes, Borreliose, Vitamin-B12-Mangel, orthopädische Probleme und ein eingeklemmter Nerv wurden ausgeschlossen. Ruhe hatte genauso wenig geholfen wie Physiotherapie. So langsam kam ihr der Verdacht, dass man sie für eine Hypochonderin hielt – eine Möchtegern-Hollywood-Diva, die die ganze Welt für eine Bühne hielt und jedes Mal den sterbenden Schwangab, wenn sie auch nur an einer einfachen Erkältung litt.
Schließlich hatte Dr. Stevens ein MRT angeordnet. Nach Wochen des Wartens – zuerst auf Untersuchungstermine, dann auf die Ergebnisse – würde sie heute vielleicht endlich herausfinden, was ihr fehlte.
»Ms. Corrigan?«, rief die Sprechstundenhilfe. »Dr. Stevens ist jetzt so weit.«
Ein Kloß bildete sich in Jills Hals. Sie folgte der Sprechstundenhilfe den gefühlt längsten Flur der Welt hinab. Als sie Dr. Stevens gegenüber vor seinem Schreibtisch Platz nahm, umklammerte sie ihren Gehstock so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Die speigrünen Wände seines Büros waren seit ihrem letzten Besuch kein bisschen attraktiver geworden.
»Na«, sagte Dr. Stevens. »Wie geht es Ihnen?«
Sie wünschte, er würde den Small Talk überspringen und gleich zur Sache kommen. »Gut«, sagte sie. Ihre Symptome erneut zu beschreiben, würde ihr nicht helfen, denn er kannte sie bereits.
»Das freut mich.« Er nickte mehrfach, scharrte unter dem Schreibtisch mit den Füßen und sah hinab auf den Bericht, der vor ihm lag.
Selbst als Jill den Hals reckte, konnte sie nicht lesen, was dort geschrieben stand.
Er spielte unruhig mit dem Papier. »Ich habe gute und schlechte Nachrichten.«
Jill biss die Zähne zusammen. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass er dieses Spiel mit ihr spielte. Sie war nie jemand gewesen, der unangenehme Dinge in die Länge zog, und sie würde jetzt ganz sicher nicht damit beginnen. Mit Nachdruck legte sie beide Hände auf den Schreibtisch. »Sagen Sie’s mir einfach.«
»Es ist kein Gehirntumor.«
Jill atmete auf. Die Kernspintomografie ihres Gehirns und Rückenmarks hatte sie schon fürchten lassen, dass ihr Arzt auf Krebs tippte. Okay, das waren sicher die guten Nachrichten. Was waren dann die schlechten? Nichts konnte schlimmer als ein Gehirntumor sein, oder? Sie beugte sich vor. »Was ist es dann?«
»Nun ja, die Diagnose ist nicht so einfach, weil es keinen spezifischen Test dafür gibt, aber …« Der Arzt starrte auf den Bericht des Radiologen, anstatt ihr in die Augen zu sehen.
Bei der Vorlesung zum richtigen Umgang mit Patienten hatte er wohl gefehlt. Sie klopfte auf den Schreibtisch, damit er sie ansah. Ihr Gehstock, den sie gegen den Schreibtisch gelehnt hatte, fiel zu Boden, doch sie ignorierte ihn. »Aber was?«
Dr. Stevens kratzte sich an der Nase. »Aufgrund der Symptome, die Sie beschreiben, und der früheren Episode verschwommenen Sehens …«
»Das ist Jahre her und hat auch nur ein oder zwei Tage gedauert, nicht so wie das hier.« Sie wedelte in Richtung ihres Beins. »Damals stand ich unter großem Druck, Rollen zu finden. Vermutlich war es nur Stress.«
Der Arzt schüttelte langsam den Kopf. »Das glaube ich nicht. Die hellen Flecken auf dem MRT weisen auf Entzündungen im ZNS hin. Wenn man Ihre Vorgeschichte mit neurologischen Symptomen bedenkt, bin ich ziemlich sicher, dass es MS ist. Multiple Sklerose. Das ist eine Autoimmunerkrankung, was bedeutet, dass Ihr Immunsystem die Isolierschicht Ihrer Nervenfasern angreift und …«
Den Rest seiner Erklärung hörte Jill nicht mehr. Die beiden Buchstaben hallten durch ihren Kopf. MS. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, was sie über diese Erkrankung gehört hatte. Viel war es nicht. Ist das nicht die Krankheit, die Mr. Rosner hat? Der Nachbar ihrer Eltern saß im Rollstuhl und war unfähig, auch nur die Hand zu heben.
»Nein«, sagte sie laut und unterbrach damit den Arzt mitten im Satz. »Das kann nicht sein. Ich bin doch erst fünfundzwanzig.«
Dr. Stevens sah sie mitleidig an. »Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber das ist das typische Alter für das Auftreten von MS.«
Eine Taubheit ganz anderer Art ergriff sie und fesselte sie an den Stuhl, während ihre Gedanken sich überschlugen. Unzählige Fragen und Horrorvorstellungen über ihre Zukunft brachen über sie herein. Schließlich gelang es ihr, eine davon zu artikulieren. »Werde ich im Rollstuhl enden?«
Der Arzt hob die Hände und ließ sie auf seinen Schoß fallen. »Das kann ich nicht sagen. Der Verlauf von MS ist bei jedem Patienten anders. Sie haben vermutlich einen schubförmigen Verlauf, was bedeutet, dass sich symptomfreie Phasen und akute Schübe abwechseln. Mit der Zeit könnte Ihr Zustand sich verschlimmern, aber das ist unmöglich vorherzusagen.«
»Phasen«, wiederholte Jill und versuchte verzweifelt zu verstehen, wie sich ihr Leben innerhalb von Sekunden so drastisch verändern konnte. »Wie lang sind diese Phasen?«
»Auch das ist für jeden verschieden. Wenn Sie Glück haben, vielleicht ein oder zwei Schübe pro Jahr.«
Jill unterdrückte ein Schnauben. Im Moment fühlte sie sich nicht gerade vom Glück verfolgt. »Falls ich wirklich MS habe …« Es laut auszusprechen ließ ihren Kopf schmerzen. »Gibt es nichts, was man tun kann?«
»Doch, natürlich. Ich werde Sie an einen Neurologen überweisen, der Ihnen die Behandlungsoptionen erklären wird. Vielleicht wird er Kortikosteroide vorschlagen, um Ihren aktuellen Schub zu behandeln. Und es gibt Medikamente, die die Schübe hinauszögern können.«
»Aber eine Heilung gibt es nicht?«
Der Arzt seufzte. »Nein. Zumindest noch nicht.«
Schweigen breitete sich im Raum aus, bis Dr. Stevens fragte: »Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«
Jill hatte hunderte, aber sie konnte sich auf keine davon lange genug konzentrieren, um sie zu stellen, deshalb schüttelte sie den Kopf.
Er erhob sich und gab ihr einen Stapel Informationsbroschüren und eine Visitenkarte. »Das ist die Adresse einer Selbsthilfegruppe ganz in der Nähe. Vielleicht sollten Sie zu einem Treffen gehen.«
Jill nahm das Infomaterial und die Karte, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen oder zu antworten. Beim Verlassen der Praxis fühlten sich ihre Beine noch wackeliger an als zuvor. Eine gefühlte Ewigkeit lang, vielleicht aber auch nur ein paar Minuten, saß sie im Auto, ohne den Motor zu starten, und starrte durch die Windschutzscheibe ins Leere. Ihre Augen brannten, aber es wollten keine Tränen kommen.
»Okay. Reiß dich zusammen.« Sie umklammerte das Lenkrad mit beiden Händen, als wäre es ein Anker zur Realität. »Das ist nicht das Ende der Welt.«
Warum zum Teufel fühlte es sich dann so an?
* * *
Nachdem sie zwei Tage lang nur im Haus auf und ab gegangen war und kaum geschlafen hatte, zwang pure Erschöpfung Jill, sich auf die Couch sinken zu lassen. Ihr Blick fiel auf die Broschüren, die dort lagen. Nach kurzem Zögern streckte sie die Hand aus und nahm den obersten Flyer.
Gestern hatte sie ihn überflogen, aber nachdem sie auf Wörter wie Blasenprobleme, Gehhilfen und tägliche Injektionen gestoßen war, hatte sie die Broschüre schnell wieder weggelegt. Jetzt zwang sie sich zum Weiterlesen, obwohl ihr Magen sich mit jedem Wort mehr verkrampfte. Stand ihr das wirklich alles bevor?
»Komm schon. Du packst das. Du wirst dich nicht von dieser Krankheit unterkriegen lassen«, sagte sie laut, als ob es das Gesagte wahrmachen würde. Ohne sich eine Pause zu erlauben, griff sie nach der nächsten Broschüre. Diese trug den Titel »Sich Hilfe holen« und listete Therapeuten und Selbsthilfegruppen auf.
Jill stellte sich vor, wie sie in einem Kreis aus Stühlen und Rollstühlen saß und wildfremden Menschen von etwaigen Inkontinenzproblemen erzählte. Sie schüttelte den Kopf und musste lächeln. Nein, eine Selbsthilfegruppe war nichts für sie.
Die letzte Seite der Broschüre zählte weitere Anlaufstellen für Unterstützung auf, darunter Familienangehörige.
Jill stöhnte. Oh, Mist. An James und ihre Eltern hatte sie noch gar nicht gedacht. Musste sie ihnen wirklich davon erzählen? Es war schließlich nicht so, als ob sie ein großer Teil ihres Lebens waren. Sie sahen einander einmal im Jahr und am Telefon sprach ihre Mutter immer nur von James, Jills perfektem Bruder, der im Gegensatz zu Jill den richtigen Job und die richtige Art von Beziehung hatte. Aber Jill war vom richtigen Pfad abgekommen, als sie sich geoutet hatte und nach Hollywood gezogen war. Deshalb hatten ihre Eltern sie nicht unterstützt, weder, wenn es darum ging, Rollen zu finden, noch als ihre erste Freundin mit ihr Schluss gemacht hatte.
Es ergab keinen Sinn, ihre Familie in die Sache mit hineinzuziehen. Wenn sie später Hilfe brauchte, wäre es besser, jemanden dafür zu bezahlen. Vielleicht würde sie sich eine Haushälterin suchen. So konnte sie ihre Energie für wichtige Dinge sparen, anstatt diese beim Putzen und Bügeln zu verschwenden. Sie hasste es ohnehin, sich um den Haushalt kümmern zu müssen.
Nun war sie so weit, mehr darüber zu erfahren, wie sie mit dieser verdammten Krankheit zurechtkommen konnte. Sie öffnete den Laptop, sah sich ein paar Webseiten an und las einzelne Abschnitte, bis sie schließlich auf die YouTube-Seite einer jungen Frau gelangte. Es handelte sich um ein Videotagebuch, welches das Leben mit MS beschrieb. Sie sah sich einen Eintrag über die richtige Ernährung an, dann einen über sportliche Betätigung, froh, dass es zumindest etwas gab, was sie für ihre Gesundheit tun konnte.
Das nächste Video startete automatisch. Das Thema – MS und Beziehungen – ließ Jill die Hand nach dem Touchpad ausstrecken, um das Video zu überspringen. Sie war single und eine neue Beziehung war so ziemlich das Letzte, wonach ihr im Moment der Sinn stand. Überhaupt war es wohl besser, sich nicht wieder mit jemandem einzulassen. Sie wollte nicht mit MS leben, wie konnte sie es da einer Person zumuten, die sie liebte?
Aber die Stimme der jungen Frau – nun tränenerstickt, statt wie zuvor gut gelaunt – ließ sie innehalten und zuhören.
»Ich verstehe es ja irgendwie«, sagte die Frau im Video und schniefte. »Ich meine, mit der Aussicht zu leben, dass er mich eines Tages vielleicht füttern, anziehen und im Rollstuhl durch die Gegend schieben muss … Das ist eine Menge Holz. Niemand will mit zwanzig schon eine solche Verantwortung tragen. Alle haben mich gewarnt und gesagt, was für eine große Belastung es für den Partner eines MS-Patienten ist und wie negativ sich MS auf eine Beziehung auswirken kann. Aber ich wollte glauben, dass wir anders wären. Dass wir es schaffen können. Wie in guten so in schlechten Tagen, so heißt es doch, oder?«
Die junge Frau zog ein Taschentuch aus einer Schachtel, dann noch eines und schließlich ein drittes. »Er hat nicht mal gewartet, bis ich aus dem Krankenhaus draußen war. Er ist ohne jede Erklärung ausgezogen und hat nur gesagt, dass er sich eingeengt fühlt und so nicht weitermachen kann.« Der Rest ihrer Worte war unverständlich, denn sie schluchzte in ihr Bündel Taschentücher.
Himmel. Das Arschloch hat sie einfach sitzenlassen.
Nach ein paar Minuten des Weinens und Lamentierens beruhigte sich die Frau ein wenig, sodass Jill wieder verstehen konnte, was sie sagte. »Warum kann er nicht mehr wie Michael sein? Er kümmert sich so liebevoll um Sara, fährt sie zu ihren Arztterminen und hilft ihr sogar beim Baden und Anziehen.«
Jill wusste nicht, ob das besser war. Nur weil ein Paar zusammenblieb, hieß das noch lange nicht, dass sie glücklich waren. Wie konnte man das unter diesen Umständen auch sein?
Sie klopfte auf das Touchpad und schloss das Browserfenster. Nun war sie entschlossener denn je, sich – oder jemanden, den sie liebte – niemals in eine solche Situation zu bringen. Es war besser, wenn sie für sich blieb. Jemand in ihrer Lage hatte nicht das Recht, eine Partnerin an sich zu binden und zu erwarten, dass die Ärmste sich um sie kümmerte. Sie trug die Verantwortung für ihr Leben, niemand sonst.
Schon von jeher war sie niemand gewesen, der unbedingt in einer Beziehung sein musste. Zwar hatte sie sich ein oder zwei Mal verliebt, aber sie war nie so anhänglich gewesen, dass sie sich ohne Beziehung einsam fühlte.
Mit einem entschiedenen Nicken schloss sie den Laptop. Es war am besten, wenn sie single blieb.
KAPITEL 1
Achtzehn Monate später
»Susana?«, rief Jill in Richtung Küche. »Ich fahre rüber zu Grace. Kannst du die Alarmanlage einschalten, wenn du gehst? Und gib Du-weißt-schon-Wem nicht so viele Leckerchen, während ich weg bin.«
»Ich?«, rief ihre Haushälterin in ihrem unschuldigsten Tonfall zurück. »Das mache ich doch gar nicht. Er leistet mir nur deshalb so gern in der Küche Gesellschaft, weil er Zuneigung aufsaugt wie ein Schwamm.«
Jill schnaubte. »Nicht nur Zuneigung. Er saugt auch alles Essbare auf, das auf den Boden fällt.« Als sie ihre Schlüssel nahm und zur Tür ging, kam Tramp aus der Küche gerannt.
»O nein.« Sie schüttelte den Kopf und schob ihn zurück. »Du bleibst hier bei Oma.«
»Das habe ich gehört.« Susana Rosales trat in den Flur und strich sich mit einer Hand durch ihr angegrautes Haar. »Ich bin nicht alt genug, um eine Großmutter zu sein.«
»Noch nicht«, antwortete Jill grinsend. »Wie ich höre, hat Tomás endlich eine Freundin.«
Susana strahlte. »Sí. Scheinbar hat es ihn doch nicht bis ans Lebensende traumatisiert, als er dich nackt gesehen hat.«
Sie sahen einander an und lachten los.
Vor einem Jahr war Jill nicht zum Lachen zumute gewesen. Sie wurde wieder ernst, als sie sich an den Tag zurückerinnerte, an dem sie entdeckt hatte, dass heiße Bäder keine gute Idee waren. Die Hitze verschlimmerte ihre MS-Symptome. Fast wäre sie bewusstlos geworden, ehe es ihr gelungen war, aus der Wanne zu kriechen. Sie war aus dem Badezimmer gestolpert – und direkt in die Arme von Susanas sechszehnjährigem Sohn, der gerade eine Glühbirne in ihrem Schlafzimmer gewechselt hatte. Noch heute konnte sie nicht sagen, wer entsetzter gewesen war: Tomás oder sie selbst.
»Traumatisiert?«, wiederholte Jill und schüttelte den Kopf. »Quatsch. Wenn überhaupt hätte der Anblick meines nackten Körpers ihn für immer für andere Frauen verdorben.«
Susana schlug mit einem Geschirrtuch in ihre Richtung und schnalzte mit der Zunge. »Geh oder ich werde Tomás sagen, dass er deinen Rasen doch nicht mähen muss.«
Lachend flüchtete Jill zur Tür hinaus und dann zu ihrem Wagen. Ein Druck auf den Knopf der Fernbedienung öffnete das gusseiserne Tor zu ihrem Zuhause in Glendale. Sie kam sich vor wie eine Figur in einem Spionagethriller, als sie das Auto auf die Straße lenkte und dabei rasch nach links und rechts sah, um sicherzugehen, dass keine Paparazzi in der Nähe lauerten.
Nachdem sie sich im Juni als Lesbe und als Frau mit MS geoutet hatte, waren die Klatschreporter ihr gefolgt wie ein Rudel hungriger Wölfe einem leckeren Hasen, obwohl sie Jill zuvor nicht beachtet hatten. So ist das nun mal in Hollywood. Man muss sterben, in die Entzugsklinik gehen oder zumindest an einer chronischen Krankheit leiden, um in die Schlagzeilen zu geraten.
Als sie sicher war, dass die Luft rein war, fuhr sie zu Grace’ Hütte im Topanga Canyon. Das kleine, versteckt liegende Haus war ein Zufluchtsort für Grace und ihre Partnerin Lauren gewesen, als die beiden ein Paar geworden waren. Auch Jill hatte einige Zeit in der Hütte verbracht, insbesondere letztes Jahr während des Medienrummels, nachdem sie gezwungenermaßen ihre MS publik gemacht hatte. Damals war Lauren noch ihre PR-Beraterin gewesen, aber während der vergangenen Monate hatten sie sich angefreundet.
Grace’ Geländewagen und Laurens Honda Civic standen in der Auffahrt, als Jill das Ende des ungeteerten Wegs erreichte.
Oh, prima. Jill parkte ihr rotes Beetle Cabrio und rieb sich die Hände. Sie konnte es kaum abwarten zu hören, was der Besetzungsleiter von Aus dem Gleichgewicht gesagt hatte. Würde er ihr die Hauptrolle in dem historischen Drama geben, das Lauren geschrieben hatte, oder sie zumindest dafür vorsprechen lassen? Schon als Lauren ihr das Drehbuch zum ersten Mal gezeigt hatte, war Jill begeistert gewesen. Es lag nicht nur an dem historischen Setting und den spannenden Actionszenen, in denen die zwei jungen Frauen versuchten, das Erdbeben und die Feuer von 1906 zu überleben. Es war auch endlich mal ein Drehbuch mit nicht nur einer, sondern gleich zwei weiblichen Hauptfiguren. Jill hatte es satt, immer den witzigen Kumpel oder die etwas ungeschickte beste Freundin zu spielen. Jetzt, da Lauren ein gutes Wort für sie einlegte, hatte sie endlich eine Chance auf eine anspruchsvollere Rolle.
Grace öffnete die Tür in einem türkisfarbenen Bikini, der fast dieselbe Farbe wie ihre Augen hatte.
Nicht, dass Jill ihr in die Augen gesehen hätte. Ihr Blick ruhte auf dem großzügig bemessenen Dekolleté ihrer Freundin. Ein paar Sekunden lang gaffte sie, überrascht von dem unerwarteten Anblick und der Erkenntnis, dass ihre totgeglaubte Libido doch noch am Leben war.
»Komm rein«, sagte Grace und umarmte sie. Ihre Haut war warm. Ein paar Wassertropfen hingen daran. »Wir sind draußen im Whirlpool.« Sie ging voraus zur Steinterrasse hinter dem Haus.
Jill schüttelte den Kopf über sich selbst.Du bist doch nicht schon so verzweifelt, dass du deine beste Freundin angaffen musst, oder?
Okay, vielleicht sollte sie etwas nachsichtiger mit sich sein. Immerhin hatte sie seit achtzehn Monaten keine Frau mehr angesehen, geschweige denn berührt. Außerdem gafften selbst Priester und schwule Männer Grace an. Nicht umsonst war sie zu einer der bestaussehendsten Frauen der Welt gewählt worden.
Als sie die Glastür zurückschoben und nach draußen traten, hob Lauren eine Hand aus dem sprudelnden Wasser und winkte. »Hallo, Jill. Willst du dich zu uns gesellen?« Sie deutete auf den Whirlpool, der groß genug für drei Personen war.
Spielerisch fasste sich Jill an die Brust. »Nacktbaden mit euch zweien? Danke für das verlockende Angebot, aber ich glaube, das könnte mein Herz nicht verkraften.« Ihrem Herzen ging es natürlich bestens, aber sich bis zum Hals in heißes Wasser zu setzen war dennoch keine gute Idee. Schon ein kleiner Anstieg ihrer Körpertemperatur konnte ihre MS-Symptome verschlimmern und dazu führen, dass sie für den Rest des Tages eine Krücke benutzen musste. Aber das sagte sie nicht. Sie wollte die Menschen in ihrem Leben nicht ständig an ihre verflixte MS erinnern.
Grace sah sie an, als wüsste sie genau, warum Jill das Angebot abgelehnt hatte. Zum Glück sagte sie jedoch nichts.
Lauren lächelte, lehnte sich zurück und sah zu, wie Grace zurück in den Whirlpool kletterte. »Wie du willst. Dann haben Grace und ich den Whirlpool für uns.«
Die beiden sahen einander an und schienen zu vergessen, dass sie nicht allein waren.
Jill lächelte wehmütig. Sie freute sich für Grace. Nach ihrer gescheiterten Ehe und all dem Mist, den sie im letzten Jahr hatte durchmachen müssen, verdiente sie ihr neues Liebesglück. Aber manchmal rebellierte ein Teil von Jill gegen die Ungerechtigkeit des Lebens. Ihre Freundinnen hatten alles – Erfolg im Beruf, Gesundheit und eine glückliche Beziehung –, während sie selbst …
Ach, hör schon auf mit dem Selbstmitleid! Dir geht’s doch gut. Sie setzte sich auf einen Liegestuhl im Schatten und räusperte sich. »Hattest du Gelegenheit, mit dem Besetzungsleiter zu reden?«
»Ähm, ja, hatte ich«, antwortete Lauren.
»Ach? Warum hast du nichts gesagt?«, fragte Grace.
»Nun ja, ich habe erst vorhin mit ihm geredet und als ich zurückkam …«
Grinsend schüttelte Jill den Kopf über ihre Freundinnen. »Lass mich raten. Du bist ein bisschen abgelenkt worden.«
Laurens Blick glitt zu Grace’ nackten Schultern, die aus dem Wasser ragten. Ein breites Grinsen huschte über ihr Gesicht. »Mehr als ein bisschen.«
»Also«, sagte Jill, »was hat der Besetzungsleiter denn nun gesagt?«
Das Lächeln verschwand von Laurens Gesicht. Zwar war sie einst eine der erfolgreichsten PR-Beraterinnen Hollywoods gewesen, aber schauspielern konnte sie nicht.
Jill seufzte. »Er hat Nein gesagt.«
Lauren biss sich auf die Unterlippe und nickte. »Tut mir leid. Ich weiß, dass dir die Rolle viel bedeutet hätte.«
»Ist schon okay«, sagte Jill und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht sie war. »Vermutlich hätte ich ohnehin nicht zu der Rolle gepasst.«
»Du wärst perfekt in der Rolle gewesen«, sagte Grace. Ihre Wangen röteten sich, entweder vom heißen Wasser oder weil sie leidenschaftlich glaubte, was sie sagte. »Du bist stark und schlagfertig, aber auch ein wenig verletzlich. Das ist genau die richtige Mischung für die Rolle. Außerdem bist du lesbisch, hättest also kein Problem damit gehabt, eine Frau zu küssen. Ich kann wirklich nicht verstehen, warum man dich nicht zumindest für die Rolle vorsprechen lässt.«
»Es ist eine ziemlich anspruchsvolle Rolle«, sagte Lauren leise.
Grace sah die Frau, mit der sie nun seit sechs Monaten zusammen war, stirnrunzelnd an. »Glaubst du, Jill hätte das nicht gepackt? Du hast sie doch in Avas Herz erlebt. Sie hat die anderen Nebendarsteller locker an die Wand gespielt! Sie …«
»Das meinte ich nicht, als ich von einer anspruchsvollen Rolle gesprochen habe. Das Drehbuch erfordert viele körperlich herausfordernde Actionszenen. Die beiden Hauptdarstellerinnen müssen einige ihrer Stunts selbst drehen.«
Jill biss sich auf die Innenseite ihrer Wange. Das war also der wahre Grund. Es ging nicht um ihr Aussehen oder ihre schauspielerischen Fähigkeiten. Es lag an der MS. Der letzte Schub lag sieben Monate und zwei Wochen zurück. Manchmal konnte sie fast vergessen, dass sie MS hatte. Die Leute im Showbusiness vergaßen es jedoch nie. Katastrophenfilme waren teuer. Die Produzenten wollten nicht riskieren, dass der Drehplan von einer Schauspielerin durcheinandergebracht wurde, die nicht mit den anderen mithalten konnte.
»Ich verstehe«, sagte sie so ruhig wie möglich, obwohl sie innerlich schrie und tobte. Aber es hätte sie nicht weitergebracht, wenn auch noch ihre Freunde sich schlecht fühlten.
»Ich nicht«, sagte Grace. Ihre berühmten himmelblauen Augen hatten sich zu einem Gewitterwolkengrau verdunkelt. »Warum hat man ihr nicht wenigstens eine Nebenrolle angeboten? Eine, bei der sie nicht so viel herumrennen, springen und über Berge von Trümmern klettern muss.«
Jahrelange Erfahrung als Schauspielerin ermöglichte es Jill, ruhig zu wirken, während ihre Freundinnen über sie redeten, als wäre sie nicht anwesend. Sie wusste, dass sie es nur gut meinten.
»Ich konnte den Besetzungsleiter tatsächlich davon überzeugen, sich mal ihre Vita samt Fotos anzusehen.« Lauren drehte sich auf dem Sitz im Whirlpool, um Jill anzusehen. »Mit deinen grünen Augen, den roten Haaren und deiner hellen Haut siehst du genau so aus, wie ich mir Lucy Sharpe vorstelle. Du bist sogar im richtigen Alter.«
Lucy Sharpe … Jill versuchte sich daran zu erinnern, wer das war. Vielleicht bildete sie sich das nur ein, aber seit die ersten MS-Symptome aufgetreten waren, schien ihr Gedächtnis nicht mehr dasselbe zu sein. Manchmal brauchte sie ewig, um ihren Text zu lernen.
»Die Ärztin, schon vergessen?«, sagte Lauren, als Jill ihr einen fragenden Blick zuwarf.
Ach ja. Jill nickte. Auch Lucy war eine starke Figur und sie kam in fast so vielen Szenen wie die beiden Hauptfiguren vor, aber es war nun einmal keine Hauptrolle. Jill rang sich ein Lächeln ab. »Oho, ich darf meine Zeit also mit Doktorspielchen verbringen?«
»Wenn du die Rolle willst.« Lauren musterte sie.
»Klar, wieso auch nicht?« Jill schluckte ihren Stolz hinunter. Die Besetzungsleiter hatten in den letzten Monaten nach ihrem doppelten Outing schließlich nicht vor ihrer Tür Schlange gestanden.
Lauren strahlte. »Okay. Dann sage ich allen Bescheid.«
»Glaubst du, man nimmt mich?«, fragte Jill.
»Das will ich doch hoffen.« Lauren grinste sie an. »Immerhin ist der Besetzungsleiter mein Patenonkel und nachdem er schon nicht wollte, dass du Kathryn Winthrop spielst, schuldet er mir was.«
Auch wenn es vielleicht dumm war, schüttelte Jill den Kopf. »Ich will die Rolle nicht nur deshalb bekommen, weil der Besetzungsleiter dir einen Gefallen schuldig ist.«
»Machst du Witze? Die können froh sein, wenn sie dich bekommen. Du hast genau den richtigen Pfeffer für die Rolle. Außerdem …« Lauren beäugte sie spielerisch. »Ich bin sicher, du wirst super in einem Korsett aussehen.«
Jill stöhnte. »Ich hasse historische Kostüme. In den Dingern kann man kaum atmen. Das nächste Mal schreib lieber ein Drehbuch über eine weibliche Version von Casanova, die den ganzen Tag nur am Pool liegt und Frauen verführt. Das wäre eine Paraderolle für mich.«
Ihre Freundinnen schnaubten und bespritzten sie mit Wasser.
»Hey!«
* * *
Das Funkgerät knisterte. »Crash?«, kam die Stimme des Stuntkoordinators aus dem Apparat. »Bist du noch da?«
Crash grinste. Sie stand auf dem Dach eines sechsstöckigen Hauses. Wo sollte sie denn hingegangen sein? »Bin noch hier und für alles bereit.«
»Wir brauchen noch ein paar Minuten, um die Kameras in Position zu bringen«, sagte er.
»Okay. Ich halte mich bereit.«
Das Funkgerät wurde still.
Normalerweise machte das Warten Crash nichts aus. Das gehörte zum Filmemachen dazu. In den fünf Jahren, die sie nun schon im Stuntgeschäft arbeitete, hatte sie sich daran gewöhnt. Aber hier oben auf dem Dach war der trockene Märzwind viel stärker als unten am Boden und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie musste sich wiederholt über die Augen wischen und sich Strähnen der blonden Perücke aus dem Gesicht streichen.
Während sie wartete, ging sie in Gedanken ihre Liste durch: die Windstärke im Auge behalten, um nicht in eine plötzliche Böe zu springen, die sie vom Kurs abbringen und über den Airbag hinaus treiben würde. Das Luftkissen genau in der Mitte treffen, sodass sie nicht zurückkatapultiert und gegen das Gebäude oder zu Boden geschleudert werden würde.
Sie atmete tief durch. Obwohl ein gewisses Risiko immer blieb, war der Stunt sicher. Sie hatte die Ausrüstung überprüft und am Morgen einen Übungssprung gemacht.
Schließlich drang erneut die Stimme des Stuntkoordinators aus dem Funkgerät. »Bist du so weit?«
Crash spähte hinab auf das blaue Luftkissen am Boden und prüfte, ob die Kollegen unten richtig standen. »Bereit.«
»Denk daran, dass du mit dem Gesicht voran …«
»Ich weiß, wie’s läuft«, sagte sie.
Die Stimme des zweiten Regisseurs kam durch das Funkgerät, als er seinem Team Anweisungen gab. »Kamera ab.«
»Kamera läuft.«
Crash visierte die Stelle auf dem Dachsims an, von der sie abspringen musste, um den Airbag genau richtig zu treffen.
»Drei, zwei, eins …«
Als der Countdown erklang, spürte Crash, wie das Adrenalin durch ihren Körper schoss. Der Nervenkitzel eines Sprungs aus dieser Höhe ließ nie nach, ganz egal, wie oft sie solche Stunts schon gemacht hatte. Sie stemmte beide Füße in den Boden und wartete auf ihr Signal.
»Los!«
Sie sprang mit dem Gesicht voran über die Kante und strampelte mit Armen und Beinen, genau wie der Regisseur es wollte. Der Boden kam rasch näher. Warte, warte, warte … Sie gab den Kameraleuten so viel Zeit wie möglich, damit sie genug Aufnahmematerial hatten, bevor sie ihren Körper drehte.
Sie landete auf dem Rücken, das Kinn gegen die Brust gedrückt, die Aufprallfläche so gleichmäßig verteilt wie möglich. Ein wenig Luft entwich aus dem Airbag.
Einen Moment lang blieb alles still. Dann applaudierte das Team.
Crash stützte sich auf einem Ellbogen auf, sah hinter sich und grinste. Perfekte Landung. Sie hatte das weiße X in der Mitte des Luftkissens genau getroffen.
Der Stuntkoordinator, der auch als Regisseur des zweiten Drehteams fungierte, kam zu ihr. »Alles okay bei dir?«
Sie rollte sich vom Luftkissen und sprang leichtfüßig zu Boden. »Klar. Brauchen wir eine Wiederholung?«
»Nein. Das erste Mal war gleich perfekt. Gut gemacht.«
»Schade«, grummelte Crash. Adrenalin floss noch immer durch ihre Adern. Sie war bereit, wieder aufs Dach zu steigen und das Ganze noch mal zu machen.
Er musterte sie, als nähme er Maß. »Hast du in den nächsten Monaten schon Stuntarbeit, die auf dich wartet?«
»Noch nicht.« Crash war noch nicht an dem Punkt in ihrer Karriere, an dem sie einen Job nach dem anderen hatte. Gerade, als langsam größere Aufträge hereinkamen, hatte sie sich bei einem Motorradstunt am Bein verletzt. Gleich beim ersten Job, nachdem das Bein geheilt war, ging dann ein Feuerstunt schief. Die Erinnerung an die sengende Hitze überkam Crash und sie musste sich zurückhalten, um nicht die Brandnarbe auf ihrem Nacken zu reiben. Der missglückte Stunt war nicht ihr Fehler gewesen, aber das tat nichts zur Sache. Wenn man glaubte, dass sie Feuerstunts seitdem aus dem Weg ging, würde sich das herumsprechen und niemand würde sie mehr anstellen. Nichts war gefährlicher als ein Stuntperformer, der seine Angst nicht im Griff hatte.
»Du solltest mal bei Ben Brower, einem Kumpel von mir, vorsprechen.« Der Regisseur des zweiten Stabs gab ihr eine Visitenkarte. »Mitte Mai beginnen die Dreharbeiten zu einem historischen Drama mit einer Menge Actionszenen. Sie suchen immer noch nach einem Mädel, das eine der Schauspielerinnen doubeln und vielleicht auch ein paar Komparsen in gefährlichen Szenen ersetzen kann.«
»Frau«, sagte Crash.
Er runzelte die Stirn. »Was?«
»Sie suchen nach einer Frau, die eine der Schauspielerinnen doubeln soll«, sagte Crash sanft, aber ohne seinem Blick auszuweichen.
Sein Stirnrunzeln verstärkte sich. »Das habe ich doch eben gesagt, oder nicht?«
Crash beschloss, es gut sein zu lassen. Der Regisseur des zweiten Drehteams sah alt genug aus, um seine Karriere als Double von John Wayne begonnen zu haben. Im Vergleich zu ihm war sie wohl wirklich kaum mehr als ein Mädchen. Er wollte ihr einen Job vermitteln und hatte es sicher nicht böse gemeint. »Wen würde ich doubeln?«, fragte sie. »Die Hauptdarstellerin?«
»Nein, eine der Nebenrollen. Jill Irgendwas.«
Na toll. Sie würde irgendein Möchtegernsternchen doubeln, die vermutlich nur eine Szene im ganzen Film hatte. Crash seufzte. Nun ja, es war besser als nichts und er hatte gesagt, sie könne als Komparsin einige der gefährlichen Szenen übernehmen. Falls sie ihre Sache gut machte, würde man sie vielleicht in Zukunft für größere, aufregendere Rollen in Betracht ziehen. »Okay«, sagte sie. »Ich werde Mr. Brower anrufen.«
»Der Film spielt im Jahr 1906, während der Zeit des Erdbebens und der Feuer in San Francisco. Vermutlich wirst du ein paar Feuerstunts machen müssen. Das ist doch kein Problem, oder?«
Crash biss die Zähne zusammen. So etwas sprach sich im Stuntgeschäft schnell herum. »Überhaupt kein Problem«, sagte sie so lässig wie möglich und steckte die Visitenkarte ein. »Danke.«
KAPITEL 2
»Aus«, rief Floyd Manning. Er nickte Jill zu. »Danke, das war großartig.«
Jill schob den Zeigefinger unter den hochgeschlossenen Kragen ihrer gestärkten Bluse und zupfte daran, während sie versuchte, mit der anderen Hand ihr Korsett zurechtzurücken. Wie hatten die Frauen im Jahr 1906 so nur leben können? Sie quälte sich erst seit weniger als einem Tag mit dem Korsett und den zwei Unterröcken herum, hatte sie aber bereits satt.
»Warum machst du nicht kurz Pause?« Floyd musterte sie mit einem besorgten Stirnrunzeln. »Wir brauchen dich erst wieder in einer Stunde.«
Um ehrlich zu sein, konnte Jill eine Pause gut gebrauchen, aber sie wollte keine Sonderbehandlung. »War nicht geplant, dass ich zum Set des zweiten Drehteams hinübergehe?«
Der Regisseur schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Wir lassen das jemanden von der Stunttruppe machen. Stoß einfach nach deiner Pause zu ihnen, damit sie den Anschluss drehen können.«
Jill gab ihre Versuche auf, das Korsett in eine bequemere Position zu rücken, und sah Floyd aus zusammengekniffenen Augen an. »Nikki und Shawn laufen durch Feuerwände, klettern auf Trümmerberge und weichen panischen Pferden aus und mir traust du nicht einmal zu, über eine Bettpfanne zu stolpern?«
Floyd erhob sich aus dem Regiestuhl und kam zu ihr, vermutlich, damit niemand sonst hören konnte, was er sagte. »Es geht nicht darum, dass ich es dir nicht zutraue. Aber du könntest dich verletzen und dann müssen wir die Produktion aussetzen, bis du wieder gesund bist. Das würde uns einen Haufen Geld kosten. Wenn eine Stuntfrau verletzt wird, rufen wir einfach eine andere an.«
Nach sieben Jahren im Showgeschäft wusste Jill, dass es tatsächlich so lief, aber sie hatte noch immer das Gefühl, dass es hier um mehr ging als die übliche Vorgehensweise. »Sicher, aber es ist ja nicht so, als müsste ich einen Salto rückwärts machen und auf einem galoppierenden Pferd landen. Himmel, ich stolpere nur über eine Bettpfanne!«
Die Arme über seiner mageren Brust gefaltet, blickte Floyd ihr ins Gesicht. »Es ist nicht so leicht, wie’s aussieht. Du könntest dich trotzdem verletzen.«
»Würdest du es mich versuchen lassen, wenn ich keine MS hätte?«, fragte Jill.
Ein leichtes Zusammenzucken. »Daran liegt es nicht«, sagte er, aber nun konnte er ihr nicht mehr in die Augen sehen.
Volltreffer. Sie hatte recht gehabt. Nicht, dass sie das zufriedenstellte. Sie öffnete den Mund, um ihm zu sagen, wohin er sich seine ungewollte Rücksichtnahme stecken konnte, biss sich aber dann auf die Zunge. Er meinte es gut. Vermutlich hatte er auch die Produzenten und ihre Versicherungsfirma im Nacken sitzen. Außerdem würde sie nur als Diva verrufen werden, die eine Szene machte, wenn sie nicht bekam, was sie wollte.
Sie blies die Wangen auf und atmete langgezogen aus. »Na schön. Wenn du wirklich für so eine leichte Sache eine Stuntfrau hinzuziehen willst …«
»Das will ich«, sagte er.
Als er nichts hinzufügte, drehte sie sich um und ging zu ihrem Wohnwagen. In solchen Momenten bereute sie, sich vor der Presse und der Öffentlichkeit geoutet zu haben … nicht als Lesbe, sondern als Person mit MS.
Tja, war ja nicht so, als hättest du eine Wahl gehabt. Die Paparazzi hatten Bilder geschossen, die zeigten, wie Grace ihr an einem schlechten Tag zu ihrem Wohnwagen geholfen hatte. Die Presse und die Öffentlichkeit hatten sofort angenommen, dass die beiden eine Affäre hatten. Hätte Jill nicht die Wahrheit enthüllt, wären die Gerüchte völlig außer Kontrolle geraten und hätten die Karriere ihrer Freundin gefährdet, denn damals hatten ihre Fans noch angenommen, Grace wäre glücklich mit Actionstar Nick Sinclair verheiratet.
Jill betrat ihren Wohnwagen und ließ sich auf die Couch fallen. Ohne Vorwarnung überkam sie eine bleierne Erschöpfung. Sie schloss die Augen, ohne ihr Kostüm auszuziehen. Sie würde sich einen Moment lang ausruhen und dann zum zweiten Filmset hinübergehen. Vielleicht würde Ben, der Stuntkoordinator und Regisseur des zweiten Teams, sie die Szene versuchen lassen, egal, was Floyd gesagt hatte.
* * *
Crash ächzte, als die Kostümassistentin mit den pinkfarbenen Haaren ihr Korsett zuschnürte. Mann, das Ding war schlimmer als Stuntgurtzeug!
Die junge Frau trat zurück und musterte Crash von Kopf bis Fuß. Für gewöhnlich runzelten Frauen nicht derart die Stirn, wenn sie ihren halbnackten Körper betrachteten.
»Was ist?«, fragte Crash und sah ebenfalls an ihrem Körper hinab.
»Ähm, Sie haben in etwa dasselbe Alter, Gewicht und Größe wie Ms. Corrigan, aber … ähm … Sie brauchen da noch ein bisschen …« Sie zeigte auf Crashs Brust und stopfte ein paar Polster in ihr Korsett.
Grinsend hielt Crash still. Sie hatte die Schauspielerin, deren Double sie war, noch nicht kennengelernt, kannte also ihre Körbchengröße nicht. Natürlich hatte sie vorgehabt, ihr einen Besuch abzustatten und ihre Bewegungen zu studieren, um sie später nachahmen zu können, aber der Stuntkoordinator hatte sie zwei Wochen früher als geplant zum Dreh gerufen. Es hatte wohl eine Änderung im Drehplan gegeben, deshalb brauchte man sie sofort.
Sie hatte den Drehplan oder das Stuntdrehbuch noch nicht erhalten, aber vorhin war es auf dem Set zugegangen wie in einem geschäftigen Bienenstock. Der Zeugwart hatte eine Schleuder und die Trümmerkanone aufgebaut. Vermutlich würde heute einer der Stuntleute von einer Explosion durch eine Mauer oder ein Fenster geworfen werden. Sie hoffte, dass sie diesen Gag oder einen anderen, genauso aufregenden Stunt machen durfte.
Als Kostüm und Maske mit ihr fertig waren, ging sie zurück zum Set. Ihre Unterröcke raschelten und sie blickte hinab auf den langen Rock, den sie anhatte. Es fühlte sich immer ein wenig seltsam an. Zwar brachte ihr Job es manchmal mit sich, dass sie ein Kleid oder einen Rock tragen musste, aber privat hatte sie ein derartiges Kleidungsstück zum letzten Mal an ihrem sechsten Geburtstag getragen. Zum Glück werde ich ja dafür bezahlt. Und die hochgeschlossene Bluse und der knöchellange Rock würden zumindest die Schutzpolster verdecken, die sie für einige der Stunts tragen würde. Für gewöhnlich hatten Stuntfrauen es schwerer als ihre männlichen Kollegen, weil sie keine lässig-weiten Hosen oder langärmeligen Oberteile trugen, unter denen sie Polster verstecken konnten.
Als sie einen Produktionsassistenten nach Ben fragte, deutete er auf eines der Gebäude. Sie drehten auf dem Gelände eines alten, nicht mehr genutzten Krankenhauses, das sie an den Film Einer flog über das Kuckucksnest erinnerte.
Sie folgte den anderen Schauspielern und Crewmitgliedern die Treppe hinauf und fand sich in einem langen Raum wieder. In zwei Reihen standen Betten mit Metallrahmen an den Wänden. Befestigungen für Gaslampen hingen von der Decke.
All die Kabel, Scheinwerfer und die sonstige Technik eines modernen Filmsets standen in einem seltsamen Kontrast zu den Schauspielern, die in historischen Kostümen herumwanderten. Die Frauen trugen Röcke oder Kleider und die Männer Hosen, Westen und schwarze Melonen.
Eine Schauspielerin in weißer Krankenschwesternuniform saß an einem Schreibtisch in der Mitte des Raums und hörte zu, als Ben ihr etwas erklärte.
Crashs Schritte hallten über den glänzenden Parkettboden.
Ben sah auf und bedeutete ihr, sich zu ihnen zu gesellen. »Da sind Sie ja. Danke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten.«
»Kein Ding. Also, wozu brauchen Sie mich?« Crash sah sich um, aber es war keinerlei Ausrüstung aufgebaut worden, die ihr verraten hätte, um welche Art von Stunt es sich handelte.
»Nun …« Ben trat von der Schauspielerin hinter dem Schreibtisch weg und rieb sich den Nacken.
Zögerte er, ihr zu sagen, was sie tun sollte, weil es sich um einen gefährlichen Stunt handelte, vielleicht einen mit Feuer? Crash schluckte. Sie wollte die Hände in die Hosentaschen schieben, während sie auf seine Antwort wartete, musste aber feststellen, dass sie einen Rock ohne Taschen trug.
»Nichts Großartiges«, sagte Ben schließlich. Er gab ihr einen Stapel zusammengetackerter Blätter. Es war die Liste der Szenen, die heute gedreht werden würden.
Ihr Name stand auf einer der Szenen. Eine einzige Zeile beschrieb, wie ihr Stunt ablaufen sollte.
Dr. Lucy Hamilton Sharpe geht auf einen der Patienten zu, stolpert über eine Bettpfanne und prallt gegen einen Instrumentenwagen.
Sie blätterte um, im Glauben, da müsste noch mehr sein. Nichts. Das war ein Witz, oder? Niemand heuerte für so etwas eine Stuntfrau an. Sie sah zu Ben. »Äh, Sie wollen, dass ich …?«
»Dass Sie über eine Bettpfanne stolpern.«
»Im Ernst?«
Er nickte und kratzte sich die Bartstoppeln auf seinem Kinn. »Ich weiß, ich weiß.«
Sie trat näher, sodass niemand mithören konnte. »Lassen Sie mich raten. Die Schauspielerin, die ich double, ist ein bisschen …« Sie wedelte mit der Hand, während sie nach dem richtigen Wort suchte. »Schwierig?«
Jemand räusperte sich hinter Crash.
Als sie sich umdrehte, stand sie vor einer Frau, die das gleiche Kostüm wie sie trug.
O Mist. Das ist die Schauspielerin, die ich double. So viel Pech konnte auch nur sie haben.
Sie sah nicht aus wie die verwöhnte Hollywooddiva, die Crash erwartet hatte. Ganz im Gegenteil. Jill Corrigan war genau der Typ Frau, der Crash normalerweise sofort auffiel. Verglichen mit einigen Schauspielerinnen, die Crash kannte, war sie nicht atemberaubend schön, aber ihre Augen schienen von innen heraus zu leuchten und sie strahlte etwas aus, das sofort Crashs Aufmerksamkeit erregte. Ihre flammend roten Haare bildeten einen deutlichen Kontrast zu ihrer hellen Haut. Einen Moment lang hielt Crash es für eine Perücke wie die, die sie selbst trug, aber dann sah sie genauer hin. Die Haare waren echt. Sie stand Crash mit ihren eins dreiundsiebzig Auge in Auge gegenüber und wie es schien, hatte die Kostümassistentin recht gehabt: Sie war im Brustbereich in der Tat ein wenig besser ausgestattet als Crash.
Was machst du da? Crash zwang sich, von den Brüsten der Schauspielerin wegzusehen, und nahm stattdessen die charmanten Sommersprossen zur Kenntnis, die ihre Nase überzogen. Süß. Richtig süß.
Aber jetzt funkelten die grünen Augen der Schauspielerin verärgert. Sie hatte definitiv gehört, was Crash über sie gesagt hatte. Jill verschränkte die Arme über der Brust, was in ihrem historischen Kostüm ein wenig seltsam wirkte. »Zufälligerweise glaube ich, dass ich ziemlich einfach und unkompliziert im Umgang bin. Jedenfalls, solange sich nicht jemand eine Meinung über mich bildet, ohne mich je getroffen zu haben.«
»Ähm …« Tja, da Jill sich offenbar weigerte, die Szene mit der Bettpfanne selbst zu drehen, war sie vermutlich doch eine Diva. Aber Crash sprach das lieber nicht laut aus. Sie musste die nächsten zwei oder drei Monate schließlich mit der Frau zusammenarbeiten. »Hallo«, sagte sie mit ihrem entwaffnendsten Lächeln. »Crash Patterson. Schön, Sie kennenzulernen.« Sie hielt ihr die Hand hin.
Nach einem Moment des Zögerns ergriff die Schauspielerin Crashs Hand. Ihr Griff war fest. »Jill Corrigan.« Sie musterte Crash mit einer kleinen Falte auf der Stirn, die einfach zu süß aussah. »Was ist Crash denn für ein Name?«
»Der Name von jemandem, dem es nichts ausmacht, über Bettpfannen zu stolpern«, sagte sie und bereute es dann augenblicklich. Der Spruch würde nicht helfen, ein gutes Arbeitsklima herzustellen.
»Um das ein für alle Mal klarzustellen: Ich würde die Szene gern selbst drehen, aber Floyd will, dass das eine Stuntfrau macht. Es war nicht meine Entscheidung.«
Crash hatte noch nie mit dem Regisseur zusammengearbeitet, aber er schien nicht der Typ zu sein, der seine Schauspieler verhätschelte. Lief da etwas zwischen ihm und der hübschen Schauspielerin? Wollte er deshalb nicht, dass sie den einfachen Stunt selbst übernahm? Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Setaffäre den Drehplan beeinflusste, aber Crash mochte es nicht. Sie hatte nie zugelassen, dass ihr Privatleben ihre Arbeit störte. In den ersten beiden Jahren im Stuntbusiness hatte sie nicht einmal ein Privatleben gehabt. Sie war zu beschäftigt damit gewesen, sich unzähligen Stuntkoordinatoren vorzustellen und jede Arbeit anzunehmen, die sie bekommen konnte, egal, wie klein und unwichtig. Genau wie der Stunt, den sie nun übernehmen sollte.
»Kein Ding«, sagte sie. »Macht mir wirklich nichts aus.«
Jill murmelte etwas, das klang wie »Mir aber«, bevor sie sich zu Ben umdrehte und ihn zum Rand des Sets zog.
Crash sah ihnen nach und beobachtete Jills Gesten, als sie mit Ben redete und mit dem Arm in Richtung Set wedelte. Sie sagte sich, dass sie Jill nicht wirklich anstarrte. Sie versuchte nur, sich mit der Körpersprache der Schauspielerin vertraut zu machen, damit sie ihre eigenen Gesten vor der Kamera anpassen konnte.
Schließlich schüttelte Ben den Kopf als Antwort auf was immer Jill auch gewollt hatte.
»Entschuldigung«, sagte jemand hinter Crash.
Die Kameraleute und die Tontechniker waren dabei, ihre Ausrüstung aufzubauen.
Schnell machte Crash den Weg frei.
* * *
Normalerweise wusste Jill genau, wie sie ihren irischen Charme einsetzen musste, um zu bekommen, was sie wollte. Diesmal wohl nicht.
Egal, was sie sagte, Ben schüttelte den Kopf. »Nein, Jill. Ich kann Floyds Entscheidung nicht einfach ignorieren. Du willst doch nicht, dass ich Ärger mit dem Chef bekomme, oder?«
Jill seufzte. »Nein. Natürlich nicht.«
Nikki, eine der Hauptdarstellerinnen, gesellte sich zu ihnen. Sie schlang einen Arm um Jill und stupste sie sanft an. »Warum bist du so scharf darauf, künstlichen Urin auf deinem Kostüm zu verteilen?«
Ein Grinsen breitete sich auf Jills Gesicht aus. »So betrachtet … Vielleicht sollte ich froh sein, dass die Stuntfrau das übernimmt.« Trotz ihrer Worte konnte sie sich nicht darüber freuen. Scham und Wut brachten ihre Wangen zum Glühen. Am meisten ärgerte sie sich darüber, dass die Stuntfrau sie nun für eine zimperliche Diva hielt, die ein Stuntdouble verlangt hatte, weil sie Angst hatte, sich einen Fingernagel abzubrechen. Crash Patterson schien die einzige Person im Raum zu sein, die nicht wusste, dass Jill MS hatte. Schwer zu glauben, dass irgendjemand in Hollywood die Schlagzeilen letzten Juni verpasst hatte. Normalerweise wäre Jill froh darüber gewesen, aber deswegen dachte die Stuntfrau nun, sie wäre eine Drückebergerin.
Jill sah zu Crash. Mit ihrer Perücke und dem gleichen Kostüm sah sie von hinten wie sie selbst aus, aber aus der Nähe ähnelte sie ihr ganz und gar nicht. Die Leute bezeichneten Jill oft als süß. Crash hingegen war attraktiv auf eine unkonventionelle, fast androgyne Weise, die Jill früher sofort in ihren Bann gezogen hätte. Ihr Kiefer war ein wenig zu ausgeprägt und ihre Nase ein bisschen zu breit, als dass sie je als Schauspielerin ihren Durchbruch schaffen könnte, doch Jill mochte das Grübchen in ihrem Kinn und die leuchtenden blauen Augen.
Sie sah zu, wie Ben und Crash – oder was immer auch ihr richtiger Name war – die Szene gemeinsam durchgingen. Die Scheinwerfer wurden in Position gebracht und die Mikrofonangel ein wenig zurechtgerückt, dann liefen die Kameras.
»Und bitte«, rief Ben.
Es war seltsam zuzusehen, wie jemand, der zumindest von hinten und mit Perücke so sehr wie sie aussah, die Bettreihe entlangschritt. Bildete sie sich das nur ein oder hatte Crash sogar ihren weitgreifenden, lässigen Gang angepasst, sodass sie sich nun wie Jill bewegte? Entweder war sie richtig gut oder der Rock veränderte ihre Bewegungsabläufe.
Auf halbem Weg zu ihrem Patienten stolperte Crash über eine Bettpfanne. Es wirkte echt, so als hätte sie nicht gewusst, dass das Ding dort stand. Crash fiel fast auf die Nase und prallte gegen einen metallenen Wagen. Verbandsmaterial flog in alle Richtungen.
»Aus!«, rief Ben. Er sah sich die Aufnahme auf seinem Bildschirm an und nickte dann. »Prima. Ich glaube nicht, dass wir das wiederholen müssen.«
Crash grinste und nahm ihre Perücke ab. Kurze, zerzauste Haare kamen darunter zum Vorschein. »Na, das war ja leicht verdientes Geld.«
Jill knirschte mit den Zähnen. Als die Stuntfrau zu ihr herüber sah, machte sie ein finsteres Gesicht und sah weg. Obwohl es Floyd gewesen war, der die Entscheidung getroffen hatte, viel es ihr schwer, Crash nicht zu verübeln, dass sie tun durfte, was Jill nicht länger konnte.
»Jill?«, rief Ben. »Bist du bereit, den Anfang der Szene zu drehen?«
»Bereit«, antwortete sie, entschlossen, es ebenfalls in einem Take zu schaffen. Sie würde dieser Stuntfrau zeigen, dass sie keine komplizierte Diva war, die die Dreharbeiten aufhielt, wann immer ihr der Sinn danach stand.
* * *
Sie hatte keine Zeit für eine warme Mahlzeit vom Cateringwagen gehabt. Als Jill mit ihren Szenen durch war, zog sie sich um und ging hinüber zum Zelt, um nachzusehen, ob die Komparsen irgendetwas Essbares übriggelassen hatten.
Sie fuhr mit den Händen über die Außennähte ihrer Jeans, während sie ging. Nach dreizehn Stunden in Kleid, Unterröcken und Korsett fühlte es sich himmlisch an, eine Hose zu tragen. Sie grinste vor sich hin. Vielleicht baue ich einen Schrein für Levi Strauss!
Hinter ihr räusperte sich jemand und sagte: »Hallo.«
Rasch zog Jill ihre Hände weg. Na toll. Jetzt war sie dabei erwischt worden, wie sie praktisch ihre eigenen Beine streichelte. Ihre Wangen glühten, deshalb drehte sie sich nicht um. Sie hatte ohnehin eine ziemlich gute Vorstellung darüber, wer hinter ihr stand. Die tiefe Stimme mit dem leichten texanischen Akzent war unverwechselbar.
»Langer Tag, hm?«, meinte Crash.
Jill nickte, reagierte aber ansonsten nicht auf Crashs Versuch, eine Unterhaltung anzufangen. Sie war nicht in der Stimmung, Small Talk mit einer Frau zu betreiben, die sie vor versammelter Mannschaft als schwierig bezeichnet hatte. Tag für Tag strengte Jill sich an, keine Probleme am Filmset zu verursachen. Auf keinen Fall würde sie sich von dieser Stuntfrau bloßstellen lassen, die nicht einmal wusste, wie gut sie es hatte, weil sie darauf vertrauen konnte, dass ihr Körper tat, was sie von ihm verlangte.
Als sie an den vier Meter langen Tisch herantrat, den die Cateringleute am einen Ende des Zeltes aufgestellt hatten, gesellte Crash sich zu ihr.
Aus dem Augenwinkel sah Jill, dass sich Crash ebenfalls umgezogen hatte. Vermutlich war sie genauso erpicht darauf gewesen, das Korsett loszuwerden. Ihre hüfthohe Jeans passte ihr wie eine zweite Haut, selbst Jills schlummernde Libido nahm das zur Kenntnis. Heute hatten sie einige derselben Szenen gefilmt, damit der Regisseur mehr Auswahl an Filmmaterial hatte. Während Jill erschöpft war, wirkte Crash noch frisch und munter.
War ja klar. Wenigstens waren die Temperaturen noch recht kühl für Mitte Mai in Los Angeles, sodass, mit Ausnahme abnormer Müdigkeit, ihre Symptome nicht aufflammten.
Andere Schauspieler und Crewmitglieder hatten ihre Szenen auch im Kasten und machten sich nun wie ein Heuschreckenschwarm über das Essen her.
Jill warf einen sehnsüchtigen Blick auf den rasch verschwindenden Schokoladenkuchen, die Käsesandwiches und die Muffins. Früher hätte sie auch zu diesem Essen gegriffen, aber heutzutage versuchte sie, sich gesünder zu ernähren.
Mit einem unterdrückten Seufzen legte sie einen Mango-Salat-Gurken-Wrap auf ihren Pappteller und griff nach einem Apfel. Ihre Hand kollidierte mit der einer anderen Person, die gleichzeitig nach demselben Stück Obst gegriffen hatte.
Ein Kribbeln durchlief ihren Körper. Schnell zog sie ihre Hand zurück. Ohne sich zu ihr umzudrehen, spürte sie, dass Crash sie beobachtete. »Was ist?«
»Hören Sie«, sagte Crash und bedeutete Jill, sich den begehrten Apfel zu nehmen. »Ich wollte mich dafür entschuldigen, dass ich Sie als schwierig bezeichnet habe. Das hätte ich nicht sagen sollen.«
Jill wog den Apfel in ihrer Hand. »Warum haben Sie es dann getan?«
»Nun ja, normalerweise werde ich nicht für so eine einfache Szene hinzugezogen, deshalb habe ich gedacht …«
»Tja, Sie kennen sicher den Spruch, dass man das Denken den Pferden überlassen soll, denn die haben die größeren Köpfe.«
Crash verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete sie mit tadelnder Miene. »Sind Sie immer so …?«
»Schwierig?«, beendete Jill den Satz.
Einer von Crashs Mundwinkeln zuckte. »Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber gedacht«, entgegnete Jill.
»Ach, jetzt können Sie auch noch Gedanken lesen?«
»Ich muss nicht Gedanken lesen, um zu wissen, was Sie denken.« Jill war bewusst, dass sie überempfindlich reagierte, aber es verletzte sie, dass diese Fremde sich so vorschnell ein Urteil über sie gebildet hatte.
Wie zwei Schachspieler in einer Pattsituation starrten sie einander an. Crashs blaue Augen waren fast unheimlich und es ärgerte Jill, wie faszinierend sie diese fand.
»Ms. Patterson?« Einer der Produktionsassistenten spähte ins Zelt. »Mr. Brower sucht nach Ihnen.«
»Sagen Sie ihm, dass ich sofort da bin«, sagte Crash, machte aber keine Anstalten, ihm aus dem Zelt zu folgen. Als der Produktionsassistent ging, wandte sie sich wieder Jill zu. »Es ist mir wirklich wichtig, dass wir gut zusammenarbeiten können.«
»Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen. Wenn Sie mich kennen würden, wüssten Sie, dass ich meinen privaten Gefühlen nie erlaube, meine Arbeit zu beeinflussen.« Sie verhielt sich stets professionell, egal, was Crash von ihr dachte.
Crash wirkte nicht glücklich über den Ausgang des Gesprächs, aber schließlich nickte sie. »Ich schaue besser mal nach, was Ben von mir will. Bis morgen.«
Jill sah zu, wie die Zeltklappe sich hinter Crash schloss. O Mann. Das würden drei lange Monate werden.
KAPITEL 3
Die beiden Tontechniker, die sich für eine Zigarette davongeschlichen hatten, starrten Jill an, als sie auf dem Weg zum Auto an ihnen vorbeiging.
Was ist, Jungs? Habt ihr noch nie eine Frau in Unterwäsche gesehen? Grinsend sah sie hinab auf ihren bis zu den Knien reichenden Schlüpfer und das ärmellose Unterkleid, das sie trug. Sie schloss ihren Beetle auf und ließ sich mit einem erleichterten Seufzen hinter das Steuer sinken. Was für eine Erleichterung, endlich zu sitzen und im Auto zu sein, wo es wärmer war. Dies war erst der dritte Drehtag, aber schon jetzt war sie erschöpft.
Der heutige Nachtdreh machte sie fertig, aber Jill war wild entschlossen, sich in der bevorstehenden Kampfszene zu beweisen, auch wenn sie nur die Nahaufnahmen selbst drehen durfte.
Gerade als sie nach der Jacke auf dem Beifahrersitz griff, klingelte ihr Handy. Sie zog es aus der Jackentasche und sah aufs Display.
Na toll. Es war ihre Mutter. Wenn sie nicht dranging, musste sie sich später die Klagen darüber anhören, wie besorgt sie gewesen war. Seufzend wischte sie mit dem Finger über das Display, um den Anruf anzunehmen. »Hallo, Mama.«
»Na endlich! Ich versuche schon seit Stunden, dich zu erreichen.«
»Ich bin noch am Set, deshalb habe ich mein Handy nicht bei mir. Ich habe mich nur kurz ins Auto gesetzt. Ist etwas passiert?«
»O ja!«
Jill umklammerte mit der freien Hand das Lenkrad. »Ist Papa okay?«
»Was? Ach so, ja. Darum geht es nicht. Dein Bruder ist befördert worden. Ist das nicht wundervoll?«
»Ja«, sagte Jill pflichtschuldig. »Das ist wundervoll.« Und es wäre ebenfalls wundervoll gewesen, wenn du mich nicht zu Tode erschreckt hättest.
Ihre Mutter begann, die Geschichte der Beförderung in allen Einzelheiten zu erläutern.
»Mama, ich kann jetzt nicht reden. Wir machen einen Nachtdreh und ich muss zurück zum Set.«
»Ich wollte dir nur die guten Nachrichten mitteilen und fragen, ob du meine E-Mail bekommen hast«, sagte ihre Mutter.
Die E-Mail befand sich noch ungeöffnet in ihrem Posteingang, aber vermutlich hatte sie entweder mit den tollen Errungenschaften ihres Bruders oder mit der MS zu tun. Da ihre Mutter ihr am Telefon von James’ Beförderung erzählt hatte, blieb Option Nummer zwei. »Du meinst die Mail mit den MS-Gesundheitstipps?«
»Genau.«
Volltreffer. Mit halbem Ohr lauschte sie dem Vortrag ihrer Mutter über Akupunktur, pH-Gleichgewicht, Bienengift und andere Taktiken, die sie unbedingt ausprobieren musste. Kopfschüttelnd schlug sie mit der freien Hand auf das Lenkrad ein. Seit sie ihren Eltern letztes Jahr endlich von der MS erzählt hatte, war sie nicht mehr ihre Tochter, sondern stattdessen die Patientin der Familie. Ihre Mutter hatte nicht einmal nachgefragt, wie die Dreharbeiten zu Aus dem Gleichgewicht liefen.
»Mama, ich muss jetzt wirklich los«, sagte sie, als ihre Mutter anfing, über irgendein Aloe-Vera-Getränk zu sprechen. Sie legte auf, warf das Handy auf den Beifahrersitz und schloss einen Moment lang die Augen.
* * *
Als Crash in der kühlen Nachtluft zu frösteln begann, zog sie ihre Lederjacke über ihr Kostüm. Es war ihr egal, wie lächerlich das womöglich aussah.
Es schien ewig zu dauern, bis die Kameras und der Rest der Ausrüstung aufgebaut waren. Woran lag es, dass bei Nachtdrehs alles doppelt so lange zu dauern schien?
Scheinwerfer durchdrangen die Dunkelheit und beleuchteten eine Reihe von Zelten, die im Film die Kranken und Verletzten beherbergten, nachdem das Krankenhaus abgebrannt war.
Als der Kollege eintraf, der den Plünderer spielen würde, der ins Behelfskrankenhaus einbrach, ging sie die Kampfchoreographie mit ihm durch.
Nach zwei Durchgängen waren sie und Ben zuversichtlich, dass alles glattgehen würde.
»Okay, dann lasst uns mal drehen, damit wir endlich nach Hause und ins Bett können«, sagte Ben. Er sah sich um. »Wo ist Jill?«
Crash blickte in alle Richtungen, konnte Jill aber nirgendwo entdecken. Wenn sie es recht bedachte, hatte sie Jill schon seit einer halben Stunde nicht mehr gesehen.
»Ich glaube, sie ist zu ihrem Auto gegangen, um eine Jacke zu holen«, sagte ein Produktionsassistent.
Crash sah zum Parkplatz, aber da drüben war es stockdunkel. Ein Hauch von Sorge lief ihr Rückgrat hinab. Warum brauchte Jill so lange, um ihre Jacke zu holen?
Ben stieß ein Seufzen aus. »Kann jemand gehen und sie holen? Die Uhr tickt, Leute!«
»Ich gehe«, sagte Crash, bevor irgendjemand sonst sich freiwillig melden konnte. Vielleicht gab ihr das die Gelegenheit, sich nochmals zu entschuldigen.
Während der letzten beiden Tage hatte sie ausreichend Zeit gehabt, Jill zu beobachten, während sie auf ihren nächsten Stunteinsatz wartete. Rasch hatte sie bemerkt, dass Jill nicht die verwöhnte Diva war, für die Crash sie gehalten hatte. Selbst nach einem halben Dutzend Wiederholungen einer Szene war Jill immer willig, eine weitere Einstellung zu drehen, bis alles perfekt war. Sie beschwerte sich nie und sie behandelte alle Crewmitglieder respektvoll.
Crash joggte zum Parkplatz. Sobald sie den Kreis der Scheinwerfer am Set verlassen hatte, konnte sie kaum etwas sehen.
Stimmen kamen vom Rand des Parkplatzes. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, konnte sie schemenhaft zwei Tontechniker ausmachen, die eine Zigarette rauchten.
Crash ging an ihnen vorbei. Heute Morgen hatte sie gesehen, wie Jill in einem süßen Beetle-Cabrio zur Arbeit gekommen war. Jetzt versuchte sie, sich daran zu erinnern, wo Jill es geparkt hatte.
Schließlich entdeckte sie den Beetle auf der anderen Seite des Parkplatzes. Kies knirschte unter ihren knöchelhohen Kostümstiefeln, als sie zum Auto marschierte.
Jemand saß hinter dem Steuer.
Crash beugte sich vor und spähte durch das Fenster.
Jill saß auf dem Fahrersitz, den Kopf an die Nackenstütze gelehnt und die Augen geschlossen. Sie trug dieselbe historische Unterwäsche, die Crash anhatte, aber sie sah um einiges besser darin aus. Eine Jacke lag quer über ihren Knien, als hätte sie es nicht ganz geschafft, sie anzuziehen.
Gerade als Crash sich langsam Sorgen machte, öffnete sich Jills Mund und sie begann, so laut zu schnarchen, dass Crash sie selbst durch die geschlossene Autotür hörte.
Erleichtert lachte Crash los. Sie beobachtete Jill eine Weile. Jill sah so süß aus – und so erschöpft. Crash brachte es nicht übers Herz, sie zu wecken, aber sie hatte keine andere Wahl. Ben und der Rest des Teams warteten.
Sanft klopfte sie an die Seitenscheibe.
Das Schnarchen riss ab. Jills Kopf ruckte in die Höhe und sie stieß sich das Knie am Lenkrad. Sie rieb sich das Bein und sah sich um, als benötigte sie ein paar Sekunden, um sich daran zu erinnern, wo sie war.
Als ihre Blicke einander trafen, grinste Crash und winkte verlegen.
Jill öffnete die Tür und stieg aus, als wäre sie immer noch im Halbschlaf.
»Sie sind es wohl nicht gewöhnt, die ganze Nacht auf zu sein?«, sagte Crash und schüttelte dann den Kopf über sich selbst. Hör lieber auf mit den Neckereien – und mit dem Flirten –, sonst wird sie wieder sauer.
»So ähnlich«, murmelte Jill.
»Tut mir leid, Sie wecken zu müssen, aber alle warten.« Sie gingen zurück in Richtung Set.
»In Ordnung«, sagte Jill. »Sie können loslassen.«
Verblüfft sah Crash zu ihr hinüber und merkte erst jetzt, dass sie Jill am Arm festhielt, um sie sicher durch die Dunkelheit zu führen. Rasch ließ sie los.
* * *
Jill überquerte den Parkplatz so schnell sie konnte. Die knielange Unterwäsche erlaubte es ihr nicht, ihre Fußorthese zu tragen, deshalb konnte sie Crash nicht überholen.
Es war schon schlimm genug, dass sie wegen der verdammten Fatigue auf der Arbeit eingeschlafen war, aber warum hatte es ausgerechnet Crash sein müssen, die sie gefunden hatte? Die Stuntfrau glaubte bereits, sie wäre eine verwöhnte Diva, die sich am Set nicht ordentlich anstrengte.
»Jill?«, sagte Crash, kurz bevor sie in den Lichtkreis traten, der die Zelte umgab.
Jill wollte einfach nur zurück an die Arbeit. Verärgert, mehr über sich und die Fatigue als über Crash, drehte sie sich um. »Was ist?«
»Ich … Es tut mir wirklich leid.«
»Ist nicht schlimm«, sagte Jill abwinkend. »Ich habe nicht wirklich geschlafen, nur meine Augen einen Moment lang ausgeruht.«
»Ich rede nicht davon, dass ich Sie aufgeweckt habe. Es tut mir leid, dass ich gesagt habe … Na ja, Sie wissen, was ich über Sie gesagt habe. Es war eine bescheuerte Annahme und ich würde das gern hinter uns lassen.«
Das Dämmerlicht und die Entfernung zwischen ihnen machten es schwer, ihren Gesichtsausdruck zu erkennen, aber ihre Worte klangen aufrichtig. Entweder war sie eine bessere Schauspielerin, als Jill ihr zugetraut hatte, oder sie meinte es ernst.
»Also?« Crash hielt ihr die Hand hin. »Nehmen Sie meine Entschuldigung an?«
Jill ging zwei Schritte auf sie zu, um sie besser sehen zu können. Sie sah auf Crashs Hand hinab und dann zurück in ihr Gesicht.
