Bis in den Tod - J.D. Robb - E-Book

Bis in den Tod E-Book

J.D. Robb

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie alle sterben mit einem Lächeln im Gesicht. Doch die offensichtlichen Selbstmorde erwecken Zweifel in der gewieften Polizeibeamtin Eve Dallas. Durch ihre hartnäckigen Recherchen stößt sie auf ein geheimnisvolles virtuelles Spiel, das in einer der Firmen ihres angeblich unwissenden Ehemannes Roarke hergestellt wird und das die Welt unterwerfen soll. Unversehens wird Eve in einen teuflischen Machtkampf hineingezogen, dessen Mittelpunkt ihr Mann Roarke darstellt - und bei dem es nur einen Sieger geben kann ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 553

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



J. D. Robb

Bis in den Tod

Roman
Aus dem Amerikanischenvon Uta Hege
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »Rapture in Death« bei Berkley Books, The Berkley Books Publishing Group, New York.
Copyright © der Originalausgabe 1996 by Nora Roberts Published by arrangement with Eleanor Wilder Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2002 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, Garbsen. Covergestaltung: www.buerosued.de Covermotiv: plainpicture/Stephen Shepherd MD · Herstellung: wag ISBN 978-3-641-04042-0V004
www.blanvalet-verlag.de
www.penguinrandomhouse.de
Inhaltsverzeichnis
 
Buch
Autorin
Von J. D. Robb ist bereits erschienen
Inschrift
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
 
Copyright
Buch
Autorin
J. D. Robb ist das Pseudonym der internationalen Bestsellerautorin Nora Roberts. »Liebesnacht mit einem Mörder« ist der 7. Fall für Lieutenant Eve Dallas. Weitere Romane von J. D. Robb sind bei Blanvalet bereits in der Vorbereitung.
Von J. D. Robb ist bereits erschienen
Rendezvous mit einem Mörder (1; 35450) · Tödliche Küsse (2; 35451) · Eine mörderische Hochzeit (3; 35452) · Bis in den Tod (4; 35632) · Der Kuss des Killers (5; 35633) · Mord ist ihre Leidenschaft (6, 35634) · Liebesnacht mit einem Mörder (7; 36026) Nora Roberts ist J. D. Robb. Ein gefährliches Geschenk
Nora Roberts bei Blanvalet Die Irland-Trilogie: Töchter des Feuers (35405) · Töchter des Windes (35013) · Töchter der See (35053) Die Templeton-Trilogie: So hoch wie der Himmel (35091) · So hell wie der Mond (35207) · So fern wie ein Traum (35280) Die Sturm-Trilogie: Insel des Sturms (35321) · Nächte des Sturms (35322) · Kinder des Sturms (35323) Die Insel-Trilogie: Im Licht der Sterne (35560) · Im Licht der Sonne (35561) · Im Licht des Mondes (35562)
Mitten in der Nacht. Roman (36007)
But I do nothing upon myself, and yet am mine own Executioner. Auch wenn ich selbst mir nichts zu Leide tue,bin ich doch mein eigner Henker.
- JOHN DONNE
 
 
There is rapture on the lonely shore. Es findet sich Verzückung an dem einsamen Gestade.
- LORD BYRON
1
In der dunklen Gasse stank es nach Urin und nach Erbrochenem. Sie war das Zuhause schnellfüßiger Ratten und knochiger, hungriger Katzen, die von ihnen lebten. Rote Augen blitzten in der Schwärze, einige von ihnen menschlich, alle wild und animalisch.
Mit klopfendem Herzen ging Eve in Richtung der stinkenden, feucht-klammen Schatten. Er war hier verschwunden, da war sie sich ganz sicher. Es war ihr Job, ihm auch hierher zu folgen, ihn ausfindig zu machen und der Gerechtigkeit zu überführen. Die Hand, in der sie ihre Waffe liegen hatte, war vollkommen ruhig.
»He, Süße, willst du es mit mir treiben? Sag, willst du es mit mir treiben?«
Von irgendwelchen Drogen oder billigem Fusel harsche Stimmen drangen aus dem Dunkel. Das Stöhnen der Verdammten, das Kichern der Verrückten. Die Ratten und die Katzen lebten hier nicht allein. Doch die Gesellschaft des menschlichen Abschaums, der an den klammen Backsteinwänden lehnte, bot nicht den geringsten Trost.
Sie schwang ihre Waffe und schob sich vorsichtig an einem verbeulten Recycler vorbei, der seinem Geruch nach seit mindestens zehn Jahren nicht mehr funktionierte. Der Gestank fauligen Essens verwandelte die feuchte Luft in einen fetttriefenden Sud.
Sie hörte ein leises Wimmern und sah einen vielleicht dreizehnjährigen, in Lumpen gehüllten Jungen. Sein Gesicht war von dicken Eiterbeulen übersät und seine Augen waren schmale, angsterfüllte Schlitze, als er sich wie ein Krebs rückwärts an die schmutzstarrende Wand schob.
Mitleid wallte in ihr auf. Sie selbst war einmal ein solches Kind gewesen, hatte sich verletzt und außer sich vor Panik in einer Gasse wie dieser hier versteckt. »Keine Angst, ich werde dir nichts tun.« Sie sprach leise, murmelte beinahe, sah ihm reglos in die Augen und ließ die Waffe etwas sinken.
Und genau in dem Moment schlug der Irre zu.
Er kam laut brüllend von hinten auf sie zu. In mörderischer Absicht schwang er ein schweres Eisenrohr hoch über seinem Kopf. Das Pfeifen der herabsausenden Waffe in den Ohren, wirbelte sie blitzschnell auf dem Absatz herum. Sie hatte kaum die Zeit, um sich dafür zu verfluchen, dass sie die Konzentration verloren, ihr oberstes Ziel vergessen hatte, als sie unter dem Ansturm von hundertzwanzig Kilo Niedertracht und Muskeln gegen die Mauer krachte.
Die Waffe flog ihr aus der Hand und landete klirrend irgendwo im Dunkeln.
Sie sah in seinen Augen das von der Droge Zeus verstärkte bösartige Glitzern. Sie blickte auf die hoch erhobene Waffe, errechnete die ihr verbleibende Zeit, rollte sich Sekunden, ehe sie gegen den Stein schlug, darunter hervor, sprang eilig auf die Füße und rammte dem Widerling mit voller Kraft den Schädel in den Bauch. Er stöhnte, schwankte, streckte seine beiden Pranken nach ihrer Kehle aus, doch sie schlug ihm mit der Faust derart kraftvoll unters Kinn, dass eine Woge heißen Schmerzes durch ihren Arm zuckte.
Menschen schrien und krochen im Eiltempo an die Ränder dieser kleinen Welt, in der nichts und niemand jemals sicher war. Eve wirbelte herum, nutzte den Schwung der Drehung, und traf ihren Gegner mit einem gut gezielten Tritt mitten auf die Nase. Eine Fontäne dunklen Blutes ergoss sich auf die Straße und verstärkte noch die in der Gasse vorherrschende, Übelkeit erregende Mischung von Gerüchen.
Sein Blick wurde noch wilder, aber er zuckte unter ihrem Treffer nicht einmal zusammen. Schmerzen konnten gegen den Gott der Chemikalien nichts ausrichten. Während ihm das Blut in Strömen über das Gesicht lief, schlug er grinsend mit dem Eisenrohr in seine flache Hand.
»Ich werde dich töten. Werde dich töten, kleine Bullenhure.« Er umkreiste sie und schwang das dicke Rohr wie eine Peitsche. Grinste, grinste immer weiter, während ihm das Blut den Hals herunterrann. »Werde deinen Schädel knacken und dein Hirn fressen.«
Das Wissen, dass es ihm tatsächlich ernst war, verlieh ihr neue Kräfte. Hier ging es um Leben oder Sterben. Der Schweiß rann ihr wie zähflüssiges Öl über den Körper und sie begann zu keuchen. Dem nächsten Angriff wich sie aus, ging geschmeidig in die Knie, schlug mit einer Hand auf einen ihrer Stiefel und kam grinsend wieder hoch.
»Friss statt dessen das hier, elender Hurensohn.« Ihre zweite Waffe lag schussbereit in ihrer Hand. Sie dachte gar nicht erst daran, ihn nur zu betäuben. Selbst einen gezielten Treffer empfände ein Hundertzwanzig-Kilo-Hüne, der auf Zeus war, bestenfalls als Kitzeln. Nein, was sie jetzt zum Einsatz brächte, wäre ein gezielter, todbringender Schuss.
Er machte einen Satz in ihre Richtung und sie drückte ab.
Die Augen waren das Erste, was an dem Monstrum starb. So etwas hatte sie auch vorher schon erlebt. Dass die Augen eines Menschen, noch während er sich bewegte, gläsern wurden wie die von einer Puppe. Bereit, ein zweites Mal zu schießen, trat sie einen Schritt zur Seite, doch seine schlaffen Finger konnten das Rohr schon nicht mehr halten und sein Körper begann, als sein Nervensystem gegen die Überlastung rebellierte, einen grotesk zuckenden Tanz.
Wie ein gefällter Baum schlug er direkt vor ihren Füßen krachend auf die Erde, ein ruinierter menschlicher Koloss, der Gott gespielt hatte.
»Du wirst keine Jungfrauen mehr opfern, Arschloch«, murmelte sie leise, fuhr sich, als die wilde Energie des Kampfes allmählich verebbte, mit einer Hand durch das Gesicht und ließ die Waffe langsam sinken.
Das leise Knirschen von Leder auf Beton alarmierte sie erneut. Sie hob die Waffe wieder an und wollte gerade herumwirbeln, als zwei starke Arme sie umfassten und in die Luft hoben.
»Du solltest immer darauf achten, was hinter dir passiert, Lieutenant«, flüsterte eine Stimme und vier messerscharfe Zähne nagten sanft an ihrem Ohr.
»Roarke, verdammt. Um ein Haar hätte ich auf dich geschossen.«
»Das hättest du niemals geschafft.« Lachend drehte er sie zu sich herum und presste seine Lippen heiß und hungrig auf ihren vollen Mund. »Ich liebe es, dir bei der Arbeit zuzusehen«, murmelte er leise, während seine Hand, seine geschickte Hand, an ihrem Leib hinauf in Richtung ihrer Brust fuhr. »Es ist …anregend.«
»Vergiss es.« Doch ihr Herzschlag hatte sich bereits beschleunigt und so verlieh sie dem Befehl keinen besonderen Nachdruck. »Dies hier ist wohl kaum der rechte Ort für eine Verführung.«
»Ganz im Gegenteil. Jeder Ort, den man während der Flitterwochen aufsucht, ist für eine Verführung geeignet.« Er schob sie ein wenig von sich fort, legte jedoch beide Hände fest auf ihre Schultern. »Ich hatte mich gefragt, wo du wohl steckst. Aber eigentlich hätte ich es mir schon denken sollen.« Er blickte auf den toten Hünen direkt zu seinen Füßen. »Was hat er getan?«
»Er hatte eine Vorliebe dafür, jungen Frauen die Schädel einzuschlagen und dann ihr Hirn zu schlürfen.«
»Oh.« Roarke zuckte kurz zusammen und schüttelte den Kopf. »Wirklich, Eve, hättest du dir nicht was weniger Widerliches einfallen lassen können?«
»Vor ein paar Jahren gab es in der Terra-Kolonie einen solchen Typen, und ich habe mich gefragt …« Sie brach ab und runzelte die Stirn. Sie standen in einer stinkenden Gasse, zu ihren Füßen lag ein Toter, und Roarke, der wunderbare Racheengel Roarke, hatte sich in einem Smoking und mit diamantbesetzten Manschettenknöpfen vor ihr aufgebaut. »Wozu in aller Welt hast du dich derart schick gemacht?«
»Wir hatten die Absicht, gemeinsam zu Abend zu essen«, erinnerte er sie.
»Das hatte ich vollkommen vergessen.« Sie steckte ihre Waffe in den Hosenbund. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so lange dauern würde.« Sie seufzte leise auf. »Ich schätze, ich sollte erst mal duschen.«
»Mir gefällst du, wie du bist.« Wieder zog er sie an seine Brust und ergriff Besitz von ihren Lippen. »Vergiss das Abendessen …zumindest im Moment.« Seinem allzu wunderbaren Lächeln hatte ganz bestimmt noch keine Frau auf Dauer widerstanden. »Aber ich bestehe auf einer etwas hübscheren Umgebung. Programmende«, befahl er und die Gasse, der Gestank und die elenden Gestalten lösten sich in Luft auf. Stattdessen standen sie beide plötzlich in einem riesengroßen leeren Zimmer mit zahlreichen, in die Wände eingebauten blinkenden Geräten. Fußboden und Decke bestanden aus schwarzen Spiegeln, denn auf diese Weise warfen sie die holografischen Szenarien der verschiedenen Programme am deutlichsten zurück.
Dieses brandneue, technisch hochmoderne Spielzeug hatte sich Roarke erst vor ein paar Wochen zugelegt.
»Programm 4-B, Tropeninsel. Dualer Kontrollstatus.«
Schon hörte man leises Meeresrauschen und sah das Blinken zahlloser heller Sterne auf dem Wasser. Unter ihren Füßen ergoss sich warmer, zuckerweißer Sand, und Palmen wiegten sich wie exotische Tänzer in einer milden Brise.
»So ist es schon besser«, beschloss Roarke und streifte Eve das Hemd über die Schultern. »Und noch besser wird es werden, wenn du erst mal nackt bist.«
»Seit beinahe drei Wochen ziehst du mich so gut wie jede Stunde aus.«
Er zog eine Braue in die Höhe. »Das ist nun mal das Privileg des Ehegatten. Willst du dich deshalb vielleicht beschweren?«
Ehegatte. Immer noch zog sich ihr Magen bei dem Wort zusammen. Dieser Mann mit der dichten schwarzen Mähne eines Kriegers, dem Gesicht eines Poeten und den wilden blauen Augen war ihr rechtmäßig angetrauter Gatte. Würde sie sich wohl je daran gewöhnen?
»Nein. Ich habe es lediglich -«, ihr Atem stockte, als eine seiner langfingrigen Hände über ihre Brust fuhr, »feststellen wollen.«
»Cops.« Lächelnd öffnete er den Knopf von ihrer Jeans. »Scheint, als müsstet ihr ständig irgendetwas feststellen. Aber, Lieutenant Dallas, du bist nicht im Dienst.«
»Ich wollte einfach meine Reflexe trainieren. Wenn man seinen Job drei Wochen lang nicht macht, rostet man allmählich ein.«
Er schob eine Hand zwischen ihre nackten Schenkel, umfasste ihren Venushügel und verfolgte, wie sie ihren Kopf stöhnend nach hinten fallen ließ. »Deine Reflexe funktionieren doch hervorragend«, murmelte er und zog sie mit sich in den weichen, weißen Sand.
Seine Gattin. Roarke dachte gern an Eve als seine Gattin, während sie ihn ritt, sich unter ihm wand oder erschöpft neben ihm lag. Diese faszinierende Person, diese pflichtbewusste Polizistin, diese gequälte Seele gehörte einzig ihm.
Er hatte beobachtet, wie sie das Programm durchlaufen hatte, wie sie bei der Verfolgung des drogenumnebelten Killers lautlos durch den dunklen Raum geschlichen war. Und er hatte gewusst, dass sie im Rahmen ihrer Arbeit einen realen Gegner mit derselben zähen, erschreckend mutigen Entschlossenheit attackieren würde wie diese Illusion.
Auch wenn er oft in Sorge um sie war, musste er sie deshalb doch bewundern. In ein paar Tagen flögen sie nach New York zurück und dann müsste er sie wieder mit ihren Pflichten teilen. Zurzeit allerdings wollte er sie ganz für sich allein.
Auch er kannte finstere Gassen, in denen es nach Müll und nach Verzweiflung stank. Er war in ihnen aufgewachsen, war in sie und am Ende aus ihnen geflohen. Er hatte sein Leben, so wie es heute war, ganz allein geschaffen – und dann war plötzlich sie in dieses Leben eingetreten und hatte es abermals vollkommen neu kreiert.
Früher hatte er alle Polizisten als Feinde angesehen, dann hatte er über sie gelacht, und nun war er an einen Menschen dieser Spezies gebunden.
Vor gut zwei Wochen war sie in einem weich fließenden, bronzefarbenen Kleid, mit Blumen in den Händen mit ihm vor den Traualtar getreten. Die Prellungen und Schnittwunden, die ihr nur ein paar Stunden zuvor von einem Killer zugefügt worden waren, hatte die Stylistin geschickt mit Schminke übertüncht. Und in ihren Augen, ihren großen whiskeybraunen Augen, die so vieles sagten, hatte er Belustigung und Aufregung entdeckt.
Auf geht’s, hatte er sie beinahe sagen hören, als sie ihm ihre Hand gegeben hatte. Ich nehme dich in guten wie in schlechten Zeiten zu meinem angetrauten Mann. Gott stehe uns bei.
Und jetzt trug sie einen Ring mit seinem Namen wie er einen mit dem ihren. Auch wenn diese Tradition Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts etwas veraltet schien, hatte er darauf bestanden. Er hatte ein sichtbares Zeichen dafür gewollt, was sie beide füreinander waren.
Jetzt nahm er ihre Hand, küsste den Finger über dem reich verzierten goldenen Ring, den er hatte für sie anfertigen lassen, und blickte in ihr kantiges Gesicht mit den geschlossenen Augen, dem etwas breiten Mund und dem kurzen, stets wunderbar zerzausten, lohfarbenen Haar.
»Ich liebe dich, Eve.«
Eine leise Röte stahl sich in ihre Wangen. Sie war so leicht gerührt. Er fragte sich, ob sie wohl eine Ahnung davon hatte, wie groß ihr eigenes Herz war.
»Ich weiß.« Sie schlug die Augen auf. »Ich, hmm, fange an, mich daran zu gewöhnen.«
»Gut.«
Sie lauschte dem Gesang des Wassers, das auf den warmen Sand schlug, dem Flüstern der Brise in den Palmen, hob eine ihrer Hände und strich ihm sanft die Haare aus der Stirn. Ein mächtiger, wohlhabender, spontaner Mann wie er konnte eine solche Atmosphäre mit einem Fingerschnippen schaffen. Und er schuf sie für sie.
»Du machst mich wirklich glücklich.« Angesichts seines breiten Grinsens zog sich ihr Magen angenehm zusammen.
»Ich weiß.« Mühelos hob er sie in die Höhe, setzte sich rittlings auf sie und strich mit seinen Händen über ihren langen, geschmeidigen, muskulösen Leib. »Gibst du also endlich zu, dass du froh bist, dass ich dich für den letzten Teil der Flitterwochen ins All gelockt habe?«
In Gedanken an die Panik und ihre strikte Weigerung, sich an Bord des bereitstehenden Transporters zu begeben, verzog sie schmerzlich das Gesicht. Er hatte schallend gelacht, sie sich über die Schulter geworfen und trotz ihrer wilden Flüche einfach an Bord geschleppt.
»Paris hat mir durchaus gefallen«, erklärte sie mit einem Schnauben. »Und die Woche auf der Insel war einfach wunderbar. Ich habe einfach keinen Grund gesehen, weshalb wir extra in ein halb fertiges Resort im Weltall fliegen sollten, wenn wir sowieso die meiste Zeit im Bett liegen.«
»Du hattest einfach Angst.« Es hatte ihn gefreut zu sehen, dass der Gedanke an ihre erste extraterrestrische Reise ihr zugesetzt hatte, und er hatte sie mit großer Freude während der gesamten Reise von ihren Sorgen abgelenkt.
»Hatte ich nicht.« Ich war außer mir gewesen, dachte sie erbost. Vollkommen außer mir vor Panik. »Ich war einfach wütend, weil du diese Reise geplant hast, ohne mich vorher zu fragen.«
»Ich meine mich daran zu erinnern, dass du derart mit einem Fall beschäftigt warst, dass du mich gebeten hast, die Hochzeit und die Flitterwochen so zu planen, wie es mir gefällt. Übrigens warst du eine wunderschöne Braut.«
Diese Erklärung brachte sie zum Lächeln. »Das lag nur an dem Kleid.«
»Nein, es lag an dir.« Er hob eine Hand an ihre Wange. »Eve Dallas. Meine Frau.«
Liebe wogte in ihr auf. Sie brach immer wieder in riesigen Wellen unerwartet über sie herein, die sie hilflos mit den Armen rudern ließen. »Ich liebe dich.« Sie neigte ihren Kopf und küsste ihn zärtlich auf die Lippen. »Und es sieht ganz so aus, als wärst du tatsächlich mein Mann.«
 
Es wurde Mitternacht, bis sie zum Abendessen kamen. Eve saß auf der mondbeschienenen Terrasse des beinahe fertig gestellten, hoch in den Himmel ragenden Olympus-Resort-Hotel-Turmes, schob sich genießerisch ein Stück zarten Hummer in den Mund und genoss die Aussicht.
Mit Roarke als Organisator wäre das Resort nach Beendigung der letzten Arbeiten sicher noch vor Ende des Jahres restlos ausgebucht. Momentan jedoch hatten sie es, abgesehen von den Bautrupps, den Architekten, Ingenieuren, Piloten und anderen arbeitenden Bewohnern der riesigen Raumstation, noch ganz für sich allein.
Von ihrem Platz an dem kleinen Glastisch aus hatte sie einen herrlichen Blick auf das Zentrum des Resorts. Zahlreiche helle Lampen brannten für die Nachtschicht, und das leise Summen der Maschinen zeugte davon, dass rund um die Uhr auf die Vollendung der Ferienkolonie hingewirkt wurde. Sie wusste, die Brunnen, das simulierte Fackellicht und die bunten Regenbogenfarben, in denen die Fontänen sprudelten, waren allein ihretwegen bereits in Betrieb genommen worden.
Er hatte ihr zeigen wollen, was er schuf und woran sie als seine Frau inzwischen auch beteiligt war.
Seine Frau. Sie atmete hörbar aus und nippte an dem eiskalten Champagner, den er ihr persönlich eingeschenkt hatte. Sie würde etwas brauchen, um tatsächlich zu begreifen, dass sie nicht mehr nur Eve Dallas, Lieutenant des Morddezernates, sondern inzwischen auch die Gattin eines Mannes war, von dem behauptet wurde, er hätte mehr Geld und Macht als selbst der liebe Gott.
»Ist was?«
»Nein.« Sie sah ihn lächelnd an, tauchte erneut ein Stückchen Hummer in die geschmolzene Butter – echte geschmolzene Butter – und schob es sich genüsslich in den Mund. »Nur, wie soll ich je wieder mit dem pappigen Zeug zurechtkommen, das bei uns in der Kantine als Essen ausgegeben wird?«
»Wenn du bei der Arbeit bist, isst du doch sowieso nur Schokoriegel.« Er schenkte ihr nach und zog, als sie die Augen kritisch zusammenkniff, eine Braue in die Höhe.
»Willst du mich vielleicht betrunken machen, Kumpel?«
»Allerdings.«
Sie lachte – etwas, was sie, wie ihm auffiel, inzwischen immer öfter tat – und hob mit einem Achselzucken das Glas an ihre Lippen. »Was soll’s, ich werde dir die Freude machen und mich abfüllen lassen. Und wenn ich erst mal voll bin« – sie trank das kostbare Getränk, als wäre es normales Wasser -, »werde ich mich in einer Art mit dir vergnügen, die du sicher nicht so schnell vergisst.«
Verlangen, das er für den Augenblick als befriedigt angesehen hatte, wogte in ihm auf. »Tja, wenn das so ist« – er füllte auch sein eigenes Glas entschlossen bis zum Rand -, »betrinke ich mich wohl am besten auch.«
»Es gefällt mir hier«, verkündete sie plötzlich, schob sich vom Tisch zurück und trug ihr Glas in Richtung der dicken Marmormauer, die die Terrasse umgab. Es musste ein Vermögen gekostet haben, den Stein hauen und hierher fliegen zu lassen – aber wer könnte sich einen solchen Luxus leisten, wenn nicht der große Roarke?
Sie beugte sich über die Mauer und blickte auf das Spiel aus Licht und Wasser und die hoch aufragenden, prachtvoll schimmernden Kuppelbauten und Türme, die in absehbarer Zeit all die reichen Gäste beherbergen würden, zu deren aufwändiger Unterhaltung das Resort gegründet worden war.
Das fertig gestellte Casino schimmerte wie ein goldener Ball im Dunkel der Nacht. Einer der zwölf Pools war ebenfalls erleuchtet und mit glitzerndem kobaltblauem Wasser angefüllt. Hochwege führten wie feine Silberfäden im Zickzack zwischen den verschiedenen Gebäuden hin und her. Jetzt waren sie leer, aber Eve stellte sich vor, wie sie in sechs Monaten oder einem Jahr aussehen würden: bevölkert mit Menschen, für die schimmernde Seide und kostspieliger Schmuck ein regelrechtes Muss war. Sie würden das Resort besuchen, um sich in den marmornen Schlammbädern und Schönheitssalons des Kurbereichs von freundlichen Beraterinnen und diensteifrigen Droiden verwöhnen zu lassen, Vermögen im Casino zu verspielen, erlesene Liköre in den Clubs zu trinken und sich mit den straffen oder weichen Leibern lizensierter Gesellschafter oder Gesellschafterinnen in der körperlichen Liebe zu ergehen.
Roarke böte ihnen eine Welt und sie würden kommen. Doch wenn es so weit wäre, wäre sie selbst hier eine Fremde. Sie gehörte auf die Straße, in die lärmende Halbwelt zwischen Verbrechen und Gesetz. Was Roarke, da er genau wie sie aus dieser Halbwelt stammte, absolut verstand. Weshalb er auch mit ihr hierher in das Resort gekommen war, solange es noch ihnen beiden alleine vorbehalten war.
»Mit diesem Resort schaffst du etwas wirklich Großes.« Sie drehte sich um und lehnte sich mit dem Rücken an die Mauer.
»So ist es auch geplant.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und freute sich darüber, dass ihr von dem Champagner bereits ein wenig schwindlig war. »Du schaffst etwas, von dem die Menschen jahrhundertelang reden und vor allem träumen werden. Der junge Dieb, der sich in den dunklen Gassen Dublins herumgetrieben hat, hat es wirklich weit gebracht.«
Er bedachte sie mit einem Lächeln. »So weit nun auch wieder nicht, Lieutenant. Ich nehme die Menschen nach wie vor aus – wenn auch auf möglichst legale Art und Weise. Die Tatsache, dass ich mit einer Polizistin verheiratet bin, schränkt die Bandbreite möglicher Aktivitäten nämlich ein wenig ein.«
Sie runzelte die Stirn. »Von diesen Dingen will ich gar nichts hören.«
»Meine liebe Eve.« Er erhob sich ebenfalls und brachte die Flasche zu ihr herüber. »Handelt immer treu nach dem Gesetz. Und ist immer noch beunruhigt darüber, dass sie ausgerechnet einer so undurchsichtigen Gestalt wie mir verfallen ist.« Er füllte abermals ihr Glas und stellte die Flasche an die Seite. »Einer Gestalt, die erst vor wenigen Monaten noch Hauptverdächtiger in einem Mordfall war.«
»Macht es dir etwa Spaß, wenn man dich verdächtigt, kriminelle Handlungen zu begehen?«
»Allerdings.« Er fuhr mit einem Daumen über ihre Wange, auf der er im Geiste ab und zu die Schnitte und Prellungen von ihrem letzten Kampf mit einem Mörder sah. »Aber außerdem mache ich mir manchmal leichte Sorgen um dich.« Wobei leichte untertrieben war.
»Ich bin eine gute Polizistin.«
»Ich weiß. Die Einzige, für die ich jemals vorbehaltlose Bewunderung empfunden habe. Was für ein seltsamer Scherz des Schicksals, dass ich mich ausgerechnet in eine Frau verlieben musste, die derart treu im Dienst von Recht und Ordnung steht.«
»Ich finde es viel seltsamer, dass ich mich mit jemandem zusammengetan habe, der einfach nach Lust und Laune ganze Planeten kauft oder verkauft.«
»Du hast dich nicht nur mit mir zusammengetan, sondern du hast mich geheiratet.« Lachend drehte er sie vor sich herum und vergrub sein Gesicht in ihrem Nacken. »Los, sag es. Wir sind verheiratet. Du wirst schon nicht daran ersticken.«
»Ich weiß, was wir sind.« Sie befahl sich zu entspannen und lehnte sich rücklings an seine breite Brust. »Lass mich erst noch eine Zeit lang damit leben. Es gefällt mir hier zu sein, fort von allem, ganz allein mit dir.«
»Dann bist du also froh darüber, dass ich dich dazu gezwungen habe, nicht nur zwei, sondern drei Wochen Urlaub einzureichen.«
»Du hast mich nicht dazu gezwungen.«
»Ich musste dich ziemlich bedrängen.« Er nagte sanft an ihrem Ohr. »Dich unter Druck setzen.« Seine Hände glitten zart in Richtung ihrer Brüste. »Dich regelrecht anflehen.«
Sie schnaubte hörbar auf. »Du hast bestimmt in deinem ganzen Leben noch nie etwas erfleht. Aber vielleicht stimmt es, dass du mich etwas bedrängt hast. Drei Wochen Urlaub habe ich seit … nein, hatte ich noch nie.«
Er entschied sich dagegen, sie daran zu erinnern, dass sie auch jetzt nicht wirklich drei Wochen Urlaub gemacht hatte. Sie schaffte es kaum länger als vierundzwanzig Stunden, ohne irgendein Trainingsprogramm im Kampf gegen das Verbrechen zu durchlaufen. »Warum hängen wir nicht einfach noch eine Woche dran?«
»Roarke -«
Er lachte. »Ich wollte dich nur auf die Probe stellen. Trink deinen Champagner. Für das, was ich mit dir im Sinn habe, bist du noch viel zu nüchtern.«
»Oh?« Auch wenn sie es als lächerlich empfand, schlug ihr Herz plötzlich schneller. »Und was hast du im Sinn?«
»Es würde dadurch verlieren, dass ich es dir erzähle«, erklärte er entschieden. »Sagen wir einfach, dass ich die Absicht habe, dich während der letzten achtundvierzig Stunden, die wir hier noch haben, zu beschäftigen.«
»Achtundvierzig Stunden?« Lachend leerte sie ihr Glas. »Wann fangen wir an?«
»Es geht doch nichts über -« Er brach stirnrunzelnd ab, als es an der Tür ihres Apartments klingelte. »Ich habe ausdrücklich gesagt, dass man uns in Ruhe lassen soll. Bleib hier.« Er knotete den Gürtel ihres Morgenmantels, den er gerade erst gelöst hatte, sorgfältig wieder zu. »Wer auch immer es ist, ich werde ihn einfach wieder wegschicken. Und zwar möglichst weit weg.«
»Wenn du schon dabei bist, kannst du noch eine Flasche Champagner mitbringen«, erklärte sie und gab grinsend die letzten Tropfen aus der ersten Flasche in ihr Glas. »Irgendjemand hat einfach alles ausgetrunken.«
Ebenfalls grinsend verließ er die Terrasse und durchquerte den großzügigen Wohnraum mit der klaren Glasdecke und den federweichen Teppichen. Zuerst nähme er sie hier, auf dem samtig nachgiebigen Boden, während sie über ihrem Kopf die hellen Sterne sah. Er zog eine lange weiße Lilie aus einer Porzellanvase und stellte sich vor, wie er ihr demonstrieren würde, welche Freude ein einfallsreicher Mann einer Frau mit den Blütenblättern einer Blume zu bereiten verstand.
Lächelnd betrat er das Foyer mit den vergoldeten Wänden und der breiten Marmortreppe und stellte sich vor den Monitor, um den dreisten Kellner für die Störung zum Teufel zu schicken.
Einigermaßen überrascht sah er statt des Gesichts des Obers das eines seiner Ingenieure. »Carter? Gibt es irgendein Problem?«
Carter fuhr sich mit der Hand über das schweißnasse, wachsweiße Gesicht. »Ich fürchte, ja, Sir. Ich muss mit Ihnen sprechen. Bitte.«
»Also gut. Eine Sekunde.« Seufzend schaltete Roarke den Monitor ab und öffnete die Tür. Carter war mit Mitte zwanzig jung für seinen Posten, aber er war sowohl als Konstrukteur als auch bei der praktischen Arbeit ein wirkliches Genie. Wenn er also ein Problem sah, gingen sie es besser auf der Stelle an.
»Geht es um das Hochgleitband im großen Salon? Ich dachte, die Schwierigkeiten mit dem Ding wären behoben.«
»Nein – ich meine, ja, Sir, das sind sie. Es läuft inzwischen wie geschmiert.«
Der Mann zitterte, bemerkte Roarke und vergaß seinen Ärger über die lästige Störung. »Gab es irgendeinen Unfall?« Er nahm Carter am Arm, führte ihn in den Wohnbereich hinüber und drückte ihn in einen Sessel. »Ist jemand verletzt?«
»Ich weiß nicht – ich meine, ein Unfall?« Carters glasige Augen blinzelten verwirrt. »Miss. Ma’am. Lieutenant«, sagte er, als Eve hereinkam, und wollte sich höflich erheben, sank jedoch, als sie ihn mitfühlend wieder niederdrückte, matt auf seinen Platz zurück.
»Er steht unter Schock«, sagte sie zu Roarke. »Versuch, ihm etwas von dem teuren Brandy einzuflößen, den wir hier oben haben.« Sie ging vor dem Besucher in die Hocke und sah ihm ins Gesicht. Seine Pupillen waren völlig starr. »Carter, nicht wahr? Immer mit der Ruhe.«
»Ich …« Sein Gesicht wurde noch bleicher. »Ich glaube, ich werde -«
Ehe er den Satz beenden konnte, drückte Eve seinen Kopf entschieden zwischen seine Knie. »Atmen Sie. Atmen Sie ganz ruhig aus und ein. Roarke, gib mir den Brandy.« Sie streckte eine Hand aus und er reichte ihr den Schwenker.
»Reißen Sie sich zusammen, Carter.« Roarke drückte ihn in die Kissen. »Trinken Sie erst mal einen Schluck.«
»Ja, Sir.«
»Um Himmels willen, hören Sie endlich mit dem blöden Sir auf.«
Entweder der Brandy oder die Verlegenheit trieb ihm wieder eine gewisse Farbe in die Wangen. Er nickte, schluckte und atmete vorsichtig aus. »Tut mir Leid. Ich dachte, es ginge schon wieder etwas besser. Ich bin sofort hierher gekommen. Ich wusste nicht, ob ich – ich wusste einfach nicht, was ich hätte sonst tun sollen.« Wie ein Kind vor einem Horrorvideo schlug er die Hände vors Gesicht, atmete keuchend ein und stieß eilig hervor: »Es geht um Drew, Drew Mathias, meinen Mitbewohner. Er ist tot.«
Explosionsartig entwich die Luft aus seinen Lungen, er sog sie schaudernd wieder ein, trank einen zweiten Schluck von seinem Brandy und wäre um ein Haar daran erstickt.
Roarkes Miene wurde reglos. Vor sich sah er Mathias: einen jungen, arbeitseifrigen, sommersprossigen Rotschopf, der als Elektronikexperte mit dem Spezialgebiet der Autotronik von ihm angeheuert worden war. »Wo, Carter? Wie ist es passiert?«
»Ich dachte, ich sollte es Ihnen umgehend sagen.« Inzwischen leuchteten zwei feuerrote Flecken auf Carters kreidebleichen Wangen. »Ich bin sofort hierher gekommen, um es Ihnen – und Ihrer Frau – zu sagen. Ich dachte, da sie – da sie von der Polizei ist, könnte sie vielleicht was tun.«
»Sie brauchen eine Polizistin, Carter?« Eve nahm ihm den Schwenker aus der zitternden Hand. »Warum brauchen Sie eine Polizistin?«
»Ich glaube … er muss … er muss sich umgebracht haben, Lieutenant. Er hing dort, hing einfach an der Deckenlampe im Wohnzimmer. Und sein Gesicht …. o Gott. O Gott, o Gott, o Gott.«
Carter vergrub den Kopf zwischen den Händen und Eve wandte sich an Roarke. »Wer hat in einem solchen Fall die Autorität hier auf der Station?«
»Wir haben einen Standard-Sicherheitsdienst, überwiegend automatisch.« Er ergab sich in sein Schicksal und nickte. »Ich würde sagen, du, Lieutenant.«
»Okay, lass uns sehen, ob du eine Art Untersuchungsset für mich zusammenstellen kannst. Ich brauche einen Recorder – Audio und Video -, etwas, um meine Hände zu versiegeln, ein paar Plastiktüten, Pinzetten, ein paar kleine Bürsten.«
Sie atmete zischend aus und raufte sich die Haare. Natürlich hätte er sicher nichts, um die Körpertemperatur des Opfers und den genauen Todeszeitpunkt zu bestimmen. Es gäbe keine Scanner, keine ordnungsgemäße Möglichkeit der Spurensicherung, keine der forensischen Standardchemikalien, die sie für gewöhnlich mit sich führte, wenn sie an einen Tatort kam.
Sie müssten halt so irgendwie zurechtkommen.
»Aber es gibt hier einen Arzt, nicht wahr? Ruf ihn am besten sofort an. Er muss als Pathologe einspringen. Ich zieh mich währenddessen an.«
Die meisten Techniker wohnten in den fertig gestellten Flügeln des Hotels. Carter und Mathias hatten sich anscheinend ziemlich gut verstanden, denn sie hatten während ihrer Schichten auf der Station eine geräumige Suite mit zwei separaten Schlafzimmern geteilt. Auf dem Weg hinunter in den zehnten Stock drückte Eve Roarke den Recorder in die Hand.
»Du kannst ja wohl damit umgehen.«
Er zog eine Braue in die Höhe. Eins seiner Unternehmen hatte den Recorder hergestellt. »Ich denke, ich werde es schaffen.«
»Gut.« Sie bedachte ihn mit einem schwachen Lächeln. »Hiermit ernenne ich dich zu meinem offiziellen Assistenten. Kommen Sie, Carter?«
»Ja.« Doch auf dem Weg den Korridor hinunter schwankte er, als wäre er betrunken, und er musste sich zweimal die verschwitzten Hände an den Hosenbeinen trocknen, ehe das Handlesegerät neben der Tür seines Apartments ihn passieren ließ. Als die Tür schließlich aufglitt, trat er einen Schritt zurück. »Ich würde lieber nicht noch mal da reingehen.«
»Bleiben Sie hier«, befahl sie ihm. »Vielleicht brauche ich Sie noch.«
Sie betrat das Zimmer. Die Deckenlampe war auf volle Leuchtkraft eingestellt und aus der Musikanlage in der Wand dröhnten harter Rock und das Kreischen einer Sängerin, deren Stimme Eve an ihre Freundin Mavis denken ließ. Der Boden war mit karibikblauen Fliesen ausgelegt, die einem das Gefühl gaben, als liefe man auf Wasser.
Auf den Computerbänken an der Nord- und Südwand flogen alle möglichen Schaltplatten, Mikrochips und Werkzeuge herum.
Auf dem Sofa türmte sich Garderobe und auf dem Kaffeetisch davor lagen eine Virtual-Reality-Brille, drei Dosen asiatisches Bier – von denen zwei bereits für den Recycler zusammengerollt waren – und eine Schale mit gewürzten Brezeln.
Und an dem glitzernd blauen Glaslüster in der Mitte des Raumes baumelte Drew Mathias’ nackter Körper an einem aus Laken selbst geknüpften Strick.
»Ah, verdammt.« Sie seufzte leise auf. »Wie alt ist er, zwanzig?«
»Viel älter sicher nicht.« Roarke presste die Lippen aufeinander und blickte in Mathias’ jungenhaftes Gesicht. Es war lila angelaufen, die Augen quollen aus den Höhlen und der Mund war erstarrt in einem grauenhaften, breiten Grinsen. Wie aus reiner Bosheit hatte der Tod ihm noch ein letztes Lächeln ins Gesicht gesetzt.
»Also gut, tun wir, was wir können. Lieutenant Eve Dallas, New Yorker Polizei, übernimmt die Ermittlungen, bis die zuständigen interplanetaren Beamten kontaktiert und hierher befördert werden können. Verdächtiger Todesfall im Olympus Grand Hotel, Zimmer zehn sechsunddreißig. Datum: erster August zweitausendachtundfünfzig, Uhrzeit: ein Uhr morgens. Opfer: Drew Mathias.«
»Ich möchte ihn abnehmen«, erklärte Roarke. Es hätte ihn nicht überraschen sollen, wie schnell und mühelos sie die Wandlung von der warmen, sinnlichen Frau zum kühlen Cop vollzog.
»Noch nicht. Für ihn ist es egal und ich muss das Szenario aufnehmen, bevor wir irgendwas verändern.« Sie blickte Richtung Tür. »Haben Sie irgendetwas angefasst, Carter?«
»Nein.« Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ich habe die Tür aufgemacht, so wie jetzt, und bin hereingekommen. Ich habe ihn sofort gesehen. Man …man sieht ihn ja sofort. Ich schätze, ich stand vielleicht eine Minute da. Stand einfach wie angewurzelt da. Ich wusste, dass er tot war. Wegen seinem Gesicht.«
»Warum gehen Sie nicht durch die andere Tür ins Schlafzimmer?« Sie zeigte nach links. »Sie können sich einen Moment hinlegen. Ich muss nachher noch mit Ihnen reden.«
»Okay.«
»Rufen Sie niemanden an.«
2
Der Arzt hieß Wang und war alt wie die meisten Mediziner, die extraterrestrisch eingesetzt wurden. Er hätte mit neunzig in Rente gehen können, aber wie andere Menschen seiner Art juckelte er lieber weiter von Station zu Station, versorgte kleine Wunden, verabreichte Mittel gegen Raumkrankheit und für den Gravitationsausgleich, brachte hin und wieder ein Baby auf die Welt und führte Routineuntersuchungen durch.
Doch eine Leiche erkannte er auf den ersten Blick.
»Tot«, erklärte er knapp mit einem leicht exotischen Akzent. Seine Haut war gelb wie Pergament und so zerknittert wie eine alte Karte. Seine Augen waren schwarz und mandelförmig, und sein kahler, blank polierter Schädel sah wie eine alte, leicht verschrammte Billardkugel aus.
»Das war mir bereits klar.« Eve rieb sich die Augen. Obwohl sie bisher nie mit Raumdoktoren zu tun gehabt hatte, hatte sie bereits sehr viel von dieser Spezies gehört. Sie mochten es anscheinend nicht, wenn irgendetwas ihre behagliche Routine unterbrach. »Ich brauche von Ihnen die Ursache und den genauen Zeitpunkt.«
»Strangulation.« Wang klopfte mit einem seiner langen Finger auf die hässlichen Würgemale rund um Mathias’ Hals. »Selbst verursacht. Und zwar irgendwann zwischen zehn und elf Uhr abends an diesem Tag, in diesem Monat, diesem Jahr.«
Sie bedachte den Arzt mit einem dünnen Lächeln. »Danke, Doktor. Da der Körper keine anderen Spuren von Gewaltanwendung aufweist, gehe ich ebenfalls davon aus, dass es Selbstmord war. Aber machen Sie trotzdem einen Drogentest, damit wir sehen, ob die Tat vielleicht durch die Einnahme irgendeiner chemischen Substanz ausgelöst worden ist. War der Verstorbene bei Ihnen in Behandlung?«
»Das kann ich nicht sicher sagen, aber er kommt mir nicht bekannt vor. Trotzdem habe ich natürlich seine Akte, denn sicher habe ich nach seiner Ankunft hier oben die Rountineuntersuchung bei ihm durchgeführt.«
»Dann überlassen Sie mir bitte auch die Akte.«
»Ich werde mein Möglichstes tun, um Ihnen behilflich zu sein, Mrs. Roarke.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Dallas, Lieutenant Dallas. Und beeilen Sie sich, Wang.« Sie blickte wieder auf den Leichnam. Ziemlich schmächtiges Kerlchen, mager, bleich … und tot.
Sie presste die Lippen aufeinander und sah in sein Gesicht. Sie wusste, was für bizarre Scherze der Tod mit den Zügen eines Menschen treiben konnte, aber ein derart breites, glubschäugiges Grinsen war ihr neu. Es rief einen Schauder in ihr wach.
Die furchtbare Vergeudung eines derart jungen Lebens machte sie unerträglich traurig.
»Nehmen Sie ihn mit, Wang. Und schicken Sie mir seine Akte. Am besten an das Tele-Link oben in meiner Suite. Außerdem brauche ich die Adressen seiner nächsten Verwandten.«
»Natürlich.« Er sah sie lächelnd an. »Lieutenant Roarke.«
Sie erwiderte sein Lächeln, bleckte dabei leicht die Zähne, kam jedoch zu dem Schluss, dass sie auf das lächerliche Spiel mit ihrem Namen besser nicht noch einmal einging. Während Wang seine beiden Helfer anwies, die Leiche mitzunehmen, stemmte sie die Hände in die Hüften und wandte sich gereizt an ihren Mann.
»Du findest das natürlich auch noch amüsant«, murmelte sie böse.
Er sah sie mit Unschuldsmiene an. »Was?«
»Lieutenant Roarke.«
Da er sie einfach berühren musste, legte er ihr zärtlich eine Hand an das Gesicht. »Warum denn wohl auch nicht? Schließlich tut uns eine gewisse Komik momentan ganz gut.«
»Ja, dein Dr. Wang ist ein echter Scherzkeks.« Sie verfolgte, wie der Doktor vor der Bahre mit der Leiche aus dem Zimmer segelte. »Ätzend. Einfach ätzend.«
»So schlimm ist der Name nun auch wieder nicht.«
»Nein.« Sie fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und hätte beinahe gelacht. »Nicht das. Die Sache mit dem Jungen. Dass er hundert Jahre seines Lebens einfach fortwirft. Das finde ich ätzend.«
»Ich weiß.« Er massierte ihre Schultern. »Bist du sicher, dass es Selbstmord war?«
»Es gibt keinerlei Anzeichen für einen Kampf. Abgesehen von den Würgemalen keine Spuren von äußerer Gewalt.« Sie zuckte mit den Achseln. »Ich werde noch mit Carter und ein paar anderen Leuten reden, aber so wie ich es sehe, kam Drew Mathias heute Abend heim, hat Licht und Musik angemacht, ein paar Bier getrunken, vielleicht irgendeinen Virtual-Reality-Trip unternommen und ein paar Brezeln gegessen. Dann ist er rüber ins Schlafzimmer gegangen, hat das Laken vom Bett genommen, sich ein Seil daraus geflochten und zu einer höchst professionellen Schlinge zusammengelegt.«
Sie sah sich aufmerksam um. »Dann hat er die Kleider ausgezogen und ist auf den Tisch geklettert. Man kann die Fußabdrücke sehen. Anschließend hat er das Seil an der Lampe festgebunden, wahrscheinlich ein-, zweimal daran gezogen, um sicher zu gehen, dass es festsaß, den Kopf in die Schlinge gelegt, die Lampe per Fernbedienung eingefahren und sich selbst dadurch erwürgt.«
Sie nahm die Fernbedienung in die Hand. »Es ging bestimmt nicht schnell. Der Leuchter verschwindet so langsam in der Decke, dass er sich sicher nicht das Genick gebrochen hat, aber trotzdem hat er nicht gekämpft, hat er es sich nicht noch einmal anders überlegt. Wenn er es getan hätte, würde man dort, wo er versucht hätte, sich aus der Schlinge zu befreien, Kratzer von seinen Fingernägeln sehen.«
Roarke runzelte die Stirn. »Aber würde man nicht unweigerlich instinktiv so etwas tun?«
»Keine Ahnung. Ich würde sagen, es hängt davon ab, wie stark sein Wille, wie groß sein Wunsch zu sterben war. Und weshalb er sterben wollte. Vielleicht war er ja auf irgendwelchen Drogen. Das werden wir bald wissen. Mit der richtigen Chemikalienmischung nimmt das Hirn Schmerzen nicht mehr wahr. Vielleicht hat er es sogar genossen.«
»Ich kann nicht leugnen, dass es hier oben Drogen gibt. Es ist unmöglich, sämtliche Angestellten und Arbeiter rund um die Uhr zu überwachen.« Roarke zuckte mit den Schultern und blickte reglos auf den prachtvollen, blauen Leuchter. »Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Mathias regelmäßig oder auch nur hin und wieder was genommen haben soll.«
»Die Menschen überraschen einen immer wieder, und es ist ein regelrechtes Wunder, was für Zeug die meisten ständig einwerfen.« Eve zuckte erneut die Achseln. »Auf alle Fälle werde ich die Suite routinemäßig nach illegalen Drogen durchsuchen und sehen, was ich aus Carter herausbekommen kann.« Sie raufte sich die Haare. »Warum gehst du nicht wieder nach oben und guckst, dass du ein bisschen Schlaf bekommst?«
»Nein, ich bleibe hier«, erklärte er und fügte, ehe sie ihm widersprechen konnte, entschieden hinzu: »Schließlich hast du mich offiziell zu deinem Assistenten ernannt.«
Sie sah ihn mit einem leichten Lächeln an. »Jeder halbwegs anständige Assistent wüsste, dass ich, um über die Runden zu kommen, erst mal einen Kaffee brauche.«
»Dann werde ich dafür sorgen, dass du einen bekommst.« Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen. »Ich hatte mir gewünscht, du hättest endlich einmal eine Zeit lang nichts mit solchen Dingen zu tun.« Dann ließ er von ihr ab und ging auf der Suche nach ihrem Kaffee hinüber in die Küche.
Eve betrat das Schlafzimmer. Das Licht war gedämpft und Carter saß, den Kopf zwischen den Händen, reglos auf dem Bett. Als er sie kommen hörte, fuhr er erschreckt zusammen.
»Immer mit der Ruhe, Carter, schließlich sind Sie bis jetzt noch nicht verhaftet.« Als sie sah, dass er erbleichte, nahm sie neben ihm Platz. »Tut mir Leid, das war einfach ein schlechter Bullenwitz. Wenn es Ihnen recht ist, nehme ich unser Gespräch auf.«
»Ja.« Er schluckte mühsam. »In Ordnung.«
»Lieutenant Eve Dallas im Gespräch mit – wie ist Ihr vollständiger Name?«
»Ah, Jack. Jack Carter.«
»Mit Jack Carter wegen des Todes von Drew Mathias. Carter, Sie haben die Suite zehn sechsunddreißig mit dem Verstorbenen geteilt.«
»Ja, während der letzten fünf Monate. Wir waren Freunde.«
»Erzählen Sie mir von heute Abend. Um wie viel Uhr kamen Sie nach Hause?«
»Weiß nicht. Ich schätze, es war ungefähr halb eins. Ich hatte eine Verabredung. Mit Lisa Cardeaux – sie ist eine der Landschaftsarchitektinnen. Wir wollten den neuen Entertainment-Komplex ausprobieren. Sie haben dort ein neues Video gezeigt. Danach waren wir noch im Athena-Club. Er ist für die Angestellten geöffnet. Wir haben was getrunken, Musik gehört. Da sie morgen ziemlich früh raus muss, sind wir nicht allzu lange geblieben. Ich habe sie noch bis an ihre Tür begleitet.« Er bedachte Eve mit einem schwachen Lächeln. »Ich habe versucht, sie dazu zu bewegen, mich noch hereinzubitten, aber davon wollte sie nichts wissen.«
»Okay, Sie haben also den Abend mit Lisa verbracht. Sind Sie anschließend direkt nach Hause gekommen?«
»Ja. Sie wohnt drüben im Angestellten-Bungalow. Es gefällt ihr dort. Sie will sich nicht in einem Hotelzimmer abschotten. Das hat sie zumindest gesagt. Auf dem Gleitband sind es nur ein paar Minuten von dem Bungalow bis hier. Dann kam ich hoch.« Er atmete tief ein und massierte, wie um sich zu beruhigen, mit einer Hand sein Herz. »Drew hatte abgeschlossen. In der Beziehung war er ziemlich eigen. Ein paar der Leute lassen ihre Türen ständig offen, aber Drew hatte seine ganze Ausrüstung hier oben und er hatte immer Panik, dass irgendjemand sich daran vergreift.«
»Ist das Handlesegerät außer auf Sie beide sonst noch auf jemanden programmiert?«
»Nein.«
»Okay, wie ging es dann weiter?«
»Ich habe ihn gesehen. Sofort, als ich reinkam. Und dann bin ich direkt zu Ihnen raufgefahren.«
»Also gut. Wann haben Sie ihn zum letzten Mal lebend gesehen?«
»Heute Morgen.« Carter rieb sich die Augen und versuchte, sich auf die Normalität seines Zusammenlebens mit dem Kollegen zu besinnen. Unbeschwerte Stimmung, Essen, gemurmelte Gespräche. »Wir haben zusammen gefrühstückt.«
»Wie ging es ihm? War er aufgeregt, verärgert, deprimiert?«
»Nein.« Carters Miene wurde zum ersten Mal lebendig. »Das ist es, was ich einfach nicht begreife. Er war vollkommen in Ordnung. Er hat noch Witze darüber gemacht, dass ich bei Lisa – na, Sie wissen schon – nicht zu Potte kam. Wir haben einander aufgezogen, einfach irgendwelchen Blödsinn geredet. Ich habe gesagt, er wäre schon so lange bei keiner Frau gelandet, dass er es, selbst wenn er es mal täte, sicher nicht mal merken würde. Außerdem habe ich ihn gefragt, warum er sich nicht einfach auch eine Frau organisiert und heute Abend mitkommt, um zu sehen, wie man es richtig anstellt.«
»Hatte er hier etwas am Laufen?«
»Nein. Er sprach dauernd von dieser Kleinen, mit der er angeblich fest zusammen war. Sie war nicht hier auf der Station. Das Baby. So hat er sie genannt. Sagte, er wollte seinen nächsten Urlaub dazu nutzen, um sie zu besuchen. Er meinte, sie hätte alles – Intelligenz, Schönheit, einen super Körper und unstillbares sexuelles Verlangen. Weshalb also hätte er sich, wenn er ein solches Superbaby hatte, mit etwas weniger Tollem zufrieden geben sollen?«
»Sie wissen nicht, wie dieses Mädchen heißt?«
»Nein, sie war immer nur das Baby. Ehrlich gesagt, denke ich, dass es sie nur in seiner Fantasie gab. Wissen Sie, Drew war einfach nicht der Typ für eine solche Frau. Er war gegenüber Frauen ziemlich schüchtern und hat sich in seiner Freizeit fast ausschließlich mit Fantasyspielen und seinem Autotronikzeug befasst. Er war ein echter Tüftler, hat sich ständig irgendetwas Neues ausgedacht.«
»Hatte er außer Ihnen noch irgendwelche anderen Freunde?«
»Nicht allzu viele. Er war eher ein ruhiger, introvertierter Typ.«
»Hat er irgendwelche Drogen genommen, Carter?«
»Nur die normalen Aufputschmittel, wenn er die Nacht durchmachen wollte.«
»Ich meine illegale Drogen, Carter. Hat er irgendwas genommen?«
»Drew?« Carter riss seine müden Augen auf. »Niemals. Nie im Leben. Er war ein grundanständiger, durch und durch bodenständiger Typ. Er hätte nie im Leben irgendwelche illegalen Chemikalien eingeworfen, Lieutenant. Er hatte einen wachen Geist und wollte, dass es so blieb. Außerdem wollte er nicht nur seinen Job behalten, sondern weiter Karriere machen. Wenn man mit Drogen rumhantiert, fliegt man auf der Stelle raus. Dazu bedarf es nur eines einzigen positiven Tests.«
»Sind Sie sicher, dass Sie es gewusst hätten, wenn er beschlossen hätte, ein bisschen zu experimentieren?«
»Wenn man fünf Monate mit jemandem herumhängt, kennt man ihn ziemlich gut.« Carters Augen wurden wieder traurig. »Man gewöhnt sich aneinander – kennt die Angewohnheiten des jeweils anderen und all so was. Wie gesagt, er war nicht allzu oft mit anderen zusammen. War lieber allein, hat an seinen Geräten rumgebastelt oder sich mit irgendwelchen Rollenspielen amüsiert.«
»Dann war er also eher ein Einzelgänger.«
»Ja, so könnte man wohl sagen. Aber er war weder ein großer Grübler noch jemals wirklich deprimiert. Er hat ab und zu erzählt, er säße an einer wirklich großen Sache, irgendeinem neuen Spielzeug. Er hat sich ständig irgendwelche neuen Spielsachen ausgedacht. Erst letzte Woche hat er mir erzählt, mit dieser neuen Sache würde er ein Vermögen machen und Roarke das Fürchten lehren.«
»Roarke?«
»Das hat er nur so dahingesagt«, setzte Carter eilig zur Verteidigung des toten Freundes an. »Sie müssen verstehen, dass Roarke für die meisten von uns das große Vorbild ist. Er ist wirklich megacool. Schwimmt in Kohle, trägt die allerfeinsten Kleider, wohnt in piekfeinen Apartments, hat mehr Macht als der liebe Gott und dann auch noch eine mehr als attraktive junge Frau -« Carter wurde rot. »Entschuldigung.«
»Kein Problem.« Sie würde sich später überlegen, ob sie es amüsant oder eher peinlich fände, dass ein kaum zwanzigjähriger Jüngling sie als »mehr als attraktiv« bezeichnete.
»Es ist ganz einfach so, dass er all das verkörpert, wovon viele von uns Technikern – nein, beinahe wir alle träumen. Drew hat ihn total bewundert. Er war ehrgeizig, Mrs. – Lieutenant. Er hatte große Ziele und jede Menge Pläne. Weshalb hätte er das tun sollen?« Plötzlich schwammen in Carters Augen Tränen. »Weshalb hätte er das tun sollen?«
»Ich weiß nicht, Carter. Manchmal weiß man es ganz einfach nicht.«
Sie führte ihn behutsam durch die letzten fünf Monate, bis sie ein halbwegs vollständiges Bild von Mathias hatte, und eine Stunde später blieb ihr nichts weiter zu tun, als einen Bericht für den Menschen zu erstellen, der hierher geschickt würde, um den Fall abzuschließen.
Auf dem Weg zurück zum Penthouse lehnte sie sich gegen die Spiegelwand des Lifts und sagte zu Roarke: »War ein wirklich guter Gedanke, ihn auf einer anderen Etage in ein anderes Zimmer zu verfrachten. Vielleicht kriegt er auf diese Weise wenigstens ein bisschen Schlaf.«
»Wenn er das Beruhigungsmittel nimmt, wird er ganz sicher schlafen. Aber wie steht es mit dir? Meinst du, dass du schlafen kannst?«
»Ja. Allerdings könnte ich die Sache leichter abhaken, wenn ich auch nur einen Schimmer davon hätte, was mit ihm los gewesen ist, was ihn dazu bewogen hat.« Sie trat in den Flur und wartete, während Roarke die Tür ihres Apartments öffnete. »Das Bild, das ich von ihm habe, ist das eines normalen Technik-Freaks mit ziemlich großen Zielen. Frauen gegenüber eher schüchtern, begeistert von Fantasyspielen. Mit seiner Arbeit durchaus zufrieden.« Sie zuckte mit den Achseln. »Auf seinem Link waren keine Anrufe verzeichnet, es gab keine E-Mails, keine Nachrichten, und die Tür wurde um sechzehn Uhr von Mathias verschlossen und erst um null Uhr dreiunddreißig von Carter wieder geöffnet. Er hatte keine Gäste, war nicht noch einmal fort. Er hat sich einfach einen netten Abend in seiner Suite gemacht und sich dann erhängt.«
»Es war kein Mord.«
»Nein, es war kein Mord.« Wurde es dadurch besser oder schlimmer?, fragte sie sich. »Man kann niemandem die Schuld geben und niemanden bestrafen. Es gibt nur einen toten Jungen. Ein vergeudetes Leben.« Unvermittelt wandte sie sich ihrem Liebsten zu und schlang ihre Arme fest um seinen Hals. »Roarke, du hast mein Leben verändert.«
Überrascht hob er ihr Gesicht an. Ihre Augen blitzten zornig und voller Leidenschaft. »Was ist los?«
»Du hast mein Leben oder zumindest einen Teil davon verändert. Allmählich fange ich an zu begreifen, wie gut du für mich bist. Ich möchte, dass du das weißt. Ich möchte, dass du dich daran erinnerst, wenn wir wieder in unseren Alltag zurückkehren und ich vielleicht vergesse, dich wissen zu lassen, was ich fühle oder denke oder wie wichtig du mir bist.«
Voller Rührung küsste er sie auf die Braue. »Ich werde nicht zulassen, dass du es vergisst. Und jetzt komm ins Bett. Du bist müde.«
»Ja, das stimmt.« Auf dem Weg zum Schlafzimmer strich sie sich entschieden die Haare aus der Stirn. Sie hatten nur noch weniger als achtundvierzig Stunden und sie ließe nicht zu, dass ein sinnloser Tod ihr die letzten Stunden ihrer Hochzeitsreise stahl.
Sie legte den Kopf auf die Seite und klapperte kokett mit ihren dichten Wimpern. »Weißt du, Carter findet mich mehr als attraktiv.«
Roarke blieb stehen und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Wie bitte?«
Oh, wie sie es liebte, wenn seine melodiöse Stimme diesen arroganten Unterton bekam. »Und du bist megacool.« Sie ließ den Kopf auf ihren steifen Schultern kreisen und öffnete die Knöpfe ihres Hemdes.
»Ach, ja? Tatsächlich?«
»Jawohl, megacool. Und einer der Gründe dafür ist, dass du eine derart attraktive junge Frau hast.«
Bis zur Hüfte nackt, setzte sie sich auf die Bettkante, zog die Schuhe aus und bemerkte, dass er seine Hände in die Hosentaschen steckte und sie grinsend betrachtete.
Sie begann ebenfalls zu lächeln. Es war ein herrliches Gefühl.
»Also, du megacooler Macho« – sie zog eine Braue in die Höhe -, »was gedenkst du mit deiner attraktiven jungen Frau zu tun?«
Roarke fuhr sich mit der Zunge über die Schneidezähne und trat einen Schritt nach vorn. »Wie wäre es mit einer kleinen Demonstration?«
 
Eve war der festen Überzeugung, dass sie die Rückreise in Richtung Erde besser unternähme, indem sie sich wie der Strahlenball eines Kindes einfach durch das Weltall schleudern ließ.
Sie brachte durchaus logische Gründe gegen den Flug mit Roarkes privatem Shuttle vor. »Ich will nicht sterben.«
Er begann schallend zu lachen, zog sie entschieden in die Arme und trug sie mühelos an Bord.
»Ich bleibe ganz sicher nicht hier.« Ihr Herz schlug bis zum Hals, als er die elegante Kabine betrat. »Ich meine es ernst. Du musst mich schon k.o. schlagen, wenn ich in dieser fliegenden Todesfalle bleiben soll.«
»Mmm-hmm.« Er wählte einen breiten, geschwungenen Sessel aus weichem schwarzem Leder und schnallte sie beide geschickt zusammen an.
»He. Hör auf.« Panisch versuchte sie, ihre Arme aus dem Gurt zu ziehen. »Lass mich runter. Lass mich raus.«
Das Wackeln ihres straffen kleinen Hinterns direkt in seinem Schoß bot ein gutes Vorspiel für die Art und Weise, in der er die letzten Stunden ihrer Reise zu verbringen dachte. »Starten Sie, sobald Sie die Erlaubnis dazu haben«, wies er den Piloten an und wandte sich lächelnd an die Stewardess. »Wir werden Sie eine Zeit lang nicht brauchen.«
Sobald sich die junge Frau diskret zurückgezogen hatte, schloss er die Kabinentür.
»Das wirst du mir büßen.« Als sie das Summen der Motoren hörte und die leichte Vibration unter ihren Füßen das Signal zum Start gab, erwog sie allen Ernstes, den Gurt einfach mit den Zähnen durchzunagen, um sich zu befreien. »Ich fliege nicht mit«, erklärte sie bestimmt. »Ich fliege ganz sicher nicht mit. Sag ihm, er soll den Start abbrechen.«
»Zu spät.« Er schlang seine Arme um ihren schmalen Körper und vergrub das Gesicht an ihrem schlanken Hals. »Entspann dich, Eve. Vertrau mir. Das hier ist sicherer als jede Fahrt mit deinem Wagen durch die Stadt.«
»Schwachsinn. Himmel.« Als der Motor brüllte, kniff sie die Augen zu. Das Shuttle schien senkrecht in die Luft zu schießen, ihr Magen machte einen Satz, und durch die Beschleunigung wurde sie eng gegen Roarke gepresst.
Schließlich wurde der Flug ruhiger und sie stellte fest, dass der Druck auf ihrer Brust einzig daher rührte, dass sie die Luft anhielt. Sie atmete zischend aus und sog begierig wie ein Taucher, der aus großer Tiefe an die Oberfläche kam, frische Luft in ihre Lungen ein.
Sie war tatsächlich noch am Leben. Das war schon mal nicht schlecht. Nur war sie jetzt gezwungen, ihren Gatten zu ermorden dafür, dass sie derart von ihm überrumpelt worden war.
Erst jetzt wurde ihr klar, dass er nicht nur den Gurt, sondern auch ihr Hemd geöffnet hatte und dass eine seiner Hände auf ihrem Busen lag.
»Falls du dir einbildest, dass ich mit dir schlafe, nachdem du -«
Statt etwas zu erwidern, drehte er sie zu sich herum, sah sie amüsiert und voll Verlangen an und legte seine Lippen auf ihre straffe Brust.
»Du Schweinehund.« Doch als ihr eigenes Verlangen die Oberhand gewann, legte sie lachend ihre Hände um seinen dunklen Schopf, damit er die Liebkosung ja nicht vorzeitig unterbrach.
Für sie wäre es niemals selbstverständlich, was er mit ihr, was er für sie tat; die wilden Wogen heißer Freude, das langsame, erregende Prickeln, das unter der Berührung seiner Hände durch ihren Körper lief. Erfüllt von dem Gefühl seiner nagenden Zähne und dem Streicheln seiner Zunge auf ihrer heißen Haut, wiegte sie sich selig in seinem harten Schoß.
Zerrte ihn schließlich mit sich auf den dicken, weichen Teppich und zog seine Lippen an ihren Mund. »Komm rein.« Begierig auf sein hartes muskulöses Fleisch riss sie an seinem Hemd. »Ich will dich in mir spüren.«
»Wir haben noch jede Menge Zeit.« Wieder schob er seinen Mund auf ihren kleinen, festen, von der Berührung warmen Busen. »Ich muss dich erst noch kosten.«
Was er auch ausgiebig tat. Zärtlich, raffiniert und ganz auf das gemeinsame Vergnügen konzentriert, genoss er den subtilen Wechsel des Geschmacks von ihrem Mund zu ihrem Hals, von ihrem Hals zu ihrer Schulter, von ihrer Schulter bis hinab zu ihrem Dekolleté.
Sie begann zu beben, und als er ihren Bauch erreichte, ihr die Hose von den Beinen streifte und sich einen Weg zwischen ihre Schenkel bahnte, legte sich glänzender Schweiß auf ihre heiße Haut. Unter seinen Lippen reckte sie stöhnend ihre Hüften, er umfasste ihren Hintern, schob seine Zunge möglichst tief in ihre feuchte Hitze und sog begierig ihren ersten Orgasmus in sich auf.
»Mehr.« Er wusste genau, bei ihm ließ sie sich fallen wie niemals zuvor. Was sie gemeinsam schufen, reichte tatsächlich aus, damit sie sich für kurze Zeit vollkommen in ihrem Glück verlor.
Als sie erschaudernd ihre schlaffen Hände auf den Teppich sinken ließ, glitt er an ihr herauf, sanft in sie hinein und paarte sich mit ihr.
Sie öffnete die Augen und sah ihm ins Gesicht. Er war vollkommen konzentriert. War vollkommen beherrscht. Aber sie wollte und sie musste diese Beherrschung zerstören so wie er bei ihr.
»Mehr«, verlangte sie, schlang ihre Beine fest um seinen Körper und nahm ihn tiefer in sich auf. Sie sah das Flackern seiner Augen, erkannte das tiefe, düstere Verlangen, das in seiner Seele toste, dirigierte seinen Mund zu sich herauf, nagte mit den Zähnen an seinen prächtig vollen Lippen und nahm den Rhythmus seiner Bewegung auf.
Er vergrub die Finger in ihren kurzen Haaren und rammte sich keuchend immer härter und immer schneller in ihre Weiblichkeit hinein, bis sein Herz vor lauter Wildheit zu zerbersten schien. Sie jedoch folgte seinem Tempo, konterte jeden seiner Stöße, wobei sie ihre kurzen, nicht lackierten Nägel wie kleine, spitze Krallen in seinem Fleisch vergrub.
Er spürte, dass sie nochmals kam, dass sie ihre Muskeln wie eine wunderbare Faust um ihn zusammenzog. Noch mal, war alles, was er denken konnte. Noch mal, noch mal, noch mal. Wieder und wieder rammte er sich in sie hinein, schluckte ihr Keuchen und erbebte vor Erregung, als sein feuchter Leib auf ihren Körper schlug.
Wieder spannte sie sich an, wieder trieb sie einem neuen Höhepunkt entgegen, und als sie schließlich kehlig stöhnte, vergrub er sein Gesicht in ihrem Haar, ehe er sich mit einem letzten harten Stoß kraftvoll in ihr ergoss.
Dann brach er auf ihr zusammen. Sein Hirn war vollkommen umnebelt und sein Herz schlug donnernd gegen seine Brust. Abgesehen vom Trommeln ihres Herzens lag sie völlig reglos da.
»So können wir nicht weitermachen«, brachte sie nach einer Minute leise krächzend heraus. »Wir bringen uns ja um.«
Er lachte pfeifend auf. »Auf alle Fälle wäre es ein wunderbarer Tod. Eigentlich hatte ich unsere Hochzeitsreise etwas romantischer beenden wollen – mit Wein und mit Musik.« Er hob seinen Kopf und sah sie lächelnd an. »Aber das hier war auch nicht gerade übel.«
»Was nicht bedeutet, dass ich nicht immer noch sauer auf dich wäre.«
»Natürlich. Anscheinend haben wir dann den allerbesten Sex, wenn du sauer auf mich bist.« Er fuhr mit seinen Zähnen über ihr gerecktes Kinn und strich mit seiner Zunge über das kleine, dort befindliche Grübchen. »Ich bete dich an, Eve.«
Während sie diesen Ausspruch verdaute, rollte er sich von ihr herunter, sprang behände auf die Füße, trat nackt vor eine kleine, verspiegelte Konsole und öffnete die Tür. »Ich habe was für dich.«
Argwöhnisch beäugte sie die kleine Schachtel. »Du brauchst mir nichts zu schenken. Du weißt, dass ich das gar nicht will.«
»Ja. Weil du dich dann unbehaglich fühlst.« Er sah sie grinsend an. »Vielleicht ist gerade das der Grund, weshalb ich es so gerne tue.« Er setzte sich zu ihr auf den Boden und drückte ihr das kleine Kästchen in die Hand. »Nun mach das Ding schon auf.«
Sicher waren es mal wieder irgendwelche kostbaren Juwelen. Es schien ihm zu gefallen, ihren Körper mit Diamanten, Smaragden oder goldenen Ketten zu verzieren, deren Schönheit sie betörte und gleichzeitig beschämte. Doch als sie den Deckel aufschlug, fand sie statt eines Schmuckstücks eine schlichte weiße Blüte.
»Eine Blume?«