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Der heißblütige und aufstrebende Soccer-Durchstarter Admir, gerade einen erfolgreichen Transfer von Europa nach Südamerika hinter sich, stolpert in den Straßen von Buenos Aires über den unschuldigen Marktbengel Bruno und er gibt ihm die Chance, sich als Hausboy zu beweisen. Dass der Nachwuchskicker nicht nur jemanden zum Kochen und Putzen sucht, versteht sich von selbst. So steht der naive Schulabbrecher auf dem Prüfstand, verstrickt sich aber in pures Gefühlschaos, wenn dann auch noch sein bester Kumpel Luis ins Spiel gebracht wird. Schnallt euch an für diese Achterbahnfahrt, denn Alfajores sind in Argentinien nicht nur mit Creme gefüllte, süße Törtchen.
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Seitenzahl: 218
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Alle Handlungen, Namen und Lokalitäten in dieser Geschichte sind frei erfunden. Diese Story beinhaltet Sexszenen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern sowie die Beschreibungen von gewaltvollen Handlungen, die für Leser unter 18 Jahren nicht geeignet sind. Im wirklichen Leben gilt natürlich immer das Safer-Sex-Prinzip.
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Wer im Lexikon den Begriff Badass nachblättert, wird dort ziemlich sicher seinen Namen finden. Joshua Hardon ist tatkräftig daran beteiligt, dass sein Heimathafen Hamburg den Ruf Stadt der Sünde auch weiterhin verteidigt und wer ihm je im Fitnessstudio, auf dem Fußballfeld, im Ring oder im Schwimmbad begegnet ist, weiß, warum er die Figuren in seinen Geschichten gerne in schweißtreibende Situationen bringt. Neben seiner Begeisterung für Sport, Medien und Wirtschaft findet Joshua auch immer wieder Zeit, mit seinen Trainingspartnern auf Tuchfühlung zu gehen, hautnah zu recherchieren und Ideen für seine Bücher zu sammeln ...
Alfajor
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Admir
Bruno
Ein Alfajor ist ein Gebäck maurisch-spanischer Herkunft. Heutzutage gilt es als typisches Produkt des südlichen Lateinamerikas, wo es meist als Doppelkeks hergestellt wird und oft eine Füllung aus Dulche de leche verwendet wird. Auch in Argentinien steht die mit Karamellcreme verfeinerte Süßspeise auf vielen Menükarten der verführerisch duftenden Cafés.
Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und stolpere auf dem Weg ins Bad über das Kartonhaus, mit dem mein kleiner Bruder so gerne spielt. Ich will mich nicht verspäten, deshalb ist keine Zeit, um das Chaos zu beseitigen. Seit meine Mutter nicht mehr lebt und mein Vater krank geworden ist, liegt es an mir, das Geld nachhause zu bringen und mich um alles zu kümmern. Alles, das ist eigentlich nicht viel, denn wenn man in Villa 31, dem Armenviertel von Buenos Aires wohnt, lernt man schnell, mit wenig zufrieden zu sein. Wir haben ein Dach über den Kopf, meine beiden Geschwister, unser Vater und ich schlagen uns so gut es geht durchs Leben, wenn auch jeder viele Opfer bringen muss. Santiago, mein Bruder, ist mit seinen 10 Jahren eigentlich noch zu klein, um zu arbeiten, aber er bastelt jeden Tag aus weggeworfenen Kaffeekapseln Schmuckanhänger und Kerzenständer, meine Schwester Maria näht seitdem Mama nicht mehr ist für fremde Leute und wäscht und bügelt deren Wäsche, das alles für ein paar Pesos. Für eine warme Mahlzeit am Abend oder eine neue Matratze zum Schlafen, auf die Maria schon lange hin spart. Ich verrate niemandem, dass ich unter einem losen Holzbrett im Fußboden eine kleine Metallbüchse verstecke, in der ich jeden verdienten Pesos, den ich irgendwie abzweigen kann, beiseitelege. Irgendwann möchte ich hier rauskommen, ich möchte Turnlehrer werden und an einer Schule unterrichten, davon träume ich seit ich ein kleiner Junge war. Ich will jungen Menschen die Begeisterung für Sport näherbringen, bin ich doch selbst auch am liebsten in Bewegung, wenn ich nicht gerade arbeiten oder die Hausarbeit erledigen muss. Es ist kein schlechtes Leben, es ist eben meines, unseres. Ich glaube nicht an Schicksal, weil irgendwie alles aus Zufällen besteht. Ich denke nicht, dass es eine Macht gibt, die irgendwann gesagt hat: Bruno, deine Mutter wird sterben, wenn du 16 bist. Das ist Blödsinn. Und deshalb denke ich jeden Tag an sie und weiß, dass sie an einem besseren Platz ist. Wo auch immer dieser sein mag. Aber ich höre nicht auf, an meinen Traum zu glauben. Ich bin 17 und vielleicht denkt der eine oder andere, dass ich viel zu schnell erwachsen geworden bin, weil ich jetzt ja der Mann im Hause bin. Ich denke, dass jeder Mensch zu einem anderen Zeitpunkt erwachsen wird. Ein Teil von mir ist ja noch immer Kind, nämlich der, der an das Märchen glaubt, welches meine Mutter mir immer vor dem Einschlafen erzählt hat. Ich erinnere mich noch an jedes Wort, auch wenn es mir so vorkommt, als sei es in einem anderen Leben passiert. Aber ich bin nicht hier, um ein Märchen zu erzählen, weil ich lieber meine eigene Geschichte erzähle. Es war nicht immer so schwer für meine Familie und mich. Als Mama noch am Leben war und Dad für die Eisenbahn gearbeitet hat, bin ich zur Schule gegangen und habe Geburtstagsfeiern besucht und sonntags gab es sogar Kaffee und Kuchen. Aus dieser Zeit sind mir eigentlich nur Eva und Luis geblieben. Und das auch nur, weil sie in meiner Nachbarschaft wohnen. In Eva habe ich mich verliebt, als ich 12 war und sie war auch das erste Mädchen, mit dem ich geschlafen habe. Sie meinte am nächsten Tag, dass ich mir keine großen Hoffnungen machen solle, denn sie sei in Alberto Zapatero verliebt, den berühmten Fußballer. So schnell zerplatzen Seifenblasen. Aber viel spannender war ohnehin die heiße Begegnung mit meinem besten Freund. Es ist keine zwei Jahre her, dass wir einen riesigen Streit hatten. Es ging darum, dass er mich beschuldigt hat, dass ich mein Wort nicht halten würde. Damit hat er meine Ehre in Frage gestellt und die galt es zu verteidigen. Ich musste ihn verprügeln. Wir haben uns die Augen blau und die Lippen blutig geschlagen, nur um keine fünf Minuten später, vollkommen rattig aufeinander, im Schlafzimmer seiner Eltern miteinander zu schlafen, wir bissen und küssten und prügelten uns, fickten wie junge Hunde und verloren nach dieser Nacht nie wieder ein Wort darüber. Das heißt, ich habe schon versucht, darüber zu reden, aber Luis blockt dieses Thema komplett ab. Aber ich bin heute noch froh, dass seine Eltern an jenem Abend nicht zuhause waren und wir die Beherrschung verloren haben. Es ist eine meiner kostbarsten Erinnerungen, und das, obwohl ich weiß, dass nie wieder etwas in der Art zwischen uns laufen wird. Luis hat immer wieder Mädchen, ich merke mir nicht mal die Namen seiner Verehrerinnen, aber das ist egal, denn das ist seine Sache.
Wichtiger ist, dass Eva, Luis und ich regelmäßig Fußball spielen. Im Hinterhof von Antonias Hütte. Antonia ist unsere Nachbarin und hat mehr Platz als wir und sie hat nichts dagegen, wenn wir uns dort aufhalten. Wir haben uns ein Tor gebastelt und weil der Platz und auch die Mitspieler nicht für zwei Mannschaften reichen, haben wir unsere eigenen Fußballregeln aufgestellt, nach denen wir fast jeden Tag spielen. Außer ich bin zu müde von der Arbeit.
Ich gehe jeden Morgen um fünf zum Markt von San Telmo, um dort für meinen Chef Gemüse, Meeresfrüchte und Fische zu verkaufen. Zum Glück muss ich nicht vorher zum Hafen und die Ware holen, das erledigt mein Kollege Benicio. Nur wenn er krank ist, muss ich das machen und das ist immer ein beschwerlicher Weg. Benicio besitzt ein klappriges Mofa mit einem kleinen Anhänger, damit ist es leicht, eine solche Strecke zurückzulegen. Ich muss das zu Fuß schaffen und anderthalb Stunden früher aufstehen, wenn Benicio nicht da ist. Mein Boss, Carlos, bierbäuchig und bärtig wie eine moosüberwucherte alte Eiche, hat mir erlaubt, dass ich die selbstgemachten Basteleien meines Bruders auf dem Marktstand verkaufen darf, er kontrolliert jedoch Bestand und Einnahmen. Das Geld gehört mir und meinem Bruder, was ich sehr großzügig finde, dafür zahlt Carlos keine Überstunden. Er sagt immer, an Überstunden sei ich selber schuld.
Die Kunden, die bei mir ihren Fisch oder Kürbisse und Gurken kaufen, sind fast immer die gleichen. Ab und zu verirren sich auch Touristen auf den Markt, aber da die meisten Argentinienbesucher morgens schick in ihren Hotels frühstücken und sowieso länger schlafen, sind es eher die Einheimischen, die bei mir einkaufen. Sie wissen, dass Carlos‘ Fische von erstklassiger Qualität sind. Es ist sicher nicht der bestbezahlte Job der Welt, aber wir kommen durch. Santiago freut sich immer, wenn ich ein paar seiner Anhänger verkauft habe und wenn ich dazukomme und aus Holzperlen ein paar Armbänder knüpfe, biete ich auch diese auf dem kleinen, feinen Marktstand an. Leider riecht alles nach Fisch, aber den meisten stört das nicht, weil ich ihnen, wenn sie bei mir etwas kaufen, mein schönstes Lächeln schenke und es gibt einige, die sagen, ich hätte das süßeste Lächeln von ganz Südamerika. Ich glaube zwar, dass die ein bisschen übertreiben, aber ich habe schon das eine oder andere Mal Angebote bekommen, die ich eigentlich hätte annehmen müssen. Was ich aber nicht getan habe. Weil so etwas für mich eine Frage der Ehre ist. Wenn Luis mich je wieder fragen würde, ob ich mir vorstellen könnte, mehr mit ihm zu machen als nur Fußball zu spielen, so würde ich ohne weiter darüber nachzudenken ja sagen. Aber das wird nicht passieren.
Es ist ein schön warmer Sommertag im Januar, und obwohl ich noch müde bin, trete ich mir den Schlaf aus den Füßen, als ich in die Pedale meines rostigen Drahtesels steige. Ich habe das Rad von Luis‘ Vater geschenkt bekommen, als ich in die letzte Klasse vor der Hochschulreife kam. Dummerweise musste ich dann von der Schule gehen, weil meine Mutter krank wurde und starb. Jetzt sieht es so aus, dass ich zwei Jahre nachholen muss, wenn ich irgendwann studieren möchte. Vorausgesetzt ich bestehe alle Prüfungen. Das ist ja auch der Grund, warum ich wie ein Esel schufte und so sparsam wie möglich lebe. Und nicht einmal Geld fürs Kino ausgebe. Dafür weiß ich aber, wie man ins Royale, welches auf dem Weg zu San Telmo liegt, ohne dass man dafür bezahlen muss. Nachmittags, wenn der Markt seine Pforten längst geschlossen hat, schleichen Eva, Luis und ich uns manchmal in die Filme, besonders dann, wenn die alten Klassiker von Sergio Leone laufen. Ich mag es, wenn sich die harten tabakspuckenden Kerle duellieren und die Sonne ihre Köpfe in der Prärie brät. Cowboys sind schon verdammt coole Hunde! Früher, als ich noch kleiner war, haben wir samstags immer Western geschaut, mein Vater und ich, auch die brutalen, die, die für Kinder eigentlich nichts sind. Die Begeisterung dafür ist geblieben.
Benicio wartet schon auf mich, was so viel heißt wie, dass ich ein bisschen spät dran bin. „Na, Schlafmütze!“
„Selber Schlafmütze! Bin ja schon da, immer mit der Ruhe!“ Ich nehme ihm die Kiste mit dem frischen Fisch, die aufgrund der Eiswürfel so schwer ist, ab. Ich wische die Holzplatte mit einem alten Geschirrtuch ab, verstaue die Fische in einem Metallbehälter und schütte die Eiswürfel aus. Sehnsüchtig schaue ich auf den Pappbecher mit dem Strohhalm, aus dem Benicio goldbraunen Kaffee schlürft.
Benicio, der mit seinem Wuschelkopf und den grauen Nasenhaaren älter wirkt als er eigentlich ist, zwinkert mir zu. „Na los, nimm einen Schluck!“ Gleichzeitig beginnt er damit das Gemüse aufzubauen.
Dankbar schnappe ich mir den Becher und trinke ihn leer. Gierig schlucke ich neben dem Kaffee auch Luft und pruste laut.
„Himmel, hat man dir denn keine Manieren beigebracht?“ Benicio beäugt mich verärgert, aber ich glaube, er ist mir nicht wirklich böse.
Ich wische mir über den Mund. „Manieren schon, aber dann kamen Hunger und Durst.“ Ich fluche leise, weil ich mein Lieblingsshirt mit Kaffee ankleckere, als ich ihm den leeren Becher zurückgebe.
„Na viel Glück!“ Benicio deutet auf den Inhalt meiner kleinen Ledertasche, wo ich den Kaffeekapselschmuck verstaut habe.
Die alte Frau vom Nachbarsstand drapiert ihren Tisch mit Gurken, Maiskolben und Zwiebeln. „Morgen, Kleiner!“ Sie ist stets freundlich und manchmal sogar etwas zu gesprächig.
Ich nicke ihr zu. „Guten Morgen!“
Der Tag beginnt gut, denn ich verkaufe noch vor Sonnenaufgang alle Shrimps, die Benicio heute geliefert hat. Zwar interessiert sich kaum jemand für das Kunsthandwerk, aber die Kasse füllt sich mit Pesos und ich wette, dass Carlos sehr zufrieden mit mir sein wird.
Ich wundere mich etwas über einen Touristen, der nur Geld wechselt, aber nichts kauft, verrichte ein paar Minuten später mein Geschäft in der stillgelegten U-Bahn-Station am Ende des Marktes und bin froh, dass die Zeit so schnell vergeht. Wenn ich pissen muss, wirft Sofia, meine Marktnachbarin, einen Blick auf meinen Stand und so muss ich mir keine Sorgen machen, dass jemand etwas klaut. Umgekehrt halten wir es genauso, auf diese Weise können wir recht stressfrei kleine Wege während der Dienstzeit erledigen. Carlos kommt um elf, das tut er immer, weil er das Geld abholen kommt. Oft kommt er erst um zwölf, aber heute ist er früh dran. Ich überlasse ihm das Kontrollieren von Warenbestand und Kassa und wechsle mit Sofia ein paar Worte.
Ich habe keine Angst vor Carlos, aber ich mag ihn nicht besonders. Er ist so grobschlächtig und geldgierig, dass sich meine Sympathien für ihn in Grenzen halten.
Die Sonne steht bereits hoch am Himmel, als ich bei der einfachen Erwähnung meines Namens durch meinen Vorgesetzten zusammenzucke. Normalerweise knurrt mein Chef zufrieden und verstaut das Geld in seiner Tasche. Aber heute spricht er meinen Namen aus und es ist ein bisschen so, als würden Rasierklingen aneinander reiben und zu Boden fallen. Meine Nackenhaare stellen sich auf und ich drehe mich zu Carlos.
„Bruno! Hast du mir etwas zu sagen? Es fehlen 880 Pesos!“
In meinem Bauch tobt es. Das Blut in meinen Ohren rauscht. Mir wird übel und meine Knie fangen zu zittern an. „Das ist vollkommen unmöglich.“
Carlos grinst eiskalt. „Unmöglich. Soso.“
Ich schlucke trocken. „Ich. Das. Wie.“ Verdammt, ich bringe keinen einzigen vollständigen Satz heraus.
„Ja? Ich höre!“ Carlos‘ Rasierklingenstimme klingt jetzt wie frisch gewetzte Fleischermesser.
Mein Mund trocknet aus. „Du hast eine Stunde, um das fehlende Geld aufzutreiben. Du willst nicht erleben, was passiert, wenn du es nicht schaffst oder ich noch ein Widerwort höre.“
Ich denke nach. Atme tief und geräuschvoll ein und aus. Ich habe nicht viele Möglichkeiten. Was kann ich tun? Woher soll ich über fünfhundert Pesos nehmen? Eine Stunde, das ist viel zu kurz!
Ich hole Luft, um etwas zu sagen. Überlege es mir dann aber anders. Einfach, weil ich weiß, dass Carlos keinen Spaß macht, wenn es um sein Geld geht.
Ich würde gerne vorschlagen, dass ich nochmal nachzählen möchte, aber ich glaube, dann reißt er mir meinen Kopf ab.
Sofia schaut mich mitleidig an. Ich weiß, dass ihr Blick gerade sagt, dass sie mir gerne helfen möchte, das Geld aber selbst nicht hat. Auch ist mir klar, dass sie sich nicht einmischen möchte. Marktleute mischen sich nie untereinander in Angelegenheiten ein, die sie nichts angehen. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Ich habe eine Idee. Es ist nicht die beste, weil es bedeutet, dass ich einen Teil von meinem Ersparten nehmen muss, aber ich schaue zur Hausmauer hinter mir, an der mein Fahrrad lehnt und wende mich an meinen Chef. „Ich bin in einer Stunde wieder zurück.“
Mein Name ist Admir, das stammt vom Lateinischen, Admiror, ab, was so viel bedeutet wie bewundern. Es scheint so, als hätten meine bosnischen Eltern schon bei meiner Geburt gewusst, dass ich etwas Besonderes bin. Okay, ich gehe davon aus, dass alle Eltern das von ihrem Nachwuchs denken, aber meine hatten offenbar Recht.
Ich bin inzwischen 29 Jahre alt und stehe sowohl in der Blüte meines Lebens als auch in der Blüte meiner Karriere. Ich habe zuletzt ziemlich erfolgreich die Abwehr eines europäischen Topfußballclubs geführt, aber zwischen mir und dem Trainer hat es nicht mehr funktioniert und so habe ich mich dazu entschlossen, etwas Neues zu wagen.
Ich befinde mich jetzt seit zwei Wochen im wundervollen Buenos Aires mitten in Südamerika und freue mich darüber, hier noch relativ unentdeckt durch die Stadt laufen zu können. Klar gibt es auch in der argentinischen Hauptstadt ein paar Soccerfans, die genau wissen, wer ich bin, aber im Vergleich zu dem, was ich in meiner Heimat erlebt habe, sind das hier Peanuts.
Ich habe eine 110 Quadratmeter große Dachgeschosswohnung mit großem Balkon in Barrio Norte im Stadtteil Palermo bezogen, das Viertel der Reichen und Schönen von Buenos Aires. Und mich schneller als erwartet und sehr gut eingelebt.
Ich habe meine morgendliche Joggingrunde entlang der Pazifikküste bereits erfolgreich beendet, immerhin muss ich mich bis zum offiziellen Trainingsbeginn fit halten, deshalb bin ich auch schon ein paar Tage früher angekommen. Das war sicherlich nicht meine schlechteste Idee, denn im Gegensatz zum Winter in Europa herrscht hier Sommer mit angenehmen 22 Grad.
Aber vielleicht sollte ich mich erst einmal etwas genauer beschreiben. Dass ich Admir heiße und 29 Jahre alt bin, habe ich ja schon erwähnt, dass ich ein Abwehrspieler bin, auch. Denke, das erklärt auch, dass ich keiner dieser Fußballflöhe bin, sondern schon eher eine Kante mit 190 Zentimetern, auf die Waage bringe ich 96 Kilo, was aber nicht bedeutet, dass ich langsam bin, ganz im Gegenteil. Und sollte doch mal einer schneller sein, lasse ich ihn einfach auflaufen, in der Regel verschaffe ich mir bereits in den ersten Minuten genügend Respekt bei meinen Gegenspielern, sodass sie gar nicht erst versuchen, in den Zweikampf zu gehen.
Ich habe kurze dunkle Haare, trage meist einen Dreitagebart und dass mein Body dem eines griechischen Gottes ähnelt, versteht sich, ohne jetzt überheblich klingen zu wollen, von selbst.
Was das Sexuelle angeht, bin ich ein geborener Alpha. Ich nehme mir, was ich will und suche schon lange etwas Passendes für langfristig, allerdings muss dann alles passen, und ich weiß um die Gefahren für mich als Person im öffentlichen Leben, was es nicht wirklich einfacher macht.
Doch heute ist ein Tag, an dem sich einiges ändert und alles nur wegen einem dummen Missgeschick. Ich bin nach meiner täglichen Fitness mit dem Duschen fertig, habe mir ein Muskelshirt und eine Shorts angezogen und fahre mit meinem schwarzen Audi A8 aus der Tiefgarage. Mein heutiges Ziel ist der Markt von San Telmo, angeblich einer der schönsten und größten Märkte der Stadt. Was ich leider unterschätzt habe, ist die Parkplatzsituation und so kreise ich mehrfach um den Markt und bin kurz davor aufzugeben, als ich in einer Seitenstraße sehe, wie eine Parklücke frei wird. Leider lenkt mich ein Werbeplakat mit einem saftigen Steak drauf so sehr ab, dass ich den vom Marktgelände kommenden Radfahrer nicht sehe und so fahre ich dem Burschen nicht schnell, aber frontal in sein Bike.
„Fuck“, schnaufe ich.
Ich steige aus meinem nagelneuen Wagen und betrachte den Burschen und das kaputte Fahrrad. Der Drahtesel ist alt, rostig, verbogen und beide Reifen sind jetzt in einem Zustand, der jegliche Weiterfahrt unmöglich macht, wobei es mich eher wundert, dass das Rostding überhaupt je gefahren ist. Ich nehme jetzt den Burschen genauer unter die Lupe. Offenbar hat es ihm die Sprache verschlagen oder er steht so sehr unter Schock, aber glücklicherweise scheint er bis auf ein paar Kratzer keine großen Verletzungen zu haben.
„Hey, alles klar, Kleiner?“, frage ich ehrlich besorgt und um uns herum hat sich bereits eine Menschentraube gebildet.
Ich mustere den Burschen, höchstens 18 Jahre alt von oben bis unten und muss etwas grinsen. Ich reiche ihm die Hand und ziehe ihn hoch. Er schaut auf sein Rad und auf die Kratzer vorne in meinem A8.
„Ja, alles gut soweit“, stottert der Boy und ich sehe, dass er den Tränen nahe ist.
„Ich komme für den Schaden auf, war ja mein Fehler“, erwidere ich sofort und selbst ein Blinder würde sehen, dass dem Bengel sofort ein riesiger Stein vom Herzen fällt.
„Ich parke kurz den Wagen und dann gehen wir was trinken und regeln das Finanzielle, okay?“, sage ich zum Boy und blicke ihm in seine strahlenden grünen Augen.
Der Bursche nickt und ich fahre rückwärts in die Parklücke.
In der Zwischenzeit hat der süße Racker alle Hände voll damit zu tun, den Haufen Schrott von der Straße zu bekommen. Schwitzend lehnt er das, was vom Drahtesel übrig ist, an eine Hausmauer. Ich bin froh, dass sich ohne größere Aufregung die Menschenmenge langsam auflöst.
Ich gehe zu dem Burschen und halte ihm die Hand hin. „Mein Name ist Admir und wie heißt du?“
„Ich bin Bruno, freut mich“, entgegnet der Bengel und ich kann seine Anspannung förmlich spüren.
„Magst rüber zu Starbucks? Dann können wir darüber sprechen, was du von mir bekommst. Ich lade dich natürlich ein.“
Bruno zögert kurz, folgt mir dann aber und ich freue mich etwas mehr über ihn zu erfahren.
„Haben wir ja Glück gehabt, dass ich dich nicht heftiger erwischt habe. Wobei es sicher hässlichere Kühlerfiguren gibt als dich“, scherze ich und beobachte wie Bruno knallrot wird, denn scheinbar ist ihm das Kompliment unangenehm. Ich nutze die Zeit in der Schlange bei Starbucks um das Profil des kleinen Verkehrscrashers genauer zu scannen und ich muss zugeben, dass ich lange nicht mehr eine so nette Bekanntschaft gemacht habe wie Bruno.
Bruno hat den typischen, südamerikanischen Teint, welcher mich ein wenig an einen Karamellshake von Starbucks erinnert. Die eigentlich ungepflegte Chaosfrisur steht dem Bengel perfekt und die eher schmalen Lippen und kleinen grünen Knopfaugen runden das wirklich schöne, junge Gesicht ab.
Ich höre den Magen von Bruno laut knurren und muss lachen.
„Wenn du Hunger hast, spendiere ich dir gern auch was zu essen“, schlage ich vor und schaue Bruno in die Augen.
„Danke, aber ich habe leider keine Zeit, ich muss zurück zur Arbeit“, antwortet Bruno artig.
„Mittagspause?“
„So was Ähnliches.“
Ich bestelle für mich einen großen Cappuccino und ein Stück Focaccia mit Schinken und schnaufe, als Bruno für sich nur einen kleinen Kaffee mit Milch ordert.
„Du hast schon meinen Wagen gesehen oder? Ich gehe nicht pleite, wenn du dir was Vernünftiges gönnst“, lache ich und sehe wie Bruno nur abwinkt.
Wir setzen uns auf die Terrasse und ich übernehme die Initiative. „Ich denke, wir sollten erst einmal das mit dem Unfall klären und dann kannst du mir gern ein bisschen was über dich erzählen.“ Irgendetwas sagt mir, dass ich nicht wirklich viel Widerstand vom süßen Bengel zu erwarten habe, denn er wirkt wohl wegen meiner Art und vielleicht auch aufgrund meines Luxusautos etwas eingeschüchtert. „Also was stellst du dir vor, damit wir den kleinen Unfall vergessen und damit du dir ein neues Fahrrad kaufen kannst?“, frage ich direkt und Bruno beginnt sofort zu schwitzen.
In seinem Kopf rauchen die Gehirnwindungen, er fängt an zu stammeln und ich merke schnell, dass der Kleine kein Verhandlungsgeschick hat.
„Du sagst mir eine Summe, ich sage eine andere und wir treffen uns irgendwo in der Mitte“, schlage ich vor.
„Was sagst du zu 5000 Pesos“, stottert Bruno und schaut unsicher, denn offensichtlich denkt er, dass die Forderung viel zu hoch ist. Ich greife zu meinem Handy, rechne um und bin erstaunt, als ich sehe, dass es umgerechnet nur etwa 110 Euro sind.
„Für das Fahrrad und für deine blauen Flecken?“, kontere ich und sehe wie Bruno nervös nickt.
„Also Bruno, ganz im Ernst, 5000 Pesos, das ist …“, sage ich und Bruno schaut mich an.
„4000 Pesos sind auch okay“, unterbricht der Boy mich und ich lache.
„Glaub mir, du solltest mich erst mal ausreden lassen. 5000 Pesos, ich denke das ist viel zu wenig. Ich gebe dir das Doppelte“, sage ich ruhig und mit Bestimmtheit. Bruno starrt mich überrascht an.
Ich greife ein Bündel Scheine aus meiner Hosentasche, zähle zehn Tausender ab und gebe sie Bruno, welcher das Geld zuerst zögerlich annimmt, dann aber so fest umklammert, als wäre es sein wertvollster Schatz.
„Danke“, murmelt er verlegen und schaut wieder auf seine Uhr. „Ich muss jetzt aber wirklich!“
„Du arbeitest doch auf dem Markt, oder?“, frage ich und Bruno nickt.
„Hättest du eventuell Lust für mich zu arbeiten?“, frage ich direkt und der kleine Südamerikaner schaut mich groß und überrascht an.
„Und als was?“, hakt Bruno nach.
„Na ja, ich bin neu hier und suche noch jemanden, der mir hilft. Kochen, waschen, aufräumen und so Kram. Kannst du kochen?“, frage ich Bruno und dieser nickt eifrig.
„Ich zahle dir 500 Pesos die Stunde. Kannst du schon heute Abend?“
Bruno starrt mich an als wäre ich das achte Weltwunder, was für seine Verhältnisse vermutlich der Wahrheit ziemlich nahekommt.
Bruno nickt erneut.
Ich greife nochmal in meine Tasche und zähle 3000 Pesos ab. Ich nehme einen Stift und schreibe meine Adresse, meinen Namen und meine Handynummer auf meinen leeren Kaffeebecher.
„Dann sehe ich dich um sechs heut Abend. Kauf irgendwas Leckeres fürs Abendessen ein. Wenn irgendwas ist, ruf mich einfach kurz an. Ich freue mich auf dich, Kleiner“, sage ich und gebe ihm den Becher mit meiner Adresse und die 3000 Pesos für den Einkauf.
Bruno versteckt das Geld in seinem Schuh und dann bekommt er wieder diese niedlichen roten Backen.
„Ich habe leider kein Handy“, erwidert er.
„Na dann gehen wir einfach davon aus, dass du pünktlich bist!“ Ich zwinkere mit dem rechten Auge, verabschiede mich und hoffe, dass der Kleine auch wirklich das Potenzial hat, das ich in ihm sehe.
Ich weiß zwei Dinge. Erstens, wenn ich nicht in ein paar Minuten zuhause und dann schnell wieder zurück am Markt bin, ist das mein Todesurteil. Zweitens, ich bin noch nie einem Menschen wie Admir begegnet. Seine Augen haben einen so krass tiefen Braunton, dass mir noch immer schwindelig ist. Ich habe sogar kurz vergessen zu atmen, als sich unsere Blicke begegnet sind. Nur dass ich jetzt keine Zeit habe, mir darüber Gedanken zu machen. Mit dem Geld von Admir im rechten Schuh laufe ich wie vom Teufel gejagt zu mir nachhause, hole aus meinem Geheimversteck die 880 Pesos, die Carlos von mir haben will, ignoriere die Fragen meiner Geschwister, die mich entgeistert anstarren und mache mich auf dem schnellsten Weg zurück nach San Telmo. Ich komme um zehn Minuten zu spät, aber glücklicherweise hat Sofia meinen Boss mit ihren legendären Märchen aus längst vergangener Zeit abgelenkt. Und mit einem stark gesüßten Kakao, den sie immer in ihrer Thermoskanne hat und der ihr nie auszugehen scheint. Ich glaube die meisten ihrer Erzählungen nicht, deshalb bezeichne ich sie als Märchen, irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass es hinter den Iguazú-Wasserfällen Löwen und Tiger gibt, aber sie behauptet heute noch felsenfest, dass sie dort den gefährlichen Wildkatzen begegnet sei. Ich habe Seitenstechen und der Schweiß läuft mir den Rücken und das Gesicht runter, als ich Carlos das Geld gebe.
Er knurrt nur, zählt es nach und gibt mir einen Klaps auf den Hinterkopf. „Ich weiß, dass du es nicht eingesteckt hast und dass ich dir vertrauen kann, aber du musst lernen, beim Wechselgeld genauer zu sein!“
