Freitags wird gebadet - Kurt David - E-Book

Freitags wird gebadet E-Book

Kurt David

0,0

Beschreibung

11 humorvolle und satirische Kurzgeschichten erzählen vom Familienleben aus der Sicht des minderjährigen Heinz. Da muss Heinz seinen Vater verleugnen, will sich von den verlegenen Eltern das Wort „Nutte“ erklären lassen, erlebt einen handfesten Ehestreit der Nachbarn, macht erste Bekanntschaft mit dem Alkohol, belauscht den Deutschlehrer, der dem Vater Nachhilfe in Deutsch anbietet, und und und. Das Buch erlebte in der DDR zahlreiche Auflagen und wurde 1965 unter dem Titel „Aus dem Tagebuch eines Minderjährigen“ in sieben Teilen für das Fernsehen der DDR verfilmt (Regie: Klaus Gendries).

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 103

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Kurt David

Freitags wird gebadet

Aus dem Tagebuch eines Minderjährigen

ISBN 978-3-96521-906-9 (E-Book)

Das Buch erschien erstmals 1964 im Eulenspiegel Verlag Berlin.

© 2023 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de

Wir sind so, wie ihr uns werden lasst;

Wir können aber nicht so sein, wie ihr wart.

Heinz

Freitag. Wie ich eine Lüge gegen eine andere eintauschte

Wenn Vater in die Wanne steigt, tut er so feierlich, als stiege er in die Ostsee. Zunächst riskiert er nur die Füße, dann geht er misstrauischen Blickes in die Hocke und schreit: „Kaltes! Kaltes!“

Mama hält den Eimer wie einen Feuerlöscher bereit. Sie gießt nach. Und Vater rutscht gemächlich Zentimeter um Zentimeter horizontal unter die Wasserfläche. Bis zum Eichstrich. Er pustet und schnauft, liegt wie gelähmt und sagt friedlich: „So, Liesel, nun kannst du wieder heißes zu tun.“

Bald wird er ganz still, atmet tief drei Morgen Fichtennadelwald, den wir in Tabletten eingekauft haben. Und plötzlich geschieht etwas: Papa lächelt, mein Papa lächelt! Dazu hat er selten Zeit. Sein Gesicht ist immer im Dienst.

Das alles läuft jeden Freitag so ab. Auch an jenem Freitag, von dem ich erzählen will, war es nicht anders.

Aber nun haben wir glücklicherweise ein Telefon. Kein Mensch denkt an das Telefon, plötzlich denkt das Telefon an uns.

Es klingelt vorlaut.

Mein Papa schrie: „Ich bin nicht da, Heinz! Hörst du, ich bin nicht da.“

Ich vergewisserte mich. Vater stand im roten Bademantel auf dem Flur und war nicht da.

„Hab verstanden, du bist gleich da.“ Das sagte ich natürlich nur so aus Jux.

„Ich habe gesagt, dass ich nicht da bin!“

Und nun kam noch Mama aus der Küche und meinte sanft: „Heinz, Papa ist nicht da.“

„Is ja schon gut“, antwortete ich gelassen und guckte meinen nicht da seienden Vater an. Schließlich ist mir bekannt, dass Papa ganz allein über seine Anwesenheit bestimmt. Bei mir hingegen ist das viel unkomplizierter: Ich muss immer da sein, wenn ich da bin.

Am Telefon war Herr Knöpke.

„Richard?“

„Nein, hier ist d’r Heinz, Herr Knöpke.“

„Hol maln Vater an die Strippe!“

„Der ist gar nicht da“, sagte ich scheinheilig in die Muschel und wurde trotzdem rot. Immer wenn ich schwindeln muss, werde ich rot. Am Telefon ist das bequem und egal. Am Telefon kann man rot werden, ohne dass es der andere überhaupt merkt.

„Wo ist er denn, Heinz?“

Und da hatte ich große Lust zu sagen: Ich werde ihn gleich mal fragen, er steht hinter mir. – Das ging aber nicht; denn Papa stand jetzt dicht hinter mir, schubste mich, fuchtelte mit den Armen, zog Grimassen und zeigte in Richtung Niederdorf.

„Er ist in Niederdorf“, sagte ich zu Herrn Knöpke. Papa nickte anerkennend, so lobend, wie wenn ich eine Eins in Betragen erhalten hätte.

„Beim Lätsch-Emil?“

„Genau dort“, antwortete ich erleichtert und war froh, dass mir Herr Knöpke sagte, wo mein Vater war. Papa dagegen tippte sich mehrmals an die Stirn und meinte meine.

„Da kann er aber nicht sein; denn vom Lätsch-Emil aus rufe ich an.“ Bums – hingehängt.

„Jetzt ist der eingeschnappt“, bemerkte mein Vater sehr treffend. „Und du Dussel lässt dich von dem glatt aufs Kreuz legen.“ Mit dem meinte er Herrn Knöpke, und Herr Knöpke arbeitet wie er auf unsrer Genossenschaft. „Für ein bisschen pfiffiger hätte ich dich wirklich gehalten“, fügte Papa hinzu.

Und da saß ich mit meinen vier Einsen. Ich war schuld, und ich hätte ein paar Nachhilfestunden im Telefonieren nötig gehabt.

Mein Vater machte ein Gesicht, dass es aussah, als schaffe er es mit einem Gesicht gar nicht. Bloß meine Mama schätzte die Situation real ein und sprach mit mir, wenn auch leise und nur über den Geschmack der Wurst. Bei uns ist es manchmal so: Vater hat die Argumente, Mutter die Gefühle. Beides in einer Person stelle ich mir prima vor. Und gehen bei Papa die Argumente mal aus, setzt er sich durch. Sozusagen aus Zeitmangel. Ich bin eben in unserer Familie die kleinste Person mit dem schwersten Posten: Ich muss mich erziehen lassen. Solange ich das nicht merke, mache ich mit.

Als ich nun mit Mama die Wurstgespräche ausgiebig durchgekaut hatte – sehr leise, versteht sich – und nur noch Pelle und Heringsgräten die Teller verunstalteten, fragte meine Mutter, wie es in der Schule gewesen wäre. Ich kriegte plötzlich den Husten und bellte mir die Verlegenheit aus dem Halse; denn die Frage war viel zu früh gestellt. Aber Mama konnte nicht wissen, dass es an diesem Tage nicht so wie an anderen war, und deshalb würde es eine Diskussion geben. Für eine Diskussion standen meinem Vater runde fünfzehn Minuten zur Verfügung; es war Viertel vor acht, und Punkt acht saß er freitags vor dem Bildschirm, um sich den Film anzusehen. Und diese fünfzehn Minuten hätten gereicht, um mich restlos auszudiskutieren. Also musste ich husten. Man kann zwei bis drei Minuten qualifiziert husten und nachher noch eine Minute lang nach Luft schnappen. Was macht man jedoch zehn Minuten lang? Schließlich konnte ich Papa höchstens fünf Minuten für die Aussprache bewilligen – in seinem Zustand.

Irgendwer klopfte an die Tür.

Sofort ließ ich meinen Husten aussetzen. Herr Knöpke trat in die Stube. Er stand da wie ein Geist in Stiefeln und lächelte optimistisch wie auf einem Ersten-Mai-Plakat. Mein Glück war Papas Unglück. Papa wollte auch lächeln, aber es blieb bei wollte; denn Herr Knöpke ging an ihm vorbei, als wäre er nicht anwesend, sicherlich nur, um Papas Wunsch zu entsprechen.

„Liesel“, sagte Herr Knöpke, „wenn dein Mann zurückkommt, sag ihm, er soll den Brief morgen früh mit in die Stadt nehmen. Da ist der Kostenanschlag für den Rinderstall drin und ein Schreiben an den Vorsitzenden.“

„Mach ich, Karl“, flötete mein Vater fröhlich und stolperte fast vor Eifer Herrn Knöpke entgegen.

Mama nickte verlegen.

Herr Knöpke wollte von Papa überhaupt nichts wissen und sagte: „Und dann, Liesel, hätt ich noch etwas gehabt, aber das muss ich mit ihm selber ausmachen.“

„Aber Karl“, lenkte Mama ein und blickte von Karl zu Richard.

„Nu lass doch mal den Quatsch, Karl! Komm, setz dich schön, ich bitt dich“, flehte mein Vater und schob dem Mann großzügig einen Stuhl zurecht.

Das alles war recht spaßig. Vater wollte Herrn Knöpke jetzt einreden, dass er da sei.

„Nimm Platz“, bettelte auch Mama, „komm, sei nicht nachtragend, Karl.“

Herr Knöpke setzte und setzte sich nicht. Ja, er tat sogar so, als gäbe es in unserer Stube gar keinen Stuhl, keinen Tisch, keinen Vater. Ganz unverdrossen sagte er zu meiner Mutter: „Grüße deinen Herrn Gatterich, Liesel, wenn er zurückkommt, ja?“

„Nu sei doch nicht so albern, Karl“, bemühte sich abermals Papa. „Das war doch nur ein großes Missverständnis! Mein Junge, weißt du, mein Junge, der hat das vermasselt, und da …“

Herr Knöpke ging, und ich war zum zweiten Mal schuldig.

Inzwischen war es auch fünf vor acht und für mich der richtige Augenblick, mein Missgeschick aus der Schultasche zu packen. Im Schülertagebuch hatte mein Vater den Satz zu unterschreiben: „Heinz hat mich heute belogen!“ Das war eine Tatsache. Wie in Blei gegossen stand sie da. Dieser Satz ließ sich weder biegen noch umgießen. Mein Lehrer hatte nämlich gefragt, ob alle ihre Hausaufgaben gemacht hätten. Wer nicht, solle aufstehen. Ich hatte nicht und stand nicht auf, weil ich annahm, er kontrolliere das nicht, schließlich macht er es manchmal so. „Na, da werden wir mal sehen, ob das stimmt“, hatte Herr Haußmann gesagt. Und da war ich fällig. Ich gebe zu, dass es nicht jedem täglich schriftlich bescheinigt wird, wenn er einmal geschwindelt hat. Aber in der Schule ist das anders: Wir werden erzogen!

Vater starrte auf den Satz, als wäre er mein Nachruf. Zunächst sagte er nur: „Ach …“

,Ach‘ ist immer gut. Zudem hatte er einen neutralen Ton gewählt, der zu nichts verpflichtete. Das erschien mir sehr ungewöhnlich, aber ebenso geschickt und gekonnt, wenn ich an die Situation dachte, in der er sich befand. Papa machte ein bisschen Platz auf dem Tisch.

Er stieß dabei eine Tasse fort, die über eine Gabel purzelte und in die Fischgräten fiel. Doch sofort stellte er sie wieder auf, ja, es sah sogar aus, als wäre er über diesen Unfall selber entsetzt. Und das war ein gutes Zeichen. Ruhig sagte er: „Heinz, das hätte ich nicht erwartet.“ Er stand auf, holte seinen Füllfederhalter und runzelte die Stirn.

„Ich auch nicht“, meinte Mama. Sie tat mir etwas leid. Mama ist nämlich im Elternbeirat und hat mich in persönliche Pflege genommen. Und dort kann sie dann schlecht über andere Schüler sprechen, wenn es beim eigenen nicht in Ordnung geht.

„Papa hätte auch unterschreiben müssen bei vergessenen Hausaufgaben, und da ich nie etwas vergessen darf, habe ich es mal so versucht. Bei manch anderen klappt es, bei mir gehts schon beim ersten Mal schief.“

„Gelogen ist gelogen“, sagte Papa. „Und wer lügt, der betrügt auch!“ Das sagte er allerdings viel zu laut.

Mutter guckte ihn an. Sie wollte mit dem Blick Papa bremsen. Aber der war nicht mehr zu halten. Sicherlich sah er den Satz: HEINZ HAT MICH HEUTE BELOGEN von Haus zu Haus wandern, von Konsum zu Konsum, im Dorfmaßstab. Oder war der Grund seines plötzlichen Aufbrausens darin zu suchen, dass er bei mir nicht den Widerstand vorgefunden, den er erwartet hatte – auf Grund der heiklen Telefongeschichte? Dabei hatte ich mich so fair benommen, und er wurde plötzlich unfair. Also unterschätzte er mich. Und das kann ich schon gar nicht leiden. Wir werden sowieso immer unterschätzt.

„Gelogen“, wehrte ich mich, „das klingt viel zu dick. Das war doch bloß eine kleine Schwindelei, und …“

„… mit Schwindeln fängt es an, mit …“ Nein, er sagte nicht, womit es aufhörte, nein, nichts, rein gar nichts kam mehr heraus. Wir sahen uns fest in die Augen. Ich guckte, Papa guckte, ich guckte geradezu klassisch, wie im Fernsehen, da gucken sich auch manchmal zwei an, ohne was zu sagen, und doch weiß man, was jeder meint. Und Mama guckte auch mit, mal zu mir, mal zu Papa. Wie ein Ringrichter. Und da waren wir uns plötzlich alle drei einig.

Vater unterschrieb und sagte: „Das kommt mir aber nicht mehr vor, Heinz!“

„Nein“, schwor ich und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen. Doch das schickte sich in meinem Alter nicht.

Plötzlich krachte ein Schuss. Eine Glasscheibe splitterte. Eine Frau schrie. Ein Stuhl fiel um.

Im Fernsehen hatte der Kriminalfilm begonnen.

Immer noch Freitag. Wie ich wissen wollte, was eine Nutte ist

Mit den Worten: „Solche Filme sind noch nichts für dich“ hatte mich mein Papa sicherheitshalber ins Bett geschickt. Befehlsgemäß niedergestreckt lag ich da, grübelte über das ,noch nichts‘ nach, tröstete mich mit der Perspektive und dem Krimikrach, der durch die Schlafstubentür drang. In meiner Fantasie stellte ich mir vor, wie sie im Fernsehen vor Vaters und Mutters Augen lustig mordeten. Dazu blubberte eine Musik, die nichts Gutes ahnen ließ und mehr einer Schießerei aus Trompeten und Posaunen ähnelte. Zwischendurch klingelte ein Telefon im Krimi und erinnerte mich an das Geläut des Herrn Knöpke. Ich dachte an mein Tagebuch. Ein Tagebuchschreiber lebt immer in Spannung, zittert geradezu vor Neugier. Er weiß nur, dass es weitergeht, er weiß nie, wie es weitergeht, doch eins weiß er ganz genau: Er darf alles reinschreiben, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen. Also lauschte ich auf den Fortgang meines Tagebuches.

Plötzlich brüllte es: „Verdammte Sauerei!“ Darauf antwortete unsere Kirchenuhr mit zwei harten Schlägen. Ein aufgeschreckter Hahn rief, ein Hund bellte zurück. Es war halb neun und in der Wohnstube ganz still. Obwohl die ,verdammte Sauerei‘ in den Kriminalfilm hineingepasst hätte, war sie von keinem Schauspieler, sondern von meinem Vater gesprochen worden.

Später erfuhr ich, was ich ahnte: Unser in der Ecke stehender PATRIOT hatte den Krimi nicht ausgehalten. Somit war die Technik daran schuld, dass meine Eltern früh und unbefriedigt zu Bett kamen. Da sie annahmen, einen Jungen zu haben, der selbst bei einigen Morden friedlich schlafen könne, unterhielten sie sich ungezwungen über den nur zur Hälfte gesehenen Film und den vermutlichen Täter.

„Ich glaube, es war der Herr Köfer“, stellte mein Vater fest, wogegen meine Mutter energisch protestierte und bemerkte, der Herr Köfer komme nicht in Frage, der habe so ein gutmütiges und spaßiges Gesicht

„Denk an das Ohrläppchen, Liesel. Er zupfte immerfort am linken Ohrläppchen. In Kriminalfilmen muss man auf Kleinigkeiten achten.“

„Ach was“, widersprach Mama, „der Herr Köfer zupft sich im lachenden Bären auch andauernd am linken Ohrläppchen. Nein, nein, mit dem Krimi hat das nichts zu tun.“

Enttäuscht schwieg Papa. Mama kombinierte.

Die Straßenlaterne vor unserem Fenster beschien ihren Mast und machte einen Lichtklecks auf die Straße.

„Du“, meldete sich Mutter geheimnisvoll, „ich denke vielmehr, es war dieses schreckliche Weibsbild.“ Vater fuhr erschreckt hoch.

„Etwa die Nutte?“

„Pst“, machte Mama, „pst“ und „pst“.

Vater fiel sofort wieder um.

Ich wunderte mich, dass Mutter den Vater nicht verbesserte; er hatte sicherlich Niete sagen wollen.

„Ein bisschen eleganter könntest du dich aber doch ausdrücken“, tadelte Mama.

Papa schwieg.

Also hatte Mama recht.

Und das entsetzte mich. Hatte er sich nicht versprochen?

Ich wurde konkret: „Isn das, eine Nutte?“

Mit einem Mm,-al saßen meine Eltern aufrecht im Bett, pechschwarz und im grellen Gegenlicht der Straßenlaterne. Es sah aus wie Vater und Mutter mit Heiligenschein.