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Fake Dating? Kein Problem – bis echte Gefühle ins Spiel kommen. Schon seit ihrer Kindheit stellen die albernen Streiche ihres Bruders Annies Geduld auf eine harte Probe. Jakes neuester Streich bringt das Fass endgültig zum Überlaufen. Er hat sie zu einem Blind Date mit Drew Corbin überredet – und dabei "vergessen" seiner heterosexuellen Schwester zu sagen, dass Drew eine Frau ist. Annie und Drew hecken einen Rachefeldzug aus und tun so, als hätten sie sich Hals über Kopf ineinander verliebt. Auf den ersten Blick haben die beiden nichts gemeinsam. Enttäuscht von ihrem bisherigen Liebesleben konzentriert sich Annie auf ihre Katze und ihre Karriere als Buchhalterin, während die selbstbewusste Drew ihre Zeit am liebsten mit ihrem Hund und der Arbeit in ihren geliebten Weinbergen verbringt. Anfänglich eint sie nur der Wunsch, Jake endlich einen Denkzettel zu verpassen. Aber was als Streich beginnt, stellt rasch Annies und Drews Leben auf den Kopf. Die Grenze zwischen Lüge und Wirklichkeit verschwimmt immer mehr.
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Seitenzahl: 510
Veröffentlichungsjahr: 2014
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DANKSAGUNG
Ein herzliches Dankeschön an meine Testleserin und Autorenkollegin Alison Grey, die mir mit großer Geduld zur Seite stand. Ich möchte mich außerdem bei Jessica, Kerstin, Susanne und Devin Sumarno fürs Korrekturlesen bedanken.
WIDMUNG
Für Melanie. Danke, dass du mir geholfen hast, Annie besser kennenzulernen.
KAPITEL 1
Annie steckte bis zum Hals in Bilanzen und Umsatzsteuererklärungen. Als das Telefon klingelte, biss sie beinahe den Radierer am Ende ihres Bleistifts ab.
Das Klingeln hallte durch das ansonsten stille Büro. Alle übrigen Angestellten waren schon vor Stunden nach Hause gegangen.
Immer noch halbwegs in ihre Unterlagen vertieft, riss sie den Hörer ans Ohr. »Cargill und Jones. Annie Prideaux am Apparat.«
»Annie, du musst sofort kommen!« Ihr Bruder, Jake, klang völlig außer Atem.
Sie legte den Bleistift beiseite. »Du bist gut. Ich bin noch bei der Arbeit und kann nicht einfach …«
»Bitte«, sagte Jake. »Es ist wirklich dringend. Ich brauche dich hier.«
Annies Herz begann, wild zu schlagen. Das letzte Mal, als er so verzweifelt geklungen hatte, hatte er gerade das Auto ihres Vaters zu Schrott gefahren. Sie fuhr den Computer herunter und schloss ihre Notizen im Schreibtisch ein. »Was ist passiert?«, fragte sie. »Bist du verletzt oder in Schwierigkeiten? Hast du …?«
»Bitte komm einfach, so schnell du kannst.«
»Wo bist du?«
»Zu Hause.«
»Bin schon unterwegs.« Annie legte auf, schnappte sich ihre Schlüssel und rannte zu ihrem Auto. Zum ersten Mal in ihrem Leben hielt sie sich nicht an die zulässige Höchstgeschwindigkeit, sondern gab Gas, um möglichst schnell zu Jake zu gelangen. Vor seinem Haus kam sie mit quietschenden Reifen zum Stehen und sprang aus dem Wagen.
Das Haus brannte nicht. Es befand sich auch kein Notarztwagen in der Auffahrt. Stattdessen waren einige Sportwagen und Jeeps vor dem Haus geparkt.
Annie war sich nicht sicher, ob das ein gutes Zeichen war oder ob etwas Schreckliches sie erwartete. Das Blut rauschte in ihren Ohren, als sie zur Haustür rannte. Sie drückte mehrmals nacheinander die Klingel und hoffte, dass es Jake gut genug ging, um die Tür zu öffnen, denn der Ersatzschlüssel lag in ihrer Wohnung.
Als die Tür geöffnet wurde, erstarrte sie.
Rob stand vor ihr, mit zwei vollbusigen Frauen, die sich an seinen muskulösen Armen festklammerten. Musik und Gelächter drangen aus dem Haus.
»R-Rob?« Annie starrte den besten Freund und Geschäftspartner ihres Bruders an. »Wo ist Jake?«
Rob ließ eine der Frauen los und deutete über seine Schulter. »Im Wohnzimmer.« Er trat vor und schlang einen Arm um Annie. »Komm rein und feier mit uns. Jake hat eine Menge Jungs eingeladen, die dich gerne kennenlernen möchten.«
Feiern? Annie schüttelte Robs Arm ab. Jake hat mich reingelegt. Schon wieder. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, diesmal aus Wut – Wut nicht nur auf Jake, sondern auch auf sich selbst. Ich hätte es wissen müssen. Als er sie das letzte Mal reingelegt hatte, hatte sie sich geschworen, nie wieder auf einen von Jakes Streichen hereinzufallen. Aber wie hätte sie auch ahnen können, dass er so tief sinken und einen Notfall vortäuschen würde, der sie zu Tode ängstigte? Sie wirbelte herum, um zurück zu ihrem Auto zu marschieren.
»Hey! Wo willst du hin?«, rief Rob und hielt sie am Arm fest.
Nur jahrelanges Training in Selbstkontrolle hielt Annie davon ab, ihn zu ohrfeigen. »Nach Hause.«
»Ach, komm schon, du kannst noch nicht nach Hause gehen. Du musst mit uns feiern.« Rob zog sie herum und bedachte sie mit einem charmanten Lächeln. »Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass ich den Mount Everest bezwinge.«
Annie biss sich auf die Lippe. Jetzt erinnerte sie sich wieder daran, dass Jake sie vor ein paar Wochen zu Robs Party eingeladen hatte. Sie hatte abgelehnt, wohl wissend, dass sie sich unter all den Bergsteigern, Sportskanonen und Adrenalinjunkies wie ein Esel unter Rennpferden fühlen würde. Aber für Jake war ein Nein nie ein Nein, sondern lediglich ein Anlass, sein Ziel auf kreativere Weise zu erreichen.
»Gratuliere«, sagte sie. Immerhin konnte Rob nichts für Jakes Verhalten. »Aber eure Feier muss ohne mich auskommen.«
»Bei dir könnte ein Mann schon ’nen Minderwertigkeitskomplex kriegen«, sagte Rob. »Wieso bist du überhaupt vorbeigekommen, wenn du nicht mal mit mir anstoßen willst?«
Annie unterdrückte ein Schnauben. Keiner von Jakes Freunden hatte je an einem Minderwertigkeitskomplex gelitten. »Das hat nichts mit dir zu tun. Jake hat ...« Sie verstummte. Wenn sie Rob erzählte, wie Jake sie zur Party gelockt hatte, würde sie sich nur noch mehr blamieren. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und öffnete die Augen wieder, bevor sie Rob zunickte. »Okay. Ich stoße mit dir an, aber dann geh ich nach Hause.«
Sie bereute ihre Entscheidung schon, als sie das Wohnzimmer betrat. Das Kreischen von E-Gitarren und der ohrenbetäubende Lärm eines Schlagzeugs machten jede Unterhaltung unmöglich. Aber Jakes Gäste waren ohnehin nicht gekommen, um sich zu unterhalten. Die meisten von ihnen waren damit beschäftigt, zu trinken und im Takt der Musik herumzuzappeln.
Die beiden Frauen neben Rob zogen ihn zur improvisierten Tanzfläche. Er folgte ihnen rückwärtsgehend, sodass er Annie immer noch ansah. Mit einem breiten Grinsen sagte er: »Die Pflicht ruft. Hol dir was zu trinken und stoß auf meinen Erfolg an. Dein Bruder hat die Getränke bezahlt.« Er drehte sich um, bevor Annie antworten konnte.
Das war typisch Rob. Er und Jakes andere Freunde versprühten genug Charme, um eine Nonne zu verführen, aber es dauerte nie lange, bis sie ihre Aufmerksamkeit anderen Damen zuwandten. Die Frauen auf Jakes Party waren nicht viel besser.
Nur Deko am Arm irgendeines Kerls. Was für eine Verschwendung. Annie schüttelte den Kopf und sah sich um. Sie kniff die Augen zusammen, als sie Jake entdeckte. Er thronte auf seiner Designercouch und beeindruckte ein Rudel Frauen mit seinen Geschichten.
Vielleicht sogar Geschichten darüber, wie er seine doofe Schwester reingelegt hatte.
Annie biss die Zähne zusammen. Am liebsten wäre sie auf ihn zugestürmt und hätte ihm die Meinung gesagt, aber sie wollte vor all seinen Freunden und Angestellten kein Aufsehen erregen. Außerdem würde er, wenn sie ihn anschrie, wissen, wie tief er sie getroffen hatte, und diese Genugtuung wollte sie ihm auf keinen Fall geben. Sie drehte sich von ihm weg und ging hinüber zur Bar, die Jake aufgebaut hatte. Ein Glas Wein, dann würde sie gehen.
Die Bar war übersät von leeren Gläsern, zerknüllten Servietten und benutzten Tellern. Offenbar war die Party schon seit einer ganzen Weile im Gange und das Cateringpersonal hatte Mühe, mit Jakes trinkfreudigen Gästen mitzuhalten.
Automatisch nahm Annie ein leeres Tablett und begann, Gläser einzusammeln. Dann bremste sie sich. Warum räumst du ihm jetzt auch noch hinterher, nach allem, was er sich schon wieder geleistet hat? Aber wenn sie aufräumte, konnte sie zumindest der Party entkommen und ein Zusammentreffen mit Jake vermeiden. Sie würde in der Küche ein Glas Wein trinken, so wie sie es Rob versprochen hatte, und dann durch die Hintertür flüchten.
Drew lehnte sich gegen die Wand, ein Glas Rotwein in der Hand, und beobachtete die anderen Gäste in Jakes riesigem Wohnzimmer.
Der wuchtige Couchtisch, der sich zum Billardtisch umbauen ließ, war beiseite gerückt worden, damit ein paar Gäste Flaschendrehen spielen konnten. Ein kräftiger, blonder Mann, dessen Namen sie nicht kannte, war damit beschäftigt, die Haare seiner Freundin mit kleinen Cocktailschirmchen zu verzieren. Ein anderer Mann schlüpfte aus seinem T-Shirt, um mit den Narben auf seiner Brust zu prahlen. Ein paar andere Gäste ermutigten ihre Freunde mit lauten Jubelrufen zum Wetttrinken. Kaum jemand beachtete die Fotos vom Mount Everest, die auf Jakes großem Flachbildschirm in Dauerschleife liefen.
Drew schüttelte den Kopf. Die sollten schleunigst erwachsen werden. So hirnlos hab ich mich seit dem College nicht mehr aufgeführt. Jake und seine Freunde hatten sich seit damals kein bisschen verändert und jetzt stellte Drew fest, dass sie nichts mehr mit ihnen gemeinsam hatte. Wenn sie versuchen würde, beim Trinken mit ihnen mitzuhalten, würde sie umkippen.
Schätze, ich werde alt. Sie lächelte reumütig. Na, komm schon. Trink aus, sag kurz Hallo zu Jake und mach, dass du hier rauskommst. Sie nahm einen großen Schluck Rotwein. Igitt. Was ist das denn, Wein oder Essig? Sie spuckte den Wein zurück ins Glas und schüttelte sich. Hast du mal wieder den billigen Fusel gekauft, Jake? Sie reckte den Hals, um nach einem Angestellten der Cateringfirma Ausschau zu halten. Ah, da drüben.
Eine Frau in schwarzer Hose und weißer Bluse sammelte leere und halb volle Gläser von der Bar ein.
Drew ging auf sie zu, um das Gesöff, das sich Wein nannte, loszuwerden. Als die Frau sich mit einem vollen Tablett umdrehte, blieb Drew stehen. Oh, wow. Die ist ja süß. Ihren Blick immer noch auf die Frau gerichtet, näherte Drew sich ihr.
Die Fremde war keine der umwerfenden Schönheiten, zu denen sich Drew normalerweise hingezogen fühlte, aber irgendetwas an ihr hatte doch ihre Aufmerksamkeit erregt. Vielleicht war es die seltsame Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit in den Gesichtszügen und der Körperhaltung der Frau. Sie bewegte sich wie eine Maus – leise, aber effizient, so als ob sie keinerlei Aufmerksamkeit erregen wollte.
Obwohl sie um einiges größer als Drew war, wirkte sie nicht einschüchternd; dafür war ihr Blick zu scheu. Ihre süße Stupsnase und der sanfte Schwung ihrer Lippen kontrastierten mit ihrem markanten Kinn. Goldenes Haar – genau die Farbe von einem guten Weißwein – umspielte ihre schmalen Schultern. Die Frau ließ das Tablett mit einer Hand los, um sich eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr zu klemmen.
Das Tablett kippte zur Seite.
Drew stellte ihr Glas ab und sprang vorwärts wie ein Ritter in schimmernder Rüstung, um das Tablett und die Jungfrau in Nöten zu retten. Gerade als sie die Hand ausstreckte, bemerkte die Frau, was gleich passieren würde, und riss das Tablett hoch.
Es war zu spät, um noch abzubremsen. Drew prallte gegen das Tablett. Ein halb volles Glas segelte durch die Luft.
Kalte Flüssigkeit durchtränkte Drews Bluse. Reflexartig fing sie das nun leere Glas auf, bevor es am Boden zerschellen konnte.
Die Frau vor ihr erstarrte. Große, grüne Augen starrten durch eine Hornbrille auf sie herab.
Drew bemerkte, dass ihre Jungfrau in Nöten mindestens zehn Zentimeter größer war als sie mit ihren eins achtundsechzig.
»Oh, Gott! Tut mir schrecklich leid.« Mit zitternden Fingern balancierte die Frau das Tablett in einer Hand und griff nach einer Serviette.
Einen Moment lang stellte sich Drew vor, wie die Frau sie berührte und ihre durchnässte Bluse betupfte. Stattdessen drückte sie ihr nur die Serviette in die Hand. Drew versuchte, die größten Flecken einzudämmen, merkte aber schnell, dass es sinnlos war. Schätze, jetzt bin ich mehr ein Ritter in weinbekleckerter Rüstung.
»Haben Sie sich was getan?«, fragte die Frau.
»Alles bestens. Nichts passiert.« Drew wischte sich ein paar Tropfen Rotwein vom Kinn. »Na ja, fast nichts.«
Röte stieg der jungen Frau in die Wangen. »Ich zahle natürlich die Reinigung.«
Drew lächelte. Wie süß. Sie konnte sich nicht daran erinnern, je gesehen zu haben, wie eine ihrer weltgewandten, selbstsicheren Freundinnen errötete. Es verlieh den ernsten Gesichtszügen der Fremden eine unerwartete Verletzlichkeit. »Machen Sie sich keinen Kopf.«
Gelächter von den anderen Gästen ließ Drew aufsehen.
Einige von Jakes Freunden machten sich gegenseitig auf Drews fleckenübersäte Bluse aufmerksam und schienen das Missgeschick umwerfend komisch zu finden.
Die Wangen der Frau wechselten von Zartrosa zu Dunkelpink.
Der Beschützerinstinkt, der plötzlich in Drew aufkam, überraschte sie. Sie sah den lautesten Spöttern in die Augen. »Was gibt’s da zu lachen?« Sie zupfte an ihrer nassen Bluse und grinste. »Habt ihr noch nie eine Rotweinflecken-Bluse gesehen? Das ist jetzt voll in Mode.«
Einige der Gäste lachten und wandten sich wieder ihrer Unterhaltung zu.
»Ihre Bluse sieht teuer aus«, sagte die Blondine. »Ich werde sie Ihnen ersetzen.«
»Nein, das ist nicht nötig. Ich bin diejenige, die mit dem Tablett zusammengeprallt ist, wenn sich also jemand entschuldigen muss, bin ich das. Ich hab gesehen, wie die Gläser ins Rutschen kamen, und dachte, ich könnte helfen, aber stattdessen hab ich Sie vermutlich zu Tode erschreckt, als ich Sie fast umgerannt habe.« Als sie nach Luft schnappen musste, wurde ihr bewusst, dass sie ohne Punkt und Komma gesprochen hatte. »Tut mir wirklich leid. Vielleicht könnte ich Sie als Wiedergutmachung mal zum Kaffee einladen.« Sie hatte schon viele Frauen um eine Verabredung gebeten und war dabei immer cool geblieben, aber jetzt druckste sie herum wie ein Teenager.
Die Frau betrachtete sie. Drew sah die Verwirrung in den Augen, die aus dieser Distanz so grün wirkten wie Weinlaub im Frühling. Dann runzelte die Frau die Stirn und schüttelte den Kopf. »Lieber nicht. Bei meinem Talent kriegen Sie sonst auch noch ein heißes Getränk ab.«
Als die Frau sich anschickte, an ihr vorbeizugehen, verstellte Drew ihr eilig den Weg. Sie wollte noch nicht aufgeben. »Das Risiko bin ich bereit einzugehen. Also, gehen Sie mit mir einen Kaffee trinken?«
»Das ist nett von Ihnen, aber nicht nötig. Es war nur ein Versehen und jetzt muss ich wirklich los.« Die Frau drehte den Arm, um auf die Uhr zu sehen. Das Tablett kippte erneut zur Seite.
Ohne auf weiteren Schaden für ihre Klamotten zu achten, griff Drew nach dem Tablett. Ihre Finger berührten die der Fremden, Drews gebräunte Hände in scharfem Kontrast zur elfenbeinfarbenen Haut der Fremden.
»Entschuldigung.« Erneut färbten sich die Wangen der Frau rot. »Sonst bin ich kein solcher Tollpatsch.«
»Das macht doch nichts.« Drew ließ das Tablett los, aber nicht, ohne vorher mit dem Zeigefinger die Hand der anderen zu berühren. »Ich finde das charmant«, sagte sie und zwinkerte.
Die Fremde hob eine Augenbraue, erwiderte Drews Flirtblick aber nicht.
Mist. Sie ist hetero. Drew unterdrückte ein Seufzen.
»Ich muss jetzt wirklich gehen. Ich kann mich nur noch mal entschuldigen. Vielleicht können Sie eines von Jakes Hemden leihen, damit Sie nicht für den Rest des Abends so herumlaufen müssen.«
Sie kennt Jake persönlich? Einen Augenblick lang fragte sich Drew, ob die Blondine eine von Jakes vielen Eroberungen war, aber dann schüttelte sie den Kopf. Mit ihrer Hornbrille, dem markanten Kinn und dem fehlenden Make-up war sie einfach nicht Jakes Typ.
Drew sah hinab auf die nasse Bluse, die an ihren vollen Brüsten klebte. »Ich fürchte, Jake und ich haben nicht ganz dieselbe Größe.«
Die Frau errötete erneut und Drew ertappte sie dabei, wie sie auf ihre Brüste starrte.
Vielleicht ist sie nicht so hetero, wie ich dachte. Drew grinste. »Ist schon okay. Ich wollte ohnehin gerade Jake begrüßen und dann nach Hause gehen.« Sie nickte hinab auf das Tablett. »Brauchen Sie Hilfe?«
»Nein, danke, das schaffe ich schon alleine.«
»Na gut.« Drew gingen langsam die Gründe aus, das Gespräch noch ein wenig in die Länge zu ziehen, deshalb gab sie den Weg frei.
Ihre Jungfrau in Nöten verabschiedete sich und ging davon.
Drew stand da und beobachtete das sanfte Schwingen ihrer Hüften. Nett. Mit zwei Fingern zog sie den nassen Blusenstoff weg von ihrer Haut, warf einen letzten Blick in Richtung der Fremden und machte sich dann auf die Suche nach Jake.
»Was zur Hölle ist denn mit dir passiert?«, fragte Jake, als sie ihn endlich fand. »Da geh ich mal eben kurz zur Toilette und als ich wiederkomme, siehst du aus wie ein Mordopfer.«
Drew sah hinab auf ihre weingetränkte Bluse und zuckte mit den Schultern. »Ich hab eine Frau kennengelernt.«
Ein neckisches Lächeln huschte über Jakes Lippen. »Warten die Damen nicht normalerweise bis nach dem Dessert, ehe sie dir ihr Getränk ins Gesicht schütten?«
»Damen? Es war nur eine einzige Frau, die mir je ihr Getränk ins Gesicht geschüttet hat. Und das ist schon eine Ewigkeit her.«
»Du hattest es verdient. Mann, warst du damals eine Draufgängerin!«
Nicht schon wieder die alten Kamellen! Gut, sie hatte sich während des Studiums mit ziemlich vielen Frauen verabredet, aber sie hatte diesen Teil ihres Lebens hinter sich gelassen, als sie das Weingut ihrer Familie übernommen hatte. »Das war an der Uni und damals hast du innerhalb von einer Woche mit mehr Frauen geschlafen als ich in einem ganzen Semester!«
»Ach ja, die guten alten Zeiten.« Jake seufzte verträumt. »Was hast du denn die letzten Wochen so getrieben? Ich hab dich seit unserer AIDS-Benefizveranstaltung im Fitnessstudio nicht mehr gesehen. Und das ist schon zwei Monate her.«
»Drei«, sagte Drew. »Wir sind gestern erst mit der Ernte fertig geworden. Ich hab jeden Tag im Weinberg verbracht, seit wir angefangen haben, im August die Perlweintrauben zu ernten.« Sie rieb sich die Augen. Die letzten Wochen waren erschöpfend gewesen, gaben ihr aber auch das gute Gefühl, etwas geschafft zu haben. Sie hoffte, dass ihre Eltern stolz auf sie gewesen wären.
»Immer nur Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit.« Jake wedelte mahnend mit dem Zeigefinger. »So langsam erinnerst du mich echt an meine Schwester.«
Als sie zusammen studiert hatten, hatte Drew ständig Geschichten über Jakes Schwester gehört – oder vielmehr über all die Streiche, die Jake ihr als Kind gespielt hatte. Bisher hatte sie Annie aber nie kennengelernt. »Wirst du mich deiner mysteriösen Schwester je vorstellen?«
»Das hätte ich schon vor Jahren gemacht, aber es ist leichter, eine Audienz beim Papst zu kriegen, als Annie dazu zu bringen, zu einer meiner Partys zu kommen.«
Eine Frau mit Geschmack. Drew verkniff sich ein Grinsen.
»Und du«, Jake gab ihr einen Klaps auf die Schulter, »hattest ja nie Zeit, in den Semesterferien meine Familie kennenzulernen.«
Drew schlug zurück, aber ihre Hand prallte an den drahtigen Muskeln ab, die er als Bergsteiger entwickelt hatte. »Weil ich in den Ferien im Weinberg helfen musste, während du Faulpelz die ganze Zeit nur gefeiert hast.«
»Okay, okay, ich werd dich meiner Schwester vorstellen. Vorhin hab ich gesehen, wie sie mit Rob geredet hat, also muss sie hier noch irgendwo sein.« Jake sah sich um und wandte sich dann wieder Drew zu. »Aber denk dran: Flirten verboten. Sie ist hetero.«
Drew hob beide Hände. »Ich bin nicht an deiner kleinen Schwester interessiert. Ich hab gerade eine Frau am Buffet getroffen. Irgendwie geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich glaube, sie gehört zum Cateringpersonal.«
»Die Brünette mit den mörderisch sexy Beinen?«
»Nein. Sie ist blond und falls ihre Beine dich umbringen, liegt es eher daran, dass sie ein bisschen tollpatschig ist.« Beim Gedanken daran, wie die Frau fast zum zweiten Mal das Tablett hatte fallen lassen, musste Drew lächeln.
Eine tiefe Falte entstand zwischen Jakes Augenbrauen. »Ich glaube nicht, dass ich eine Blondine angeheuert habe.«
»Doch, hast du. Sie kennt deinen Namen.«
»Die einzige tollpatschige Blondine, die ich auf dieser Party kenne, ist ...« Jake lachte. »Ist sie groß, hat grüne Augen und ist so ernst wie ein Steuerprüfer?«
Drew widerstand nur mit Mühe der Versuchung, ihre tollpatschige Jungfrau in Nöten zu verteidigen. »Ja, das könnte sie sein.« Viel zu spät fiel ihr auf, dass sie die Fremde nicht nach ihrem Namen gefragt hatte.
»Ah, diese Blondine meinst du.«
»Du kennst sie also?«, fragte Drew. »Kannst du sie mir vorstellen?«
»Klar, kein Problem.« Ein Geräusch, das fast nach einem Kichern klang, drang aus Jakes Mund.
Jemand sollte ihm mal sagen, dass heterosexuelle Männer nicht kichern. Im Moment war Drew aber nur daran interessiert, mehr über die Fremde herauszufinden. »Sie ist keine deiner Verflossenen, oder?«
Jakes Kichern wurde zu einem gurgelnden Lachen. Er schlug sich auf die Schenkel und verschüttete beinahe sein Bier. »Oh, Gott, nein. Es wäre ziemlich unnatürlich für deine Blondine, wenn sie mich attraktiv fände.«
»Oh, du meinst, sie ist lesbisch?« Als die Fremde ihre Flirtversuche nicht erwidert hatte und sie nicht einmal zu bemerken schien, hatte Drew die Hoffnung schon aufgegeben. »Bist du sicher?«
»Absolut«, sagte Jake, immer noch grinsend.
»Und ist sie Single?«
Jake rollte mit den Augen. »Seit einer halben Ewigkeit.«
Drew konnte ihr Glück kaum fassen. »Hört sich an, als würdest du sie schon seit deiner Sandkastenzeit kennen.«
»Könnte man so sagen.« Jake drehte sich um. »Warte hier. Ich geh sie mal holen.«
Annie schlängelte sich vorsichtig an dem gestressten Cateringpersonal vorbei, um auf dem Weg in die Küche mit niemandem sonst zusammenzustoßen. Einmal war schon peinlich genug. Sie atmete auf, als sie das Tablett auf der Arbeitsfläche in der Küche abstellte. Okay, jetzt aber nichts wie weg hier, bevor Jake …
»Da bist du ja!« Jakes Stimme ließ ihren Fluchtplan zusammenstürzen wie ein Kartenhaus. Als sie sich umdrehte, blickte ihr Bruder aus verengten Augen zu ihr auf. Wie immer wirkte er ein wenig verärgert darüber, dass seine jüngere Schwester größer als er war. »Super Party, oder? Jetzt bist du sicher froh, dass du doch noch gekommen bist.«
Froh? Annie durchbohrte ihn mit einem ungläubigen Blick.
»Was machst du denn da?« Er deutete auf das Tablett. »Dafür bezahl ich doch die Leute vom Cateringservice.«
Annie starrte ihn wütend an. »Du hast mich angerufen und gesagt, du brauchst meine Hilfe, also helfe ich«, sagte sie so ruhig, wie sie konnte. »Wenn du mich je wieder auf diese Weise reinlegst, werde ich …«
»Ach komm schon. Spiel nicht die beleidigte Leberwurst. Nimm’s mit Humor. Wärst du etwa gekommen, wenn ich gesagt hätte, dass wir hier eine Party feiern?«
»Nein«, sagte Annie, »Ich …«
»Siehst du?« Jake schlang einen Arm um sie. »Dann hättest du den ganzen Spaß hier verpasst.«
Annie kämpfte gegen den Drang, ihn beiseite zu schubsen. »Unsere Vorstellungen von Spaß könnten nicht unterschiedlicher sein, das weißt du. Wenn ich zu deiner blöden Party hätte kommen wollen, dann hätte ich zugesagt, als du mich gefragt hast. Du hast mich mit deinem Anruf zu Tode erschreckt, du Idiot!«
»Die Party ist nicht blöd«, sagte Jake.
Gott im Himmel. Annie wollte auf ihn einprügeln. Mit Jake zu diskutieren war, als wollte man mit einem Dreijährigen debattieren. Selbst wenn sie ihn dazu brachte, sich zu entschuldigen, wäre sein Bedauern nicht aufrichtig. Bei der nächstbesten Gelegenheit würde er sich wieder so verhalten. Das bringt alles nichts. »Vergiss es. Ich muss gehen.«
»Jetzt schon? Es ist noch nicht mal neun.«
»Ich treffe mich morgen früh mit einem Klienten.« Annie schüttelte seinen Arm ab. Außerdem wartete zu Hause ein gutes Buch auf sie, aber das würde sie Jake nie sagen. Er hielt ihr Leben auch so schon für langweilig genug.
»Ach, komm schon. Arbeit allein macht auch nicht glücklich.«
Der Spruch wurde langsam alt. »Ständiges Feiern ganz sicher aber auch nicht«, sagte Annie. »Musst du morgen nicht arbeiten?«
Jake wedelte mit der Hand, als wollte er eine nervige Fliege vertreiben. Er spülte den Rest seines Biers herunter und grinste. »Sasha kann morgen die erste Schicht im Fitnessstudio für mich übernehmen. Wozu hat man sonst Angestellte? Komm schon.« Er stupste sie mit dem Ellenbogen an. »Bleib noch ein bisschen. Ich würde dich gerne einem meiner Freunde vorstellen.«
Noch ein Grund mehr, jetzt zu gehen. Jakes Freunde waren allesamt Adrenalinjunkies, die keine anderen Themen kannten als ihre Sportwagen, Partys und die letzte Klettertour. Annie hingegen fuhr ein Elektroauto, hasste Partys und ohne Sicherheitsnetz an einem Felsen zu hängen, war ganz bestimmt nicht das, was sie sich unter einem schönen Urlaub vorstellte. Falls sie zustimmte, Jakes Freund kennenzulernen, wäre sie innerhalb von Sekunden zu Tode gelangweilt.
»Nein, danke.« Sie versuchte, sich an Jake vorbeizudrängen.
Jake streckte den Arm aus und versperrte ihr den Weg. »Ich lass dich nur unter einer Bedingung gehen.«
»Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, das du herumkommandieren kannst.« Annies Stimme wurde lauter.
»Ich dich herumkommandieren?« Jake presste eine Hand auf seine Brust und lachte. »Du hast mir doch ständig gesagt, was ich tun soll, sobald du reden konntest.«
»Das war auch notwendig.« Schon als Kind war Jake ständig in Schwierigkeiten geraten. Sie erinnerte sich noch gut an das Chaos, das Jake als Zwölfjähriger angerichtet hatte, als er bei der Taufe ihres Cousins Tinte ins Weihwasserbecken geschüttet hatte.
Als Jake keine Anstalten machte, seinen Arm wegzubewegen und sie gehen zu lassen, seufzte sie. »Was ist deine Bedingung?«
»Drew möchte eine Verabredung mit dir.« Seine Augen funkelten und seine Lippen zuckten, als versuchte er, ein schelmisches Grinsen zu unterdrücken.
War das schon wieder einer von seinen Streichen? Aber selbst Jake wäre nicht so vermessen, ihr am selben Abend noch einen Streich zu spielen, oder? »Drew?« Den Namen hatte sie schon einmal gehört. War das nicht einer von Jakes Freunden vom College? In jeden Semesterferien war Jake nach Hause gekommen und hatte damit geprahlt, wie er seine Freunde hereingelegt hatte, aber irgendwann hatte Annie aufgehört, zuzuhören. Oder war Drew etwa der seltsame Kerl, den Jake ihr vorgestellt hatte, als sie ihm beim Renovieren seines Hauses geholfen hatte? »Ist das der mit dem MS-Fetisch?«
»Es heißt SM, Schwesterchen.« Jake lachte, als sie rot wurde. »Nein, der mit dem SM-Fetisch ist Dave. Drew hat keine Fetische, soviel ich weiß.«
»Trotzdem«, sagte Annie. »Ich hab dir schon tausend Mal gesagt, dass ich nicht mehr mit einem deiner Freunde ausgehen werde.«
»Aber Drew ist nicht wie meine anderen Freunde.« Seine Lippen zuckten erneut. »Ihr habt eine Menge gemeinsam.«
Sie beäugte ihren Bruder skeptisch, aber er sah jetzt völlig ernst aus. »Na schön, wenn du mich dann in Ruhe lässt, geh ich irgendwann mal mit ihm aus.« Sie winkte und eilte davon. Mit ein wenig Glück würde Jake die ganze Sache morgen schon wieder vergessen haben.
KAPITEL 2
»Sie haben mal wieder Wunder bewirkt, Miss Prideaux«, sagte Mister Alvarez und lächelte Annie über den Schreibtisch hinweg an. »Ich hätte nie gedacht, dass wir uns innerhalb eines Nachmittags durch den Dschungel meines Steuerchaos arbeiten könnten.«
Annie erhob sich und folgte ihrem Klienten zur Tür. »So schlimm war es doch gar nicht.« In Wahrheit war seine Buchhaltung eine einzige Katastrophe, aber er war ein Kunde, deshalb zog sie es vor, diplomatisch zu sein. »Denken Sie in Zukunft daran, das Programm zu benutzen, das ich Ihnen gezeigt habe. Das wird Ihnen helfen, den Überblick über Ihre Einnahmen und Ausgaben zu behalten.«
»Das werde ich.« Mister Alvarez schüttelte ihr die Hand und bewegte sie dabei auf und ab, als wäre sie ein Pumpenschwengel. »Nochmals vielen Dank.« Er ließ endlich ihre Hand los und hüpfte beinahe aus ihrem Büro.
Mit einem amüsierten Kopfschütteln kehrte Annie zu ihrem Schreibtisch zurück. Es war schon halb sechs, ihre Arbeitszeit hatte also vor dreißig Minuten geendet. Meistens war Annie eine der letzten Steuerberaterinnen, die das Büro verließen, aber heute wollte sie einigermaßen pünktlich nach Hause gehen und sich ein wenig verwöhnen. Das Bild eines Schaumbads, des neuesten Tana-French-Romans und eines Glases Merlot spukte durch ihren Kopf.
Sie machte ein paar Notizen in Mister Alvarez’ Akte, speicherte und schloss alle geöffneten Dokumente und wollte gerade ihren Computer herunterfahren, als ein Klopfen an ihrer Bürotür sie aufsehen ließ.
Mister Cargill, einer ihrer Chefs, stand im Türrahmen und balancierte einen großen Stapel Akten. »Haben Sie kurz Zeit?«
Das Bild von Badewanne, Buch und Wein wankte und stürzte in sich zusammen. Annie unterdrückte ein Seufzen. »Selbstverständlich.«
Neonlicht spiegelte sich auf Mister Cargills Glatze, als er seine lange, dünne Gestalt in den Besucherstuhl gleiten ließ und die Akten auf Annies Schreibtisch ablegte. »Sie haben sicher schon gehört, dass wir Paul Dettman als Klienten für unsere Firma gewinnen konnten.«
Annie nickte. Dettman war einer der reichsten Grundbesitzer in der Gegend. Die gesamte Belegschaft von Cargill & Jones hatte seit Tagen über nichts anderes gesprochen.
»Ich möchte, dass Sie das Mandat übernehmen«, sagte Mister Cargill.
Ich? Annie starrte ihren Chef an, hin- und hergerissen zwischen Euphorie und Panik.
»Ich habe vollstes Vertrauen, dass Sie das hinkriegen.«
Annie holte tief Luft. Sie hatte noch nie ein so wichtiges Mandat bearbeitet, aber sie wusste, dass sie es konnte. Auch wenn es mehr Arbeit bedeutete, so war sie doch entschlossen, Mister Cargill zu zeigen, dass sein Vertrauen in sie gerechtfertigt war. »Ja, natürlich. Ich werde Sie und die Firma nicht enttäuschen.«
»Das weiß ich. Sie leisten immer hervorragende Arbeit.« Mister Cargill beugte sich vor und tätschelte ihr großväterlich den Arm. »Mister Dettmans Buchhalter hat seine Unterlagen heute Morgen vorbeigebracht. Wir brauchen so schnell wie möglich einen Überblick über alles, damit wir wissen, womit wir es zu tun haben. Können Sie länger bleiben, um sich in alles einzuarbeiten?«
Annie beäugte den Aktenstapel, den er auf ihrem Schreibtisch abgelegt hatte. Ein paar Stunden würden nicht ausreichen, um das alles zu lesen. Sie seufzte innerlich und fügte Schlaf zu der Liste von Dingen hinzu, die sie heute Nacht nicht bekommen würde. Aber nun, da sie das Projekt einmal übernommen hatte, würde sie in den sauren Apfel beißen und ihr Wort halten. »Selbstverständlich«, sagte sie.
Ein zufriedenes Lächeln machte sich auf Mister Cargills Gesicht breit. »Gut. Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Bitte halten Sie mich auf dem Laufenden und falls Sie irgendwelche Hilfe brauchen, wenden Sie sich an Sarah oder Virgil.«
Annie nickte, wusste aber, dass sie es allein versuchen würde.
Sobald ihr Chef gegangen war, zog sie den Aktenberg zu sich hinüber. Seufzend öffnete sie die erste Akte und begann zu lesen.
»Gehst du eigentlich nie nach Hause?«
Annie zuckte zusammen und hob ruckartig den Kopf. Einen Moment lang verschwamm alles vor ihren Augen und ihr fiel auf, dass sie das Abendessen vergessen hatte.
Langsam nahm die Person im Türrahmen Gestalt an. Ihre Kollegin Sarah betrachtete sie mit missbilligender Miene.
Annie nahm die Brille ab, rieb sich die müden Augen und suchte in ihrer Schreibtischschublade nach einem Schokoriegel. Das musste als Abendessen reichen. »Du bist doch auch noch hier.«
Sarahs rote Locken flogen, als sie den Kopf schüttelte. »Ich bin schon vor zwei Stunden gegangen und nur zurückgekommen, weil ich mein Handy vergessen hatte.« Sie kam näher und ließ sich in den Besucherstuhl fallen. Ihre Füße baumelten über dem Boden wie die eines Erstklässlers, bevor sie den Stuhl tiefer stellte. Sie zupfte am Saum ihres knielangen Rocks, beugte sich vor und fuhr mit einem rotlackierten Fingernagel über die Akten auf Annies Schreibtisch. »Sag nicht, der Chef lässt dich Dettmans Unterlagen bearbeiten?«
Annie gab die Suche nach einem Schokoriegel auf und setzte ihre Brille wieder auf, um ihre Kollegin zu betrachten. Traute ihr Sarah nicht zu, die Aufgabe zu meistern? »Ja, tut er.«
»Mädel, du musst wirklich lernen, Nein zu sagen.«
Annie erstarrte. »Warum?«
»Ach, Annie. Der Chef hat dir das Mandat nicht übergeben, weil du eine unserer besten Steuerberaterinnen bist.« Sarah hob eine ihrer manikürten Hände. »Versteh mich nicht falsch. Du bist die Beste. Jeder weiß das, auch Mister Cargill. Aber er lässt dich das machen, weil du die Einzige bist, die Überstunden schieben und sich den Hintern aufreißen wird, um rechtzeitig fertig zu werden.« Sie blies sich eine rote Haarsträhne aus den Augen und sah Annie an. »Wenn du nicht lernst, dich für dich selbst einzusetzen, wirst du als überarbeitete alte Jungfer enden.«
Annie fummelte an der Kante eines Schnellhefters herum. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht.«
»Ach ja? Du warst gestern nicht im Cardiokurs«, sagte Sarah. »Und ich wette, der Grund war kein heißes Date.«
Natürlich nicht. Sie hatte einfach die Zeit aus den Augen verloren, während sie Belege für einen Klienten kontiert hatte. Als sie einen Blick auf die Uhr geworfen hatte, war der Cardiokurs schon zur Hälfte vorbei gewesen.
Das Klingeln von Annies Handy durchbrach die Stille.
Puh. Das kommt ja genau richtig. Annie wühlte in ihrer Handtasche nach dem Handy und hob es schließlich ans Ohr.
Sarah winkte und deutete zur Tür. Als Annie nickte, stand Sarah auf und ging.
»Annie Prideaux«, sagte Annie in den Hörer.
»Hey, wie geht’s meiner Lieblingsschwester heute?«, drang Jakes vergnügte Stimme aus dem Handy.
Annie runzelte die Stirn. Als er sie zum letzten Mal so begrüßt hatte, hatte sie ihn aus dem Gefängnis holen müssen, weil er auf einer feuchtfröhlichen Party in eine Schlägerei verwickelt worden war. »Na ja«, sagte sie, »das kommt ganz drauf an. Muss ich eine Niere verkaufen, um die Kaution für dich zu hinterlegen?«
Jakes Gelächter dröhnte durchs Telefon. »Keine Kaution. Du kannst deine Niere behalten. Ich rufe an, um dir zu sagen, dass du ein Date hast.«
»Ein Date?«
»Ja. Letzten Samstag auf der Party hast du versprochen, dass du mit Drew ausgehen wirst, schon vergessen?«
Sarahs Worte hallten durch Annies Kopf. Du musst wirklich lernen, Nein zu sagen. »Ich hab im Moment keine Zeit für Verabredungen.«
»Ach, komm schon. Du musst auch mal essen und das kannst du dann genauso gut mit Drew tun.«
Annie zögerte. Sie hatte noch nie ein Versprechen gebrochen. Wenn sie etwas zusagte, dann hielt sie sich auch daran, selbst wenn sie sich noch so sehr dafür verfluchte. Und Jakes etwas abzuschlagen war noch schwerer, als Nein zu ihrem Chef zu sagen. Sie seufzte. Wenn Jake seinen jungenhaften Charme versprühte, vergaß sie all die Streiche, die er ihr gespielt hatte.
»Du tust ja so, als hätte ich dich gebeten, Drew zu heiraten, dabei geht es nur um ein einziges Treffen.«
Annie atmete scharf aus. »Ein Treffen. Und danach wirst du nie wieder versuchen, mich mit einem deiner Freunde zu verkuppeln.«
»Einverstanden«, sagte Jake. »Also, wann und wo willst du Drew treffen?«
»Wie wär’s mit nächstem Jahr?«, murmelte Annie mit einem Blick auf den Aktenberg.
»Was?«
»Ach, nichts.« Annie blätterte durch ihren Kalender. »Wie wäre es mit ...« Sie blätterte erneut um. »... Samstag um sieben? Nein, besser um acht.«
»Klingt gut. Wie wär’s mit dem Fettuccine? Das ist doch dein Lieblingsrestaurant, oder?«
Annie verzog das Gesicht. Kein Mitglied ihrer Familie konnte sich je die Namen ihrer Lieblingsrestaurants merken. »Es ist gut, aber nicht mein Lieblingsrestaurant. Und es heißt Francucci’s.«
»Sag ich doch. Samstag, acht Uhr, Francucci’s.« Ein Stift kratzte über ein Stück Papier, als Jake es aufschrieb. »Drew wird vor Freude ganz aus dem Häuschen sein.«
Na, wenigstens einer von uns. »Jake, ich muss jetzt weiterarbeiten.«
»Arbeiten?«, wiederholte Jake. »Du bist immer noch bei der Arbeit? Mann, Annie, kein Wunder, dass du Single bist. Wie willst du jemals jemanden kennenlernen, wenn du immer nur im Büro sitzt und arbeitest? Ich werde …«
»Du wirst gar nichts.« Annie knirschte mit den Zähnen. Warum konnte er nicht einfach akzeptieren, dass sie auch allein glücklich war? »Eine Verabredung mit diesem Drew, das war unsere Vereinbarung. Wenn du dich nicht dran hältst, erzähle ich Mama, wer den Essig in die Parfümflasche geschüttet hat, die sie Tante Edith letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hat.«
»Äh, eine Verabredung klingt doch gut, Schwesterchen. Arbeite nicht die ganze Nacht, ja?«
Annie sah sich den Aktenstoß an. Sie war noch nicht mal zur Hälfte durch. »Keine Sorge, werd ich schon nicht«, sagte sie, wohl wissend, dass es eine Lüge war. Ihr Bruder würde es nicht verstehen. Sie legte auf und griff zur nächsten Akte. »Auf in den Kampf!«
Als Drew die Tür aufschloss, begrüßte sie das Klingeln des Telefons. Sie streifte die schlammbeschmierten Schuhe ab und rannte zum Telefon. »Weingut Corbin, guten Tag.«
»Hast du Zettel und Stift parat?«, fragte eine männliche Stimme.
»Jake?«
»Nein, der Osterhase.« Jake lachte. »Schnapp dir was zu schreiben.«
Drew griff sich Notizblock und Kugelschreiber, die für Weinbestellungen immer neben dem Telefon lagen, und ließ sich auf die Couch fallen. Sie war seit fünf Uhr heute Morgen auf den Beinen, um das Pressen der Syrahtrauben zu beaufsichtigen. »Was soll ich denn aufschreiben?«
»Francucci’s, diesen Samstag um acht.«
Nachdem sie es aufgeschrieben hatte, starrte Drew auf den Zettel. Was sollte das sein? Noch eine Einladung von Jake, so kurz nach seiner Party? »Tut mir leid, Kumpel, aber da kann ich nicht. Eine Gruppe hat sich für Samstag zur Weinprobe angemeldet.«
»Ach, komm schon. Was ist so ’ne Weinprobe im Vergleich zu einem Date mit deiner tollpatschigen Blondine?«
Drew sprang auf. Plötzlich spürte sie die Müdigkeit nicht mehr. »Du hast mir ein Date mit ihr verschafft?«
»Ich konnte euch einander auf der Party nicht vorstellen, weil sie gehen musste, aber sie war ganz wild darauf, dich kennenzulernen.«
»Ehrlich?« Die Blondine hatte nicht sonderlich interessiert gewirkt.
»Würde ich dich in einer solchen Sache anlügen?«, fragte Jake.
»Oh, ja, das würdest du.« Während des Studiums hatte Jake sie mehr als einmal reingelegt. Aber er war auch ein guter Freund gewesen. Als ihre Mutter und dann ihr Vater innerhalb von wenigen Monaten gestorben waren und sie sich monatelang zu Hause verkrochen hatte, waren es Jake und ihre anderen Freunde gewesen, die sie dazu gebracht hatten, wieder aus dem Haus zu gehen und am Leben teilzunehmen. »Verrätst du mir gar nicht ihren Namen?«
»Caroline.«
»Hat sie keinen Nachnamen?«
»Sie ist schüchtern und hat mich gebeten, dir ihren Nachnamen noch nicht zu sagen.«
Alarmglocken schrillten durch Drews Kopf. Die Fremde wirkte zwar wirklich ruhig und zurückhaltend, aber dass sie Drew nicht mal ihren Namen verraten wollte, war schon seltsam. Irgendetwas an diesem Blind Date kam ihr reichlich merkwürdig vor, aber sie hatte ja nichts zu verlieren. Wenn das Date nicht gut lief, konnte sie einfach einen Notfall auf dem Weingut vortäuschen und das Restaurant verlassen.
»Was ist nun, wirst du dich mit ihr treffen?«, fragte Jake. »Ich habe für Samstag um acht einen Tisch auf deinen Namen reserviert.«
Drews Gedanken überschlugen sich, als sie überlegte, wer sie bei der Weinprobe vertreten konnte. Irgendwie würde sie schon einen Weg finden, um das Treffen mit ihrer Jungfrau in Nöten nicht zu verpassen. »Ich werde da sein.«
Ihre Verabredung war noch nicht da, als der Kellner Annie zu ihrem Tisch führte. Natürlich nicht. Annie traf bei Verabredungen und Arbeitsbesprechungen immer als Erste ein. Heute hatte sie in Betracht gezogen, Jake nachzueifern und zu spät zu kommen, aber sie konnte nicht aus ihrer Haut.
Annie setzte sich auf den Stuhl mit dem Rücken zur Wand, sodass sie den Eingang im Auge behalten konnte.
Der Kellner reichte ihr die Speisekarte und die Weinkarte. Als er davonging, sah Annie sich um.
Schneeweiße Tischdecken waren über ein Dutzend Tische für zwei drapiert. Im Hintergrund lief leise italienische Musik und in der Mitte jedes Tisches flackerten Kerzen. Das gedämpfte Licht trug zur romantischen Atmosphäre bei. Annies Blick wanderte über die Paare an den Nachbartischen, die nur Augen füreinander hatten und alles um sich herum zu vergessen schienen.
Annie massierte sich die Schläfen. Was mach ich hier eigentlich?
Der Kellner kehrte zum Tisch zurück. »Darf ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?«
Annie überlegte einen Moment lang und entschied dann, dass ein Glas Wein ihr vielleicht dabei helfen würde, den Abend zu überstehen. »Könnten Sie mir einen Merlot von einem Weingut hier in der Gegend empfehlen?«
»Der Merlot vom Weingut Corbin ist vorzüglich«, sagte der Kellner.
»Dann hätte ich gerne ein Glas, bitte.«
»Kommt sofort. Der Koch empfiehlt heute übrigens das Pollo al Forno, Hühnchenbrust angerichtet auf Champignonrisotto.«
»Ich warte noch auf jemanden.« Annie sah auf die Uhr. Zehn vor acht. »Er müsste gleich kommen. Ich bestelle dann, wenn er da ist.« Wenn er überhaupt kommt. Jakes Freunde waren nicht gerade für ihre Zuverlässigkeit bekannt.
Der Kellner nickte und beugte sich vor, um die Kerze auf Annies Tisch anzuzünden.
Machen Sie sich keine Umstände, wollte Annie sagen. Ihr stand nicht der Sinn nach Romantik. Sie kannte bereits die drei möglichen Ausgänge dieses Abends.
Möglichkeit eins: Ihre Verabredung würde sie nach ihrem Beruf fragen und dann gähnen oder grinsen, wenn sie erzählte, dass sie Steuerberaterin war.
Möglichkeit zwei: Falls dieser Drew ein Unternehmer war, würde er versuchen, sich von ihr kostenlos beraten zu lassen. Na ja, das wäre gar nicht mal so übel. Dann befände sich Annie wenigstens auf vertrautem Terrain.
Möglichkeit drei war die schlimmste: Drew war richtig nett und würde versuchen, Annie aus der Reserve zu locken und in ein Gespräch zu verwickeln, aber Annie würde absolut nichts für ihr Gegenüber empfinden. Sie würde sich auf ihr Essen konzentrieren und jedes Wort dreimal überlegen, ehe sie es aussprach, während sie bereits darüber nachdachte, wie sie einem zweiten Date entgehen konnte. Am Ende des Abends würde sie frustriert nach Hause kommen und sich fühlen, als ob mit ihr etwas nicht in Ordnung wäre.
Sie sah auf, als der Kellner mit ihrem Glas Wein und einem anderen Gast zurückkam. Aber statt Jakes Freund Drew geleitete er eine Frau zum Tisch.
Annie öffnete den Mund, um den Kellner über seinen Fehler aufzuklären, aber dann fiel ihr auf, dass sie die Frau kannte. Sie hatte dieses gebräunte Gesicht und die zerzausten braunen Locken doch schon mal gesehen, oder?
Als die Frau lächelte und dabei ihre Grübchen zeigte, fiel es Annie wieder ein. Oh, Gott! Das ist die Frau von der Party.
Mit einem breiten Grinsen setzte sich die Frau zu Annie an den Tisch.
Was macht sie denn da? Unser kleines Zusammentreffen auf der Party gibt ihr noch lange nicht das Recht, so zu tun, als wären wir alte Freunde. Aber Annie war zu höflich, um die Frau zum Gehen aufzufordern.
»Hallo«, sagte die Frau. »Schön, Sie wiederzusehen – und diesmal unter viel angenehmeren Umständen.« Sie zupfte an ihrer Bluse, die strahlend weiß und frei von Weinflecken war.
Na wunderbar. Jetzt muss ich mich mit ihr unterhalten. Annie warf einen Blick in Richtung Eingang.
Keine Spur von ihrer Verabredung.
Annie seufzte. Lass sie bleiben, bis Drew kommt. Zumindest würde sie dann nicht die einzige Person sein, die allein in einem Restaurant voller Pärchen saß.
Die Frau erhob sich und streckte Annie die Hand hin. »Ich bin Drew Corbin, aber das hat Jake Ihnen ja sicher schon gesagt.«
»Was?« Annies Kinnlade fiel herunter. »Sie? Sie sind Drew?« Sie zog die Hand, die sie bereits ausgestreckt hatte, zurück und stieß dabei fast die brennende Kerze um. Was zum Teufel geht hier vor?
Die Frau ließ die Hand sinken und setzte sich wieder. »Ja.« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Wieso? Stimmt etwas nicht mit meinem Namen?«
»Nein. Es ist nur ...« Annie schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, starrte Drew sie noch immer an. Annie suchte nach Worten. »Es ist nur ein ziemlich androgyner Name.«
»Ja.« Drew fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, das gerade bis zum Kragen reichte. Ihre Grübchen tauchten wieder auf, als sie Annie anlächelte. »Man könnte meinen, meine Eltern hätten bereits gewusst, dass ihr Töchterchen mal eine Lesbe werden würde.«
Lesbe?Oh mein Gott, Jake hat mich auf ein Date mit einer Lesbe geschickt. Annie sackte gegen die Rückenlehne ihres Stuhls. Wie peinlich. Wieder einmal war sie auf einen von Jakes Streichen hereingefallen. Sie hatte sich schick gemacht, ihr einziges Paar Stöckelschuhe angezogen und hatte in diesem Restaurant voller verliebter Paare gesessen, sich völlig fehl am Platz gefühlt und sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie bei ihrem Date einen guten Eindruck hinterlassen konnte – nur um jetzt herauszufinden, dass alles lediglich ein blöder Streich war. Sie knirschte mit den Zähnen. »Na warte, bis ich dich in die Finger kriege, du Mistkerl.«
»Was ist los?« Drews Lächeln verblasste. »Jake hat uns irgendwie reingelegt, oder?«
Annie nickte. »Er sagte, dass ich unmöglich Nein sagen kann, weil Drew Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hat, um heute nicht arbeiten zu müssen und sich mit mir treffen zu können.«
»Ich geb’s nur ungern zu, aber das stimmt.« Drew rieb sich den Nacken. »Ich hab mich wirklich darauf gefreut, Sie heute Abend wiederzusehen.«
Hitze schoss Annie ins Gesicht. »Das mag ja sein, aber Jake hat mich in dem Glauben gelassen, dass sein Freund Drew ein Mann ist.«
»Oh.« Drew ließ die Schultern hängen.
Der Kellner trat an den Tisch und wandte sich an Drew. »Kann ich Ihnen –?«
»Können Sie uns bitte noch eine Minute Zeit lassen?«, fragte Drew. Als der Kellner verschwand, beugte sie sich vor und betrachtete Annie. »Sie sind also hetero?«
Annie nickte.
»Na toll. Ich hätte wissen müssen, dass er mich auf ein Date mit einer seiner heterosexuellen Freundinnen schicken würde«, murmelte Drew.
»Heterosexuelle Schwester, um genau zu sein«, sagte Annie.
»Was?« Drews Augen weiteten sich. Sie schüttelte den Kopf, als ob ihr das beim Denken helfen würde. »Sie sind Annie, Jakes Schwester? Jake sagte, Ihr Name sei Caroline.«
»Ist er ja auch«, sagte Annie. »Caroline ist mein zweiter Vorname.« Nach ein paar Augenblicken fügte sie zaghaft lächelnd hinzu: »Annie Caroline Prideaux. Hallo.«
Drew schloss die Augen und schlug sich gegen die Stirn. »Oh, Mann. Ich hätte wissen müssen, dass Jake nichts Gutes im Schilde führt.« Sie seufzte, setzte sich dann aber aufrecht hin, erwiderte Annies Lächeln und streckte die Hand aus. »Dennoch schön, Sie kennenzulernen.«
Annie schob ihre Hand in Drews. Drews Händedruck war fest und warm. »Was machen wir jetzt?«, fragte Annie mit einem Blick auf den Kellner, der in der Nähe wartete. »Bleiben wir hier oder gehen wir?«
»Lassen Sie uns doch bleiben. Wir sind beide hier und haben uns in Schale geworfen.« Drews bewundernde Blicke glitten über Annies elegantes Seidenoberteil, aber ihr Blick hatte nichts Anzügliches an sich. »Und ich weiß ja nicht, wie’s Ihnen geht, aber ich hab den ganzen Tag noch nichts gegessen und würde mich über ein wenig Gesellschaft freuen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, noch zu bleiben?«
Einen Moment lang war Annie versucht, einfach nach Hause zu gehen, aber sie bedauerte es, dass jemand anderer Jakes Streich zum Opfer gefallen war. Mit Drew zu Abend zu essen war das Geringste, das sie tun konnte. Irgendwie war es sogar eine Erleichterung, hier mit einer Frau statt mit einem von Jakes männlichen Freunden zu sitzen. Wenigstens hat Drew schon gesehen, wie ich mich zum Affen mache, also kann ich mich jetzt entspannen. »Nein«, sagte Annie. »Es macht mir nichts aus.«
Lächelnd öffnete Drew die Speisekarte.
Der Kellner kehrte zum Tisch zurück. »Haben Sie schon entschieden, was Sie trinken möchten?«
»Im Moment bitte nur Wasser«, sagte Drew.
Als der Kellner davonging, sahen sie beide in ihre Speisekarten. Stille breitete sich zwischen ihnen aus.
Annie suchte nach einem Gesprächsthema, aber jetzt, da sie nicht auf das übliche Wortgeplänkel eines ersten Dates zurückgreifen konnte, war das gar nicht so einfach. »Ich glaube, ich nehme die vegetarische Lasagne.«
Drew sah von ihrer Speisekarte auf. »Sie sind Vegetarierin?«
»Ja«, sagte Annie, ohne es näher zu erläutern. Sie war mit ihrer Fleisch liebenden Familie schon in genug Diskussionen geraten und wollte sich nicht einer Wildfremden gegenüber rechtfertigen müssen.
»Darf ich fragen, warum? Aus ethischen Gründen oder weil Ihnen Fleisch nicht schmeckt?«
Annie zögerte, nicht erpicht darauf, über sich selbst zu sprechen. Doch Drew sah sie mit freundlicher Miene an. Offensichtlich war sie nur neugierig und verurteilte Annie nicht. Und schließlich mussten sie ja über irgendetwas reden, um dieses Abendessen zu überstehen. »Als ich vierzehn war, habe ich eine Dokumentation über Hühneraufzucht gesehen. Ich gehe jetzt lieber nicht ins Detail, um Ihnen nicht den Appetit zu verderben. Aber es war grausam.« Die Erinnerung an jene Szenen ließ Annie erschauern. »Das will ich nicht unterstützen.«
Drew nickte. »Es war sicher nicht leicht, mit vierzehn zu dieser Entscheidung zu stehen.«
Der Respekt in Drews Stimme half Annie, sich etwas zu entspannen. Sie zuckte mit den Schultern. Drew hatte recht. Ihre Eltern hatten mehrfach versucht, Fleisch auf ihren Teller zu schmuggeln, zum Beispiel, indem sie Hackfleisch auf ihren Veggie-Burger legten, weil sie glaubten, Annie brauche Fleisch, um sich gesund zu ernähren. Annie biss sich auf die Lippe. Warum konnte ihre Familie ihre Entscheidungen nicht einfach akzeptieren?
»Ich esse auch recht wenig Fleisch«, sagte Drew, »aber heute hätte ich Lust auf Meeresfrüchte. Macht es Ihnen was aus, wenn ich die Penne mit Shrimps bestelle?«
Die Frage überraschte Annie. Keine ihrer Verabredungen war je so rücksichtsvoll gewesen. »Nein, machen Sie nur. Das macht mir nichts aus.«
Der Kellner brachte Drews Wasserglas und sie gaben ihre Bestellung auf. »Möchten Sie Knoblauchbrot zum Salat?«, fragte der Kellner.
Annie und Drew wechselten einen kurzen Blick, dann grinste Drew. »Ja, warum nicht? Ich schätze, nach diesem Date wird es ohnehin keine Gutenachtküsse geben.«
Die beiläufige Bemerkung ließ Annie die Stirn runzeln. Sie schielte zum Ober, um zu sehen, wie er auf Drews Worte reagierte, aber sein Gesicht war eine höfliche Maske. Einerseits machte Drews Witzelei Annie verlegen, aber andererseits bewunderte sie Drew für ihre Selbstsicherheit. Sie steht dazu, lesbisch zu sein. Sie schert sich nicht darum, was die Leute denken könnten. Ich wünschte, ich könnte auch so sein.
»Möchten Sie ein Glas Wein zum Essen, Ma’am?«, fragte der Kellner.
Drew deutete auf Annies Glas und sah dann in ihre Augen. »Was trinken Sie?«
»Einen Merlot von einem Weingut aus der Region. Er ist wirklich gut.«
»Sollen wir eine Flasche davon bestellen?«, fragte Drew.
Normalerweise trank Annie bei einem Date nie mehr als ein Glas Wein. Aber dies war kein Date und nach allem, was sie wegen Jake heute durchmachen musste, hatte sie ein zweites Glas verdient, also nickte sie.
Der Kellner brachte die Flasche Wein und zeigte sie Drew, die zufrieden lächelte. Nachdem er die Flasche geöffnet und einen Fingerbreit eingeschenkt hatte, schwenkte Drew das Glas, roch daran und nahm einen Schluck. Schließlich sah sie auf und nickte.
Der Kellner schenkte ihr Wein nach und ging davon.
Drew stieß mit Annie an. »Auf Ihren Bruder.« Nach einem Moment der Pause fügte sie hinzu: »Ein Arschloch erster Klasse.«
Annie hatte gerade einen Schluck Wein genommen und spuckte ihn nun beinahe über den Tisch. Sie hustete und vermutete, dass ihr Gesicht jetzt röter war als der Merlot.
»Tut mir leid«, sagte Drew. Sie sah aus, als wollte sie aufstehen und Annie den Rücken klopfen.
»Schon gut. Es stimmt ja.« Annie nahm einen vorsichtigeren Schluck Wein und ließ ihn langsam ihren brennenden Hals hinablaufen. »Jake kann ein richtiger Idiot sein.« Manchmal fragte sie sich, wie sie ihre Kindheit überlebt hatte – oder wie es Jake gelungen war. Mehr als einmal hatte sie ihn nach einem seiner kleinen, blöden Streiche umbringen wollen.
»Oh, ja. Im ersten Semester hätte ich ihn fast mal erwürgt.«
»Sie sind mit Jake zur Uni gegangen?«, fragte Annie. Drew war so völlig anders als Jakes andere Freunde.
Drew nickte.
»Was hat er getan?«, fragte Annie.
»Er hat mir kleine Liebesbriefchen geschrieben«, sagte Drew.
»Aber er war nicht …?«
»In mich verliebt?« Drew lachte und breitete die Arme aus, um auf ihre stämmige Gestalt hinabzunicken. »Nein. Ich bin nicht sein Typ. Er ist auch nicht gerade meiner.« Sie zwinkerte. »Ich war in Ruth Calverson verschossen, wusste aber nicht, dass sie in Jake verliebt war und ihm Liebesbriefe schrieb. Als er mir die Liebesbriefe unter meiner Zimmertür durchschob, dachte ich, Ruth wäre auch in mich verknallt. So nahm ich endlich den Mut zusammen, mit einem Strauß Rosen bewaffnet zu ihrem Wohnheim zu gehen, um sie zu fragen, ob sie mit mir ausgeht.«
Annie verzog das Gesicht.
»Ja, genau.« Drew nickte. »Natürlich nahm das kein gutes Ende. Wer hätte gedacht, dass ein Strauß Rosen so wehtut, wenn er einem um die Ohren geschlagen wird.« Sie setzte eine übertrieben traurige Miene auf.
Der Klang ihres eigenen Lachens überraschte Annie. Sie nahm einen Schluck Wein. »Man könnte meinen, nach einem Streich wie dem hätten Sie sich von Jake ferngehalten. Warum sind Sie immer noch mit ihm befreundet?«
Drew schwenkte den Wein in ihrem Glas. »Trotz all seiner Fehler und seines merkwürdigen Sinns für Humor ist Jake kein schlechter Mensch. Als ich ihm sagte, dass ich lesbisch bin, hat er völlig cool reagiert. Bis dahin schien meine sexuelle Orientierung für alle nur eine einzige Enttäuschung zu sein – für meine Eltern, Jungs, die mit mir ausgehen wollten ...«
»Und Ruth Calverson«, sagte Annie lächelnd.
Drew erwiderte das Lächeln und nickte. »Und Ruth Calverson. Aber für Jake war es keine große Sache. Einmal hat ein homophobes Arschloch während einer Vorlesung eine dumme Bemerkung über mich gemacht. Am Tag darauf hat er sein geliebtes Cabrio bis oben hin mit Kies gefüllt vorgefunden.«
»War das Jake?«
Drew nickte. »An der Uni hat nie wieder jemand dumme Bemerkungen über mich gemacht.«
Wow. Zum ersten Mal in ihrem Leben war Annie stolz auf ihren Bruder.
»Was hat er Ihnen denn für Streiche gespielt?«, fragte Drew nach einer Weile. »Er hat mir ein paar der Geschichten erzählt, aber ich gebe zu, dass ich irgendwann aufgehört habe, zuzuhören.«
Annie tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. Sie war nicht erpicht darauf, eine der peinlichen Geschichten zu erzählen, aber Drew hatte ihr die Ruth-Calverson-Geschichte anvertraut und deshalb fühlte sie sich verpflichtet, zu antworten. Im Lauf der Jahre hatte Jake ihr so viele Streiche gespielt, dass sie kaum wusste, welche Geschichte sie erzählen sollte. Annie rückte ihr Besteck auf dem Tisch zurecht, während Bilder an ihr vorbeizogen wie in einer Diashow. Schließlich wählte sie einen der weniger peinlichen Streiche aus. »Einmal hat er mich glauben lassen, die Katze hätte mein Kaninchen gefressen.«
»Und das haben Sie geglaubt?«, fragte Drew. »Katzen fressen keine Kaninchen.«
»Wie sollte ich das wissen? Ich war damals erst fünf.« Wärme drang durch den Ärmel von Annies Seidenbluse. Als sie nach unten sah, stellte sie fest, dass Drews Hand auf ihrem Arm ruhte. Annie erstarrte. In ihrem normalen Alltag kamen ihr selten Menschen nahe genug, um sie zu berühren. Von einer lesbischen Frau berührt zu werden, machte Annie noch befangener.
Drew sah in dieselbe Richtung und zog ihre Hand weg. »Entschuldigung. Ich berühre ständig andere Leute.« Sie räusperte sich. »Was hat er sonst noch angestellt?«
Annie fuhr mit den Fingern über ihren Unterarm, dort, wo Drews Hand gelegen hatte. Sie zögerte erneut.
»Kommen Sie schon«, sagte Drew. »Kein Grund für Verlegenheit. Ist ja nicht so, als hätte mich Jake nicht auch ein paar Dutzend Male reingelegt.«
Annie seufzte. Sie blätterte in Gedanken durch die umfangreiche Sammlung von Jakes Streichen und wählte nach dem Zufallsprinzip einen aus. »Am ersten Arbeitstag in meinem neuen Job hat er Haarfärbemittel in meine Shampooflasche gefüllt.« Annie verzog das Gesicht. »Ich musste mit pinken Haaren zur Arbeit gehen.«
Drew spuckte fast ihren Wein quer über den Tisch. Sie lachte und wischte sich den Mund mit der Serviette ab. »Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht auslachen. Das muss peinlich gewesen sein, aber die Vorstellung, wie Sie mit pinken Haaren zur Arbeit gekommen sind …«
»Ziemlich witzig, ich weiß.« Annie lächelte nicht. »Nur nicht, wenn man diejenige ist, die Jakes Streiche seit dreißig Jahren ertragen muss.«
Drew beugte sich nach vorne. »Haben Ihre Eltern nie eingegriffen?«
»Manchmal«, sagte Annie. Sie drückte die Kuppe ihres Zeigefingers so fest gegen ihre Gabel, dass es schmerzte. »Aber meistens waren sie zu beschäftigt mit ihrer Kunst.«
»Oh, ja, richtig. Ich hab ein Gemälde Ihrer Mutter im Wohnzimmer hängen. Die Farben in ihren Bildern sind fantastisch. Was macht Ihr Vater beruflich?«
Die Fragen über sie und ihre Familie brachten Annie aus dem Gleichgewicht, aber um nicht unhöflich zu erscheinen, antwortete sie trotzdem. »Er ist Dirigent bei den Philharmonikern in Fresno.«
»Und Sie?«, fragte Drew. »Welchem Beruf gehen Sie nach?«
Da war sie also, die Frage, die früher oder später immer kam. Ihre Antwort schien die meisten Leute zu enttäuschen, vielleicht, weil sie glaubten, die Tochter eines Musikers und einer Malerin müsste auch einen kreativen Beruf ergreifen oder etwas anderweitig Außergewöhnliches tun, so wie Jake.
Der Kellner brachte das Essen, sodass Annie ihre Antwort noch um einige Sekunden hinauszögern konnte.
Als Drew sie erwartungsvoll ansah, anstatt sich auf ihre Pasta zu konzentrieren, sagte Annie: »Ich bin Steuerberaterin.«
Drew grinste weder, noch gähnte sie. Ein Shrimp steckte vergessen auf ihrer Gabel. »Für welche Firma arbeiten Sie?«
Annie suchte die Pilze aus ihrer Lasagne. »Es ist eine kleine Firma. Sie haben bestimmt noch nie von ihr gehört.«
Drew sah sie weiterhin an.
»Ich bin Abteilungsleiterin bei Cargill & Jones.« Annie kaute auf einem Champignon herum. Gleich würde Drew das Thema wechseln und über etwas sprechen, was sie interessanter fand als Annies Beruf.
»Oh, die kenne ich. Einer ihrer Kollegen ist mein Steuerberater. Mögen Sie Ihre Arbeit?«
Keine ihrer Verabredungen hatte sie das je gefragt. Und selbst wenn sie es getan hätten, wusste Annie nicht, ob sie ehrlich geantwortet hätte. Steuerberaterin zu sein, war einfach nicht sexy. Aber Drew musste sie schließlich nicht beeindrucken, deshalb nickte sie.
»Sogar kurz bevor die Frist für Steuererklärungen abläuft?«, fragte Drew mit einem neckischen Grinsen.
»Na ja, die Arbeitszeiten sind dann manchmal schon zum Verrücktwerden, aber ich mag meinen Job trotzdem.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Ich arbeite im Herbst auch rund um die Uhr, aber ich könnte mir keinen schöneren Beruf vorstellen.«
Wie erstaunlich. Sie scheint mich wirklich zu verstehen. Die Anspannung in Annies Schultern ließ etwas nach. »Was machen Sie beruflich?«, fragte sie, froh, endlich das Thema wechseln zu können. »Sind Sie selbstständig?«
»Ich hab ein Weingut.« Drew strich mit dem Daumen über das Etikett der Weinflasche. »Der Merlot ist einer von meinen.«
»Ehrlich?« Annie nahm noch einen Schluck und genoss das fruchtige Aroma. »Er ist sehr gut.«
Drew streckte die Hand aus und stupste Annies Schulter an. »Sie sollten nicht so überrascht klingen.«
Als Annie errötete, grinste Drew. Es schien ihr eine diebische Freude zu bereiten, Annie zum Erröten zu bringen, aber im Gegensatz zu Jakes gnadenlosem Spott waren Drews Neckereien eher sanft.
»Ich bin nicht überrascht«, sagte Annie. »Ich hab nur noch nie jemanden getroffen, der ein Weingut hat und so guten Wein macht.«
»Und ich hab noch nie mit einer so guten Steuerberaterin zu Abend gegessen.«
Annie durchbohrte sie mit einem skeptischen Blick. »Woher wollen Sie denn wissen, dass ich gut bin?«
Langsam legte Drew ihre Gabel beiseite, wischte sich den Mundwinkel mit der Serviette ab und sah Annie mit ihren tiefbraunen Augen an. »Sie wirken nicht wie eine Frau, die irgendwas halbherzig macht.« Als Annie sie anstarrte, unsicher, was sie mit diesem Kompliment anfangen sollte, fügte Drew hinzu: »Außerdem haben Sie gesagt, Sie sind Abteilungsleiterin. So weit wären Sie wohl kaum gekommen, wenn Sie keine gute Steuerberaterin wären.«
Annie zuckte mit den Schultern.
Drew lachte. »Ich seh schon. Sie haben die Bescheidenheit in der Familie geerbt.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass Sie mit Jake verwandt sind. Sie sind so völlig anders als er. War das schon immer so?«
»Ja.« Annie schnitt den Rest ihrer Lasagne in kleine Quadrate, während sie darüber nachdachte, wie viel von ihrer Familiengeschichte sie Drew anvertrauen sollte. Normalerweise erzählte sie Fremden nicht so viel von sich selbst, aber sie hatte Drew schon mehr erzählt, als sie sonst preisgab. Vielleicht lag es an dieser seltsamen Situation oder daran, dass sie Drew nach heute Abend nie mehr wiedersehen würde, sodass es völlig unwichtig war, wie viel oder wenig Drew von ihr wusste. »Sie kennen ja Jake. Er ist kein schlechter Mensch, aber für ihn besteht das Leben nur aus Spaß und Schabernack.«
»Ich wette, er genießt gerade einen Drink und freut sich diebisch, dass er seine heterosexuelle Schwester auf ein Blind Date mit einer Lesbe geschickt hat.«
Annie hätte nicht dagegen gewettet. Bestimmt würde er sie anrufen, sobald sie nach Hause kam, und würde mit seinem gelungenen Streich prahlen, bis sie auflegte. Sie schloss die Faust um ihre Serviette, bis ihre Finger schmerzten. »Ich wünschte, ich könnte es ihm einmal heimzahlen.«
Drew schluckte den letzten Bissen ihrer Pasta.
Blinzelnd sah Annie auf ihren eigenen, noch immer halb vollen Teller. Normalerweise war sie immer als Erste mit ihrem Essen fertig, weil ihr Date redete und redete, während sie gerade genug sagte, um eine Unterhaltung aufrechtzuerhalten.
Ein Lächeln huschte über Drews sonnengebräuntes Gesicht. »Das könnten wir.«
»Was könnten wir?«
»Es Jake heimzahlen.«
Annie beugte sich vor. Gott, das wäre was. Normalerweise hielt Annie nicht viel von kleinlichen Racheplänen, aber Jake hatte sie eindeutig zu lange mit seinen Streichen malträtiert. »Wie denn?«
»Jake erwartet, dass Sie sauer auf ihn sind, weil er Sie mit einer Frau verkuppeln wollte, richtig?«
»Richtig.« Er denkt, seine verklemmte Schwester würde reagieren wie Ruth Calverson und Drew den nächstbesten Gegenstand um die Ohren schlagen. Annie nahm noch einen Schluck Wein, um den bitteren Geschmack in ihrem Mund hinunterzuspülen.
»Was wäre, wenn wir unser gemeinsames Essen wirklich genossen hätten?«, fragte Drew.
Ich genieße es wirklich, stellte Annie zu ihrer Überraschung fest. Aber was hatte das damit zu tun, es Jake heimzuzahlen? »Ich verstehe nicht ganz.«
Drew beugte sich vor. »Was, wenn das Blind Date ein solcher Erfolg wäre, dass wir eine Beziehung beginnen?«
Annie verschluckte sich fast an ihrer Lasagne. »Aber … aber ich bin heterosexuell!« Sie zog den Kopf ein, als ihr auffiel, wie laut sie gesprochen hatte.
Ein Grinsen brachte die Grübchen in Drews Wangen zum Vorschein. »Tja, niemand ist vollkommen.« Sie tätschelte Annies Unterarm. »Entspannen Sie sich. Ich scherze nur. Aber denken Sie mal drüber nach. Jake bekäme ’nen Herzinfarkt, wenn er glauben würde, dass er daran schuld wäre, dass seine kleine Schwester lesbisch wird.«
Annie musste grinsen, als sie sich Jakes heruntergeklappte Kinnlade vorstellte. »Oh, ja, definitiv.« Nach einem Augenblick verblasste ihr Lächeln. »Wir würden nur so tun als ob, oder?«
»Natürlich. Ich hab schon einen Toaster.«
»Toaster?« Was hat ein Haushaltsgerät mit unserem Racheplan zu tun?
