Antennenaugust - Kurt David - E-Book

Antennenaugust E-Book

Kurt David

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Beschreibung

„Ich hab was für dich! Du wirst staunen, Junge!“, sagte Herr Buchholz. Er faltete behutsam das graublaue Tuch auseinander. Da hockte ein Tier, das noch gar nicht wie ein Tier aussah, eher einer Kugel braunweißgesprenkelter, flauschiger Wolle ähnelte. - In diesem Moment ahnte noch keiner, welche Probleme der kleine Bussard einmal in das Dorf bringen würde; vorerst brauchte er Schutz und Hilfe.

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Impressum

Kurt David

Antennenaugust

ISBN 978-3-96521-914-4 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1970 in Der Kinderbuchverlag Berlin.

© 2023 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Für Leser von 10 Jahren an.

Ich hatte ihn sterben sehen, aber ich hatte nicht wahrhaben wollen, dass er tot war; denn viele Tage danach sah ich ihn immer wieder vom Himmel fallen, nicht tot, ich sah ihn mit angelegten Flügeln auf seine Beute hinabstürzen. Bussarde fallen überall auf der Welt täglich vom Himmel, ohne zu sterben. Aber nie hatte ich einen tot auf die Erde stürzen sehen, Es ist möglich, dass ich bis dahin glaubte, Bussarde seien gar nicht sterblich.

Das war am einhundertzweiunddreißigsten Tag geschehen! So lange kannte ich ihn, und so lange kannte er mich.

Also war er nicht irgendein Bussard, sondern mein Bussard, und da man alles, was man sehr gern hat, sich nur schwer tot vorstellen kann, war ich lange Zeit traurig.

Erstes Kapitel

Der erste Tag war der vierte Mai, und noch heut höre ich das laute Aufspringen unserer Wohnzimmertür. Die Klinke war nur mit dem Ellenbogen heruntergedrückt worden, als wolle einer herein, der keine Hand frei hat.

„Bist du da?“

„Ich?“

„Ja, du! Ich hab was für dich! Du wirst staunen, Junge!“

Mutter musste das gehört haben. Sie kam sofort aus der Küche gelaufen: „Bringen Sie uns bloß nicht wieder eine Schlange, Herr Buchholtz!“

„Keine Schlange, einen Bussard.“

„Einen was?“

„Einen Bussard!“

„Na, so was hatten wir gerade noch nicht!“

„Nur einen ganz kleinen; er ist aus dem Nest gefallen, beim Bäumefällen.“

Mutter machte trotzdem ein bedenkliches Gesicht. Das war nicht unbegründet. Ich hatte mich in unserer Klasse verpflichtet, zuweilen einige Tierchen für den Biologieunterricht zu besorgen. Dabei hatte mein Lehrer auf die Nachbarschaft mit Herrn Buchholtz verwiesen, einen Mann, der in der Forstwirtschaft arbeitete. Die Schlange, von der Mutter gesprochen hatte, war eine Ringelnatter gewesen, die ich abends mit etwas Äther betupft hatte, damit sie bis Schulbeginn keine Wanderungen durch unsere Wohnung vollführte. Als Mutter früh die Veranda betrat, hing die Schlange wie ein Aal von der Gardinenstange herab und baumelte zufrieden vor der Glasscheibe in der Sonne.

Mutters Schrei war so gewaltig und echt, dass ich vor Schreck annahm, im Fernsehen liefe ein Kriminalfilm.

Außer dieser harmlosen Schlange hatte mir Herr Buchholtz einen prächtigen Feldhamster mitgebracht, der ganz wild auf Musik war. Das stellten wir während einer Schlagersendung fest, als er plötzlich und unerwartet hinter der zerbrochenen Skala unseres Rundfunkgerätes auftauchte und dort vergnügt tanzte.

Wir hatten uns noch nicht ausgewundert, da traf ihn ein elektrischer Schlag. Nachher konnten wir uns überzeugen, dass es ihm gelungen war, beim Tanz die Drähte zu einem knalligen Kurzschluss zusammenzutrampeln.

Erstaunlicherweise war nur unser Radio kaputt, nicht unser Feldhamster; der kroch schwankend und noch etwas benommen aus dem Loch der Rückwand, durch die er sich hineingefressen hatte.

Auf den Händen und in ein Tuch gewickelt, trug Herr Buchholtz den kleinen Bussard zur Ofenbank. „Vor dem brauchen Sie sich wirklich nicht zu fürchten“, meinte er zu meiner Mutter und faltete behutsam das graublaue Tuch auseinander.

„Ach, ist der niedlich!“, sagte Mutter.

Und dann guckten wir alle drei auf das Tier, das noch gar nicht wie ein Tier aussah, eher einer unförmigen Kugel braunweißgesprenkelter, flauschiger Wolle ähnelte. Erst beim längeren Betrachten entdeckten wir den Schnabel sowie die schwarzen Augen, die unruhig hin und her zuckten.

„Der hockt mehr auf dem Bauch“, erklärte uns Herr Buchholtz. „Beim Sturz aus dem Horst muss er sich verletzt haben.“ An meine Mutter gewandt, sagte er: „Sollte ich den Kleinen etwa liegenlassen? So wehrlos, so ohne jeden Schutz? Das hätten doch auch Sie nicht fertiggebracht!“

„Natürlich nicht! Der wäre glatt verhungert!“

Herr Buchholtz wischte sich die Hände an seinen grünen Hosen ab und erzählte uns, der Bussard sei höchstens vierzehn Tage alt; wir sollten versuchen, ihn am Leben zu erhalten, obgleich er bezweifle, dass es uns gelänge. „Wenn er wenigstens schon vier Wochen alt wäre, aber so, da ist die Sache unsicher!“

„Und womit müssen wir ihn füttern?“, fragte ich.

„Probiert’s mit gekochten Eiern. Ins Fressen mischt ihr ein bisschen Zwirn oder zerschnippelte Wolle, von wegen dem Gewölle.“

Die Einfachheit dieser Kost schien meine Mutter zu überraschen. „Machen Sie sich keine Sorgen. Den kriegen wir groß, Herr Buchholtz!“

„Um so besser. Ein Bussard ist nämlich sehr nützlich und wird geschützt!“

„Vor allem ist er mir lieber als eine Schlange oder ein Feldhamster.“

„Dann hab ich’s getroffen“, sagte er lachend und ging. Sicherlich hatte meine Mutter nicht nur an die Schlange und den Hamster gedacht, obgleich sie diese zwei besonders gut in Erinnerung haben mochte. Schließlich hatte ich für die Schule noch andere Lebewesen organisiert, die meine Mutter auch nicht gerade entzückt hatten; ich denke da bloß an die Eidechsen, Blutegel, Dasselfliegen, groß wie Hummeln, Fledermäuse und Ameisen im Glas, die trotz Deckel nicht im Glas geblieben waren.

Nun hatten wir einen Bussard im Haus, einen Mäusebussard, der so klein war, dass wir ihn uns groß nicht vorstellen konnten, etwa mit einer Flügelspanne von reichlich einem Meter; einen Bussard, der jetzt noch mit gekochten Eiern zu füttern war und später Mäuse, Hamster, Maulwürfe, Ratten, Heuschrecken, Kreuzottern, Hasen und Rebhühner fressen sollte.

„Und was frisst der, wenn er aus dem Gröbsten heraus ist?“, wollte Mutter wissen.

„Fleisch“, antwortete ich, und das war nicht einmal geschwindelt. Es wäre allerdings leichtsinnig von mir gewesen, hätte ich die künftigen Speisewünsche unseres Bussards namentlich aufgezählt.

„Auch Rindfleisch?“

„Natürlich.“

Sie sann eine Zeit lang nach, blickte auf unseren Gast, der reglos auf der Ofenbank saß und den nichts zu interessieren schien. „Ich denke, das ist ein Mäusebussard? Muss er da nicht Mäuse kriegen?“

„Die wird er sich fangen, wenn er welche fressen will.“

„Hoffentlich!“ In Mutters Stimme hatte etwas Zweifel mitgeklungen. Sie dachte wie viele Mütter schon an die Zukunft. „Auf alle Fälle werde ich ihm ein schönes Ei kochen.“

„Tu das bitte.“

„Weich oder hart? Man weiß gar nicht richtig, wie ein Bussard …“

„Weich natürlich, so weich wie möglich.“ Ich besah mir erneut diesen aufgeplusterten, runden, kleinen Kerl und überlegte, wo das Ei hin sollte? Mein Trost: Wir hatten in der Schule gelernt, ein Bussard habe einen „erweiterungsfähigen Magen“; denn wie der Vogel jetzt aussah, konnte sein Magen nicht größer als ein Markstück sein. Der hakige Schnabel lag auf dem weißen Brustgefieder, das zitterte, wenn er den Atem ausblies. Die Augen funkelten und waren noch immer das einzige, was er bewegte: angstvoll blickten sie unablässig hin und her, suchten, was sie bisher gesehen hatten und ihnen vertraut geworden war. Unsere Ofenbank war kein guter Ersatz für einen Bussardhorst aus Reisig auf einer hohen Kiefer. Und dann: Sein Umzug war ungeheuer gewaltsam vor sich gegangen. Da hatten Männer mit einer ratternden Motorsäge ausgerechnet den Baum umgesägt, in dessen Wipfel er vor vierzehn Tagen zur Welt gekommen war. Vielleicht hatte er gerade geschlafen, müde von der letzten Mahlzeit, müde von der warmen Maisonne dort oben? Jedenfalls muss ihm das Motorengebrüll am Fuße seines Stammes wie ein schreckliches Erdbeben erschienen sein. Na gut, der Wipfel hatte schon oft in Wind und Sturm geschwankt, aber das war das reinste Vergnügen gewesen: Man blieb nämlich, wo man war, in einer herrlichen Reisigwanne, schaukelte hinüber und herüber. Jetzt aber stürzte der Baum um, mit Krach und Geächz in den Ästen. Man war vielleicht noch von einem Ast gestreift und während des Sturzes aus dem Nest geschleudert worden und irgendwo im dichten Heidelbeerkraut allmählich wieder zu sich gekommen. Das Heidelbeerkraut war eine neue Umgebung gewesen, man hatte bisher noch keins kennengelernt; auch die Erde war neu, man hatte sie bisher noch nicht betreten. Und wie man eben angefangen hatte, sich damit vertraut zu machen, klaubt einen jemand wieder auf, wickelt einen in ein Tuch voll Finsternis, in eine Nacht ohne Sterne und Mond, und als es später wieder hell wird, hockt man auf einer Ofenbank, hat Schmerzen in den Beinen, sieht keinen Baum mehr und keinen Himmel, keinen Reisighorst, keine Eltern.

Ich wunderte mich also nicht über die Furcht in seinen Augen. Der Kleine war enttäuscht von der Welt und ganz durcheinander; woher sollte er wissen, was noch alles mit ihm geschehen würde?

Mutter brachte das Ei auf einem Blechteller. Sie hatte es mit dem Messer klein gehackt. Ich mischte Zwirn und Wolle bei, wie es Herr Buchholtz verlangt hatte. Im Übrigen war ich froh, dem Bussard endlich etwas Gutes antun zu können.

Das Tellerchen stellten wir ihm direkt vor den Schnabel.

Er guckte nicht einmal hinab auf das Ei. Seine Augen irrten überall herum, nur auf den Teller blickten sie nicht.

„Du musst doch lange nichts bekommen haben“, sagte ich.

„Los, friss!“

„Ob er nichts sieht?“, fragte Mutter.

„Warum soll er nichts sehen!“

„Kaninchen sind auch die ersten Tage blind.“

„Kaninchen!“

„Ich dacht ja bloß.“

Nun hob ich den Teller etwas an, schob den Rand ein Stück unter den Schnabel. Die hakige Spitze tunkte ich in den Brei hinein. Ob ihm das gefiel oder nicht gefiel, war schwer zu sagen. Zumindest wehrte er sich nicht dagegen, womit freilich weder ihm noch uns geholfen war; denn solange er nicht fraß, bestand auch keine Hoffnung, ihn am Leben zu erhalten.

„Mach schon, Bussi“, flehte Mutter. „Bussi muss groß und stark werden!“

„Bussi?“ Ich hatte wohl nicht richtig gehört! Bussi! „Wie kommst du darauf?“

„Das passt zu ihm!“

„Passt nicht!“

„Soll ich Bussard sagen? Man ruft doch eine Katze auch nicht Katze und einen Hund nicht Hund!“

„Weder Bussard noch Bussi.“

„Na, einen Namen muss er ja kriegen. Und Bussi klingt schön; bei Bussi hört man gleich, dass er noch klein und unbeholfen ist.“

„Bussi“, wiederholte ich abfällig. Das klang mir zu kitschig. „Der ist doch kein Kanarienvogel!“