Anita Blake - Gierige Schatten - Laurell K. Hamilton - E-Book

Anita Blake - Gierige Schatten E-Book

Laurell K. Hamilton

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In St. Louis verschwinden immer wieder Leute, genauer gesagt: Werwölfe und andere Gestaltwandler. Der Anführer eines Werwolfrudels beauftragt Anita Blake mit der Aufklärung des Falls. Zugleich ist in seinem Rudel ein Kampf um die Führerschaft ausgebrochen. Anita gerät zwischen die Fronten, denn sie ist in Richard verliebt, den stärksten Konkurrenten des Leitwolfs. Doch auch Meistervampir Jean-Claude buhlt weiterhin um ihre Gunst. Sie hat schon so manches lebendig überstanden - diese Liebe jedoch könnte tödlich enden ...

"Nie zuvor habe ich eine Autorin gelesen, die über eine derart erstaunliche Fantasie verfügt - und selten jemanden, der weniger Skrupel hatte, selbige auch anzuwenden." Diana Gabaldon

Nächster Band: Anita Blake - Bleiche Stille.

Erlebe (über-)sinnliche Abenteuer mit eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 545

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

CoverÜber die Serie: Anita Blake – Vampire HunterÜber diesen BandÜber die AutorinTriggerwarnungTitelImpressumWidmung12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637383940414243DANKSAGUNGIm nächsten Band

Über die Serie: Anita Blake – Vampire Hunter

Härter, schärfer und gefährlicher als Buffy, die Vampirjägerin – Lesen auf eigene Gefahr!

Vampire, Werwölfe und andere Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten leben als anerkannte, legale Bürger in den USA und haben die gleichen Rechte wie Menschen. In dieser Parallelwelt arbeitet die junge Anita Blake als Animator, Totenbeschwörerin, in St. Louis: Sie erweckt Tote zum Leben, sei es für Gerichtsbefragungen oder trauernde Angehörige. Nebenbei ist sie lizensierte Vampirhenkerin und Beraterin der Polizei in übernatürlichen Kriminalfällen. Die knallharte Arbeit, ihr Sarkasmus und ihre Kaltschnäuzigkeit haben ihr den Spitznamen »Scharfrichterin« eingebracht. Auf der Jagd nach Kriminellen lernt die toughe Anita nicht nur, ihre paranormalen Fähigkeiten auszubauen – durch ihre Arbeit kommt sie den Untoten auch oftmals näher als geplant. Viel näher. Hautnah …

Bei der »Anita Blake«-Reihe handelt es sich um einen gekonnten Mix aus Krimi mit heißer Shapeshifter-Romance, gepaart mit übernatürlichen, mythologischen Elementen sowie Horror und Mystery. Eine einzigartige Mischung in einer alternativen Welt, ähnlich den USA der Gegenwart – dem »Anitaverse«.

Paranormale Wesen in dieser Reihe sind u. a. Vampire, Zombies, Geister und diverse Gestaltwandler (Werwölfe, Werleoparden, Werlöwen, Wertiger, …).

Die Serie besteht aus folgenden Bänden:

Bittersüße Tode

Blutroter Mond

Zirkus der Verdammten

Gierige Schatten

Bleiche Stille

Tanz der Toten

Dunkle Glut

Ruf des Blutes

Göttin der Dunkelheit (Band 1 von 2)

Herrscher der Finsternis (Band 2 von 2)

Jägerin des Zwielichts (Band 1 von 2)

Nacht der Schatten (Band 2 von 2)

Finsteres Verlangen

Schwarze Träume (Band 1 von 2)

Blinder Hunger (Band 2 von 2)

Über diesen Band

In St. Louis verschwinden immer wieder Leute, genauer gesagt: Werwölfe und andere Gestaltwandler. Der Anführer eines Werwolfrudels beauftragt Anita Blake mit der Aufklärung des Falls. Zugleich ist in seinem Rudel ein Kampf um die Führerschaft ausgebrochen. Anita gerät zwischen die Fronten, denn sie ist in Richard verliebt, den stärksten Konkurrenten des Leitwolfs. Doch auch Meistervampir Jean-Claude buhlt weiterhin um ihre Gunst. Sie hat schon so manches lebendig überstanden – diese Liebe jedoch könnte tödlich enden …

Erlebe (über-)sinnliche Abenteuer mit eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Laurell K. Hamilton (*1963 in Arkansas, USA) hat sich mit ihren paranormalen Romanserien um starke Frauenfiguren weltweit eine große Fangemeinde erschrieben, besonders mit ihrer Reihe um die toughe Vampirjägerin Anita Blake. In den USA sind die Anita-Blake-Romane stets auf den obersten Plätzen der Bestsellerlisten zu finden, die weltweite Gesamtauflage liegt im Millionenbereich.

Die New-York-Times-Bestsellerautorin lebt mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in St. Louis, dem Schauplatz ihrer Romane.

Website der Autorin: https://www.laurellkhamilton.com/.

Triggerwarnung

Die Bücher der »Anita Blake – Vampire Hunter«-Serie enthalten neben expliziten Szenen und derber Wortwahl potentiell triggernde und für manche Leserinnen und Leser verstörende Elemente. Es handelt sich dabei unter anderem um:

brutale und blutige Verbrechen, körperliche und psychische Gewalt und Folter, Missbrauch und Vergewaltigung, BDSM sowie extreme sexuelle Praktiken.

Laurell K. Hamilton

ANITA BLAKE

Gierige Schatten

Aus dem amerikanischen Englisch von Angela Koonen

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1996 by Laurell K. Hamilton

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Lunatic Café«

Published by Arrangement with Laurell K. Hamilton

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2006/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Gierige Schatten«

Lektorat: Mona Gabriel/Stefan Bauer

Covergestaltung: Guter Punkt, München

unter Verwendung von Motiven © iStock/BojanMirkovic; Gettyimages/sakkmesterke © iStock/BojanMirkovic; iStock/SergeyChayko

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-0240-9

be-ebooks.de

lesejury.de

Für Trinity Dianne Hamilton,die das schönste Lächeln der Welt hat,selbst um drei Uhr morgens

1

Es war vierzehn Tage vor Weihnachten. Für Totenerwecker eine geruhsame Zeit. Vor mir saß mein letzter Klient für diesen Abend. Neben seinem Namen hatte keine weitere Notiz gestanden. Nichts, was mir sagte, ob ein Toter zu erwecken oder ein Vampir zu pfählen war. Kein Wort. Was wahrscheinlich bedeutete, dass ich zu dem, was er von mir wollte, entweder nicht in der Lage oder nicht bereit sein würde. Die Vorweihnachtszeit war, ohne witzeln zu wollen, immer ziemlich tot. Bert, mein Boss, nahm jeden Auftrag an, der uns angeboten wurde.

George Smitz war ein großer Mann, gute eins fünfundachtzig. Er hatte breite Schultern und kräftige Muskeln. Nicht solche, die man durch Gewichtheben und Hallenjogging bekommt. Muskeln, die sich durch Schwerstarbeit entwickeln. Ich hätte um Geld gewettet, dass Mr Smitz Bauarbeiter oder Farmer oder Ähnliches war. Er war groß und schwer und hatte Schmutz unter den Fingernägeln, an den keine Seife mehr herankam.

Er saß vor mir und zerknautschte seine Mütze, indem er sie mit seinen großen Händen knetete. Der Kaffee, den er sich hatte geben lassen, stand auf der Kante meines Schreibtischs und wurde langsam kalt. Er hatte noch keinen Schluck getrunken.

Ich trank aus meinem Weihnachtsbecher, denn Bert, mein Boss, hatte darauf bestanden, dass jeder einen ins Büro mitbrachte. Eine persönliche Tasse, damit sie dem Büro eine persönliche Note gäbe. Auf meinem Becher war ein Rentier in Bademantel und Schlappen, es hatte Weihnachtskerzen im Geweih, begoss das fröhliche Fest mit Champagner und sagte: »Bingle Jells«.

Bert gefiel mein Becher nicht besonders, aber er ließ ihn durchgehen, wahrscheinlich weil er fürchtete, was ich stattdessen noch mitbringen könnte. Mit meiner Erscheinung heute Abend war er dagegen sehr zufrieden gewesen. Ich hatte eine hochgeschlossene Bluse an, die so knallrot war, dass ich mich schminken musste, um nicht bleich auszusehen. Mein Kostüm war tannengrün. Ich hatte mich nicht für Bert so angezogen. Ich war für meine Verabredung zurechtgemacht.

An meinem Revers glänzte ein Engel als silberne Silhouette. Ich sah sehr weihnachtlich aus. Die 9mm Browning Hi-Power sah überhaupt nicht weihnachtlich aus, aber da sie unter meiner Jacke verborgen war, machte das wohl nichts. Mr Smitz hätte sich daran stören können, aber er hatte offenbar genug andere Sorgen. Solange ich nicht auf ihn schoss.

»Nun, Mr Smitz, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte ich.

Er hatte bisher auf seine Hände gestarrt und hob nun lediglich den Blick, um mich anzusehen. Eine unsichere Geste, die zu einem kleinen Jungen gepasst hätte. An dem großen, kräftigen Mann wirkte sie kurios. »Ich brauche Hilfe und weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll.«

»Welche Art von Hilfe brauchen Sie, Mr Smitz?«

»Es ist wegen meiner Frau.«

Ich wartete darauf, dass er fortfuhr, aber er schaute auf seine Hände. Seine Mütze war zu einem festen Knäuel zusammengedrückt.

»Sie wünschen, dass sie von den Toten erweckt wird?«, fragte ich.

Daraufhin sah er mich bestürzt an. »Sie ist nicht tot. Das weiß ich.«

»Was kann ich denn sonst für Sie tun, Mr Smitz? Ich erwecke Tote und bin außerdem gerichtlich bestellter Vampirhenker. Mit welcher Tätigkeit aus diesem Aufgabengebiet kann Ihrer Frau geholfen werden?«

»Mr Vaughn hat gesagt, dass Sie sich mit Lykanthropie auskennen.« Er redete, als sei damit alles erklärt. Irrtum.

»Mein Boss behauptet so manches, Mr Smitz. Aber was hat Lykanthropie mit Ihrer Frau zu tun?« Das war das zweite Mal, dass ich nach seiner Frau fragte. Ich meinte Englisch zu sprechen, aber vielleicht redete ich in Wirklichkeit Kisuaheli und merkte es nur nicht. Oder vielleicht war, was passiert war, zu schrecklich, um es auszusprechen. Das war in meiner Branche keine Seltenheit.

Er beugte sich vor, den Blick eindringlich auf mein Gesicht geheftet. Ich beugte mich ebenfalls vor, ich konnte nicht anders. »Peggy, das ist meine Frau, sie ist eine Lykanthropin.«

Ich sah ihn mit großen Augen an. »Und?«

»Wenn das rauskommt, verliert sie ihre Arbeit.«

Darüber konnte ich nicht mit ihm streiten. Dem Gesetz nach durften Lykanthropen nicht benachteiligt werden, trotzdem kam es häufig vor. »Was für eine Arbeit hat Ihre Frau?«

»Sie ist Metzgerin.«

Ein Lykanthrop als Metzger. Das war zu gut. Aber ich sah wohl, warum sie ihre Stelle verlieren würde. Lebensmittelzubereitung bei einer potenziell tödlichen Krankheit. Ich selbst habe eine andere Einstellung. Ich weiß, und das Gesundheitsministerium ebenfalls, dass Lykanthropie nur bei einem Angriff und nur durch die Tiergestalt übertragen werden kann. Die meisten Leute glauben das nicht. Ich kann es ihnen eigentlich nicht übel nehmen. Ich möchte auch nicht, dass mir ein Fell wächst.

»Sie hat eine Spezialitätenmetzgerei. Das Geschäft läuft gut. Sie hat es von ihrem Vater geerbt.«

»War er ebenfalls Lykanthrop?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, Peggy ist vor ein paar Jahren überfallen worden. Sie hat überlebt …« Er zuckte die Achseln. »Aber Sie wissen ja.«

In der Tat. »Ihre Frau ist also ein Lykanthrop und würde ihr Geschäft verlieren, wenn es herauskäme. Ich verstehe das. Aber wie kann ich Ihnen helfen?« Ich widerstand dem Drang, auf die Uhr zu sehen. Die Eintrittskarten hatte ich. Richard konnte nicht ohne mich reingehen.

»Peggy ist verschwunden.«

Aha. »Ich bin kein Privatdetektiv, Mr Smitz. Ich bearbeite keine Vermisstenfälle.«

»Aber ich kann nicht zur Polizei gehen. Die finden es vielleicht heraus.«

»Wie lange ist sie schon verschwunden?«

»Zwei Tage.«

»Ich rate Ihnen, dennoch zur Polizei zu gehen.«

Er schüttelte hartnäckig den Kopf. »Nein.«

Ich seufzte. »Mit der Suche nach Vermissten kenne ich mich nicht aus. Ich erwecke Tote und töte Vampire, mehr nicht.«

»Mr Vaughn hat gesagt, Sie würden mir helfen.«

»Haben Sie ihm Ihr Problem geschildert?«

Er nickte.

Mist. Zwischen Bert und mir war ein längeres Gespräch fällig. »Die Polizei beherrscht ihr Handwerk, Mr Smitz. Sagen Sie einfach, Ihre Frau sei verschwunden. Lassen Sie die Lykanthropie aus. Warten Sie ab, was sie herausfinden.« Ich riet einem Klienten nicht gern, der Polizei Informationen vorzuenthalten, aber das war immer noch besser, als sie gar nicht einzuschalten.

»Ms Blake, bitte, ich mache mir Sorgen. Wir haben zwei Kinder.«

Ich wollte sämtliche Gründe aufzählen, weshalb ich ihm nicht helfen konnte, aber dann ließ ich es sein. Mir war etwas eingefallen. »Animators, Inc. hat eine Privatdetektivin unter Vertrag. Veronica Sims hat schon mit einer Menge übernatürlicher Fälle zu tun gehabt. Sie kann Ihnen möglicherweise helfen.«

»Kann ich ihr vertrauen?«

»Ich vertraue ihr.«

Er sah mich zwei Augenblicke lang an, dann nickte er. »Also gut, wo finde ich sie?«

»Ich rufe sie kurz an und frage, ob sie einen Termin für Sie frei hat.«

»Das wäre wunderbar, danke.«

»Ich möchte Ihnen durchaus helfen, Mr Smitz. Aber Vermisste aufzuspüren ist nicht gerade mein Spezialgebiet.« Währenddessen wählte ich die Nummer. Ich kannte Ronnies Nummer auswendig. Wir trainierten mindestens zweimal pro Woche, abgesehen von gelegentlichen Kino- und Restaurantbesuchen und dergleichen. Beste Freundinnen, eine Idee, die Frauen niemals ablegen. Fragen Sie einen Mann nach seinem besten Freund, und er wird überlegen müssen. Er wird Ihnen spontan keinen nennen können. Eine Frau sehr wohl. Ein Mann wird sich nicht einmal auf einen Namen besinnen, nicht wenn es um einen besten Freund geht. Frauen bleiben dabei. Männer nicht. Fragen Sie mich nicht, warum.

Bei Ronnie schaltete sich der Anrufbeantworter ein. »Ronnie, wenn du da bist, nimm ab, hier ist Anita.«

Es klickte in der Leitung, und im nächsten Augenblick hatte ich die echte Ronnie am Apparat. »Tag, Anita. Ich dachte, du wärst heute Abend mit Richard verabredet. Ist was schief gelaufen?«

Da sehen Sie’s: beste Freundin. »Nicht mit der Verabredung. Ich habe hier einen Klienten, der mehr ein Fall für dich ist als für mich.«

»Erzähl«, bat sie.

Ich tat es.

»Hast du ihm empfohlen, zur Polizei zu gehen?«

»Ja.«

»Aber er will nicht.«

»Genau.«

Sie seufzte. »Also, ich habe schon Vermisstenfälle bearbeitet, aber erst nachdem die Polizei schon alles Mögliche unternommen hatte. Sie haben Mittel, die mir nicht zur Verfügung stehen.«

»Das ist mir klar«, sagte ich.

»Er rückt nicht davon ab?«

»Ich glaube nicht.«

»Also heißt es, ich oder …«

»Bert hat den Auftrag angenommen, obwohl er wusste, dass es um einen Vermissten geht. Er könnte ihn sonst an Jamison weiterreichen wollen.«

»Jamison kann bei allem, was über das Erwecken von Toten hinausgeht, seinen Hintern nicht von einem Erdloch unterscheiden.«

»Ja, aber er ist immer eifrig bemüht, sein Spektrum zu erweitern.«

»Frag ihn, ob er um …« Sie hielt so lange inne, wie sie ihren Terminkalender durchging. Ihr Geschäft schien gut zu laufen. »… morgen Früh um neun in meinem Büro sein kann.«

»Du warst ja schon immer ein Frühaufsteher.«

»Einer meiner wenigen Fehler«, bestätigte sie.

Ich fragte George Smitz, ob morgen Früh neun Uhr in Ordnung sei.

»Geht es nicht heute Abend noch?«

»Er möchte heute Abend noch zu dir kommen.«

Sie überlegte kurz. »Warum nicht? Es ist ja nicht so, dass ich eine Verabredung hätte, wie gewisse andere Leute, die ich kenne. Sicher, schicke ihn her. Ich warte. Freitagabend mit einem Klienten ist besser als ganz allein, nehme ich an.«

»Du sitzt wohl gerade auf dem Trocknen«, sagte ich.

»Und du im Nassen.«

»Sehr witzig.«

Sie lachte. »Ich freue mich auf Mr Smitz. Freue du dich auf ›Guys and Dolls‹.«

»Mach ich. Wir treffen uns morgen Früh zum Laufen.«

»Bist du sicher, dass ich so früh schon kommen soll? Vielleicht will dein Traumtyp ja über Nacht bleiben.«

»Du solltest mich besser kennen«, antwortete ich.

»Ja, stimmt. War nur Spaß. Also bis morgen.«

Wir legten auf. Ich gab Mr Smitz Ronnies Geschäftskarte und die Wegbeschreibung und brachte ihn hinaus. Ronnie war das Beste, was ich für ihn tun konnte. Es störte mich zwar, dass er nicht zur Polizei wollte, aber, Mann, es ging schließlich nicht um meine Frau.

Er habe zwei Kinder, hatte er gesagt. Nicht mein Problem. Wirklich nicht. Craig, unser Nachtsekretär, saß an seinem Schreibtisch, und das hieß, es war nach sechs. Ich würde zu spät kommen. Ich hatte wirklich keine Zeit mehr, um mich mit Bert über Mr Smitz zu streiten, aber …

Ich warf einen Blick in Berts Büro. Es war dunkel. »Boss ab nach Hause?«

Craig blickte von der Tastatur auf. Er hat babyzarte, kurze braune Haare, runde Brillengläser, passend zu seinem runden Gesicht. Er ist größer und schlanker als ich, aber wer ist das nicht? Er ist in den Zwanzigern und hat eine Frau und zwei kleine Kinder.

»Mr Vaughn ist vor einer halben Stunde gegangen.«

»Das passt«, sagte ich.

»Etwas nicht in Ordnung?«

Ich schüttelte den Kopf. »Richten Sie mir morgen einen Termin bei ihm ein. Ich muss ihn sprechen.«

»Ich weiß nicht, Anita. Er ist ziemlich ausgebucht.«

»Schieben Sie mich dazwischen, Craig. Oder ich platze in eine seiner Besprechungen.«

»Sie sind verrückt«, fand er.

»Darauf können Sie wetten. Tun Sie’s. Wenn er deswegen schreit, sagen Sie ihm, ich hätte meine Pistole gezogen.«

»Anita«, sagte er mit einem Grinsen, als ob ich nur Spaß machte.

Ich blieb bei ihm stehen, während er die Termine durchsah und versuchte, mich irgendwo einzuschieben. Es war mir ernst. Bert würde morgen mit mir reden. Der Dezember war unser lauester Geschäftsmonat. Die Leute schienen zu glauben, man dürfe so kurz vor Weihnachten keine Toten erwecken, so als wäre es schwarze Magie oder dergleichen. Darum nahm Bert andere Aufträge an, um die Flaute zu überbrücken. Ich war es leid, Klienten zu haben, für die ich nichts tun konnte. Smitz war nicht der Erste in diesem Monat, aber er würde der Letzte sein.

Mit diesem heiteren Gedanken zog ich mir den Mantel über und ging. Richard wartete. Wenn der Verkehr mitspielte, würde ich es vor der Eröffnungsnummer schaffen. Im Freitagabendverkehr? Wohl kaum.

2

Mein alter Nova von 1978 war einen tragischen Tod gestorben. Jetzt fuhr ich einen Cherokee Country Jeep. Er war tief dunkelgrün, und bei Nacht sah er schwarz aus. Aber er hatte Vierradantrieb und genügend Stauraum für die Ziegen. Meistens benutzte ich bei den Erweckungen Hühner, aber gelegentlich braucht man etwas Größeres. Der Transport der Ziegen in dem Nova war immer eine Riesensauerei gewesen.

Ich zog mit dem Cherokee in die letzte freie Lücke auf dem Parkplatz an der Grant Street. Mein langer schwarzer Wintermantel bauschte sich im Wind, denn ich hatte nur die unteren zwei Knöpfe geschlossen. Wenn ich alle zuknöpfte, kam ich nicht an meine Pistole heran.

Die Hände hatte ich in die Taschen geschoben, mit den Armen hielt ich den Stoff an mich gedrückt. Handschuhe hatte ich keine an. Ich fand es noch nie bequem, mit Handschuhen zu schießen. Die Pistole ist ein Teil meiner Hand. Stoff darf nicht dazwischenkommen.

Ich rannte mit meinen hochhackigen Pumps vorsichtig über die reifglatte Straße. Auf dem Bürgersteig waren die Platten wie unter einem Vorschlaghammer gesprungen, und große Stücke fehlten. Die angrenzenden Gebäude wirkten genauso schäbig. Das Gedränge der Leute hatte ich verpasst, da ich so gut wie zu spät kam, also hatte ich die Straße für mich allein. Ein kurzer, einsamer Spaziergang an einem Dezemberabend. Überall lagen Glasscherben, ich musste sehr aufpassen, wohin ich mit den hohen Absätzen trat. Zwischen den Gebäuden verlief eine Gasse. Sie sah aus wie die natürliche Behausung der Spezies des gemeinen amerikanischen Straßenräubers. Ich spähte aufmerksam in die Dunkelheit. Nichts bewegte sich. Mit der Browning war ich nicht allzu beunruhigt, aber trotzdem … Man braucht kein Genie zu sein, um jemanden von hinten zu erschießen.

Als ich mich der Ecke und damit relativ sicherem Terrain näherte, wehte der Wind so kalt, dass es mir den Atem nahm. Im Winter trug ich häufig Pullover, aber heute wollte ich ein bisschen schicker sein, also fror ich mir den Hintern ab und hoffte, dass Richard die rote Bluse gefiel.

An der Ecke gab es Lampen, Autos und einen Polizisten, der auf der Straße den Verkehr regelte. In diesem Teil von St. Louis sah man nie so viel Polizei, außer wenn im Fox etwas lief. Es kamen viele Reiche in Pelz, mit Diamanten und Rolex hierher. Wäre nicht zuträglich, wenn der Freund eines Stadtrats überfallen würde. Als Topol noch einmal seine Rolle im »Fiddler on the Roof« spielte, kam die Crème de la Crème ins Theater, und es wimmelte nur so von Polizisten. Heute Abend war alles ganz normal. Hauptsächlich standen sie vor dem Theater, regelten zumeist den Verkehr, sahen sich aber auch an den schäbigen Rückseiten der Gebäude um, für den Fall dass einer mit Geld sich aus dem Licht entfernte.

Ich ging durch die Glastüren in den langen, schmalen Eingangsflur. Er war hell erleuchtet, geradezu strahlend. Rechts gibt es einen kleinen Raum, wo man seine Karten abholen kann. Dort strömten Leute heraus und eilten auf die innere Glastür zu. Ich war nicht so spät dran wie ich dachte, wenn noch so viele Leute ihre Karten holten. Oder sie hatten sich genauso verspätet wie ich.

Ich entdeckte Richard in der hinteren rechten Ecke. Mit seinen Einsvierundachtzig ist er in einem überfüllten Raum leichter zu finden als ich mit meinen Einseinundsechzig. Er stand vollkommen still, nur seine Augen verfolgten die Bewegungen der Menge. Er wirkte nicht gelangweilt oder ungeduldig. Es schien ihm Spaß zu machen, die Leute zu beobachten. Seine Augen folgten einem älteren Paar durch die Glastüren. Die Frau ging am Stock, sie kam nur quälend langsam vorwärts. Richard drehte den Kopf im selben Tempo mit. Ich schaute mir die übrigen Leute an. Alle anderen waren jünger und liefen mit sicherem oder eiligem Schritt. Hielt Richard nach Opfern Ausschau? Nach Beute? Schließlich war er ein Werwolf. Seit er eine verseuchte Impfstoffcharge erwischt hatte. Einer der Gründe, weshalb ich mich nie hatte impfen lasse. Wenn meine Grippeimpfung mal versagt, in Ordnung, aber einmal im Monat ein Fell zu bekommen, nein, danke.

Merkte er nicht, dass er dastand und den Leuten hinterhersah wie ein Löwe einer Herde Gazellen? Vielleicht dachte er bei dem älteren Paar aber auch nur an seine Großeltern. Himmel, vielleicht unterstellte ich ihm Motive, die ausschließlich in meinem misstrauischen kleinen Gehirn existierten. Na hoffentlich.

Seine Haare waren braun. Bei Sonnenschein schimmerten manche Strähnen golden bis kupferrot. Eigentlich war es schulterlang, fast so lang wie meins, aber er musste etwas damit gemacht haben, vielleicht hatte er’s zusammengebunden, denn man hatte den Eindruck eines sehr kurzen Haarschnitts. Was bei seinen Locken nicht einfach war.

Sein Anzug war von einem satten Grün. Die meisten Männer hätten darin ausgesehen wie Peter Pan, aber zu ihm schien er genau zu passen. Beim Näherkommen sah ich, dass sein Hemd einen hellen Goldton und die Krawatte ein dunkleres Grün als der Anzug hatte. Gemustert war sie mit kleinen roten Tannenbäumen. Ich hätte ja gern über die Krawatte gelästert, aber wo ich selbst in Rot und Grün ging und einen Weihnachtsengel am Revers trug, konnte ich mich kaum beklagen, oder?

Er entdeckte mich und lächelte. Bei seiner braunen Haut wirkte das Lächeln sehr strahlend. Sein Nachname, Zeeman, war holländisch, aber unter seinen Vorfahren musste irgendwo ein Nichteuropäer gewesen sein, einer, der weder blond noch hellhäutig noch unterkühlt war. Seine Augen waren schön schokoladenbraun.

Er nahm sanft meine Hände und zog mich zu sich heran. Drückte mir sacht die Lippen auf den Mund, ein kurzer, fast keuscher Kuss.

Ich trat einen Schritt zurück, um Atem zu holen. Er hielt meine Hand weiter fest, und ich ließ ihn. Nach der Kälte draußen fühlte sich seine Haut sehr warm an. Ich dachte daran, ihn zu fragen, ob er die beiden älteren Leute gern gefressen hätte, ließ es aber bleiben. Ihm mörderische Absichten zu unterstellen, konnte uns den Abend verderben. Außerdem merkten die wenigstens Lykanthropen, wenn sie sich nicht wie Menschen benahmen. Wenn man sie darauf hinwies, wirkten sie immer gekränkt. Und ich wollte Richard nicht kränken.

Als wir durch die inneren Glastüren die bevölkerte Vorhalle betraten, fragte ich: »Wo ist dein Mantel?«

»Im Wagen. Ich wollte ihn nicht über dem Arm tragen, darum bin ich gerannt.«

Ich nickte. Das war typisch für ihn. Oder vielleicht bekamen Lykanthropen keine Erkältung. Von hinten konnte ich sehen, dass er die Haare dicht am Kopf entlang geflochten hatte. Die Zopfspitze hing auf den Kragen hinab. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er das hingekriegt hatte. Wenn ich mich frisiere, tue ich nichts weiter, als mir die Haare zu waschen, ein bisschen Gel hineinzuschmieren und sie trocknen zu lassen. Von hochkomplexem Hairstyling habe ich keine Ahnung. Aber es würde vielleicht Spaß machen, nach der Vorstellung ganz gemächlich die Knoten zu lösen. Ich war immer bereit, mir neue Fertigkeiten anzueignen.

Das Hauptfoyer des Fox ist eine Mischung aus einem sehr hübschen Chinarestaurant und einem Hindutempel mit einem Hauch Art déco hier und da. Die Farben sind derartig grell, dass man meint, der Maler habe zermahlenes Buntglas verwendet, in dem das Licht eingefangen wird. Pitbullgroße chinesische Löwen mit glühend roten Augen bewachen eine geschwungene Treppe, die zum Balkon des Fox Club hinaufführt, wo man für fünfzehntausend Dollar Jahresgebühr wunderbare Menüs verzehren und eine private Loge bekommen kann. Wir Tagelöhner jedoch schieben uns Schulter an Schulter über den Teppichboden des Foyers, wo man uns Popcorn, Bretzeln, Pepsi und an manchen Abenden Hotdogs anbietet. Etwas ganz anderes als das Hühnchen-Cordon-bleu oder was sie sonst dort oben servieren.

Das Fox bewegt sich auf dieser wunderbar schmalen Grenzlinie zwischen Geschmacklosigkeit und Überspanntheit. Ich liebe dieses Haus, seit ich es zum ersten Mal betreten habe. Bei jedem Besuch entdecke ich irgendein neues Wunder. Eine Farbe oder Schnitzerei oder eine Statue, die mir noch nicht aufgefallen ist. Wenn man weiß, dass es ursprünglich als Filmtheater gebaut wurde, merkt man, wie sehr sich die Dinge gewandelt haben. Kinos haben heute etwa so viel Ausstrahlung wie ungewaschene Socken. Dieses Haus dagegen ist so lebendig, wie nur die besten sein können.

Ich musste Richards Hand loslassen, damit ich mir den Mantel aufknöpfen konnte, aber, Mensch, wir waren keine siamesischen Zwillinge. In dem Gedränge standen wir dicht beieinander, ohne uns zu berühren, aber ich spürte seine Körperwärme.

»Wenn ich den Mantel ausziehe, werden wir aussehen wie die Bobsey-Zwillinge«, sagte ich.

Er hob die Augenbrauen.

Ich ließ ihn unter den Mantel blicken, und er lachte. Es war ein wohltuendes Lachen, warm und dick wie Weihnachtspudding.

»Liegt an der Jahreszeit«, sagte er. Er zog mich in den Arm und drückte mich kurz, wie man es mit einem Freund macht, aber dann blieb sein Arm auf meiner Schulter liegen. Wir waren mit unserer Bekanntschaft noch nicht so weit fortgeschritten, sodass Berührungen noch neu, unerwartet, belebend waren. Wir suchten immerfort nach Gründen, einander anfassen zu dürfen. Versuchten, dann unbekümmert zu reagieren. Ohne einander zu täuschen. Waren unsicher, ob es etwas ausmachte. Ich schob einen Arm um seine Taille und kam ihm ein bisschen näher. Es war mein rechter Arm. Würden wir jetzt angegriffen, ich könnte keinesfalls rechtzeitig die Pistole ziehen. So blieb ich eine Minute lang und dachte, das könnte es wert sein. Dann ging ich um ihn herum und überließ ihm meine linke Hand.

Ich weiß nicht, ob er die Waffe gesehen oder ihr Vorhandensein gefolgert hatte, jedenfalls riss er kurz die Augen auf, beugte sich dicht zu mir und flüsterte mir ins Haar: »Eine Pistole hier im Fox? Glaubst du, die Platzanweiser lassen dich rein?«

»Voriges Mal haben sie.«

Er bekam einen seltsamen Gesichtsausdruck. »Du gehst immer bewaffnet?«

Ich zuckte die Achseln. »Nach Einbruch der Dunkelheit ja.«

Er blickte ratlos, sagte aber nichts dazu. Im vorigen Jahr war ich abends einige Male unbewaffnet ausgegangen, aber dieses Jahr war ziemlich ruppig gewesen. Die verschiedensten Leute hatten versucht, mich umzubringen. Ich war klein, selbst für eine Frau. Ich joggte, betrieb Muskeltraining, hatte den schwarzen Gürtel im Judo, aber von den wirklich bösen Jungs waren mir die meisten überlegen. Auch sie stemmten Gewichte, beherrschten Kampfsportarten und waren mindestens hundert Pfund schwerer als ich. Beim Armdrücken konnte ich sie nicht besiegen, aber ich konnte sie erschießen.

Ebenso oft hatte ich es mit Vampiren und anderen übernatürlichen Krabbeltieren zu tun . Sie konnten einen Lkw mit einer Hand stemmen oder Schlimmeres tun. Silbermunition tötete nicht jeden Vampir, machte sie aber auf alle Fälle langsamer. Das reichte mir, um die Beine in die Hand zu nehmen. Um zu entkommen. Um zu überleben.

Richard wusste, womit ich mein Geld verdiente. Er hatte auch die schmutzigen Seiten schon erlebt. Trotzdem wartete ich darauf, dass er die Sache zum Platzen brachte. Dass er den männlichen Beschützer spielte und wegen der Waffe oder anderem meckerte. Es bereitete mir eine ständige Enge im Magen, weil ich darauf wartete, dass dieser Mann etwas Schreckliches sagen würde. Etwas, das die Sache verdarb, sie zerstörte, etwas, das wehtat.

So weit so gut.

Die Leute strömten langsam über die Treppe, teilten sich auf die Flure auf, die zum Haupttheater führten. Wir schoben uns Schritt für Schritt mit ihnen, hielten uns bei der Hand, um nicht getrennt zu werden. Klar.

Einmal aus dem Foyer heraus, floss die Menge in die verschiedenen Gänge wie Wasser, das sich den schnellsten Weg abwärts sucht. Der schnellste Weg war immer noch ziemlich langsam. Ich angelte die Karten aus der Jackentasche. Eine Handtasche hatte ich nicht bei mir. Eine kleine Bürste, Lippenstift, Lippenkonturenstift, Lidschatten, Personalausweis und die Wagenschlüssel hatte ich in die Manteltaschen gestopft. Mein Piepser klemmte seitlich an meinem Rock, ganz diskret. Wenn ich nicht schick gekleidet ging, trug ich eine Gürteltasche.

Die Platzanweiserin, eine ältere Frau mit Brille, leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe auf unsere Karten. Sie zeigte uns die Reihe zu unseren Plätzen und ging zurück, um die nächsten hilflosen Leute einzuweisen. Die Plätze waren gut, weit in der Mitte und nah an der Bühne. Jedenfalls nah genug.

Richard war blitzschnell vor mir in die Reihe eingeschwenkt, sodass er an meiner linken Seite saß. Er begreift schnell. Auch deswegen gehen wir noch immer miteinander aus. Deswegen und weil ich ein schreckliches Verlangen nach ihm habe.

Ich breitete meinen Mantel über den Sitz aus, so störte er am wenigsten. Richards Arm wand sich über die Rückenlehne, seine Finger berührten mich an der Schulter. Ich unterdrückte den Wunsch, den Kopf an seine Schulter zu lehnen. Zu billig. Dann dachte ich, was soll’s. Ich schmiegte mich in seine Halsbeuge und atmete den Duft seiner Haut ein. Sein Rasierwasser roch frisch und mild, aber es vermischte sich mit seinem eigenen Geruch. Bei einem anderen würde es ganz anders duften. Offen gesagt mochte ich seinen Geruch ohne einen Tropfen Rasierwasser.

Ich richtete mich auf und rückte ein bisschen von ihm ab. Er sah mich fragend an. »Etwas nicht in Ordnung?«

»Gutes Rasierwasser«, sagte ich. Nicht nötig ihm zu gestehen, dass ich den unwiderstehlichen Drang verspürte, an seinem Hals zu knabbern. Das wäre zu peinlich.

Die Lichter gingen aus, und die Musik begann. »Guys and Dolls« hatte ich noch nie gesehen, nur als Film. Den mit Marlon Brando und Jean Simmons. Gemeinsam ausgehen hieß bei Richard Höhlenwandern und Geländemärsche, alles, wobei man seine ältesten Klamotten und festes Schuhwerk braucht. Daran war nichts auszusetzen. Mir gefiel es im Freien, aber ich wollte gern ausprobieren, wie es war, richtig mit ihm auszugehen. Wollte Richard im Anzug sehen und mich in etwas Rüschigerem zeigen als in Jeans. Schließlich und endlich war ich eine Frau, ob ich es nun gern zugab oder nicht.

Da dieser Abend mein Vorschlag gewesen war, wollte ich nicht die übliche Kombination von Restaurant und Kino haben. Also hatte ich im Fox angerufen, was gespielt wurde, und Richard gefragt, ob er Musicals mochte. Er mochte sie. Noch ein Punkt zu seinen Gunsten. Und folglich hatte ich auch die Karten besorgt. Richard hatte nicht widersprochen, nicht einmal versucht, die Hälfte zu bezahlen. Ich hatte auch nicht angeboten, für das letzte Abendessen zu zahlen. Es war mir gar nicht eingefallen. Dass Richard eingefallen war, die Karten zu bezahlen, darauf mochte ich wetten, aber er schwieg dazu. Kluger Mann.

Der Vorhang hob sich, und man sah eine Szene auf offener Straße, in leuchtenden Farben, perfekt stilisiert und fröhlich, genau wie ich es brauchte. Die »Fugue for Tinhorns« füllte die erleuchtete Bühne und strömte in die beglückte Dunkelheit. Gute Musik, Komik, ein paar Tänzer, Richard dicht neben mir, die Pistole unterm Arm – was konnte sich eine Frau Besseres wünschen?

3

Ein paar Leute waren vor dem Ende des Musicals hinausgeschlüpft, um der Masse zuvorzukommen. Ich blieb immer bis ganz zum Schluss sitzen. Es erschien mir unfair, sich fortzustehlen und nicht zu applaudieren. Außerdem konnte ich es nicht leiden, von einer Sache den Schluss zu verpassen. Ich glaubte dann immer, dass mir das Beste entgangen war.

Es gab stehende Ovationen, und wir schlossen uns begeistert an. Ich bin noch in keiner Stadt gewesen, wo man so häufig stehend applaudiert. Zugegeben, manchmal war die Vorstellung wunderbar, so wie heute, aber ich hatte auch schon erlebt, dass die Leute beim Klatschen aufstanden, obwohl die Aufführung das nicht verdient hatte. Ich stehe nicht auf, wenn es mir damit nicht ernst ist.

Richard setzte sich wieder hin, nachdem das Licht angegangen war. »Ich würde lieber warten, bis sich der Strom ausgedünnt hat. Wenn du nichts dagegen hast.« Seinem Blick sah ich an, dass er nicht damit rechnete.

Ich hatte nichts dagegen. Wir waren jeder mit dem eigenen Wagen gekommen. Sobald wir das Fox verließen, würde der Abend zu Ende sein. Offenbar wollte keiner von uns schon gehen. Ich jedenfalls nicht.

Ich stand an die Vorderreihe gelehnt und sah auf ihn hinunter. Er lächelte zu mir herauf, seine Augen leuchteten verlangend, vielleicht sogar liebend. Ich lächelte auch. Schien wohl nicht anders zu können.

»Du weißt, dass dieses Musical sehr sexistisch ist«, sagte er.

Ich dachte einen Moment lang darüber nach, dann nickte ich. »Ja.«

»Aber es gefällt dir?«

Ich nickte.

Er blickte mich skeptisch an. »Ich dachte, es würde dich beleidigen.«

»Es gibt Besseres, als sich darüber zu ärgern, dass ›Guys and Dolls‹ keine ausgewogene Weltsicht widerspiegelt.«

Er lachte auf – ein schöner Klang. »Prima. Für einen Augenblick hatte ich befürchtet, ich müsse meine Rodgers-Hammerstein-Sammlung abstoßen.«

Ich musterte sein Gesicht und versuchte zu ergründen, ob er mich aufzog. Ich glaubte es nicht. »Du sammelst tatsächlich die Musik von Rodgers und Hammerstein?«

Er nickte, und das Lachen leuchtete ihm aus den Augen.

»Alles von Rodgers und Hammerstein oder alle Musicals?«

»Ich habe nicht alle, aber ich hätte sie gern.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Was ist?«

»Du bist ein Romantiker.«

»Bei dir klingt das wie etwas Schlimmes.«

»Dieser ganze Glücklich-bis-an-ihr-Lebensende-Mist hat mit dem Leben nicht viel zu tun.«

Nun musterte er mein Gesicht. Augenscheinlich gefiel ihm nicht, was er sah, denn er runzelte die Stirn. »Dieser Abend war dein Vorschlag. Wenn du von diesem glücklichen Zeug nichts hältst, warum hast du mich dann hierher gebracht?«

Ich zuckte die Achseln. »Nachdem ich dich zu einem schicken Abend animiert hatte, wusste ich nicht, wohin. Ich wollte nicht das Übliche. Außerdem mag ich Musicals. Ich finde nur nicht, dass sie realistisch sind.«

»Du bist gar nicht so hart, wie du vorgibst.«

»Doch, bin ich.«

»Das glaube ich nicht. Ich glaube, dir gefällt dieses Glücklich-bis-ans-Lebensende genauso wie mir. Du hast zu viel Angst, um daran zu glauben.«

»Ich habe keine Angst, ich bin nur vorsichtig.«

»Zu oft enttäuscht worden?«, fragte er.

»Vielleicht.« Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Ein Psychologe hätte jetzt gesagt, ich würde mich abriegeln, die Kommunikation verweigern. Zum Teufel damit.

»Was denkst du?«

Ich zuckte die Achseln.

»Sag es mir, bitte.«

Ich schaute in seine ernsten braunen Augen und wollte nach Hause und allein sein. Stattdessen. »Glücklich bis ans Lebensende, das ist eine Lüge, Richard, und das ist es gewesen, seit ich acht war.«

»Der Tod deiner Mutter«, antwortete er.

Ich sah ihn nur an. Ich war vierundzwanzig Jahre alt, und der Schmerz dieses allerersten Verlusts war noch immer nagelneu. Man konnte damit umgehen, ihn aushalten, aber nicht davon wegkommen. Glauben Sie niemals ernsthaft an den wunderbaren, schönen Platz im Leben. Glauben Sie niemals, dass das Schlimmste nicht auf Sie herabstürzt und Ihnen nicht alles nimmt. Ich würde mich lieber mit einem Dutzend Vampire herumschlagen, als mit einem einzigen sinnlosen Unfall klarkommen zu müssen.

Er löste meine verkrampfte Hand von meinem Arm. »Ich werde nicht deinetwegen sterben, Anita. Ich verspreche es.«

Jemand lachte, ein tiefes, leises Lachen, das mir wie mit Fingerspitzen über die Haut strich. Nur eine Person hatte dieses fühlbare Lachen – Jean-Claude. Ich drehte mich um, und da stand er. In der Mitte der Sitzreihe. Ich hatte ihn nicht kommen hören. Keinerlei Bewegung gespürt. Er war plötzlich da wie durch Zauberei.

»Mach keine Versprechungen, die du nicht halten kannst, Richard.«

4

Ich trat einen Schritt zur Seite, damit Richard Platz zum Aufstehen hatte. Dass er so dicht hinter mir stand, fand ich beruhigend, fast als wäre ich nicht um seine, sondern um meine Sicherheit besorgt.

Jean-Claude trug einen abgetragenen Frack, mit richtigen Schößen. Eine weiße Weste mit winzigen schwarzen Punkten säumte das strahlende Weiß des Hemdes. Der Kragen saß hoch und steif, ein schwarzes Halstuch war darum gebunden und in die Weste gesteckt, als wäre der Schlips noch nicht erfunden worden. Die Krawattennadel war aus Silber und Onyx. Er trug Gamaschen wie Fred Astaire, aber vermutlich stammte der Aufzug aus einer viel früheren Zeit.

Sein Haar trug er modisch lang, die schwarzen Locken umschmeichelten den weißen Hemdkragen. Die Farbe seiner Augen kannte ich, aber ich wollte gerade nicht hineinsehen. Sie waren nachtblau, so blau wie ein wirklich guter Saphir. Niemals in die Augen eines Vampirs blicken. Eine wichtige Regel.

Während der Meistervampir der Stadt so abwartend dastand, merkte ich, wie weit sich das Theater schon geleert hatte. Na schön, wir hatten die Leute vorlassen wollen. Also standen wir allein in der hallenden Stille. Das ferne Gemurmel der abziehenden Menge war wie kosmisches Rauschen. Es hatte keine Bedeutung für uns. Ich starrte auf die glänzenden Perlmuttknöpfe an Jean-Claudes Weste. Es fällt schwer, knallhart zu wirken, wenn man jemandes Blick ausweichen muss. Aber ich würde es hinkriegen.

»Gott, Jean-Claude, tragen Sie niemals eine andere Farbe als Schwarz und Weiß?«

»Gefällt es Ihnen nicht, ma petite?« Er machte eine kleine Drehung, damit mir die ganze Wirkung zuteil wurde. Der Anzug stand ihm prächtig. Natürlich wirkte an ihm immer alles wie auf den Leib geschnitten, perfekt und schön, genau wie er selbst.

»Aus irgendeinem Grund hätte ich nicht geglaubt, dass ›Guys and Dolls‹ Ihr Geschmack ist, Jean-Claude.«

»So wenig wie Ihrer, ma petite.« Seine Stimme klang satt wie Sahne und ließ eine Hitze ahnen, die nur von zweierlei stammen konnte: Zorn oder Lust. Ich wettete, dass es nicht Lust war.

Ich hatte die Pistole bei mir. Die Silberkugeln würden ihn aber nur bremsen, nicht umbringen. Andererseits würde er uns wohl nicht in der Öffentlichkeit anfallen. Dafür war er zu zivilisiert. Er war ein Vampir, der Geschäfte tätigte, ein Unternehmer. Unternehmer, ob tote oder lebendige, laufen nicht umher und schlitzen anderen Leuten die Kehle auf. Normalerweise.

»Richard, du bist ungewöhnlich still.« Jean-Claude schaute an mir vorbei. Ich drehte mich nicht um, um zu sehen, was Richard tat. Lassen Sie den Vampir, der vor Ihnen steht, niemals aus den Augen, nicht einmal um einen Blick auf das Werwolfrudel hinter Ihnen zu werfen. Immer eins nach dem anderen.

»Anita kann für sich allein reden«, erwiderte Richard.

Jean-Claudes Blick huschte zu mir zurück. »Das ist sicherlich wahr. Aber ich bin gekommen, um zu erfahren, wie euch beiden die Vorstellung gefallen hat.«

»Und Schweine können fliegen«, erwiderte ich.

»Sie glauben mir nicht?«

»Kaum«, sagte ich.

»Also, Richard, wie hat dir die Vorstellung gefallen?« In seiner Stimme klang ein Lachen an, aber der Zorn war trotzdem spürbar. Meistervampire hat man besser nicht um sich, wenn sie wütend sind.

»Es war wunderbar, bis du aufgekreuzt bist.« Da war ein Anflug von Heftigkeit zu hören, aufsteigender Ärger. Ich hatte ihn noch nie zornig erlebt.

»Wie kann meine bloße Anwesenheit euch den … Abend verderben?« Die letzten zwei Worte spuckte er aus, als habe er sich daran die Zunge verbrannt.

»Warum sind Sie heute Abend so sauer, Jean-Claude?«, fragte ich.

»Also, ma petite, ich bin niemals … sauer.«

»Blödsinn.«

»Er ist eifersüchtig auf uns«, befand Richard.

»Ich bin nicht eifersüchtig.«

»Zu Anita sagst du immer, dass du ihr Verlangen riechen kannst. Genauso kann ich deins riechen. Du begehrst sie so sehr, dass« – Richard stieß ein bitteres Lachen aus – »man es schmecken kann.«

»Und Sie, Monsieur Zeeman, Sie begehren sie nicht?«

»Hören Sie auf, so zu reden, als wäre ich nicht da«, verlangte ich.

»Anita hat mich um eine Verabredung gebeten, und ich habe ja gesagt.«

»Ist das wahr, ma petite?« Er war sehr leise geworden. Was noch unheimlicher war als sein Zorn.

Ich wollte nein sagen, aber eine Lüge würde er spüren. »Es stimmt. Was ist dabei?«

Schweigen. Er stand nur still da. Wenn ich ihn nicht direkt vor Augen gehabt hätte, ich hätte seine Anwesenheit nicht bemerkt. Die Toten machen kein Geräusch.

Mein Piepser ging an. Richard und ich fuhren zusammen wie angeschossen. Jean-Claude blieb unbewegt, als habe er nichts gehört.

Ich drückte auf den Knopf, und die Nummer leuchtete auf. Ich musste stöhnen.

»Wer ist es?«, fragte Richard. Er legte mir eine Hand auf die Schulter.

»Die Polizei. Ich muss zu einem Telefon.« Ich lehnte mich an Richards Brust. Er drückte sacht meine Schulter, während ich den Vampir vor mir anstarrte. Würde Jean-Claude ihm etwas tun, sobald ich fort war? Ich war mir nicht sicher.

»Trägst du ein Kreuz bei dir?« Ich gab mir keine Mühe zu flüstern, Jean-Claude hätte es ohnehin gehört.

»Nein.«

Ich drehte mich halb herum. »Nein! Du bist im Dunkeln ohne Kreuz unterwegs?«

Er zuckte die Achseln. »Ich bin ein Gestaltwandler. Ich kann auf mich aufpassen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Dass sie dir ein Mal die Kehle aufgerissen haben, war nicht genug?«

»Ich lebe noch«, sagte er.

»Ich weiß, bei dir verheilt fast jede Wunde, aber um Himmels willen, Richard, eben auch nicht jede.« Ich fing an, mein Kreuz aus der Bluse hervorzuziehen. »Du kannst meins geliehen haben.«

»Ist das echtes Silber?«, fragte Richard.

»Ja.«

»Ich kann es nicht nehmen. Ich reagiere darauf allergisch, das weißt du.«

Ach. Wie dumm von mir. Ein Experte in übernatürlicher Biologie, der einem Lykanthropen Silber anbietet. Ich stopfte mir die Kette wieder in den Ausschnitt.

»Er ist genauso wenig ein Mensch wie ich, ma petite.«

»Ich bin wenigstens nicht tot.«

»Dem lässt sich abhelfen.«

»Aufhören, alle beide.«

»Hast du schon ihr Schlafzimmer gesehen, Richard? Ihre Stoffpinguine?«

Ich holte tief Luft und atmete langsam aus. Ich würde mich nicht dazu hinreißen lassen zu erklären, wie es Jean-Claude gelungen war, mein Schlafzimmer zu sehen. Musste ich erst ausdrücklich sagen, dass ich nicht mit einem wandelnden Toten ins Bett ging?

»Du versuchst, mich eifersüchtig zu machen, aber es funktioniert nicht«, erwiderte Richard.

»Aber da nagt ein Zweifel in dir, Richard. Ich weiß es. Du bist das Geschöpf, das ich rufen kann, mein Wolf, und ich weiß, dass du an ihr zweifelst.«

»Ich zweifle nicht an Anita.« Doch da war eine Abwehrhaltung zu spüren, die mir gar nicht gefiel.

»Ich gehöre dir nicht, Jean-Claude«, sagte Richard. »Ich werde der nächste Anführer des Rudels sein. Ich komme und gehe, wohin es mir gefällt. Der Leitwolf hat den Befehl, dir zu gehorchen, zurückgezogen, nachdem ich deinetwegen fast umgebracht wurde.«

»Dein Anführer war höchst aufgebracht, weil du überlebt hast«, erwiderte Jean-Claude süß.

»Warum sollte er Richards Tod wünschen?«, fragte ich.

Jean-Claude sah an mir vorbei zu Richard. »Du hast ihr nicht erzählt, dass du in einem Kampf um die Nachfolge steckst?«

»Ich werde nicht gegen Marcus kämpfen.«

»Dann wirst du sterben.« Jean-Claude ließ es wie selbstverständlich klingen.

Mein Piepser meldete sich erneut. Dieselbe Nummer. »Ich bin unterwegs, Dolph«, murmelte ich.

Ich sah Richard von der Seite an. In seinen Augen funkelte Zorn. Er hatte die Fäuste geballt. Ich stand nah genug bei ihm, um zu spüren, wie seine Anspannung stufenweise anstieg.

»Was geht hier vor, Richard?«

Er schüttelte kurz den Kopf. »Meine Sache, nicht deine.«

»Wenn dich jemand bedroht, ist es meine Sache.«

Er blickte auf mich runter. »Nein, du bist keine von uns. Ich will dich nicht hineinziehen.«

»Ich kann auf mich aufpassen, Richard.«

Er schüttelte nur den Kopf.

»Marcus möchte Sie hineinziehen, ma petite. Aber Richard lehnt das ab. Das ist zwischen ihnen ein, äh, Zankapfel. Einer von vielen.«

»Wieso wissen Sie so viel darüber?«, fragte ich.

»Wir Anführer der übernatürlichen Gemeinde müssen miteinander zurechtkommen. Zu unser aller Sicherheit.«

Richard wandte nicht den Blick von ihm. Es fiel mir zum ersten Mal auf, dass er Jean-Claude in die Augen sah, ohne böse Folgen. »Richard, du kannst seinem Blick standhalten?«

Richard sah mich flüchtig an. »Ja. Ich bin eben auch ein Monster. Ich kann ihm in die Augen sehen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Irving kann es nicht. Es kann nicht nur daran liegen.«

»Wie ich ein Meistervampir bin, so ist unser hübscher Freund hier ein Meisterwerwolf. Wenngleich sie sich nicht so nennen. Leitwölfe nennt ihr euch, nicht wahr? Rudelführer.«

»Ich bevorzuge Rudelführer.«

»Darauf hätte ich gewettet«, sagte ich.

Richard wirkte verletzt, sein Gesicht fiel zusammen wie bei einem Kind. »Du bist wütend auf mich. Warum?«

»Da läuft dieser ganze Mist mit deinem Anführer, und du erzählst es mir nicht. Jean-Claude deutet in einem fort an, dass der Anführer dich tot sehen will. Ist das wahr?«

»Marcus will mich nicht umbringen«, korrigierte Richard.

Jean-Claude lachte. Es klang so bitter, dass man es fast kein Lachen nennen konnte. »Du bist ein Narr, Richard.«

Mein Piepser sprang wieder an. Ich überprüfte die Nummer und schaltete ihn ab. Es sah Dolph nicht ähnlich, mich so häufig in so kurzen Abständen anzurufen. Da war etwas Übles im Gange. Ich musste gehen. Aber …

»Ich habe jetzt nicht die Zeit, um mir die ganze Geschichte anzuhören.« Ich stach Richard mit dem Finger vor die Brust, Jean-Claude drehte ich den Rücken zu. Der Schaden, den er anrichten wollte, war bereits da. »Du wirst mir von dem, was da vor sich geht, jede Einzelheit erzählen.«

»Ich will dich nicht …«

»Spar dir das. Entweder teilst du mit mir dein Problem, oder wir sehen uns nicht wieder.«

Er sah bestürzt aus. »Warum?«

»Entweder willst du mich heraushalten, um mich zu beschützen, was ich verabscheue, oder du hast einen anderen Grund. Und das sollte ein verdammt guter Grund sein und nicht so eine männliche Ego-Scheiße.«

Jean-Claude lachte wieder. Diesmal wickelte es mich warm ein wie Flanell, warm und angenehm, dick und weich und direkt auf der Haut. Ich schüttelte mich. Allein sein Lachen war ein Eindringen in meine Intimsphäre.

Ich drehte mich zu ihm um, und es musste etwas in meinem Gesichtsausdruck gelegen haben, denn er hörte auf der Stelle auf zu lachen. »Was Sie betrifft, so können Sie endlich verschwinden. Sie haben Ihren Spaß gehabt.«

»Was meinen Sie nur, ma petite?« Sein schönes Gesicht war so gleichmütig wie eine Maske.

Ich schüttelte den Kopf und ließ ihn stehen. Ich ging. Ich hatte zu arbeiten. Richard fasste mich an der Schulter.

»Lass mich los, Richard. Ich bin wütend auf dich.« Ich blickte ihn nicht an. Ich wollte sein Gesicht nicht sehen. Wenn er verletzt aussah, würde ich ihm alles verzeihen, fürchtete ich.

»Du hast sie gehört, Richard. Sie will nicht, dass du sie anfasst.« Jean-Claude war einen Schritt näher herangeglitten.

»Lassen Sie das, Jean-Claude.«

Richard drückte mich sanft an der Schulter. »Dich will sie nicht, Jean-Claude.« Er war zornig. Zorniger, als er hätte sein sollen. So als müsse er vielmehr sich selbst überzeugen.

Ich rückte einen Schritt von ihm ab, sodass er mich losließ. Ich hätte gern seine Hand genommen, tat es aber nicht. Er hatte mir etwas Wichtiges verschwiegen. Eine Gefahr. Das durfte nicht sein. Schlimmer noch, er glaubte in einer dunklen Ecke seiner Seele, dass ich Jean-Claude nachgegeben haben könnte. Schöner Mist.

»Fickt euch doch gegenseitig«, sagte ich.

»Ihr hattet also noch nicht das Vergnügen?«, spottete Jean-Claude.

»Darauf kann nur Anita antworten, nicht ich«, sagte Richard.

»Ich würde es wissen, wenn es so wäre.«

»Lügner«, versetzte ich.

»Nein, ma petite, ich würde ihn auf Ihrer Haut riechen.«

Ich wollte ihm eine verpassen. Ich spürte das Verlangen, dieses schöne Gesicht zu zerschmettern, am ganzen Leib. Es versteifte meine Schultern und Arme, dass es wehtat. Aber so dumm war ich nicht. Man schlägt sich nicht freiwillig mit einem Vampir. Das verkürzt die Lebenserwartung.

Ich trat sehr dicht an Jean-Claude heran, fast auf Tuchfühlung. Ich starrte ihm auf die Nase, was die Wirkung ein wenig beeinträchtigte, aber seine Augen waren zum Ertrinken tief, und davor hütete ich mich.

»Ich hasse Sie.« Meine Stimme klang flach von der Anstrengung, nicht zu schreien. In diesem Moment meinte ich es vollkommen ernst. Und ich wusste, dass Jean-Claude es spürte. Er sollte es spüren.

»Ma petite …«

»Nein, Sie haben genug von sich gegeben. Jetzt bin ich dran. Wenn Sie Richard Zeeman etwas antun, werde ich Sie töten.«

»So viel bedeutet er Ihnen?« Er klang überrascht. Prima.

»Nein. So wenig bedeuten Sie mir.« Ich trat um ihn herum und ging hinaus. Hatte seinen Reißzähnen ein Stück Wahrheit zu kauen gegeben. Und dabei war mir jedes Wort todernst.

5

Die Nummer auf dem Piepser gehörte zum Autotelefon von Detective Sergeant Rudolf Storr. Das Weihnachtsgeschenk seiner Frau im letzten Jahr. Ich habe ihr ein Dankesbriefchen geschickt. Über Polizeifunk klang alles wie eine Fremdsprache. Dolph nahm nach dem fünften Klingeln ab. Ich wusste, dass er schließlich rangehen würde.

»Anita.«

»Und wenn es jetzt Ihre Frau gewesen wäre?«, fragte ich.

»Sie wüsste, dass ich arbeite.«

Ich beließ es dabei. Nicht jede Frau würde es richtig beurteilen, wenn ihr Mann sie am Telefon mit dem Namen einer anderen begrüßt. Vielleicht war Lucille anders.

»Was gibt’s, Dolph? Das sollte eigentlich mein freier Abend werden.«

»Tut mir Leid, das hat der Mörder nicht gewusst. Wenn Sie zu beschäftigt sind, wursteln wir uns ohne Sie durch.«

»In welche Stolperfalle sind Sie denn geraten?«

Ich wurde mit einem kleinen Laut belohnt, der durchaus ein Lachen sein konnte. »Nicht durch Ihre Schuld. Wir sind bei Six Flags an der Vierundvierzigsten.«

»Wo genau?«

»In der Nähe des Audubon Centers. Wie schnell können Sie hier sein?«

»Das Problem ist, dass ich nicht im Geringsten weiß, wo das ist. Wie kommt man dahin?«

»Es liegt gegenüber vom St.-Ambrose-Kloster.«

»Kenne ich nicht.«

Er seufzte. »Mensch, wir sind hier mitten im Nirgendwo. Das sind die einzigen Orientierungspunkte.«

»Beschreiben Sie mir einfach den Weg, dann finde ich es.«

Die Beschreibung zog sich in die Länge, und ich hatte weder Stift noch Papier. »Warten Sie, ich muss mir etwas zum Schreiben besorgen.« Ich legte den Hörer ab und schnappte mir eine Serviette vom Erfrischungsstand. Von einem älteren Ehepaar erbat ich mir einen Stift. Der Mann trug einen Kaschmirmantel, die Frau echte Diamanten. Der Füllfederhalter war graviert und womöglich aus Gold. Der Besitzer nahm mir nicht einmal das Versprechen ab, ihn zurückzugeben. Vertrauensvoll oder über Nichtigkeiten erhaben. Ich würde mir eigenes Schreibzeug zulegen müssen. Es wurde langsam unangenehm.

»Ich bin wieder dran, Dolph, fahren Sie fort.«

Er fragte nicht, warum es so lange gedauert hatte. Dolph hält sich nicht gern mit unwesentlichen Fragen auf. Er nannte noch einmal die Wegbeschreibung. Ich wiederholte sie, um mich zu vergewissern. Alles war richtig.

»Dolph, das ist eine Fahrt von mindestens fünfundvierzig Minuten.« Gewöhnlich werde ich als letzter Gutachter zum Fundort einer Leiche gerufen. Vorher wird das Opfer geknipst, gefilmt, beschnüffelt, betastet und so weiter. Erst wenn ich da war, können alle nach Hause gehen oder zumindest den Schauplatz verlassen. Den Leuten würde es nicht gefallen, zwei Stunden lang dumm herumzustehen.

»Ich habe Sie angerufen, sobald klar war, dass die Tat nicht von einem Menschen begangen wurde. Es dauert noch mindestens eine Dreiviertelstunde, bis wir fertig sind und Sie ranlassen können.«

Ich hätte wissen sollen, dass Dolph vorausplant. »In Ordnung, ich komme so schnell ich kann.«

Er legte auf. Ich ebenso. Dolph sagte niemals auf Wiedersehen.

Ich gab dem Mann den Füllfederhalter zurück. Er nahm ihn freundlich entgegen, als habe er nie an der Rückgabe gezweifelt. Gute Erziehung.

Ich ging zum Ausgang. Weder Jean-Claude noch Richard waren in der Eingangshalle. Sie befanden sich in der Öffentlichkeit, darum nahm ich eigentlich nicht an, dass sie einen Faustkampf austrugen. Zornige Worte würden sie austauschen, aber keine Handgreiflichkeiten. Der Vampir und der Werwolf würden also selbst auf sich aufpassen. Außerdem, wenn Richard nicht erlaubt war, sich über mich Sorgen zu machen, dann sollte ich ihm zumindest den gleichen Gefallen tun. Ich glaubte nicht, dass Jean-Claude mich wirklich so weit treiben wollte. Nicht ganz. Denn einer von uns würde sterben, und ich fing langsam an zu glauben, dass das – eventuell – nicht ich sein würde.

6

Sobald ich aus der Tür war, umschlang mich die Kälte. Ich zog die Schultern hoch und schob das Kinn in den Mantelkragen. Ein paar Schritte vor mir gingen lachend zwei Paare. Sie hatten sich untergehakt und drängten sich gegen die Kälte zusammen. Die hohen Absätze der Frauen knallten dramatisch auf dem Pflaster. Ihr Gelächter war zu hoch, zu schrill. Ein erster Abend zu viert, der gelungen war, fürs Erste. Vielleicht waren sie aber auch alle schrecklich verliebt und ich in gehässiger Stimmung. Vielleicht.

Die vier teilten sich wie Wasser um einen Stein und gaben eine Frau frei. Hinter ihr kamen die Paare unbekümmert wieder zusammen, als hätten sie sie nicht wahrgenommen. Was vermutlich zutraf.

Jetzt fühlte ich es, eine schwache Regung in der kalten Luft. Eine, die nicht der Wind erzeugte. Die Frau gab vor, unsichtbar zu sein. Bis die Paare sie bemerkt hatten, ohne sie wirklich wahrzunehmen, war sie mir auch nicht aufgefallen. Das hieß, sie war gut. Sehr, sehr gut.

Sie stand unter der letzten Straßenlampe. Ihr Haar war buttergelb und voller Locken. Länger als meine, fast hüftlang. Der Mantel, den sie bis oben zugeknöpft hatte, war schwarz. Schwarz war für sie zu hart. Es machte sie blass, trotz des Make-ups.

Sie stand mitten auf dem Bürgersteig, wie arrogant. Sie war etwa so groß wie ich, also körperlich nicht beeindruckend. Warum stand sie also da, als könnte nichts auf der Welt ihr etwas anhaben? Für diese Zuversicht gibt es nur drei Gründe: Man hat eine Maschinenpistole, man ist hoffnungslos dumm, oder man ist ein Vampir. Ich sah keine Maschinenpistole, und sie wirkte nicht dumm. Sie sah aus wie ein Vampir, jetzt wo ich wusste, was ich vor mir hatte. Sie war gut geschminkt. Fast sah sie damit lebendig aus. Fast.

Sie bemerkte, dass ich sie beobachtete. Sie starrte zurück, versuchte meinen Blick einzufangen, aber bei diesem Spiel war ich ein alter Hase. In jemandes Gesicht und dabei nicht in die Augen zu sehen ist ein Trick, der mit der Zeit immer leichter fällt. Sie zog die Brauen zusammen. Gefiel ihr nicht, dass ihre Augen nicht wirkten.

Ich stand drei Schritte von ihr entfernt. Breitbeinig und so stabil, wie man auf hohen Absätzen stehen kann. Die Hände hatte ich schon aus den Manteltaschen, bereit, nach der Pistole zu greifen, wenn es sein musste.

Ihre Macht kroch mir über die Haut wie tastende Finger, die eine schwache Stelle suchen. Sie war sehr gut, aber nur wenig über hundert. Dieses Alter reichte nicht, um mir die Sinne zu vernebeln. Jeder Animator besaß eine gewisse Unempfindlichkeit gegen Vampire. Ich offenbar eine höhere als andere.

Die Konzentration machte ihr hübsches Gesicht puppenhaft leer. Ihre Hand schnellte in die Luft, als wollte sie etwas auf mich werfen. Ich zuckte zurück, und ihre Kraft traf mich wie eine unsichtbare Welle. Ich taumelte.

Ich zog die Waffe. Sie versuchte nicht, mich anzuspringen, sie konzentrierte sich darauf, mich zu beeinflussen. Sie war mindestens zweihundert Jahre alt. Ich hatte mich um ein Jahrhundert verschätzt. Solche Fehler passieren mir nicht oft. Ihre Kräfte waren mir auf die Haut geklatscht wie kleine Schlaghölzer, aber sie erfassten nicht meinen Verstand. Ich war fast so überrascht wie sie, als die Mündung auf sie zeigte. Es war zu leicht gewesen.

»He, Sie«, rief jemand hinter mir. »Werfen Sie die Waffe weg!« Ein Polizist, wenn ich ihn am dringendsten brauchte. Ich richtete den Lauf auf den Gehweg.

»Legen Sie die Waffe auf den Boden, sofort«, knurrte er schon ungehaltener, und ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass er seinen Revolver gezogen hatte. Polizisten nehmen Waffen sehr ernst. Ich streckte die Browning seitlich von mir weg und die linke Hand in die Höhe, dann bückte ich mich, um sie sacht auf den Boden zu legen.

»Ich kann die Störung nicht gebrauchen«, sagte die Vampirfrau. Ich sah sie von unten herauf an, während ich mich aufrichtete, langsam, die Hände auf dem Kopf, die Finger verschränkt. Vielleicht bekam ich Punkte, weil ich die Übung beherrschte. Sie blickte an mir vorbei den näher kommenden Polizisten an. Es war kein freundlicher Blick.

»Tun Sie ihm nichts«, sagte ich.

Sie schoss mir einen Blick zu. »Uns ist nicht gestattet, die Polizei anzugreifen.« Ihre Stimme war reich an Spott. »Ich kenne die Regeln.«

Ich wollte sagen: »Welche Regeln?«, aber ich schwieg. Es war eine gute Regel. Mit der der Polizist leben konnte. Natürlich war ich kein Polizist, und ich konnte wetten, dass die Regel nicht für mich galt.

Der Polizist kam seitlich in mein Blickfeld. Seine Waffe zeigte auf mich. Er trat die Browning außer Reichweite. Ich sah, wie sie gegen die Hauswand prallte. Eine Hand stieß mir in den Rücken und bekam meine Aufmerksamkeit. »Sie brauchen nicht zu wissen, wo die Waffe gelandet ist.«

Er hatte Recht, in diesem Fall. Er filzte mich mit einer Hand. Das war nicht sehr gründlich, und ich fragte mich, wo sein Partner blieb.

»Genug«, sagte die Vampirfrau.

Der Polizist trat von mir zurück. »Was ist hier los?«

Die Vampirkräfte schossen an mir vorbei, als hätte mich im Dunkeln eine Bestie gestreift. Ich hörte den Polizisten aufkeuchen.

»Nichts ist hier los«, erklärte die Vampirfrau. Sie sprach mit einem leichten Akzent. Deutsch oder Österreichisch vielleicht.

Der Polizist wiederholte: »Nichts ist hier los.«

»Nun geh und regle wieder den Verkehr«, befahl sie.

Ich drehte mich langsam um, die Hände behielt ich über dem Kopf. Der Polizist stand da mit leerem Gesicht und aufgerissenen Augen. Seine Waffe war auf den Boden gerichtet, als hätte er sie völlig vergessen.

»Geh«, sagte sie.

Er stand da wie erstarrt. Er trug seine kreuzförmige Krawattennadel. Er trug sein geweihtes Kreuz, wie es sich gehörte, und es nützte ihm überhaupt nichts.

Ich bewegte mich rückwärts von den beiden fort. Wenn sie sich von dem Polizisten abwandte, wollte ich bewaffnet sein. Ich senkte langsam die Arme, während ich den Mann im Auge behielt. Wenn sie plötzlich die Kontrolle von ihm abzog und ich nicht stand, wo ich sollte, würde er mich womöglich erschießen. Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht doch. Wenn er mich zum zweiten Mal mit der Waffe in der Hand erblickte, fast sicher.

»Ich nehme nicht an, dass Sie bereit sind, ihm das Kreuz abzunehmen, damit ich ihn lenken kann?«

Ich warf ihr einen schnellen Blick zu. Sie sah mich an. Der Polizist wehrte sich wie ein Schlafender im Griff eines Albtraums. Sie fixierte ihn wieder, worauf er sich beruhigte.

»Ich glaube nicht«, sagte ich. Ich ging in die Knie, während ich sie beide im Blick zu behalten versuchte, ertastete die Browning und schloss meine kalten Finger um den Kolben. Sie waren steif, weil ich sie so lange in die Kälte gestreckt hatte. Ich war unsicher, wie schnell ich in diesem Augenblick zielen könnte. Vielleicht sollte ich mir doch ein Paar Handschuhe kaufen. Vielleicht welche, wo die Fingerkuppen fehlten.

Ich schob die Hand samt der Browning in meine Manteltasche. Die Finger würden warm werden, und notfalls konnte ich durch den Mantelstoff schießen.

»Ohne das Kreuz könnte ich ihn zwingen zu verschwinden. Warum kann ich Sie nicht auf diese Art beherrschen?«

»Wahrscheinlich einfach Pech.«

Sie warf mir einen hastigen Blick zu. Wieder regte sich der Polizist. Sie musste ihn anstarren, während sie mit mir redete. Es war interessant zu beobachten, wie viel Konzentration dazu nötig war. Sie war mächtig, hatte aber ihre Grenzen.

»Sie sind der Scharfrichter«, stellte sie fest.

»Und?«

»Ich habe die Geschichten nicht geglaubt. Jetzt glaube ich doch einige.«

»Schön für Sie. Was wollen Sie?«

Ihr Lippenstiftmund kräuselte sich lächelnd. »Ich will, dass Sie Jean-Claude in Ruhe lassen.«

Ich war nicht sicher, ob ich richtig gehört hatte. »Was heißt in Ruhe lassen?«

»Sich nicht mit ihm verabreden. Nicht flirten. Nicht mit ihm reden. Ihn in Ruhe lassen.«

»Sehr gern«, sagte ich.

Sie drehte sich verblüfft zu mir um. Es passiert nicht oft, dass man einen zweihundert Jahre alten Vampir verblüfft. Mit dem erstaunten Blick und dem kleinen gehauchten O sah sie sehr menschlich aus.

Der Polizist schnaubte und blickte bestürzt um sich. »Was zum Teufel?« Er schaute von einer zur andern, vor sich zwei kleine Frauen, die sich einen schicken Abend machten. Er bemerkte seine Waffe und wurde verlegen. Er erinnerte sich nicht, warum er sie gezogen hatte. Er steckte sie weg, murmelte eine Entschuldigung und zog sich zurück. Der Vampir ließ ihn gehen.

»Sie würden Jean-Claude so einfach in Ruhe lassen?«, fragte sie.

»Darauf können Sie wetten.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube Ihnen nicht.«

»Sehen Sie, es ist mir egal, was Sie glauben. Wenn Sie auf Jean-Claude scharf sind, nur zu. Ich versuche seit Jahren, ihn loszuwerden.«

Wieder dieses Kopfschütteln, dass ihr das gelbe Haar ins Gesicht flog. Eine sehr mädchenhafte Art. Es hätte niedlich gewirkt, wenn sie keine Leiche gewesen wäre.

»Sie lügen. Sie begehren ihn. Das tut jede.«

Ich konnte nicht widersprechen. »Haben Sie einen Namen?«

»Ich heiße Gretchen.«

»Nun, Gretchen, ich wünsche Ihnen viel Spaß mit dem Meister. Wenn Sie je Hilfe brauchen, um die Zähne in ihn zu schlagen, geben Sie mir Bescheid. Ich würde liebend gern eine nette kleine Vampirfrau für ihn finden, mit der er sich zusammentun kann.«

»Sie machen sich über mich lustig.«

Ich zuckte die Achseln. »Ein bisschen, aber das ist meine Art, nicht persönlich gemeint. Was ich sage, meine ich ernst. Ich will Jean-Claude nicht.«

»Sie finden ihn nicht schön?« Vor Überraschung klang sie sanft.

»Nun, doch, so wie ich Tiger schön finde. Ich möchte nur nicht mit ihnen schlafen.«

»Keine Sterbliche kann ihm widerstehen.«

»Eine doch«, korrigierte ich.

»Halten Sie sich von ihm fern, sonst töte ich Sie«, sagte sie.

Gretchen hörte mir nicht zu, jedenfalls nicht richtig. Sie hörte die Worte, aber sie begriff nicht. Erinnerte mich an Jean-Claude.

»Schauen Sie, er ist hinter mir her. Ich werde mich von ihm fern halten, wenn er mich lässt. Aber drohen Sie mir nicht.«

»Er gehört mir, Anita Blake. Wenn Sie mir in die Quere kommen, sind Sie selber schuld.«



Tausende von E-Books und Hörbücher

Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.