Im Scheinwerferlicht - Jae - E-Book

Im Scheinwerferlicht E-Book

Jae

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Beschreibung

Glanz, Glamour und verbotene Gefühle: Eine turbulente Hollywood-Romanze. Endlich hat Grace Durand den Durchbruch in Hollywood geschafft. Als aber kompromittierende Fotos auftauchen, die sie in einer innigen Umarmung mit einer anderen Frau zeigen, fürchtet sie um ihre Karriere. Verzweifelt sucht sie nach einem Publizisten, der ihr Hetero-Image retten kann, und engagiert PR-Agentin Lauren Pearce, nicht ahnend, dass diese lesbisch ist. Lauren kümmert sich seit Jahren um Prominente mit PR-Problemen. Grace' Fall sollte also reine Routine sein, doch je länger sie mit dem Star an der Imagekampagne feilt, desto sympathischer wird ihr die echte Grace. Um ihrer beider Karrieren zu schützen, muss Lauren ihre Gefühle ignorieren, aber als sie gemeinsam im Scheinwerferlicht stehen und ein Spießrutenlauf durch die Meute der Paparazzi beginnt, wächst die Anziehung zwischen den beiden unaufhaltsam.

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Seitenzahl: 706

Veröffentlichungsjahr: 2016

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VON JAE AUSSERDEM LIEFERBAR

Vorsicht, Sternschnuppe

Die Hollywood-Serie:

Liebe à la Hollywood

Im Scheinwerferlicht

Die Portland-Serie:

Auf schmalem Grat

Rosen für die Staatsanwältin

Umzugsfieber

Die Mondstein-Serie:

Cabernet & Liebe

Verführung für Anfängerinnen

Die Serie mit Biss:

Zum Anbeißen

Coitus Interruptus Dentalis

Die Gestaltwandler-Serie:

Vollmond über Manhattan

 

Inhaltsverzeichnis

VON JAE AUSSERDEM LIEFERBAR

DANKSAGUNG

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

KAPITEL 35

 

ÜBER JAE

 

EBENFALLS IM YLVA VERLAG ERSCHIENEN

Liebe à la Hollywood

Liebe im Trinkgeld inbegriffen

Alles nur Kulisse

Neustart Berlin – Einfach kompliziert

DEMNÄCHST IM YLVA VERLAG

Berührt von ihr

Heart’s Surrender - ein erotischer Liebesroman

 

DANKSAGUNG

Wie immer möchte ich meinen Betaleserinnen, Alison Grey und Susanne, danken. Ein herzliches Dankeschön geht auch an meine Lektorin, Denise Schneider.

 

 

KAPITEL 1

Als hektische Schritte durchs Foyer hallten und Grace’ Mutter ohne anzuklopfen ins Wohnzimmer stürmte, bereute Grace, ihr den Zugangscode ihrer Villa in den Hollywood Hills gegeben zu haben. Die Angewohnheit ihrer Mutter, einfach unangemeldet vorbeizukommen, musste wirklich aufhören.

Mit den dramatischen Gesten einer ehemaligen Schauspielerin warf ihre Mutter eine Zeitschrift auf den Couchtisch und deutete mit einem manikürten Finger darauf. »Was ist das?«

Seufzend legte Grace das Drehbuch beiseite, das sie gelesen hatte, und setzte sich auf.

Die Zeitschrift auf dem Tisch war Tinseltown Talk, eines der schlimmsten Klatschblätter der Stadt. »Lass mich raten. Entweder ist es ein Foto von mir, wie ich ohne Make-up einkaufen gehe. Oder ich bin heimlich schwanger mit Zwillingen, hatte einen Nervenzusammenbruch, weil ich ein Kilo zugenommen habe, oder aber ich habe eine wilde Affäre mit Neil Patrick Harris.«

»Neil Patrick Harris ist homosexuell.« Leiser fügte ihre Mutter hinzu: »Und du anscheinend auch.«

»Ähm, wie bitte?«

Ihre Mutter sank in einen Sessel und schob das Klatschblatt über den Tisch.

Grace nahm es und drehte es um, damit sie nachlesen konnte, wovon ihre Mutter sprach.

Die größte Schlagzeile auf dem Cover besagte in tiefroten, fünf Zentimeter großen Buchstaben: Enthüllt! Grace Durand betrügt Nick! Geheime LESBISCHE Affäre! Darunter stand in kleineren Buchstaben: Das schockierende Foto von Grace und ihrer lesbischen Geliebten nur in dieser Ausgabe der Tinseltown Talk.

Grace schnaubte. Das Foto war vermutlich so künstlich wie die Brüste vieler ihrer Kolleginnen.

»Ich hatte dich gewarnt, dass so etwas passieren würde«, sagte ihre Mutter.

»Mama, das ist Unsinn. Ich habe keine geheime lesbische Affäre.«

»Das weiß ich. Aber wenn sie schon jetzt derart lächerliche Dinge schreiben, dann will ich mir gar nicht vorstellen, welche Schlagzeilen sie drucken werden, wenn sie herausfinden, was wirklich zwischen dir und Nick vorgeht.«

Grace konnte sich das nur zu gut vorstellen. Das war auch der Grund, warum sie außer ihrer Mutter und ihrem Anwalt noch niemandem davon erzählt hatte. Sie sagte nichts.

Das Schweigen im Wohnzimmer war geradezu ohrenbetäubend.

Ihre Mutter beugte sich vor. Ihr Blick huschte zwischen Grace und der offenen Terrassentür hin und her. »Du bist nicht … du weißt schon?«, fragte sie im Flüsterton.

»Lesbisch?«, fragte Grace.

»Psst! Du willst doch nicht, dass die Nachbarn dich hören.« Ihre Mutter sah erneut zur Terrassentür, obwohl Grace’ Haus auf einem Felsvorsprung hoch über der Stadt lag, ohne direkte Nachbarn. »Nein, ich meine … du bist nicht rückfällig geworden, oder?«

Grace biss die Zähne zusammen. Sie hatte keinen Drink mehr angerührt, seit sie siebzehn Jahre alt gewesen war. Seitdem hatte sie sich angestrengt, den Erwartungen ihrer Mutter gerecht zu werden und ihre Jugendsünden wiedergutzumachen, aber scheinbar war das nicht genug. Ihre Mutter vertraute ihr nicht. »Wie kommst du denn darauf?«

Ihre Mutter deutete auf die Zeitschrift.

Stirnrunzelnd blätterte Grace durch das Klatschblatt, bis sie die Seite fand, die über ihre »heimliche lesbische Affäre« berichtete. Sie überflog den Artikel und stellte amüsiert fest, dass fast jeder Satz mit einem Ausrufezeichen endete, wohl um den Leserinnen und Lesern zu verdeutlichen, dass sie gerade etwas Skandalöses lasen.

Laut dem Bericht hatte Grace nach Ende der Dreharbeiten eine wilde Party gefeiert und sich mit Kollegen betrunken.

Grace schnaubte. Nie im Leben. Nachdem sie vierzehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche mit ihren Schauspielkollegen zusammen gewesen war, wollte sie ganz sicher nicht noch mehr Zeit mit ihnen verbringen, auch wenn ihre PR-Beraterin, Roberta, sie dazu drängte.

Tja, das war ganz sicher nicht die Sorte Schlagzeilen, auf die Roberta aus gewesen war. In einer kompromittierenden Situation mit einer Kollegin erwischt zu werden, war keine gute Methode, um einen Film über eine heterosexuelle Liebesgeschichte zu bewerben.

Grace suchte den Artikel ab, um zu sehen, mit welcher Schauspielerin Tinseltown Talk ihr eine Affäre andichtete.

Oh, verdammt. Jill.

Ihr Blick sprang zu einem der Bilder auf der Seite. Es war etwas unscharf und offensichtlich mit einem Teleobjektiv aufgenommen worden. Auf dem Foto hatten Jill und sie die Arme umeinandergeschlungen, während sie die Stufen zu Jills Trailer hinauftaumelten. Die Bildunterschrift sagte: Grace Durand und Jill Corrigan taumeln betrunken ins Bett.

»Würdest du mich mal kurz entschuldigen?« Grace warf die Zeitschrift zurück auf den Tisch und griff sich ihr Handy. Während sie an ihrer Mutter vorbeischritt, scrollte sie durch ihre Kontakte und wählte Jills Nummer. Der tadelnde Blick ihrer Mutter folgte ihr, aber sie ignorierte ihn ausnahmsweise. Dies hier war wichtiger, als ihre Mutter zu beschwichtigen.

Als Jill abnahm, trat Grace auf die Steinterrasse und schloss die Schiebetür hinter sich.

»Hallo, Fremde«, sagte Jill. »Lange nichts von dir gehört. Bist du damit beschäftigt, deine Oscar-Rede zu schreiben?«

Grace lachte. »Wohl kaum.« Sie wussten beide, dass die romantischen Komödien, für die sie bekannt war, ihr keinen der begehrten Academy Awards einbringen würden, aber immerhin hatte sie damit ihren Durchbruch in Hollywood geschafft und wurde nun als jüngere, attraktivere Meg Ryan gefeiert. »Und du? Wie geht es dir?«

»Ich sehe auch keine Oscar-Reden in meiner näheren Zukunft, aber ansonsten alles im grünen Bereich«, sagte Jill.

»Gut.« Mit dem Rücken zum Haus und zu ihrer Mutter, sank Grace auf einen der Liegestühle am Pool. »Hör mal, ich rufe nicht nur an, um Hallo zu sagen. Hast du zufällig die neueste Ausgabe der Tinseltown Talk gesehen?«

»Nein, hab ich nicht. Ich versuche, mich von solchem Müll fernzuhalten. Also, wer von uns ist schwanger – du oder ich?«

»Keine von beiden«, sagte Grace. »Es wäre wohl auch ziemlich schwierig, von einer lesbischen Affäre schwanger zu werden.«

Jill stieß einen schrillen Pfiff aus, sodass Grace fast das Trommelfell platzte und sie rasch das Handy vom Ohr riss. »Die glauben im Ernst, dass wir beide den Horizontalmambo tanzen?«

»Ja.« Mürrisch starrte Grace auf die Skyline von Los Angeles unter sich.

»Tja«, sagte Jill nach einem Moment des Schweigens. Gelächter klang in ihrer Stimme mit. »Ich fühle mich geehrt, mit der Frau zu schlafen, die zu einer der ›sexiest women alive‹ gewählt wurde, aber bitte sag Nick, er darf mich nicht umbringen.« Als Grace nicht mitlachte, wurde auch Jill schlagartig wieder ernst. »Was ist los?«

»Die Paparazzi haben uns fotografiert, als wir eng umschlungen zu deinem Trailer gegangen sind. Du musst vorsichtiger sein.«

Jill atmete hörbar ein. »Mist. Du hast ihnen doch nichts gesagt, oder?«

»Nein, natürlich nicht.« Es tat weh, dass Jill fragen musste.

»Tut mir leid. Ich wollte nicht andeuten, dass du das tun würdest.«

Grace seufzte. »Ist schon gut.«

Das nervtötende Geräusch von Fingernägeln, die auf Glas klopften, unterbrach sie. Als Grace sich umdrehte, stand ihre Mutter auf der anderen Seite der Schiebetür und starrte sie durchs Glas hindurch an.

»Ich muss aufhören«, sagte Grace ins Telefon. »Bitte pass gut auf dich auf.«

»Mach ich. Du auch, ja?«

»Das werde ich.« Grace verabschiedete sich und legte auf.

Ihre Mutter trat auf die Terrasse. »Wer war das?« Sie deutete auf das Handy.

»Jill.«

»War das wirklich notwendig?« Ihre Mutter runzelte die Stirn, so weit das nach ihrer letzten Botoxbehandlung überhaupt ging.

Grace steckte das Handy ein und schob sich an ihrer Mutter vorbei zurück ins Haus. »Glaubst du nicht, sie verdient es zu wissen, was die Klatschblätter über sie schreiben?«

»Nun ja, schon, aber du musst zuerst an dich und deine eigene Karriere denken. Du hast zu hart gearbeitet um zuzulassen, dass solche Gerüchte«, ihre Mutter wedelte in Richtung der Zeitschrift auf dem Couchtisch, »alles zerstören.«

Bevor Grace antworten konnte, begann das Handy in ihrer Tasche zu klingeln. Nicht sicher, ob sie über die Unterbrechung erleichtert oder verärgert sein sollte, zog sie es hervor und sah aufs Display. »Es ist George.«

»Ich weiß«, sagte ihre Mutter. »Ich habe ihn sofort angerufen, als ich den Artikel in der Tinseltown Talk sah. Wir können nicht zulassen, dass sie solche Dinge über dich schreiben.«

Grace unterdrückte ein Seufzen. Sie war dankbar für alles, was ihre Mutter für sie tat, aber manchmal übertrieb Katherine die Wahrnehmung ihrer Pflichten als Grace’ Managerin und handelte, ohne Grace zuerst zu fragen. Sie fuhr mit dem Finger über das Display, um den Anruf anzunehmen, und hob das Handy ans Ohr. »Hallo, George.«

Ohne den Gruß zu erwidern, fragte ihr Agent: »Hast du die neueste Ausgabe der Tinseltown Talk gesehen?«

Grace stöhnte. »Ja, habe ich. Meine Mutter hat sie mir gezeigt. Du weißt aber, dass kein Wort davon wahr ist, oder?«

»Wo bist du?«, fragte er, statt ihre Frage zu beantworten.

Das war wohl die meistgestellte Frage seit Erfindung des Handys. »Zu Hause«, sagte Grace. »Ich war eigentlich gerade dabei, Drehbücher zu lesen.«

»Kannst du mich in einer halben Stunde in Westwood treffen?«, fragte George.

»Westwood?« Grace wollte endlich das Drehbuch zu Ende lesen, nicht durch halb Los Angeles kurven. »Warum? Was gibt es denn in Westwood?«

»Deine neue PR-Beraterin.«

* * *

Lauren verfluchte sich dafür, dass sie dem vom Reporter für das Interview vorgeschlagenen Termin um neun Uhr zugestimmt hatte. Jetzt musste sie eine Stunde im langsam dahinkriechenden Berufsverkehr auf dem Sunset Boulevard verbringen, anstatt sich durch die zweihundert E-Mails in ihrem Posteingang arbeiten zu können.

Der leichte Nebel, den es in LA im Juni oft gab, bedeckte ihre Windschutzscheibe und sie studierte die tiefhängenden Wolken, als sie langsam nach Osten rollte. Wenigstens hatte sie das Fotoshooting für Bens neues Album auf heute Mittag gelegt. Bis dahin würde die Sonne den Nebel vertrieben haben.

Gerade als sie den Pappbecher mit ihrem schwarzen Kaffee zum Mund hob, scherte ein Auto ohne zu blinken vor ihr ein und zwang sie, kräftig auf die Bremse zu treten, um einen Unfall zu vermeiden. Kaffee lief ihr Kinn hinab und durchtränkte ihre Bluse.

Na toll. Der Tag wurde ja immer besser. Lauren beschimpfte den rücksichtslosen Fahrer vor sich, während sie den Kaffeebecher in den Getränkehalter schob und versuchte, den Fleck aus ihrer Bluse zu reiben.

Das Klingeln ihres Handys drang aus den Lautsprechern des Autos.

Sie musste nicht einmal aufs Display sehen, um zu wissen, wer anrief. In den letzten fünf Minuten hatte sie zwei Anrufe von Ben Harrison bekommen. Sie drückte eine Taste am Lenkrad, um den Anruf anzunehmen. »Hallo, Ben«, sagte sie in einem freundlich-heiteren Tonfall. Sie zwang sich, professionell zu sein und ihren bescheuerten Morgen zu vergessen. »Keine Sorge. Ich bin schon fast da. Wir bewegen uns jetzt mit fast dreißig Meilen pro Stunde, was in LA praktisch ein Hochgeschwindigkeitsrennen darstellt.«

Ben lachte nicht, wie er das sonst tat, wenn sie einen Witz machte. Nur Schweigen drang aus den Lautsprechern.

»Ben?«

»Nein. Hier spricht Marlene.«

Klar. An einem Tag wie diesem hätte sie es erwarten sollen. Ein Anruf von Marlene Chandler, der Gründerin und Präsidentin von Chandler & Troy Publicity Inc., hieß für gewöhnlich, dass einer ihrer Klienten sich in Schwierigkeiten gebracht hatte und Lauren sich nun um die PR-Katastrophe kümmern musste.

»Tut mir leid, Chefin«, sagte Lauren. »Ich dachte, es wäre Ben Harrison. Er ist ziemlich nervös und will an die Hand genommen werden.«

»Ich werde es Judy wissen lassen«, sagte Marlene.

»Judy?« Lauren runzelte die Stirn. Warum musste ihre Kollegin denn über Bens Lampenfieber Bescheid wissen?

»Wir mussten umdisponieren. Judy wird ab sofort Bens PR-Beraterin sein.«

Was zum Teufel…? Sollte sie jetzt erneut für das Tabby-Jones-Desaster bestraft werden? »Aber Ben hat in einer halben Stunde ein Interview und er wird ein nervöses Wrack sein, wenn ich nicht da bin.«

»Judy ist bereits unterwegs.«

»Und heute Mittag hat er einen Fototermin.«

»Das wird Judy auch übernehmen«, sagte Marlene. »Ich brauche dich sofort im Büro.«

Es ärgerte Lauren, einen Klienten einfach so abgeben zu müssen, aber sie wusste, dass jeglicher Protest vergebens sein würde. Sie bog nach rechts in die Vine Street und fuhr zum Santa Monica Boulevard, der sie geradewegs zum CTP-Hauptquartier in Westwood bringen würde.

»Was ist passiert?« In Gedanken ging sie ihre Klientenliste durch, auf der Suche nach Kunden, die mit der höchsten Wahrscheinlichkeit bis zum Hals in Schwierigkeiten steckten. Sie hätte Geld darauf verwettet, dass entweder Brittany schon wieder anzügliche Fotos von sich auf Twitter gepostet hatte oder Leroy von seiner Frau im Bett mit dem Au-pair-Mädchen erwischt worden war.

»Wir haben eine neue VIP-Klientin«, sagte Marlene.

Lauren bremste an einer roten Ampel und beäugte den Zementlaster vor sich. Bei dem Glück, das sie heute hatte, machte es sie etwas nervös, hinter dem Laster festzusitzen. »Ich dachte, Ben wäre ein VIP.«

»Nun, wenn Ben ein VIP ist, dann ist die neue Klientin eine VVIP – eine very, very important person.«

Obwohl sie neugierig war, wusste Lauren, dass es sinnlos war, Fragen zu stellen. Die Namen von VIP-Klienten wurden nie am Telefon genannt. Sie würde warten müssen, bis sie ins Büro kam, um ihre Neugierde zu befriedigen.

»Absolute Diskretion ist gefordert«, sagte Marlene und betonte jedes einzelne Wort.

Das verstand sich in der PR-Branche eigentlich von selbst. Dass ihre Chefin sie nun noch einmal daran erinnerte, war ungewöhnlich. Als die Ampel auf Grün schaltete, trat Lauren aufs Gas und wechselte die Spur, um den Zementlaster hinter sich zu lassen. Sie konnte es kaum abwarten, ins Büro zu kommen und herauszufinden, was los war.

* * *

Lauren parkte auf ihrem Platz in der Tiefgarage und stieg aus dem Wagen. Sie winkte dem Sicherheitsbeamten zu und ging an ihm vorbei zum Mitarbeiteraufzug. Ein kurzes Durchziehen ihrer ID-Karte und die Fahrstuhltüren glitten auseinander.

Als sie sich auf der zwölften Etage wieder öffneten, begrüßte sie das kontrollierte Chaos eines typischen Montagmorgens im PR-Geschäft. Telefone klingelten, Angestellte tippten eifrig auf ihre Computertastaturen ein und jemand summte ein Lied, das sich wie »Rehab« von Amy Winehouse anhörte. Sie umrundete die Schreibtische von hart arbeitenden PR-Beratern und musste dabei aufpassen, nicht mit Praktikanten zusammenzustoßen, die herumrannten, Fragen stellten und Pressemappen zusammenstellten.

Als sie an einem der Schreibtische vorbeiging, packte sie jemand am Arm.

Lauren drehte sich um.

Tina, eine der PR-Agentinnen in Laurens Team, sah mit verzweifelter Miene zu ihr auf. Sie hing am Telefon und bedeckte es nun mit einer Hand. »Mark ist dran. Er hat mich schon zweimal angerufen, weil er unbedingt in Ellens Talkshow möchte. Soll ich versuchen, einen Auftritt für ihn zu ergattern?«

»Himmel, nein.« Lauren schüttelte energisch den Kopf. »Ellen ist perfekt für witzige Klienten mit Sinn für Humor, aber Mark ist ungefähr so lustig wie das Norovirus, wenn weit und breit keine Toilette in Sicht ist.«

Immer noch das Telefon mit der Hand zuhaltend, kicherte Tina, bevor ihr Gesicht wieder den panischen Ausdruck annahm. »Du hast recht, aber das kann ich ihm schlecht sagen. Wie kann ich ihm das ausreden? Er hält es für eine geniale Idee.«

Marlene wartete auf sie, deshalb hatte Lauren keine Zeit für lange Erklärungen. Sie wedelte mit der Hand. »Gib mir das Telefon.«

Mit einem erleichterten Seufzen übergab Tina den Hörer.

»Hallo, Mark. Hier spricht Lauren Pearce. Wie geht es Ihnen?«

Der Schauspieler zögerte einen Moment lang. »Oh, hallo, Lauren. Alles bestens. Hat Tina Ihnen von meiner Idee erzählt? Ich bin überzeugt, dass ein Auftritt bei Ellen die DVD-Verkäufe meines letzten Filmes ankurbeln wird.«

Sein letzter Film war eine Komödie gewesen und wenn seine Zuschauer herausfanden, dass Mark nur dann witzig war, wenn er ein Drehbuch hatte, würden sie enttäuscht sein. Es gab wenig Schlimmeres als enttäuschte Fans. »Ellen ist eine prima Idee.«

Tina starrte sie an, als wäre ihr eben ein Paar grüner Fühler gewachsen.

»Na also«, sagte Mark. »Ich habe Tina doch gleich gesagt, dass Sie das genauso sehen würden.«

»Ja, aber leider haben Sie noch nicht in genügend Filmen mitgespielt, um sich eine Einladung als Hauptgast zu sichern.«

»Da haben sie vermutlich recht.« Mark schwieg einen Moment lang. »Aber das macht nichts. Als zweiter Gast dazuzukommen, ist doch immer noch toll, oder?«

»Das hängt davon ab, wo Sie mit Ihrer Karriere noch hinwollen«, sagte Lauren.

»Wie meinen Sie das?«

Lauren grinste. Jetzt hatte sie ihn. Wie alle ihre Kunden wollte Mark natürlich ganz an die Spitze. »Nun ja, wenn Sie immer die zweite Geige spielen, fangen die Leute natürlich an, Sie für die zweite Wahl zu halten. Ich denke wirklich, es wäre besser zu warten, bis Sie so weit sind, als Hauptgast eingeladen zu werden.«

»Oh.« Mark klang wie ein kleines Kind, das gerade herausgefunden hatte, dass es den Weihnachtsmann nicht gab. »Ich schätze, wir sollten warten, bis ich ein paar mehr Filme draußen habe.«

»Definitiv.« Wenn sie Glück hatten, würde es Ellen bis dahin Oprah gleichtun und ihre Talkshow einstellen. »Ich gebe Sie an Tina zurück. Ich bin sicher, sie kann eine andere tolle Interviewgelegenheit für Sie auftun.« Vorzugsweise eine, bei der der Reporter ihnen die Fragen vorab schickte, sodass sie die Antworten mit Mark üben konnten.

Tina nahm das Telefon zurück und flüsterte: »Danke, danke, danke!«

Lauren nickte und ging an ihr vorbei in Richtung ihres Büros. Vor dem Treffen mit Marlene wollte sie noch schnell in eine Bluse ohne Kaffeeflecken schlüpfen.

Aber heute war sie nicht vom Glück verfolgt. Marlenes Bürotür schwang auf, als Lauren vorbeikam, und Marlene machte eine Komm-her-Geste mit dem Zeigefinger.

Seufzend änderte Lauren die Richtung, auch wenn sie sich dabei fühlte wie ein Kind, das zum Büro der Direktorin zitiert wurde. Sie hatte stets gern für Marlene gearbeitet, aber seit man sie vom Tabby-Jones-Account abgezogen hatte, wusste sie nicht mehr so recht, wie ihre Chefin zu ihr stand. Zögernd betrat sie das Eckbüro.

»Schließ bitte die Tür«, sagte Marlene.

Lauren tat wie ihr geheißen.

Marlene umrundete ihren riesigen Schreibtisch und setzte sich in ihren Chefsessel. Das schwarze Leder schien ihre zierliche Gestalt fast zu verschlucken, aber Lauren wusste, dass der Schein trog. Marlene Chandler mochte wie ein zerbrechlicher Zwergpudel aussehen, aber sie hatte die Persönlichkeit eines Pitbulls. »Setz dich.«

Lauren ging an Marlenes Süßwasseraquarium vorbei und warf dabei einen Blick auf die siamesischen Kampffische – ein Männchen und seinen Harem. Einige ihrer Kollegen behaupteten, dass die Fische aggressiv wurden, wenn Marlene schlecht gelaunt war. Falls das stimmte, stand Lauren ein unschönes Gespräch bevor, denn das Männchen spreizte sofort die Flossen und klappte die Kiemendeckel vor.

Lauren nahm auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz und wartete auf das, was Marlene ihr zu sagen hatte. Sie wusste, dass es sinnlos war zu fragen und Marlene drängen zu wollen.

Eine Weile saß Marlene nur schweigend da und betrachtete Lauren. Beim Anblick der Kaffeeflecken auf Laurens Bluse hob sie eine Augenbraue.

Tja, jetzt konnte sie es nicht mehr ändern. Lauren gelang es, trotz Marlenes tadelndem Blick still sitzen zu bleiben.

Schließlich wandte Marlene ihre Aufmerksamkeit wieder Laurens Gesicht zu und beugte sich vor. »Ich bin sicher, du hast schon von Grace Durand gehört.«

»Wer hat das nicht?« Sie war kein großer Fan der Art Filme, die Durand machte, aber Lauren musste zugeben, dass die Frau attraktiv war.

Marlene nickte. »Stimmt. Nun ja, ihre Mutter, die auch ihre Managerin ist, hat gerade ihre PR-Beraterin gefeuert und möchte, dass wir übernehmen.«

»Das sollte nicht schwer sein«, sagte Lauren. Im Gegensatz zu vielen anderen früheren Kinderstars, die durch Alkoholexzesse, Gefängnisaufenthalte oder Reality-TV Schlagzeilen machten, war es Grace Durand bisher gelungen, Skandale zu vermeiden. Sie tauchte ab und zu mit ihrem Ehemann, dem Actionstar Nick Sinclair, bei Filmpremieren und ähnlichen Veranstaltungen auf, aber ansonsten mied sie das Scheinwerferlicht und hatte keinerlei PR-Katastrophen verursacht.

»Das glaubst du«, sagte Marlene. »Ihr Agent wollte am Telefon nicht darüber sprechen, aber scheinbar hat sich eine Situation ergeben, die sofortiges Handeln notwendig macht. Du wirst sicher mehr erfahren, wenn sie hierherkommen.«

Lauren riss die Augen auf. »Du möchtest, dass ich Ms. Durands PR-Beraterin werde?«

Marlene nickte ruhig. »Ja.«

Sobald die anderen PR-Berater herausfanden, dass ihre Firma nun Grace Durand vertrat, würden sie um die Schauspielerin kämpfen wie Haie um ein Stück Fleisch. Warum hatte Marlene ausgerechnet sie ausgesucht? Lauren wurde das Gefühl nicht los, dass es sich um einen Test handelte, und sie mochte dieses Gefühl nicht. In ihren acht Jahren bei Chandler & Troy hatte sie bei jeder Gelegenheit bewiesen, wie gut sie war. Es war bereits davon gesprochen worden, sie zur Account-Supervisorin zu befördern, wenn sie von der Tour mit den Crashing Guitars zurückkam, der neuen, angesagten Mädchenband. Stattdessen musste sie jetzt wieder von vorn anfangen.

»Fühlst du dich dem gewachsen?«, fragte Marlene.

Lauren straffte die Schultern. »Natürlich.«

»Gut. Ich habe eine Besprechung mit Ms. Durand, ihrem Agenten und ihrer Managerin für zehn Uhr angesetzt.«

Lauren sah auf die Uhr. Ihr blieb gerade noch genug Zeit, um in eine saubere Bluse zu schlüpfen und sich einen Kaffee zu holen. Sie hatte das Gefühl, dass sie das Koffein brauchen würde.

 

 

KAPITEL 2

»Ist das wirklich notwendig?«, fragte Grace, als sie ihren Agenten bei der Adresse traf, die er ihr gegeben hatte. »Warum muss ich mich mit einer neuen PR-Beraterin treffen? Ich habe doch schon eine.«

»Nein, hast du nicht«, sagte ihre Mutter, als sie aus dem Geländewagen stieg. Sie betrachtete Grace’ Ford Escape mit einem Stirnrunzeln, so wie immer, wenn sie sich in der Öffentlichkeit in diesem Gefährt zeigen musste. Dann schulterte sie ihre Handtasche wie ein Soldat sein Gewehr. »Ich habe Roberta entlassen.«

Grace wirbelte herum. »Du hast was getan?«

Katherine reckte das Kinn. »Ich habe sie entlassen. Sie war einfach nicht gut genug, um deine PR-Beraterin zu sein, sonst wäre dein letzter Film nicht ein solcher Flop an den Kinokassen gewesen.«

Herzlichen Dank, dass du mich daran erinnerst. Grace biss sich auf die Zunge, um den sarkastischen Kommentar zurückzuhalten. Er hätte nichts gebracht und ihre Mutter nur unnötig verletzt. »Das war nicht Robertas Schuld.«

»Deine Mutter hat recht«, sagte George. »Roberta war nicht schlecht, aber mit den wirklich Großen kann sie nicht mithalten. Die Jungs hier können das.« Er deutete auf ein Hochhaus aus weißem Travertin neben ihnen. »Sie sind eine der besten Firmen in der Stadt, wenn es um Schadensbegrenzung geht.«

»Schadensbegrenzung?«, wiederholte Grace stirnrunzelnd. »Du glaubst, ich müsste Schadensbegrenzung betreiben, nur wegen dem, was Tinseltown Talk über mich und Jill geschrieben hat? So ein Klatschblatt nimmt doch keiner ernst, oder?« Sie sah zwischen ihrer Mutter und George hin und her.

»Vermutlich nicht, aber was, wenn andere, bekanntere Zeitschriften oder Blogs auf die Geschichte aufmerksam werden?« George fuhr sich mit der Hand durch sein grau meliertes Haar. »Solche Schlagzeilen kannst du dir nicht leisten. Nicht vor der Premiere von Avas Herz.«

Grace seufzte. Vielleicht hatten die beiden recht. Es war besser, auf Nummer sicher zu gehen. Vermutlich konnte es nicht schaden, sich die neue Firma einmal anzusehen, bevor sie eine endgültige Entscheidung traf.

Zusammen gingen sie vorbei an einem verglasten Arbeitsbereich im Freien, wo Mitarbeiter Kaffee tranken oder auf ihren Laptops herumtippten.

Grace stieß einen anerkennenden Pfiff aus. Netter Arbeitsplatz.

Sie überquerten einen Platz zwischen zwei Gebäuden, die fast identisch aussahen, bis auf die Tatsache, dass einer der Bürotürme höher als der andere war. Palmen wiegten sich in der leichten Brise wie Seetang in den Gezeiten und das Wasser eines langen Brunnens kräuselte sich, als mehrere orangefarbene und weiße Kois an die Oberfläche kamen. Mehrere Mitarbeiter saßen draußen auf Bänken und genossen ihre Kaffeepause in der Sonne.

Grace wünschte, sie könnte sich ihnen anschließen und sich für ein Stündchen mit einem guten Buch unter eine der Palmen setzen. Es war schon eine Weile her, seit sie sich zuletzt so richtig hatte entspannen können.

Aber selbst wenn sie dafür Zeit gehabt hätte, hier war nicht der richtige Ort dazu. Leute drehten sich nach ihr um, als sie vorbeiging. Wenn man regelmäßig auf Kinoleinwänden zu sehen war, blieb man nicht lange unerkannt. Grace straffte die Schultern und setzte automatisch ein Lächeln auf, als sie Blicke auf sich ruhen spürte.

Kurz bevor sie das Gebäude erreichten, hielt sie eine junge Frau in einem Hosenanzug an. »Oh mein Gott! Sie sind Grace Durand, oder?«

Ihre Mutter zupfe an Grace’ Arm. »Lass uns hineingehen. Wir haben keine Zeit für so etwas.«

Aber Grace hatte sich geschworen, stets Zeit für ihre Fans zu haben und keine der arroganten Diven zu werden, die sich zu fein waren, mit normalen Menschen zu sprechen. Sanft entzog sie ihrer Mutter ihren Arm.

»Ja, bin ich«, sagte sie zu der jungen Frau und schenkte ihr ein freundliches Lächeln. »Schön, Sie kennenzulernen.«

Mit roten Wangen schüttelte die junge Frau Grace’ Hand. »Ich bin ein großer Fan von Ihnen. Ich habe all Ihre Filme gesehen.« Sie hüpfte auf und ab und winkte ihren drei Kollegen zu, die auf dem Marmorrand des Brunnens saßen. »Kommt her, Leute! Sie ist es!«

Die Kollegen der Frau und einige weitere Schaulustige gesellten sich zu ihnen. Innerhalb kürzester Zeit war Grace umzingelt von Menschen. Es erstaunte sie jedes Mal, wie schnell sich eine Menschenmenge bilden konnte. Sie fragte sich, ob sie alle überhaupt wussten, wer sie war. Einige zogen Handys aus ihren Taschen und machten Fotos, während andere Grace Zettel in die Hand drückten und sie um ein Autogramm baten.

Grace unterschrieb willig alles, was man ihr gab. Sie musste lachen, als ein junger Mann den Ärmel hochkrempelte und sie seinen Bizeps signieren ließ.

Schließlich löste sich die Menschenmenge wieder auf und die Leute verwandelten sich von aufgeregten Fans zurück in ernst dreinblickende Geschäftsleute.

Ihre Mutter zog sie ins Gebäude, bevor weitere Neugierige sich um Grace scharen konnten.

Grace blieb kurz in der Lobby stehen, um sich zu sammeln. Das Innere des Gebäudes war genauso beeindruckend wie das Äußere. Die Lobby mit dem auf Hochglanz polierten Marmorboden war dazu gedacht, Besucher zu beeindrucken. Zu ihrer Linken drang das Klirren von Porzellan aus einem Café und zu ihrer Rechten befand sich ein Fitnessstudio für die Mitarbeiter. Grace ließ den Blick über das große Schild gleiten, das die Firmen im Gebäude aufzählte. Es waren hauptsächlich Immobilienmakler, Investmentbanker und Anwälte.

Die PR-Firma musste wirklich ziemlich erfolgreich sein, um sich die Miete in diesem Gebäude leisten zu können.

George führte sie zum Fahrstuhl und drückte den Knopf für die zwölfte Etage.

Kurze Zeit später öffneten sich die Aufzugstüren und gaben den Blick frei auf den Empfangsbereich der PR-Firma. Wow. Chandler & Troy Publicity nahm das gesamte Stockwerk ein. Warmes Licht aus Deckeneinbauleuchten spiegelte sich in einem Empfangstresen aus Marmor und mehreren Ledersesseln. Geschmackvolle abstrakte Bilder hingen an zwei Wänden, während ein riesiger Flachbildfernseher die Wand gegenüber einer Designercouch einnahm.

Eine Milchglastür öffnete und schloss sich zu ihrer Linken, als jemand eintrat und so kurz den Blick auf ein Großraumbüro freigab.

Grace folgte George und ihrer Mutter über den weichen, weinroten Teppich.

Eine junge Brünette hinter dem Empfangstresen lächelte sie an, offensichtlich daran gewöhnt, dass Besucher erst einmal stehenblieben, um sich den beeindruckenden Empfangsbereich anzusehen. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Das hier ist Grace Durand«, sagte Katherine, bevor Grace sich vorstellen konnte. »Ich bin ihre Managerin und das hier ist ihr Agent.« Sie zeigte auf George. »Wir haben einen Termin mit Ms. Chandler.«

Die Empfangsdame lächelte noch immer. Sie starrte Grace nicht an. In ihrem Beruf war sie sicherlich daran gewöhnt, mit berühmten Persönlichkeiten zu tun zu haben. »Ich glaube, Sie haben einen Termin bei Ms. Pearce, einer unserer Senior Account Executives«, sagte sie, ohne den Terminkalender oder ihren Computer zu Rate zu ziehen. »Sie erwartet Sie bereits. Ich führe Sie gerne zu ihrem Büro.«

Als sie der Empfangsdame folgten, warf Grace einen Blick auf die Uhr und verzog das Gesicht, als sie feststellte, dass sie sich verspätet hatten. Das Zusammentreffen mit den Fans vor dem Gebäude hatte sie länger als gedacht aufgehalten. Vielleicht hatte ihre Mutter recht und sie musste lernen, auch mal Nein zu ihren Fans zu sagen. Fast eine Viertelstunde zu spät zu kommen, hinterließ keinen guten ersten Eindruck.

Die Empfangsdame klopfte an eine geschlossene Tür. Als niemand antwortete, klopfte sie erneut, zögerte und öffnete dann die Tür einen Spaltbreit. »Oh. Ms. Pearce ist nicht da, aber sie kommt sicher gleich zurück. Warten Sie doch einfach in ihrem Büro und ich lasse sie wissen, dass Sie hier sind.« Sie öffnete die Tür ganz und ließ alle eintreten. »Bitte setzen Sie sich doch. Kann ich Ihnen irgendetwas bringen?«

»Nein, danke«, sagte Grace, ehe ihre Mutter die Empfangsdame mit ihren extravaganten Kaffeewünschen belästigen konnte.

»Ms. Pearce kommt sofort.« Die Empfangsdame schloss die Tür und ließ sie allein im Büro zurück.

Grace sah sich um. Das Büro war nicht sonderlich groß, aber das Panoramafenster hinter dem Schreibtisch ließ es größer wirken. Von hier hatte man einen herrlichen Ausblick auf Century City, West Hollywood und die zerklüfteten Santa Monica Mountains in der Ferne. Der riesige Schreibtisch nahm eine komplette Seite des Raums ein. Darauf stapelten sich Akten und Papierberge, aber trotzdem wirkte er nicht unordentlich, ganz im Gegenteil. Das Papier war sauber gestapelt und die Schnellhefter waren nach Farben sortiert – unten die grünen, dann die gelben und ganz oben die roten.

Ob die Farben etwas zu bedeuten hatten? Vielleicht gaben sie einen Hinweis auf die Wichtigkeit der Klienten oder darauf, wie schwierig im Umgang sie waren. Grace fragte sich, welche Farbe ihre Akte hatte.

Das Büro gab keinerlei Hinweise auf das Privatleben seiner Benutzerin. Es gab weder Familienfotos, noch gerahmte Diplomurkunden oder persönliche Gegenstände. Stattdessen hingen signierte Fotos von Stars an den Wänden, vermutlich berühmte Persönlichkeiten, mit denen Ms. Pearce gearbeitet hatte.

Grace drehte sich um und machte einen Schritt, um sich die Fotos neben der Tür näher anzusehen.

* * *

Fünf Minuten zuvor hatte Lauren hinter ihrem Schreibtisch gesessen und mit den Fingern auf einem Stapel Akten herumgetrommelt. Alle paar Sekunden sah sie auf die Uhr.

Grace Durand kam zu spät. Ihre Kollegen hätten sicher gesagt, Zuspätkommen sei eine Modeerscheinung in Hollywood. Niemand im Showbusiness war pünktlich.

Doch Lauren war das egal. Sie hasste es, wenn Klienten sich verspäteten. Es ließ nichts Gutes erahnen, was ihre Zusammenarbeit mit Ms. Durand betraf. Du musst sie nicht mögen, sagte sie sich. Du musst nur dafür sorgen, dass alle anderen es tun.

Nach einigen weiteren Minuten gab es immer noch keine Spur von der berühmten Schauspielerin.

Schnaubend schnappte sich Lauren ihre leere Tasse und ging sich noch einen Kaffee holen. Sie betrat die Küche und gerade, als sie die Taste für eine Tasse starken schwarzen Kaffee drücken wollte, hielt Carmen, die Empfangsdame der Firma, sie davon ab.

»Oh, da sind Sie ja«, sagte Carmen im Türrahmen stehend. »Ms. Durand ist hier. Sie wartet in Ihrem Büro, zusammen mit ihrer Managerin und ihrem Agenten.«

Das war ja klar. Ihr Koffeinbedarf musste warten. »Danke, Carmen.« Lauren stellte die Tasse ab und ging zurück zu ihrem Büro. Bevor sie die Tür öffnete, sah sie hinab auf ihre saubere Bluse und die dunkelgraue Hose, um sicherzugehen, dass sie einen professionellen Eindruck vermittelte. Dann öffnete sie die Tür, stieß dabei jedoch auf Widerstand.

Die Tür traf etwas oder vielmehr jemanden. Und nicht einfach irgendjemanden. Sie war ihrer neuen Klientin noch nie persönlich begegnet, aber sie hatte sie schon unzählige Male im Fernsehen und auf Promiblogs, in Zeitschriften und Zeitungen gesehen. Die goldenen Locken, die bis auf die Schulterblätter fielen, waren unverwechselbar, ebenso die dunklen Augenbrauen und Augen, die so blau waren wie das Meer an einem sonnigen Tag. Lauren hatte eben Golden-Globe-Gewinnerin Grace Durand mit der Tür getroffen.

Die vollen Lippen der Schauspielerin formten ein erschrockenes »Oh«, als sie zurücktaumelte und sich den Arm rieb.

Noch immer den Türknauf im Griff, stand Lauren erstarrt im Türrahmen. »Tut mir leid. Ich wollte nicht … Ich dachte, Sie würden …« Sie gestikulierte in Richtung des Besucherstuhls vor ihrem Schreibtisch, wo sie die Schauspielerin vermutet hatte.

Grace Durand schenkte ihr eines ihrer weltberühmten Lächeln. »Nichts passiert«, sagte sie. »Trotz anderslautender Berichte bin ich nicht aus Glas.« Ihre Stimme war melodiös und ein wenig rauchig, mit dem Hauch eines Südstaatenakzents, der, wie Lauren wusste, noch davon stammte, dass sie in ihrem letzten Film eine Frau aus Georgia gespielt hatte.

Lauren hatte den Südstaatenakzent noch nie allzu sexy gefunden, aber jetzt änderte sie schlagartig ihre Meinung. Sie konnte den Blick nicht von dem klassisch schönen Gesicht der Schauspielerin und ihren Augen abwenden. Sie hatte immer angenommen, diese blauen Augen wären für Filmplakate mit Photoshop bearbeitet worden, aber aus der Nähe betrachtet sah die Farbe echt aus. Der Rest von Ms. Durand wirkte ebenfalls nicht, als ob eine Nachbearbeitung notwendig gewesen wäre. Im Gegensatz zu vielen anderen Schauspielerinnen war sie kein Hungerhaken. Das war Lauren nur recht, denn sie hatte spindeldürre Frauen nie gemocht. Sie zog Ms. Durands weibliche Kurven vor.

Na schön, sie sieht umwerfend aus. Na und? Jede der Frauen, mit denen Lauren arbeitete, war wunderschön, aber sie hatte sich nie von deren Schönheit beeindrucken lassen. Viel zu oft versteckte sich hinter der attraktiven Schale Egoismus, Oberflächlichkeit und ein zickiges Verhalten. Die Wirklichkeit stimmte nie mit den freundlichen, manchmal heldenhaften Persönlichkeiten überein, die sie auf der Leinwand darstellten. Diesmal würde das nicht anders sein. Außerdem war Lauren umgeben von Prominenten aufgewachsen und deshalb immun gegen Schwärmereien für Stars.

Ach ja? Das merkt man aber gerade nicht. Sie gab sich einen mentalen Klaps auf den Hinterkopf und trat mit ausgestreckter Hand vor.

Grace Durand kam ihr entgegen. Ihr Händedruck war unerwartet kräftig und sie sah Lauren in die Augen, obwohl sie etwas kleiner als Laurens eins achtundsiebzig war. Selbst aus nächster Nähe konnte Lauren keine Spur von Make-up entdecken – nicht, dass Ms. Durand es gebraucht hätte. Zugegebenermaßen sah sie sogar noch besser aus als auf der Leinwand, sofern das überhaupt möglich war. »Guten Morgen, Ms. Durand. Ich bin Lauren Pearce, Senior Account Executive bei CT Publicity.«

»Danke, dass Sie sich so kurzfristig Zeit für uns genommen haben. Und lassen Sie uns doch Du sagen.«

Lauren nickte, auch wenn sie lieber etwas professionelle Distanz zu dieser Klientin gewahrt hätte. Aber der Kunde war nun mal König, deshalb sagte sie: »Einverstanden.« Sie merkte, dass sie noch immer die Hand der Schauspielerin hielt und ließ schnell los, um die beiden anderen Personen im Raum zu begrüßen. Mit George Benitez hatte sie schon zu tun gehabt. Während sie auf die Schauspielerin und ihre Begleitung wartete, hatte Lauren Recherchen betrieben und wusste deshalb, dass die wasserstoffblonde Frau um die fünfzig Katherine Duvenbeck, Grace’ Mutter, war. Laut Wikipedia war sie diejenige, die ihre Tochter ermutigt hatte, Schauspielerin zu werden, und sie schon mit sechs Monaten zu einem Vorsprechen für Windelwerbung mitgenommen hatte.

Zumindest das haben meine Eltern nie getan.

»Das ist meine Mutter, die mich auch managt, und das ist George Benitez, mein Agent«, sagte Grace.

Sie schüttelten einander die Hände und Lauren nickte beiden höflich zu. »Mrs. Duvenbeck, ich freue mich, Sie kennenzulernen. George, schön, dich wiederzusehen.«

Katherine Duvenbecks Augen, deren Blau nicht so leuchtend war wie das ihrer Tochter, weiteten sich, als Lauren sie mit dem richtigen Namen ansprach.

Lauren lächelte leicht. »Kann ich Ihnen irgendetwas anbieten, bevor wir anfangen?«

Grace schüttelte den Kopf, aber ihre Mutter sagte: »Das wäre nett. Ich hätte gerne einen Espresso mit aufgeschäumter fettreduzierter Milch, aber der Schaum darf nicht höher als einen Zentimeter sein.«

Lauren nickte, aber Mrs. Duvenbeck war noch nicht fertig.

»Der Espresso sollte mit einem Spritzer zuckerfreiem Vanillesirup gesüßt und mit ein wenig Zimt garniert sein … aus biologischem Anbau, versteht sich.«

Jahrelange Übung ermöglichte es Lauren, mit keiner Wimper zu zucken, obwohl sie innerlich zusammenfuhr angesichts des Verbrechens, das Mrs. Duvenbeck einer unschuldigen Tasse Kaffee antat. »Selbstverständlich«, sagte sie ruhig.

Grace warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, was Lauren überraschte.

Da Grace schon als Kind ein Star gewesen war, hatte Lauren erwartet, sie würde genauso verwöhnt sein wie ihre Mutter. Lauren betätigte eine Taste der Gegensprechanlage. »Carmen, kannst du mir einen Gefallen tun und Mrs. Duvenbeck einen Kaffee machen?« Kurzes Schweigen folgte, nachdem sie die Kaffeewünsche wiederholt hatte, aber dann versprach Carmen, das Bestellte sofort zu bringen.

Lauren rollte ihren Bürostuhl zu dem kleinen, runden Besprechungstisch und nickte in Richtung der drei Freischwinger, die darum gruppiert waren. »Wir sollten zuerst einmal darüber sprechen, wo du mit deiner Karriere hinwillst und was genau du für ein Image anstrebst. Oder gibt es etwas Spezielles, über das du reden möchtest?«

Mrs. Duvenbeck ließ sich vorsichtig auf dem Stuhl ihr gegenüber nieder, statt ihrer Tochter diesen Platz zu überlassen. »Oh ja.« Sie kramte in einer riesigen Handtasche herum, die vermutlich die halbe Produktlinie von Lancôme enthielt, und warf schließlich eine Zeitschrift auf den Tisch. »Wir möchten, dass Sie das aus der Welt schaffen!«

Lauren sah sich die Schlagzeilen an, überflog den Artikel und schaffte es, keine Miene zu verziehen, als von einer heimlichen lesbischen Affäre die Rede war. Sie schielte hinüber zu Grace, die ihren Blick mit besorgtem Gesichtsausdruck erwiderte. Die Schauspielerin brachte ihr Lesbenradar nicht zum Ausschlagen, aber das sagte nicht viel aus, denn bei Tabby Jones war es ebenso gewesen und das Foto von Grace mit Jill Corrigan sah schon sehr vertraut aus. »Mrs. Duvenbeck«, sagte Lauren und beschloss, sofort zum Punkt zu kommen. »Ich bin PR-Spezialistin, keine Zauberin. Ich kann das nicht so einfach aus der Welt schaffen, vor allem dann nicht, wenn da etwas dran sein sollte.« Sie sah wieder zu Grace. »Falls es sich dabei um eine Tatsache handelt, mit der du noch nicht an die Öffentlichkeit gehen wolltest, solltest du dir darüber im Klaren sein, dass die Journalisten es früher oder später ohnehin herausfinden werden. Vielleicht solltest du lieber in den sauren Apfel beißen und …«

Grace, George und Mrs. Duvenbeck begannen, wild durcheinanderzusprechen. Mrs. Duvenbecks zornige Stimme übertönte die anderen. »Meine Tochter ist nicht lesbisch!«

So konnten sie kein produktives Gespräch führen. Falls irgendetwas an den Gerüchten dran sein sollte, würde Grace sie ganz sicher nicht bestätigen, solange ihre Mutter im Raum war. Lauren ignorierte Mrs. Duvenbeck und wandte sich stattdessen an Grace. »Vielleicht könnten wir beide hinüber in den Konferenzraum gehen, um zu reden, während deine Mutter ihren … Kaffee hier ganz in Ruhe genießen kann.«

Mrs. Duvenbecks mit Make-up übertünchtes Gesicht errötete. »Ich bin sehr wohl in der Lage, mitzureden, während ich meinen Kaffee trinke.«

»Daran zweifle ich keinen Moment«, sagte Lauren und schaffte es, ihren Sarkasmus zu verbergen. »Aber wenn ich Grace bestmöglich vertreten und diese Situation so schnell wie möglich in den Griff bekommen soll, muss ich erst mal ein Gefühl dafür bekommen, wer sie als Person wirklich ist, und das kann ich am besten, wenn wir allein sind.«

Grace erhob sich und legte ihrer Mutter eine Hand auf die Schulter. »Sie hat recht. Wir kommen gleich zurück, versprochen.« Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, berührte sie Lauren leicht am Arm. »Tut mir leid. Meine Mutter meint es gut, aber manchmal kann sie ein bisschen …«

Lauren sagte nichts. Sie hatte auf die harte Tour gelernt, dass es am besten war, solche Dinge unkommentiert zu lassen. Promis waren unbeständig und wechselten ihre Loyalität alle drei Sekunden. Sie zog ihren Arm unter Grace’ Hand weg, indem sie den Gang hinab deutete. »Hier entlang, bitte.«

* * *

Grace straffte die Schultern, als sie ihrer neuen PR-Beraterin zum Konferenzraum folgte. Wenigstens hatten sie die verdammte Zeitschrift in Laurens Büro zurückgelassen, aber Grace wusste, dass sie die Gerüchte nicht so leicht loswerden würde.

Sie setzten sich einander gegenüber an den langen Tisch im Konferenzraum.

Lauren legte ihr Handy auf den Tisch und schaltete es aus, als wollte sie Grace ihre volle Aufmerksamkeit widmen. Einige Momente lang sagte sie nichts, sondern saß nur da und sah Grace an.

Grace nutzte die Gelegenheit, um sie ebenfalls zu mustern. In einer Stadt, in der selbst Kellnerinnen bildhübsch waren, erntete Lauren Pearce sicher wenig Aufmerksamkeit. Ihr Kinn war etwas zu eigensinnig, ihr Kiefer zu energisch und ihr Körper etwas zu kräftig, als dass sie je Karriere vor der Kamera hätte machen können. Aber sie sah aus wie jemand, der Wunder hinter der Kamera vollbringen und im Alleingang den guten Ruf von Stars wiederherstellen konnte. Grace schätzte, dass sie ein paar Jahre älter als sie selbst mit ihren neunundzwanzig Jahren war, also nicht etwa die betagte PR-Veteranin, mit der sie gerechnet hatte, aber alt genug, um jede Menge Erfahrung in ihrem Beruf zu haben. Sie strahlte Selbstbewusstsein aus, als sie eine Strähne ihres kinnlangen, schokoladenbraunen Haares hinter ein Ohr klemmte. Ihre haselnussfarbenen Augen hinter der Hornbrille waren so hell, dass sie fast golden wirkten.

»Also«, sagte Lauren nach einer Weile. »Lass uns offen reden.«

Grace nickte. »Das wäre mir recht.« Die meisten Leute in Hollywood redeten um den heißen Brei herum, statt geradeheraus ihre Meinung zu sagen, deshalb war Laurens direkte Art eine willkommene Abwechslung.

»Ich weiß, dass Manager, Agenten und selbst PR-Berater ihren Klienten oft raten, sich nicht zu outen, weil sie Angst haben, es könnte ihre Karriere ruinieren.«

»Aber ich …«

»Ja, ich bin auch kein großer Fan dieser Strategie«, sagte Lauren. »Ich behaupte nicht, dass es leicht werden wird. Ein Coming-out wird dich einige Rollen kosten, aber heutzutage wird es nicht deine Karriere zerstören. Für schwule Schauspieler ist das etwas anderes, aber für Frauen …«

»Ich bin nicht lesbisch«, platzte es aus Grace heraus. Sie spürte, wie sie errötete, und verfluchte im Stillen ihre helle Haut.

»Okay«, sagte Lauren ruhig. Nichts schien sie aus der Ruhe bringen zu können. »Was hat es dann mit dem Foto auf sich? Du musst doch zugeben, dass ihr beiden ziemlich vertraut wirkt.«

Grace holte tief Luft und versuchte, nicht abwehrend zu klingen, als sie erneut sagte: »Ich bin nicht lesbisch. Wenn Jill und ich vertraut wirken, dann deshalb, weil wir es sind. Aber wir sind nur Freundinnen, nichts weiter. Ich möchte, dass du das klarstellst. Was sollen wir tun? Eine Pressekonferenz geben und erklären, dass ich hetero bin?«

Energisch schüttelte Lauren den Kopf. »Das würde nur die Aufmerksamkeit auf dieses Klatschblatt lenken, von dessen Existenz die meisten Leute nicht mal wissen. Und je mehr du beteuerst, nicht lesbisch zu sein, desto mehr wirst du wirken, als ob du lügst oder die Wahrheit verdrängst.«

»Aber das tue ich nicht!«

»Das spielt keine Rolle«, sagte Lauren. »Wir wissen beide, dass im Showbusiness nur der Schein zählt.«

Grace ließ sich gegen die Rückenlehne zurückfallen. »Also soll ich gar nichts tun? Ich kann mir im Moment keine Negativschlagzeilen leisten. Mein neuer Film hat in zwei Monaten Premiere und er muss unbedingt ein Kassenschlager werden, insbesondere, weil mein letzter Film nicht so viel eingespielt hat, wie sich das Filmstudio erhofft hatte.«

»Worum geht es in dem neuen Film?«, fragte Lauren und wirkte dabei aufrichtig interessiert. »Es ist eine Liebesgeschichte, die in Georgia spielt, richtig?«

»Ja. Ich spiele eine Witwe aus einem kleinen Dorf in Georgia. Ihr Ehemann ist bei einem Unfall auf ihrer Farm tödlich verunglückt und sie hat aufgehört zu glauben, dass das Leben ihr irgendetwas Positives zu bieten hat.« Grace bemerkte, dass der Südstaatenakzent, den sie sich antrainiert hatte, sich bemerkbar machte und versuchte, ihn loszuwerden. »Am Ende des Films findet sie ihren Glauben wieder und einen netten Mann, in den sie sich verliebt.«

Lauren rieb sich das Kinn. »Hm. Ich muss zugeben, das klingt nicht nach einem Film, der davon profitieren würde, wenn die Presse die Hauptdarstellerin outet.«

»Nein«, sagte Grace mit zusammengebissenen Zähnen. »Ganz sicher nicht. Was können wir also tun, um diesen Wahnsinn zu stoppen?«

»Meiner Erfahrung nach könnten zwei Dinge passieren. Erstens«, Lauren streckte den Daumen nach oben, »wird irgendein Promi mit Alkohol am Steuer geschnappt oder es passiert sonst etwas in Hollywood, das die Aufmerksamkeit der Paparazzi erregt. Man wird dich dann einfach vergessen. Oder zweitens…« Lauren hob nun den Zeigefinger.

»Ich hab so das Gefühl, ich werde Option Nummer zwei nicht mögen«, murmelte Grace.

»Zweitens«, wiederholte Lauren. »Wenn die Presse ein verfrühtes Sommerloch hat oder irgendetwas passiert, das die Gerüchte um die lesbische Affäre anheizt …«

Grace schüttelte den Kopf. »Es wird nichts Derartiges passieren, das kann ich dir versichern.«

»Okay, dann lass uns auf Option Nummer eins hoffen.« Laurens Gesichtsausdruck verriet, dass sie sich dennoch auch auf Option zwei vorbereiten würde. Sie sah Grace warnend an. »Von jetzt an leitest du bitte alle Anfragen der Presse an mich weiter. Wenn du mit Reportern sprichst, fass dich kurz. Man darf dich auf keinen Fall dabei ertappen, wie du lügst oder Fragen ausweichst, sonst ist es um deine Glaubwürdigkeit geschehen.«

Grace nickte knapp.

»Halt dich einfach eine Weile aus dem Scheinwerferlicht und den Schlagzeilen heraus«, fuhr Lauren im selben strengen Tonfall fort. »Keine Partys, keinen Alkohol, keine innigen Umarmungen mit Schauspielkolleginnen, die man missverstehen könnte.«

Es ärgerte Grace, dass Lauren wohl glaubte, sie wäre eines dieser oberflächlichen Partygirls. Na und? Es sollte dir egal sein, was sie denkt. Aber sie konnte nicht aus ihrer Haut. Es war ihr nicht egal, was die Leute von ihr hielten. Das war immer so gewesen und würde sich vermutlich nie ändern. Immerhin hing ihr beruflicher Erfolg davon ab, dass ihre Zuschauer sie mochten. »Ich bin ohnehin kein großer Fan davon.«

»Wovon? Von Umarmungen mit anderen Schauspielerinnen?«, fragte Lauren. Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht.

Gegen ihren Willen musste Grace ebenfalls lächeln. Sie entspannte sich ein wenig. »Partys und Alkohol. Gegen Umarmungen habe ich nichts … rein platonisch, versteht sich.«

»Schon klar«, sagte Lauren, nun wieder völlig ernst.

»Das ist also schon alles?«

Lauren nickte. »Ja. Das ist unser Aktionsplan. Wir ersticken das Feuer, indem wir kein Öl hineingießen. Es würde auch nicht schaden, wenn du dich mit deinem stattlichen Ehemann in der Öffentlichkeit zeigen würdest, sofern du es nicht aussehen lässt, als würdest du nur eine Show für die Presse abziehen.«

Das würde viel schwieriger zu bewerkstelligen sein. Ihre Beziehung zu Nick war schon lange nicht mehr leidenschaftlich. Sie mochten sich, aber mehr wie alte Freunde und weniger wie zwei Leute, die immer noch verrückt nacheinander waren. Aber das wollte sie ihrer PR-Beraterin nicht sagen, deshalb nickte sie nur.

Sie erhoben sich und Lauren begleitete sie zur Tür, wo sie einander die Hände schüttelten.

Laurens Händedruck war fest, aber nicht grob. Er gab Grace für einen Moment Halt.

Grace atmete auf, weil sie nun voll und ganz daran glaubte, dass Lauren ihr durch diese Situation hindurchhelfen würde. »Danke.« Sie drückte noch einmal zu, ließ Laurens Hand dann los und ging, um ihre Mutter und George zu holen. Jetzt mussten sie es nur noch aus dem Gebäude und zum Auto schaffen, ohne die Aufmerksamkeit der Fans oder der Presse zu erregen.

 

 

KAPITEL 3

»Abendessen und Tanzen?«, wiederholte Lauren, froh, dass Peyton ihren wenig enthusiastischen Gesichtsausdruck am Telefon nicht sehen konnte.

»Ja. Du weißt schon. Das, was normale Leute am Wochenende machen«, sagte Peyton in einem neckischen Tonfall.

Nachdem sie diese Woche fünf Arbeitsessen, zwei Cocktailpartys und eine Filmpremiere hinter sich gebracht hatte, verspürte Lauren wenig Lust, in ihrer knappen Freizeit auszugehen, aber sie stimmte dennoch zu. Zu blöd, dass für die meisten Frauen Herumhängen auf der Couch in Jogginghosen nicht als Rendezvous zählte.

Eine Stunde später traf sie sich mit Peyton vor dem El Niu, dem beliebten Restaurant, das Peyton vorgeschlagen hatte.

»Hallo.« Peyton küsste sie zur Begrüßung auf den Mund. »Lange nicht gesehen«, sagte sie, als die Kellnerin sie zu ihrem Tisch führte. Ein Hauch von Vorwurf schwang in ihrer Stimme mit.

Lauren unterdrückte ein Seufzen. »Ja, es war eine hektische Woche.«

»Wohl eher ein hektischer Monat«, sagte Peyton.

»Stimmt.« Manchmal fragte sich Lauren, warum sie sich überhaupt mit Frauen traf. Ihre Beziehungen gingen ohnehin nie gut.

Es lag nicht daran, dass sie zu wählerisch war oder unrealistisch hohe Erwartungen hatte. Ihre einzige Grundvoraussetzung war, dass ihre Partnerin nichts mit dem Showbusiness zu tun hatte. Sie wollte eine Freundin, deren einzige Verbindung zur Unterhaltungsindustrie ein Kinobesuch am Samstagabend war.

Als Zahnärztin erfüllte Peyton diese Bedingung. Sie war außerdem hübsch und intelligent, aber Laurens Aufmerksamkeit wurde trotzdem immer wieder abgelenkt, während sie die Speisekarten ansahen und darüber redeten, was sie bestellen würden. Hinter der Speisekarte versteckt, schielte sie heimlich auf ihr Handy, das neben ihr auf dem Tisch lag. Hoffentlich hatte Judy daran gedacht, Bens Facebook- und Twitter-Konten im Auge zu behalten.

Ihr Handy vibrierte, als eine neue SMS eintraf, aber sie ignorierte es tapfer und hörte zu, wie Peyton von ihrer dreitägigen Kreuzfahrt nach Ensenada erzählte.

Als sich der Kellner dem Tisch näherte, um ihre Bestellung aufzunehmen, klingelte Laurens Handy. Sie hatte es nicht ausgeschaltet und Peyton erklärt, dass es nur für den Notfall war. Natürlich konnte ein Notfall für einen ihrer Klienten ebenso gut ein abgebrochener Fingernagel wie eine Leiche im Bett neben ihm sein. Ein kurzer Blick aufs Display verriet, dass Marlene versuchte, sie zu erreichen. »Tut mir leid. Ich muss rangehen. Das ist meine Chefin.«

Peyton nickte mit steinerner Miene.

Lauren fuhr mit dem Finger übers Display, um den Anruf anzunehmen. »Marlene?«

»K-Cee wurde gerade aus einem Hotel in Vegas geworfen«, sagte Marlene, ohne sich mit einem Hallo oder Wie geht’s? aufzuhalten.

»Was hat er diesmal angestellt?«

»Er hat den Concierge geschlagen. Lauren, ich möchte, dass du mit dem Hotelmanager sprichst und ihn überredest, keine Anzeige zu erstatten.«

Lauren umklammerte das Handy fester. »Ich bin wirklich der Meinung, wir sollten K-Cee nicht länger vertreten. Das ist die dritte PR-Katastrophe, die er verursacht hat, seit wir ihn letzten Monat übernommen haben. Egal, wie oft ich mit ihm rede, er will einfach nicht verstehen, dass das alte Sprichwort, die einzig schlechte Publicity sei keine Publicity, spätestens seit seiner zweiten Verhaftung nicht mehr auf ihn zutrifft.«

»Lass uns ein anderes Mal darüber sprechen«, sagte Marlene. »Kümmere dich erst um diese Sache.«

»Na schön.« Es war Marlenes Firma, deshalb stand es ihr zu, die Entscheidungen zu treffen. Lauren hoffte nur, jemand würde K-Cee eine entsprechend hohe Rechnung dafür schicken, dass sie ihm schon wieder den Hintern retten musste – noch dazu an einem Samstagabend. »Ich bin in einer halben Stunde da.« Lauren ließ langsam das Handy sinken, steckte es in die Tasche und begegnete Peytons resigniertem Blick. »Tut mir leid. Ich muss gehen. Einer meiner Klienten steckt in Schwierigkeiten. Lass uns doch nächste Woche mal Essen gehen. Bis dahin sollte sich die Lage beruhigt haben.«

Peyton faltete ihre Serviette und legte sie auf den Tisch. »Lieber nicht. Bis dahin musst du dich sicher um einen anderen Notfall kümmern.«

Lauren konnte es nicht einmal abstreiten. Auch ihre zweite Verabredung hatte sie in letzter Minute absagen müssen, weil ihr die Arbeit dazwischengekommen war. Sie musste zugeben, dass der Job bei ihr immer die erste Geige spielte.

»Es war nett mit dir, aber ich stehe nicht auf Dreiecksbeziehungen.«

Lauren, die eben dabei war, sich aus dem Stuhl zu erheben, erstarrte. Dreiecksbeziehungen? Wie zum Teufel meinte Peyton das?

Peyton zeigte auf die Stelle auf dem Tisch, an der eben noch Laurens Handy gelegen hatte. »Du, ich und dein Handy.«

Autsch. Lauren verzog das Gesicht, versuchte aber nicht, sich zu verteidigen. Sie umrundete den Tisch und nahm Peytons Hand. »Tut mir leid«, sagte sie aufrichtig. »Lass mich wenigstens das Essen bezahlen, damit du hierbleiben und den Rest des Abends genießen kannst.«

»Ist schon okay«, sagte Peyton, nun etwas freundlicher. Sie erhob sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Lauren.

Es war ein Abschiedskuss nicht nur für heute Abend.

Als Lauren zum Auto eilte, fühlte sie sich wie eine Niete. Sie betrieb tagtäglich Schadensbegrenzung für Prominente, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr Job ihrem Privatleben schadete.

* * *

Der Kellner kam auf ihren Tisch zu. »Guten Abend, meine Damen. Mein Name ist Mark. Ich werde heute Abend Ihr …« Seine Augen weiteten sich, als er in Grace’ Richtung blickte, und er stoppte mitten im Satz. »Äh, Sie sind …«

Längst daran gewöhnt, lächelte Grace und sagte: »Guten Abend.«

»Kann ich Ihnen schon einmal etwas zu trinken bringen, während Sie die Speisekarte ansehen?«, fragte Mark, als er sich von der Überraschung erholt hatte. »Wir haben vorzügliche Weine.«

»Für mich bitte ein Glas Pinot Grigio«, sagte Katherine.

»Kommt sofort, Ma’am.« Der Kellner sah Grace fragend an.

Grace hielt ein Seufzen zurück. An Tagen wie diesem war sie versucht, wie früher ein Glas Champagner zu bestellen. Aber so wie jeden Tag während der vergangenen dreizehn Jahre schüttelte sie den Kopf. »Für mich nur ein Wasser bitte.«

»Gerne.« Nach einer angedeuteten Verbeugung ging er davon und kehrte innerhalb kürzester Zeit mit ihren Getränken zurück. Er begann, die Gerichte auf der Tageskarte aufzuzählen, aber Grace’ Mutter stoppte ihn mit einem Kopfschütteln.

»Wir warten noch auf meinen Schwiegersohn«, sagte Katherine. Sie genoss es offensichtlich, Nick als ihren Schwiegersohn zu bezeichnen, solange sie das noch konnte. »Wir warten mit dem Bestellen, bis er hier ist.«

»Natürlich. Lassen Sie mich wissen, wenn Sie irgendetwas brauchen.« Nach einem letzten Blick auf Grace ging der Kellner davon.

Selbst als sie beide ihre Gläser ausgetrunken hatten, gab es von Nick noch immer keine Spur. Grace begann langsam daran zu zweifeln, dass er überhaupt noch kommen würde.

»Wo Nick nur bleibt?«, fragte ihre Mutter.

»Keine Ahnung. Vielleicht steckt er im Stau.« Sie biss sich auf die Unterlippe, als sie merkte, dass sie in alte Gewohnheiten zurückfiel und Ausreden für ihn lieferte.

Ihr Handy vibrierte in ihrer Handtasche. Als sie nachsah, fand sie eine SMS von Nick.

 

Tut mir leid. Kann nicht kommen. Rooney hat uns die verdammte Szene fünfzig Mal wiederholen lassen. Jetzt bin ich k. o.

 

»Nick kann nicht kommen«, sagte sie ihrer Mutter. »Er ist am Set aufgehalten worden.«

Während ihre Mutter ihr einen Vortrag darüber hielt, dass keiner von ihnen sich genügend um ihre Ehe bemühte, schüttelte Grace den Kopf über sich selbst. Geschieht dir recht. Normalerweise war sie nicht so berechnend, aber nachdem ihre neue PR-Beraterin vorgeschlagen hatte, sie solle sich mit ihrem Ehemann in der Öffentlichkeit zeigen, hatte sie sich von ihrer Mutter überreden lassen, sich hier mit Nick zu treffen, weil die Kellner dafür bekannt waren, die Paparazzi anzurufen, wenn ein Promi im Restaurant auftauchte. Jetzt konnte man sie dabei fotografieren, wie sie hier mit ihrer Mutter saß.

Ihre Mutter stoppte mitten in ihrer Predigt und starrte auf etwas am anderen Ende des Raums. »Ist das nicht deine neue PR-Beraterin?«

Grace drehte den Kopf. Von ihrem Tisch in der Ecke aus ließ sie ihren Blick diskret durch den Raum schweifen.

Die meisten anderen Gäste waren Pärchen, die händchenhaltend an ihren Tischen saßen, während die Kerzen flackernde Schatten auf ihre verzückten Gesichter warfen. Grace erkannte niemanden. »Wo?«

»Da.« Ihre Mutter tat, als rückte sie ihre Frisur zurecht, und zeigte dabei zu einem Tisch.

Grace sah in die Richtung. »Ja«, sagte sie. »Ich glaube, das ist sie.«

An einem der Tische für zwei saß Lauren mit einer anderen Frau und teilte eine Flasche Wein. Genauer gesagt: Die Frau schüttete den Wein in sich hinein, während Lauren am Handy hing. Vermutlich eine Berufskrankheit. Gerade als Grace den Blick abwenden wollte, erhob sich Lauren und kam um den Tisch herum. Sie nahm die Hand ihrer Begleitung und küsste sie auf den Mund. Der Kuss hielt ein wenig zu lange an, um nur eine Geste zwischen Freunden zu sein.

Was zum…? Sie ist lesbisch? Grace wirbelte zu ihrer Mutter herum. »Hast du das gewusst, als du sie engagiert hast?«

Katherine umklammerte die Tischkante mit beiden Händen und wirkte, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Offenbar war sie genauso ahnungslos gewesen wie Grace. »Oh mein Gott«, flüsterte sie. »Was zum Teufel hat George sich dabei gedacht, eine Lesbe für deine PR zu engagieren?«

»Ich habe keine Ahnung«, murmelte Grace. Sie beobachtete noch immer Lauren, die sich jetzt umdrehte und zum Ausgang eilte.

»Ruf ihn an!«

»Jetzt? Es ist schon fast neun.«

»Ruf ihn an«, wiederholte ihre Mutter. »Das kann nicht bis morgen warten.«

Grace zog ihr Handy wieder aus der Handtasche. Sie zögerte kurz, bevor sie das Symbol mit Georges Bild darauf drückte. »Hallo, George«, sagte sie, als er abnahm. »Tut mir leid, dass ich dich so spät noch störe, aber … wusstest du, dass Lauren Pearce lesbisch ist?«

George schwieg einige Sekunden lang, bevor er sagte: »Ja, das wusste ich. Warum ist das wichtig?«

Grace war nicht sicher, ob es wichtig war, aber irgendwie fühlte es sich so an. »Ich weiß nicht, aber ich hätte es gerne gewusst, bevor ich sie engagiere.«

»Dann hättest du sie also nicht engagiert, wenn du es gewusst hättest?«, fragte George verwundert.

Grace musste sich eingestehen, dass sie die Antwort auf diese Frage nicht kannte. »Vermutlich hätte ich sie trotzdem engagiert, aber …«

Ihre Mutter gestikulierte, damit Grace ihr das Handy gab, aber Grace tat, als hätte sie es nicht gesehen. Wenn sie ihre Mutter mit George reden ließ, würde sie ihn nur anschreien und das hatte George nicht verdient.

»Ms. Pearce ist mir von mehreren Personen empfohlen worden«, sagte George. »Jeder, mit dem ich gesprochen habe, hatte nur gute Dinge über sie zu berichten. In den letzten Jahren hat sie sich den Ruf erworben, die PR-Beraterin für Prominente zu sein, die sich outen wollen. Für solche Dinge ist sie die Beste im Geschäft.«

»Das mag sein, aber hier geht es nicht um solche Dinge! Ich bin nicht lesbisch.« Grace merkte, dass sie lauter als beabsichtigt gesprochen hatte, und senkte rasch die Stimme. Sie blickte nach links und rechts. Zum Glück schien niemand ihrem Tisch in der Ecke viel Aufmerksamkeit zu schenken. »Meine PR-Beraterin vertritt mich in der Öffentlichkeit. Ich versuche, die Menschen davon zu überzeugen, dass ich heterosexuell bin, glaubst du also wirklich, es ist eine gute Idee, wenn ich so eng mit einer homosexuellen Person zusammenarbeite?«

George schwieg einen Moment lang. »Das tust du bereits«, sagte er leise und atmete hörbar ein. »Ich bin schwul, Grace.«

In der plötzlichen Stille klangen die Hintergrundgeräusche im Restaurant erstaunlich laut. »Ich weiß«, sagte Grace schließlich genauso leise.

»Du…du hast das gewusst?«, stotterte George. »Du hast nie etwas gesagt.«

»Ich war mir nicht sicher.« Nichts an George machte es offensichtlich, dass er schwul war, aber Grace hatte ihr ganzes Leben im Showbusiness verbracht und hatte ein Gespür dafür entwickelt. Scheinbar übertrug sich diese Fähigkeit jedoch nicht auf das Erkennen lesbischer Frauen. Sie hatte nicht einmal für eine Sekunde in Betracht gezogen, Lauren könnte lesbisch sein. »Und es hat einfach keine Rolle gespielt.« Grace blickte zu ihrer Mutter, die ungeduldig wartete. »Hör zu, George, es geht mir nicht um Ms. Pearce’ sexuelle Orientierung. Es könnte mir nicht gleichgültiger sein, mit wem sie schläft oder nicht schläft. Ich will nur nicht, dass die Leute glauben, ich würde mein Coming-out vorbereiten.«

George seufzte. »Soll ich jemand anderen engagieren?«

Grace zögerte.

»Was sagt er?«, fragte ihre Mutter.

»Er fragt, ob er jemand anderen engagieren soll.«

»Ja«, sagte ihre Mutter sofort. »Sag ihm, er soll sie feuern und jemand anderen einstellen. Es muss doch genügend kompetente heterosexuelle PR-Spezialisten in dieser Stadt geben.«

Grace knabberte an ihrer Unterlippe, bis der tadelnde Blick ihrer Mutter sie innehalten ließ.

»Grace?«, fragte George. »Bist du noch dran?«

»Ja.«

»Soll ich …?«

Grace traf eine spontane Entscheidung und hörte zur Abwechslung auf ihr Bauchgefühl statt auf ihre Mutter. »Nein«, sagte sie. »Tut mir leid, dass ich dich damit belästigt habe. Bis bald.« Sie legte auf.

Ihre Mutter starrte sie an. »Wieso hast du ihm nicht gesagt, er soll sie feuern?«

Langsam steckte Grace das Handy weg und sah ihrer Mutter in die Augen. »Weil es nicht richtig ist, jemanden nur wegen seiner sexuellen Orientierung zu feuern.«

Einen Augenblick lang dachte sie, ihre Mutter würde anfangen zu zetern, aber Katherine seufzte nur. »Das hast du von deinem Vater. Er war auch viel zu weich, um es im Showbusiness zu etwas zu bringen. Zum Glück hast du mich, sonst würden dich die Leute ausnutzen.« Sie erhob sich und bedeutete Grace, ein paar Geldscheine auf den Tisch zu legen. »Lass uns gehen.«

 

 

KAPITEL 4

Lauren hatte ohne Pause durchgearbeitet, seit sie kurz nach acht mit einem Kaffee bewaffnet ins Büro gekommen war. Sie hatte sich in die HootSuite-App eingeloggt sowie unzählige Blogs, Webseiten, Zeitschriften und Zeitungen durchgesehen. Als sie sichergestellt hatte, dass keiner ihrer Klienten über Nacht in Schwierigkeiten geraten war, beantwortete sie E-Mails und Anrufe.

Jetzt klickte sie zwischen einer Pressemitteilung, die einer der Praktikanten geschrieben hatte und die sie nun überarbeiten musste, der Twitter-Strategie für einen der Sportler, den sie betreute, und der E-Mail-Marketingkampagne für Grace Durands neuen Film hin und her.

»Lauren?«

Sie sah von ihrem Monitor auf.