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Dreizehn Kurzgeschichten für jede Stimmung: von romantisch bis erotisch, witzig bis gefühlvoll. Die Liebesroman-Wette, Sex Sells, Blind Date im Bücherwald, Sonderfahrt an Heiligabend, Der Weihnachtsmuffel, Weihnachtsfrauen küssen besser, Die Weihnachtselfe, Dress-tease, Verführung für Anfängerinnen, Umzugsfieber, Neue Saiten, Pasta Amore, Die Mitternachtscouch
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Seitenzahl: 380
Veröffentlichungsjahr: 2018
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www.ylva-verlag.de
Von Jae außerdem lieferbar
Alles nur gespielt
Aus dem Gleichgewicht
Perfect Rhythm – Herzen im Einklang
Hängematte für zwei
Herzklopfen und Granatäpfel
Vorsicht, Sternschnuppe
Cabernet & Liebe
Die Hollywood-Serie:
Liebe à la Hollywood
Im Scheinwerferlicht
Affäre bis Drehschluss
Die Portland-Serie:
Auf schmalem Grat
Rosen für die Staatsanwältin
Die Serie mit Biss:
Zum Anbeißen
Coitus Interruptus Dentalis
Die Gestaltwandler-Serie:
Vollmond über Manhattan
TABLE OF CONTENTS
Die Liebesroman-Wette
Sex Sells
Blind Date im Bücherwald
Sonderfahrt an Heiligabend
Der Weihnachtsmuffel
Weihnachtsfrauen küssen besser
Die Weihnachtselfe
Dress-tease
Verführung für Anfängerinnen
Umzugsfieber
Neue Saiten
Pasta Amore – Ein Rezept zum Verlieben
Die Mitternachtscouch
Über Jae
Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen
Vorwort
Die Kurzgeschichten in diesem Buch wurden bereits alle zuvor veröffentlicht, jedoch waren sie bislang nur als einzelne E-Books oder als Teil mehrerer Anthologien erhältlich. Auf Wunsch vieler Leserinnen und Leser wollten wir die Geschichten nun auch in einer einzigen Sammlung zur Verfügung stellen, sodass Sie sich die Geschichten nicht mehr einzeln zusammensuchen müssen und auch diejenigen, die Taschenbücher bevorzugen, nicht länger auf meine Kurzgeschichten verzichten müssen.
In einigen dieser Geschichten gibt es ein Wiedersehen mit den Hauptfiguren aus meinen Romanen, zum Beispiel mit Annie und Drew aus Cabernet und Liebe. Andere Geschichten stellen völlig neue Charaktere vor, so zum Beispiel Radiotechnikerin Paula, die heimlich in die Moderatorin einer Radiosendung verliebt ist, oder Tricia, eine Schriftstellerin, die sich zu einem Blind Date in einem Buchladen verabredet.
Ob Sie diese Geschichten nun zum ersten Mal entdecken oder sie noch einmal alle in einem Band besitzen möchten, ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!
Jae
Ein Happy End kommt selten allein
Dreizehn romantische und erotische Kurzgeschichten
Jae
Abby James hatte schon immer eine Schwäche für sexy Stimmen gehabt und die Frau, die sie gerade per Telefon interviewte, hatte auf jeden Fall eine. Das war wohl auch der Grund, warum Abby den letzten Satz komplett verpasst hatte. »Ähm, haben Sie eben gesagt …?«
»Eine Milliarde Dollar«, sagte Tamara Brennan. »Liebesromane sind das meistgekaufte Genre weltweit. Im Grunde finanzieren wir die Veröffentlichung von sogenannter ernsthafter Literatur.«
»Wow.« Abby kam nicht über diese unglaubliche Zahl hinweg. Sie wirbelte auf ihrem Schreibtischstuhl im Kreis herum, was einen der Nachwuchsreporter am Schreibtisch neben ihrem von seiner Arbeit aufsehen ließ. »Die Leute bezahlen wirklich jedes Jahr eine Milliarde Dollar für diese …?« Gerade als sie schnulzigen, klischeebeladenen Schundromane sagen wollte, fiel ihr ein, dass Tamara ihr Geld damit verdiente, diesen Schrott zu schreiben. Eine Interviewpartnerin zu beleidigen, stand nicht im Angestelltenhandbuch des Aurora Sentinel. »Äh, diese … ähm …«
»Kitschigen, vorhersehbaren, schlecht geschriebenen Geschichten?«, beendete Tamara den Satz. Sie klang gleichzeitig amüsiert und verärgert.
»Oh nein, das wollte ich damit nicht …«
»Ach, jetzt beleidigen Sie zusätzlich zu meinem Genre auch noch meine Intelligenz?«
Schmerz durchfuhr Abbys Bein, als sie den Stuhl erneut herumwirbeln ließ und mit dem Knie gegen die Ecke ihres Schreibtischs knallte. Sie nahm es als ihre gerechte Strafe hin. Was immer sie auch persönlich von Liebesromanen hielt, sie hätte es nicht so offensichtlich machen sollen. Als Journalistin musste sie objektiv bleiben, egal wie langweilig sie das Thema fand, über das sie schreiben sollte.
»Es tut mir leid.« Sie rieb sich das Knie. »Ich wollte wirklich nicht andeuten …«
»Ist schon okay.« Tamara seufzte. »Leider bin ich daran gewöhnt. Selbst meine Mutter fragt mich ständig, wann ich endlich ein ›richtiges‹ Buch schreibe. Und viele meiner Freunde glauben, dass sie auch mühelos preisgekrönte Liebesromane schreiben könnten, wenn sie nur die Zeit dazu hätten.«
Na ja, so ziemlich jeder konnte einen Liebesroman schreiben, oder etwa nicht? Das konnte doch nicht schwer sein. Alles, was man dazu tun musste, war, zwei umwerfend schöne Hauptfiguren mit perfekter Haut, perfekten Zähnen und perfektem Leben zu erfinden. Die Handlung war vorgegeben: Die beiden trafen sich, verliebten sich, hatten Sex … atemberaubend guten Sex, natürlich … zerstritten sich durch ein Missverständnis, versöhnten sich wieder und voilà, schon hatte man ein Happy End.
Das hätte sogar Abby hinbekommen, obwohl sie, im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen, keinerlei Ambitionen hatte, einen Roman zu schreiben.
Diesmal war sie clever genug, ihre Gedanken für sich zu behalten.
»Lassen Sie mich raten …« Tamaras Stimme durchbrach die Stille. »Sie sind auch eine von denen, die glauben, einen Liebesroman zu schreiben, wäre leicht.«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber Sie haben es gedacht. Geben Sie es ruhig zu.«
Na toll. Wie konnte sie sich da wieder herausreden? Abbys Blick glitt nach links und rechts, aber nirgendwo war Hilfe in Sicht. »Na ja«, sagte sie langsam. »Ich bin Journalistin, also kann ich bereits schreiben. Ich wette …«
»Angenommen«, sagte Tamara.
»Äh, was ist angenommen?«
»Ihre Wette.«
»Wette?«, wiederholte Abby. Wann war ihr die Kontrolle über dieses Interview derart entglitten?
»Ja. Sie haben gewettet, dass Sie einen Liebesroman schreiben könnten, und ich nehme diese Wette an«, sagte Tamara ruhig. »Oder wollen Sie einen Rückzieher machen?«
Verdammt. Normalerweise war Abby willensstark und ließ sich nicht so leicht zu etwas überreden, aber zwei Dingen hatte sie noch nie widerstehen können: einer Frau, die wusste, was sie wollte, und einer interessanten Herausforderung. Nun wurde sie mit beidem konfrontiert.
»Nein. Ich mache mit. Was bekomme ich, wenn ich gewinne?«
»Falls Sie gewinnen«, sagte Tamara.
Gott, diese Frau machte es ihr nicht leicht. Aber irgendwie mochte Abby das. »Na schön. Was bekomme ich, falls ich gewinne?«
Einige Sekunden lang herrschte Schweigen, dann drang Tamaras sexy Stimme wieder durch den Hörer. »Sie können sich aussuchen, welches Buch ich als Nächstes schreibe.«
»Egal, was für ein Buch?«
»Ja.«
Aus irgendeinem Grund gingen Abby im Moment nur erotische Geschichten durch den Kopf. Sie schüttelte den Gedanken ab. Sie hatte schon genug Ärger am Hals. Wenn ihr Chef herausfand, dass sie eine Quelle beleidigt hatte … und nicht nur irgendeine Quelle, sondern die preisgekrönte Autorin Tamara Brennan … und jetzt auch noch alberne Wetten mit ihr abschloss …
»Okay«, brachte sie mit heiserer Stimme heraus.
»Und was bekomme ich, wenn ich gewinne?«, fragte Tamara.
»Falls Sie gewinnen.«
»Falls ich gewinne.« Ihre Stimme verriet, dass die Autorin lächelte.
Abby spielte mit einem Kugelschreiber. »Dann kaufe ich ein Exemplar von all Ihren Romanen und spende sie der örtlichen Bücherei.«
»Netter Versuch. Ich lebe auch in Aurora, schon vergessen? Die Bücherei hat bereits alle meine Bücher. Außerdem erfordert Ihr Wetteinsatz nicht denselben Zeitaufwand wie meiner.«
Das stimmte. Was konnte sie sonst anbieten?
Ein leises Ping von ihrem Computer kündigte einen neuen Tweet an. Das brachte sie auf eine Idee.
»Falls Sie gewinnen, rühre ich die Werbetrommel für Ihr nächstes Buch. Social Media, Blogbeiträge, Presseankündigungen, das volle Programm, für denselben Zeitraum, den Sie brauchen, um einen Roman zu schreiben.«
»Einverstanden«, sagte Tamara.
Oh Scheiße, was hatte sie bloß getan? Sie hatte nicht die Zeit, einen Roman zu schreiben!
Dann versuchte sie, sich zu beruhigen. Hausfrauen veröffentlichten ganze Serien, während sie ein Rudel Kinder großzogen, oder nicht? Es gab keinen Grund, anzunehmen, dass sie in ihrer Freizeit keinen Liebesroman schreiben konnte. Es war schließlich nicht kompliziert.
»Woher wissen wir, wer gewonnen hat?«, fragte Abby schließlich.
»Ganz einfach. NaNoWriMo fängt am Mittwoch an. Sie könnten einfach daran teilnehmen.«
Abby kratzte sich am Kopf. »NaNo … was?«
»NaNoWriMo. National Novel Writing Month. Es geht darum, einen Roman von fünfzigtausend Wörtern innerhalb eines Monats zu schreiben.«
Abby verschluckte sich fast an ihrer eigenen Spucke. »Einen ganzen Roman innerhalb von dreißig Tagen? Ähm, ich arbeite Vollzeit.«
»Fünfzigtausend Wörter sind eher eine Novelle. Ich habe meine ersten fünf Romane auch geschrieben, während ich Vollzeit in einem anderen Beruf gearbeitet habe. Wenn man jeden Abend ein paar Stunden schreibt und am Wochenende nichts anderes tut, dann ist es absolut machbar. Schließlich sind Liebesromane einfach zu schreiben, nicht?«
Tamaras sarkastischer Tonfall ließ Abby mit den Zähnen knirschen. »Klar. Kein Problem. Ich werde Ihnen mein Meisterwerk bis Ende November schicken«, sagte sie im selben Tonfall. Als Journalistin war sie ohnehin daran gewöhnt, unter knappen Deadlines zu arbeiten.
»Wir haben ja Kontaktdaten ausgetauscht, rufen Sie mich ruhig schon vorher an oder schreiben Sie mir eine E-Mail, falls Sie Fragen haben oder ein paar Tipps benötigen.« Nun klang Tamara aufrichtig.
»Danke.« Doch Abby wusste schon jetzt, dass sie keine Hilfe benötigen würde. Sie konnte sich eine dieser oberflächlichen Geschichten jederzeit aus den Fingern saugen. Kein Problem. »Um zu unserem Interview über das Verlagswesen im Bereich Liebesromane zurückzukommen …«
Abby setzte sich mit ihrem Laptop und einem Bier an den Küchentisch. Sie öffnete ein neues Dokument und ließ die Fingerknöchel knacken. Wenn sie heute Abend mal eben fünftausend Wörter herunterschrieb, konnte sie sich die nächsten zwei Tage freinehmen, damit ihr Gehirn sich von all dem Kitsch erholen konnte.
Das sollte kein Problem sein, oder?
Zwei Stunden, drei Flaschen Bier und vier misslungene Versuche später, begann es ihr langsam zu dämmern, dass es vielleicht doch nicht so einfach war, einen Liebesroman zu schreiben.
Quatsch. Ich bin es nur nicht gewöhnt. Wenn sie erst einmal die erste Seite geschafft hatte, würde es leichter werden. Ein paar Nachforschungen mussten her. Sie tippte wie schreibt man einen Liebesroman in ihre Suchmaschine ein.
Ihre Kinnlade klappte hinab. Ach du Scheiße. Vier Millionen vierhundertsechzigtausend Treffer! Wahllos klickte sie auf einen der Links auf der ersten Seite und überflog den Artikel.
Fangen Sie mitten im Akt an, riet die Verfasserin.
Abby starrte den Bildschirm an. War das wörtlich gemeint?
Vermutlich nicht. Das kam erst später, oder?
Da sie noch nie einen Liebesroman gelesen hatte, wusste sie es nicht sicher.
Sie starrte zum E-Mail-Symbol in ihrer Taskleiste. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, Tamara eine E-Mail zu schreiben und sie um ein paar Tipps für ihren Romananfang zu bitten.
Aber das hätte dann wie eine Kapitulation ausgesehen.
Vielleicht sollte sie erst einmal Namen für ihre Hauptfiguren aussuchen.
Eine halbe Stunde später wurde sie von einem Signalton unterbrochen, der eine eintreffende iMessage ankündigte. Sie klickte auf das Nachrichten-Symbol.
Es war eine Textbotschaft von Tamara Brennan.
Wie läuft es mit dem Schreiben?
Abby seufzte. Gut … wenn man stundenlanges Anstarren eines leeren Bildschirms und das zeitverschwendende Stöbern durch Webseiten mit Babynamen Schreiben nennen kann. Aber das sagte sie Tamara natürlich nicht. Stattdessen antwortete sie:
Bestens! Ich habe bereits Namen für meine Hauptfiguren ausgesucht. Sabina und Tina. Jetzt fange ich gleich mit dem ersten Kapitel an.
Es dauerte nicht lange, bis die Antwort von Tamara auf ihrem Bildschirm erschien. Abby stellte fest, dass sie den Atem anhielt. Wie würde Tamara wohl auf die beiden Frauennamen reagieren?
Na dann viel Spaß beim Schreiben. Übrigens, Sie sollten in Betracht ziehen, einen der Namen zu ändern.
Warum?, antwortete Abby. Sie haben nicht gesagt, dass eine der beiden Hauptfiguren ein Mann sein muss.
Nicht deswegen. Liebesromane mit zwei Frauen sind toll. Aber eine Tina und eine Sabina in derselben Geschichte, das wird Ihre Leserinnen verwirren. Die Namen sind sich zu ähnlich.
Da hatte sie natürlich recht. Ein Grinsen schlich sich auf Abbys Gesicht. Tamara fand also Liebesromane für Lesben toll?
Ich werde einen der Namen ändern, tippte sie. Sie zögerte kurz, fuhr dann aber fort. Nun, da sie bereits einen Ratschlag erhalten hatte, konnte sie auch genauso gut um weitere Hilfe bitten. Immerhin hatte Tamara vermutlich auch ein Team von Lektorinnen und Autorenkolleginnen, die ihr halfen. Ich habe eine Webseite gefunden, die sagt, man soll den Roman mitten im Akt beginnen. Ich nehme mal an, dass damit nicht gemeint ist, Tina und … äh, Gabby sollen bereits auf Seite eins miteinander in die Kiste hüpfen, oder?
Tamara schickte ihr einen lachenden Smiley. Nein. Aber es wäre eine Option, wenn es zu einem interessanten Konflikt führt.
Konflikt? In einem Liebesroman?
Klar, antwortete Tamara. Sonst wäre es doch langweilig.Die Leserinnen wollen mitfiebern, während die beiden Hauptfiguren Hindernisse überwinden und um ihr Glück kämpfen. Wenn also eine frühe Sexszene zum Konflikt beiträgt, kann das prima funktionieren.
Abby tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Unterlippe. Wie denn zum Beispiel?
Na ja, am nächsten Morgen könnte Tina herausfinden, dass Gabby ihre neue Chefin oder eine Rivalin um einen neuen Job oder so ist. Irgendetwas, das die beiden davon abhält, schon im ersten Kapitel ein Happy End zu haben.
Bevor Abby antworten konnte, traf noch eine Nachricht von Tamara ein.
Haben Sie überhaupt schon einmal einen Liebesroman gelesen?
Zählt Stolz und Vorurteil?, antwortete Abby.
Ich liebe Jane Austen, aber eigentlich meinte ich etwas Moderneres. Vielleicht sollten Sie es mal versuchen.
Abby erschauderte. Sie brauchte keinen Liebesroman lesen, um zu wissen, dass sie weniger seichte Literatur bevorzugte. Keine Zeit, antwortete sie. Immerhin habe ich einen Roman zu schreiben.
Ich auch. Ich sollte meiner Lektorin besser nicht sagen, dass ich stattdessen Textnachrichten mit Ihnen austausche.
Worum geht es? In Ihrem Roman, meine ich.
Um eine Sachbuchautorin, die in Kürze ein Buch mit Beziehungstipps herausgeben wird, selbst aber gerade eine unschöne Trennung hinter sich hat. Als ihre Publizistin das herausfindet, beschließt sie, jemanden anzuheuern, der überzeugend die Liebe ihres Lebens spielen kann.
Das war eine clevere Idee, die zu vielen Missverständnissen und witzigen Situationen führen konnte. Vermutlich hatte die Webseite mit ihrem Tipp, den Roman mitten im Akt zu beginnen, etwas Ähnliches gemeint. Etwas, das sofort das Interesse der Leserinnen weckte. Vielleicht konnte sie sich für ihr Buch etwas Ähnliches einfallen lassen.
Als sie sich mit einem Viel Spaß beim Schreiben von Tamara verabschiedete und sich wieder ihrem leeren Dokument zuwandte, fiel ihr etwas auf: Tamara hatte nicht erwähnt, ob die Person, die sich als die große Liebe der Sachbuchautorin ausgab, ein Mann oder eine Frau war.
Abby war gerade dabei, den Anfang von Kapitel vier zum fünften Mal umzuschreiben, als das Symbol auf ihrer Taskleiste ihr endlich eine neue iMessage ankündigte.
Sie war von Tamara.
Während der vergangenen anderthalb Wochen hatten sie täglich Textnachrichten ausgetauscht und duzten sich mittlerweile. Um ehrlich zu sein, freute sich Abby jeden Tag auf den Gedankenaustausch mit Tamara … und das nicht nur, weil es eine willkommene Unterbrechung ihrer Mühen mit dem noch immer unbenannten Liebesroman war.
Falls … nein, wenn sie diese Wette gewann, dann würde sie Tamara ein lustiges Buch schreiben lassen, denn die Frau hatte einen unglaublichen Sinn für Humor. Ihre Nachrichten ließen Abby oft laut loslachen.
Doch heute hatte sie noch ungeduldiger auf eine Nachricht von Tamara gewartet, denn sie hatte ihr gestern Nacht die ersten drei Kapitel geschickt.
Ich habe alles gelesen.
Uuuund? Abby trommelte mit den Fingern auf der Seite ihres Laptops herum.
Es ist gut.
Abby machte eine Siegerfaust. Zwar war es noch kein ganzer Roman, aber es bewies, dass sie recht hatte. Jeder konnte einen Liebesroman schreiben. Ein weiteres Bing von ihrem Laptop ließ sie ihren Siegestanz unterbrechen, um zum Bildschirm zu schauen.
Für einen Krimi.
Wie bitte?, tippte Abby und runzelte die Stirn. Nur weil Gabby, ihre Hauptfigur, Gerichtsstenografin war, war ihr Roman noch lange kein Krimi, oder? Das ist kein Krimi. Man nennt es Romantic Suspense. Das gibt es doch, oder? Die Webseite sagte, es ist ein Subgenre von Liebesromanen.
Ja, aber es sollte trotzdem noch ein Liebesroman sein.
Ist es doch auch!!! Abby hämmerte auf die Taste mit dem Ausrufezeichen.
Wo sind dann die Gefühle? Wo ist der Beziehungsbogen? Wo sind die Hindernisse und die Charakterschwächen, die sie überwinden müssen, um zusammenzukommen?
Ich habe jede Menge Hindernisse eingebaut. Abbys Finger flitzten über die Tastatur in ihrem Bemühen, ihren Roman zu verteidigen. Hast du nicht die Szene gelesen, in der der Gerichtsdiener sie fast erwischt hätte?
Ich habe es gelesen, aber das ist ein Hindernis, das zum externen Handlungsbogen … zur Aufklärung des Verbrechens … und nicht zum Beziehungsbogen gehört.
Abby vergrub die Finger in ihrem Haar und stieß ein lang gezogenes Stöhnen aus. Externer Handlungsbogen, Beziehungsbogen … Wer hätte gedacht, dass ein Liebesroman so kompliziert sein konnte?
Willst du aufgeben?, erschien auf ihrem Bildschirm, neben einem zwinkernden Smiley.
Nein!!! Wenn sie so weitermachte, würde irgendwann die Taste mit dem Ausrufezeichen ausleiern. Eine Wette ist eine Wette. Ich schaffe das. Kein Problem. Wen versuchte sie eigentlich zu überzeugen, Tamara oder sich selbst? Sie schluckte ihren Stolz hinunter und fügte hinzu: Aber vielleicht könntest du mir mit diesem Beziehungsbogenkram einen Tipp geben?
Bist du vorzeigbar?, kam Tamaras Antwort.
Abby hob ihre Augenbrauen, bevor sie ihre Jogginghose und ihr Lieblings-T-Shirt beäugte. Äh, ja. Warum?
Weil es leichter ist, dir das persönlich zu erklären, statt es aufzuschreiben.
Eine Sekunde später erklang der FaceTime-Klingelton und kündigte einen Anruf von Tamara an.
Abby sah erneut auf ihr T-Shirt hinab, bevor sie den Anruf annahm. Ist doch egal, was ich anhabe. Immerhin versuchte sie nicht, Tamara zu beeindrucken, oder? Zumindest nicht mit ihrem Aussehen.
Eine Frau in Abbys Alter, Ende zwanzig, erschien auf dem Bildschirm.
Tamara war wohl um einiges jünger, als Abby gedacht hatte, und sie hatte auch keine langen, blonden Locken oder eine chaotische Hochsteckfrisur, die nur von einem Bleistift zusammengehalten wurde. Stattdessen war sie brünett und hatte einen flotten Kurzhaarschnitt, viel kürzer als Abbys zerzauste, schulterlange Mähne. Die Brille mit den dicken Gläsern, die Abby erwartet hatte, fehlte auch. Tamaras blaue Augen sahen sie ohne Sehhilfe an. Ihre gebräunte Haut verriet, dass sie sich gern im Freien aufhielt und kein Einsiedlerleben in ihrer Schreibhöhle führte.
Es kostete Abby Mühe, sie nicht anzustarren. So hatte sie sich eine Autorin von Liebesromanen nicht vorgestellt. Sie hätte mehr Recherchen über Tamara anstellen sollen, bevor sie die Autorin interviewt hatte, doch Tamara war in letzter Sekunde eingesprungen, als ihre ursprüngliche Quelle im Verlagswesen sie versetzt hatte.
»Was ist?«, fragte Tamara. Ihre Stimme war über FaceTime genauso sexy wie am Telefon. Es schwang ein Hauch von Belustigung mit.
»Äh, nichts. Nettes … ähm, Büro.« Sie zeigte auf den Raum, der hinter Tamara sichtbar war.
Auch dieser entsprach nicht ihren Vorstellungen vom Büro einer Liebesromanautorin. Die Wände waren nicht rot gestrichen, es gab kein romantisches Kerzenlicht und keinerlei nostalgischen Krimskrams auf den Regalen. Ihr Arbeitsplatz sah aus wie ein ganz normales Büro, nur mit mehr Büchern.
»Danke. Nettes T-Shirt.« Tamara zeigte auf Abbys T-Shirt, auf dem Hau ab, ich habe eine Deadline stand.
»Danke.« Wieso zum Teufel kämpfte sie plötzlich dagegen an, zu erröten? »Danke, dass du dir die Zeit nimmst, mir mit meinem Meisterwerk zu helfen.«
Tamara grinste. »Würde mir im Traum nicht einfallen, der nächsten RITA-Award-Gewinnerin im Weg zu stehen. Also, was den Beziehungsbogen angeht … Was du brauchst, ist mehr Konflikt. Du musst dir etwas einfallen lassen, was Gabby und Tina davon abhält, schon in Kapitel zwei einfach gemeinsam in den Sonnenuntergang zu reiten.«
»Ich dachte, das hätte ich«, grummelte Abby.
»Ja, du hast dir eine Menge Hindernisse einfallen lassen, aber sie kommen alle von außen. Was du brauchst, ist ein Konflikt, der von innen kommt und damit zu tun hat, wer die beiden sind, als Menschen. Was macht Tina zur letzten Person, mit der Gabby zusammen sein sollte?«
Abby rieb sich die Stirn. Ihr fiel nichts ein. Immerhin hatte sie Tina als umwerfend schön, intelligent und humorvoll beschrieben.
»Nimm zum Beispiel uns beide«, fuhr Tamara fort.
»Äh, uns?«
»Ja. Stell dir vor, wir wären Charaktere in einem Liebesroman. Du bist ein literarischer Snob, der mein Genre belächelt. Also wärst du so ziemlich die letzte Person, mit der ich ausgehen wollen sollte, richtig?«
Abbys Wangen brannten. Autsch. »Richtig.« Sollte sie sich dafür entschuldigen, dass sie so abfällig über Tamaras Beruf gesprochen hatte? Aber das wirkte dann womöglich, als würde sie versuchen, Tamara zu überreden, doch mit ihr auszugehen. Und das war keinesfalls ihre Absicht. Oder doch?
»Denk darüber nach, mit welchem Typ Mensch Gabby sich auf keinen Fall einlassen sollte. Das ist schon die halbe Miete.«
Abbys Gehirn lief bereits auf Hochtouren. Gabby war Gerichtsstenografin. Sie sollte sich definitiv nicht mit einer Person einlassen, die in einen ihrer Fälle verwickelt war. Was, wenn sie aus Tina eine Zeugin in einem Mordfall machte?
Tamara lächelte. »Diesen Gesichtsausdruck kenne ich nur zu gut. Du bist in deinem Romanreich. Geh schreiben.« Mit einem ermutigenden Nicken und einem kurzen Winken beendete sie das Gespräch, bevor Abby etwas sagen konnte.
Abby starrte den Bildschirm an, der nun wieder ihr Manuskript zeigte. Moment mal! Tamara hatte gesagt, Abby sei so ziemlich die letzte Person, mit der sie ausgehen wollen sollte … nicht die Letzte, mit der sie ausgehen wollte. Hieß das …?
Sie schüttelte den Kopf. Du spinnst doch. All das Liebesroman-Geschreibe stieg ihr wohl zu Kopf. Tamara hatte sie beide nur als hypothetisches Beispiel angeführt. Es hatte nichts zu bedeuten. Seufzend machte sie sich daran, die ersten drei Kapitel umzuschreiben.
Das Geklapper von Tamaras Tastatur drang durch die offene FaceTime-Verbindung. Abby hätte nie gedacht, dass sie ein solches Geräusch als beruhigend empfinden würde, doch nun war es so. Es war fast, als würde sie dem sanften Prasseln von Regen auf dem Dach während einer lauen Sommernacht lauschen.
Regen während einer lauen Sommernacht? Im Ernst? Sie schüttelte den Kopf. Du verbringst zu viel Zeit mit einer Liebesromanautorin.
Doch es fühlte sich nicht so an. Während der vergangenen Woche hatten sie sich angewöhnt, FaceTime im Hintergrund laufen zu lassen, während sie an ihren Manuskripten arbeiteten. Zuerst war es nur darum gegangen, dass Abby Fragen zum Schreibhandwerk stellen konnte, wenn sie welche hatte, doch dann hatten sie auch immer mehr über andere Dinge gesprochen. So hatte Abby erfahren, dass auch Tamara allein lebte und nicht in einer Beziehung war.
Es war unerwartet schön, Zeit mit Tamara zu verbringen, auch wenn es Abbys Produktivität nicht gerade weiterhalf. Die halbe Zeit über ertappte sie sich dabei, wie sie Tamara beim Schreiben beobachtete, anstatt selbst an ihrem Roman zu arbeiten.
Als das Klappern von Tamaras Fingern auf der Tastatur für länger als gewöhnlich verstummte, sah Abby von ihrer Szene auf. »Zeit für eine Pause?«
»Siehst wohl so aus.« Tamara seufzte. »Ich glaube, ich habe mich in eine Sackgasse geschrieben.«
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Du? Die Person, die auf Liebesromane hinabsieht?« Tamara schenkte Abby ihr typisches Lächeln: neckisch und ein wenig zurechtweisend, doch nie abfällig.
»Ich sehe nicht darauf hinab. Ich denke nur … Na ja, du musst zugeben, dass die meisten Liebesromane nicht gerade realistisch sind.«
Tamaras Lächeln wurde zu einem ausgewachsenen Grinsen. »Ach, und die Science-Fiction-Romane, die du so gern liest, sind es? Aliens, die die Erde erobern, sind realistischer als zwei Menschen, die sich verlieben?«
Dem hatte Abby nichts entgegenzusetzen. Bisher hatte sie noch keine einzige Diskussion mit Tamara gewonnen, aber sie war wild entschlossen, ihre Wette zu gewinnen. »Aber Science Fiction ist voller origineller Ideen, faszinierender Welten und abwechslungsreicher Handlungen, während Liebesromane … Die können doch ziemlich formelhaft sein.«
»Ach, sag bloß! Da gibt es eine Formel? Warum hat mir das niemand gesagt? Ich sitze hier und zerbreche mir über mein Problem mit der Handlung den Kopf, dabei hätte ich nur diese Formel anwenden müssen! Klär mich auf!«
»Du weißt, was ich meine. In Liebesromanen gibt es immer ein Happy End. Die beiden Hauptpersonen kommen immer zusammen.«
»Und das macht es formelhaft?«
»Etwa nicht?«
Tamara hielt ihrem Blick stand. »Jedes Genre hat Konventionen und folgt einer gewissen Grundstruktur. In deinen Science-Fiction-Romanen erwarten Leser, dass die guten Jungs am Ende die Weltraumschlacht immer gewinnen, und Krimileser wären ziemlich enttäuscht, wenn das Buch endet, ohne dass der Kriminalfall aufgeklärt wird.«
Abby rieb sich das Kinn. Vielleicht hatte Tamara recht.
»Der Trick besteht darin, sich an diese Grundstruktur zu halten und es trotzdem jedes Mal frisch und unterhaltsam für den Leser zu machen«, fügte Tamara hinzu.
»Hmm. Und das ist es, was dir solche Probleme bereitet?«
»Nein. Zumindest glaube ich das nicht. Ich bin irgendwo in der Mitte der Geschichte. Bisher ist alles witzig und originell und unterhaltsam, glaube ich, und die Charaktere sind liebenswert.«
»Wo liegt dann das Problem?«, fragte Abby. »Das ist doch genau das, was die Leserinnen von einem Liebesroman erwarten, oder?«
»Ja.« Tamara seufzte erneut. »Aber vielleicht sind meine Charaktere ein bisschen zu liebenswert. Sie sind an einem Punkt angelangt, wo es eigentlich keinen logischen Grund gibt, warum sie ihren Gefühlen nicht nachgeben und miteinander ins Bett gehen sollten.«
»Wie eine weise Frau einst sagte: Du brauchst mehr Konflikt.«
Tamara lachte. »Vielleicht.«
»Oder vielleicht solltest du sie einfach lassen.«
»Was meinst du?«
»Du solltest sie atemberaubend heißen Sex haben lassen.« Abby zwinkerte ihr spielerisch zu, wurde dann jedoch wieder ernst. Hier ging es um Tamaras Lebensunterhalt. Sie schrieb nicht nur einen Liebesroman, um eine alberne Wette zu gewinnen. Ein Problem mit der Handlung ihres Romans war sicher eine ernste Angelegenheit für sie. »Wie die eben erwähnte weise Frau mir einst sagte, ist es okay, wenn die Charaktere schon früh in der Geschichte miteinander schlafen, solange es zu einem interessanten Konflikt führt.«
Tamara starrte sie an.
»Keine gute Idee?«
»Nein, eine geniale Idee! Warum ist mir das nicht eingefallen?«
»Ist es doch … irgendwie«, sagte Abby lachend. »Denkst du, das löst dein Problem?«
»Ich glaube schon. Statt die angespannte Situation zwischen ihnen zu entschärfen, würde es nur noch mehr Probleme verursachen, wenn sie Sex haben. Wenn sie Lana in ihr Bett ließe, würde das Claire nur noch entschlossener machen, sie nicht in ihr Herz zu lassen.«
Hatte sie eben sie gesagt? Ein breites Grinsen glitt über Abbys Gesicht. Ich wusste es! Ihre zweite Hauptfigur ist eine Frau!
»Was ist?«
»Ach, nichts. Ich wusste nur nicht, dass du auch einen Liebesroman mit lesbischen Hauptfiguren schreibst.«
»Ich schreibe immer über die Charaktere, die gerade zu mir sprechen, ob sie nun hetero, schwul, lesbisch oder was auch immer sind.«
Hieß das, dass sie im wahren Leben bi- oder pansexuell war? Abby hatte die Kurzbiografie auf Tamaras Webseite gelesen, doch sie gab keinerlei Hinweise auf die sexuelle Orientierung der Autorin.
Das Klappern der Tastatur begann wieder.
Abby lehnte sich lächelnd zurück und lauschte einen Moment lang, bevor sie sich wieder ihrer eigenen Geschichte zuwandte.
Als der FaceTime-Klingelton auf ihrem Handy ertönte, rutschte Abby das Buch aus den Händen und fiel ihr aufs Gesicht. Mist. Ich hätte das E-Book nehmen sollen. Aber dann hätte sie jetzt der E-Reader ins Gesicht getroffen. Grummelnd rieb sie sich die Nase und stand von der Couch auf, um den Anruf entgegenzunehmen.
Tamaras Gesicht erschien auf dem Display.
Ihr Anblick zauberte ein Lächeln auf Abbys Lippen. »Hallo. Und? Bist du mit deiner Sexszene fertig geworden?«
»Oh ja. Schon längst. Ich arbeite bereits am nächsten Kapitel. Und du? Du hast doch gesagt, du willst auch eine Sexszene in deine Geschichte einbauen. Bist du schon fertig damit?«
Abby schielte mit schuldigem Blick zum Laptop, der verlassen auf dem Couchtisch stand. »Äh, nein, ich wurde … ähm, abgelenkt.«
»Oh.«
Hitze schoss Abby in die Wangen. Oh Mann. Jetzt denkt sie, ich hätte … mir etwas Erleichterung verschaffen müssen, nachdem ich die Sexszene geschrieben habe. »Nicht so, wie du denkst. Ich musste nur ein paar … Recherchen betreiben.«
»Darüber, wie man eine Sexszene schreibt? Warum hast du nicht einfach mich gefragt?«
»Na ja, habe ich ja. Irgendwie.« Abby zögerte, hob dann aber den Roman, den sie gerade las, in die Handykamera, sodass Tamara das Cover sehen konnte.
»Du liest eines meiner Bücher?« Tamaras Stimme klang wie ein Quieken.
Abby nickte. Aus irgendeinem albernen Grund hatte sie sich fast einen ganzen Monat lang beharrlich geweigert, doch gestern hatte sie schließlich auf dem Nachhauseweg bei einer Buchhandlung angehalten und sich Tamaras bisher einzigen Roman mit lesbischen Hauptfiguren gekauft.
»Liest du das ganze Ding oder nur die Sexszene?«
Eigentlich hatte Abby anfangs nur nachsehen wollen, wie Tamara die Sexszene anging, doch dann hatte die Handlung sie in ihren Bann gezogen. Sie hatte ihre eigene Sexszene vergessen und zurück zu Kapitel eins geblättert. »Äh, das ganze Ding.«
»Also?« Tamara klang, als würde sie den Atem anhalten.
»Was also?« Abby versuchte angestrengt, ihr Lächeln zurückzuhalten.
Tamara winkte mit den Fingern. »Komm schon. Wie fandest du es?«
»Ach, es ist nicht übel … für einen Liebesroman.« Schließlich gab Abby nach und erlaubte sich ein neckisches Grinsen.
»Klar. Tja, wenn du glaubst, dass du es besser kannst, lass mal hören, was du bisher geschrieben hast.«
Abby erstarrte. So hatten sie es jeden Abend gemacht: Abby las vor, was sie an diesem Tag geschrieben hatte, und Tamara gab ihr Rückmeldung. Doch diese besondere Szene laut vorzulesen, war etwas anderes.
Stell dich nicht so an. Ihr seid beide erwachsen und sie macht das beruflich. Es ist praktisch, als würdest du dich vor einer Ärztin ausziehen, stimmt’s? Sie versuchte, sich in die journalistische Objektivität zu retten, als sie begann, vorzulesen, was sie heute geschrieben hatte. Als sie schließlich verstummte, sah sie erwartungsvoll auf. »Und? Wie gefällt es dir bisher? Ist es gut?«
Tamara räusperte sich. »Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber … Nein. Ein wirklicher Höhepunkt ist die Szene nicht.« Sie lachte. »Ähm, das Wortspiel war unbeabsichtigt.«
»Nein?« Abby blickte auf ihr Manuskript. »Was stimmt denn nicht mit der Szene?«
»Tja, dein journalistisch-sachlicher Stil mag ja für Zeitungsberichte funktionieren, aber für eine Sexszene ist er einfach zu klinisch.« Tamara schüttelte den Kopf. »Es liest sich wie ein gynäkologischer Bericht, nicht wie eine romantische Liebesszene. Konzentriere dich auf die Gefühle, nicht darauf, wer was tut.«
Abby stöhnte. »Oh Mann. Ich habe versucht, all das schnulzige Gefühlszeug zu vermeiden.«
Tamara drohte ihr spielerisch mit dem Zeigefinger. »Fang nicht wieder an, über Liebesromane herzuziehen. Es geht in allen Büchern um Gefühle, nicht nur in Liebesromanen. Deshalb lesen wir Menschen ja so gern Romane und nicht Gebrauchsanleitungen. Weil wir etwas fühlen möchten. Wenn du das schaffst, ohne dabei in Sentimentalität zu verfallen, dann hast du ins Schwarze getroffen.«
Genau wie Tamaras Roman. Abby fuhr mit den Fingern über den goldenen Aufkleber auf dem Buchcover, der verkündete, dass der Roman einen Preis gewonnen hatte. Die Liebesszene hatte bei ihr definitiv alle möglichen Gefühle ausgelöst. Sie benutzte das Buch, um sich diskret Luft zuzufächeln. »Ich werde es versuchen.«
»Nur noch zwei Tage«, sagte Tamara.
»Kein Problem.« Abby setzte ihre zuversichtlichste Miene auf. Sie würde diesen Roman zu Ende schreiben, selbst wenn sie dazu die ganze Nacht durcharbeiten musste. Aber zuerst hatte sie einen Roman zu Ende zu lesen.
»Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins … Mitternacht!«, rief Tamara über die FaceTime-Verbindung. »Hör auf zu schreiben. November ist offiziell vorbei.«
»Warum fühle ich mich plötzlich wie Aschenputtel auf dem Ball?«, murmelte Abby, als sie rasch den letzten Satz zu Ende tippte.
»Wenn du Aschenputtel bist, macht mich das zu deiner guten Fee?«
Mir wäre es lieber, du wärst meine Prinzessin, dachte Abby … und erstarrte. Aber es war die Wahrheit. Irgendwann während der vergangenen dreißig Tage hatte sie aufgehört, Tamara zu kontaktieren, weil sie Schreibtipps brauchte, und hatte angefangen, sie anzurufen, weil sie ihre Gesellschaft genoss, selbst wenn es nur über das Internet war.
Aber all das würde sich ändern, nun da sie ihren Roman zu Ende geschrieben hatte.
»Was passiert jetzt?«, fragte sie leise.
»Jetzt überprüfst du, ob dein Roman lang genug ist, indem du ihn bei der NaNoWriMo-Webseite hochlädst«, sagte Tamara.
Das hatte Abby nicht gemeint, aber sie kopierte trotzdem ihr Manuskript und fügte es in das entsprechende Textfeld ein. Sie hielt den Atem an, als sie auf bestätigen klickte.
»Und?« Tamara hüpfte auf ihrem Schreibtischstuhl auf und ab. »Hast du es geschafft?«
Abby schielte auf den Bildschirm.
Sie haben gewonnen, erschien dort.
Ein unterdrückter Aufschrei entfuhr ihr.
»Du hast es geschafft?«
»Ich hab’s geschafft! Fünfzigtausendzweihundertacht Worte. Ich habe einen Liebesroman geschrieben. Okay, wohl eher einen Kurzroman.« Es war lächerlich, wie glücklich sie das machte. Vielleicht aber auch nicht. Immerhin war es eine großartige Leistung, einen Roman zu schreiben, und das galt auch für einen Liebesroman.
Warum fühlt es sich dann so an, als würdest du etwas verlieren, anstatt eine Wette zu gewinnen?, fragte eine Stimme in ihrem Kopf.
Tamara grinste wie eine stolze Hebamme, die bei der Geburt eines Babys geholfen hatte. Dann wurde sie ernst, so als wäre auch ihr eben eingefallen, dass dies das Ende ihrer abendlichen Gespräche bedeutete. »Tja, sieht so aus, als hättest du recht gehabt.«
»Damit, dass jeder einen Liebesroman schreiben kann?« Abby schüttelte den Kopf und hielt einen Teil ihres ausgedruckten Manuskripts in die Höhe. Der rechte Seitenrand war voller roter Kommentare von Tamara. »Nein. Wir wissen beide, dass das hier noch lange kein veröffentlichungsreifer Roman ist.«
»Na ja, mit ein wenig Überarbeitung könnte er es sein.«
»Du meinst wohl mit sehr viel Überarbeitung.«
»Okay, mit sehr viel Überarbeitung. Aber du hast Talent.«
»Ja?« Abby strahlte angesichts von Tamaras Lob.
»Mmhm.« Tamara senkte kurz den Blick, bevor sie zurück in Abbys Augen sah. »Du hast die Wette gewonnen. Das bedeutet, du kannst dir aussuchen, was für ein Buch ich als Nächstes schreiben soll. Lass mich raten … Ich vermute, ich werde mich an einem Science-Fiction-Roman versuchen?«
Abby dachte eine Weile darüber nach. Sie hätte gern gewusst, wie die Welt der Zukunft aussah, die Tamara erfunden hätte. Doch schließlich schüttelte sie den Kopf. »Ich möchte, dass du eine Fortsetzung zu Feuer und Flamme schreibst.«
Tamara sagte nichts. Sie rührte sich nicht.
Einen Moment lang dachte Abby, die Videoverbindung wäre gestört.
Dann öffnete Tamara den Mund, schloss ihn, öffnete ihn wieder und sagte schließlich: »Du … du willst, dass ich einen Liebesroman schreibe?«
Abby grinste und zuckte mit den Schultern. »Na ja, nun da ich mich endlich dazu durchgerungen habe, ihn zu lesen, muss ich doch herausfinden, was mit Ivy und Beth weiter passiert.« Sie leckte sich die Lippen. »Ich … ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen. Bei dir und bei all deinen Kolleginnen. Es ist verdammt schwer, einen Liebesroman zu schreiben – zumindest einen guten – und deine sind richtig gut. Also … na ja, schreib weiter.«
Einige Sekunden lang drang nur Schweigen aus den Lautsprechern des Laptops.
Abby sah in Tamaras Gesicht, das nun ernst geworden war.
»Damit gibt es aber ein Problem«, sagte Tamara. »Feuer und Flamme hat schon eine Fortsetzung. Das Buch ist eben erst erschienen.«
»Oh.«
»Aber wie der Zufall es so will, habe ich schon eine Idee für ein weiteres Buch in der Reihe. Aber diesmal wird die Hauptfigur keine Brand-Ermittlerin sein. Ich dachte mir … Na ja, Journalistinnen scheinen im Moment bei meinen Leserinnen als Hauptfigur ziemlich beliebt zu sein.«
Abbys angespannte Gesichtszüge lösten sich zu einem Lächeln. »Klar. Ich meine, was gibt es an Journalistinnen auch nicht zu mögen? Wir sind klug, schlagfertig und engagiert.«
Tamara grinste. »Und extrem bescheiden.«
»Ja, das auch.«
Sie lachten beide.
»Aber da ich nun mal Autorin und keine Journalistin bin, könnte ich sicher bei der einen oder anderen Recherchefrage hin und wieder etwas Hilfe brauchen.« Tamara warf Abby einen hoffnungsvollen Blick zu.
Wollte sie damit etwa sagen …? Abby versuchte, die Coole zu spielen … genau drei Sekunden lang. Dann nickte sie eifrig. »Oh ja, klar. Das kriege ich hin. Ich meine, ich kann dir selbstverständlich bei deinen Recherchen helfen.«
»Das wäre toll.«
Sie sahen einander an. Bildete sie sich das nur ein oder war da etwas Suchendes in Tamaras Blick?
Abby gab sich einen Ruck. »Meinst du … ähm, wir könnten uns dazu persönlich treffen? Vielleicht zu einem Kaffee-Date? Ich, äh, würde dich wirklich gerne besser kennenlernen.«
Tamara nickte sofort. »Das würde ich auch gern.«
Sie lächelten einander an.
»Wann würde es dir passen?«, fragte Abby und bemühte sich halbherzig, nicht zu übereifrig zu klingen. »Ich meine, mit Recherchen kann man gar nicht früh genug anfangen, oder?«
»Stimmt. Aber zuerst brauchst du etwas Schlaf. Du siehst aus, als hättest du die letzten Nächte mehr oder weniger durchgeschrieben.«
Das hatte sie tatsächlich. »Dann rufe ich dich am Wochenende an?«
»Klingt gut.«
Nachdem sie das Verabschieden noch ein paar Minuten hinausgezögert hatten, beendeten sie schließlich das Gespräch.
Wow. Abby starrte den Sie-haben-gewonnen-Schriftzug auf ihrem Laptopbildschirm an. Sie hatte einen Liebesroman geschrieben. Und sie war mit einer Liebesromanautorin verabredet. Warum zum Teufel hatte sie je geglaubt, Liebesromane wären vorhersehbar? Ihr Liebesleben war es ganz bestimmt nicht!
Doch bevor sie mit Tamara ausgehen konnte, wartete erst einmal ihr Bett auf sie … ihr Bett und die Fortsetzung zu Feuer und Flamme, falls sie ihre Augen lange genug aufhalten konnte, um noch ein oder zwei Kapitel zu lesen.
Sie musste über sich selbst lächeln, als sie sich auf die Suche nach ihrem E-Reader machte.
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Das Morden wurde nicht einfacher. Ganz im Gegenteil, es wurde mit jedem Mal schwieriger. Seit Tagen dachte Mara darüber nach, wie sie Sue umbringen konnte, aber ihr wollte einfach nichts Passendes einfallen.
Erschießen?
Nein, das war nicht aufregend genug – und außerdem verursachte es eine riesengroße Sauerei. Ihr die Kehle aufzuschlitzen oder sie zu erstechen, kam aus denselben Gründen nicht in Frage.
Wie wäre es, Sue von einer Klippe zu schubsen? Sie könnte es wie einen Unfall aussehen lassen. Mara nagte am Ende ihres Kugelschreibers und dachte einen Moment lang darüber nach.
Es war verlockend, aber irgendwie zu abgedroschen und todlangweilig. Das unbeabsichtigte Wortspiel ließ sie das Gesicht verziehen.
Sollte sie einen Auftragskiller engagieren?
Nein, das war nicht persönlich genug. Außerdem würde ein Profikiller die Sache schnell und mit minimalem Leiden durchziehen und das wollte Mara nicht. Nicht für dieses ganz bestimmte Opfer. Sue hatte sie betrogen, gerade als Mara geglaubt hatte, aus der Beziehung könnte etwas werden. Dafür verdiente sie einen grausamen Tod.
Mara lehnte sich zurück und ließ ihren Löffel durch den Milchschaum kreisen, der am Boden der Tasse zurückgeblieben war. Normalerweise fand sie die Hintergrundgeräusche im Café beruhigend. Das Klirren von Porzellantassen, das Zischen der Espressomaschine und das Gemurmel der Unterhaltungen inspirierten sie, aber heute halfen selbst die vertrauten Geräusche nicht.
Sie hätte die lautstarke Touristengruppe umbringen können, die wohl annahm, die anderen Kunden wollten jedes Wort ihrer Unterhaltung mithören. Aber dazu müsste sie erst einmal eine effektive Mordmethode finden. Am Tisch neben ihr lümmelte ein Jugendlicher. Die laute Hip-Hop-Musik, die aus seinen Ohrstöpseln drang, trug auch nicht gerade zu ihrer Konzentration bei.
Sie warf ihm einen bösen Blick zu. Vielleicht würde ein tödlicher Elektroschock funktionieren? Konnte man von einem elektrischen Schlag aus dem Handy oder MP3-Player in die ewigen Jagdgründe befördert werden?
Vermutlich nicht. Außerdem hatte sie bereits jemanden mithilfe von Elektrizität umgebracht. Nein. Sie brauchte etwas anderes. Etwas Einzigartiges.
Seufzend ließ sie den Löffel in die Tasse fallen. Sie brauchte noch einen Caramel Macchiato. Hey, könnte das die perfekte Mordmethode sein, nach der sie suchte? Gab es so etwas wie eine Koffeinvergiftung?
Ihr Handy klingelte, bevor sie sich noch einen Kaffee holen konnte. Sie fischte es aus ihrem Rucksack und klappte die Lederschutzhülle auf. Ihre Stimmung hellte sich sofort auf, als sie den Namen auf dem Display sah: Hayley Wheeler.
»Kann man an einer Koffeinüberdosis sterben?«, fragte Mara statt eines Grußes.
Einen Moment lang drang nur Stille aus dem Handy.
»Dir auch einen wunderschönen guten Morgen. Mir geht es bestens, danke der Nachfrage.« Trotz der milden Ermahnung schwang Humor in Hayleys sexy Stimme mit.
»Guten Morgen«, wiederholte Mara gehorsam. »Wie geht es meiner Lieblingslektorin heute?«
»Ich wäre geschmeichelt, wenn ich nicht genau wüsste, dass es in dieser Rubrik nicht gerade viel Konkurrenz gibt.«
»Ach, wer wird denn gleich so kleinlich sein? Okay, du bist meine einzige Lektorin, aber du wärst immer noch meine Nummer eins, selbst wenn ich ein ganzes Dutzend hätte.«
»Das will ich doch hoffen. Immerhin war ich diejenige, die die Hauptfigur in deinem letzten Buch davor bewahrt hat, ein T-Shit statt eines T-Shirts zu tragen.«
»Ha-ha-ha«, sagte Mara. »Das muss ich mir sicher noch anhören, bis ich irgendwann mit dem Gesicht voran auf meine Tastatur falle und abkratze, oder?«
»Oh, ja. Darauf kannst du Gift nehmen.«
Mara stöhnte, aber das vertraute Necken brachte sie dennoch zum Lächeln. Gott, sie liebte Frauen, die Sinn für Humor hatten und mit Sprache umzugehen wussten. Wenn dann noch ein umwerfendes Lächeln und die perfekte Beherrschung von Grammatik und Syntax hinzukamen, war es um Mara geschehen.
Zu dumm, dass diese Frau ihre Lektorin war und Mara nicht einmal sicher wusste, ob Hayley lesbisch war. Zwar standen die Chancen gut, dass sie sich für Frauen interessierte, immerhin lektorierte sie beruflich Literatur für Lesben und hatte letztes Jahr sogar eine verdammt heiße Anthologie zusammengestellt. Aber das war kein sicherer Hinweis und Mara hatte nie eine unauffällige Weise gefunden, sich nach Hayleys sexueller Orientierung zu erkundigen. Wie zum Teufel fragte man die Person, deren sanft geführter roter Stift ihr zu vier literarischen Preisen verholfen hatte, ob sie möglicherweise auf Frauen stand?
Maras blühende Fantasie präsentierte ihr sofort ein Szenario, in dem sie Hayley eine E-Mail schickte: Glaubst du, ich sollte den Prolog weglassen und mit der Erzählperspektive der Ermittlerin beginnen? Gehört in den Satz am Anfang von Kapitel achtzehn ein Komma oder ein Semikolon? Ach, und da ich gerade dabei bin, dir Fragen zu stellen … Bist du lesbisch?
Nee. Kam nicht in Frage. Mara wechselte ihr Handy ans andere Ohr. »Also, was ist nun mit der Koffeinüberdosis? Meinst du, eine erwachsene Frau könnte daran sterben?«
»Nein«, sagte Hayley, ohne zu zögern. »Glaub mir. Wenn das möglich wäre, hätte ich vor über einer Stunde meine irdische Verstrickung gelöst und würde jetzt im Himmel lektorieren.«
Himmel, jetzt zitiert sie auch noch Shakespeare. Mara versuchte, nicht vor Verzückung bewusstlos zu werden, und konzentrierte sich stattdessen darauf, was Hayley sonst noch gesagt hatte. Ihr Ton war humorvoll gewesen, aber nach zwei Jahren, vier Romanen, zwei Dutzend Videoanrufen über Skype und mehr E-Mails, als Mara zählen konnte, kannte sie Hayley gut genug, um einen Unterton von Frustration in ihrer Stimme mitschwingen zu hören. »Harter Tag?«
»Nur eine enge Deadline für ein neues Manuskript von einer Erstlingsautorin.«
Einige der Autoren in Maras Schreibgruppe waren Neulinge, deshalb wusste sie, wie zeitaufwändig und zermürbend es sein konnte, ein Erstlingswerk zu lektorieren. »Oje. Ich weiß nicht, wie du das ertragen kannst. All die langweiligen Romananfänge, Berge von Adjektiven, aufgeblähte Beschreibungen und Perspektivenfehler …« Mara schüttelte sich. »Ich glaube, ich wäre schon nach einem Kapitel so weit, mich im Kamikaze-Stil in meinen roten Stift zu werfen.«
»Du meinst Harakiri, nicht Kamikaze«, sagte Hayley.
Mara lächelte. War ja vorhersehbar, dass sie das sagt. Vorhersehbar, aber süß. Selbst in den SMS, die Hayley ihr gelegentlich schickte, waren Grammatik und Zeichensetzung perfekt. Keine davon endete mit einer Reihe von Abkürzungen wie ILD. Leider.
»Schön«, sagte Mara. »Dann würde ich eben Harakiri begehen.«
»Die meisten Manuskripte sind gar nicht so schlecht. Ich mag es, den Neulingen etwas beizubringen und ihnen zu helfen, ihre schriftstellerischen Fähigkeiten zu verbessern.«
Das war typisch Hayley. Sie beschwerte sich nie oder tratschte über Maras Autorenkolleginnen, selbst über die nicht, die es verdient hätten. Die Frau war der Inbegriff von Professionalität. Mara bewunderte diese Eigenschaft an ihr, aber vermutlich bedeutete das auch, Hayley würde nie eine Beziehung mit einer ihrer Autorinnen eingehen, selbst falls sie tatsächlich lesbisch war.
»Und ab und zu komme ich dann in den Genuss, an einem richtig guten Manuskript zu arbeiten«, fügte Hayley hinzu. »An deinem zum Beispiel.«
Wohl wissend, dass sie vermutlich wie ein Honigkuchenpferd im Ecstasy-Rausch aussah, musste Mara trotzdem grinsen, als hätte sie eben den Pulitzerpreis für Belletristik gewonnen.
»Mit Schmeicheleien kommst du bei mir immer ans Ziel.« Sie hielt inne. Flirten wir miteinander? Oder sind das nur Neckereien? Sie war sich nicht sicher.
Hayley räusperte sich. Ein knarrendes Geräusch drang durchs Handy und Mara stellte sich vor, wie Hayley sich in ihrem Bürostuhl zurücklehnte und ihre Bluse sich über ihren vollen Brüsten spannte. Gut, dass Hayley nicht ahnte, dass sie nicht nur die Beschreibung von Maras neuer Romanheldin, sondern auch mehrere nächtliche Fantasien angeregt hatte.
»Also«, sagte Hayley, »warum fragst du nach tödlichen Koffeindosen? Trinkst du wieder zu viel von diesem Fünfhundert-Kalorien-Milchshake, den du Kaffee nennst?«
Mara schielte zu ihrer leeren Tasse. Es war ihre dritte. Erwischt. Seit wann kannte Hayley sie so gut?
»Mach dir keine Sorgen wegen des Koffeins«, sagte Hayley. »Der Zucker im Sirup wird dich lange vor dem Koffein umbringen.«
Mara seufzte. »Das war nicht der Grund für meine Frage. Es geht um mein neues Buch. Ich versuche, mir eine halbwegs originelle Handlung einfallen zu lassen.«
»Und? Was hast du bisher?«
»Nichts, nada, nothing, niente, rien, niets …«
Hayley lachte. »Okay, okay. Schon verstanden. Hör auf, mit deinem Sprachtalent anzugeben.«
Nun ja, wie sonst konnte sie eine Frau beeindrucken, die ihr Geld mit Worten verdiente? »Alles, was mir bisher eingefallen ist, erscheint mir entweder langweilig oder ich habe es schon in einem früheren Roman benutzt. Ich brauche etwas ganz Neues. Ich möchte keine der Autorinnen sein, die im Grunde dasselbe Buch immer und immer wieder schreiben.«
»Da gebe ich dir recht. Ehrlich gesagt habe ich auch darüber nachgedacht.«
»Ach ja?« Gott, Hayley wäre die perfekte Frau für sie. Sie lebte die meiste Zeit über ebenfalls in einer imaginären Welt voller fiktiver Gestalten und würde es verstehen, wenn Mara während eines romantischen Abendessens begann, Notizen auf eine Serviette zu kritzeln. Vermutlich würde sie sogar mitmachen, wenn Mara sich über die Lücken und Logikfehler in der Handlung von Filmen beschwerte, die sie sich gemeinsam ansahen. Sue, ihre teuflische Ex-Freundin, war da ganz anders gewesen.
»Natürlich«, sagte Hayley. »Als deine Lektorin habe ich ein eigennütziges Interesse daran, dass du weiterhin erfolgreich bist.«
Ging es wirklich nur darum? Mara wollte glauben, dass sie Freundinnen waren und Hayley ihr auch aus privaten Gründen Erfolg wünschte. »Was schlägst du also vor?«
»Ich liebe deine Krimis. Wirklich. Aber ich denke, du solltest in Betracht ziehen, mal etwas anderes zu versuchen. Vielleicht kannst du deine Romane ein wenig … sexyer machen.«
Die Art wie Hayleys Stimme klang, als sie das Wort sexyer sagte – samtig weich und selbstbewusst – lenkte Mara einen Moment lang ab. Fast hätte sie die Bedeutung ihrer Worte verpasst.
»Du willst, dass ich einen … einen Liebesroman schreibe?«
Hayley gab ein schnaubendes Geräusch von sich. »Bei dir klingt das, als ob ich dich aufgefordert hätte, einen dieser billigen Groschenromane mit Jungfrauen in Nöten, wogenden Brüsten und feuchten Liebesgrotten zu schreiben.«
Mara musste lachen. Liebesgrotten?
