Anita Blake - Zirkus der Verdammten - Laurell K. Hamilton - E-Book

Anita Blake - Zirkus der Verdammten E-Book

Laurell K. Hamilton

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Beschreibung

Mein Name ist Anita Blake. Ich bin Expertin für Kreaturen der Nacht.

Ich habe mit Gestaltwandlern diniert, mit Werwölfen getanzt und werde von Jean-Claude, dem Meistervampir der Stadt, umworben. Doch seit Kurzem ist ein neuer Vampir in der Stadt. Dunkel und gefährlich. Sein Name: Alejandro. Und er will mich. Deshalb wütet jetzt ein Krieg der Untoten. Ich würde mich ja geschmeichelt fühlen - wenn mein Leben nicht auf dem Spiel stände ...

Als in St. Louis eine Leiche gefunden wird, die von nicht weniger als fünf Vampiren ausgesaugt wurde, ahnt Anita Blake nichts Gutes und geht der Sache auf den Grund. Sie findet heraus, dass ein Jahrtausende alter Vampir in der Stadt ist: der mächtige Meistervampir Alejandro. Er will Anita zu seiner Dienerin machen. Ehe sie sich versieht, gerät sie mitten in einen Revierkampf der Untoten. Denn der herrschende Vampir, Jean-Claude, beansprucht Anita für sich. Währenddessen verliebt sie sich in den attraktiven Lehrer Richard. Sie sind zwei Menschen zwischen den Fronten - zumindest glaubt Anita das. Und als es zu einer Schlacht der Untoten um die Seelen der Stadt kommt, läuft Anita Gefahr, die ihre für immer zu verlieren ...

"Laurell K. Hamilton saugt dich in ihre Welt ein wie der Kuss eines Vampirs." J.D. Robb

Nächster Band: Anita Blake - Gierige Schatten.

Erlebe (über-)sinnliche Abenteuer mit eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.


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Seitenzahl: 483

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

CoverÜber die Serie: Anita Blake – Vampire HunterÜber diesen BandÜber die AutorinTriggerwarnungTitelImpressumDANKSAGUNG12345678910111213141516171819202122232425262728293031323334353637383940414243444546474849Vorschau

Über die Serie: Anita Blake – Vampire Hunter

Härter, schärfer und gefährlicher als Buffy, die Vampirjägerin – Lesen auf eigene Gefahr!

Vampire, Werwölfe und andere Wesen mit übernatürlichen Fähigkeiten leben als anerkannte, legale Bürger in den USA und haben die gleichen Rechte wie Menschen. In dieser Parallelwelt arbeitet die junge Anita Blake als Animator, Totenbeschwörerin, in St. Louis: Sie erweckt Tote zum Leben, sei es für Gerichtsbefragungen oder trauernde Angehörige. Nebenbei ist sie lizensierte Vampirhenkerin und Beraterin der Polizei in übernatürlichen Kriminalfällen. Die knallharte Arbeit, ihr Sarkasmus und ihre Kaltschnäuzigkeit haben ihr den Spitznamen »Scharfrichterin« eingebracht. Auf der Jagd nach Kriminellen lernt die toughe Anita nicht nur, ihre paranormalen Fähigkeiten auszubauen – durch ihre Arbeit kommt sie den Untoten auch oftmals näher als geplant. Viel näher. Hautnah …

Bei der »Anita Blake«-Reihe handelt es sich um einen gekonnten Mix aus Krimi mit heißer Shapeshifter-Romance, gepaart mit übernatürlichen, mythologischen Elementen sowie Horror und Mystery. Eine einzigartige Mischung in einer alternativen Welt, ähnlich den USA der Gegenwart – dem »Anitaverse«.

Paranormale Wesen in dieser Reihe sind u. a. Vampire, Zombies, Geister und diverse Gestaltwandler (Werwölfe, Werleoparden, Werlöwen, Wertiger, …).

Die Serie besteht aus folgenden Bänden:

Bittersüße Tode

Blutroter Mond

Zirkus der Verdammten

Gierige Schatten

Bleiche Stille

Tanz der Toten

Dunkle Glut

Ruf des Blutes

Göttin der Dunkelheit (Band 1 von 2)

Herrscher der Finsternis (Band 2 von 2)

Jägerin des Zwielichts (Band 1 von 2)

Nacht der Schatten (Band 2 von 2)

Finsteres Verlangen

Schwarze Träume (Band 1 von 2)

Blinder Hunger (Band 2 von 2)

Über diesen Band

Mein Name ist Anita Blake. Ich bin Expertin für Kreaturen der Nacht.

Ich habe mit Gestaltwandlern diniert, mit Werwölfen getanzt und werde von Jean-Claude, dem Meistervampir der Stadt, umworben. Doch seit Kurzem ist ein neuer Vampir in der Stadt. Dunkel und gefährlich. Sein Name: Alejandro. Und er will mich. Deshalb wütet jetzt ein Krieg der Untoten. Ich würde mich ja geschmeichelt fühlen – wenn mein Leben nicht auf dem Spiel stände …

Als in St. Louis eine Leiche gefunden wird, die von nicht weniger als fünf Vampiren ausgesaugt wurde, ahnt Anita Blake nichts Gutes und geht der Sache auf den Grund. Sie findet heraus, dass ein Jahrtausende alter Vampir in der Stadt ist: der mächtige Meistervampir Alejandro. Er will Anita zu seiner Dienerin machen. Ehe sie sich versieht, gerät sie mitten in einen Revierkampf der Untoten. Denn der herrschende Vampir, Jean-Claude, beansprucht Anita für sich. Währenddessen verliebt sie sich in den attraktiven Lehrer Richard. Sie sind zwei Menschen zwischen den Fronten – zumindest glaubt Anita das. Und als es zu einer Schlacht der Untoten um die Seelen der Stadt kommt, läuft Anita Gefahr, die ihre für immer zu verlieren …

Erlebe (über-)sinnliche Abenteuer mit eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Laurell K. Hamilton (*1963 in Arkansas, USA) hat sich mit ihren paranormalen Romanserien um starke Frauenfiguren weltweit eine große Fangemeinde erschrieben, besonders mit ihrer Reihe um die toughe Vampirjägerin Anita Blake. In den USA sind die Anita-Blake-Romane stets auf den obersten Plätzen der Bestsellerlisten zu finden, die weltweite Gesamtauflage liegt im Millionenbereich.

Die New-York-Times-Bestsellerautorin lebt mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter in St. Louis, dem Schauplatz ihrer Romane.

Website der Autorin: https://www.laurellkhamilton.com/.

Triggerwarnung

Die Bücher der »Anita Blake – Vampire Hunter«-Serie enthalten neben expliziten Szenen und derber Wortwahl potentiell triggernde und für manche Leserinnen und Leser verstörende Elemente. Es handelt sich dabei unter anderem um:

brutale und blutige Verbrechen, körperliche und psychische Gewalt und Folter, Missbrauch und Vergewaltigung, BDSM sowie extreme sexuelle Praktiken.

Laurell K. Hamilton

ANITA BLAKE

Zirkus der Verdammten

Aus dem amerikanischen Englisch von Angela Koonen

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1995 by Laurell K. Hamilton

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Circus of the Damned«

Published by Arrangement with Laurell K. Hamilton

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2005/2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titel der deutschsprachigen Erstausgabe: »Zirkus der Verdammten«

Lektorat: Mona Gabriel/Stefan Bauer

Covergestaltung: Guter Punkt, München

unter Verwendung von Motiven © iStock/BojanMirkovic; iStock/D-Keine(

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-0239-3

be-ebooks.de

lesejury.de

DANKSAGUNG

Den üblichen Verdächtigen: meinem Mann Gary und den Alternate Historians M. C. Sumner, Deborah Millitello, Marella Sands und Robert K. Sheaff.

Viel Glück im neuen Haus, Bob. Wir werden dich sehr vermissen.

1

Unter meinen Fingernägeln klebte eingetrocknetes Hühnerblut. Man muss ein bisschen Blut vergießen, wenn man seinen Lebensunterhalt mit Totenerweckungen verdient. Es klebte mir auch an Gesicht und Händen, blätterte aber schon ab. Ich hatte versucht, das Schlimmste zu entfernen, bevor ich zu der Besprechung ging, aber manche Dinge kann nur eine Dusche in Ordnung bringen. Ich trank einen Schluck Kaffee aus meinem persönlichen Becher, auf dem stand: »Wer mich auf die Palme bringt, ist selber schuld«, und blickte die beiden Männer an, die mir gegenübersaßen.

Mr Jeremy Ruebens war klein, ein finsterer, mürrischer Typ. Ich hatte ihn noch nie anders als finster blickend oder schreiend erlebt. Alles, was zu seinem Gesicht gehörte, drängte sich in der Mitte, als wär’s zusammengeschoben worden, ehe der Ton trocken war. Seine Hände strichen über sein Mantelrevers, den dunkelblauen Schlips, die Krawattennadel, den weißen Hemdkragen. Dann falteten sie sich für einen Moment in seinem Schoß und begannen den Reigen von neuem: Mantelrevers, Schlips, Krawattennadel, Kragen, Schoß. Ich schätzte, dass ich es noch fünfmal würde mit ansehen können, bevor ich um Gnade schreien und ihm alles versprechen würde, was er wollte.

Der zweite war Karl Inger. Ihn hatte ich noch nie gesehen. Er war knapp einsfünfundachtzig. Neben Ruebens und mir würde er wie ein Turm aufragen. Eine Fülle welliger roter Haare umgab sein flächiges Gesicht. Er trug wirklich und wahrhaftig kotelettgroße Koteletten und den üppigsten Schnurrbart, den ich je gesehen hatte. Alles war ordentlich gestriegelt außer seiner unbändigen Frisur. Aber vielleicht wollte sie nur heute nicht richtig sitzen.

Ruebens’ Hände machten zum vierten Mal ihre Runde. Vier war mein Limit.

Ich wollte um den Schreibtisch herumgehen, seine Hände packen und »Aufhören!« schreien. Aber das wäre wohl ein bisschen zu grob, selbst für meine Begriffe. »Ich habe Sie nicht so zappelig in Erinnerung, Ruebens«, sagte ich stattdessen.

Er sah mich an. »Zappelig?«

Ich deutete auf seine Hände und ihr endloses Kreisen. Er runzelte die Stirn und legte die Handflächen auf seine Oberschenkel. Dort blieben sie, regungslos. 1a-Selbstbeherrschung.

»Ich bin nicht zappelig, Miss Blake.«

»Ms Blake, bitte. Und warum sind Sie so nervös, Mr Ruebens?« Ich trank meinen Kaffee.

»Ich bin es nicht gewohnt, von Leuten wie Ihnen Hilfe zu erbitten.«

»Leuten wie mir?«

Er räusperte sich heftig. »Sie wissen, was ich meine.«

»Nein, Mr Ruebens, durchaus nicht.«

»Nun, eine Leichenbändigerin …« Er stockte mitten im Satz. Ich fing an, ärgerlich zu werden, und das musste er mir angesehen haben. »Nichts für ungut«, sagte er sanft.

»Wenn Sie hierher gekommen sind, um mich mit Schimpfnamen zu belegen, dann verlassen Sie gefälligst mein Büro. Wenn Sie in einer ernsten Angelegenheit hier sind, bringen Sie sie vor und verlassen dann gefälligst mein Büro.«

Ruebens stand auf. »Ich habe Ihnen vorher gesagt, sie wird uns nicht helfen.«

»Wobei helfen? Sie haben mir überhaupt noch nichts erzählt«, sagte ich.

»Vielleicht sollten wir ihr einfach sagen, warum wir gekommen sind«, schlug Inger vor. Er sprach in einem tiefen, rollenden Bass. Angenehm.

Ruebens holte tief Luft und stieß sie durch die Nase aus. »Also gut.« Er setzte sich wieder auf seinen Platz. »Als wir uns zuletzt begegnet sind, war ich noch Mitglied bei Humans Against Vampires.«

Ich nickte ihm ermunternd zu und trank von meinem Kaffee.

»Mittlerweile habe ich eine neue Gruppe gegründet, Humans First. Wir haben die gleichen Ziele wie HAV, aber unser Vorgehen ist direkter.«

Ich blickte ihn an. Das Hauptziel von HAV war es, den Vampiren die Legalität zu entziehen, um sie wieder wie Tiere erlegen zu können. Das kam mir entgegen. Ich habe früher Vampire getötet, gejagt, wenn Sie so wollen. Inzwischen war ich ihr Henker. Ich brauchte einen Hinrichtungsbefehl, um einen bestimmten Vampir zu töten, andernfalls war es Mord. Um den Befehl zu bekommen, musste man beweisen, dass der Vampir eine Gefahr für die Allgemeinheit war, und das hieß, man musste erst abwarten, bis der Vampir jemanden umgebracht hatte. Die bisher geringste Anzahl waren fünf Tote gewesen, die höchste dreiundzwanzig. Das waren eine Menge Leichen. In der guten alten Zeit durfte man einen Vampir töten, sobald man ihn erblickte.

»Wie sieht denn dieses direkte Vorgehen aus?«

»Sie wissen schon«, sagte Ruebens.

»Nein«, erwiderte ich, »keineswegs.« Ich hatte eine Vermutung, aber ich wollte es von ihm selbst hören.

»HAV ist es nicht gelungen, die Vampire mithilfe der Medien oder der politischen Maschinerie zu diskreditieren. Humans First ist entschlossen, sie alle vollständig zu vernichten.«

Ich lächelte über meinen Kaffeebecher hinweg. »Sie meinen, Sie wollen jeden einzelnen Vampir in den Vereinigten Staaten töten?«

»So lautet das Ziel«, bestätigte er.

»Das ist Mord.«

»Sie haben Vampire getötet. Halten Sie das wirklich für Mord?«

Nun holte ich tief Luft. Noch vor ein paar Monaten hätte ich Nein gesagt. Aber jetzt war ich mir einfach nicht mehr sicher. »Ich bin mir nicht mehr sicher, Mr Ruebens.«

»Wenn das neue Gesetz durchkommt, Ms Blake, werden Vampire wählen dürfen. Macht Ihnen das keine Angst?«

»Doch.«

»Dann helfen Sie uns.«

»Hören Sie auf, drum herumzureden, Ruebens. Sagen Sie einfach, was Sie wollen.«

»Na schön. Wir wollen den Schlafplatz des Meistervampirs der Stadt.«

Eine Weile sah ich ihn nur an. »Meinen Sie das ernst?«

»Todernst, Ms Blake.«

Ich musste lächeln. »Wie kommen Sie darauf, dass ich weiß, wo sich dieser Schlafplatz befindet?«

Es war Inger, der darauf antwortete. »Kommen Sie, Ms Blake. Wenn wir zugeben können, dass wir für Mord eintreten, dann können Sie zugeben, dass Sie den Meister kennen.« Er lächelte ach so sanftmütig.

»Sagen Sie mir, woher Sie diese Information haben, und ich werde es vielleicht bestätigen, vielleicht aber auch nicht.«

Sein Lächeln wurde nur ein bisschen breiter. »Also wer redet jetzt drum herum?«

Da hatte er Recht. »Wenn ich sage, ich kenne den Meister, was dann?«

»Nennen Sie uns seinen Schlafplatz«, sagte Ruebens. Er beugte sich nach vorn mit gieriger, beinahe lüsterner Miene. Ich fühlte mich nicht geschmeichelt. Nicht ich war es, die ihn erregte. Es war der Gedanke, den Meister zu pfählen.

»Woher wissen Sie, dass der Meister ein Mann ist?«

»Es gab einen Artikel in der Post-Dispatch. Der Name wurde sorgfältig vermieden, aber diese Kreatur war eindeutig männlich«, sagte Ruebens.

Ich überlegte, wie es Jean-Claude gefallen würde, als Kreatur bezeichnet zu werden. Ich wollte es lieber nicht so genau wissen. »Ich nenne Ihnen eine Adresse und Sie gehen hin und was dann? Stoßen Sie ihm einen Holzpflock ins Herz?«

Ruebens nickte. Inger lächelte.

Ich schüttelte den Kopf. »Daraus wird wohl nichts.«

»Sie weigern sich, uns zu helfen?«, fragte Ruebens.

»Nein, ich kenne einfach den Schlafplatz nicht.« Ich war froh, damit die Wahrheit zu sagen.

»Sie lügen, um ihn zu schützen«, behauptete Ruebens. Sein Gesicht wurde noch finsterer, auf seiner Stirn bildeten sich tiefe Falten.

»Ich kenne ihn wirklich nicht, Mr Ruebens, Mr Inger. Wenn ich für Sie einen Toten erwecken soll, darüber können wir reden, andernfalls …« Ich ließ den Satz unvollendet und schenkte ihnen mein professionellstes Lächeln. Es schien keinerlei Wirkung auf sie zu haben.

»Wir haben uns bereit gefunden, Sie zu dieser unchristlichen Zeit zu sprechen, und wir haben für die Beratung ein ansehnliches Honorar bezahlt. Ich möchte meinen, dass Höflichkeit das Mindeste ist, was Sie uns schulden.«

Ich wollte antworten, Sie haben damit angefangen, aber das hätte kindisch geklungen. »Ich habe Ihnen Kaffee angeboten. Sie haben ihn abgelehnt.«

Ruebens Blick wurde noch eine Stufe finsterer, rings um die Augen zeigten sich kleine Zornesfalten. »Behandeln Sie alle Ihre Klienten so?«

»Bei unserer letzten Begegnung haben Sie mich ein Zombieflittchen genannt. Ich schulde Ihnen gar nichts.«

»Aber unser Geld haben Sie genommen.«

»Mein Boss hat es genommen.«

»Wir sind im Morgengrauen zu einem Besprechungstermin gekommen, Ms Blake. Sicher können Sie uns auf halbem Weg entgegenkommen.«

Ich hatte den Termin mit Ruebens nicht gewollt, aber nachdem Bert ihr Geld schon genommen hatte, hatte ich die Sache quasi am Hals gehabt. Die Besprechung hatte ich für den frühen Morgen festgesetzt, also nach der Arbeit und vor dem Zubettgehen. Auf diese Weise könnte ich anschließend nach Hause fahren und bekäme acht Stunden Schlaf ohne Unterbrechung. Sollte doch Ruebens seinen Schlaf unterbrechen.

»Könnten Sie herausfinden, wo der Meister seinen Schlafplatz hat?«, fragte Inger.

»Wahrscheinlich, aber selbst wenn, würde ich Ihnen die Adresse nicht geben.«

»Warum nicht?«, fragte er.

»Weil sie mit ihm unter einer Decke steckt«, sagte Ruebens.

»Still, Jeremy.«

Ruebens öffnete schon empört den Mund, aber Inger sagte: »Bitte, Jeremy, um der Sache willen.«

Ruebens hatte sichtlich Mühe, seinen Ärger herunterzuschlucken, aber er schaffte es. Echte Selbstbeherrschung.

»Warum nicht, Ms Blake?« Inger blickte sehr ernst, das freundliche Funkeln versickerte wie Tauwasser.

»Ich habe schon Meistervampire getötet, aber keinen mit einem Holzpflock.«

»Wie stattdessen?«

Ich lächelte. »Nein, Mr Inger, wenn Sie Unterricht im Töten von Vampiren möchten, müssen Sie woanders hingehen. Schon für die Beantwortung Ihrer Fragen könnte man mich der Beihilfe zum Mord anklagen.«

»Würden Sie es uns sagen, wenn wir einen besseren Plan hätten?«, fragte Inger dann.

Ich dachte einen Augenblick lang darüber nach. Jean-Claude tot, wirklich tot. Das würde mein Leben zweifellos vereinfachen, aber … aber.

»Ich weiß es nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich glaube, dass er Sie töten würde. Ich liefere keine Menschen an die Monster aus, Mr Inger, nicht einmal Leute, die mich verabscheuen.«

»Wir verabscheuen Sie nicht, Ms Blake.«

»Sie vielleicht nicht, aber er.« Ich deutete mit dem Kaffeebecher auf Ruebens.

Der blickte mich nur böse an. Wenigstens versuchte er nicht zu leugnen.

»Wenn wir einen besseren Plan haben, dürfen wir dann noch einmal mit Ihnen sprechen?«

Ich schaute in Ruebens’ zornige Äuglein. »Sicher, warum nicht?«

Inger stand auf und reichte mir die Hand. Er war groß, vermied es aber, in mir ein Gefühl der Unterlegenheit zu erzeugen. Dafür war ich dankbar.

»Wenn wir uns das nächste Mal treffen, Anita Blake, werden Sie kooperativer sein«, sagte Ruebens.

»Das klingt ja wie eine Drohung, Jerry.«

Ruebens lächelte, und zwar höchst unangenehm. »Humans First meint, dass das Mittel den Zweck rechtfertigt, Anita.«

Ich öffnete meine purpurviolette Kostümjacke. Darunter hatte ich ein Schulterholster mit einer 9mm Browning Hi-Power. Der schmale schwarze Gürtel meines violetten Rockes war ausreichend robust, dass ich ihn durch das Schulterholster schlingen konnte. Terroristenchic der anspruchsvollen Art.

»Wenn es ums Überleben geht, Jerry, bin ich ebenfalls dieser Ansicht.«

»Wir haben Ihnen keine Gewalt angedroht«, sagte Inger.

»Nein, aber der gute Jerry hier zieht es in Erwägung. Ich möchte nur, dass er und die übrigen Mitglieder wissen, dass ich es ernst meine. Legen Sie sich mit mir an, und es werden Leute sterben.«

»Wir sind viele«, hielt Ruebens mir entgegen, »und Sie sind allein.«

»Richtig, aber wer kommt als Erster dran?«, erwiderte ich.

»Genug jetzt, Jeremy, Ms Blake. Wir sind nicht gekommen, um Ihnen zu drohen. Wir wollten Sie um Hilfe bitten. Wir werden uns einen besseren Plan überlegen und noch einmal mit Ihnen sprechen.«

»Und lassen Sie den da zu Hause«, bat ich.

»Natürlich«, sagte Inger. »Komm, Jeremy.« Er öffnete die Tür. Aus dem Vorzimmer kam das leise Klappern der Tastatur. »Auf Wiedersehen, Ms Blake.«

»Auf Wiedersehen, Mr Inger, es war wirklich unerfreulich.«

Ruebens blieb in der Tür stehen und zischte: »Sie sind ein Gräuel vor dem Herrn.«

»Jesus liebt auch dich«, antwortete ich lächelnd. Er knallte die Tür hinter sich ins Schloss. Wie kindisch.

Ich setzte mich auf die Schreibtischkante und wartete, bis sie ganz sicher fort waren, ehe ich nach draußen ging. Ich glaubte nicht, dass sie auf dem Parkplatz irgendwelche Tricks versuchen würden, aber ich wollte wirklich nicht anfangen, Leute zu erschießen. Oh, ich würde es tun, wenn es sein musste, aber besser war’s, das zu vermeiden. Ich hatte gehofft, ein kurzes Aufblitzen der Pistole würde Ruebens zum Rückzug veranlassen. Doch anscheinend hatte es ihn wütend gemacht. Ich ließ ein paarmal den Kopf kreisen, um etwas von meiner Verspannung loszuwerden. Es nützte nichts.

Jetzt konnte ich nach Hause gehen, duschen und acht Stunden lang ununterbrochen schlafen. Herrlich. Mein Piepser ging los. Ich fuhr zusammen, als hätte mich etwas gestochen. Ich und nervös?

Ich drückte auf den Knopf und stöhnte, als die Nummer aufleuchtete. Es war die Polizei. Um genau zu sein, war es das »Regional Preternatural Investigation Team«. Das Spukkommando. Sie waren für alle übernatürlichen Verbrechen in Missouri zuständig. Ich war ihr ziviler Monster-Experte. Bert gefiel das Honorar, das ich bekam, aber mehr noch die gute Publicity.

Der Piepser ging wieder los. Dieselbe Nummer. »Scheiße«, sagte ich leise. »Ich habe dich schon beim ersten Mal gehört, Dolph.« Ich dachte daran, so zu tun, als wäre ich schon zu Hause, hätte den Piepser ausgeschaltet und wäre nicht mehr verfügbar. Aber ich tat’s nicht. Wenn Detective Sergeant Rudolph Storr mich noch vor dem Aufstehen anrief, brauchte er meine Sachkenntnis. Verdammter Mist.

Ich rief die Nummer an, und nach einer Reihe von Schaltungen bekam ich Dolphs Stimme ans Ohr. Er klang blechern und weit weg. Seine Frau hatte ihm zum Geburtstag ein Autotelefon gekauft. Wir schienen uns nur knapp innerhalb der Reichweite zu befinden, aber das war immer noch besser, als über den Polizeifunk mit ihm zu sprechen. Das klang immer nach Außerirdischen.

»Tag, Dolph, was gibt’s?«

»Einen Mord.«

»Was für einen?«

»Die Sorte, wo Ihre Sachkenntnis gebraucht wird«, sagte er.

»Es ist zu früh am Morgen für Fragespiele. Sagen Sie mir einfach, was passiert ist.«

»Sie sind heute Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden, wie?«

»Ich bin noch gar nicht im Bett gewesen.«

»Ich fühle mit Ihnen. Bewegen Sie trotzdem Ihren Hintern hierher. Es sieht aus, als hätten wir ein Vampiropfer am Hals.«

Ich holte tief Luft und blies sie langsam wieder heraus. »Scheiße.«

»Das kann man wohl sagen.«

»Geben Sie mir die Adresse«, sagte ich.

Er tat es. Ich musste über den Fluss und durch den Wald bis raus nach Arnold. Mein Büro lag direkt beim Olive Boulevard. Ich hatte fünfundvierzig Minuten Fahrt vor mir, allein für die Hinfahrt. Na prächtig.

»Ich komme, so schnell ich kann.«

»Wir warten«, sagte Dolph, dann hängte er ein.

Ich sagte nicht Auf Wiedersehen zu dem Wählton. Ein Vampiropfer. Die waren mir einzeln noch nicht untergekommen. Das war wie mit Kartoffelchips: Kein Vampir konnte nach nur einem aufhören. Die Preisfrage war, wie viele Leute würden sterben müssen, bis wir ihn hatten.

Daran wollte ich gar nicht denken. Ich wollte nicht nach Arnold fahren. Ich wollte nicht vor dem Frühstück Tote begaffen. Ich wollte nach Hause. Aber irgendwie ahnte ich, dass Dolph dafür kein Verständnis hätte. Die Polizei hat sehr wenig Sinn für Humor, wenn sie an einem Mordfall arbeitet. Wenn ich es mir recht überlegte, ich auch nicht.

2

Der Tote lag auf dem Rücken im matten Morgenlicht, er war bleich und nackt. Sein Körper war schön, viel Gewichtheben, vielleicht auch Jogging. Sein langes, blondes Haar vermischte sich mit dem noch grünen Gras. Die glatte Haut am Hals hatte zwei Löcher, ein ordentliches Beißmal. Weitere solcher Löcher gab es in der rechten Ellenbeuge, wo der Arzt einem Blut abnähme. Das rechte Handgelenk war zerfetzt, als hätte ein Tier darauf gekaut. Der Knochen leuchtete weiß hervor.

Ich hatte die Bissspuren mit meinem treuen Maßband ausgemessen. Sie waren verschieden groß. Stammten von mindestens drei Vampiren, aber ich hätte meinen ganzen Besitz gewettet, dass es fünf gewesen waren. Ein Meister und sein Rudel oder seine Herde, oder wie man eine Gruppe Vampire nun nennen wollte.

Das Gras war nass vom Morgentau. Die Nässe drang durch den Overall, den ich zum Schutz meines Kostüms trug, an meine Knie. Schwarze Nikes und Chirurgenhandschuhe gehörten ebenfalls zu meiner Tatortausrüstung. Früher habe ich weiße Nikes getragen, aber darauf sah man jedes bisschen Blut.

Ich murmelte eine Entschuldigung für das, was ich gleich tun musste, dann spreizte ich der Leiche die Beine. Das ging mühelos, keine Leichenstarre. Ich wettete, dass er noch keine acht Stunden tot war, zu früh also für Leichenstarre. Auf den schrumpligen Geschlechtsteilen war eingetrocknetes Sperma zu erkennen. Ein letztes Vergnügen vor dem Sterben. Die Vampire hatten es nicht abgewischt. An der Innenseite der Oberschenkel nahe der Leistenbeuge befanden sich weitere Bissspuren. Sie waren nicht so wüst wie die Handgelenkwunde, aber sauber waren sie auch nicht.

Rings um die Verletzungen befand sich kein Blut, nicht einmal am Handgelenk. Hatten sie es abgewaschen? Wo immer er gestorben war, musste es eine Menge Blut geben. Das hatten sie keinesfalls alles wegwischen können. Wenn wir den wirklichen Tatort fänden, dann hätten wir alle möglichen Hinweise. Aber auf diesem sauber geschnittenen Rasen mitten in einem ganz gewöhnlichen Wohnviertel gab es keine Hinweise. Darauf mochte ich wetten. Sie hatten die Leiche an einem Platz abgeworfen, der so steril und wenig zweckdienlich war wie die abgewandte Seite des Mondes.

Nebel waberte über dem kleinen Viertel wie wartende Geister. Er hing so tief, dass man wie durch Nieselregen ging. Winzige Wasserperlen saßen auf der Leiche, wo der Nebel kondensiert war. In meinen Haaren bildeten sie graue Perlenketten.

Ich stand im Vorgarten eines kleinen, hellgrünen Hauses mit weiß gestrichenen Zierleisten. An einer Seite lugte ein Maschendrahtzaun hervor, der den rückwärtigen Garten einzäunte. Es war Oktober, und das Gras war hier trotzdem noch grün. Der Wipfel eines Zuckerahorns ragte über das Dach. Seine Blätter hatten das typische Gelborange und leuchteten wie loderndes Feuer. Der Nebel unterstrich diese Wirkung, die Farben schienen in die nasse Luft auszubluten.

An der ganzen Straße standen kleine Häuser und herbstlich leuchtende Bäume auf saftig grünem Rasen. Es war so früh am Morgen, dass die meisten Leute noch nicht zur Arbeit oder zur Schule oder sonst wohin gefahren waren. Folglich war es ein ziemlicher Menschenauflauf, der da von den uniformierten Polizisten zurückgehalten wurde. Man hatte Pflöcke in den Boden gehauen, die das gelbe Absperrband spannten. Die Leute drängten sich so dicht an das Band, wie sie es eben wagten. Ein zwölfjähriger Junge hatte sich bis in die erste Reihe durchgeschoben. Er starrte den Toten mit großen Augen an, sein Mund war nach einem aufgeregten kleinen Hauchlaut offen geblieben. Wo waren seine Eltern? Begafften wahrscheinlich genauso die Leiche.

Die Leiche war weiß wie Papier. Das Blut sammelt sich immer an der tiefsten Stelle des Körpers. In diesem Fall hätten sich dunkelviolette Flecke an Gesäß, Rücken und den Unterseiten von Armen und Beinen bilden sollen. Doch es gab dort keine Leichenflecke, dazu hatte er zu wenig Blut im Körper. Die Mörder hatten ihn vollständig ausbluten lassen. Gut bis zum letzten Tropfen? Ich kämpfte gegen ein Schmunzeln an und verlor. Wenn man sich oft genug Leichen ansieht, bekommt man einen eigenartigen Humor. Das muss so sein, sonst wird man total verrückt.

»Was ist so lustig?«, fragte jemand.

Ich zuckte zusammen und fuhr herum. »Mensch, Zerbrowski, schleichen Sie sich nicht so von hinten an.«

»Ist die 1a-Vampirtöterin etwa schreckhaft?« Er grinste mich an. Sein widerspenstiges braunes Haar stand in drei verschiedenen Büscheln ab, als hätte er vergessen, sich zu kämmen. Sein Schlips hing auf Halbmast über einem blauen Hemd, das verdächtig nach einer Schlafanzugjacke aussah. Die Farbe des Anzugs biss sich damit.

»Netter Schlafanzug.«

Er zuckte die Achseln. »Ich habe auch einen mit kleinen Tufftuff-Loks drauf. Katie findet das sexy.«

»Ihre Frau steht auf Eisenbahnen?«, fragte ich ihn.

Sein Grinsen wurde breiter. »Wenn ich sie trage.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich wusste ja, dass Sie verdorben sind, Zerbrowski, aber Kleinkinderschlafanzüge, das ist wirklich krank.«

»Danke«, sagte er lächelnd, blickte auf den Toten hinab, und das Lächeln verschwand. »Was halten Sie davon?« Er deutete auf die Leiche.

»Wo ist Dolph?«

»Im Haus bei der Frau. Sie hat ihn gefunden.« Er tauchte die Hände in die Hosentaschen und wippte auf den Absätzen. »Sie nimmt es mächtig schwer. Wahrscheinlich die erste Leiche, die sie außerhalb einer Beerdigung gesehen hat.«

»Die normalen Leute sehen Tote nur auf Beerdigungen, Zerbrowski.«

Er schlug hart mit den Sohlen auf und stand still. »Wäre es nicht schön, normal zu sein?«

»Manchmal«, antwortete ich.

Er grinste. »Ja, ich weiß, was Sie meinen.« Er holte ein Notizbuch aus der Jackentasche, das aussah, als hätte es jemand in der Faust zerdrückt.

»Lieber Himmel, Zerbrowski.«

»He, das ist nichts weiter als Papier.« Er versuchte, es glatt zu streichen, gab aber schließlich auf. Den Stift bereits zum Schreiben ansetzend, warf er sich in Pose. »Erleuchten Sie mich, oh übersinnliche Expertin.«

»Werde ich es vor Dolph wiederholen müssen? Ich würde es lieber nur einmal erzählen und mich dann nach Hause ins Bett begeben.«

»He, ich auch. Was glauben Sie, warum ich einen Schlafanzug anhabe?«

»Ich hielt es für einen gewagten Modeauftritt.« Er sah mich an. »Aha.«

Dolph kam aus dem Haus. Die Tür sah nicht aus, als würde er hindurchpassen. Er ist zwei Meter fünf und gebaut wie ein Ringer. Seine schwarzen Haare waren an den Seiten so kurz geschoren, dass die Ohren allein auf weiter Flur waren. Dolph gab nichts auf Mode. Sein Krawattenknoten saß fest unter dem weißen Hemdkragen. Er war sicher genau wie Zerbrowski aus dem Schlaf gerissen worden, aber er sah ordentlich, sauber und geschäftlich aus. Es spielte keine Rolle, zu welcher Uhrzeit man Dolph rief, er war immer bereit, seine Aufgabe zu erfüllen. Bulle bis auf die Knochen.

Warum leitete er dann die unbeliebteste Spezialeinheit von St. Louis? Als Strafe für irgendetwas, dessen war ich mir ziemlich sicher, aber ich hatte ihn nie danach gefragt. Wahrscheinlich würde ich auch nie fragen. Es war seine Angelegenheit. Wenn er meinte, ich sollte es wissen, würde er es mir erzählen.

Diese Einheit war ursprünglich als Friedensstifter für die Liberalen gedacht gewesen. Sehen Sie, wir tun etwas gegen übernatürliche Verbrechen. Aber Dolph hatte seine Aufgabe und seine Leute ernst genommen. In den vergangenen zwei Jahren hatten sie mehr Fälle gelöst als jede andere Polizeiabteilung im Land. Man hatte ihn gebeten, in anderen Bezirken Vorträge zu halten. Er war sogar zweimal an Nachbarstaaten ausgeliehen worden.

»Gut, Anita, fangen wir an.«

Das ist Dolph: keine Vorreden. »Mensch, Dolph, ich freue mich auch, Sie zu sehen.«

Er sah mich kurz an.

»Gut, gut.« Er kniete sich auf der anderen Seite der Leiche hin, sodass ich ihm ungehindert alles zeigen konnte. Es geht nichts über Anschauungsmaterial, wenn man seine Ansicht durchsetzen will. »Beim Ausmessen zeigt sich, dass wenigstens drei Vampire an dem Mann gesaugt haben.«

»Aber?«

Er ist fix. »Aber ich meine, dass jede Wunde von einem anderen Vampir stammt.«

»Vampire jagen nicht im Rudel.«

»Gewöhnlich jagen sie allein, aber nicht immer.«

»Was bringt sie dazu, es im Rudel zu tun?«, fragte er.

»Bisher bin ich nur auf zwei Gründe gestoßen: Entweder bringt ein alter Vampir einem frischen bei, wie’s geht, aber das würde nur zwei Paar Reißzähne bedeuten; oder ein Meistervampir führt sie, der bösartig geworden ist.«

»Erklären Sie’s.«

»Ein Meistervampir hat fast vollkommene Kontrolle über seine Herde. Manche benutzen einen Gruppenmord, um die Gemeinschaft zusammenzuschweißen. Aber dann würden sie die Leiche nicht hier ablegen. Sie würden sie irgendwo verstecken, wo die Polizei sie niemals fände.«

»Aber die Leiche liegt hier«, sagte Zerbrowski, »wo sie jeder sehen kann.«

»Genau. Nur ein Meister, der wahnsinnig geworden ist, würde so etwas tun. Bisher hat kaum einer eine Tötung so zur Schau gestellt, nicht einmal vor der Legalisierung des Vampirismus. Das zieht Aufmerksamkeit auf sich, besonders von denen, die einen Holzpflock in der einen und ein Kreuz in der anderen Hand halten. Immerhin können wir, wenn wir die Spur bis zu den Tätern verfolgen, ein Todesurteil bekommen und sie umbringen.« Ich schüttelte den Kopf. »Ein Blutbad wie dieses ist schlecht fürs Geschäft, und welche Eigenschaften Vampire auch sonst noch besitzen, praktisch veranlagt sind sie auf jeden Fall. Man bleibt nicht jahrhundertelang unentdeckt und am Leben, wenn man nicht besonnen und skrupellos ist.«

»Warum skrupellos?«, fragte Dolph.

Ich blickte zu ihm auf. »Weil auch das äußerst praktisch ist. Jemand entdeckt dein Geheimnis, dann tötest du ihn oder du machst ihn zu deinem … Abhängigen. Geschickte Geschäftspraktiken, Dolph, weiter nichts.«

»Wie bei den Banden«, sagte Zerbrowski.

»Genau.«

»Und wenn sie in Panik geraten sind?«, schlug Zerbrowski vor. »Es war fast Morgen.«

»Wann hat die Frau den Toten gefunden?«

Dolph schaute in sein Notizbuch. »Halb sechs.«

»Das sind noch Stunden bis zum Hellwerden. Sie waren nicht in Panik.«

»Wenn wir es mit einem verrückten Meistervampir zu tun haben, was bedeutet das im Einzelnen?«

»Das heißt, dass sie in kürzeren Abständen noch mehr Leute umbringen werden. Möglich, dass die fünf Vampire jede Nacht Blut brauchen, um sich zu sättigen.«

»Pro Nacht eine frische Leiche?«, fragte Zerbrowski noch einmal ausdrücklich.

Ich nickte nur.

»Oh Gott.«

»Ja.«

Dolph schwieg und blickte auf den Toten. »Was können wir tun?«

»Ich könnte den Toten erwecken.«

»Ich dachte, bei einem Vampiropfer geht das nicht«, meinte Dolph.

»Wenn der Tote als Vampir auferstehen soll, dann nicht.« Ich zuckte die Achseln. »Was ihn zum Vampir macht, verhindert die Erweckung. Ich kann keinen Toten erwecken, der schon darauf vorbereitet ist, als Vampir wieder aufzustehen.«

»Und der hier wird nicht von selbst wieder aufstehen, daher können Sie ihn erwecken«, sagte Dolph.

Ich nickte.

»Warum wird dieser nicht von selbst aufstehen?«

»Er wurde von mehr als einem Vampir getötet, also von mehreren ausgesaugt. Wenn sich der Tote als Vampir erheben soll, muss ein Einzelner über einen Zeitraum von mehreren Tagen an ihm saugen. Der dritte Biss führt zum Tod, dann hat man einen neuen Vampir. Wenn jedes Vampiropfer zurückkehren könnte, stünden wir bis zum Hintern in Blutsaugern.«

»Dieses Opfer kann aber als Zombie zurückkehren?«, fragte Dolph.

Ich nickte.

»Wann können Sie die Wiederbelebung vornehmen?«

»Nach drei Nächten, eigentlich nach zweien, die heutige zählt schon mit.«

»Um welche Zeit?«

»Ich muss in meinem Terminkalender nachsehen. Ich rufe Sie wegen der Uhrzeit an.«

»Einfach das Opfer aufwecken und fragen, wer es umgebracht hat. Das gefällt mir«, sagte Zerbrowski.

»So einfach ist es nun wieder nicht«, stellte ich klar. »Sie wissen, wie verwirrt die Zeugen von Gewalttaten sind. Hat man drei Leute, die das Verbrechen gesehen haben, bekommt man drei verschiedene Angaben über die Größe und die Haarfarbe des Täters.«

»Ja, ja, Zeugenaussagen sind ’ne Scheißsache«, sagte Zerbrowski.

»Machen Sie weiter, Anita«, bat Dolph. Das war seine Art zu sagen: Zerbrowski, halten Sie den Mund. Zerbrowski hielt den Mund.

»Wer durch ein Gewaltverbrechen umgekommen ist, bei dem ist die Verwirrung noch größer. Der macht sich vor Angst in die Hose, und die Erinnerung versagt.«

»Aber er war doch dabei«, warf Zerbrowski ein. Er blickte empört.

»Zerbrowski, lassen Sie sie ausreden.«

Zerbrowski tat, als verschließe er die Lippen mit einem Schlüssel und werfe ihn weg. Dolph zog die Stirn kraus. Ich hustete in die Hand, um mein Schmunzeln zu verbergen. Man durfte Zerbrowski nicht ermutigen.

»Was ich sagen will, ist, dass ich das Opfer aufwecken kann, wir aber nicht so viele Informationen bekommen werden, wie Sie vielleicht erwarten. Was wir bekommen, wird verworren sein und qualvoll. Doch es könnte das Feld dahin gehend einengen, welcher Meistervampir die Gruppe geführt hat.«

»Erklären Sie mir das«, sagte Dolph.

»Es soll zurzeit nur zwei Meistervampire in St. Louis geben. Malcolm, der untote Billy Graham, und den Meister der Stadt. Es besteht immer die Möglichkeit, dass wir einen neuen hinzubekommen haben, aber der Meister der Stadt sollte das eigentlich regeln können.«

»Wir nehmen das Kirchenoberhaupt«, sagte Dolph.

»Ich nehme den Meister«, sagte ich.

»Nehmen Sie zur Sicherheit einen unserer Leute mit.«

Ich schüttelte den Kopf. »Geht nicht; wenn er spitzkriegt, dass ich einem Bullen zeige, wer er ist, bringt er uns beide um.«

»Wie gefährlich ist es für Sie, das zu erledigen?«, fragte Dolph.

Was sollte ich antworten? Sehr? Oder sollte ich ihnen erzählen, dass der Meister scharf auf mich war und mir wahrscheinlich nichts passieren würde? Bestimmt nicht. »Es wird schon gehen.«

Er sah mich eindringlich an, und sehr ernst.

»Außerdem bleibt uns wohl keine Wahl, oder?« Ich deutete auf die Leiche. »Wir werden jede Nacht eine finden, bis wir die verantwortlichen Vampire haben. Einer von uns muss mit dem Meister sprechen. Mit der Polizei wird er nicht reden, aber mit mir.«

Dolph atmete tief ein und langsam aus. Er nickte. Er wusste, dass ich Recht hatte. »Wann können Sie’s erledigen?«

»Morgen Nacht, sofern ich Bert überreden kann, meine Zombie-Termine einem anderen aufzudrücken.«

»Sind Sie so sicher, dass der Meister mit Ihnen reden wird?«

»Ja.« Das Problem mit Jean-Claude war nicht, bis zu ihm vorzudringen, sondern ihm aus dem Weg zu gehen. Aber das wusste Dolph nicht, und wenn, dann hätte er darauf bestanden, mitzukommen. Und würde uns beide damit umbringen.

»Tun Sie’s«, bat er. »Berichten Sie mir, was Sie herausgefunden haben.«

»Wird gemacht«, antwortete ich. Ich stand auf und sah ihn über die blutleere Leiche hinweg an.

»Passen Sie auf sich auf«, sagte er.

»Immer.«

»Falls der Meister Sie frisst, kann ich dann Ihren feschen Overall haben?«, fragte Zerbrowski.

»Kaufen Sie sich selbst einen, Sie billiger Wüstling.«

»Ich hätte lieber einen, der mal Ihren knackigen Körper umhüllt hat.«

»Geben Sie’s auf, Zerbrowski. Ich steh nicht auf kleine Tufftuff-Loks.«

»Was haben Loks denn damit zu tun?«, fragte Dolph.

Zerbrowski und ich tauschten einen Blick. Wir fingen an zu kichern und konnten nicht mehr aufhören. Zu meiner Entschuldigung konnte ich Schlafentzug anführen. Ich war vierzehn anstrengende Stunden auf den Beinen gewesen, hatte Tote erweckt und mit ziemlichen Spinnern geredet. Das Vampiropfer war der perfekte Abschluss dieses Abends. Ich hatte ein Recht darauf, hysterisch zu lachen. Was Zerbrowski für eine Entschuldigung ins Feld führen konnte, war mir nicht bekannt.

3

Im Oktober gibt es eine Hand voll Tage, die fast vollkommen sind. Über einem erstreckt sich der Himmel in klarem, tiefem Blau und lässt auch alles andere viel schöner aussehen. Die Bäume entlang der Bundesstraße sind karmesinrot, golden, rostbraun, weinrot, orange. Jede Farbe flimmert neonhell im starken goldenen Sonnenlicht. Die Luft ist kühl, aber nicht kalt; um die Mittagszeit kommt man mit einer leichten Jacke aus. Das beste Wetter für lange Waldspaziergänge, wo man gern mit jemandem Hand in Hand geht. Da ich so jemanden nicht hatte, hoffte ich lediglich auf ein freies Wochenende, um allein wegfahren zu können. Die Chancen darauf standen nicht gut, fast bei null.

Oktober ist die Hauptzeit für Totenerweckungen. Jeder scheint zu glauben, dass Halloween der perfekte Termin ist. Das ist Unsinn. Dunkelheit ist das einzig Erforderliche. Trotzdem will jeder einen Termin um Mitternacht vor Allerheiligen. Die Leute denken, sie verbringen die Nacht auf einem Friedhof, schlachten Hühner, sehen zu, wie die Zombies aus den Gräbern kriechen, und amüsieren sich großartig. Ich könnte wahrscheinlich Eintrittskarten verkaufen.

Ich hatte durchschnittlich fünf Zombies pro Nacht. Das war einer mehr, als jeder andere bewältigen konnte. Ich hätte Bert niemals sagen dürfen, dass mich vier Zombies noch nicht entkräfteten. Mein Fehler war es, einfach zu ehrlich zu sein. Na gut, eigentlich war ich auch nach fünf Zombies noch nicht ausgelaugt, aber der Teufel sollte mich holen, wenn ich Bert das verraten würde.

Übrigens würde ich ihn anrufen müssen, sobald ich nach Hause kam. Meine Bitte um einen freien Abend würde mich bei ihm richtig beliebt machen. Bei dem Gedanken musste ich grinsen. Jeder Tag, wo ich den Hofhund ein bisschen triezen konnte, war ein guter Tag.

Es war fast ein Uhr Mittag, als ich mein Apartmenthaus betrat. Ich wollte nichts als eine rasche Dusche und sieben Stunden Schlaf. Die acht Stunden hatte ich schon aufgegeben, dafür war es schon zu spät. Am Abend würde ich Jean-Claude treffen müssen. Welche Freude. Aber er war der Meistervampir der Stadt. Wenn ein neuer Meistervampir in der Stadt war, wüsste er es. Falls Jean-Claude freilich den Mord begangen hatte, würde er es kaum zugeben. Aber ich glaubte eigentlich nicht, dass er es getan hatte. Er war ein viel zu guter Geschäftsmann, um sich schmutzig zu machen. Er war der einzige Meistervampir, den ich kannte, der nicht auf irgendeine Art verrückt war, kein Spinner und kein Psychopath oder was immer Sie wollen.

Gut, gut, auch Malcolm war nicht verrückt, aber ich mochte seine Methoden nicht. Er leitete die Kirche mit dem derzeit größten Zulauf. Die Kirche des Ewigen Lebens hielt tatsächlich, was ihr Name versprach. Keine Glaubensanstrengung, keine Ungewissheit, es war einfach garantiert. Man konnte Vampir werden und ewig leben, außer man wurde von jemandem wie mir getötet oder vom Feuer eingeschlossen oder vom Bus überfahren. Bei der Sache mit dem Bus war ich mir nicht sicher, hatte mich das aber schon immer gefragt. Es musste doch bestimmt etwas geben, das massiv genug war, um einen Vampir tödlich zu verletzen. Ich hoffte, die Theorie eines Tages durch die Praxis zu bestätigen.

Ich stieg langsam die Treppe hinauf. Mein Körper fühlte sich schwer an. Meine Augen brannten vor Müdigkeit. Es war drei Tage vor Halloween, und der Monat konnte für mich nicht schnell genug vorbei sein. Bis Thanksgiving würden die Termine nachlassen. Der Rückgang würde bis nach Neujahr anhalten, dann würde sich das Geschäft wieder beleben. Ich betete um einen richtigen Schneesturm. Die Geschäfte lassen nach, wenn es sehr schneit. Die Leute scheinen zu glauben, dass wir die Toten bei hohem Schnee nicht erwecken können. Wir können es, aber wir verraten es keinem. Wir brauchen die Pause.

Der Flur war voll leiser Geräusche meiner tagaktiven Nachbarn. Ich angelte gerade meine Schlüssel aus der Manteltasche, als sich die Tür gegenüber öffnete. Mrs Pringle kam heraus. Sie war groß und schlank und wurde mit dem Alter immer dünner, und sie frisierte ihr Haar zu einem kleinen Knoten am Hinterkopf. Es war vollkommen weiß. Mrs Pringle hielt sich nicht mit Färben oder Schminken auf. Sie war über fünfundsechzig, und jeder durfte es wissen.

Custard, ihr Spitz, paradierte am Ende seiner Leine. Er war eine goldene Fellkugel mit kleinen Fuchsohren. Die meisten Katzen waren schwerer als er, doch er gehörte zu den kleinen Hunden mit den Allüren eines großen. In seinem vorigen Leben war er eine Dänische Dogge gewesen.

»Guten Tag, Anita.« Mrs Pringle sagte dies lächelnd. Dann bekamen ihre hellen Augen einen tadelnden Ausdruck. »Sie kommen doch nicht erst jetzt von der Arbeit?«

Ich schmunzelte. »Na ja, da hat sich ein … Notfall ergeben.«

Sie zog eine Augenbraue hoch, fragte sich vermutlich, welche Art Notfall es für einen Animator geben konnte, aber sie war zu höflich, um zu fragen. »Sie geben nicht gut auf sich Acht, Anita. Wenn Sie die Kerze an beiden Enden brennen lassen, werden Sie lange ausgebrannt sein, bevor Sie mein Alter erreichen.«

»Vermutlich.«

Custard kläffte mich an. Ich machte dazu kein freundliches Gesicht. Ich halte nichts davon, kleine, aufdringliche Hunde zu ermuntern. Mit seinem eigentümlichen Hundeverstand begriff er, dass ich ihn nicht leiden konnte, und war entschlossen, mich umzustimmen.

»In der vorigen Woche habe ich gesehen, dass die Maler in Ihrer Wohnung waren. Ist alles wieder hergerichtet?«

Ich nickte. »Ja, die Einschusslöcher wurden zugegipst und überstrichen.«

»Es tut mir wirklich Leid, dass ich nicht zu Hause war, um Ihnen meine Zimmer anzubieten. Mr Giovoni sagt, dass Sie in ein Hotel ziehen mussten.«

»Ja.«

»Ich verstehe nicht, warum nicht einer der übrigen Nachbarn Ihnen für eine Nacht seine Couch angeboten hat.«

Ich lächelte. Ich verstand das. Vor zwei Monaten hatte ich in meiner eigenen Wohnung zwei Killerzombies niedergemetzelt, und die Polizei hatte eine Schießerei veranstaltet. Die Wände und ein Fenster waren beschädigt worden. Einige Kugeln waren durch die Wand in die nächste Wohnung gegangen. Es war niemand verletzt worden, aber jetzt wollte von den Nachbarn keiner mehr etwas mit mir zu tun haben. Ich vermutete sogar, dass man mich bitten würde, auszuziehen, sobald mein Zweijahresvertrag auslief. Wahrscheinlich war es ihnen nicht einmal übel zu nehmen.

»Es heißt, Sie seien verletzt worden.«

Ich nickte. »Eigentlich kaum.« Ich wollte ihr nicht erzählen, dass die Schusswunde nicht von der Schießerei stammte. Die Mätresse eines sehr bösen Mannes hatte mich in den rechten Arm geschossen. Es war eine glatte, glänzende Narbe daraus geworden, die noch ein bisschen rosa war.

»Wie war der Besuch bei Ihrer Tochter?«, fragte ich.

Mrs Pringles Gesicht leuchtet auf. »Oh, wunderschön. Mein jüngstes Enkelkind ist herrlich. Ich zeige Ihnen Fotos, wenn Sie ein wenig geschlafen haben.« Der tadelnde Blick war wieder da. Das Lehrerinnengesicht. Bei dem man sich schon aus zehn Schritt Entfernung innerlich zusammenzog, selbst wenn man unschuldig war. Und ich war seit Jahren nicht mehr unschuldig.

Ich hob beide Hände. »Ich gebe nach. Ich werde schlafen gehen. Das verspreche ich.«

»Tun Sie das«, sagte sie. »Komm, Custard, wir müssen unseren Nachmittagsspaziergang machen.« Der Hund tanzte an der Leine und zog wie ein Schlittenhund.

Mrs Pringle ließ sich von drei Pfund Wuschelfell den Flur entlangziehen. Ich schüttelte den Kopf. Sich von einem Flusenball herumkommandieren zu lassen war nicht meine Vorstellung von Hundehaltung. Wenn ich mir noch einmal einen Hund zulegen sollte, wäre ich der Boss, oder einer von uns beiden würde nicht überleben. So lautete das Prinzip.

Ich schloss die Tür auf und betrat die Stille meiner Wohnung. Das Heizgerät surrte, warme Luft drang durch die Schlitze. Das Aquarium schaltete sich ein. Die Geräusche der Leere. Es war wunderbar.

Der neue Anstrich hatte dasselbe getönte Weiß wie der alte. Der Teppich war grau, Couch und Sessel weiß. Die kleine Küche bestand aus hellem Holz und weiß-beigem Linoleum. Der zweisitzige Frühstückstisch war ein bisschen dunkler als die Schränke. Die einzige Farbe an den Wänden bot ein moderner Druck.

Wo die meisten Leute eine komplette Küchenzeile hingestellt hätten, stand ein Hundertzehnliteraquarium an der Wand, in der entgegengesetzten Ecke eine Stereoanlage.

Schwere weiße Vorhänge verbargen die Fenster und verwandelten den goldenen Sonnenschein in bleiches Zwielicht. Wenn man am Tage schläft, braucht man gute Vorhänge.

Ich warf meinen Mantel auf die Couch, schleuderte die Pumps von mir und genoss das Gefühl, barfuß über den Teppich zu gehen. Die Strumpfhose war das Nächste und kam faltig und verloren bei den Schuhen zu liegen. So trottete ich zum Aquarium.

Der Kaiserfisch stieg an die Oberfläche und bettelte um Futter. Meine Kaiserfische sind alle größer als meine gespreizte Hand. So große habe ich außerhalb der Zoohandlung, wo ich sie gekauft habe, noch nicht wieder gesehen. Der Laden züchtet Kaiserfische von fast dreißig Zentimetern Länge.

Ich schnallte das Schulterholster ab und steckte die Browning in ihr zweites Zuhause, eine Spezialanfertigung am Kopfende des Bettes. Wenn sich je ein böser Kerl an mich heranschleichen sollte, konnte ich ziehen und ihn erschießen. So war es jedenfalls gedacht. Bisher hatte es geklappt.

Als das Dry-clean-only-Kostüm und die Bluse ordentlich im Schrank hingen, ließ ich mich in Slip und BH auf das Bett fallen. Das Kreuz aus Silber behielt ich um, auch beim Duschen. Man weiß nie, wann so ein verflixter Vampir versucht, einen anzubeißen. Allzeit bereit, das war mein Motto, oder sagen das nur die Pfadfinder? Ich zuckte die Achseln und rief an der Arbeit an. Mary, unsere Tagsekretärin, nahm beim zweiten Klingeln den Hörer ab. »Animators, Incorporated. Womit können wir Ihnen behilflich sein?«

»Tag, Mary, hier ist Anita.«

»Tag, was gibt’s?«

»Ich muss mit Bert sprechen.«

»Er hat gerade eine potenzielle Klientin bei sich. Darf ich fragen, worum es geht?«

»Er soll meine heutigen Termine verlegen.«

»Junge, Junge! Sagen Sie’s ihm selbst. Wenn er schreit, sollten Sie es abbekommen.« Sie meinte es nur zur Hälfte im Scherz.

»Schön«, sagte ich.

Sie senkte die Stimme und flüsterte: »Die Klientin ist auf dem Weg nach draußen. Sie haben ihn gleich am Apparat.«

»Danke, Mary.«

Sie stellte mich durch, ehe ich sie bitten konnte, es sein zu lassen. Berieselungsmusik sickerte aus dem Hörer. Eine verhunzte Version von Tomorrow von den Beatles. Lieber hätte ich kosmisches Rauschen gehört. Zum Glück kam Bert an den Apparat und rettete mich.

»Anita, wann können Sie heute kommen?«

»Ich kann nicht.«

»Was können Sie nicht?«

»Kommen.«

»Überhaupt nicht?« Seine Stimme war um eine Oktave gestiegen.

»Sie haben’s erfasst.«

»Warum denn zum Teufel?« Schlechtes Zeichen, dass er jetzt schon fluchte.

»Nach dem Frühtermin hat die Polizei mich angepiepst, und ich bin noch gar nicht im Bett gewesen.«

»Gehen Sie ruhig ins Bett, machen Sie sich wegen der neuen Klienten am Nachmittag keine Gedanken. Kommen Sie einfach zu den Terminen am Abend.«

Er benahm sich großzügig, verständnisvoll. Da war etwas faul.

»Ich kann auch heute Abend nicht.«

»Anita, wir sind völlig ausgebucht. Sie haben heute Nacht fünf Klienten. Fünf!«

»Verteilen Sie sie auf die anderen Animatoren«, sagte ich.

»Die sind bereits alle ausgelastet.«

»Hören Sie, Bert, Sie sind es, der bei der Polizei Ja gesagt hat. Sie haben mich dort zur Verfügung gestellt. Sie haben das für prächtige Werbung gehalten.«

»Das ist es auch gewesen«, beteuerte er.

»Ja, aber das heißt manchmal, zwei volle Arbeitsstellen zu haben. Ich kann nicht beide gleichzeitig erledigen.«

»Dann lassen Sie die Polizei sausen. Ich hatte keine Ahnung, dass das so viel Zeit in Anspruch nehmen würde.«

»Das ist eine Morduntersuchung, Bert. Das kann ich nicht sausen lassen.«

»Die Polizei soll ihre Drecksarbeit selbst tun«, befand er.

Das sagte der Richtige. Er mit seinen quietschsauberen Fingernägeln in dem hübsch sicheren Büro. »Sie brauchen meine Fachkenntnisse und meine Verbindungen. Die wenigsten Monster sprechen mit der Polizei.«

Am anderen Ende war es still. Sein Atem ging heftig. »Das können Sie mit mir nicht machen. Wir wurden bereits bezahlt und haben Verträge unterschrieben.«

»Ich habe Sie schon vor Monaten gebeten, noch jemanden einzustellen.«

»Ich habe John Burke eingestellt. Er hat sowohl Hinrichtungen als auch Totenerweckungen von Ihnen übernommen.«

»Ja, John ist eine große Hilfe, aber das reicht nicht. Ich wette, er könnte mir heute Nacht wenigstens einen Zombie abnehmen.«

»Und fünf hintereinander erwecken?«

»Ich tue das ständig«, sagte ich.

»Ja, aber John ist nicht Sie.«

Das war fast ein Kompliment. »Sie haben zwei Möglichkeiten, Bert: entweder umbuchen oder delegieren.«

»Ich bin Ihr Boss. Ich könnte auch sagen: Entweder Sie kommen oder Sie sind gefeuert.« Er klang bestimmt und sachlich.

Ich saß müde und frierend in Unterwäsche auf dem Bett. Ich hatte keine Zeit für so was. »Feuern Sie mich.«

»Das ist nicht Ihr Ernst«, sagte er.

»Schauen Sie, Bert, ich bin seit über zwanzig Stunden auf den Beinen. Wenn ich nicht bald ein bisschen schlafen kann, werde ich für niemanden mehr arbeiten können.«

Er schwieg eine Weile, atmete mir leise und regelmäßig ins Ohr. Schließlich sagte er: »Also gut, Sie haben heute Abend frei. Aber es wäre verdammt gut für Sie, wenn Sie morgen wieder antreten.«

»Das kann ich nicht versprechen, Bert.«

»Verflucht, Anita, wollen Sie unbedingt gefeuert werden?«

»Das ist das beste Jahr, das wir je hatten, Bert. Zum Teil geht das auf die Artikel über mich in der Post-Dispatch zurück.«

»Darin ging es um Zombie-Rechte und diese staatliche Untersuchung, an der Sie beteiligt sind. Sie haben sie nicht geschrieben, um unser Geschäft zu fördern.«

»Aber es hat funktioniert, oder nicht? Wie viele Leute rufen an und fragen speziell nach mir? Wie viele sagen, dass sie mich in der Zeitung gesehen haben? Wie viele haben mich im Radio gehört? Mag sein, dass ich für Zombie-Rechte eintrete, aber das ist ziemlich gut fürs Geschäft. Also setzen Sie mich nicht länger unter Druck.«

»Sie glauben wohl nicht, dass ich es wahr mache?«, schnarrte er durchs Telefon. Er war sauer.

»Richtig.«

Sein Atem ging schnell und heftig. »Es wäre entschieden besser für Sie, morgen zu erscheinen, sonst zwinge ich Sie, Farbe zu bekennen.«

Er knallte mir den Hörer ins Ohr. Kindisch.

Ich hängte ein und starrte den Apparat an. Das Erweckungsinstitut in Kalifornien hatte mir vor einigen Monaten ein ansehnliches Angebot gemacht. Aber eigentlich wollte ich nicht an die Westküste ziehen, an die Ostküste übrigens auch nicht. St. Louis gefiel mir. Aber Bert würde nicht umhin kommen und Helfer einstellen müssen. Ich konnte diese Termine nicht mehr einhalten. Sicher, nach dem Oktober würde es wieder besser werden, aber mir schien, dass ich schon das ganze Jahr von einem Notfall zum anderen rannte.

Innerhalb von vier Monaten hatte ich Messerstiche, Schläge, Schusswunden, Würgemale und Vampirbisse abbekommen. Es gibt einen Punkt, wo einfach zu viele Dinge zu dicht aufeinander passieren. Ich hatte den Frontkoller.

Ich hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter meines Judolehrers. Zweimal die Woche um vier Uhr ging ich hin, aber heute würde nichts daraus werden. Drei Stunden Schlaf waren einfach nicht genug.

Ich wählte die Nummer des Guilty Pleasures. Das war ein Vampirstriplokal. Chippendales mit Reißzähnen. Jean-Claude war der Besitzer und Geschäftsführer. Seine Stimme kam durch die Leitung, weich wie Seide, und streichelte mir über den Rücken, obwohl ich wusste, dass es eine Bandaufnahme war. »Sie sind mit dem Guilty Pleasures verbunden. Ich würde mich freuen, Ihre dunkelsten Fantasien wahr werden zu lassen. Hinterlassen Sie eine Nachricht, wir kommen darauf zurück.«

Ich wartete auf den Pfeifton. »Jean-Claude, hier ist Anita Blake. Ich muss Sie heute Abend sprechen. Es ist wichtig. Rufen Sie mich wegen Uhrzeit und Treffpunkt an.« Ich nannte meine Telefonnummer und zögerte dann, während ich das Band kratzen hörte. »Danke.« Ich legte auf, und damit war es erledigt.

Entweder würde er zurückrufen oder nicht. Wahrscheinlich würde er’s tun. Die Frage war: Wollte ich das? Nein. Nein, gar nicht, aber um der Polizei willen, um all der Menschen willen, die sterben würden, musste ich es versuchen. Für mich persönlich war es keine gute Idee, zum Meister zu gehen.

Jean-Claude hatte mich schon zum zweiten Mal mit seinem Zeichen versehen. Noch zwei Zeichen und ich wäre sein menschlicher Diener. Habe ich schon erwähnt, dass kein Zeichen freiwillig war? Sein Diener in alle Ewigkeit. Für meine Ohren klang das nicht gut. Außerdem schien es ihn nach meinem Körper zu gelüsten, aber das war zweitrangig. Ich hätte damit umgehen können, wenn seine Wünsche nur das Physische beträfen, doch er hatte es außerdem auf meine Seele abgesehen. Die er nicht haben durfte.

Es war mir zwei Monate lang gelungen, ihm aus dem Weg zu gehen. Jetzt begab ich mich freiwillig in seine Reichweite. Dumm. Aber ich dachte an das weiche Haar des unbekannten Toten, wie es sich mit dem noch grünen Gras vermischte. An die Beißmale, die papierweiße Haut, die Verletzlichkeit seines nackten, taubedeckten Körpers. Es würde mehr solcher Leichen geben, wenn wir nicht schnell waren. Und schnell bedeutete: Jean-Claude.

Bilder von Vampiropfern tanzten mir im Kopf herum. Und jedes einzelne war meine Schuld, weil ich zu viel Schiss gehabt hatte, um zum Meister zu gehen. Wenn ich das Morden jetzt beenden könnte, wo erst einer tot war, ich würde meine Seele jeden Tag dafür riskieren. Schuld ist eine wunderbare Triebfeder.

4

Ich schwamm in schwarzem Wasser, mit kräftigen, gleichmäßigen Stößen. Der Mond hing riesig und leuchtend da und malte einen silbernen Weg auf den See. Da war ein schwarzer Saum von Bäumen. Ich war fast am Ufer. Das Wasser war so warm, warm wie Blut. In diesem Moment wusste ich, warum das Gewässer schwarz war. Es war Blut. Ich schwamm in einem See aus frischem, warmem Blut.

Ich wachte augenblicklich auf und rang nach Luft. Spähte in die Dunkelheit nach … wonach? Kurz bevor ich wach geworden war, hatte etwas mein Bein gestreichelt. Etwas, das in Blut und Dunkelheit lebt.

Das Telefon klingelte, und ich musste einen Schrei hinunterschlucken. Normalerweise war ich nicht so nervös. Es war nur ein Albtraum, verflucht noch mal. Nur ein Traum.

Ich tastete nach dem Hörer und bekam ihn zu fassen. »Ja.«

»Anita?« Die Stimme klang zögerlich, als wollte ihr Besitzer lieber wieder auflegen.

»Wer ist da?«

»Hier ist Willie, Willie McCoy.« Als er den Namen nannte, kam mir die Sprachmelodie bekannt vor. Durch das Knistern im Telefon klang er weit weg, aber ich erkannte ihn.

»Willie, wie geht es Ihnen?« Sowie ich gefragt hatte, wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Willie war zum Vampir geworden; wie gut konnte es einem toten Mann gehen?

»Es geht mir wirklich gut.« Seine Stimme hatte einen glücklichen Beiklang. Er freute sich über meine Frage.

Ich seufzte. Die Wahrheit war, dass ich Willie mochte. Ich sollte keine Vampire mögen. Überhaupt keine, nicht einmal, wenn ich sie noch als Menschen gekannt hatte.

»Wie geht’s Ihnen denn?«

»Gut. Was gibt’s?«

»Jean-Claude hat Ihre Nachricht gekriegt. Er sagt, er will Sie heute um acht im Zirkus der Verdammten treffen.«

»Im Zirkus? Was will er denn da?«

»Er gehört ihm jetzt. Haben Sie’s nicht gewusst?«

Ich schüttelte den Kopf, merkte, dass er das nicht sehen konnte, und sagte: »Nein.«

»Sie sollen ihn bei einer Show treffen, die um acht anfängt.«

»Was für eine Show?«

»Er meint, Sie wissen schon, welche.«

»Nein, wie geheimnisvoll«, sagte ich.

»He, Anita, ich tue nur, was mir gesagt wurde. Sie wissen doch, wie das ist, oder?«

Allerdings. Willie gehörte Jean-Claude mit Haut, Haaren und Seele. »Schon gut, Willie, Sie können nichts dafür.«

»Danke, Anita.« Er klang fröhlich wie ein Welpe, der einen Tritt erwartet hat und stattdessen getätschelt wird.

Warum war ich ihm entgegengekommen? Warum kümmerte mich, ob ich die Gefühle eines Vampirs verletzte? Antwort: Ich empfand ihn nicht als toten Mann. Für mich war er noch immer Willie McCoy mit seiner Vorliebe für Anzüge in Primärfarben mit unpassenden Krawatten und seinen kleinen, unruhigen Händen. Der Tod hatte ihn nicht sehr verändert. Anders wäre es mir lieber gewesen.

»Sagen Sie Jean-Claude, ich werde da sein.«

»Mach ich.« Für einen Moment war er still, atmete leise in den Hörer. »Passen Sie heute Nacht auf sich auf, Anita.«

»Wissen Sie etwas, das ich auch wissen sollte?«

»Nein, aber … ich weiß nicht.«

»Was ist los, Willie?«

»Nix, gar nix.« Die Antwort kam plötzlich schrill.

»Laufe ich in eine Falle, Willie?«

»Nein, nein, das nicht.« Ich sah fast vor mir, wie seine kleinen Hände durch die Luft fuhren. »Ich schwöre, Anita, keiner hat’s auf Sie abgesehen.«

Ich beließ es dabei. Keiner, von dem er wusste, mehr konnte er kaum beschwören. »Wovor haben Sie dann Angst, Willie?«

»Es ist nur so, dass jetzt mehr Vampire hier sind als sonst. Manche fragen nicht viel danach, wem sie was tun. Das ist alles.«

»Warum sind mehr Vampire da, Willie? Woher kommen sie?«

»Ich weiß es nicht und ich will es nicht wissen, verstehn Sie? Ich muss jetzt Schluss machen, Anita.« Er hängte ein, ehe ich noch etwas fragen konnte. Das war echte Angst gewesen. Angst um mich oder um sich selbst? Vielleicht beides.

Ich warf einen Blick auf den Radiowecker auf meinem Nachttisch: 6:35 p.m. Ich musste mich beeilen, wenn ich es zur Verabredung schaffen wollte. Die Bettdecke umgab meine Beine lieblich warm. Ich wollte nichts weiter, als mich wieder unter die Decke schmiegen, vielleicht mit einem gewissen, mir bekannten Stoffpinguin. Ja, verstecken klang gut.

Ich warf die Decke zurück und ging ins Bad. Ich drückte auf den Lichtschalter, und strahlend weißes Licht füllte den kleinen Raum. Meine Haare standen in alle Richtungen ab, ein Wust dichter schwarzer Locken. Das sollte mich lehren, nicht mit nassen Haaren einzuschlafen. Ich zog eine Bürste durch die krausen Strähnen, und sie lockerten sich ein wenig auf, worauf sie aussahen wie schäumende Wellen. Nun hatte ich Locken überall, und dagegen war überhaupt nichts zu machen, außer wenn ich sie von neuem wusch. Dafür war keine Zeit.

Durch das schwarze Haar sah meine blasse Haut wie tot aus. Vielleicht lag es aber auch an dem Deckenlicht. Meine Augen waren so dunkelbraun, dass sie ebenfalls schwarz wirkten. Zwei glänzende Löcher in einem käsigen Gesicht. Ich sah aus, wie ich mich fühlte. Großartig.

Was zieht man an, wenn man sich mit dem Meister der Stadt trifft? Ich entschied mich für schwarze Jeans, einen schwarzen Pullover mit hellen, geometrischen Mustern, schwarze Nikes mit blauem Logo und eine schwarz-blaue Gürteltasche. Eine wirklich gelungene Farbabstimmung.

Die Browning kam ins Schulterholster. In die Gürteltasche packte ich einen zusätzlichen Munistreifen sowie die Kreditkarten, den Führerschein, Geld und eine kleine Bürste. Ich zog mir die kurze Lederjacke über, die ich voriges Jahr gekauft hatte. Es war die erste, in der ich beim Anprobieren nicht wie ein Rausschmeißer aussah. Die meisten Lederjacken hatten viel zu lange Ärmel. Diese war schwarz, sodass Bert mir nicht erlauben würde, sie bei der Arbeit zu tragen.

Ich zog den Reißverschluss nur halb zu, damit Platz blieb, um nach der Waffe zu greifen, wenn es nötig war. Das Silberkreuz baumelte an seiner langen Kette, ein warmes, schweres Gewicht zwischen meinen Brüsten. Gegen Vampire war es wirkungsvoller als die Pistole, selbst mit versilberten Kugeln.

An der Tür zögerte ich. Ich hatte Jean-Claude seit Monaten nicht gesehen. Ich wollte ihn auch jetzt nicht sehen. Der Traum kam mir wieder in den Sinn. Etwas, das in Blut und Dunkelheit lebte. Warum dieser Albtraum? War es Jean-Claude, der wieder meine Träume störte? Er hatte versprochen, draußen zu bleiben. Aber war ein Versprechen von ihm etwas wert? Keine Ahnung.

Ich schaltete die Lampen aus und zog die Tür hinter mir zu. Ich rüttelte daran, um sicher zu sein, dass sie verschlossen war, und damit blieb mir nichts mehr übrig, als zum Zirkus der Verdammten zu fahren. Keine Ausflüchte mehr. Kein Hinauszögern. Mein Magen wurde hart und schmerzte. Ich hatte also Angst. Na und? Ich musste nun mal hingehen, und je eher ich losfuhr, desto eher wäre ich wieder zu Hause. Wenn ich nur glauben könnte, dass es mit Jean-Claude so einfach war. Aber nichts war einfach, wo er im Spiel war. Wenn ich heute Nacht etwas über die Mörder erfahren sollte, würde ich dafür bezahlen müssen, aber nicht mit Geld. Davon schien Jean-Claude genug zu besitzen. Nein, seine Münze war schmerzvoller, intimer, blutiger.

Und ich hatte mich freiwillig gemeldet, zu ihm zu gehen. Dumm, Anita, sehr dumm.

5

Auf der Spitze des Zirkus prangte eine Traube Scheinwerfer. Wie Schwerter zerschnitten die Strahler die Dunkelheit. Die bunten Lichter, die den Namen buchstabierten, wirkten gedämpft gegen die weißen Lichtstrahlen, die darüber kreisten. Dämonische Clowns tanzten in erstarrter Pantomime um den Namenszug.



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