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Nach einem nächtlichen Unfall auf einer nebligen Landstraße verwandelt sich das Leben des Busfahrers Austin Hobbs in einen Albtraum. Er kann nicht mehr einschlafen und erleidet furchtbare Visionen, sobald er die Augen schließt. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, und führt ihn geradewegs in einen Kampf gegen sein Unterbewusstsein, den er nicht gewinnen kann...
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Seitenzahl: 210
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Nach einem nächtlichen Unfall auf einer nebligen Landstraße verwandelt sich das Leben des Busfahrers Austin Hobbs in einen Albtraum. Er kann nicht mehr einschlafen und erleidet furchtbare Visionen, sobald er die Augen schließt. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, und führt ihn geradewegs in einen Kampf gegen sein Unterbewusstsein, den er nicht gewinnen kann…
Niklas Quast wurde am 7.3.2000 in Hamburg-Harburg geboren und wuchs im dörflichen Umland auf. Nachdem er eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann absolvierte, arbeitet er nun in einem Familienbetrieb und widmet sich nebenbei dem Schreiben.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Epilog
Es war mal wieder einer dieser Tage, an denen Austin Hobbs nicht gerade stolz auf seinen Job war. Bei Nacht und Nebel kann ich mir wirklich etwas Besseres vorstellen, als in meiner Kabine zu hocken und diesen Bus durch die menschenleeren Straßen zu bringen. Es kam, zumindest unter der Woche, selten vor, dass mehr als fünf Personen um diese Uhrzeit in seinem Bus Platz genommen hatten. Das konnte Austin auch gut verstehen, die meisten waren eben bereits seit Stunden zuhause und schliefen schon längst. Gerade in solchen winterlichen Nächten hatte die Umgebung etwas Unheimliches, was ihm jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut verschaffte. Es war nicht nur neblig, sondern auch sehr kalt – so kalt, dass Austin das Fenster seiner Kabine geschlossen hatte, und das kam eigentlich so gut wie nie vor. Seine Augenlider wurden schwer, während er versuchte, seine volle Aufmerksamkeit auf die Straße zu lenken. Das war definitiv leichter gesagt, als getan, denn er war heute noch ein ganzes Stück müder, als das sonst der Fall war. Zum Glück war dies auch seine letzte Fahrt, und er sehnte sich bereits danach, ins Bett zu steigen und alles, was heute passiert war, zu vergessen. Doch er musste diese Fahrt noch zu Ende bringen, den Bus im Depot abstellen und von dort aus zu sich gehen. Es hat schon echt Vorteile, nur fünf Fußminuten von der Arbeitsstelle entfernt zu wohnen. Allerdings gab es natürlich auch jede Menge Nachteile, unter anderem den, dass er eben der erste war, der bei kurzfristigem Personalausfall als Vertretung kontaktiert wurde. Das war zuweilen schon ziemlich lästig, doch er hatte sich daran gewöhnt, und sich vor allem vorgenommen, nicht immer nur zuzustimmen. Da er weiterhin einen guten Draht zu seinem Chef hatte, kam er so einigermaßen gut durch, und konnte über das Gehalt auch nicht meckern. Die Lichter der Laternen, die sich im unregelmäßigen Abstand am Straßenrand befanden, begannen, in einer gleichbleibenden Symphonie zu flackern. Er kämpfte gegen den Drang an, seine Augen zu schließen, und hielt sie krampfhaft geöffnet. Ein einziger Fehler, eine einzige Unachtsamkeit, konnte vieles ausmachen. Obwohl Austin wusste, dass das Radio in seiner Kabine defekt war, versuchte er erneut, es anzuschalten – natürlich ohne Erfolg. So ein bisschen Musik hätte er jetzt ganz gut vertragen können, sie hätte ihm zumindest dabei geholfen, den Kampf gegen die Müdigkeit zu gewinnen. Ich darf nicht eine Sekunde lang unkonzentriert sein. Ich darf nicht eine Sekunde lang unkonzentriert sein. Ich darf nicht... der letzte Teil des sich immer wiederholenden Gedanken wurde von dem Geräusch der quietschenden Reifen verschluckt, das in Folge eines harten Trittes auf die Bremse folgte. Austin öffnete die Augen und riss das Steuer nach rechts, um dem Hindernis, welches er getroffen hatte, auszuweichen – doch dazu war es bereits zu spät.
Austin spürte, wie ihm sein Herz zum Hals herausspringen wollte. Seine Hände waren schweißnass, und er wusste nicht, wie er sich beruhigen konnte. Keuchend tastete er nach dem Lichtschalter, brauchte jedoch einige Versuche, bis er ihn schließlich gefunden und betätigt hatte. Er sah in diesem Moment alles nochmal in Zeitlupe vor sich – wie er erneut auf das Bremspedal stieg, es jedoch nicht schaffte, das Gefährt rechtzeitig zu stoppen. Es folgte der dumpfe Knall, ehe sich erneut Stille ausbreitete. Das alles war jetzt erst wenige Stunden her, doch für Austin fühlte es sich an, als würde es immer wieder neu passieren. Er hatte in dieser Nacht noch kein Auge zu bekommen, obwohl er total müde und erschöpft war – dieser Umstand hatte ihn ja erst in die gefährliche Situation gebracht.
»Hm?«, fragte Piper schlaftrunken.
»Ich kriege einfach kein Auge zu«, murmelte Austin, ärgerte sich aber in diesem Moment, das Licht angeschaltet zu haben.
Er hatte sich nichts dabei gedacht – immerhin schlief Piper ansonsten auch wie ein Stein und ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen, doch heute war das scheinbar anders. Seine Ehefrau drehte sich zu ihm um, rieb sich die Augen und öffnete sie kurz darauf.
»Du hattest keine Chance, dem Mädchen auszuweichen«, sagte sie sanft und gähnte.
»Sie ist dir immerhin genau vor das Fahrzeug gefallen.«
Austin wusste, dass seine Frau recht hatte, doch er konnte einfach nicht anders, außer sich selbst Vorwürfe zu machen – und gerade mitten in der Nacht, zu einer Zeit, in der sein Körper schon längst zur Ruhe gekommen sein sollte, fühlte sich das nochmal schlimmer an. Sie saß nicht am Steuer, und hat nicht das Gefühl, diesen Fehler nur begangen zu haben, weil sie sich einen kleinen Moment lang nicht konzentriert hatte. Austin hatte diesbezüglich kein Wort gegenüber der Polizei verloren, die Situation war so schon schlimm genug gewesen. Zudem hatte er schlichtweg Angst davor gehabt, das auszusprechen. Was, zur Hölle, hat das Mädchen ausgerechnet an der Stelle verloren gehabt? Noch dazu um diese Uhrzeit? Das war auf einer verdammten Landstraße und nach Mitternacht!
»Ich glaube, ich gehe eine Weile ins Wohnzimmer und mache es mir auf der Couch bequem.«
Austin beugte sich zu Piper hinunter und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Obwohl es in den letzten Wochen nicht optimal zwischen ihnen beiden gelaufen war, fühlte sich das gut an.
»Alles klar.«
Piper gähnte erneut.
»Sei mir nicht böse, aber ich muss weiterschlafen. Mach dir nicht zu viele Gedanken, okay? Du kannst nichts dafür.«
»Danke.«
Zu mehr war Austin in diesem Moment nicht fähig. Er schlug seine Bettdecke zurück, kletterte aus dem Bett und knipste das Licht aus. Er wagte sich blindlings durch das Schlafzimmer und tastete sich an der Wand entlang, ehe er die Tür, die in den Flur führte, erreicht hatte. Über selbigen war er wenig später bereits ins Wohnzimmer gelangt, schaltete dort die kleine Tischlampe an und nahm auf der Couch Platz. Sie hatten am letzten Abend nicht geheizt, da er arbeiten und Piper mit ihren Freundinnen unterwegs gewesen war – weshalb seine Frau letzten Endes auch so schnell an der Unfallstelle erschienen war. Dementsprechend war es im Wohnzimmer auch ziemlich kalt, weshalb er sich eine der beiden Wolldecken schnappte, die auf dem Sofa lagen. Wir sollten die Türdichtungen wirklich zeitnah tauschen lassen. Dieser Winter scheint besonders erbarmungslos und hart zu werden. Dass sie jetzt schon so früh zu Beginn des Winters solch niedrige Temperaturen hatten, war ein Zeichen dafür. Jetzt, wo er auf dem Sofa saß und die Aufregung langsam abgeebbt war, machte sich die Müdigkeit wieder bemerkbar. Er wollte nicht zurück ins Schlafzimmer, da er Piper nicht erneut aufwecken wollte, weshalb er sich auf der Couch zurücklehnte und die Augen schloss. Unter seinen Augenlidern flackerten blaue Lichter wild umher, sie wurden wenige Sekunden später zu roten Kreisen und dann zu gelben Punkten. Hoffentlich hat das Mädchen überlebt, dachte Austin, ehe er bereits in der Welt des Schlafes versunken war.
Um ihn herum war es dunkel. Die Nacht präsentierte sich wirklich von ihrer schwärzesten Seite, es gab kein bisschen Licht, welches die Dunkelheit durchschneiden konnte – zumindest nicht an der Position, an der er sich befand. Unter seinen Füßen spürte er feuchte Erde. Es war kalt und regnerisch, er fror bis auf die Knochen und zitterte wie Espenlaub. Als er sich umdrehte, erblickte er in der Ferne den Lichtkegel einer Laterne – und wagte sich in die Richtung voran. Seine Schuhe sanken mit jedem Schritt tiefer in den morastigen Untergrund ein, und es war jedes Mal ein Kraftakt, sich wieder aus der Umklammerung der feuchten Erde zu befreien. Er geriet trotz der eiskalten Außentemperatur ins Schwitzen, und hatte die Laterne einen Moment später erreicht. Im gelben Licht konnte er nun erkennen, dass er sich auf einem Friedhof befand. Der Lichtkegel wies ihn in eine bestimmte Richtung – weiter in die, in die er zuvor bereits gegangen war. Die Gräber wirkten allesamt verwittert, auf vielen Steinen hatte sich bereits Moos gebildet. Einer von denen erregte seine Aufmerksamkeit ganz besonders – er war aus wießem Marmor gefertigt und leuchtete in der Dunkelheit. Er ging auf die Knie und versuchte das, was dort geschrieben stand, zu lesen. Serenity Mason. Sie musste ihr Leben lassen, weil sie von einem rücksichtslosen Busfahrer mutwillig überfahren wurde. Ruhe in Frieden.
Schweißgebadet schlug Austin die Augen auf und versuchte, sich zu orientieren. Erleichtert stellte er fest, dass er sich nicht auf dem Friedhof befand, sondern auf seiner Couch – er hatte geträumt. Draußen war es noch immer stockfinster, und ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es nicht mal eine halbe Stunde her war, seit er das Schlafzimmer verlassen hatte. Obwohl er sich immer noch müde fühlte, stand für ihn fest, dass er sich nicht wieder ins Bett legen könnte. Er versuchte daher, sich möglichst lautlos durch den Flur am Schlafzimmer vorbei in Richtung Küche zu begeben. Dort angekommen, öffnete er die Tür und schloss sie leise wieder hinter sich. Er hoffte, dass Piper mittlerweile wieder in den Schlaf gefunden hatte, und wandte sich der Kaffeemaschine zu. Er schaltete sie an und beobachtete, wie die dunkle Flüssigkeit wenige Momente später in den Becher floss und sich an ihrer Oberfläche eine Schaumkrone bildete. Er zog einen der beiden Stühle vom Esstisch zurück und nahm dort Platz. Während er an dem Heißgetränk nippte, dachte er über seinen verstörenden Traum nach. Auf dem Grabstein stand der Name Serenity Mason. Er grübelte, durchforstete jede einzelne Windung seines Gehirns nach diesem Namen, kam jedoch irgendwie zu keiner Lösung. Wie bin ich auf diesen Namen gekommen? Hatte die Polizei ihn mir gegenüber erwähnt? Ist er mir schon einmal begegnet? Wenn ja, wo? Und in welchem Zusammenhang? Es strengte ihn enorm an, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, und das lag nicht nur an der Uhrzeit. Er musste mehr über den Namen, über sie herausfinden! Doch wie sollte er das anstellen? Er spielte mit dem Gedanken, die örtlichen Krankenhäuser abzutelefonieren, entschied sich jedoch schlussendlich dazu, das nicht um diese Zeit zu tun. Stattdessen blickte er aus dem Fenster. Draußen hatte es zu schneien begonnen, die Flocken fielen sanft vom Himmel, blieben jedoch nicht auf der Straße liegen. Normalerweise hätte Austin dieses Szenario als besonders heimelig und gemütlich empfunden, doch jetzt sorgte die Kälte von außerhalb dafür, dass seine innere Kälte gar nicht mehr verschwinden wollte. Serenity Mason. Obwohl er nicht weiter darüber nachdenken wollte, blieb der Name fest in seinem Gehirn verankert, und er brannte darauf, mehr über das Mädchen und diesen Namen herauszufinden. Wenn das Mädchen wirklich so heißen sollte, dann muss ich den Namen irgendwo gehört haben. Mein Unterbewusstsein wird mir ja nicht einfach so etwas vorspielen. Andererseits... Ihm lief ein Schauer über den Rücken, als er seinen Gedanken weiter ausführte. Ich habe ihren Grabstein gesehen. Das bedeutet ja auch, dass sie es nicht geschafft hat. Niedergeschlagen senkte er seinen Kopf in Richtung der Tischplatte, woraufhin er den Kaffee zum überschwappen brachte. Leise fluchend zog er seine Arme hoch, und versuchte, mithilfe von Küchentüchern die Sauerei zu beseitigen. Er fühlte sich noch immer müde und wie gerädert, hatte, wenn er an den Traum dachte, schlichtweg Angst davor, wieder einzuschlafen. Er trank den restlichen Kaffee aus, nachdem er ein wenig abgekühlt war, und begab sich dann ins Badezimmer. Dort ließ er sich warmes Wasser in die Wanne laufen, fügte noch etwas Badeschaum hinzu und stieg dann hinein. Er atmete tief durch, während er sich in das heiße Wasser sinken ließ. Nachdem er eine bequeme Position gefunden hatte, schloss er die Augen. Nur kurz ausruhen. Es fühlte sich gut an, und er spürte, wie er sich tatsächlich ein wenig entspannen konnte. Zum Glück bin ich nach dem Unfall erstmal auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben. Ich hätte es nicht geschafft, heute wieder in den Bus zu steigen und so zu tun, als wäre rein gar nichts passiert. Jetzt, wo er tiefer darüber nachdachte, wusste er sogar nicht mal, ob er überhaupt jemals wieder in der Fahrerkabine Platz nehmen könnte. Eines stand aber fest: die Nachtschichten waren für ihn erst einmal vorbei, er würde sich in eine andere Abteilung versetzen lassen, sobald er sich wieder im Dienst befinden würde. Er hielt weiterhin die Augen geschlossen. Der Kaffee schien seine Wirkung etwas verfehlt zu haben, Austin hatte nichts von seiner Müdigkeit eingebüßt. Im Gegenteil, er fühlte sich eher noch ein wenig geschlauchter als zuvor. Der Gedanke daran, erneut einzuschlafen, war nun wieder extrem verlockend, und das warme Wasser, welches sich um seinen nackten Körper schmiegte, tat seinen Teil dazu bei.
Dunkelheit. Dieses Mal jedoch handelte es sich nicht um einen Friedhof, nein – er befand sich in einem Tunnel, und hörte von außerhalb ein lautes Rauschen, welches gut und gerne von einem Zug stammen konnte. Das Geräusch war wenige Sekunden später bereits abgeklungen, und irgendwie fühlte sich die Stille, die darauf folgte, noch ein wenig schlimmer an, als der Lärm. Er musste sich komplett blind voran bewegen, und seine Hände erwiesen sich dabei als große Hilfe, da er zu seiner rechten eine feuchte Steinwand fühlte, die seinen Eindruck, er befände sich in einem Tunnel, nochmal verstärkte. Es war so kalt, dass er fror, was vermutlich auch daran lag, dass er weder einen Pullover, noch eine Jacke trug – einzig und allein ein T-Shirt bedeckte seinen Oberkörper. Der Boden unter seinen Füßen wurde plötzlich unebener, und die Steine, die sich zuvor schon an Ort und Stelle befunden hatten, wurden noch etwas größer. Als er kurz darauf auch noch Bahnschienen unter seinen Schuhen spürte, fühlte er sich bestätigt. Sein Instinkt trieb ihn weiter in die Richtung, in die er zuvor bereits unterwegs gewesen war – warum es sich richtig anfühlte, diesen Weg zu gehen, konnte er allerdings nicht sagen. Jeder Schritt glich einer Qual, sein gesamter Körper sandte verschiedenste Schmerzsignale aus, und er wusste nicht, wie er gegen diese ankämpfen konnte. Er musste sich der Situation also wohl oder übel fügen, weshalb er seinen Kopf oben hielt und seinen Weg unermüdlich fortsetzte. Irgendwann, er konnte absolut nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, wurde die Stille erneut durch das laute Rauschen unterbrochen, welches vermutlich einen Zug ankündigte. Dieses Mal kam es jedoch nicht von außerhalb, sondern von innerhalb des Tunnels. Als es kurze Zeit später immer lauter wurde, wurde sein rationale Denken und Handeln von einer alles einnehmenden Panik übernommen. Schon bald tauchte ein Licht in der Dunkelheit auf, und die Scheinwerfer des Zuges kamen mit jeder vergehenden Sekunde immer näher. Er entschied sich dazu, zu rennen – und versuchte dabei, alles aus sich herauszuholen. Doch auch das reichte natürlich nicht, der Zug kam erbarmungslos immer näher. Mit einem lauten Schrei sprang er nach vorne, spürte, wie er in der Luft den Halt verlor – und vom Zug erfasst wurde.
»Austin!«
Austin vernahm die Stimme seiner Frau, spürte jedoch nur Wasser um sich herum. Prustend schoss er nach oben, keuchte und versuchte, das Badewasser, welches er geschluckt hatte, auszuspucken.
»Meine Güte, du wärst beinahe ertrunken!«
In Pipers Stimme war eine große Menge Panik herauszuhören. Austin stützte sich am Rand der Wanne ab, und gelangte mithilfe seiner Frau auf die Beine. Er schien dieses Mal ein wenig länger geschlafen zu haben – zum einen war es draußen hell geworden, und zum anderen hatte sich das Badewasser so weit abgekühlt, dass er zu frieren begonnen hatte. Auf seinem Körper hatte sich eine flächendeckende Gänsehaut ausgebreitet, die er nicht so schnell abschütteln konnte. Er nahm das Handtuch, welches ihm seine Frau reichte, dankend entgegen, und trocknete sich damit ab. Er fühlte sich gerädert, wusste jedoch, dass er das jetzt erstmal beiseiteschieben musste – denn der neue Tag hatte längst begonnen. Als er sich schließlich komplett abgetrocknet, umgezogen und das Badezimmer verlassen hatte, stieg ihm aus der Richtung der Küche der Duft von aufgebackenen Brötchen in die Nase. Sein Magen machte sich daraufhin direkt bemerkbar, weshalb er sich in die Küche begab und sich an den Esstisch setzte, an dem Piper bereits auf ihn wartete. Zwanzig Minuten später befand er sich bereits im Wohnzimmer, und versuchte, über das nachzudenken, was er in seinen zwei Träumen gesehen hatte. Der Name Serenity Mason ging ihm dabei gar nicht mehr aus dem Kopf – es war zum Verrückt werden! Es fühlte sich an, als hätte sich ein bösartiger Parasit in seinen Hirnwindungen festgesetzt, der nur darauf aus war, ihn zu trachten und ihm seine Fehler immer wieder unter die Nase zu reiben. Ja, bei Gott, davon hatte er bisher gefühlt so viele gemacht, wie es Sand am Meer gab – doch niemals zuvor einen derart großen, wie in der vergangenen Nacht. Das alles muss wirklich im Bruchteil einer Sekunde passiert sein. Aber warum, zur Hölle, war das Mädchen um diese Uhrzeit überhaupt auf dieser verlassenen Landstraße und ist ausgerechnet dann auf die Fahrbahn gestolpert, als ich mit meinem Bus vorbeigefahren bin? Da er zuvor einen Blick in den Spiegel geworfen hatte, hatte er gewusst, dass sein Bus weit und breit das einzige Fahrzeug gewesen war – sowohl vor, als auch hinter ihm war auf der Straße nichts zu sehen gewesen, was ja auch nicht besonders verwunderlich für diese Uhrzeit gewesen war. Er war so in seine Gedanken versunken gewesen, dass er das Auftauchen seiner Frau gar nicht bemerkt hatte. Deshalb zuckte er erschrocken zusammen, als Pipers Stimme plötzlich die Stille durchbrach.
»Wie geht es dir?«
Es war eine ziemlich banale Frage, doch Austin wusste nicht, wie er diese beantworten konnte. Er fühlte sich noch immer müde und gerädert, und irgendwie war das, was ihm in seinen Träumen passiert war, noch immer ziemlich präsent. Körperliche Schmerzen hatte er allerdings keine, alles, was ihn momentan trachtete, spielte sich einzig und allein in seinem Kopf ab.
»Ich muss unbedingt wissen, ob das Mädchen den Unfall überlebt hat.«
Er sprach das aus, was ihn seit dem Zusammenstoß enorm belastet hatte. Es war alles so schnell gegangen, während die Polizei ihn befragt und betreut hatte, hatte sich der Krankenwagen, der nahezu zeitgleich an der Unfallstelle eingetroffen war, daran gemacht, das Mädchen abzutransportieren. Austin hatte bloß noch das blinkende Licht des Martinshorns gesehen, ehe der Wagen bereits von der Dunkelheit verschluckt worden war.
»Der Sanitäter hatte gestern gesagt, dass die Chancen für sie nicht besonders gut stehen würden.«
Piper versuchte, einen sanften Ton an den Tag zu legen.
»Ich fürchte daher, dass sie es nicht geschafft hat. Aber... du musst doch verstehen, dass dich keine Schuld trifft.«
Sie legte eine Hand auf seine Schulter und rückte ein Stück näher an ihn heran. Austin genoss die Wärme, die seine Frau in diesem Moment ausstrahlte. Die Kälte, die sich in ihm ausgebreitet hatte, wurde direkt etwas vertrieben. Eine kleine Flamme von dem Feuer, was früher gebrannt hatte, wurde gerade durch ihre Nähe entfacht. Der Tatsache zum Trotz, dass es bei uns in letzter Zeit nicht gut gelaufen ist, ist sie für mich da. Das muss dann wohl wirklich Liebe sein. Die Gefühle waren in den letzten Jahren immer ein bisschen mehr verloren gegangen, und Austin hatte das lange Zeit für den normalen Verlauf einer Ehe gehalten – immerhin waren sie mittlerweile seit fünfzehn Jahren miteinander verheiratet. Piper hatte sich diesbezüglich eher bedeckt gehalten und sich mehr und mehr zurückgezogen. Sie war viele Abende gar nicht mehr zuhause gewesen, weil sie mit ihren Freundinnen von Kneipe zu Kneipe gezogen und immer erst wieder spät zurückgekehrt war.
»Ich weiß, dass ich nicht anders hätte handeln können«, log Austin, da er das Thema nicht weiter ausführen wollte.
Und ob ich das hätte. Es war dieser Bruchteil einer Sekunde, in dem ich meine Augen kurz geschlossen und meinen Kopf abgeschaltet hatte.
»Aber es fühlt sich furchtbar schlimm an, einen Menschen auf dem Gewissen zu haben. Ich muss daher unbedingt in Erfahrung bringen, ob sie überlebt hat.«
Er entschied sich bewusst nicht dazu, den Namen Serenity in den Mund zu nehmen – denn er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass das Ganze wirklich stimmen würde und er das durch seinen Traum erfahren hatte.
»Und wie willst du das anstellen?«, fragte Piper und zog eine Augenbraue hoch.
Sie versuchte dabei gar nicht mal, die Skepsis in ihrer Stimme zu verbergen.
»Es gibt nicht viele mögliche Krankenhäuser, in die sie gebracht worden wäre, sofern sie das Ganze überlebt hätte. Ich glaube, ich mache mich gleich mal auf den Weg.«
Er versuchte, Pipers Miene zu studieren, doch sie gab in diesem Mund rein gar nichts preis.
»Okay, mach das. Wenn dir die Gewissheit dann wenigstens Ruhe bringt.«
Sie drückte ihm einen feuchten Kuss auf die Wange, ehe sie sich vom Sofa erhob.
»Sei mir nicht böse, aber ich habe noch einiges im Haushalt zu erledigen. Ich bleibe hier.«
Austin nickte. Er hätte es zwar einerseits gut gefunden, wenn sie ihn begleitet hätte, konnte jedoch auch damit leben, die Krankenhäuser alleine anzufahren. Draußen sah es ungemütlich aus, ein bisschen Schnee aus der letzten Nacht war noch als feine Schicht am Boden zurückgeblieben und wurde in der Ferne von einer dichten Nebelsuppe überlagert. Es war ein Tag, an dem man eigentlich zuhause bleiben wollte, doch Austin musste sich einfach Gewissheit verschaffen. Er begab sich in den Flur und zog sich seine Jacke an, deren Oberfläche noch etwas feucht war. Er hatte sie nach der Wiederankunft in der letzten Nacht bloß noch am Haken aufgehängt und sich direkt danach ins Bett begeben. Er gelangte durch das Treppenhaus schließlich wieder nach draußen, schloss die Tür hinter sich ab und zog sich den Kragen seiner Jacke bis über das Kinn. Die Kälte drang sofort durch alle Poren in seinen Körper hinein, selbst seine Winterjacke konnte ihn davor nur bedingt schützen. Schnellen Schrittes begab er sich in Richtung seines Autos, welches immer auf demselben Platz stand – in einer Parklücke direkt unter einer Eiche. Er musste seine Scheiben und die Spiegel erst von einer Schicht Schnee befreien, ehe er seine Fahrt starten konnte. Dieser Winter wird echt härter als die letzten werden, wenn ich mir diese Massen ansehe, die sich auf meinem Auto angehäuft haben…
Es war nicht besonders hell, die Umgebung um ihn herum präsentierte sich grau in grau. Die Reste des Schnees sorgten jedoch dafür, dass sich zumindest etwas Helligkeit in das Szenario mischte – und das auch ganz ohne das Licht der Sonne. Hinter einem dichten Vorhang von Wolken konnte man nur noch erahnen, dass sie da war. Nicht einmal ein paar verlorene Strahlen drangen durch. Die Straßen waren recht frei, so, wie es für einen Sonntag halt eigentlich auch gängig war. Das eintönige Licht sorgte in der Verbindung mit seinem aktuellen Zustand dafür, dass er erneut müde wurde. Als er spürte, dass er dagegen nicht mehr ankämpfen konnte, steuerte er eine Tankstelle an, und parkte etwas abseits der Zapfsäulen in der Nähe einer Waschanlage. Er schaltete den Motor ab, verschloss die Tür und lehnte sich im Sitz zurück. Eigentlich wollte er sich der Müdigkeit nicht hingeben, weil er Angst vor dem schrecklichen Traum hatte, der ihm bestimmt erneut bevorstand. Er wusste allerdings auch, dass er den Kampf nicht weiter fortführen könnte. Darum nahm er die verstörenden Träume in Kauf und hoffte, dass er wenigstens ein bisschen Ruhe finden würde. Seine Augenlider flackerten, das trübe Licht vermischte sich mit verschiedenen Farben zu einer einheitlichen Masse. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er erneut in der Welt des Schlafes versunken war.