Die Nacht der Schrecken - Niklas Quast - E-Book

Die Nacht der Schrecken E-Book

Niklas Quast

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Beschreibung

Nach einem missglückten Raubüberfall auf einen Juwelier findet sich Nicholas Winston in einem niemals endenden Albtraum wieder. Ein unbekannter Mann ist hinter ihm her, und hat es auf einen magischen Ring abgesehen, welcher gar nicht in seinen Besitz gelangt ist. Verzweifelt begibt er sich mithilfe des Obdachlosen Carl auf die Suche - und er muss einsehen, dass die schier endlose Nacht nicht nur stockfinster, sondern auch blutig und voller Schrecken ist.

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Zum BUCH

Nach einem missglückten Raubüberfall auf einen Juwelier findet sich Nicholas Winston in einem niemals endenden Albtraum wieder. Ein unbekannter Mann ist hinter ihm her, und hat es auf einen magischen Ring abgesehen, welcher gar nicht in seinen Besitz gelangt ist. Verzweifelt begibt er sich mithilfe des Obdachlosen Carl auf die Suche – und er muss einsehen, dass die schier endlose Nacht nicht nur stockfinster, sondern auch blutig und voller Schrecken ist.

Zum AUTOR

Niklas Quast wurde am 7.3.2000 in Hamburg-Harburg geboren und wuchs im dörflichen Umland auf. Nachdem er eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann absolvierte, arbeitet er nun in einem Familienbetrieb und widmet sich nebenbei dem Schreiben.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

1

Nicholas steuerte den Wagen durch die Häuserblocks der nächtlichen Stadt. Nur an vereinzelten Stellen spendeten Laternen fahles Licht, es schien auf den Gehweg und erhellte die Umgebung ein wenig. Es gab allerdings deutlich mehr dunkle Ecken, das war um diese Uhrzeit jedoch auch nicht verwunderlich. Zwei Querstraßen weiter lag das Ziel, welches sie in den letzten Monaten genauestens ausgekundschaftet hatten. Endlos viele Tage und Nächte hatten sie damit verbracht, das kleine Juweliergeschäft zu beobachten und jeden Quadratzentimeter in nächster Nähe zu studieren. Sie hatten Pläne aufgestellt und ihr Vorhaben genauestens besprochen - doch all das, das wusste Nicholas von den letzten Überfällen, war dann, wenn es zum Showdown kam, absolut umsonst. Man konnte einfach nicht alles planen, dazu spielte die Welt dann doch zu verrückt. An der folgenden Kreuzung sprang die Ampel gerade auf gelb um, als Nicholas sich näherte. Da sie keinerlei Zeitdruck hatten und im Vornherein nicht auffallen wollten, verlangsamte er den Wagen und stellte ihn vor der Haltelinie ab. Die Rotphase dauerte länger als notwendig - um diese Uhrzeit passierte ein einziges Auto, ein weißer Kastenwagen mit abgedunkelten Fenstern, die Kreuzung und bog vor ihnen in die Querstraße ab, in der das Juweliergeschäft lag. Nicholas parkte den Wagen bewusst ein paar Meter weiter, abseits von der Hauptstraße auf dem leerstehenden Parkplatz einer Autowerkstatt. In keinem der Geschäfte brannte Licht - da es bereits spät am Abend war, war das auch kein Wunder. Da es sich um eine Einkaufsstraße handelte, gab es keine Wohnungen in unmittelbarer Nähe. Das einzige Licht weit und breit spendete das beleuchtete Schild einer Tankstelle, die durchgehend geöffnet hatte, sich jedoch nicht in direkter Sichtweite zum Juwelier befand.

»Seid ihr bereit?«

Nicholas blickte über die Kopfstütze nach hinten. Auf der Rückbank saßen Samuel und Isaac - sie hatten sich bereits Sturmhauben übergezogen und ihre Waffen entsichert. Selbige dienten als reine Vorsichtsmaßnahme - Nicholas rechnete nicht damit, sie um diese Zeit einsetzen zu müssen. Er selbst trug seine immer am Gürtel, damit er sie im Fall der Fälle nutzen und eine Kugel abfeuern können würde. Das hatte er jedoch bisher nie tun müssen, worüber er auch ganz froh war. Die Beute, die sie in letzter Zeit gemacht hatten, war dafür mehr als beachtlich. Zudem sind wir gegenüber der Polizei auch unsichtbar geblieben. Sie sind uns nicht ansatzweise auf die Spur gekommen, weil jeder Überfall so gut geplant gewesen war. Das Blatt kann sich aber auch schnell wenden, weshalb wir weiterhin größte Vorsicht walten lassen müssen.

»Mehr als das. Lasst uns die fette Beute einsacken«, meinte Samuel, während Isaac es bei einem kurzen Nicken beließ. Nicholas wertete dies als Zeichen zum Aufbruch. Er schaltete den Motor aus, öffnete die Tür, und trat auf den Asphalt. Er trug seine Sturmhaube in seiner rechten Hosentasche - wie immer würde er sie sich erst überziehen, sobald die Gefahr bestand, von einer möglichen Überwachungskamera erkannt zu werden. Er fühlte sich einfach nicht wohl mit dem schwarzen Stoff vor seinem Gesicht, doch während der Ausführung der Operation war dies unabdingbar. Er gab den Weg vor und Samuel und Isaac blieben ihm auf den Fersen. Es ging zunächst um das vor ihnen liegende Gebäude, die Autowerkstatt, herum, ehe sie auf das Dach des anschließenden Hauses kletterten. Von hier aus hatten sie einen direkten Übergang zum Lüftungskanal des Juweliergeschäfts - und somit zu dem Punkt, an dem sie ins Gebäude eindringen würden. Die letzten Monate hatten gezeigt, dass sich dort zudem keine Alarmanlagen befanden, weshalb sie ein ziemlich leichtes Spiel haben würden. Allerdings war der Weg aufs Dach relativ beschwerlich, die Leiter, die hinaufführte, war nicht mehr in bestem Zustand. Einige Sprossen wiesen doch heftige Makel auf, Nicholas musste sich konzentrieren und hoffte, dass Samuel und Isaac ähnlich vorsichtig vorgehen würden. Oben angekommen, kramte er seine Sturmhaube heraus und zog sie sich über das Gesicht. Dieser Vorgang war immer ein Zeichen für ihn, dass es ernst wurde. Ein kurzes Kribbeln ging durch seinen Körper, und er wartete die paar Sekunden ab, die das Gefühl anhielt. Es stieg ihm bis in die Fingerspitzen hinein und verschwand dann wieder aus seinem Körper, was ihm ermöglichte, seinen Fokus neu zu setzen. Vor ihm befand sich bereits der Lüftungsschacht. Ein leises Surren und ein Hauch warmer Luft verrieten ihm, dass die Lüftung auch um diese Uhrzeit noch im Betrieb war - was nichts außergewöhnliches war, auch, wenn viele Geschäfte in der nächtlichen Zeit darauf verzichteten. Die dürften aber ja genug Schotter haben, sodass sie sich darum gar nicht erst darum kümmern müssen. Nun, ich sollte so langsam mal starten. Es war immer eine Überwindung, den ersten Schritt zu setzen - doch da sich Samuel und Isaac wie immer hinter ihm hielten, blieb ihm nichts anderes übrig, als das Zepter wieder an sich zu nehmen. Er zog seinen Schraubendreher hervor, den er bereits seitdem er aus dem Auto ausgestiegen war bei sich getragen hatte. Das Lüftungsgitter war nur mit vier Schrauben befestigt, es war ein leichtes, es aus der Verankerung zu lösen. Nicholas legte das Gitter neben dem Einstieg auf dem Dach ab und drehte sich ein letztes Mal zu Samuel und Isaac um, um ihnen letzte Instruktionen zu geben.

»Geht achtsam vor, es kann immer mal sein, dass wir durch unvorhergesehene Dinge den Plan kurzfristig ändern müssen. Versucht, euch möglichst leise durch den Schacht zu bewegen - es sieht zwar so aus, als wäre hier niemand in der Nähe, doch sicher sein kann man sich nicht. Ich werde vorausgehen, ihr beide folgt mir. Soweit alles klar?«

Beide nickten gleichzeitig. Nicholas wandte sich ab und richtete seinen Blick und seine volle Konzentration auf den vor ihm liegenden Schacht. Er legte sich auf den Bauch und versuchte so, in die Öffnung hineinzugelangen. Da er recht schlank war, schaffte er das auch, und wagte sich kurz darauf ein paar Meter voran. Samuel und Isaac waren von ähnlichem Körperbau, weshalb auch sie keine Probleme hatten, die Öffnung zu passieren. Nicholas hatte sich den Grundriss des Gebäudes genauestens eingeprägt, und wusste daher genau, welchen Weg er durch den Schacht nehmen musste. Er hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass es so viele Abzweigungen gab - doch da er sich seiner Sache sicher war, ließ er sich dadurch auch nicht aus dem Konzept bringen. Da es irgendwann stockdunkel geworden war und Isaacs Körper das restliche Licht, welches zuvor vom gegenüberliegenden Gebäude in den Schacht gestrahlt war, blockierte, schaltete Nicholas seine Stiftlampe an, die er immer bei sich trug. Sie war äußerst praktisch - so klein, dass sie an einen Schlüsselbund passte, und das Licht war mehr als ausreichend. Der Schacht war verstaubt und voller Spinnweben, doch das war nichts, woran sich Nicholas störte. Er hatte so etwas schon öfter gesehen, es war nichts neues. Es dauerte noch fünf weitere Minuten, ehe sie die Stelle erreicht hatten, an der es einen ersten Weg in den Innenraum gab. Nicholas versuchte sich wieder mit dem Schraubendreher - dieses Mal war es nicht ganz so einfach, doch mit etwas Geduld, von der er reichlich besaß, konnte er auch dieses Hindernis lösen. Es erforderte einiges an Geschick, doch als sich das Gitter schließlich löste und klirrend auf dem Boden landete, spürte Nicholas eine Art Triumphgefühl in sich aufsteigen. Er schob sich vorsichtig durch die Öffnung und sprang auf den Tisch, der sich direkt unter ihm befand. Danach half er Samuel und Isaac, ebenfalls herauszusteigen, ehe sie den Raum passierten. Hier gab es nichts interessantes, das wusste Nicholas bereits aus den vorherigen Erkundungstouren. Im anschließenden Zimmer befand sich der Verkaufsraum - und somit auch die Beute. Die Tür dorthin war verschlossen, es war jedoch ein leichtes, sie aufzuhebeln. Mit einem leisen Quietschen schob sie sich auf. Nachdem das erledigt war, drehte Nicholas sich ein letztes Mal zu Samuel und Isaac um.

»Jetzt ist wie immer schnelles Vorgehen gefragt. Packt alles, was ihr könnt, in die Säcke. Wir nehmen so viel mit, wie wir tragen können.«

»Wie immer, Boss«, witzelte Isaac, während er den Sack herausholte und öffnete.

»Die Alarmanlage ist scharf geschaltet. Sollten wir…«

»Du hast vollkommen recht«, fuhr Nicholas Samuel ins Wort und drehte sich um.

Manchmal war es eben doch gut, wenn alle mitdachten – Nicholas hatte die Alarmanlage gar nicht mehr auf dem Zettel gehabt, und das, obwohl sie alles genauestens durchgeplant hatten. In dem Raum, in dem sie angekommen waren, befand sich neben dem Lüftungskanal auch ein Sicherungskasten. Nicholas schaltete den Strom komplett aus - somit war nun die Gefahr gebannt und sie konnten sich in den Verkaufsraum hervorwagen. Ein Großteil der Beute war in Glaskästen eingeschlossen, doch auch das stellte kein größeres Problem dar. Das sind aber auch wirklich Idioten. Selbst, wenn wir das alles nicht genau ausgekundschaftet hätten, wäre es naheliegend gewesen, die Schubladen nach Schlüsseln zu durchsuchen. Der Besitzer, ein älterer Mann, schloss jeden Abend den Laden ab - und Nicholas hatte ihn öfter dabei beobachtet. Er fand den Schlüssel genau dort vor, wo der Mann ihn immer verstaut hatte - in der obersten Schublade hinter dem Tresen in einer Dose mir Büroklammern versteckt. Nicholas öffnete die einzelnen Glaskästen und überließ es Samuel und Isaac, die Beute einzusammeln. Am letzten Kasten angekommen, versuchte er, den Schlüssel ebenfalls ins Schloss zu stecken. Dieses Mal hatte er damit keinen Erfolg - er probierte es gleich nochmal, jedoch mit demselben Resultat. Im Inneren des Kastens befand sich einzig und allein ein Ring, der auf den ersten Blick jedoch ziemlich wertvoll wirkte. Er war bestückt mit kleinen, blau funkelnden Diamanten, die im Licht der Stiftlampe glitzerten. Nicholas wandte sich ab und durchsuchte die Schublade erneut nach einem weiteren Schlüssel. Dabei wurde er allerdings nicht fündig. In der Zwischenzeit hatten Samuel und Isaac die anderen Kästen und auch die restliche Auslage leergeräumt.

»Gibts ein Problem?«, fragte Isaac, der sich direkt im Rücken von Nicholas befand.

»Ja, ich bekomme den letzten Kasten nicht auf«, murmelte er. »Der Schlüssel passt nicht und ich habe auch keinen anderen gefunden. Es ist allerdings auch nur ein Ring… wir könnten ihn liegenlassen und einfach verschwinden.«

Isaac lachte auf.

»Das kommt nicht in Frage. Du weißt, dass jedes einzelne Beutestück zählt. Und für solche Fälle habe ich vorgesorgt, das weißt du doch.«

Isaac holte aus seinem Sack einen kleinen Hammer hervor. Er zögerte nicht lange und führte den ersten Schlag aus. Dieser reichte jedoch nicht dazu aus, es zu zerstören - Nicholas hatte das fast vermutet, ließ Isaac jedoch noch zwei weitere Schläge ausführen. Beim dritten zersplitterte das Glas dann schließlich mit einem lauten Knall. Scherben flogen umher und säumten den Boden, doch das war nun egal - der Ring lag frei, und Isaac blickte Nicholas triumphiert an, ehe er einen Schritt nach vorne machte und versuchte, das Schmuckstück einzustecken. Da Nicholas ein paar Meter entfernt stand, konnte er gegen das, was als nächstes geschah, nichts tun. Doch selbst, wenn er sich direkt neben seinem Kollegen befunden hätte, hätte er das Unglück nicht verhindern können. In dem Moment, in dem Isaac nach dem Ring greifen wollte, ging im rückwärtigen Teil des Juweliergeschäfts eine Tür auf. Der Ring leuchtete nun so hell, dass die Stiftlampe absolut nicht mehr notwendig war. Kurz darauf wurde die Stille von zwei aufeinanderfolgenden Schüssen zerrissen - und Nicholas sah nur noch, wie plötzlich alles voller Blut war. Instinktiv hechtete er nach vorne, und hörte, wie eine dritte Kugel neben ihm in der Fensterscheibe einschlug. Das Glas zerplatzte an der Stelle, und er versuchte, durch den Freiraum nach draußen zu gelangen. Er nutzte sein gesamtes Körpergewicht dazu und hatte tatsächlich Erfolg - das Glas zersplitterte, und ohne das Gleichgewicht zu verlieren, stolperte er in die nächtliche Stadt hinaus.

2

Erst, als Nicholas merkte, dass er nicht von dem Mann, der seine beiden Begleiter brutal erschossen hatte, verfolgt wurde, verringerte er sein Tempo und stoppte an der nächsten Straßenlaterne. Er zog sich die Sturmhaube vom Kopf, entsorgte sie im naheliegenden Gully und begutachtete seine Verletzungen. Das Glas des Schaufensters hatte deutliche Spuren an seiner Kleidung und seiner Haut hinterlassen - er entdeckte Blut am Stoff seines dünnen Pullovers, konnte sich jedoch zunächst nicht erklären, woher es gekommen war. Bis er seinen Blick schließlich auf seine rechte Hand richtete. Natürlich. Was sonst? Er blickte sich erneut um. Irgendwie hatte er weiterhin das permanente Gefühl, beobachtet oder sogar verfolgt zu werden. Als er sich jedoch vergewissert hatte, dass das nicht der Fall war, beruhigte er sich etwas. Was ist da eben nur passiert? Er begab sich in eine dunkle Ecke auf der Rückseite eines Supermarktes, lehnte sich gegen die Wand und setzte sich auf den Boden. Er versuchte, seine Gedanken irgendwie zu ordnen, scheiterte jedoch daran. Die Schnittverletzung an seiner Hand war zwar nicht so tief, blutete jedoch so stark, als hätte er sich die Pulsadern aufgeschnitten. Der Fluss wollte absolut nicht versiegen, und er versuchte, dem zumindest ein bisschen mit dem Stoff seines Pullovers entgegenzuwirken. Der improvisierte Verband tat sein Übriges, und schon bald war es Nicholas gelungen, die Wunde grob zu verbinden. Der Ring hat angefangen zu funkeln, als Isaac ihn für den Bruchteil einer Sekunde berührt hat. Kurz darauf wurde ihm das Hirn weggeblasen. Nicholas schauderte. Der Anblick des Blutbades, die Hirnmasse, die sich mit den Scherben des zerstörten Glaskastens gemischt hatte… und über allem stand irgendwie der Ring, fast wie eine Art Mahnmal. Der Typ hat nicht mal mit der Wimper gezuckt. Hätte ich nur eine Sekunde länger dort verbracht, wäre ich jetzt ebenfalls hinüber. Er trauerte nicht um Samuel und Isaac - sie waren zwar Kollegen, jedoch alles andere als Freunde gewesen. Generell gab es in dem Netzwerk, in dem sie agierten, nur selten Freundschaften, und Nicholas hatte zugegebenermaßen noch nie eine geführt, worüber er in diesem Moment mal wieder sehr dankbar war. Freundschaften sind Ballast und führen früher oder später nur zu Verpflichtungen, die man sowieso nicht eingehen kann. Nicholas versuchte, seine Gedanken wieder in eine andere Richtung zu lenken, doch in seinem Kopf herrschte dafür ein zu großes Chaos. Ich bin gespannt, ob der Typ die Polizei ruft. Sinn ergeben würde das irgendwie nicht, da er enorm kaltblütig vorgegangen ist. Nicholas wusste in diesem Moment nicht, was er tun sollte - die Gefahr war gebannt, das Juweliergeschäft lag in seinem Rücken und der Mann war ihm augenscheinlich nicht gefolgt. Zum Auto und dann abhauen. Vielleicht ins Krankenhaus? Nicholas überlegte einen kurzen Moment, entschied sich dann jedoch dagegen. Er würde sich wohl oder übel erklären müssen, wenn er sich mit seiner Verletzung in die Notaufnahme begeben würde. Und was sollte er dann sagen? Niemals, das erregt nur ungewollte Aufmerksamkeit. Sein Auto stand allerdings genau in der entgegengesetzten Richtung - er musste also entweder erneut an dem Juweliergeschäft vorbei, oder aber einen Umweg in Kauf nehmen. Er entschied sich zu letzterem, es erschien ihm zu diesem Zeitpunkt einfach als zu riskant, sich erneut in die Nähe des brutalen Mörders zu begeben. Der Weg führte ihn noch eine Weile durch die Stadt, in direkte Nähe des Highways - bevor er diesen jedoch beschritt, wechselte er die Richtung und begab sich stattdessen zum nahen Fluss, über den eine Brücke führte. Vorsichtig wagte er sich die Böschung herunter und atmete erleichtert auf, als er unten angekommen war. Da es in direkter Umgebung komplett still war, drangen die Geräusche des Highways bis zu ihm vor. Obwohl es mitten in der Nacht war, raste ab und an ein Auto vorbei - die Stadt schlief eben niemals, es gab immer Menschen, die zu jeder Zeit irgendetwas zu erledigen hatten - sei es aus privaten, oder aber aus beruflichen Gründen. Nicholas folgte dem Wasser - er kannte sich hier gut aus, da er diesen Weg als mögliche Fluchtroute ausgekundschaftet hatte - falls irgendetwas aus dem Ruder laufen sollte, was heute ja unbestreitbar passiert war. Das fahle Licht eines Strahlers, der an der Brücke befestigt war, strahlte nicht wirklich weit – es reichte allerdings dazu aus, ihm einen groben Überblick zu verschaffen. Direkt hinter der Brücke schloss sich ein großes Waldstück an, das von seiner Position aus nur schwer einsehbar war. Nicholas folgte dem Licht, welches ihn einen Hügel herunterführte. Der Boden war glitschig, er musste extrem aufpassen, dass er sein Gleichgewicht nicht verlor. Mit jedem Meter, den er sich weiter voran wagte, wurde es dunkler, was sein Vorhaben nicht gerade erleichterte. Schon bald konnte er gar nichts mehr sehen, selbst die Lichter der Autos, die um diese Uhrzeit nur noch selten die Brücke passierten, reichten nicht aus. Nicholas wurde das merkwürdige Gefühl, verfolgt zu werden, irgendwie nicht los. Als er den Hügel schließlich ohne auszurutschen heruntergeschritten war, nahm er sich einen Moment Zeit und ließ sich ins nasse Gras sinken. Jetzt, wo das Adrenalin so langsam abgeebbt war und sein Blick etwas klarer wurde, war der Schmerz auch wieder präsenter. Scheiße, was ist da eben nur passiert? Da er sich mittlerweile doch sicher war, dass er nicht mehr verfolgt wurde, nahm er sich einen Moment Zeit, um über das nachzudenken, was eben passiert war. Was hat es nur mit diesem funkelnden Ring auf sich? Verbirgt sich in ihm etwa eine starke Macht? Auch, wenn das vermutlich total an den Haaren herbeigezogen war, vermutete Nicholas etwas ganz Besonderes dahinter. Der Ausdruck in den Augen des Mannes, bevor er Samuel und Isaac getötet hat... das war der pure Wahnsinn. Der Mann hatte nicht aus Gründen der Selbstverteidigung gehandelt – auch, wenn das wohl das Naheliegendste gewesen wäre. Es ist etwas anderes, sich zu verteidigen. Er hat die beiden regelrecht hingerichtet. Während Nicholas weiter seinen Gedanken nachhing und irgendwie versuchte, die losen Enden in seinem Kopf miteinander zu verbinden, vernahm er ein leises Rascheln. Erschrocken aufgrund des plötzlichen Geräusches hob er seinen Kopf und sah sich um. Er konnte die Richtung, aus der es gekommen war, zunächst nicht orten – bis eine Stimme erklang.

»Oh...«

Die Worte klangen überrascht. Nicholas drehte sich um und blickte dem Mann, der sie ausgesprochen hatte, in die Augen. Dem Aussehen nach zu urteilen, handelte es sich um einen Obdachlosen. Der Mann hatte einen verfilzten Dreitagebart, buschige Augenbrauen und ein äußerst ungepflegtes Aussehen. Noch dazu strahlte sein Körper einen Geruch aus, der dem von Urin ähnelte. Nicholas zwang sich, nicht zu würgen, und sagte bloß:

»Guten Abend. So spät noch unterwegs?«

Er wollte sich keineswegs anmerken lassen, dass er sich vor dem Mann ekelte – stattdessen wollte er eher herausfinden, weshalb sich dieser so spät in der Nacht noch in den Wäldern, fernab von der Straße und der Stadt, herumtrieb.

»Hab' niemanden, der auf mich wartet. Ich bin gerne hier, hier bin ich frei. Und was machst du hier?«

Obwohl die Worte des Mannes so klangen, als hätte er bereits eine größere Menge an Alkohol konsumiert, so verriet der Ton seiner Stimme etwas anderes – denn dieser war absolut klar und eben nicht so, als hätte er irgendetwas Bewusstseinsverändern-des zu sich genommen. Es dauerte einen Moment, bis Nicholas sich passende Worte zurechtgelegt hatte. Das Letzte, was er wollte, war, die Wahrheit zu sagen – weshalb er sich innerhalb weniger Sekunden eine kurze Geschichte zurechtlegte.

»Ich habe mich verlaufen. Die Stadt ist aber auch wirklich verdammt groß.«

Der Obdachlose verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen und zeigte seine gelben Zähne.

»Wo willst du denn hin? Ich kann dir jeden Weg zeigen. Ich lebe seit Jahren hier.«

»Zur Kirche«, murmelte Nicholas, einfach, weil ihm spontan nichts anderes eingefallen war.

Jede gottverdammte Stadt hat doch eine Kirche, und es ist nicht abwegig, sie aufsuchen zu wollen – auch, wenn der Zeitpunkt etwas merkwürdig erscheint.

»Oh, die liegt tatsächlich etwas entfernt. Ich kann dich aber dort hinbringen, wenn du möchtest.«

Da Nicholas nichts Grundlegendes gegen die Anwesenheit des Mannes einzuwenden hatte, stimmte er zu und nickte. Er versuchte irgendwie, den beißenden Geruch zu ignorieren und konzentrierte sich stattdessen auf den vor ihnen liegenden Weg. Der Mann war, ohne ein weiteres Wort zu erwidern, vorausgegangen, und Nicholas entschied sich dazu, ihm zu folgen.

»Wie heißt du eigentlich? Ich bin Carl.«

»Mein Name ist Nicholas.«

»Oh, ein seltener Name hier in der Gegend. Wo kommst du her?«

»Aus dem Süden des Landes. Ich bin neu hier, erst vor ein paar Wochen hergezogen.«

Er hoffte, dass der Mann es ihm nicht anmerkte, dass er gerade ununterbrochen log. Also eigentlich ist es ja nicht wirklich glaubwürdig. Ich laufe hier nachts durch den Wald und sage, dass ich die Kirche suche. Um diese Uhrzeit? Oh Mann. Der Typ wird mich für verrückt halten. Andererseits – was mochte der Mann wohl alles schon erlebt haben? Bekannterweise tummelten sich gerade nachts die finstersten Gestalten in der Gegend herum. Ein leichter Wind pfiff durch die Baumkronen des Waldes, und Nicholas spürte, wie der kühle Luftzug dafür sorgte, dass sich eine Gänsehaut auf seinem Körper ausbreitete. Er folgte Carl, der ihn tiefer in den Wald hineinführte. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass sie durch die Stadt zur Kirche gelangen würden – doch er vertraute dem Mann, da es auf ihn so wirkte, als würde jener die Gegend wie seine Westentasche kennen. Er streift bestimmt schon viele Jahre durch die Gegend. Überwiegend nachts, um seine Ruhe zu haben. Nicholas wollte den Mann jedoch nicht vorverurteilen, weshalb er versuchte, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Wie werde ich ihn bei der Kirche wieder los? Ich muss mir irgendetwas ausdenken. Wahrscheinlich sollte ich mich einfach aufs Ohr hauen, und die Strecke zu meinem Auto morgen mit einem Taxi zurücklegen. Es war zwar riskant, doch er konnte sich irgendwie nicht vorstellen, dass der Mann, der seine beiden Komplizen auf dem Gewissen hatte, die Polizei verständigt hatte. Von einem Martinshorn oder irgendwelchen Autos, die nach ihm suchen würden, war weit und breit nichts zu hören. Einerseits erleichterte ihn das – doch andererseits würde er sich eben vor ihrem Boss erklären müssen, warum er der Einzige war, der mit seinem Leben, aber eben auch ohne jegliche Beute davongekommen war. Für mich wäre es wahrscheinlich besser gewesen, gemeinsam mit den beiden erschossen zu werden.

»Hörst du das auch?«

Nicholas war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er alles um sich herum komplett ausgeblendet hatte. Erst, als Carl sich in Folge seiner Worte umgedreht hatte, versuchte er, sich auf die direkte Umgebung zu konzentrieren und etwaige Geräusche, die sich von denen des nächtlichen Waldes abhoben, herauszufiltern. Und tatsächlich... es dauerte ein paar Sekunden, bis er ein leises Wimmern vernahm. Er folgte Carl, der den Weg, den sie bisher beschritten waren, nun jedoch verließ und sie noch tiefer ins Dickicht führte.

»Nicht... Bitte... Nicht...«

Die Worte waren schwach und klangen hilflos. Sie gehörten eindeutig zu einem Mädchen. Kurze Zeit später erklang ein lauter Knall, in dessen Folge ein erneutes Wimmern auftrat. Scheiße, was ist hier los? In Nicholas schrillten alle Alarmglocken, weshalb er sein Tempo etwas erhöhte und sich sogar an Carl vorbeischob. Instinktiv wagte er sich weiter in die Richtung vor, hatte jedoch nicht den blassen Schimmer, ob es überhaupt die Richtige war. Da Carl ihm jedoch folgte, ging er davon aus, dass das der Fall war.

»Sei still, du kleines Miststück.«

Nun war auch eine männliche Stimme zu hören, und die Geräusche, die sich mit in die Szenerie mischten, ließen nur einen klaren Schluss zu. Oh mein Gott, wir werden Augenzeuge einer Vergewaltigung. Hinter dem nächsten Busch wurde es etwas heller um sie herum – und der Grund dafür war von Nicholas schnell ausgemacht. Der gelbe Lichtkegel einer Taschenlampe, die auf dem Boden lag, beleuchtete die Umgebung – und zeigte zwei nackte, ineinander verschlungene Körper. Der Mann, der einen Zopf hatte, der sich bei jedem seiner Stöße hin und her bewegte, schien noch nicht mitbekommen zu haben, dass sie entdeckt worden waren. Das Mädchen hingegen, welches sich wehrlos unter dem Kerl befand, der immer wieder in regelmäßigen Abständen in sie eindrang, hatte sie bereits entdeckt – woraufhin sich der Ausdruck in ihren Augen von der einen auf die andere Sekunde von hoffnungslos zu hoffnungsvoll veränderte. Carl zögerte nicht lange, schob sich an Nicholas vorbei und versetzte dem Mann einen Tritt. Ebenjener befand sich in dem Moment, in dem er in der Seite getroffen wurde, an seinem Höhepunkt – und während er das Gleichgewicht verlor und von dem Mädchen herunterfiel, kam er zum Orgasmus.

3

Nicholas drehte sich um – da Carl sich um den Mann kümmerte, dessen nun bereits schlaffer Penis wie eine Blindschleiche aussah, wandte er sich dem Mädchen zu. Er versuchte dabei, nicht auf ihre intimen Stellen zu achten – doch sowohl der Anblick ihrer Brüste als auch der ihrer Scham erregten ihn ungewollt. Als er sich ihrer aktuellen Situation klargemacht hatte, verging das jedoch wieder. Er schüttelte den Kopf und versuchte ihr stattdessen dabei zu helfen, sich anzuziehen. Ihre Klamotten lagen überall um sie herum verstreut, und es dauerte nicht lange, bis sie sich angezogen hatte. Sie zitterte am gesamten Körper und ihr Make-up war überall im Gesicht verteilt und verschmiert. Ihrem Anblick nach zu urteilen, war sie noch nicht mal volljährig, doch Nicholas wusste, dass er damit auch falsch-liegen konnte.

»Geht es dir gut?«

Er wusste zwar, wie falsch die Worte in Anbetracht der furchtbaren Situation, in der er sich gerade befand, klingen mochten – doch ihm fiel einfach nichts anderes ein. Die Reaktion des Mädchens ließ nicht lange auf sich warten. Sie hob den Kopf, beäugte ihn skeptisch und sagte unter Tränen:

»Nein, es geht mir beschissen. Dieser Mistkerl hat mich vergewaltigt.«

Sie senkte ihren Kopf wieder und blickte beschämt zu Boden. Nicholas entgegnete nichts auf ihre Worte und drehte sich stattdessen wieder zu Carl um, der mit dem Vergewaltiger beschäftigt war. Die beiden Männer waren in einen Faustkampf verwickelt, es sah jedoch zumindest in diesem Moment so aus, als