Arizona Splash - Niklas Quast - E-Book

Arizona Splash E-Book

Niklas Quast

0,0

Beschreibung

Bei der Eröffnungsfeier des Arizona Splash, einem riesigen Schwimmbad mit Außenpools, Saunas und Rutschen, werden zwei junge Leute entführt. Ihnen steht eine Nacht des Grauens bevor: im Inneren des Schwimmbades müssen sie sich nicht nur mit ihren sadistischen Peinigern auseinandersetzen, sondern auch mit einer Gefahr, die aus den Tiefen eines geheimen Kellerganges zu kommen scheint. Je tiefer Officer Charles Reinhart in den Fall vordringt, desto verwobener wird das Spinnennetz des Grauens. Die Killer schrecken offenbar vor nichts zurück - und richten ein Blutbad ungeahnten Ausmaßes an.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 235

Veröffentlichungsjahr: 2020

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum BUCH

Bei der Eröffnungsfeier des Arizona Splash, einem riesigen Schwimmbad mit Außenpools, Saunas und Rutschen, werden zwei junge Leute entführt. Ihnen steht eine Nacht des Grauens bevor: im Inneren des Schwimmbades müssen sie sich nicht nur mit ihren sadistischen Peinigern auseinandersetzen, sondern auch mit einer Gefahr, die aus den Tiefen eines geheimen Kellerganges zu kommen scheint.

Je tiefer Officer Charles Reinhart in den Fall vordringt, desto verwobener wird das Spinnennetz des Grauens. Die Killer schrecken offenbar vor nichts zurück – und richten ein Blutbad ungeahnten Ausmaßes an.

Zum AUTOR

Niklas Quast wurde am 7.3.2000 in Hamburg-Harburg geboren und wuchs im dörflichen Umland auf. Nachdem er eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann absolvierte, arbeitet er nun in einem Familienbetrieb und widmet sich nebenbei dem Schreiben.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

1

Amy Higgins war heute bloß eine von vielen. Sie hatte sich dazu entschieden, das neu eröffnete Arizona Splash zu besuchen und bei der feierlichen Eröffnung mit vor Ort zu sein. Die Sonne strahlte vom Himmel herab und wärmte den umliegenden Asphalt. Sie stieg aus ihrem Toyota Corolla, den sie in einer Seitenstraße geparkt hatte, und überquerte die Straße. Die Schlange vor dem Eingang war bereits jetzt gigantisch. Amy hatte schon aus der Ferne erkannt, dass sich unzählige Menschen jeden Alters dort versammelt hatten. Kinder, mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht an der Hand ihrer Eltern wartend, die allerdings nur vereinzelt begeistert wirkten. Amy konnte sie durchaus verstehen, sie war froh, dass sie sich darüber noch keine Gedanken machen musste. Mit ihren dreiundzwanzig Jahren war sie - zugegebenermaßen – aber genau im richtigen Alter dafür, ihr Leben bald in eine andere Richtung zu lenken. Doch ihr Jura Studium nahm sie momentan zeitlich unfassbar in Anspruch, und sie hatte noch nicht mal die Zeit, auch nur an Kinder zu denken. Dazu kam noch, dass sie sich gerade erst von ihrem letzten Freund getrennt hatte. Sie hatten eine lange und intensive Beziehung geführt. Wenn man zwei Jahre als lang bezeichnen kann. Ihr war diese Zeit definitiv wie eine Ewigkeit vorgekommen, und sie war immer noch froh, dass sie sich letzten Endes dazu entschlossen hatte, einen Schlussstrich unter die ganze Sache gezogen zu haben. Mittlerweile hatte sie sich auch wieder an das Single-Leben gewöhnt und war mehr als zufrieden damit, weniger Verpflichtungen im Alltag zu haben.

»Entschuldigen Sie bitte.«

Amy war so in ihre Gedanken vertieft gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass sie das Ende der Schlange erreicht hatte. Eine Frau mittleren Alters, der sie von hinten auf die Füße getreten hatte, drehte sich um und quittierte ihre Entschuldigung mit einem netten Lächeln. Es gibt also doch noch Menschen, die freundlich und gut gelaunt sind. Faszinierend. Mit jeder Minute wurde die Schlange vor ihr übersichtlicher. Amy warf einen Blick auf die Uhr; es war jetzt kurz nach zehn. Also noch knapp zwei Stunden, bis Jessica kommt. Ihre Freundin hatte am Vormittag noch einen Arzttermin, für die Zeit danach hatte sie allerdings direkt zugesagt. Es war lange her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten, umso erleichterter war Amy, dass es heute endlich mal wieder mit dem Treffen klappte. Etwa zehn Minuten später hatte sie die Kasse erreicht. Sie kaufte ein Ticket für den gesamten Tag und suchte die Umkleidekabinen auf. Hinter der nächsten Biegung gelangte man rechts in einen großen Bereich. Die Halle wies eine enorme Größe auf, doch das war, wie Amy wusste, erst der Anfang. Arizona Splash, Spaß für die gesamte Familie, von jung bis alt. Erleben Sie das größte Schwimmbad der gesamten USA, mit Innen- und Außenbereich. Die Werbung war wirklich verlockend gewesen. Der Text hatte sie schließlich dazu verleitet, das Bad direkt am Tag der Eröffnung zu besuchen – vor allem, da es mit zwei Stunden Entfernung für einen Tagesausflug für sie gut zu erreichen war. Sie legte ihre Tasche ab und zog sich in der Kabine um, dann packte sie ihre Sachen in einen der vielen Spinde, schloss diesen ab und band sich das gelbe Stoffband des Schlüssels um ihr Handgelenk. Sie trug keine Badeschuhe und musste deshalb aufpassen, dass sie auf dem rutschigen Steinboden nicht ausrutschte. Im Innenbereich herrschte ein angenehmes Klima. Das Schwimmbecken war schon gut gefüllt, die meisten Leute schienen jedoch erst einmal den äußeren Bereich zu erkunden.

Amy entschied sich ebenfalls dazu, und ging langsam und vorsichtig an dem riesigen Becken vorbei. Dabei wäre sie beinahe mit einem Kind zusammengestoßen, machte aber in letzter Sekunde einen hastigen Schritt zur Seite. Sie zuckte jedoch nur mit den Schultern, ohne sich darüber zu ärgern. Sie wollte sich den Tag nicht durch Kleinigkeiten verderben lassen, weshalb sie das Ganze einfach weg lächelte. Ich war ja im Grunde auch nicht anders als Kind. Sie öffnete jetzt die Tür zum Außenbereich, doch bevor sie diese wieder schloss, entdeckte sie einen farbigen Aufkleber. Er war ziemlich klein und schwer zu sehen, fiel ihr jedoch direkt ins Auge. Sie ging näher heran und versuchte, zu erkennen, was darauf stand. Es war ein rotes A, das auf einem schwarzen Untergrund prangte. Die Treppe, die sie nach draußen führte, war noch ziemlich trocken. Sie stieg die Stufen hinunter und atmete tief durch, als sie direkt unter der Sonne in der frischen Luft stand.

»Hey, Süße.«

Sie drehte sich um und erblickte einen jungen Mann in ihrem Alter.

»Lust auf 'nen Drink?«

Er wies auf eine Bar im Hintergrund. Leise sommerliche Musik war aus dieser Richtung zu hören.

»Ich weiß nicht. Wer bist du denn überhaupt?«

»Nelson. Schön, dich kennenzulernen.«

Er lächelte, und seine weißen Zähne schienen die gesamte Umgebung zu beleuchten. Amy musterte ihn genauer. Er hatte einen dunklen Hautton, schwarze, kurze Locken und ein sympathisches Lächeln. Was solls? Sie zuckte mit den Schultern.

»Klar.«

»Super, das freut mich.«

Er führte sie zu zwei weiteren Männern hinüber. Sie schienen alle nicht von hier zu kommen, ihr Aussehen wirkte viel mehr südamerikanisch.

»Wen hast du denn da schon wieder abgeschleppt, Nelson?«

»Sei still, Ricardo.«

Er sah Amy grinsend an.

»Hör bloß nicht auf ihn. Der redet andauernd Schwachsinn.«

»Wer tut das nicht«, murmelte Amy.

»Ich bin Esteban«, stellte sich der dritte Mann vor.

»Klingt mexikanisch.«

»Das stimmt, aber ich lebe schon seit vielen Jahren hier, im Grunde genommen schon seit meiner Kindheit. Genau wie die anderen beiden.«

»Was möchtest du trinken?«

Nelson schien die folgende Stille unangenehm zu sein, weshalb er etwas sagte, um diese zu vertreiben.

»Ein Bier«, antwortete Amy trocken.

»Frauen und Bier?«, fragte Ricardo und lachte.

Er wirkte ihr irgendwie aufdringlich und unsympathisch, doch Amy entschied sich, auch das einfach mit einem Lächeln zu quittieren.

»Ja, es ist nun mal mein Lieblingsgetränk.«

Nelson bestellte ihr daraufhin ein Bier. Der Mann hinter der Theke bediente den Zapfhahn und reichte ihr das gefüllte Glas wenige Augenblicke später.

»Danke.«

Amy nippte an dem Krug und stellte ihn dann auf den Untersetzer. Sie spürte sofort, wie ihr der Alkohol wegen der schwülwarmen Luft zu Kopf stieg. Sie mochte das leichte Gefühl jedoch und trank deshalb einen zweiten, um einiges größeren Schluck.

»Wer bist du eigentlich?«, fragte Nelson.

»Du hast uns deinen Namen noch gar nicht verraten.«

»Amy.«

»Ein schöner Name. Passt zu dir.«

Ricardo lächelte wieder und offenbarte dabei eine Zahnlücke.

»Wie ist das denn passiert?«

»Was?«

»Dir fehlt oben doch ein Zahn.«

»Ach so, das. Schlägerei mit 'nem Typen im College. Er musste ins Krankenhaus und seine Wunde musste sogar genäht werden. Bei mir ist bloß ein Zahn abhandengekommen.«

Amy orderte ein zweites Bier und trank auch dieses innerhalb kürzester Zeit leer. Ein paar Minuten später, nachdem sie eine Wiele miteinander gesprochen und sich ausgetauscht hatten, schob sie den Barhocker zur Seite.

»Ich muss mal kurz zur Toilette. Ich bin gleich wieder da.«

»Ich komme mit.«

Nelson stand ebenfalls auf.

»Das kriege ich schon alleine hin.«

Amy konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

»Das glaube ich dir, aber du hast doch bestimmt gehört, was der Grund für die späte Eröffnung war, oder nicht?«

»Eine späte Eröffnung?«

»Der ursprüngliche Termin wäre schon letzten Sommer gewesen. Doch während des Baus der Halle haben sich einige Dinge zugetragen. Man spricht von ungeklärten Mysterien.«

»Von was für Mysterien denn?«

Seine rätselhaften Worte machten Amy nachdenklich.

»Die Toiletten befinden sich im Keller, und alles hat sich angeblich genau dort zugetragen.«

Nelson drehte sich um und nahm noch einen Schluck von dem Cocktail, den er sich zuvor bestellt hatte. Der Kellner hatte das Glas mit einem kleinen Schirmchen geschmückt, außerdem zierte eine Orangenscheibe den Rand.

»Nun rück schon raus mit der Sprache. Was ist dort passiert?«

»So genau weiß das keiner, aber man erzählt sich halt so einige Dinge.«

Er zuckte mit den Schultern.

»Wer weiß, vielleicht steckt da ja auch gar nichts hinter. Doch man sollte immer auf Nummer sichergehen, finde ich. Komm, ich begleite dich.«

»Nein, danke. Ich kriege das wirklich allein hin.«

Amy ließ die drei Männer an der Bar stehen und entfernte sich in Richtung der Halle. Sie war froh, wieder alleine zu sein und überlegte, später gar nicht mehr an die Bar zurückzukehren. Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass bereits eine Dreiviertelstunde vergangen war, seit sie das Schwimmbad betreten hatte. Die Treppenstufen waren mittlerweile bereits rutschiger geworden, und Amy musste aufpassen, dass sie ihr Gleichgewicht nicht verlor. Sie spürte den Alkohol nun deutlich, denn sie hatte lange nichts mehr gegessen, was die Wirkung um einiges verstärkte.

Im Inneren der Schwimmhalle war es noch um einiges wärmer als draußen, und zu der aufgeheizten Luft kam noch eine unangenehme Feuchtigkeit. Ich glaube, ich werde gleich erst mal ein paar Bahnen schwimmen. Der Gedanke an das kalte Wasser stimmte sie sofort fröhlicher und sie konnte es kaum erwarten.

Die Toiletten befanden sich, wie Nelson gesagt hatte, tatsächlich im Keller. Fünfzehn Treppenstufen führten sie eine Etage tiefer. Hier unten war die Luft deutlich kühler. Am Ende eines leeren Ganges führte eine Tür zu den Damentoiletten. Ein ungelöstes Mysterium, dachte Amy und grinste. Was für ein Blödsinn. Die Fliesen unter ihren Füßen waren extrem kalt. Sie öffnete die erste Tür und erstarrte. Oh mein Gott! Der Boden war über und über mit Blut bedeckt. Scheiße. Sie taumelte vor Schreck ein paar Schritte zurück, rutschte in einer der Pfützen aus und fiel auf den Rücken. Von außerhalb waren plötzlich Schritte zu hören, die der Tür immer näherkamen.

»Hallo?«

»Amy?«

Das war Nelson.

»Ist dir was passiert?«

»Ja, verdammt. Das musst du dir ansehen.«

Die Tür zur Toilette öffnete sich, doch das war nicht die Einzige. Etwa zeitgleich schlug am anderen Ende des Raumes, neben den Waschbecken, eine weitere Tür in den Rahmen. Amy konnte dahinter jedoch nichts erkennen.

»Nelson?«

»Ja?«

»Was ist das?«

»Was?«

»Das, was gerade aus dieser gottverdammten Tür auf uns zukommt!«

Nelson schrie auf. Aus der Dunkelheit schlug jemand mit einer Eisenstange nach ihm. Sie traf ihn genau am Kopf und streckte ihn nieder. Amy wollte sich aufrappeln und ihm zur Hilfe eilen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Sie war vor Schock wie gelähmt. Es gelang ihr lediglich, einen kurzen Blick auf denjenigen zu werfen, der Nelson niedergeschlagen hatte. Das Letzte, was sie sah, bevor sich ein gewaltiger Schmerz in ihrem gesamten Kopf ausbreitete, war eine grauenhafte Maske.

2

Verena Williams war gerade damit beschäftigt, die Tageszeitung zu lesen. Sie nahm einen Schluck aus der dampfenden Kaffeetasse, die vor ihr stand. Sie hatte sich ein aufwendiges Frühstück zubereitet, das aus zwei Eiern und Pancakes bestand. Sie legte noch ein paar gebratene Scheiben Bacon auf die Eier und vollendete die Pancakes mit Ahornsirup, als ihr ein Artikel ins Auge sprang.

Arizona Splash bis auf Weiteres geschlossen.

Gestern sollte ein Tag sein, der für immer in positiver Erinnerung bleiben sollte, doch es geschah etwas, was keiner erwarten konnte. Das Arizona Splash, das größte Schwimmbad der gesamten USA, hat gestern seine furiose Eröffnung gefeiert. Doch bereits zwei Stunden danach kam es zu einem grausamen Verbrechen. Die Polizei gab bekannt, dass zwei Personen als Vermisst gelten. Das Einzige, was von ihnen gefunden wurde, war eine abgetrennte Hand. Amy H. wollte sich dort mit Jessica M. treffen, die jedoch bei ihrer Suche nur auf zwei Freunde von Nelson S. traf, dem zweiten Verschwundenen. Sie meldete den Vorfall direkt danach bei der zuständigen Behörde. Die Ermittlungen laufen in verschiedenste Richtungen auf Hochtouren.

Verena las den Text ein weiteres Mal und dachte über das nach, was dort geschrieben stand. Ein Schwimmbad... zwei vermisste Personen. Sie spürte eine in ihr aufkeimende Anspannung, die der glich, die sie empfunden hatte, als sie damals zufällig den Artikel mit den Dämonenjägern entdeckt hatte. Die Fahrt nach Arizona würde einen halben Tag in Anspruch nehmen. Doch da es erst relativ früh war, entschied sich Verena dazu, etwas später loszufahren. Nachdem sie in der Zeitung die Adresse des Arizona Splash gefunden hatte, schlug sie eine Karte auf und machte den Ort schnell ausfindig. Seit dem zweiten Vorfall in der Lagerhalle war nicht mehr viel geschehen, deshalb freute sie sich darauf, endlich wieder etwas Abwechslung zu haben.

Der Geruch des dampfenden Kaffees füllte mittlerweile den gesamten Container aus. Draußen schien die Sonne und es herrschten sommerlich warme Temperaturen. Es war nun schon fast ein ganzes Jahr seit ihrem letzten Einsatz vergangen. Sie dachte noch oft darüber nach, was in dieser Nacht geschehen war. Vielleicht kann ich ja Grace mitnehmen. Sie erschauderte bei dem Gedanken, doch als sie länger darüber nachdachte, fand sie die Idee gar nicht mehr so abwegig. Ich muss dazu aber in die Lagerhalle zurück. Sie war sich nicht sicher, ob sie Grace dort überhaupt antreffen würde, wusste aber, dass sie es wenigstens versuchen musste. Ich habe sie verdammt lange nicht mehr gesehen und weiß gar nicht, was aus ihr geworden ist. Bevor sie sich auf den Weg nach Arizona machte, stand also erst einmal ein Abstecher in der Lagerhalle auf dem Programm. Sie spürte vor lauter Anspannung ein Kribbeln, das sich schnell auf ihrem gesamten Körper ausbreitete. Wie ein loderndes Feuer. Sie aß hastig die Pancakes, die Eier und den Bacon auf, ließ das Geschirr kurzerhand auf dem Tisch stehen und bereitete sich vor.

Das kalte Wasser fühlte sich herrlich an; sie wusch sich damit das Gesicht und trank einen großen Schluck aus ihren Handflächen. Das Einzige, was sie an ihrem kleinen Container störte, war, dass sie hier keine Dusche hatte. Ich muss vielleicht bald mal darüber nachdenken, mich zur Ruhe zu setzen. Eigentlich wollte ich doch schon längst neu angefangen haben. Doch es gab nun mal nichts Besseres, als etwas Neues und Aufregendes zu entdecken – und das war nun der Fall.

3

Jessica schaltete den Wecker aus und nahm sofort eine der Kopfschmerztabletten aus der Packung auf ihrem Nachttisch.

Das Wasser in dem Glas, welches sie gestern Abend dort hingestellt hatte, war zwar schon abgestanden und enthielt keine Kohlensäure mehr, doch das war ihr in diesem Moment egal.

Sie warf einen kurzen Blick auf ihr Handy, in der Hoffnung, eine Nachricht von Amy empfangen zu haben. Als sie sah, dass dies nicht der Fall war, legte sie es enttäuscht zurück. Der gestrige Tag ging ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf. Als sie ihren Wagen auf dem Parkplatz des Arizona Splash abgestellt hatte, hatte sie direkt gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmte, denn ein Riesenpolizeiaufgebot hatte vor der Schwimmhalle gestanden. Ein Mord oder sogar zwei? Aber ohne Leiche? Man hatte im Keller, auf der Damentoilette, eine riesige Menge Blut gefunden, und mehrere Personen galten seitdem als vermisst.

Als sie bei den Polizisten angekommen war, hatte sie dort zwei junge Männer entdeckt. Diese stellten sich ihr als Esteban und Ricardo vor, und als sie von ihnen erfuhr, dass Amy und ein weiterer Mann, dessen Namen sie bereits wieder vergessen hatte, verschwunden waren, wusste sie auch den Grund für den ganzen Aufruhr. Sie hatte noch an Ort und Stelle mit den anderen beiden Nummern ausgetauscht, doch auch von denen hatte sich niemand bei ihr gemeldet. Sie warf einen Blick auf die digitale Anzeige ihres Radioweckers. Es war jetzt zehn nach sechs. Sie wollte zu dieser frühen Uhrzeit nicht bei einen von den beiden anrufen, nahm sich jedoch fest vor, das im Laufe des Tages zu tun. Sie hatte sich später auch noch mit einem der dort anwesenden Polizisten ausgetauscht, und er hatte ihr ebenfalls seine Nummer gegeben, falls sie Neuigkeiten von Amy erfahren sollte. Die Visitenkarte lag neben der Tablettenpackung.

Ken West, stand dort. Darunter hatte er handschriftlich die Nummer seines Diensthandys gekritzelt. Jessica stand nun aus dem Bett auf und zog die Vorhänge zur Seite. Sofort fielen die Sonnenstrahlen in das Schlafzimmer. Der Himmel draußen war schon herrlich blau, und als sie die Balkontür öffnete, bemerkte sie, dass keinerlei Wind herrschte. Sie war froh, dass der heutige Tag ein Sonntag war, und sie deshalb tun und lassen konnte, was sie wollte. Ein blauer Blumentopf mit einer Yucca-Palme zierte ihre Fensterbank, daneben stand ein rotes Windlicht. Sie ließ die Tür offen, um etwas zu lüften, und ging dann in das angrenzende Badezimmer. Sie duschte, zunächst warm, drehte dann jedoch das Wasser auf kalt. Nach einer Viertelstunde trocknete sie sich wieder ab und zog sich frische Klamotten an.

Sie hörte aus der Küche ein leises Miauen, und musste bei dem Gedanken an ihren Kater Spookie unwillkürlich lächeln. Er kam ihr bereits über die Fliesen entgegen getrottet und schmiegte sich an ihr Bein.

»Hast du Hunger?«

Sein zweites Miauen klang wie eine Bestätigung, weshalb sie den Schrank neben dem Spülbecken öffnete und eine Dose Katzenfutter herausholte. Spookie stürzte sich gierig auf den vollgefüllten Futternapf, und Jessica schaute ihm abwesend dabei zu. Ein paar Minuten später wurde ihr bewusst, dass sie ebenfalls Hunger hatte, weshalb sie sich eine Schüssel Müsli zubereitete. Es war nicht mehr viel im Kühlschrank, das hieß, dass sie Montag unbedingt wieder einkaufen musste. Wenn das Geld dazu reicht. Sie schüttete die restliche Milch in die Schüssel und entsorgte dann die Pappverpackung. Anschließend schaltete sie das Radio an. Dort liefen gerade die halbstündigen Nachrichten.

Zu dem Vorfall im Arizona Splash wurde allerdings nichts gesagt. Jessica war sich bewusst, dass die Polizei erst einmal alle Details zurückhalten musste, trotzdem brannte sie darauf, Neuigkeiten von Officer West zu erfahren. Ohne weiter nachzudenken ging sie in ihr Schlafzimmer zurück, wählte seine Nummer und ließ es so lange klingeln, bis am anderen Ende abgenommen wurde.

»West.«

Er klang verschlafen.

»Mr. West? Hier spricht Jessica. Jessica Miller.«

»Ach, Sie sind es, Ms. Miller.«

Sie hörte, wie er gähnte.

»Genau. Haben Sie schon etwas herausgefunden?«

Er zögerte lange, und sie machte sich innerlich auf das Schlimmste gefasst.

»Wir haben eine männliche Leiche gefunden. Allerdings... ich dürfte ihnen das eigentlich gar nicht sagen...«

»Bitte«, meinte sie. »Was noch?«

»Die Leiche befand sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Verwesung. Es kann sich dabei also unmöglich um den gestrigen Begleiter von Ms. Higgins handeln.«

Jessica wusste nicht, ob das gute oder schlechte Neuigkeiten waren. Es dauerte etwas, bis sie die Mitteilung verarbeitet hatte.

»Es gab also mindestens einen Mord.«

»Ja, aber ich weiß nicht, ob das Ganze wirklich zusammenhängt.«

»Wie meinen Sie das?«

»Mehr darf ich Ihnen aus ermittlungstechnischen Gründen leider nicht sagen. Sie können sich allerdings darauf verlassen, dass ich und meine Kollegen alles daransetzen werden, Ms.

Higgins und Mr. Santos schnellstmöglich zu finden.«

Jessica wollte sich mit der Antwort eigentlich nicht zufriedengeben, wusste aber auch nicht, was sie ihn sonst noch fragen konnte. Es war offensichtlich, dass er schon mehr gesagt hatte, als er durfte, und auch, dass sie nicht mehr aus ihm herausbekommen würde.

»Ich danke Ihnen für das Gespräch.«

»Gerne. Wir melden uns bei ihnen, sobald es Neuigkeiten gibt.«

Am anderen Ende der Leitung war nun ein leises Piepen zu hören; Officer West hatte das Gespräch beendet. Nachdenklich blickte Jessica aus dem Fenster. Ich muss da hin, heute noch.

Sie wollte jedoch nicht alleine zum Arizona Splash fahren, und entschied sich deshalb dafür, Esteban anzurufen. Er war ihr gestern sofort sympathisch gewesen und sie konnte sich deshalb gut vorstellen, dass er ihr behilflich sein würde. Es klingelte etwa zehn Mal, ehe er das Gespräch annahm.

»Hallo?«

»Hey, Esteban. Hier ist Jessica.«

»Jessica!«

Er klang erfreut.

»Hat sich die Polizei schon bei dir gemeldet? Gibt es Neuigkeiten?«

»Nein, leider nicht. Ich habe dort angerufen, aber sie haben mir keine Informationen gegeben, die mit Amy oder Nelson zusammenhängen.«

Das war schließlich nicht gelogen. Sie wollte die andere männliche Leiche nicht erwähnen, weil ihr Wests Worte wieder in den Sinn kamen. Ich weiß nicht, ob das Ganze zusammenhängt.

Es war eine passive Antwort gewesen, doch Jessica wusste dennoch, was es zu bedeuten hatte.

»Okay, und was ist dann der Grund für deinen Anruf?«

»Ich möchte dorthin. Heute.«

»Du willst in das Schwimmbad zurück?«

»Ja. Ich kann nicht einfach untätig hier herumsitzen und abwarten. Ich werde noch verrückt, wenn ich nicht weiß, was mit Amy geschehen ist.«

Es folgte eine kurze Pause.

»Und mit Nelson natürlich«, schob sie hastig hinterher.

»Ja, du hast recht. Allerdings wird dort garantiert eine Menge Polizei vor Ort sein. Sie werden uns bestimmt nicht hereinlassen.«

»Dann warten wir eben bis heute Nacht.«

»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.«

Er klang unsicher.

»Ich werde meinen Plan auf jeden Fall durchziehen«, sagte Jessica entschlossen.

»Ob du dabei bist, oder nicht, spielt für mich keine Rolle. Es geht mir nur darum, Amy zu finden.«

»Okay.«

Esteban seufzte.

»Wo wohnst du denn genau? Wenn du mir deine Adresse gibst, mache ich mich direkt auf den Weg zu dir.«

4

Ken West legte sein Handy zur Seite und überlegte. Ich sollte mir das Ganze heute noch mal vor Ort ansehen. Er war dafür eigentlich nicht eingeteilt, da heute sein freier Tag war, doch er war zu neugierig, ob er etwas entdecken würde. Nachdem der Einsatz gestern im Keller des Schwimmbades erfolglos verlaufen war, hatten sie ihre Suche in der Halle fortgesetzt. Dort waren sie schließlich hinter der Tür der größten Rutsche auf eine verweste Leiche gestoßen. Der Körper war direkt in die Rechtsmedizin gegangen, und West wartete immer noch auf deren Anruf. Der Verwesungszustand war bereits weit fortgeschritten.

Die Leiche muss dort bereits seit Wochen gelegen haben. Doch wie war sie dorthin gekommen? Er konnte sich das Ganze nicht erklären. Da er nicht untätig vor dem Computer sitzen bleiben wollte, entschied er sich dazu, seinen dort stationierten Kollegen einen Besuch abzustatten. Sein Interesse an diesem Fall war extrem groß, er wollte unbedingt wissen, was gestern in diesem Schwimmbad geschehen war. Es dauerte eine halbe Stunde, bis er seinen Dienstwagen auf dem Parkplatz vor dem riesigen Arenal des Arizona Splash abstellen konnte. Eine große Menschenmenge hatte sich dort bereits versammelt, sie mussten von den Geschehnissen gehört haben. Die ganzen Zeitungen sind ja voll davon. Es war ihnen leider nicht gelungen, die Öffentlichkeit von diesem Fall komplett fernzuhalten - das Medieninteresse ließ sich leider niemals vollständig eindämmen, und dieses Mal war ihnen das ganz und gar nicht gelungen. Vor dem Eingang war ein Gittertor zu sehen, das verschlossen war. West hatte die Autos seiner beiden Kollegen recht schnell ausgemacht, doch sie waren verlassen und vor dem Schwimmbad war von den beiden nichts zu sehen – was bedeuten musste, dass die beiden sich im Inneren aufhalten mussten. Er kramte deshalb sein Handy hervor, öffnete die Kontaktliste und wählte die Nummer von Charles Reinhart. Doch sowohl er als auch sein Kollege Peter Abraham nahmen nicht ab. Kurz darauf ging West auf die Menschentraube zu. Sofort drehten sich einige der Anwesenden zu ihm um und belagerten ihn mit Fragen.

»Lassen Sie mich durch, ich bin Polizist.«

Er wusste nicht, wie er durch das Tor gelangen konnte, wollte sich aber erst einmal einen Weg bis nach ganz vorne bahnen, um entscheiden zu können, wie er dann weiter verfahren sollte.

»Was ist passiert?«

»Warum ist keiner hier?«

»Was macht ihr Bullen eigentlich überhaupt?«

Die letzte Frage konnte er einfach nicht unkommentiert lassen.

Er drehte sich um.

»Wer war das?«

Ein afroamerikanischer Mann trat vor. Er schien etwa Mitte dreißig zu sein und war äußerst muskelbepackt.

»Gibt es ein Problem?«, fragte West grimmig und musterte ihn.

»Nein, alles in Ordnung.«

»Seien Sie froh, dass ich gerade Besseres zu tun habe, als mich mit Ihnen zu befassen.«

Mit diesen Worten wandte er sich wieder ab und blickte auf das Torschloss. Wie komme ich jetzt hier rein? Wenig später hörte er Schritte und sah, wie Reinhart ihm entgegenkam.

»Hey, Ken. Was treibt dich denn hierher?«

»Private Neugier, obwohl ich heute gar nicht im Dienst bin. Ich wäre dir jedoch sehr verbunden, wenn du mich trotzdem hineinlassen würdest.«

»Natürlich. Moment.«

Er drückte die Klinke herunter und öffnete das Schloss. West merkte, dass sich hinter ihm mehrere Menschen herein drängeln wollten, doch es gelang ihm, sie zurückzuhalten.

»Verschwinden Sie von hier. Sofort!«

Er wandte sich nun an die Menge.

»Es gibt hier nichts zu sehen. Sobald wir etwas gefunden haben, werden Sie garantiert am nächsten Tag in der Zeitung darüber lesen.«

West ging mit Reinhart in Richtung des Einganges und ignorierte die nun folgenden Bemerkungen der Menschenmenge. Charles Reinhart, der damals in die Geschehnisse der Lagerhalle involviert gewesen war, hatte sich kurz danach nach Phoenix versetzen lassen. Er hatte einfach Abstand von der ganzen Sache nehmen und alles vergessen wollen. Er hatte auch keine großen Bemühungen in die Suche nach Verena Williams gesetzt, sondern sich mehr damit beschäftigt, das alles zu verarbeiten. Dem Kollegium war es nicht gelungen, die Frau aufzuspüren – sie hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst und keine Spuren hinterlassen.

»Gibt es schon etwas Neues?«, fragte West.

»Nein. Abraham ist gerade drin und sieht sich etwas um. Er glaubt weiterhin, dass wir im Keller fündig werden.«

»Das Blut muss ja von irgendwo herkommen«, murmelte West.

»Er könnte also recht damit haben. Dann muss es allerdings auch irgendeinen Eingang geben, der uns bislang nicht bekannt ist.«

Sie betraten nun die Halle, und West folgte Reinhart tiefer ins Innere. Sie passierten die Umkleidekabinen und standen bald vor der Treppe des Kellers. Am unteren Ende wartete bereits Peter Abraham auf sie.

»Ich habe etwas gefunden, was ihr euch ansehen müsst.«

Seinem Blick nach zu urteilen, schien seine Entdeckung etwas wirklich Wichtiges zu sein.

»Was denn?«

»Eine Tür.«

Sie folgten ihm. Er führte sie in der Damentoilette an den Kabinen vorbei und deutete dann auf die Wand dahinter.

»Seht ihr das?«

West kniff die Augen zusammen. Der Türrahmen war nur schwer zu erkennen und war fast unsichtbar auf den weißen Wandfliesen.

»Wahrscheinlich ein Raum, der während des Baus wichtig gewesen ist.«

»Nein. Ich glaube eher, er hängt mit den Geschehnissen zusammen. Die Blutspur endet schließlich genau hier.«

Abraham zeigte auf den Boden. Die Spurensicherung hatte alles so belassen, wie es war. Am gestrigen Tage war es West nicht aufgefallen, und er ärgerte sich darüber, dass stattdessen seinem Kollegen diese Entdeckung gelungen war. Wenigstens kommen wir so in dem Fall weiter. Die Medaille hat immer zwei Seiten.

»Wir brauchen Werkzeug, um sie irgendwie zu öffnen. Schaut euch mal beide um, ich versuche es weiter.«

Reinhart ging vor, und West folgte ihm. Sie hatten kurz darauf einen kleinen Geräteraum erreicht. Der Lichtschalter befand sich an der Wand, und als West ihn betätigte, wurde der Raum augenblicklich von mehreren weißen Leuchtstoffröhren erhellt.

An der Wand standen einige Regale. Dort waren verschiedene Werkzeuge gelagert, außerdem gab es einen Schlüsselkasten und einen Notstromschalter. Reinhart durchwühlte eine der Kisten, und fand schließlich einen Meißel und mehrere Hämmer.

»Mehr brauchen wir nicht.«

Sie verließen den Geräteraum wieder und schalteten das Licht hinter sich aus. West zuckte zusammen, als er hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Plötzlich vernahm er Schritte, die aus Richtung der Treppe kamen. Er drehte sich um und entdeckte drei Menschen, die er zuvor schon draußen gesehen hatte.

»Stopp. Sie behindern gerade den polizeilichen Ablauf. Wenn Sie nicht sofort verschwinden, muss ich Sie festnehmen.«