Hängematte für zwei - Jae - E-Book

Hängematte für zwei E-Book

Jae

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Beschreibung

Dr. Jordan Williams verbringt ihre Tage im OP und ihre Nächte in den Betten ständig wechselnder Frauen. Ihre neue Nachbarin, die alleinerziehende Emma, ist das komplette Gegenteil. Familie und Treue gehen ihr über alles. Als Jordan sich bei einer Rettungsaktion den Arm bricht, fühlt Emma sich verpflichtet, ihre Hilfe anzubieten. Könnten die sechs Wochen im Gips der Anfang eines Happy Ends sein?

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Seitenzahl: 604

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhaltsverzeichnis

Von Jae außerdem lieferbar

Danksagung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

Über Jae

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Von Jae außerdem lieferbar

Bachelorette Nummer zwölf

Kuscheln im Erbe inbegriffen

Eine Mitbewohnerin zum Verlieben

Tintenträume

Ein Happy End kommt selten allein

Alles nur gespielt

Aus dem Gleichgewicht

Hängematte für zwei

Herzklopfen und Granatäpfel

Cabernet und Liebe

Die Gestaltwandler-Serie:

Vollmond über Manhattan

Die Hollywood-Serie:

Liebe à la Hollywood

Im Scheinwerferlicht

Affäre bis Drehschluss

Die Portland-Serie:

Auf schmalem Grat

Rosen für die Staatsanwältin

Die Serie mit Biss:

Zum Anbeißen

Fair-Oaks-Serie:

Perfect Rhythm – Herzen im Einklang

Beziehung ausgeschlossen

Oregon-Serie:

Westwärts ins Glück (Bd. 1 & 2)

Angekommen im Glück

Verborgene Wahrheiten (Bd. 1 & 2)

Unverhofft verliebt:

Vorsicht, Sternschnuppe

Falsche Nummer, richtige Frau

Alles eine Frage der Chemie

Danksagung

Ein herzliches Dankeschön geht an meine fleißigen Korrekturleserinnen Melanie, Susanne, Katharina und Christiane sowie an meine Lektorin Andrea Fries.

Kapitel 1

Ein warmer Arm riss Jordan aus dem Schlaf, als er sich um sie schlang wie eine Boa constrictor, die ihre Beute erwürgte. Stöhnend öffnete sie die Augen.

Grelles Morgenlicht erhellte ein Schlafzimmer, das nicht ihr gehörte, und fiel auf die Kleidungsstücke, die einen Pfad von der Tür zum Bett beschrieben. Der Radiowecker neben ihr zeigte in leuchtend roten Zahlen 8:11 Uhr an.

Mist. Sie musste los, wenn sie es schaffen wollte, nach Hause zu fahren und Thunfisch ihr Futter hinzustellen, bevor sie zum Flughafen fuhr, um Simone abzuholen. Sie schlug die Decke zurück und versuchte, aus dem Bett zu steigen, aber die Frau hinter ihr wollte einfach nicht loslassen.

Jordan warf einen Blick über die Schulter.

Colleen – die Rothaarige von gestern Nacht – kuschelte sich im Schlaf an sie, ein Lächeln auf dem Gesicht.

Jordan grinste. Sie liebte es, einen so glückseligen Ausdruck auf die Gesichter von Frauen zu zaubern. Vorsichtig hob sie den Arm von ihrer Hüfte und schlich sich aus dem Bett. Das Aufsammeln ihrer Kleidung führte sie zur Tür, aber sich einfach ohne ein Wort davonzumachen, war nicht ihre Art. Colleen schlief immer noch, als sie an ihr vorbei zum Badezimmer ging. Schätze, sie hat sich heute Nacht völlig verausgabt.

Das Duschen konnte warten, bis sie zu Hause war. Jordan schlüpfte in die Klamotten von gestern. Sie wollte auf der Suche nach einer Zahnbürste nicht Colleens Badezimmerschränke durchstöbern, deshalb drückte sie nur ein wenig Zahnpasta auf ihren Zeigefinger und rieb ihn über ihre Zähne.

Als sie sich den Mund ausspülte, ging die Badezimmertür auf und Colleen trat ein, noch immer splitterfasernackt. »Guten Morgen«, sagte sie mit einer Stimme, die rau vom Schlaf war.

»Morgen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich deine Zahnpasta benutzt habe.«

»Völlig okay. Ich würde dir sogar meine Dusche anbieten.« Colleen trat näher, schlang die Arme um Jordan und schmiegte ihren nackten Körper an sie. »Und meine Gesellschaft unter der Dusche.«

Jordan bekam eine Gänsehaut. Ein Stöhnen entfuhr ihr. »Ich sage nur ungern Nein zu einer schönen Frau, aber es geht nicht anders. Ich muss los, eine Freundin vom Flughafen abholen.«

Seufzend ließ Colleen los. »Rufst du mich an?«

Es wäre einfach gewesen, Ja zu sagen, sodass sie ohne lange Diskussion verschwinden konnte, aber sie machte nie falsche Versprechungen. Schon gestern Nacht hatte sie klargestellt, dass es ihr nur um Sex ging und sie nicht auf der Suche nach etwas Längerfristigem war. Aber scheinbar musste Colleen nochmals daran erinnert werden. »Hör zu, Colleen. Ich würde so etwas wie letzte Nacht gern wiederholen, aber ich habe dir ja schon gesagt, dass ich nicht der Beziehungstyp bin.«

Colleen verschränkte die Arme vor ihrer nackten Brust, als hätte Jordan nicht schon jeden Zentimeter ihres Körpers gesehen. »Gilt das immer? Auch wenn du eine Frau kennenlernst, bei der die Chemie wirklich stimmt?«

Glaubte sie, dass sie diese Frau war? Klar, sie hatten eine heiße Nacht gehabt, aber darüber hinaus konnte sich Jordan nicht vorstellen, mit Colleen – oder mit irgendeiner anderen Frau – den Rest des Monats zu verbringen, geschweige denn den Rest ihres Lebens.

»Das gilt immer«, sagte sie entschieden. Mit einem spielerischen Grinsen fügte sie hinzu: »Ich bin zu gut aussehend und zu gut im Bett, um mich an nur eine Frau zu binden und dem Rest der weiblichen Bevölkerung das Vergnügen meiner Gesellschaft zu verwehren.«

Colleen schüttelte den Kopf. »Gott, du bist unglaublich.«

»Das hast du gestern Nacht auch gesagt«, witzelte Jordan.

Ein Klaps traf sie auf den Arm, aber dann lachte Colleen und die Falten auf ihrer Stirn glätteten sich.

Jordan lächelte. Sie ging ins Schlafzimmer und schlüpfte in ihre Lederstiefeletten, bevor sie sich aufrichtete. »Es hat nichts mit dir zu tun. Du bist wunderschön und lustig und klug.« Zumindest, soweit sie das beurteilen konnte. Sie hatten ihre Zeit nicht damit verbracht, über Politik, Wissenschaft oder Literatur … oder irgendein anderes Thema zu reden. Sie sah Colleen in die Augen, denn sie wollte auf keinen Fall, dass diese Erfahrung für sie mit einem bitteren Beigeschmack endete. »Jede Frau könnte sich glücklich schätzen, mit dir zusammen zu sein.«

»Nur nicht du«, sagte Colleen.

»Nur nicht ich. So bin ich nun mal. Eine feste Beziehung ist das Einzige, mit dem ich nicht dienen kann. Für alles andere kannst du mich jederzeit anrufen.« Sie drückte Colleen ihre Visitenkarte in die Hand.

Colleen warf einen Blick darauf und stieß einen Pfiff aus. »Du bist Chirurgin? Ich hätte es wissen sollen.«

Jordan grinste und hielt alle zehn Finger in die Höhe. »Was soll ich sagen? Wir haben eben talentierte Hände.«

Colleen begleitete sie zur Tür und küsste sie mit einer Leidenschaft, die Jordan verriet, dass sie definitiv anrufen würde. Pfeifend und mit energischem Schritt marschierte sie zu ihrem Mercedes-Cabrio.

* * *

Auf der Schnellstraße 101 herrschte Stoßverkehr, sodass Jordan über eine Stunde brauchte, um von Colleens schicker Eigentumswohnung in West Hollywood zu der ruhigen Einbahnstraße in South Pasadena zu gelangen, in der sie lebte.

Endlich steuerte sie das Cabrio auf ihre Doppelhaushälfte zu.

Ein großer, weißer Möbelwagen parkte schräg in der Einfahrt und blockierte die Garage. Die hintere Tür war offen und eine Laderampe führte in Richtung Haus. Zwei Umzugshelfer in blauen Overalls schleppten ein Sofa zur rechten Seite des Hauses.

Scheinbar bekam sie neue Nachbarn, nachdem sie das Haus ein paar Wochen lang für sich allein gehabt hatte.

Zum Glück war überall Platz zum Parken. Sie hielt den Wagen am Straßenrand, stellte den Motor ab und stieg aus.

Ihre Nachbarin Barbara war im Vorgarten damit beschäftigt, abgestorbene Blätter aus ihren Azaleen zu zupfen. Als sie Jordan sah, nahm sie ihren Gehstock und kam auf sie zu. »Guten Morgen. Sieht so aus, als wären deine unbeschwerten Tage als Junggesellin gezählt.« Sie nickte in Richtung des Möbelwagens.

»Ach was.« Sie würde nur etwas diskreter sein müssen, wenn sie im Garten hinter dem Haus, den sie sich mit ihren direkten Nachbarn teilte, »weibliche Gäste bewirtete«, wie Barbara es nannte. In der Hängematte zu knutschen, verlangte ohnehin zu viele Verrenkungen. »Wer weiß, vielleicht ist der neue Nachbar eine alleinstehende Frau und total heiß.«

Barbara gab ihr einen Klaps, als wäre sie ein unartiges Kind. »Vielleicht ist es ein achtzigjähriger Knacker, der will, dass du dir seine schmerzende Hüfte ansiehst, und dich die ganze Nacht wachhält, weil du sein Schnarchen durch die Wand hören kannst.«

»Dann verkupple ich ihn einfach mit dir«, sagte Jordan und zupfte ein Blatt aus dem silbernen Haar ihrer Freundin.

Im Umzugswagen rumpelte es und sie drehten sich beide in diese Richtung, um den neuen Nachbarn aus dem Gefährt klettern zu sehen.

Das Erste, was Jordan sah, war eine Stehlampe, dann ein abgetragener Turnschuh. Als dessen Besitzer die Laderampe hinabging, glitt Jordans Blick an einem Paar attraktiver Beine hinauf. Mit den geschwungenen Hüften der neuen Nachbarin gab es keinerlei Probleme und falls sie Jordan wachhalten würde, dann ganz sicher nicht mit ihrem Schnarchen.

Ihre hellblaue, verwaschene Jeans schmiegte sich an ihren kurvigen Körper. Gott, Jordan liebte Frauen in Jeans, besonders, wenn die Betreffende einen so gut gebauten Hintern hatte.

Die Fremde betrat ihre Haushälfte und kam kurz darauf wieder zum Vorschein, vermutlich, um ein weiteres Möbelstück aus dem Umzugswagen zu holen. Jetzt konnte Jordan auch einen Blick auf ihr Gesicht erhaschen. Wow. Ihre neue Nachbarin sah von vorn genauso gut aus wie von hinten.

Schlagartig war die ruhige Straße, in der sie wohnte, um einiges interessanter geworden.

Jordan bewunderte die Art, wie sich die Fremde bewegte, anmutig und doch ganz ungekünstelt. »Ich glaube, ich gehe mal rüber und stelle mich vor.«

Barbara bedachte sie mit einem Kopfschütteln. »Du bist unglaublich.«

Es war noch nicht mal zehn Uhr und doch hatte sie das heute schon zweimal gehört. Das war selbst für sie ein Rekord. »Wieso denn?«, fragte sie, als Barb ihr weiterhin tadelnde Blicke zuwarf.

»Was ist mit Simone?«

»Simone? Was soll mit ihr sein? Wir sind nur Freundinnen. Außerdem verhalte ich mich nur wie eine gute Nachbarin.«

»Mmhm. Als ich jung war, haben wir das anders genannt.« Trotz ihrer Proteste folgte ihr Barbara, wobei sie ihren Gehstock mehr in der Hand trug, als ihn zu benutzen.

Jordan hielt sie leicht am Ellbogen fest und half ihr, um eine Sackkarre und einen Stapel Umzugskartons herumzugehen, die neben dem Wagen darauf warteten, ins Haus transportiert zu werden.

Als die neue Nachbarin sie sah, blieb sie auf halbem Weg die Rampe hinauf stehen, was Jordan auf Augenhöhe mit ihren Brüsten brachte. Es war schwierig, angesichts einer solch gottgegebenen Perfektion nicht zu glotzen, aber sie schaffte es, den Blick auf das Gesicht der Fremden gerichtet zu halten.

Sie sah nicht aus wie die Models und Schauspielerinnen, die Jordan oft am Arm oder im Bett hatte. Die Sommersprossen auf ihrer Nase beförderten sie in die Kategorie süß anstelle von wunderschön. Nach Hollywoodmaßstäben hatte sie ein paar Pfund zu viel auf den Rippen. Sie trug kein Make-up und ihr blondes Haar war zu einem etwas unordentlichen Pferdeschwanz zurückgebunden, aber sie war dennoch eine attraktive Frau. Zumindest, wenn man auf den Typ »das nette Mädchen von nebenan« stand, was auf Jordan normalerweise nicht zutraf.

Aber aus irgendeinem Grund konnte sie trotzdem nicht aufhören, ihre neue Nachbarin anzustarren.

Barbara stieß sie mit dem Ellbogen an.

»Guten Morgen«, sagte Jordan mit Verspätung.

»Hallo«, antwortete die Blondine. »Ich hoffe, wir stören Sie nicht mit all dem Krach, den wir machen.«

Wir, wiederholte Jordan in Gedanken. Hatte sie einen Freund oder Ehemann und vielleicht sogar eine Schar Kinder oder meinte sie damit die beiden Umzugshelfer? Außer den Männern in den blauen Overalls konnte Jordan niemanden entdecken.

Die Frau kletterte die Rampe hinab, damit die Umzugshelfer ein weiteres Möbelstück ausladen konnten.

Verglichen mit Jordans eins achtzig war sie eher klein.

Ein weiterer Stups von Barbara machte Jordan bewusst, dass sie die neue Nachbarin noch immer anstarrte.

»Nein, nein, keine Sorge«, sagte Barbara.

Jordan sah der Frau in die Augen. Aus nächster Nähe konnte sie nun deren Farbe erkennen. Sie waren hellgrün, mit kupferfarbenen Sprenkeln um die Pupillen herum. Lächelnd hielt sie der Neuen ihre Hand hin. »Es stört mich nicht, wenn es mal etwas lauter wird«, sagte sie. »Ich bin Jordan Williams, Ihre bessere Hälfte.«

Süße Fältchen formten sich auf der Stirn der Blondine. »Wie bitte?«

»Ich wohne in der anderen Haushälfte«, sagte Jordan und zeigte hinüber zur linken Hälfte des Doppelhauses.

»Oh.« Die neue Nachbarin lachte, zog die Arbeitshandschuhe aus und nahm die hingehaltene Hand. »Ich bin Emma Larson.«

Emma. Jordan hatte diesen Namen schon immer gemocht. Als sie ihre Hand schüttelte, war Jordan überrascht über den kräftigen Händedruck. Sie nutzte die Gelegenheit, um Emmas Finger zu betrachten. Kein Ehering oder sonst ein Ring, weder an der linken noch an der rechten Hand. Ihre Nägel waren kurz gehalten. Somit hatte sie sich ein Häkchen auf Jordans Ist-sie-möglicherweise-lesbisch-Checkliste verdient.

»Ein schöner Name für eine schöne Frau«, sagte sie mit einem sanften Lächeln.

Emma zog ihre Hand zurück und legte den Kopf auf eine Weise zur Seite, die wirkte, als sähe sie auf Jordan hinab, obwohl sie mindestens zehn Zentimeter kleiner war. »Haben Sie für gewöhnlich mit solchen Sprüchen Erfolg?«

Einen Moment lang konnte Jordan sie nur verdutzt ansehen. Kaum eine Frau wies sie schon Sekunden nach dem ersten Kennenlernen wegen ihres Flirtens zurecht. Aber sie mochte Herausforderungen. »Das ist kein Spruch«, sagte sie mit unerschütterlichem Lächeln. »Das ist eine Tatsache.«

»Ignorier sie einfach.« Barbara schob Jordan beiseite und nahm Emmas Hand. »Ich bin Barbara Mosley. Lass uns einfach du sagen.«

Emma nickte und die Geste schien auch Jordan mit einzuschließen. »Das Du ist mir sehr recht.«

»Willkommen in South Pasadena«, sagte Barbara. »Ich bin sicher, es wird dir hier gefallen.«

»Danke. Ganz bestimmt.«

»Was führt dich in die Gegend?«, fragte Jordan. Ein Umzug wegen der Karriere oder ein Zusammenziehen mit dem Freund … oder der Freundin? Sie sprach es nicht aus, weil sie ahnte, dass sie subtiler vorgehen musste. Scheinbar war ihre neue Nachbarin nicht in der Stimmung, so früh am Morgen schon mit einer Frau zu flirten. Womöglich flirtete sie zu keiner Tageszeit mit Frauen, auch wenn Jordans Instinkt das Gegenteil behauptete.

»Wie kommst du darauf, dass ich nicht aus der Gegend bin?«, fragte Emma. Ein Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht und brachte die kupferfarbenen Sprenkel in ihren Augen zum Leuchten. »Hat meine ganz und gar unkalifornische Sommerbräune mich verraten?« Sie blickte auf ihre Haut, die so weiß war wie Barbaras geliebte Eisberg-Rosen und genauso weich aussah wie deren Blütenblätter.

Jordan lachte. »Nein, es war der Möbelwagen.« Sie deutete auf das Gefährt, auf dessen Seite ein Umzugsunternehmen aus Portland, Oregon, mit seinen Dienstleistungen warb.

»Ach so«, sagte Emma.

Sie hatte Jordans eigentliche Frage danach, was sie nach Kalifornien brachte, nicht beantwortet. Vielleicht sprach sie nicht gern über sich selbst. Das konnte Jordan verstehen. Außerdem machte eine geheimnisvolle Aura ihre Nachbarin nur noch attraktiver.

»Lass uns wissen, wenn du irgendetwas brauchst.« Barbara zeigte auf ihr Haus. »Ich wohne gleich nebenan.«

»Genau. Wir helfen dir gern, dich hier einzuleben. Ich kenne die besten Restaurants und Geschäfte vor Ort und kann dich gern herumführen«, fügte Jordan hinzu. In Gedanken ging sie den morgigen OP-Plan durch. »Wenn du Frühaufsteherin bist, könnte ich dir morgen früh das beste Café in der Stadt zeigen.«

»Nein, danke«, sagte Emma. »Morgen werde ich bis zum Hals in Umzugskartons stecken, da werde ich kaum Zeit zum Kaffeetrinken haben.«

Die Abfuhr war so schnell erfolgt, als hätte sie keine Sekunde lang überlegt, anzunehmen. Scheinbar bin ich heute nicht in Bestform. »Dann vielleicht ein anderes Mal.«

Emma brummte nur. »Mal sehen. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet, ich muss den beiden zeigen, wo das hinsoll.« Sie eilte den Umzugshelfern hinterher, die eine Kommode in Richtung Haus schleppten.

Jordan sah ihr nach, bis Barbaras Lachen sie davon abhielt, weiter den Anblick von Emmas perfektem Hintern zu genießen. Sie drehte sich zu ihr um. »Was ist denn so witzig?«

»Du hast einen Korb bekommen. Das ist dir sicher noch nie passiert.«

»Doch«, sagte Jordan. »Ist schon vorgekommen. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund gibt es ein paar fehlgeleitete Frauen, die gegen meinen Charme immun sind.«

Barbara tätschelte ihr den Arm. »Die wissen ja gar nicht, was sie verpassen.«

»Das sage ich auch immer.«

Sie grinsten einander an.

»Ich weiß, es ist ein schwacher Trost, aber willst du rüberkommen und stattdessen mit mir einen Kaffee trinken?«, fragte Barbara.

Jordan nahm ihre Hand und drückte sie sanft. Barbaras Ehemann war vor fast drei Jahren gestorben und ihre Kinder waren weggezogen, deshalb war sie manchmal einsam. Zwar hätte sie es nie zugegeben, aber Jordan spürte es. Deshalb kam sie regelmäßig auf eine Tasse Kaffee bei ihr vorbei oder half ihr im Garten. »Sonst gern, aber ich bin spät dran. Ich muss Simone vom Flughafen abholen.«

»Oh, ist sie in der Gegend?«

»Ja, aber nur für ein paar Tage. Einer ihrer Klienten in L.A. will expandieren, deshalb ist sie hergeflogen, um sich seine Produktlinie anzusehen.«

»Sag ihr doch bitte, sie soll bei mir vorbeischauen. Sie ist so ein nettes Mädchen. Ich kann wirklich nicht verstehen, warum du nicht mit ihr zusammen bist.«

Jordan schüttelte den Kopf. »Wie ich schon gesagt habe, wir sind beide nicht der Beziehungstyp. Wir sind nur Freundinnen.« Freundinnen, die gelegentlich miteinander schliefen, aber das musste Barbara ja nicht wissen. Sie würde es nicht verstehen.

»Freundinnen, die ich bei ihrem letzten Besuch dabei ertappt habe, wie sie wie zwei Jugendliche in deinem Cabrio herumgeknutscht haben.«

Ups. »Ach, das hast du gesehen?«

»Ich sehe alles, junge Dame.« Barbara stampfte mit ihrem Gehstock auf die geteerte Auffahrt. »Also, warum seid ihr kein Paar?«

»Das ist … Es ist nicht das, was wir wollen. Wir …«

Ein lautes Miauen unterbrach sie. Ihre Katze, Thunfisch, warf ihr vom anderen Ende der Auffahrt einen auffordernden Blick zu.

»Tut mir leid, Barb. Ich muss los. Meine Gebieterin ruft nach mir. Brauchst du Hilfe, um nach Hause zu kommen?«

Barbara schnaubte. »Ich bin vierundsiebzig, nicht vierundneunzig. Ich kann die paar Schritte zu meinem Haus sehr gut ohne Hilfe gehen.« Dann wurde ihr Gesichtsausdruck weicher. »Aber danke der Nachfrage, Liebes. Jetzt geh und kümmere dich um all die Frauen in deinem Leben.« Wieder hing der Gehstock in ihrer Armbeuge, als sie zu ihrem Haus zurückstapfte.

Jordan sah ihr einen Moment lang nach und drehte sich dann noch einmal zur anderen Haushälfte um, in der Hoffnung, einen letzten Blick auf ihre neue Nachbarin zu erhaschen.

Ein forderndes Miau ließ sie den Blick abwenden.

»Nur mit der Ruhe. Ich komme ja schon.« Sie eilte die Auffahrt hinauf. »Himmel. Wenn ich gewollt hätte, dass man mich ausschimpft, nur weil ich erst morgens nach Hause komme, hätte ich mir eine Freundin angeschafft!«

Kapitel 2

Umziehen war nichts für Schwächlinge. Emmas Rücken schmerzte schon jetzt von all den schweren Umzugskartons und sie war froh, dass sie schon im Voraus einen Babysitter für Molly über einen Online-Service gefunden hatte.

So war Molly ein paar Stunden außer Haus, kam ihr nicht in die Quere und würde mit dem Umzug nicht sofort all das Chaos im neuen Zuhause verbinden, sondern einen spaßigen Tag im Park.

Emma zählte die säuberlich beschrifteten Kartons, die vor dem Einbaubücherregal im Wohnzimmer standen.

Es waren neun. Also mussten noch zwei draußen sein. Zum Glück befanden sich ihre übrigen Bücher auf ihrem E-Book-Reader.

Als sie nach draußen trat, um die beiden Kartons zu holen, verließ ihre Nachbarin ebenfalls das Haus.

Sie hatte sich umgezogen und die weiße Bluse, die sie jetzt trug, brachte ihre dunkle Haut und ihre naturgekräuselten, schwarzen Haare gut zur Geltung. Ihre Haare waren kurz geschnitten, was ihre schönen Wangenknochen und ihre vollen Lippen betonte. Eine Blue Jeans umschmeichelte ihre langen, muskulösen Beine, ihre schmale Taille und die leichte Rundung ihrer Hüften. Jordans geschmeidiger Gang strotzte nur so vor Selbstvertrauen.

Emma berührte mit dem Daumen die leere Stelle an ihrem Ringfinger und ärgerte sich darüber, dass sie das Aussehen ihrer Nachbarin auch nur zur Kenntnis genommen hatte.

Als sich ihre Blicke über die Auffahrt hinweg trafen, schenkte Jordan ihr ein Grinsen.

Emma konnte noch immer nicht glauben, dass die Frau sie angebaggert hatte. Ihr Flirten war offensichtlich gewesen, selbst für jemanden, der so aus der Übung war wie Emma. Sie musste zugeben, dass es ihr schmeichelte und ihr Selbstvertrauen stärkte, das im vergangenen Jahr einiges hatte einstecken müssen. Früher hätte sie vermutlich zurückgeflirtet, aber die Erfahrung hatte sie gelehrt, sich von Frauenheldinnen wie Jordan Williams fernzuhalten.

Sie kannte diesen Typ Frau nur zu gut. Frauen wie sie waren nett fürs Auge, aber Gift fürs Herz. Nie wieder würde sie jemandem wie ihr Gelegenheit geben, sie zu verletzen. Wenn sie sich irgendwann wieder mit einer Frau einließ, dann nur mit einer, die mehr als bloß eine blasse Ahnung davon hatte, was Treue und Verbundenheit bedeuteten.

Ohne Jordans Lächeln zu erwidern, hob sie zu einem stummen Gruß die Hand und kletterte dann in den Umzugswagen. Die Liste dessen, was sie heute noch erledigen musste, war so lang wie die Chinesische Mauer und mit ihrer zugegebenermaßen gut aussehenden Nachbarin zu flirten, gehörte nicht dazu.

* * *

Wie immer ging es am Flughafen von L.A. zu wie im Zoo. Die automatischen Schiebetüren glitten vor Jordan auf und sie joggte hindurch. Leise fluchend umrundete sie müde Reisende, kreischende Kinder und plaudernde Touristengruppen, die ihr mit riesigen Koffern den Weg versperrten.

Sie reckte den Hals, bis sie einen Blick auf die Schilder erhaschte, die sie zur Gepäckausgabe für die Inlandsflüge wiesen. Als sie daran vorbeieilte, sah sie hinauf zu den großen Monitoren mit den Ankunftszeiten verschiedener Flüge.

Mist. Simones Flugzeug war vor einer Stunde gelandet.

Als sie endlich die Gepäckausgabe erreichte, war sie ins Schwitzen gekommen. Simone hasste es zu warten. Normalerweise kam Jordan nicht zu spät. In ihrer Familie galt es schon als Verspätung, fünfzehn Minuten zu früh dran zu sein, und es hatte Jahre gedauert, bis Jordan ein wenig entspannter mit Verspätungen umgehen konnte.

Im Laufschritt bog sie um die Ecke.

Da war sie. Simone stand neben dem mittlerweile leeren Gepäckband. Gott, sie sah gut aus … und ziemlich verärgert. Ihre schwarzen Korkenzieherlocken schwangen auf und ab, als sie ungeduldig mit dem Fuß wippte, und ihre dunklen Augen verengten sich.

Jordan zog den Kopf ein. »Entschuldige«, rief sie. Als sie Simone erreichte, begrüßte Jordan sie mit einer Umarmung und einem Kuss, der eine Sekunde länger dauerte, als unter Freundinnen üblich. »Ich bin aufgehalten worden.«

Simone musterte sie kritisch. »Oh ja. Ich kann mir gut vorstellen, was … oder vielmehr wer dich aufgehalten hat.« Trotz des Tadels war ihr Ton nicht scharf, sondern neckisch.

Das war das Gute daran, nur Freundinnen mit gewissen Vorzügen zu sein. Es gab keine Eifersuchtsdramen.

»Schön wär’s«, sagte Jordan. »Zur Abwechslung habe ich mich mal nicht wegen einer Frau verspätet.« Zugegeben, bei Colleen zu übernachten und dann mit der neuen Nachbarin zu flirten, hatte nicht zu ihrer Pünktlichkeit beigetragen, aber wenn Thunfisch nicht gewesen wäre, hätte sie direkt von Colleens Wohnung zum Flughafen fahren können. »Ich musste meine Katze füttern.«

Ein Grinsen breitete sich auf Simones Gesicht aus. Sie sah nach links und rechts, um sicherzugehen, dass sie allein waren. »Ist das eine Umschreibung für ›Muschi lecken‹?«

Jordan lachte. Himmel, sie hatte diese verrückte Frau vermisst. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du eine schmutzige Fantasie hast?«

»Ja, du, aber damals hast du dich nicht darüber beschwert.«

Stimmt. Sie hatten sich kennengelernt, kurz nachdem Simones langjähriger Freund mit ihr Schluss gemacht hatte. Jordan hatte es nichts ausgemacht, die Lückenbüßerin zu spielen. Sie hatte angenommen, dass sie nach ein paar heißen Nächten getrennter Wege gehen würden, aber stattdessen hatten sie sich angefreundet. »Ich werde mich auch heute Nacht nicht darüber beschweren, aber das einzig Schmutzige, wenn ich meine Katze füttere, ist der Küchenfußboden hinterher.«

Simones Laptoptasche begann, ihr von der Schulter zu rutschen, und sie fing sie rasch auf, bevor sie zu Boden fallen konnte. »Du hast wirklich eine Katze? Du? Die Frau, die immer gesagt hat, sich ein Haustier anzuschaffen, wäre der erste Schritt zur ehelichen Fußfessel?«

»Ich habe mir keine Katze angeschafft.« Jordan griff nach Simones Koffer und führte sie zum Ausgang. »Die Katze hat mich angeschafft. Eines Tages ist sie einfach bei mir aufgetaucht und wollte nicht mehr gehen, egal, wie oft ich sie weggescheucht habe. Irgendwann habe ich aufgegeben und sie reingelassen.«

»Ich habe es ja schon immer gesagt: Du bist ein alter Softie«, sagte Simone lächelnd. »Ehe du dich’s versiehst, wird sich eine Frau auf dieselbe Weise in dein Leben schleichen.«

»Ausgeschlossen«, antwortete Jordan mit Zuversicht. »Thunfisch ist das einzige weibliche Wesen, das je mit mir zusammenwohnen wird.«

Fast hätte Simone ein zweites Mal ihre Laptoptasche verloren, als sie lauthals loslachte. »Thunfisch? Du hast deine Katze Thunfisch genannt? Im Ernst?«

Jordan zuckte mit den Schultern. »Sie hat nicht reagiert, als ich andere Namen ausprobiert habe. Nur wenn ich Thunfisch gerufen und eine Büchse davon geöffnet habe, kam sie sofort angelaufen.«

Lachend folgte Simone ihr zum Auto. »Wie gut, dass du keine Kinder willst, sonst würdest du sie vermutlich Pizza, Burger und Kuchen nennen, nach deinen Leibspeisen.«

Sie nahm Simone die Laptoptasche ab. »Sei still und gib mir das Ding, bevor du es fallen lässt.«

* * *

»Und so kam es, dass der kleine Frosch ein neues Zuhause fand.« Emma schloss das Buch und sah auf ihre Tochter hinab. Hatte sie die Bedeutung der Geschichte begriffen?

Molly gähnte. Sie war den ganzen Tag mit der Babysitterin im Park herumgetobt und später in Socken über den Parkettboden im Wohnzimmer geschlittert. »Das war eine gute Geschichte, Mami.«

»Ja, das finde ich auch.« Sie hatte sie ausgesucht, um ihrer Tochter zu helfen, sich an das neue Haus und den neuen Tagesablauf zu gewöhnen.

»Am Anfang war er so traurig, aber jetzt mag der kleine Frosch das neue Haus, weil es an einem Bach liegt«, sagte Molly, so als müsste sie Emma die Geschichte erklären, obwohl sie ihr diese eben vorgelesen hatte.

Emma lächelte. Molly war einfach süß. »Und du? Magst du unser neues Zuhause auch?«

Molly nickte. »Ich mag den Baum.«

»Das dachte ich mir.« Emma lachte. Wenn sie es zugelassen hätte, wäre Molly sofort auf den Maulbeerbaum im Garten hinter dem Haus geklettert.

Sie wartete, aber Molly schwieg und Emma wollte sie nicht zwingen, darüber zu reden. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass die Fünfjährige noch nicht so ganz begriffen hatte, dass dies nicht nur ein Ferienaufenthalt war. Natürlich hatte sie ihrer Tochter erklärt, was der Umzug bedeutete, aber Molly hatte wohl nicht ganz verstanden, dass sie nie wieder zu dem einzigen Zuhause, das sie je gekannt hatte, zurückkehren würden.

Im Moment war sie glücklich und zufrieden, umgeben von all den Spielsachen, die Emma bereits ausgepackt hatte, während die Babysitterin auf Molly aufgepasst hatte.

Molly gähnte erneut und kuschelte die Wange an Maus, ihr Lieblingsplüschtier.

Emma zog die Bettdecke ein wenig höher und beugte sich über Molly, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben. »Gute Nacht. Schlaf schön.«

»Nacht, Mami.«

Sie knipste das Licht auf dem Nachttisch aus und ging leise zur Tür. Hinter sich hörte sie bereits, wie Mollys Atemzüge tiefer und langsamer wurden. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. Das Astronauten-Nachtlicht tauchte Mollys Gesicht in ein sanftes, gelbes Glühen.

Sie stand im Türrahmen und sah ihrer Tochter eine Weile beim Schlafen zu, bevor sie sich einen Ruck gab. Sie musste noch einige Kartons auspacken, damit Molly morgen in einem Haus voller vertrauter Gegenstände aufwachen würde.

Stunden später faltete sie den Umzugskarton zusammen, der ihre Fantasy-Romane beherbergt hatte, und sah auf die Uhr. Es war schon nach Mitternacht und sie hatte in den letzten zwei Nächten auf dem Weg nach Kalifornien wenig geschlafen. Ihr Kiefer knackte, als sie herzhaft gähnte.

Für heute war es genug. Die Kartons mit dem Büromaterial mussten bis morgen warten, genau wie die anderen Dinge, die für den winzigen Raum bestimmt waren, den sie zu ihrem Büro machen würde.

Vielleicht war es gut, dass sie alle Küchenutensilien in Portland zurückgelassen hatte und nur ein paar Möbel, ihre Kleidung und Bücher sowie Mollys Sachen mitgenommen hatte. Chloe hatte ihr die Eismaschine geben wollen, ebenso die Weingläser, die sie in Venedig gekauft hatten, und den Messerblock, den ihnen ihr Trauzeuge zur Hochzeit geschenkt hatte.

Doch Emma hatte nichts davon gewollt. Das alles hatte ihnen gemeinsam gehört, ihnen als Paar. Sie wollte nicht tagtäglich daran erinnert werden, sobald sie einen dieser Gegenstände benutzte.

Dies war ein Neuanfang und das schloss neue Küchengeräte mit ein. Morgen würde sie wohl einkaufen gehen müssen.

Sie schlenderte durch das noch unvertraute Haus, berührte hier und da eine Wand oder einen der geschwungenen Türbogen, als wollte sie ihren persönlichen Geruch darauf hinterlassen. Es war ein wunderschönes Haus, aber wie Molly konnte sie noch nicht so recht fassen, dass es nun ihr Zuhause war. Vielleicht hatte sie auch noch nicht so richtig begriffen, dass es kein Zurück in ihr altes Leben gab.

Seufzend blieb sie vor Mollys Zimmer stehen und spähte durch die Tür, die sie einen Spaltbreit offen gelassen hatte, damit sie hörte, wenn Molly aufwachte und nach ihr rief.

Selbst im Schlaf hielt Molly Maus umklammert, als wäre das Stofftier ein Rettungsring, der sie über Wasser hielt.

War es richtig gewesen, sie aus dem gewohnten Umfeld zu reißen, oder war es selbstsüchtig, in die Stadt zurückzukehren, in der Emma aufgewachsen war?

Die Zeit würde es zeigen.

Sie schlich sich ins Zimmer, stopfte behutsam die Decke um ihre Tochter herum fest und betrachtete Molly ein paar Sekunden lang, bevor sie leise hinausging.

Himmel, sie war erschöpft. Noch eine kurze Dusche, dann schlüpfte sie in das neue Bett, das heute Nachmittag geliefert worden war.

Ihr Gästezimmer in Portland war längst zum Büro umfunktioniert worden, deshalb hatte Emma ein Jahr lang auf der Couch geschlafen. Jetzt kam es ihr seltsam vor, wieder in einem richtigen Bett zu schlafen, auch wenn ihre schmerzenden Muskeln es definitiv zu schätzen wussten. Ihre Gedanken wanderten zurück zum letzten Mal, als sie in einem Bett geschlafen hatte. Damals war ihr Leben noch glücklich und normal gewesen. Oder vielleicht hatte sie das damals nur geglaubt.

Hatte Chloe sie in jener letzten Nacht in den Armen gehalten? Hatten sie miteinander geschlafen? Oder war es eine der seltenen Nächte gewesen, in denen Chloe zurück in die Klinik gerufen wurde und sie bei ihrer Rückkehr über Möchtegernschönheitsköniginnen geflucht hatte, die sich weigerten, einen Assistenzarzt auch nur in die Nähe ihres Gesichts zu lassen, sodass wegen ein paar Stichen ein Schönheitschirurg gerufen werden musste?

Inzwischen war sich Emma nicht mehr sicher, ob es diese Notfälle überhaupt wirklich gegeben hatte. Vielleicht waren es auch nur Vorwände gewesen, die Chloe erfunden hatte, um die Nacht mit ihrer Geliebten verbringen zu können. Alles, was Chloe je zu ihr gesagt hatte, stand jetzt unter Verdacht, eine Lüge zu sein.

Energisch schob sie diese Gedanken beiseite. Sie hatte im letzten Jahr lange genug wach gelegen und darüber nachgegrübelt, wann alles begonnen hatte, schiefzugehen, und warum es ihr nicht früher aufgefallen war. Das musste jetzt aufhören.

Nach ein paar Minuten gelang es ihr endlich, ihr Gehirn auszuschalten und einzuschlafen.

Als sie irgendwann später aus dem Schlaf gerissen wurde, war es draußen noch dunkel. Sie griff nach ihrem Handy auf dem Couchtisch, der als Nachttisch diente, nur um festzustellen, dass dort kein Handy lag. Auch der Couchtisch fehlte.

Dann fiel ihr wieder ein, dass sie nicht im Wohnzimmer in ihrem Haus in Portland war. Sie war in ihrem neuen Schlafzimmer. Ein paar Sekunden lang wusste sie nicht, was sie geweckt hatte. Sie war noch immer hundemüde. Warum zum Teufel schlief sie nicht tief und fest?

Hämmernde Geräusche drangen durch die Wand.

Bumm! Bumm! Bumm!

Einen Moment lang glaubte sie, es wäre Molly, die gegen die Wand klopfte, weil sie Angst hatte. Doch bevor sie aufspringen und zu ihr rennen konnte, fiel ihr wieder ein, dass Mollys Zimmer auf der anderen Seite des Badezimmers im vorderen Teil des Hauses lag.

Die Geräusche hingegen drangen durch die Wand, die sie mit Jordan, der neuen Nachbarin, teilte.

Bumm! Bumm! Bumm!

Himmel, was machte sie da drüben? Spielte sie mitten in der Nacht Basketball in ihrem Zimmer?

Bumm! Bumm!

Dann drang ein lauter, ekstatischer Schrei durch die Wand. »Ja! Genau so. Gott, ja, genau da!«

Emma ließ ihren Kopf zurück aufs Kissen fallen und stöhnte. Na, wenigstens irgendjemand hatte Sex, während sie im vergangenen Jahr wie eine Nonne gelebt hatte.

»Hör nicht auf!«

Es war nicht Jordans Stimme, sondern die einer anderen Frau.

Emma konnte nicht fassen, dass Jordan mit ihr geflirtet und sie auf einen Kaffee eingeladen hatte, obwohl sie eine Freundin hatte. Gab es denn keine treuen Menschen mehr auf der Welt?

Aber vielleicht war die lautstarke Frau auch gar nicht Jordans Freundin, sondern nur eine Fremde, die sie in einer Bar aufgegabelt hatte.

Warum dachte sie überhaupt darüber nach? Es ging sie nichts an, was die Nachbarin auf ihrer Seite des Hauses anstellte. Es sei denn, es hielt sie wach.

Das Stöhnen und Klopfen schien kein Ende zu finden. Scheinbar war ihre Nachbarin nicht nur eine Angeberin, die ihren Worten keine Taten folgen ließ. Emma musste kichern und presste sich dann die Hand auf den Mund. Seit wann kicherte sie? Sie war definitiv übernächtigt.

Aber bei dem Krach nebenan konnte sie nicht schlafen.

Vielleicht hätte sie die Einladung zum Kaffee doch annehmen sollen. Ihre Nachbarin hatte ein erstaunliches Durchhaltevermögen, das musste sie ihr lassen. Dann grinste sie müde und schüttelte den Kopf. Sex mit jemandem wie Jordan war es nicht wert, sich das Herz brechen zu lassen, selbst dann nicht, wenn es guter Sex war, bei dem man so laut schrie, dass die Nachbarn aufwachten.

Nach einer Weile wurde das rhythmische Klopfen des Bettes gegen die Wand schneller. »Ja, ja, ja! Gott, Jordan!«

Dann trat endlich Stille ein.

Gott sei Dank! Emma schlang ein Bein um die Decke, so wie sie im Sommer meistens schlief, und versuchte, wieder einzuschlafen. Gerade als ihre Gedanken begannen, ins Reich der Träume abzudriften, und ein Gefühl der Schwere sie überkam, begann das rhythmische Klopfen wieder.

Bumm! Bumm! Bumm!

Mit einem frustrierten Knurren zog sich Emma die Decke über den Kopf. Nach einer Weile begann sie zu schwitzen. Es lag nicht daran, dass nebenan jemand heißen Sex hatte, sagte sie sich, sondern nur daran, dass sie unter der Decke lag, wo es langsam warm wurde.

Waren die beiden endlich fertig?

Vorsichtig schob sie den Kopf unter der Decke hervor und lauschte in die Dunkelheit.

Bumm! Bumm! Bumm!

»Oh Gott. Das ist so gut.«

»Nein«, murmelte Emma. »Das ist gar nicht gut. Ich muss morgen früh raus, verdammt.« Warum konnte sie nicht wenigstens heterosexuelle Nachbarn haben? Wenn eine der beiden ein Mann gewesen wäre, hätte das nächtliche Liebesspiel längst ein Ende gefunden.

»Mehr! Härter! Gott, ja!«

Das gerahmte Poster, das sie gegen die Wand gelehnt hatte, fiel um. Sie hatte es noch nicht aufgehängt, weil sie so spät die Nachbarn nicht mehr mit dem Bohren stören wollte. Scheinbar hatte Jordan Williams keine solchen Bedenken, was nächtliche Ruhestörung betraf.

Knurrend stieg Emma aus dem Bett, schnappte sich ihr Kissen und ihre Decke und stapfte ins Wohnzimmer. Na toll. Jetzt musste sie schon wieder auf der Couch schlafen.

Wenigstens würde sie hier die beiden Duracell-Karnickel nebenan nicht mehr hören.

Mit einem Grunzen zog sie die Decke bis zum Kinn. Das war ja eine schöne Begrüßung im neuen Haus!

Kapitel 3

Jordan warf beim Fahren einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Es war schon halb sieben. Normalerweise machten ihr die langen Arbeitszeiten im Krankenhaus nichts aus, aber Simone war nur für ein paar Tage in der Gegend, deshalb hatte sie versprochen, heute Abend mit ihr Essen zu gehen.

Es war schön gewesen, ihre Freundin die letzten beiden Tage um sich zu haben. Nachdem sie einander fast ein Jahr nicht gesehen hatten, war ihr Wiedersehen im Schlafzimmer ziemlich enthusiastisch gewesen. Aber um ehrlich zu sein, freute sie sich bereits darauf, das Haus wieder für sich zu haben, ohne dass jemand ständig etwas herumliegen ließ oder sie ein schlechtes Gewissen haben musste, wenn sie später nach Hause kam, weil sie den Bauch eines Patienten öffnen musste, statt seine Gallenblase laparoskopisch zu entfernen.

Als sie in die Auffahrt einbog, stellte sie fest, dass der Zugang zur Garage, die sie sich mit den Nachbarn teilte, schon wieder blockiert wurde. Diesmal war es kein Möbelwagen, sondern ein Kind.

»Was zum Teufel …?« Noch nie hatte ein Kind vor ihrem Haus gespielt. Manchmal spielten die Nachbarskinder auf der Straße Fußball, aber wenn der Ball nicht gerade ihre Auffahrt hinaufrollte, hielten sie sich meist von ihrem Grundstück fern.

Jordan parkte das Auto im unteren Teil der Auffahrt und stieg aus.

Sie wohnte nun schon fast drei Jahre hier, doch dieses Kind hatte sie noch nie gesehen. Zumindest konnte sie sich nicht daran erinnern. Vielleicht war es irgendjemandes Enkelkind, das zu Besuch war. Sie konnte das Alter von Kindern nicht gut einschätzen, aber das Mädchen sah nicht älter aus als drei oder vier – zu jung, um allein auf der Straße zu spielen, vor allem abends, wenn sie sicher bald ins Bett musste.

Das Mädchen kniete vor der Garage und malte mit roter, blauer und weißer Kreide auf dem Teer der Auffahrt. Kreidepulver bedeckte ihre Latzhose und ihre geröteten Wangen.

Als Jordan um das Auto herumging, erhaschte sie einen Blick auf die Zeichnung. Es war irgendein Tier mit riesigen, dreieckigen Ohren, entweder der Stofflöwe, den das Kind in der freien Hand hielt, oder vielleicht sollte es auch Thunfisch darstellen, die neben dem Mädchen lag und mit dem Schwanz durch das Kreidegemälde strich, sodass ihr rot-schwarz-weißes Fell nun vierfarbig war.

»Ähm, hallo«, sagte Jordan aus mehreren Metern Entfernung, um das Kind nicht zu erschrecken.

Der Kopf des Mädchens schnellte in die Höhe, sodass ihre leicht schiefen Zöpfe flogen. Sie starrte Jordan mit großen Augen an, sagte aber nichts.

Zwar machte ihr zweimonatiges Praktikum in der pädiatrischen Abteilung sie nicht gerade zur Expertin, was Kinder anging, aber Jordan war ziemlich sicher, dass Kinder in dem Alter in ganzen Sätzen sprechen konnten.

»Hallo«, sagte sie erneut.

Das Mädchen starrte sie weiterhin an.

»Bist du nicht ein wenig zu jung, um ganz allein draußen zu spielen?«

»Ich bin nicht jung. Ich bin fünf!«, erklärte das Mädchen und rümpfte die Nase, als hätte Jordan sie beleidigt.

Jordan musste lächeln. Das Mädchen war also älter, als sie angenommen hatte. Vielleicht war sie einfach klein für ihr Alter oder Jordan musste ihr Wissen zum Thema Entwicklung im Kindesalter auffrischen. »Ich habe schon gedacht, du kannst gar nicht sprechen.«

»Na klar kann ich sprechen«, sagte das Mädchen. »Meine Mami sagt aber, dass ich nicht mit Fremden reden soll.«

Na, wenigstens war die Mutter nicht völlig unvernünftig, auch wenn sie ihr Kind allein draußen spielen ließ. Aber vielleicht war auch das für eine Fünfjährige okay. Jordan hatte keine Ahnung von Kindererziehung.

»Das ist eine richtig gute Regel«, sagte sie, weil sie nicht wusste, was sie sonst zu dem Kind sagen sollte. »Meine Mutter hat mir das auch beigebracht.« Das stimmte nicht. Die Armeestützpunkte, auf denen sie aufgewachsen war, waren eine sichere Umgebung für sie und ihre Schwestern gewesen.

Das Mädchen malte das rechte Ohr des Tiers aus und spähte zu Jordan hinauf. »Ich heiße Molly und das ist Maus.« Sie hielt ihren Plüschlöwen in die Höhe.

»Maus?«, wiederholte Jordan.

Molly nickte, als wäre es vollkommen logisch, einen Löwen Maus zu nennen. Na ja, Jordan hatte ihre Katze Thunfisch genannt, da konnte sie sich wohl kaum beschweren.

»Wie heißt du?«, fragte das Mädchen.

»Ich bin Jordan und das ist Thunfisch.« Sie deutete auf die Katze.

»Jordan?«, wiederholte Molly. »Aber das ist doch ein Jungenname! Der Jordan in meiner Kindergartenklasse ist ein Junge.«

War ja klar. Das Mädchen hielt Thunfisch für einen passenden Namen für eine Katze und schoss sich stattdessen auf ihren Namen ein. Jordan kratzte sich am Kopf, unsicher, was sie sagen sollte.

Doch zum Glück ging Molly zum nächsten Thema über, noch bevor ihr eine Antwort einfiel. »Ist Thunfisch deine Katze?«

»Ich schätze, das ist sie. Zumindest hat sie mich zur Person auserkoren, die ihr Katzenfutter bezahlen muss.«

Das Mädchen kicherte. »Ist sie ein Mädchen oder ein Junge?«

»Sie ist ein Mädchen«, antwortete Jordan.

»Schläft sie nachts bei dir im Bett?«

Mann, das Kind stellte aber viele Fragen! Jordan kam sich vor wie in einem Polizeiverhör. »Manchmal.« Aber nicht während der letzten beiden Nächte. Seit Simones Ankunft suchte sich Thunfisch ein ruhigeres Plätzchen zum Schlafen. Jordan verkniff sich ein Grinsen.

Das Mädchen sah zu, wie Thunfisch sich über die Zeichnung rollte. Kreide bedeckte nun ihr gesamtes Fell. »Böse Katze! Hör auf damit!«

»Ja, hör auf, das Kunstwerk zu zerstören, Thunfisch.«

Thunfisch stellte das Herumrollen ein, aber gerade als Jordan dachte, dass sie endlich ihre Dominanz über ihre pelzige Mitbewohnerin bewiesen hatte, leckte die Katze sich am Schwanz.

Jordan blinzelte. War das ein Leck-mich-am-Arsch?

»Vielleicht kauft mir Mami auch eine Katze«, sagte das Kind.

Du kannst meine haben, lag Jordan auf der Zunge, aber sie hatte so das Gefühl, dass das Mädchen ihr Angebot annehmen und sie dann zwei verärgerte Elternteile am Hals haben würde.

»Wo ist denn deine Mami?«, fragte Jordan. »Wo wohnst du?«

Molly nannte stolz eine Adresse in Portland, obwohl ihre Mutter ihr sicher gesagt hatte, sie solle Fremden nicht verraten, wo sie wohnte.

Moment mal … Portland? Kam da nicht ihre neue Nachbarin her?

»Eigentlich«, sagte eine Stimme rechts von Jordan, »ist das unsere alte Adresse. Wir wohnen jetzt hier, schon vergessen, Molly?«

Jordan sah auf.

Die Tür zur rechten Seite des Hauses stand offen und Emma lehnte im Türrahmen. Eine Spur von Schweiß glänzte auf ihrer Stirn, so als hätte sie entweder Umzugskartons oder Möbel herumgeschleppt oder Fitnessübungen gemacht. Statt der sexy Jeans, die sie vorgestern angehabt hatte, trug sie nun eine graue Jogginghose, die an den Knien ausgebeult war. Selbst das alte, abgetragene Ding konnte ihre eindrucksvollen Kurven nicht verbergen.

Jordan starrte sie an. Mist. Es geschah nur selten, aber scheinbar hatten ihre Instinkte sie diesmal in die Irre geführt. Ihre süße Nachbarin war hetero. Nicht, dass Jordan das je gestört hätte. Ihrer Erfahrung nach waren die meisten Frauen hetero … bis sich das irgendwann änderte. Aber Emma hatte ein Kind und vermutlich einen Ehemann und wenn es eine Regel gab, an die sich Jordan immer hielt, dann die, niemals etwas mit einer Frau anzufangen, die in einer Beziehung war.

Zumindest erklärte das, warum Emma ihre Einladung zum Kaffeetrinken ausgeschlagen hatte. Vielleicht hatte sie ihren Charme doch nicht verloren.

»Tut mir leid«, sagte Emma, auf ihre Tochter und ihre Kreidezeichnung deutend. »Offenbar blockieren wir schon wieder deine Garage.«

»Ist schon okay. Wir müssen alle Opfer für die Kunst erbringen, stimmt’s?« Jordan konnte das Zwinkern und ihr automatisches Grinsen nicht zurückhalten. Mit Frauen zu flirten, war praktisch Teil ihrer DNA und es fiel ihr schwer, jetzt damit aufzuhören.

Na ja, eine gute Beziehung zu seinen Nachbarn zu haben, war wichtig, selbst wenn diese Beziehung leider vor der Schlafzimmertür enden würde.

Emma lachte. »Tja, die große Künstlerin muss jetzt ins Bett. Komm, Molly. Zeit fürs Baden und dann ab ins Bett mit dir.« Sie hielt dem Mädchen die Hand hin, ohne auf die rote Kreide auf den kleinen Fingern zu achten.

»Aber ich hab die Katze noch nicht fertig, Mami. Schau, der Schwanz fehlt.« Molly zeigte auf ihre Kreidezeichnung.

»Wie wäre es, wenn wir das morgen zusammen machen, nach dem Kindergarten und wenn ich mit meinen Klienten durch bin?«

»Juhu!« Molly sprang auf und hüpfte auf ihre Mutter zu. »Kannst du mir dann auch eine Giraffe malen? Und einen Bernhardiner!«

Das Mädchen plapperte vor sich hin, bis sie die Tür erreichte. Einen Moment lang tauschte Jordan amüsierte Blicke mit Emma, dann winkten Mutter und Tochter und die Tür schloss sich hinter ihnen.

Erst als sich ihre eigene Haustür öffnete, fiel Jordan wieder ein, dass jemand auf sie wartete.

»Was machst du denn hier draußen?«, fragte Simone.

Jordan sah von Emmas Tür zur Kreidezeichnung und dann zu Simone, die schick angezogen und bereit zum Ausgehen war. »Äh, nichts. Lass mich kurz duschen und dann können wir los.«

Als sie zu ihrer Haushälfte hinüberging, sprang Thunfisch auf und rannte voraus.

»Nein! Lass sie nicht ins H…«

Zu spät. Thunfisch schlüpfte an Simone vorbei und verschwand im Haus, wo sie vermutlich schnurstracks auf die Couch sprang, um Kreide darauf zu verteilen.

Jordan seufzte. Sie hatte eindeutig recht gehabt. Ein Haustier war der erste Schritt zur ehelichen Fußfessel. Aber zumindest musste sie keine lebhafte Fünfjährige ins Bett bringen. Das einzige weibliche Wesen, das sie heute ins Bett bringen würde, kam sicher ganz willig mit.

Grinsend ging sie auf Simone zu, um ihr einen Begrüßungskuss zu geben.

* * *

Der nächste Morgen, Mollys erster Tag im neuen Kindergarten, begann nicht sehr vielversprechend.

Molly saß am Frühstückstisch und umklammerte ihren Löffel, ohne ihre Cornflakes auch nur anzurühren.

»Hey, Träumerin. Vergiss nicht zu essen, sonst hast du nachher nicht die Energie, mit den anderen Kindern mitzuhalten.«

Der Löffel fiel klappernd auf den Tisch. »Ich will nicht in den blöden Kindergarten.«

Oh, oh. Emma stellte ihre Kaffeetasse ab. »Aber Schatz, du gehst doch gern in den Kindergarten.«

Mollys Unterlippe zitterte. »Tu ich nicht. Dieser Kindergarten ist blöd. Ich will wieder nach Hause.«

Emmas Herz schmerzte. Bisher schien Molly sich im neuen Haus wohlzufühlen und hatte es genossen, ein paar Tage mit Emma zu Hause bleiben zu dürfen, aber jetzt, da sie versuchte, die neue Routine einzuführen, hörte es auf, ein aufregender Urlaub zu sein.

»Das hier ist jetzt unser Zuhause, Molly«, sagte sie sanft. »Warum gehst du heute nicht einfach hin und gibst dem neuen Kindergarten eine Chance? Vielleicht magst du ihn ja.«

»Nein!« Molly gab dem Tisch einen Tritt, der ihr Milchglas umstieß.

»Molly!« Jahrelanges Training hatte Emmas Reflexe geschärft. Sie versuchte, das Glas aufzufangen, aber es war zu spät.

Die weiße Flüssigkeit ergoss sich über den Tisch und Emmas Schoß. Sie unterdrückte ihr Fluchen und sprang auf. Die nasse Hose klebte an ihren Schenkeln, aber das musste warten. Milch tropfte auf den Boden, als sie um den Tisch herumging, Molly von ihrem Stuhl zog und sich vor ihr hinkniete, sodass sie auf derselben Augenhöhe waren.

»Hör mal, Molly. Ich weiß, du vermisst dein altes Zimmer und du vermisst Kenny und Sarah.«

Molly starrte auf die Milchtropfen auf dem Boden, ohne Emma in die Augen zu sehen. »Und Mama«, flüsterte sie.

Emma schluckte. Ihre Augen brannten, obwohl sie gedacht hatte, keine Tränen mehr zu haben. Sie schlang die Arme um ihre Tochter und hielt sie ganz fest, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Zwar hatte Chloe nicht allzu viel Zeit mit Molly verbracht, selbst als sie noch alle im selben Haus gewohnt hatten, aber trotzdem fühlte sie sich jetzt schuldig.

Molly kuschelte sich an sie und erwiderte die Umarmung. Nach einer Weile ließ sie los und runzelte die Stirn. »Du bist ganz nass, Mami.«

»Ja, weil irgendwer ihr Milchglas umgestoßen hat.« Sie gab Molly einen Nasenstüber, der sie zum Kichern brachte. Die Tränen versiegten.

Es wäre leicht gewesen, sie jetzt abzulenken und das Thema zu wechseln, aber Emma wusste, dass sie es früher oder später ansprechen musste. Noch immer auf den Knien, sah sie Molly in die Augen. »Ich weiß, du vermisst sie, Schatz. Ich bin sicher, Mama vermisst dich auch.« Sie glaubte das nicht wirklich, aber was sonst sollte sie ihrer fünfjährigen Tochter sagen?

»Warum kann sie dann nicht kommen und auch hier wohnen?«

»Erinnerst du dich noch daran, wie es war, als du und Jessica nicht mehr befreundet wart?«

Molly nickte.

»Manchmal ist es bei Erwachsenen genauso. Dann gehen sie getrennte Wege und wohnen nicht mehr zusammen. Das ist bei mir und Mama auch so.«

Molly zog die Nase hoch und runzelte die Stirn auf eine Weise, die anzeigte, dass sie angestrengt nachdachte. »Wirst du andere Freunde finden, so wie Kenny und Sarah?«

»Eines Tages ganz sicher, Schatz.« Aber das würde dann nicht die Art Freundin sein, die bei ihnen einzog und ihre Tochter zum Weinen brachte, wenn sie beide verließ. »Und ich wette, du findest im neuen Kindergarten auch ganz viele Freunde. Willst du wissen, warum ich mir so sicher bin?«

Molly schaukelte hin und her, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Weil ich klug bin?«

Emma lachte, als Molly das wiederholte, was sie ihr in ähnlichen Gesprächen gesagt hatte. »Das auch. Und weil wir auf dem Weg zum Kindergarten bei der Bäckerei vorbeifahren und Cupcakes für alle kaufen werden.«

Ein breites Lächeln machte sich auf Mollys Gesicht breit. »Cupcakes! Kann ich sie aussuchen?«

»Ja, du darfst … wenn du mir hilfst, die Milch aufzuwischen. Immerhin hast du die Sauerei gemacht.«

Gemeinsam wischten sie den Tisch und den Boden ab, wobei Molly das Chaos eher verschlimmerte, statt wirklich eine Hilfe zu sein.

Als sie fertig waren, mussten sie los. Es blieb keine Zeit, sich umzuziehen.

Emma nahm den Autoschlüssel und Mollys Rucksack und sie machten sich auf den Weg.

Als sie das Haus verließen, ging die Tür auf der anderen Seite des Hauses auf und Jordan trat heraus, gefolgt von einer attraktiven, dunkelhäutigen Frau in Emmas Alter, die eine Laptoptasche über der Schulter trug.

Emma hatte Jordans Freundin noch nicht gesehen, aber gehört hatte sie reichlich von ihr in den letzten drei Nächten. Sie musste zugeben, dass die beiden ein gut aussehendes Paar abgaben. Wusste die Ärmste, dass ihre Partnerin anderen Frauen schöne Augen machte?

»Guten Morgen«, sagte Jordan. Ihre Freundin grüßte ebenfalls.

Ja, das war eindeutig die Stimme der lautstarken Frau, die sie nun schon mehrere Nächte wachgehalten hatte. Emma hoffte, dass sie nicht rot wurde, als sie grüßte und Molly schnell zur Garage zog.

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Jordan ihre Freundin zu dem Auto begleitete, das am Straßenrand parkte. Das Logo einer Mietwagenfirma zierte die Fahrertür. Scheinbar führten die beiden eine Fernbeziehung. Dann presste Jordan ihre Freundin gegen das Auto und küsste sie.

Himmel! Dieser Frau war auch wirklich gar nichts peinlich. Schlimm genug, dass sie Emma mit ihrem endlosen Gerammel wachhielt, jetzt musste sie ihre Freundin auch noch vor Molly abknutschen!

Nicht, dass Molly überhaupt hinsah. Sie war so sehr an zwei Frauen gewöhnt, die sich küssten, dass sie die beiden keines Blickes würdigte.

Reg dich ab. Ja, ihre neue Nachbarin war vermutlich ein Schwein, das mit anderen Frauen flirtete, obwohl sie in einer Beziehung war, aber das ging sie nichts an.

Sie versuchte, die beiden zu ignorieren, während sie das Tor der Doppelgarage öffnete und den Knopf drückte, der die Türen ihres Toyota Prius öffnete. Kein Piepton erklang und als sie an der Fahrertür zog, öffnete diese sich nicht. Stirnrunzelnd trat sie zurück und versuchte es noch einmal.

Nichts geschah.

Sie presste wiederholt den Knopf. Normalerweise leuchtete ein rotes Licht, aber jetzt blieb der Schlüssel dunkel. Na toll. Ausgerechnet heute war wohl die Batterie im Schlüssel leer. Hatte sie beim Auspacken Ersatzbatterien gesehen?

Sie konnte sich nicht daran erinnern.

»Mami?« Molly spähte um sie herum zum Wagen. Sie klang besorgt.

»Alles okay. Wir fahren gleich los.« Gott sei Dank hatten die Hersteller des Autos mitgedacht. Sie klappte den mechanischen Schlüssel aus und schob ihn ins Türschloss auf der Fahrerseite.

Aber das Glück war heute nicht auf ihrer Seite. Als sie den Schlüssel drehte, rührte er sich nicht. Sie zog ihn aus dem Schloss und versuchte es noch einmal, wieder mit demselben Ergebnis.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte jemand von der anderen Seite der Garage.

Emma sah auf. Über das Dach des Toyotas und dem von Jordans Sportwagen hinweg trafen sich ihre Blicke. »Nein«, sagte sie rasch und versuchte, sich ihre Frustration nicht anmerken zu lassen, als sie den Schlüssel im Schloss bewegte.

»Wir gehen Cupcakes kaufen!«, rief Molly.

»Oh, Cupcakes! Das ist toll.«

Jordans weiße Zähne leuchteten vor dem Hintergrund ihrer makellosen, dunklen Haut. Keine einzige Falte war zu sehen, obwohl Emma sie auf ein paar Jahre älter als ihre eigenen zweiunddreißig schätzte. An Tagen wie diesem fand Emma das irgendwie ärgerlich.

»Wenn ich die verdam… die blöde Tür aufbekomme«, murmelte sie.

Statt in ihr Auto zu steigen und davonzufahren, kam Jordan zu ihrer Seite der Garage. Ihr Blick glitt über Emmas Körper und es dauerte einen Moment, bis Emma begriff, dass sie ihre milchdurchtränkte Hose anstarrte, die an ihren Schenkeln klebte.

Himmel, die Frau war unmöglich. Ihre Freundin war erst vor einer Minute gegangen und schon begaffte sie eine andere Frau.

»Stimmt was nicht mit dem Auto?«, fragte Jordan.

Emma zog den Schlüssel aus dem Schloss und ließ die Hand herunterbaumeln. »Die Tür geht nicht auf.« Sie drückte den Knopf, um es vorzuführen, und erwartete fast, dass die Tür aufging und sie total blamierte, aber nichts dergleichen geschah.

»Hmm.« Jordan trat neben sie und sie beugten sich beide gleichzeitig vor, um ins Schloss zu spähen. Ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Als Jordan den Kopf drehte, um sie anzusehen, streifte ihr warmer Atem Emmas Lippen.

Emmas verräterischer Herzschlag setzte einen Moment lang aus. Schnell trat sie zurück, weg von Jordan.

»Ich vermute, den mechanischen Schlüssel hast du schon probiert?«, fragte Jordan. Ihr Blick war nicht mehr auf das Schloss gerichtet, sondern auf Emmas Lippen.

»Klar. Das hat auch nicht funktioniert.«

Chloe hätte ihr den Schlüssel jetzt abgenommen und es selbst versucht, sodass sich Emma vorkam, als könnte sie nicht einmal einen Schlüssel ins Schloss schieben. Aber Jordan griff nicht nach dem Schlüssel. Stattdessen fragte sie: »Wie lange hast du das Auto schon?«

»Seit fünf Jahren«, sagte Emma. »Wir haben es gekauft, als Molly geboren wurde.« Wir. Sie schloss kurz die Augen.

Jordan fragte nicht, wer mit dem Wir gemeint war. »Hast du den mechanischen Schlüssel früher schon mal benutzt?«

»Nein.«

»Bin gleich wieder da.« Jordan ging zu ihrer Seite der Garage. Als sie zurückkam, drückte sie Emma etwas in die Hand. »Hier. Versuch’s mal damit.«

Emma starrte auf die blau-weiße Spraydose hinab. »Was ist das?«

Ein schelmisches Grinsen schlich sich auf Jordans Gesicht. »Gleitmittel. Das kann Wunder bewirken bei Öffnungen, die eine Weile nicht mehr benutzt wurden.«

War alles, was diese Frau sagte, so doppeldeutig? »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du damit je Probleme hast«, murmelte sie fast unhörbar.

Jordan neigte den Kopf. »Entschuldige, was hast du gesagt? Ich habe es nicht verstanden.«

»Nichts.«

»Mami, was meint sie mit Öffnung?«, fragte Molly. »Und was ist Glei…Gleismittel?«

Sie sahen einander an wie zwei Kinder, die beim Klauen von Keksen erwischt worden waren, und mussten dann beide lachen. So sehr sie es auch wollte, Emma konnte nicht an ihrem Groll festhalten. »Schau, was du angerichtet hast«, flüsterte sie Jordan zu. An Molly gewandt sagte sie: »Sie meint das Spray, Schatz. Ms. Williams hat mir ein Gleitspray gegeben, das man in das Türschloss sprühen kann.«

»Jordan, bitte«, sagte Jordan. »Sonst fühle ich mich wie eine Kindergärtnerin und ich glaube, ich habe gerade zur Genüge bewiesen, dass das kein Job für mich wäre.«

Emma unterdrückte ein Lächeln, weil sie nicht zugeben wollte, dass sie Jordan manchmal ganz amüsant fand. Sie nickte und wandte sich wieder der Autotür zu. So langsam mussten sie wirklich los. Sie zog die Kappe von der Spraydose und sprühte etwas von dem Türschlossspray in das Schloss.

»Sprüh auch ein bisschen direkt auf den Schlüssel«, sagte Jordan. »Wenn du ihn noch nie benutzt hast, kann es sein, dass sich ein wenig Schmutz im Schloss angesammelt hat.«

Emma tat wie geheißen. Sie schob den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn langsam. Mit einem Klacken sprang das Schloss auf und sie konnte die Fahrertür öffnen. »Na also!« Ihre Knie wurden weich vor Erleichterung. In ihrer Vorstellung hatte sie bereits gesehen, wie sie das Auto abschleppen lassen und Stunden in der Werkstatt verbringen musste. Dafür hatte sie heute wirklich keine Zeit.

Molly sprang auf und ab und führte einen Siegestanz auf.

Mit einem dankbaren Lächeln gab Emma die Spraydose zurück. »Danke. Das war Rettung in der Not.«

Jordan erwiderte das Lächeln und tippte sich an eine imaginäre Hutkrempe. »Gern geschehen.«

Möglicherweise war sie eine Frauenheldin und nahm es mit der Treue nicht so genau, aber sie hatte die wärmsten braunen Augen, die Emma je gesehen hatte. Sie spürte Jordans Blick auf sich ruhen, als sie die hintere Tür für Molly öffnete und sie im Kindersitz festschnallte, bevor sie sich hinters Steuer setzte.

Als sie aus der Garage ausparkte, stand Jordan noch immer neben ihrem Cabrio, die Spraydose in der Hand, während sie ihnen mit der freien Hand zuwinkte.

* * *

Als Emma am selben Abend die Mülltonne an die Straße schob, stieg Jordans Freundin aus ihrem Mietwagen. Mit ihrer Laptoptasche über der Schulter ging sie die Auffahrt hinauf. Ein freundliches Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie Emma sah. »Hallo.«

»Hallo.« Emma war zu verlegen, um ein längeres Gespräch anzufangen, also ging sie zur Tür zurück.

Gerade als sie ins Haus treten wollte, ließ ein Fluchen sie stehen bleiben.

»Mist«, murmelte Jordans Freundin. »Wenn mein Kopf nicht angewachsen wäre, würde ich den vermutlich auch noch vergessen.«

Emma drehte sich um. »Stimmt etwas nicht?«

»Jordan hat mir einen Schlüssel gegeben, aber ich habe vergessen, ihn mitzunehmen, als ich heute Morgen zur Arbeit gegangen bin.« Sie stellte die Laptoptasche ab. »Schätze, ich werde hier sitzen und die Aussicht auf diese hübsche Straße genießen, bis sie nach Hause kommt.«

Emma zögerte, gab sich dann aber einen Ruck. Ihre Verlegenheit war kein Grund, die arme Frau auf der Türschwelle sitzen zu lassen, nur, weil sie gehört hatte, wie sie Sex hatte. »Warum kommen Sie nicht rein und trinken einen Kaffee mit mir, während Sie warten?«

»Im Ernst? Das wäre großartig. Danke.«

Als sie die Frau in die Küche führte, kam Molly aus ihrem Zimmer gerannt. »Mami, kann ich …?« Sie blieb stehen, als sie die Fremde sah.

»Das ist meine Tochter Molly.«

»Hallo, Molly. Wir haben uns heute Morgen kurz gesehen, hatten aber keine Zeit zum Reden.«

»Du hast Jordan geküsst«, sagte Molly.

Also hatte sie die beiden doch gesehen. Emma biss sich auf die Lippe, um nicht loszulachen, als Jordans Freundin Molly mit großen Augen ansah.

Aber sie erholte sich schnell von ihrer Überraschung und lächelte. »Ja, das habe ich. Jordan sagt, du wärst die berühmte Künstlerin, von der die wunderschönen Zeichnungen in der Auffahrt stammen.«

Molly strahlte stolz. »Ich habe sie alle ganz allein gemacht.«

»Alle? Wow.«

Jordans Freundin war wirklich hübsch, besonders wenn sie lächelte, was häufig geschah. Ob sie wohl noch so freundlich gewesen wäre, wenn Emma ihr verraten hätte, dass ihre Freundin sie zum Kaffeetrinken eingeladen hatte?

»Molly, das ist …« Emma warf der Frau einen fragenden Blick zu.

»Simone«, sagte sie, »die scheinbar nicht nur ihren Schlüssel, sondern auch ihre Manieren vergessen hat.«

Emma lächelte. In Mollys Richtung fügte sie hinzu: »Sie ist Jordans Lebensgefährtin und wird bei uns bleiben, bis Jordan von der Arbeit nach Hause kommt.«

Simone räusperte sich. »Ähm, Jordan und ich sind eigentlich nur Freundinnen.«

Nur Freundinnen? Emma starrte sie an. Entschuldige, aber das letzte Mal, als ich um drei Uhr morgens ein Dutzend Mal »oh Gott« geschrien habe, war ich nicht mit einer Freundin zusammen!

»Es ist kompliziert«, sagte Simone mit einem sanften Lächeln. »Aber wir sind wirklich nur befreundet.«

»Kann ich einen Cupcake haben, Mami?«, fragte Molly, offenbar gelangweilt von der Unterhaltung der Erwachsenen.

»Jetzt? Wir haben doch eben zu Abend gegessen.«

»Aber ich habe Hunger.«

»Soll ich dir die übrig gebliebenen Erbsen und Karotten aufwärmen?«, fragte Emma, obwohl sie die Antwort bereits kannte.

Molly rümpfte die Nase. »Nein. Ich habe Hunger auf Cupcakes.«

Emma seufzte und beschloss, eine einmalige Ausnahme zu machen. Immerhin war heute Mollys erster Tag im neuen Kindergarten gewesen. »Na gut. Aber nur einen.«

Sekunden später rannte Molly mit einem Cupcake mit rosarotem Zuckerguss in ihr Zimmer zurück.

»Möchten Sie auch einen?« Wenn sie richtig gerechnet hatte, waren noch zwei Cupcakes übrig.

»Ich sollte eigentlich höflich nein, danke sagen, aber das Leben ist zu kurz, um sich ständig die kleinen Freuden zu verwehren, also sage ich ja, bitte.« Simone lächelte verschmitzt.

Emma drückte den Schalter des neuen Kaffeevollautomaten, den sie gestern gekauft hatte, und legte die Cupcakes auf zwei Teller. Sie setzten sich auf die Couch im Wohnzimmer. Eine Weile schwiegen sie, während sie ihre Cupcakes aßen.

Simone zog ihr Handy aus der Tasche ihres Blazers. »Ich lasse Jordan besser wissen, wo ich bin, falls das okay ist.«

»Na klar.«

Mit ein paar schnellen Fingerbewegungen schickte Simone die SMS ab und steckte das Handy wieder weg. »Wie ich höre, sind Sie eben erst eingezogen.«

Jordan hatte Simone von ihr erzählt? Hatte sie erwähnt, dass sie Emma schon beim ersten Kennenlernen angebaggert hatte? Vermutlich nicht.

Emma leckte sich ein paar Krümel vom Mundwinkel und nickte. »Am Montag.«

»Und? Gefällt es Ihnen bisher?«

»Sehr. Es ist ruhig, aber es gibt auch Geschäfte und Restaurants ganz in der Nähe und die Schulen sind großartig. Ich bin hier aufgewachsen, deshalb dachte ich mir, es wäre ein guter Ort, um hier mit Molly zu leben. Und Sie? Sie leben nicht hier, oder?« Sie deutete zur anderen Hälfte des Hauses hinüber.

»Oh Gott, nein.« Simone lachte. »Ich bleibe gern ein paar Tage bei Jordan, aber würden wir länger zusammenleben, würden wir einander vermutlich umbringen. Ich bin kein Messie, aber …«

»Aber das Leben ist zu kurz, um es mit Aufräumen zu verbringen?«, beendete Emma für sie den Satz.