Blaue Augen für alle - Karin Fruth - E-Book

Blaue Augen für alle E-Book

Karin Fruth

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Beschreibung

Acht Kinder wurden geklont: Alle perfekt mit blauen Augen und blonden Haaren. Nur: warum sind sie trotzdem etwas verschieden? Vier Gruppen kommen in ein spezielles Umfeld, in dem sie später auch als Erwachsene leben sollen. Alle sind glücklich und zufrieden mit ihrer neuen Familie. Nur Roni und Yael werden nicht akzeptiert. Sie sollen genetisch untersucht werden, denn angeblich stimmt etwas nicht mit ihnen. So geraten sie in eine Unterwelt und schließlich auch in die Gammazone, wo normalerweise die Ausgestoßenen leben. Dort finden sie ihre wahren Eltern.....die beiden waren nämlich keine echten Klonlinge

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Über den Autor

Karin Fruth

Hallo,

ich heiße Karin Fruth und ich lebe schon seit vielen Jahren in Köln.

Meine liebste Tätigkeit war der Job einer Familienpflegerin gewesen.

Dort lernte ich viele verschiedene Kinder kennen.

Eines Tages fragte ich mich:

Wie wäre es , wenn alle Kinder identisch gleich wären..

perfekt geklont, blaue Augen, blonde Haare,

und ob sie wirklich alle gleich denken würden?

Das war eine spannende Idee, die ich gerne verfolgt habe.

Gewidmet allen Kindern, die nicht so perfekt sind

Blaue Augen

für alle

Zukunftsroman

Karin Fruth

© 2022 Karin Fruth

Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer

Verlagslabel: TRAdeART

ISBN Softcover: 978-3-347-58782-3

ISBN Hardcover: 978-3-347-58783-0

ISBN E-Book: 978-3-347-67448-6

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

„Ich bin ein Klonling der Alphas

ich bin ein Kind voller Glück

mit blauen Augen und blonden Haaren

ich schau nach vorn, nicht zurück“

Wieso muss ich ausgerechnet gerade jetzt an dieses alte Kindergartenlied denken?

Mann, mir ist so langweilig,“ flüstert Yael ihrer Nachbarin zu, „es gibt einfach nichts Neues und Interessantes in dieser blöden Schule mehr zu lernen!“

„Noch eine ganze Viertelstunde, dann haben wir endlich frei,“ stöhnt Tali leise und zerrt an ihrer Cyberbrille herum, ihr Blick schwenkt zu dem großen Fenster hin, wo die großen dunkelblauen Berge der Alpen zu sehen sind. „Ach, wenn man doch bloß irgendwann mal hier rauskönnte, wenigstens bis zu den Bergen, die man da hinten sehen kann, aber niemand lässt sie, immer müssen sie hier drinnen sein, “

„Tali, Yael, etwas mehr Aufmerksamkeit im Unterricht, wenn ich bitten darf,“ hören sie

die strenge Stimme ihrer Lehrerin über den Kopfhörer.

Beide zucken kurz zusammen, Tadel sind sie von ihrer Lehrerin gewöhnt, das macht ihnen gar nichts mehr aus. Schon ein paar Minuten später hängen sie beide wieder ihren Gedanken nach.

„Ach, dieser Unterricht ist so sterbenslangweilig, diese öde Planetologie, die ewigen Berechnungen über Satelliten-Umlaufbahn der vier Monde des Saturn, die Entfernung des Orion-Nebels, über die chemische Zusammensetzung der Oberfläche der Wega und die Brennstoffberechnung für ein Raumschiff zum Sternbild der Hesperiden kommen einem schon zu den Ohren raus.

Wenn es wenigstens mal wieder Philosophie geben würde, so etwas wie ein neues Buch die „Der kleine Prinz“, oder Musik, Tanz oder Ballspiele, damit man sich mal wieder richtig austoben kann, aber jeden Tag immer dasselbe…

„Ich mag einfach jetzt nicht mehr,“ ruft Yael plötzlich ganz laut in den Raum und wirft ihre Cyberbrille demonstrativ auf die Konsole, dass es knallt. „Können wir nicht einfach mal was anderes machen? Das hier ist alles so langweilig.“

„Yael, du bist unmöglich, jetzt setz sofort deine Brille wieder auf, du bist gleich mit einer Aufgabe dran,“ hört man die Lehrerin streng aus dem Kopfhörer sagen, „benimm dich gefälligst anständig, was ist denn heute los mit dir? Mädel, du musst einfach mehr

Disziplin zeigen, sonst weiß ich nicht mehr, was ich dir für eine Note im Abschlusszeugnis geben soll.“

Ihre Ermahnungen nützen gar nichts, Yael will nicht mehr zuhören, ihr brummt der Kopf, und außerdem weiß sie gar nicht, was sie mit diesen ganzen blöden Planetenberechnungen anfangen soll, was haben diese Dinge denn mit ihr und ihrem späteren Leben zu tun? Nach der Schule wird sich später nie mehr mit solchem Mist beschäftigen, nie mehr.

Sie mag lieber andere Dinge, die etwas mit lebendigen und mit schönen Dingen zu tun haben. Sie liebt die großen Glaspyramiden mit den vielen Pflanzen, die vielen bunten Vögeln, die in den Bäumen zwitschern und ihre Nester darin bauen. Und die großen bunten Schmetterlinge, die von Blüte zu Blüte taumeln, um Honig zu saugen. Das ist wirklich etwas Schönes.

Und in der großen Therme mit den vielen Pflanzen und den spielenden Delphinen, ach, das ist wunderschön, da könnte sie den ganzen Tag verbringen. Wie schade, dass sie dort nur einmal in der Woche hindürfen. Aber bald wird sie allein hingehen können, dann ist sie endlich 12 Jahre alt, ab dann kann ihr keiner mehr was sagen, aber jetzt “

„Yael, so geht es wirklich nicht. Du bist schon die ganze Zeit so unaufmerksam, jetzt wiederhole mir noch einmal das, was ich gerade gesagt habe!“ hört sie die strenge Stimme der Lehrerin aus dem Lautsprecher, ihre Stimme wird schneidend. Wie gut, dass man ihr Gesicht nicht sehen kann, sonst hätte sie genau gesehen, wie verächtlich die Lehrerin guckt, sie ärgert sich sehr über Yael, sie ist schon die ganze letzte Woche so widerborstig. Wie soll sie das Mädchen bloß bis zu Ende ausbilden, wenn sie jetzt schon so renitent ist?

„Ich kann jetzt nicht mehr zuhören, ich habe meine Cyberbrille abgenommen, weil ich Kopfschmerzen habe, warum machen wir denn keine Pause? Die anderen mögen doch auch nicht mehr, oder?“ mault Yael und guckt sich demonstrativ zu den anderen um. Aber die anderen Schüler sitzen mit eingezogenem Kopf hinter ihren Pulten, keiner guckt auf, und keiner traut sich, so frech wie Yael zu sein.

„Yael, siehst du, dass du die Einzige bist, die so undiszipliniert ist, du gibst den anderen ein schlechtes Beispiel. Sieh dir nur mal deine Mitschüler an, alle sind bei der Sache, nur du nicht!“ die Stimme der Lehrerin wird nun sehr laut. „Los, setz sofort deine Cyberbrille wieder auf und löse die Aufgabe, vorher gibt es keine Pause.“

Yael setzt resigniert die Brille wieder auf. Vor ihr auf dem Display steht die Aufgabe, sie

soll zum tausendsten Mal die Definition der Luft herleiten, die Zusammensetzung von Wasserstoff und Sauerstoff und Stickstoff in der Atmosphäre herleiten, in der sie leben. Das wird jedem Kind hier tausend Mal eingetrichtert, vom ersten Schuljahr an, das ist so langweilig und sie kann es im Schlaf auswendig, warum quält man sie bloß mit solchen Langweiligkeiten?

„Die Luft ist ein Gasgemisch, das die Erde in einer Höhe bis zu 60 km umgibt. Ein Liter Luftgemisch wiegt etwa 1,292 g, bei Minus 194,4, Grad kann man die Luft verflüssigen. Sie enthält neben Sauerstoff und Kohlenstoff noch Ozon, Krypton, Helium, Argon und Xenon.“

„Gut, liebe Yael, und wie ist der aktuelle Wert hier im Klassenzimmer?“ hört sie die etwas freundlichere Stimme der Lehrerin aus dem Kopfhörer. Sie macht es den Kindern doch immer wieder leicht, wenn sie unaufmerksam sind, gibt sie ihnen eine Aufgabe, die sie im Schlaf können. Das wurde ihr auf der Hochschule beigebracht.

Es ist ihr Job, die Kinder nicht zu demotivieren, aber manchmal machen sie es ihr doch sehr schwer, und gerade diese Yael ist in der letzten Zeit so undiszipliniert, wo sie das nur herhat? Sie ist so anders im Verhalten als die übrigen Kinder, irgendetwas muss doch mit der Klonierung des Genmaterials versagt haben, aber das kann doch nicht sein, die anderen müssten dann doch auch ein anderes Verhalten aufweisen.

Schnell ruft sich die Lehrerin selbst wieder zur Ordnung und mit lauter Stimme fragt sie:

„Also Yael, wie ist die Zusammensetzung der Luft in diesem Klassenzimmer?“

Resigniert nimmt Yael ihr Analysegerät in die Hand, dass sie in einem Kettchen um den Hals trägt, drückt auf das blaue Knöpfchen, auf dem Display erscheint der aktuelle Wert. „Wir haben hier drinnen genau 18% Sauerstoffgehalt,“ Das grüne Knöpfchen, auf dem Display leuchtet auf. „78,8% Stickstoff ist hier drinnen und der Rest ist Kohlenstoff und Wasser.“ Da ist es doch kein Wunder, dass ihr der Kopf wehtut. „Es fehlen ca. 2% Sauerstoff, und darum bin ich so müde.“

„Sehr gut, liebe Yael, du hast ja vollkommen recht, die Luft ist wirklich zu stickig, jetzt machen wir erst mal eine große Pause,“ hören sie die Lehrerin sagen und ihre Stimme klingt zwar sehr freundlich, aber doch irgendwie hat sie so einen falschen und ironischen Unterton, den die Kinder an ihr nicht leiden können.

Erleichtert springen sie von ihren Sitzen hoch, werfen ihre Cyberbrillen vor sich auf den Tisch, reißen die Tür auf und laufen dann in der Mitte des Klassenzimmers aufeinander zu, umarmen sich kurz, das machen sie jedes Mal so. Die Lehrerin verlässt das

Klassenzimmer, die Tür lässt sie dabei offenstehen. Die Kinder können nun den Raum verlassen und in den Lichthof gehen, wenn sie wollen. Dort können sie sich nun eine Viertelstunde vom Lernen erholen.

Der Lichthof besteht aus einer Glaspyramide, in der zwei große Mandarinenbäume stehen, ein paar Steinbänke sind dazwischen eingelassen und in der Mitte plätschert leise ein Springbrunnen, er trägt eine große bewegliche schwimmende Steinkugel. Anschließend plätschert das Bächlein über ein paar Steine in ein Bachbett hinaus, wohin, wissen die Kinder nicht, es wird wohl eine Röhre irgendwo nach außerhalb sein. Ein niedriger Bambus wächst am Rande und manchmal kommen auch ein paar kleine Schildkröten oder die scheuen Salamander heraus, die dort drinnen leben.

„Ist es nicht furchtbar, immer wieder fragt sie uns dasselbe, das ist ihre Masche, damit quält sie mich immer wieder, aber eines Tages werde ich ihr eine falsche Antwort geben, mal sehen, was sie dann macht,“ mault Yael und guckt ihre beste Freundin Tali an, die nur noch die Augen verdreht.

„Wisst ihr eigentlich, wo die Lehrerin immer hingeht? Meinst du, wirklich in das Lehrerzimmer da hinten auf dem Flur? Ich habe so ein komisches Gefühl, dass die uns immer wieder heimlich zuhört, wenn wir uns hier draußen unterhalten! Ich weiß nicht genau, wie die das macht, aber sie weiß immer alles, über was wir gerade geredet haben und ich weiß nicht, wie sie das macht,“ flüstert Roni und guckt sich vorsichtig nach allen Seiten um.

„Ja, du hast Recht, Roni, das habe ich auch schon bemerkt, letzte Woche hatte ich Tali ein Geheimnis erzählt, das wirklich niemand sonst wissen konnte, und nur fünf Minuten später hat sie mich darauf angesprochen. Vielleicht hat sie so ein Gerät und kann unsere Gedanken lesen, auch wenn sie nicht hier im Raum ist?“

„Ja, ja, das habe ich auch schon bemerkt, ich dachte gerade daran, einen zweiten Becher Jurman zu trinken, obwohl jeder nur einen in der großen Pause haben sollte, aber da stand sie plötzlich neben mir und nahm mir den Becher sofort weg!“ sagt Tali leise, „obwohl sie in einem anderen Zimmer war und nicht sehen konnte, wie ich meinen ersten Becher getrunken habe.“

„Ich hasse sie, auch wenn uns dieses Gefühl auch streng verboten ist und wir es jeden Morgen beichten müssen, wenn wir sowas fühlen, aber ich werde ihr das morgen früh nicht beichten, ich beichte ab sofort überhaupt nichts mehr, nie mehr, hört ihr, nie mehr,“ sagt Yael laut und guckt sich selbstbewusst um.

„Yael, sei vorsichtig, du weißt doch ganz genau, was mit einem passiert, wenn man

nicht mehr konform ist.“ flüstert Roni und er blinzelt ganz ängstlich.

„Glaubst du wirklich an solche Märchen, Roni? Ich glaube nicht daran, dass man dann ins Außenlager kommt, damit man dann Versuchskaninchen und Ersatzteillager für die Mediziner ist,“ sagt Yael selbstbewusst und wird noch lauter, sie guckt sich aber trotzdem vorsichtig nach allen Seiten um, man kann ja nie wissen.

„Wer hat dir das denn mit dem Außenlager erzählt?“ fragt Tali interessiert und rückt

ganz nahe an ihre beste Freundin heran.

„Das hat mir gar keiner erzählt, ich habe nur den Hausmeister mit einem der Großen von da draußen telefonieren hören, ich war gerade auf der Toilette und er stand genau davor, aber ich konnte alles ganz genau hören, was er gesagt hat.“

„Was denn, was hat er denn ganz genau gesagt, nun sag schon,“ ruft Roni ganz

aufgeregt.

„Pst, Roni, sei leise, sonst kann sie das wirklich hören, auch ohne Abhörgerät,“ sagt Yael, „außerdem ist die Pause gleich rum und sie kommt gleich wieder. Ich weiß nur, dass er mit jemanden im Außenlager telefoniert hat, die hatten dort einen Streik gehabt und 8 Große sollen von da abgehauen sein, und nun werden sie überall mit der Bundesmiliz gesucht und für uns sollen ab sofort viel höhere Sicherheitsstufen gelten. Schnell, da kommt sie“. Alle Kinder gehen auseinander und gucken ihre Lehrerin erschrocken und schuldbewusst an.

Sie kommt mit schnellen und energischen Schritten in den Klassenraum zurück, ihr tintenblauer Overall ist schon ziemlich verwaschen und ihre Stiefel sind etwas schiefgetreten. Eine Schönheit ist sie nicht und ihr Alter ist undefinierbar. Sie trägt ihre Haare vorschriftsmäßig, genau wie die Kinder einen Bürstenhaarschnitt und ihre stahlgrauen Augen starren die Kinder sehr intensiv und forschend an, so dass den meisten von ihnen unbehaglich wird.

„So, Kinder, die Pause ist jetzt vorbei, ich komme gerade vom Direktor, es gibt eine Änderung im Unterrichtsplan. Also, der Direktor lässt euch folgendes ausrichten: Ihr habt heute nur noch eine Unterrichtsstunde, die ein ganz besonders wichtiges und aktuelles Thema behandeln wird. Einige von euch haben ja wahrscheinlich schon gestern etwas ungewöhnliches gehört, nicht wahr Yael?“ sagt die Lehrerin und ihre Stimme klingt sehr ironisch, sie verzieht ihren schmalen Mund zu einem unschönen Grinsen.

Yael wird knallrot, sie muss sich beherrschen, um nicht laut aufzuschreien. Sie muss doch ein irgendein Gedankenlesegerät haben, sonst hätte sie das nicht wissen können, was Yael den anderen Kindern gerade erzählt hatte.

„Also, ihr seid jetzt 8 Kinder der Endklasse, ihr seid genau 11 Jahre und 2 Monate alt und einmal müsst ihr ja die Wahrheit wissen, euer Aufenthalt wird in der Schule morgen zu Ende sein, dann wird auch für euch der Ernst des Erwachsenenlebens beginnen. Ja, ihr werdet euch später bestimmt noch gerne zu dieser Geborgenheit in der Gruppe zurücksehnen, auch wenn ihr euch das im Augenblick noch nicht vorstellen könnt. Und das wird sogar für Yael gelten.“

„Wieso sogar für mich? Wie meinen Sie das ganz genau?“ fragt Yael, sie fühlt sich jetzt sehr ängstlich und langsam wird ihr wirklich unbehaglich. Was kann sie damit bloß meinen? Was hat die eigentlich gegen mich?

„Also, Kinder, jetzt setzt eure Cyberbrillen auf, ich habe euch einen Film vorbereitet, damit ihr endlich die Wahrheit wissen werdet, denn ihr werdet nur ein einziges Mal in diesen Dingen aufgeklärt. Also gebt genau acht, was ich euch zu sagen habe.“

Die acht Kinder setzen folgsam ihre Cyberbrillen auf, sie sind alle fast gleich groß und fast alle haben blaue Augen und blonde Bürstenhaarschnitt-Haare, alle haben die gleichen mittelblauen Overalls mit den vielen Taschen an, und darüber baumelt ihre Kette mit dem Analysegerät für den zu messenden Sauerstoffgehalt.

Obwohl die acht fast alle gleich aussehen, hat trotzdem jedes Kind von ihnen seine eigene Individualität entwickelt, das ist eigentlich erstaunlich, denn sie sind jeweils zu viert aus einer Eizelle geklont worden, da müssten sie eigentlich identisch im Äußeren und im Inneren sein, sie sind es aber trotzdem nicht und das wissen sie ganz genau, das haben sie schon oft heimlich ausprobiert.

„Wie ihr entstanden seid, habt ihr schon im Grundsatzunterricht gelernt, ihr seid im Viererverband aus einer speziell konzipierten Eizelle geklont worden, vier weibliche und vier männliche Wesen, damit die zukünftige Bevölkerungs-Symmetrie erhalten bleibt.

Ihr seid in der Säuglingsgruppe, dann in der Kindergruppe herangewachsen, hier in der Schule habt hier alles für euer späteres Leben gelernt und heute steht ihr kurz vor dem entscheidenden Schritt ins Erwachsenenleben. Es geht zwar etwas schneller, als wir es ursprünglich geplant hatten, es ist sozusagen völlig unerwartet eingetreten, aber einmal müsst ihr es doch wissen. Die Alpha-Kolonie wartet schon sehnsüchtig auf euch,

sie brauchen euch dringend, die menschliche Symmetrie ist sonst gefährdet.

Yael hat es euch ja schon vorhin in der Pause erzählt, die acht Alten sind vorzeitig ins Außenlager gezogen, sie wollten plötzlich und unerwartet nicht mehr in der Alphakolonie leben und haben die Gemeinschaft aufgekündigt, sogar im Außenlager haben sie sofort Streit mit den Sicherheitskräften begonnen, aber das wisst ihr ja schon, das hat Yael euch ja auch schon erzählt. Aber das tut nichts zur Sache, jetzt.“

„Aber ich möchte erst mal etwas sagt Roni und springt auf.

„Roni, etwas mehr Disziplin bitte, sofort hinsetzen, hier werden keine Fragen gestellt. Augen auf und weitermachen,“ sagt die Lehrerin laut und böse, so dass die Kinder zusammenzucken.

Gut, dass man wegen der Cyberbrillen ihre Augen nicht sehen kann, und so wie immer bemühen sich die Kinder, ihre Gedanken nach außen abzuschotten und nichts mehr zu denken, sonst wird es die Lehrerin sofort merken und registrieren.

Ja, jetzt wissen sie es ganz genau, dass jeder ihrer Gedanken überwacht und registriert wird, und sie werden von einem unheimlichen Gefühl beschlichen. Wieso fällt ihnen das erst heute auf, dass das so ist? Man muss wirklich aufpassen, sonst….

Kinder, bitte etwas mehr Aufmerksamkeit, seht her. Hier ist das Schema mit dem Aufbau der Alphakolonie unseres Planeten und dieses Schema wird wohl neu für euch sein, denn bis jetzt kennt ihr ja nur diese Schule, die große Glaspyramide „Projekt Eden“ und die daran angeschlossene Therme mit dem Erlebnispark.

Das ist nur eine Seite der Welt, die Alphawelt wird ganz neu für euch sein und das neue Leben wird ganz anders für euch werden, nicht mehr so lustig und angenehm wie jetzt. Die Kinderzeit ist vorbei, jetzt kommt etwas ganz anderes..“

Die Kinder sitzen bei diesen Sätzen der Lehrerin wie erstarrt und sie beschleicht ein beklemmendes und unheimliches Gefühl. Die Stimme der Lehrerin klingt schneidend und sehr unangenehm durch ihre Kopfhörer: „Tali, etwas mehr Aufmerksamkeit bitte, du brauchst jetzt keine Angst zu haben“, denn sie hat sofort registriert, dass Tali kurz davor ist, in Tränen auszubrechen.

Die Lehrerin ist irritiert, wie konnte es bloß sein, dass gerade diese Generation Alphaklonlinge im Laufe ihrer Entwicklung einfach Zuviel Individualität haben? Das wird ihnen ihr zukünftiges Leben nicht gerade erleichtern. Vielleicht hat sie irgendetwas

falsch gemacht? Oder unterliegt das nicht ihrem Einfluss? Ist vielleicht bei der Elektogenese etwas schiefgegangen, sie wagt es kaum zu glauben, aber irgendetwas stimmt nicht mit diesen Alphaklonlingen.

„Also, Kinder, jetzt mal etwas mehr Aufmerksamkeit bitte. Die Kolonie hat einen Großmeister, der heilige ISI, er ist das Oberhaupt unserer Gesellschaft und der Entscheider bei allen wichtigen Gegebenheiten der Alphakolonie.

Ihm zur Seite stehen drei Hauptmeister, das sind Zvi, Michael und Alexander. Sie beraten den heiligen ISI und sie haben ganz spezielle Aufgaben für die gesamte Alphakolonie übernommen. Ihre Aufgaben sind: Die Gesetze des Universums, deren Einhaltung, die heiligen Rituale und die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Trinkwasser.“

Die Gesichter des Heiligen ISI und dessen vier Hauptmeister erscheinen den Kindern auf den Cyberbrillen, sie erschrecken sich etwas mehr, denn sie haben noch nicht viele Erwachsene gesehen, und diese vier sehen nicht sehr vertrauenserweckend aus mit ihren großen und sehr unschönen Gesichtern, einer hat sogar einen schwarzen Bart.

„Wo war ich gerade stehengeblieben? Also, ihr werdet zu zweit in eine neue Familiengruppe kommen, immer ein Junge und ein Mädchen zusammen. Diese Familien werden eure neue Heimat sein und euch behüten und beschützen, ernähren, ihr müsst auf sie hören, immer für sie da sein und selbstverständlich auch für sie arbeiten, so ist das ist Gesetz.“

Die Stimme der Lehrerin, die jetzt viel freundlicher als vorher klingt, lässt sie die aufsteigenden Angstgefühle unterdrücken, sie spürt sofort jede emotionelle Veränderung der Klonlinge, diese Sensibilitätsfühlung hat sie schließlich auf der Hochschule lange genug trainiert.

„Aber wer wird…“ ruft Yael laut und springt auf, wird aber von der Lehrerin sofort unterbrochen.

„Yael, setz dich sofort wieder hin, höre zu und sei nicht so ungeduldig, du wirst alles gleich erfahren. Du solltest dir mal den Lesestoff des letzten Jahres besser nochmals vornehmen und daraus etwas mehr Disziplin lernen, so geht das nicht mit dir weiter, was soll denn deine neue Familie von mir denken, wenn du so undiszipliniert bist. Sie wird nämlich denken, dass ich dich nicht optimal ausgebildet hätte.“ sagt die Lehrerin schneidend und das gleiche böse Lächeln von vorhin spielt wieder um ihre Lippen. Yael macht ihr wirklich Sorgen, soviel Individualität ist störend an dem Kind, irgendwas

stimmt wirklich nicht mit ihr.

Yael wird wieder knallrot, sie fühlt sich angegriffen. Die Lehrerin spürt sofort ihre Aggression und ihre Stimme klingt sofort etwas weniger ironisch, sie bemüht sich sogar, ein Lächeln zustande zu bringen, aber Yael geht diesmal nicht darauf ein, sie hat die Lehrerin durchschaut, der wird sie ab sofort nie mehr trauen, der nicht, nie mehr. Und die Lehrerin liest ihre Gedanken sofort über den Detektor und seufzt leise darüber. So ein Problemkind….

„Also Kinder, jetzt zeigt etwas mehr Aufmerksamkeit, ich berichte weiter. Wo war ich stehengeblieben? Ah, ja, diese Familien werden ab morgen euer neues Zuhause sein. Normalerweise hättet ihr noch 8 Monate Schule vor euch, aber das sagte ich euch ja vorher schon. Das bedeutet also für euch praktisch, dass ihr vorzeitig aus der Schule entlassen werdet, sogar ohne Abschlussprüfung, die hat euch der Direktor gerade eben erlassen.“

„Aber wieso denn….“ stammelt Roni, wenn ich doch nicht weg will….

„Kinder, was sind das denn für seltsame Ansichten? Jetzt freut euch erst mal darüber, das Lernen der Theorie ist zu Ende, jetzt wird es für euch nur noch ein Lernen in der Praxis geben. Ihr werdet schon morgen früh in die Alphazonen kommen, eine große Ehre. So, das war‘s, das ist alles, was ich euch heute zu sagen habe.

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit, es war eine schöne Zeit mit euch, jetzt ist sie plötzlich und viel zu schnell zu Ende gegangen. Ich wünsche euch Klonlingen viel Glück und Erfolg für die Zukunft, die wird sehr schön für euch werden. Ich selber werde bald eine neue Gruppe übernehmen, und ich hoffe, dass sie genauso diszipliniert und brav lernen wird wie ihr.

So Kinder, der offizielle Informationsteil ist nur zu Ende und jetzt kann jeder von euch seine persönlichen Fragen stellen, ich höre. Also los, fangt an, ich werde euch alles beantworten, so gut ich kann.“ Die Lehrerin nimmt demonstrativ ihre Cyberbrille ab und legt sie auf den Tisch.

Ihr Gesicht ist auf einmal irgendwie traurig geworden, die Kinder gucken sie ziemlich verdutzt und ganz erschrocken an, denn so kennen sie ihre Lehrerin noch nicht. Meistens hatten sie immer etwas Angst vor ihr, weil sie ihre Gedanken lesen konnte.

Keiner fragt etwas, alles ist sehr still geworden und die Kinder nesteln ganz nervös an ihren Cyberbrillen herum.

„Was ist, Kinder, nun fragt doch was, ich werde euch alles beantworten,“ sagt die Lehrerin erneut und als sie sich mit den Händen durch den Bürstenhaarschnitt fährt, sehen sie, dass ihre Hände zittern. Sie merken sofort, dass sie ihnen gegenüber wohl nicht so gleichgültig ist, wie sie sonst immer tat, aber gerade das macht die Kinder noch ängstlicher und verlegener, unruhig rutschen sie auf ihren Sitzen herum. Solche Gefühle sind ihnen neu, die Lehrerin fängt sie natürlich sofort auf, räuspert sich, und hat sich schnell wieder im Griff.

„Also, wer von euch hat die erste Frage?“ hören die Kinder ihre Stimme sagen.

„Wie passiert das denn ganz genau, ich glaube, ich habe gar nichts verstanden,“ stammelt David, denn ihm wird plötzlich bewusst, dass seine Gruppe bis jetzt sein ganzes Leben waren. Und außer dem Hausmeister, den Kinderpflegerinnen in der Kinderzeit, der Krankenschwester und der Lehrerin kennt ja gar keiner andere Erwachsene. Er hat jetzt wirklich Angst und vor lauter Schreck bekommt er einen Schluckauf.

„Also David, morgen früh um 10.00 Uhr werden die vier Familien zur Selektion hier in die Schule kommen, dann ist die feierliche Übergabe im großen Saal geplant. Sie werden euch auch direkt mitnehmen,“ sagt die Lehrerin mit belegter Stimme. Ob sie ihnen gegenüber wirklich nicht so gleichgültig war, wie sie immer tat?

„Mit wem komme ich denn in eine Gruppe? Was sind das für Familien und wie können

wir uns die Familien denn aussuchen, in die wir wollen?“ fragt Yael neugierig.

„Typisch Yael, du hast vielleicht komische Ideen, nein, es ist genau umgekehrt, jede Familie wird sich selbst einen Jungen und ein Mädchen aussuchen. Aber ist das nicht ganz egal, wer mit wem in eine Gruppe kommen wird, ihr seid doch sowieso alle gleich, und ihr seid doch alle gleich erzogen worden, wo ist das Problem für dich?“

Die Kinder sind über diese Antwort empört, jeder von ihnen fühlt doch anders, sie sind doch alle Einzelwesen und jeder denkt anders, das haben sie schon ganz oft ausprobiert. Ob die Lehrerin das nicht weiß und bis heute nicht gemerkt hat? Oder will sie das gar nicht wissen?

„Was dürfen wir denn in die neue Familie mitnehmen? Unsere Cyberbrillen, wie viele Kassetten mit Programmen, alle unsere Spielsachen, die Overalls und unser Bettzeug?“ fragt David, er hat die meisten Programme gesammelt und war immer sehr stolz drauf gewesen.

„Nein, ihr werdet gar nichts mitnehmen, eure Sachen werden doch für die neue Kindergruppe gebraucht. Außerdem ist für euch schon alles in den neuen Familien für euch vorbereitet,“ sagt die Lehrerin irritiert und David guckt ganz böse, wieso soll er seine Programme für Fremde zurücklassen?

„Also, wo war ich stehengeblieben, ja, direkt morgen werdet ihr ein neues Duschbad und ganz neue Overalls bekommen. Nach dem Frühstück werdet ihr um 10.00 Uhr alle in den großen Saal kommen, dort werden die Großen schon auf euch warten. Der Direktor wird euch mit einer sehr schönen Feierstunde verabschieden.“

„Ich will aber nicht, und was ist, wenn ich nicht will, wenn ich einfach hierbleiben will?“

piepst Ruth leise und beginnt, plötzlich zu weinen.

„Aber Ruth, was ist denn mit dir los! Du solltest jetzt etwas disziplinierter sein, du bist ein großes Mädchen und heulst hier rum, willst du denn alleine hier übrigbleiben? Was für ein absurder Gedanke. Alle gehen morgen früh in ihre neuen Kolonien und damit basta, das ist der Lauf der Dinge, das muss so sein, das ist der Lauf der Welt,“ sagt die Lehrerin streng.

„Aber sind die Großen denn auch alle so gleich wie wir?“ fragt Nurith und guckt bei dieser Frage die Lehrerin ganz aufmerksam an. Sie will mit dieser Frage herausbekommen, ob die Lehrerin mehr über das Leben da draußen weiß.

„Das ist eine sehr schwierige Frage. Manche ja, aber die meisten dieser Großen wurden noch nicht geklont wie ihr, damals gab es noch andere Verfahren, da gab es aber viel strengere Auslesen für jeden Einzelnen. Ich zum Beispiel wurde auch nicht geklont, mich hatte man aus einer großen Gruppe ausgewählt, das war damals noch eine große Ehre für mich.“ In der Stimme der Lehrerin klang ein stolzer Ton, ja, sie muss wirklich stolz darauf sein, dass man damals gerade sie ausgewählt hatte.

Jetzt gucken alle ihre Lehrerin ganz misstrauisch an. Wieso erzählt sie ihnen heute so etwas? Das hat sie doch sonst noch nie getan?

„Aber die anderen, wie sind die denn zustande gekommen?“ fragt Yael neugierig.

„Wieso fragst du so etwas unmögliches, Yael, du bist wirklich sehr undiszipliniert, so etwas hat dich gar nicht zu interessieren, wie das früher war,“ sagt die Lehrerin, ihr freundlicher Ton ist sofort wieder in Ironie umgeschlagen. Yael fühlt, dass sie die Lehrerin eigentlich richtig hassen möchte, und dieses Gefühl ist ihr nicht neu, so hatte

sie schon öfter gedacht und gefühlt.

Die Stimme der Lehrerin dringt von weit weg an ihr Ohr: „Ja, meine liebe Yael, du wirst dich noch wundern, du musst dich in der Zukunft etwas mehr umstellen, sonst wird es dir in der Welt der Erwachsenen bestimmt nicht gut gehen.“

„Ich werde schon zurechtkommen, ich schon,“ sagt Yael böse, aber die Lehrerin scheint

ihr nicht mehr zuzuhören, sie ist mit anderen Gedanken beschäftigt.

„Aber was ist mit den anderen, gibt es jetzt noch weitere Fragen? Nein? Gibt es wirklich keine Fragen mehr? Nun, dann werde ich für morgen früh sofort eure Abschlusszeugnisse fertigstellen, sie werden euch vom Direktor überreicht werden, ich verspreche euch, nur die besten Zeugnisse für euch auszustellen, macht euch darüber keine Sorgen. Ich werde sogar Yaels schlechtes Verhalten von heute nicht berücksichtigen, ich will ja nicht so sein. So, der Unterricht ist für euch zu Ende, das war‘s, was ich euch zu sagen hatte.

Geht in eurem Zimmer, ihr habt den ganzen restlichen Nachmittag frei. Wenn ihr wollt, könnt ihr ja noch mal in die Therme gehen, ihr wisst ja den Weg allein. Gehet hin in Frieden,“ die Stimme der Lehrerin wird leise und verstummt.

Alle Kinder springen erleichtert auf, ihre Cyberbrillen werfen sie auf den Tisch wie immer, sie wollen sofort aus dem Zimmer rennen, aber auf einmal hören sie ein seltsames Geräusch, es ist direkt hinter ihnen. Die Lehrerin sitzt am Tisch, sie hat den Kopf auf den Tisch gelegt und weint.

Die Kinder bleiben wie erstarrt stehen, was ist denn jetzt mit der passiert? Geweint hat sie doch noch nie, wieso weint sie denn jetzt, sie ist doch kein Kind mehr? Das finden sie unbegreiflich und ganz erschrocken drehen sie sich um.

„Liebe Lehrerin, wir sehen uns doch noch mal morgen früh, oder nicht? Dann wollen wir Ihnen jetzt auf Wiedersehen sagen, es war doch eine schöne Zeit, wo wir zusammen gelernt haben,“ sagt Roni leise, der als erster zurück zur Lehrerin gegangen war. Er steht direkt vor ihr und streichelt ihr ganz verlegen den Arm, er weiß nicht, was er machen soll, eine weinende Lehrerin, schrecklich.

„Auf Wiedersehen, und bitte nicht mehr traurig sein,“ flüstert Roni ihr leise zu, erschrocken rennt er aus dem Raum, hinter den anderen her, die schon über den langen Flur in ihr Zimmer laufen.

„Mann, Roni, was machst du denn, die olle Kuh verdient doch gar nicht, dass wir freundlich zu ihr sind. Die ist doch selber schuld, dass wir nicht nett zu ihr sind. Denk doch bloß mal an letzte Woche, da hat sie dich noch ausgelacht, als du etwas ganz Wichtiges gefragt hattest. Die war so oft so fies zu uns!“ ruft Yael laut und dabei läuft sie als erste die Treppe hoch zu ihrem gemeinsamen Schlafraum.

Auf der Tür stehen ihre Namen untereinander fein säuberlich aufgeschrieben, links die Namen der Mädchen: Nurith, Ruth, Tali, Yael und rechts die Namen der Jungen: David, Noah, Roni, Yuri und darunter ihr Klondatum: 27.02. 2098.

„Wisst ihr, irgendwie habe ich Angst vor morgen und ich fühle mich ganz traurig. Ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen, dass wir ab morgen nicht mehr zusammen sind, wir waren doch immer zusammen, so lange ich denken kann,“ sagt Nurith traurig und die anderen umringen sie sofort, jeder möchte sie trösten. Sie haben doch immer zusammengehalten und das soll auf einmal vorbei sein?

„Meinst du denn nicht, dass wir uns später öfter mal sehen können? Irgendwann haben wir doch bestimmt mal frei und können uns besuchen, oder meinst du, dass wir den ganzen Tag nur für die Großen arbeiten müssen?“ fragt David und zerrt an seiner Unterlippe, das macht er immer, wenn er Angst hat.

„Ich habe schon solche Angst vor morgen,“ sagt Ruth und beginnt schon wieder zu

weinen.

„Mann, Ruthi, nun heul nicht schon wieder rum, vielleicht wird es ganz schön, das ist doch endlich mal was Neues nach dieser langweiligen Schule,“ sagt Tali, nimmt sie in den Arm und tröstet sie unbeholfen, aber Ruthi heult immer weiter, heute will sie sich nicht trösten lassen.

„Was hatte die Lehrerin gesagt? Wir kommen immer zu zweit in eine Gruppe, mit wem

ich bloß in eine Gruppe komme?“ fragt David und guckt ganz verlegen in die Runde.

„Ach, das ist mir ganz egal, mit wem ich in eine Gruppe komme, ihr seid mir alle gleich lieb,“ sagt Yael und guckt tapfer in die Runde, innerlich aber fühlt sie, wie auf einmal ohnmächtige Angst in ihr hochsteigt, jetzt bloß nicht weinen.

Die anderen fühlen sich auf einmal genauso ausgeliefert und sie machen es wie immer, wenn sie große Angst vor etwas haben. Schnell kuscheln sie sich in ihrer Sznoozel-Ecke ganz eng zusammen, die für sie in solchen Notfällen eingerichtet wurde. Die leisen Sphärenklänge der Musik, der kleine Wasserfall und die Düfte, die aus der Duftorgel

kommen, beruhigen und trösten sie irgendwie immer, egal, wie traurig sie sind und wieviel Angst sie immer gehabt hatten. So liegen sie fast eine Stunde lang zusammen und jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach.

„So, Kinder, ich habe nun genug von der ganzen Sznooselei, ich will noch mal schwimmen gehen, wer geht mit?“ fragt Yuri nach einiger Zeit und knufft die neben ihm Liegenden in die Seite.

„Yuri, jetzt sei nicht so ungemütlich, lasse uns doch nur noch ein Weilchen sznooseln,“ sagt Ruthi, die wie immer genau mittendrin in der Gruppe liegt. Wie sie das schafft, weiß niemand, aber sie ist immer in der Mitte drin und alle anderen liegen auf ihr drauf.

„Ja, kommt, wir toben uns etwas mehr aus,“ ruft Roni, springt auf und beginnt, die anderen in die Seite zu knuffen. Er hat nie viel Angst, er ist immer vorneweg und außerdem ist er ein kleines bisschen größer als alle zusammen, wie das kommt, weiß niemand, und innerlich ist er sehr stolz darauf.

„Ja, wir gehen in der großen Therme schwimmen und wir spielen mit den Delphinen. Ich kann mir das gar nicht richtig vorstellen, ob wir die Delphine wirklich heute zum letzten Mal sehen? Ich kann mir das einfach nicht vorstellen,“ sagt Yael und auf einmal wird sie ganz ernst. Was mag bloß morgen sein?

„Kommt schon, Kinder, so schlimm wird das nicht werden,“ sagt Roni, „ich geh los, wer kommt mit?“ Alle springen auf einmal auf, heute will keiner etwas allein machen, sie unterdrücken ihre große Angst und zeigen die andere Fröhlichkeit, aber jeder kennt den anderen ganz genau, und niemand spricht darüber.

Sie rennen aus ihrem hellen Schlafzimmer, poltern die Treppe herunter, reißen die Verbindungstür auf, rennen durch den langen himmelblauen Tunnel, der ihr Haus mit der Therme verbindet. Vor der Therme ist die schwere Glastür, die das Innenklima schützt und als sie drinnen sind, spüren sie das tropische Klima sofort. Eine angenehme Wärme schlägt ihnen entgegen.

Von überall her kommt jetzt Vogelgezwitscher, die Sonne scheint hell auf die große gläserne Pyramide über ihnen. Schnell ziehen sie ihre Stiefel aus, werfen ihre Overalls in einen bereitstehenden Korb und einer nach dem anderen springt kreischend und lachend in das wunderbar warme Wasser.

Sie tauchen und spritzen sich gegenseitig nass. „He, Kinder, wo sind die Delphine?“ fragt Yael aus sie prustend und schnaufend auftaucht. „Ich habe sie heute noch gar

nicht gesehen,“

„Ja, wo sind die denn heute?“ fragt Roni und guckt sich überall um, aber keiner der Delphine schwimmt ihnen fröhlich quiekend entgegen, stupst sie und macht seine Späßchen mit ihnen.

„Kommt Kinder, wir müssen sie suchen, sie können doch nicht einfach weg sein, sie waren doch noch vorgestern da. Vielleicht haben sie noch ein anderes Becken, in dem sie schlafen?“ fragt Nurith und sieht sich nach allen Seiten um.

„Oder vielleicht gibt es für sie irgendwo einen Ausgang nach draußen? Kinder, das müssen wir rauskriegen, denn wir wissen bis heute noch nicht mal, wie man da nach draußen kommt.“ sagt David ganz aufgeregt.

„Aber das ist doch verboten,“ piepst Ruth ganz nervös, „das Klima da draußen schadet uns doch, die Ozonwerte da draußen und die Sonne und außerdem…“

„Ja, ja, das hat man uns immer gesagt, aber es gibt noch eine andere Welt da draußen, ich weiß es ganz genau, und da leben auch andere Menschen, und denen macht das Klima gar nichts aus,“ sagt Yael unternehmungslustig. „Da leben doch auch die Großen, zu denen wir morgen sowieso fahren, da können wir doch heute schon heute mal probieren, wie es da draußen ist!"

„Yael, das ist verboten, da mache ich nicht mit!“ piepst Ruth und beginnt zu weinen.

„Mann, Ruthi, du olle Heulsuse, dann bleibst du eben hier drinnen, du wirst schon sehen, was du davon hast!“ sagt David, „ich will endlich auch mal wissen, wie es nach draußen geht. Morgen müssen wir dieses System doch sowieso verlassen, wir werden abgeholt und dann müssen wir doch auch raus, also will ich noch heute wissen, was wirklich da draußen ist. Und die Lehrerin kann uns nicht daran hindern, die ist ja gar nicht dabei, die olle Gurke!“

„Also, wir teilen uns in zwei Gruppen, eine Gruppe sucht oberhalb nach einem Ausgang aus der Glaspyramide und die andere Gruppe sucht unter Wasser, ob die Delphine von irgendwo rausoder reinkönnen, los!“ ruft Tali laut. „Wer taucht mit mir?“

„Ja, Tali, ich tauche mit dir,“ ruft Yael, „wer noch? Los, Roni und du, Yuri, die anderen gehen mit Nurith. Los!“ und schon ist sie unter der Wasseroberfläche verschwunden, die anderen tauchen auch, jeder an einer anderen Stelle. Aber nirgendwo finden sie eine Tür oder eine Schleuse, wo die Delphine rausgeschwommen sein können.

Schnaufend und prustend kommen sie wieder an den Beckenrand geschwommen, nirgendwo ist eine Schleuse, unter der Wasseroberfläche gibt es nichts, keine Klappe, kein Ausgang oder Eingang für die Delphine.

„Aber irgendwo kommt doch das Wasser her,“ schnauft Tali, „es muss irgendeinen

Zugang geben, aber wo?“

Die anderen kommen jetzt zurück zum Becken gelaufen, auch sie haben nichts gefunden, keine Tür nach draußen, die ganze Glaspyramide über dem Biotop hat keinerlei Fenster oder Öffnung nach draußen, nur von irgendwoher ganz oben kommt ein leises Rauschen, da muss Luft von irgendwo her kommen.

„Und was machen wir jetzt, gehen wir zurück in unseren Schlafraum und warten bis morgen früh? Oder sollen wir noch was anderes unternehmen?“ fragt David unternehmungslustig in die Runde.

„Was sollen wir denn sonst unternehmen? Ich habe jedenfalls Angst vor morgen,“ sagt Nurith, „ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das morgen sein wird.“

„Kinder, schnell, ich habe doch was gefunden, kommt schnell hierher,“ ruft Yael aus einer Ecke. Sofort laufen alle zu ihr, richtig, sie hat im Glas der Pyramide direkt hinter einer großen Palme eine fast unsichtbare Tür gefunden.

„Sie ist verschlossen,“ flüstert Yael und zerrt am Rahmen herum, ihre Finger können

aber keine Lücke ertasten, sie ist fest verschlossen.

„Guck mal, da ist ein roter Knopf, drück mal drauf, vielleicht geht sie dann von alleine

auf,“ flüstert David.

Yael berührt den roten Knopf und sofort ertönt ein schauerliches Heulen und Tuten, überall blinken Lampen an den Wänden auf, die Kinder sind starr vor Entsetzen.

„Mach das aus, schnell, mach das aus,“ schreit Yuri laut, aber so oft sie auf den Knopf drücken, das technische Heulgeräusch wird immer lauter, es geht den Kindern durch Mark und Bein und sie beginnen vor Angst zu zittern und zu weinen.

„Lass uns weglaufen, schnell, wir laufen einfach weg!“ schreit Tali voller Entsetzen und

rennt los.

„So nackig können doch nicht so rauslaufen, wir müssen uns doch erst etwas anziehen, wo sind unsere Overalls geblieben?“ schreit Yuri und rennt zitternd um das Becken, aber der Korb mit ihren alten Overalls ist verschwunden, und aus der Klappe sind aber noch keine neuen Overalls gekommen.

„Nein, ich renne so los, das ist mir ganz egal, ich habe solche Angst,“ schreit Tali und alle rennen los, bloß weg von diesem technischen Gebrüll, das nervtötend laut und immer lauter wird.

Auf einmal hören sie laute Schritte, um die Ecke kommen vier riesenhafte Menschen in Uniform gelaufen, in den Händen haben sie schwarze Stöcke, die sie drohend erhoben haben, sie laufen direkt auf die Kinder zu und kreisen sie ein.

„Nicht schlagen, nicht schlagen,“ schreit Yuri entsetzt auf und wirft sich auf den Boden und rollt sich zusammen, die anderen Kinder tun es ihr nach. Die Männer stehen drohend über ihnen mit erhobenen Knüppeln.

„Wer war das mit der Tür?“ hören sie eine harte Stimme über sich sagen.

„Wir alle, wir alle, aber Sie dürfen uns nicht schlagen,“ schreien sie alle im Chor.

Auf einmal verstummt das grässliche Heulgeräusch wieder, einer der Männer muss es ausgeschaltet haben. Die darauf folgende Stille ist noch unheimlicher und die Kinder haben jetzt schlimme Angst, so etwas schreckliches und unheimliches haben sie noch nie erlebt. Ob das wohl die Welt der Erwachsenen ist? Was mag ihnen denn bloß morgen alles noch alles passieren?

„Ihr wisst doch ganz genau, dass ihr jetzt hart bestraft werdet?“ sagt einer der Männer laut, aber die Kinder rühren sich nicht und hocken nur ganz ängstlich zusammen, die Köpfe haben sie in die Mitte gesteckt wie ängstliche Vögel in einem Nest. Ihnen ist es eiskalt und sie zittern vor lauter Kälte und Angst.

„Warum antwortet keiner von euch? Wollt ihr etwa alle bestraft werden?“ hören sie

wieder die Stimme des Mannes.

„Ja, wir wollen alle bestraft werden, wir waren es alle,“ sagt Yael tapfer und hebt den

Kopf, „wir waren es alle zusammen.“

„Stimmt das auch wirklich?“ hören sie den Mann mit böser Stimme sagen, „ich kann es

gar nicht glauben, es war doch bestimmt nur einer von euch, der den Knopf berührt

hat!“

„Nein, wir waren es alle zusammen, alle zusammen, alle.“ sagen alle im Chor, dabei

beginnt Ruth ganz heftig zu weinen. „Ja, wenn es eine Strafte gibt, dann wollen wir alle zusammen bestraft werden.“

„So was gibt es doch gar nicht, was seid ihr denn für seltsame Kinder? Wieso haltet ihr denn zusammen? Aber da kommt schon eure Lehrerin, die wird schon wissen, wie sie euch zu bestrafen hat.“ sagt der Mann mit grober Stimme und die Kinder werden mit den Knüppeln in die Seiten geknufft. Das bringt sie dazu, sich noch weiter zusammen zu kauern.

„Oha, meine Lieben, was habt ihr da denn angestellt? Seid ihr denn vollkommen übergeschnappt? Was habe ich euch denn all die Jahre beigebracht? Ihr habt da draußen in der Welt nichts zu suchen! Habt ihr denn alles vergessen, ihr schrecklichen Kinder? Die Atmosphäre da draußen ist euer sicherer Tod, der Sauerstoffgehalt ist viel zu niedrig, die Ozonwerte da draußen können eure Lungen gar nicht aushalten.

Kinder, Kinder, ihr hättet beinahe eine biologische Katastrophe ausgelöst. Von dieser Schleuse hängt das gesamte Ökosystem ab, wir würden alle hier drinnen in kürzester Zeit sterben, ist euch das überhaupt nicht klar?“ schreit die Lehrerin außer sich.

Die Kinder drücken sich zitternd zu Boden, Ruthi weint schon wieder, ihr Weinen ist das Einzige, was sie hören. Irgendwo tropft Wasser, immer lauter und unangenehmer.

„Ich denke, sie brauchen keine Strafe und sie brauchen auch nicht geschlagen zu werden, sie sind noch zu klein, sie wissen wahrscheinlich gar nicht, was sie da vorhin angestellt haben. Sehr geehrte Herren Ordnungshüter, sie sollten ihnen ausnahmsweise verzeihen, eine Strafe wäre für sie in der jetzigen Situation pädagogisch nicht angebracht,“ hören sie die Lehrerin in einem schmeichlerischen und süßlichen Tonfall sagen.

Die Kinder horchen ganz erschrocken auf, diese Sprache haben sie noch nie von der Lehrerin gehört. „Liebe Herren Ordnungshüter, die Kinder sind noch zu klein für eine Strafe.“

„Und was sollen wir jetzt in den Katastrophenplan-Bericht schreiben? Mangelnde Aufsichtspflicht des Lehrpersonals, zerstörerische Tendenzen der Kinder oder mangelnde Disziplin der Gruppe? Alles ist gleich schlimm und eine Strafe muss sein,“ sagt der Mann mit lauter und aggressiver Stimme.

„Liebe Herren Ordnungshüter, ich denke…“ hören sie die Lehrerin stotternd sagen, aber der Mann unterbricht sie grob: „Ach so, Sie wollen wohl ablenken, dann gehen wir mal davon aus, dass es Ihre mangelnde Aufsichtspflicht war, gut, dann werden wir Sie eben zur Verantwortung ziehen.“

„Ja, ich habe meine Aufsichtspflicht verletzt und die Kinder allein gehen lassen, denn heute ist ihr letzter Tag hier und ich wollte ihnen eine Freude machen,“ hören sie die Lehrerin stotternd sagen, „es ist ganz allein mein Versagen. Schlagen Sie mich bitte, ich war es…“ und ihre Stimme endet in einem lauten gellenden Schrei. Die Kinder zittern vor lauter Angst und kriechen noch enger zusammen.

Die Lehrerin schreit wieder laut auf, da wird es Yael Zuviel. Heftig befreit sie sich aus dem Haufen der Kinder, springt auf und macht einen großen Schritt auf die Männer zu, die die Lehrerin am Arm festhalten, die sich vor Schmerzen windet.

„Halt, aufhören, Sie sollen sofort aufhören, unsere Lehrerin kann nichts dafür, wir sind ganz allein hierher gegangen und wir haben alle zusammen auf diesen roten Knopf gedrückt. Lassen Sie sofort unsere Lehrerin los, sofort.“

„Ach, guck mal diese kleine freche Ratte an,“ sagt einer der Männer und lacht belustigt auf, als ihm Yael in den Arm fällt, um die Lehrerin zu befreien. Aber er hat nicht mit ihrem Mut gerechnet, sie will ihm in die Hand beißen und ihn treten, aber er wehrt sie lachend ab wie ein lästiges Insekt.

„Loslassen, sofort loslassen,“ schreit sie so laut sie kann, dabei funkelt sie den Mann böse an, aber der beginnt, amüsiert zu lachen. Die Lehrerin lässt er dabei los, sie hat ihre Strafe schon bekommen. Yael hält er mit einer Hand von sich ab, das kleine nackte Mädchen kann nichts ausrichten, so sehr sie sich auch wehrt und strampelt.

„Schluss jetzt, Kinder,“ sagt der große Mann auf einmal lachend und auch die anderen Männer beginnen jetzt, laut zu lachen, diese Situation scheint wohl sehr lustig für sie zu sein. Er sagt ganz freundlich: „Liebe Frau Lehrerin, wir waren ja auch mal klein und wir haben auch vieles ausgeheckt, ich kann die Kinder gut verstehen. Aber wir müssen doch hart durchgreifen, das wissen Sie doch auch, wir sind doch für den gesamten Komplex hier verantwortlich. Und wenn die Atmosphäre hier ausgetreten wäre, nicht auszudenken, was dann passiert wäre.“

Ein anderer Wachmann, der sich etwas zurückgehalten hatte, tritt jetzt vor und fragt:

„Wo sind denn die Overalls der Kinder, die holen sich doch einen Schnupfen, wenn sie sich nicht bald was überziehen. Die kann man doch so lange nicht so nackig rumlaufen lassen.“

„Ja, ja, sofort, die Overalls, ich hole sie sofort“ ruft die Lehrerin eifrig und rennt sofort

los, sie hält sich aber den Arm fest, der muss ihr irgendwie wehtun von den Schlägen.

„Kleine, wie heißt du eigentlich?“ fragt der Mann, der Yael immer noch in Armlänge von sich abhält.

Yael hat aufgehört zu strampeln, jetzt muss sie auch lachen. „Yael heiße ich,“ sagt sie selbstbewusst, „aber jetzt lassen Sie mich endlich mal los, ich beiße und kratze auch nicht mehr.“

„Da bin ich aber froh, dass nun keine Gefahr mehr von dir ausgeht,“ lacht der Mann und Yael steht vor ihm, sie fühlt sich winzig klein gegenüber diesem großen schwarzuniformierten Mann.

„Kinder, hier sind neue Overalls und Stiefel, zieht euch schnell an, sonst werdet ihr wirklich noch krank,“ hören sie die Lehrerin rufen und ihre Stimme klingt auf einmal hell und freundlich, ja, so kennen sie ihre Lehrerin eigentlich gar nicht.

Sie folgen sofort. Schnell sind sie in ihren neuen Kleidern und Stiefeln geschlüpft und schon nach ganz kurzer Zeit sehen sich erwartungsvoll um. Die vier Männer in ihren schwarzen Uniformen sehen noch kurz zu ihnen hinüber, dann drehen sie sich um und verschwinden im Gang, ihre schweren Schritte sind bald nicht mehr zu hören.

„Yael, vielen Dank, Yael, das hast du sehr gut gemacht, du bist ein sehr mutiges Kind, wo hast du das nur her?“ sagt die Lehrerin und hält sich immer noch ihren rechten Arm fest, erscheint ihr sehr wehzutun.

„Was ist mit Ihrem Arm passiert?“ fragt Roni und kommt ganz nahe an die Lehrerin

heran.

„Das war ihr elektronischer Schlagstock, sei froh, dass du den nicht zu spüren bekommen hast. Es ist nicht mehr so schlimm mit meinem Arm, ungefähr nach einer Stunde merkt man nichts mehr davon.“ hört sie die Lehrerin sagen und ihre Stimme klingt aber trotzdem noch ziemlich schmerzverzerrt.

„Und was machen wir jetzt?“ fragt Yuri und guckt sich schon wieder ganz unter- nehmungslustig um.

„Jetzt gibt’s nur noch eins für euch, sofort zurück in eure Schlafräume, ihr seid wirklich schreckliche Kinder. Wie konntet ihr mich am letzten Tag nur so blamieren? Was habe ich euch nicht alles beigebracht in all den Jahren? Denkt ihr denn, das war alles umsonst mit den Klimaberechnungen? Das soll euch auf euren späteren Leben vorbereiten, da ist nichts umsonst gewesen, nichts, hört ihr, gar nichts!“ die Stimme der Lehrerin wird jetzt schon wieder fast böse. Sie hat sich jetzt wieder im Griff, sie hat jetzt wieder die Autorität von früher zurückgewonnen.

„Liebe Lehrerin, aber eine Frage habe ich doch noch, das muss ich noch unbedingt wissen: Wo sind denn die Delphine geblieben?“ fragt Roni und guckt die Lehrerin dabei ganz erwartungsvoll an.“ Gestern waren sie doch noch da gewesen.“

„Normalerweise sollte ich dir keine Antwort auf deine freche Frage geben, aber heute ist ja euer letzter Tag. Die Delphine sind wieder in Freiheit, ihr braucht sie ja nicht mehr und bis die andere Kindergruppe alt genug ist, um mit ihnen schwimmen zu können, werden sie sich da draußen selbst ernähren. Wenn es soweit ist, dann rufen wir sie wieder und sie kommen gerne wieder zurück.“

„Aber schadet ihnen denn nicht das Klima da draußen?“ fragt Nurith neugierig. „Ich denke, das Klima ist dort draußen nicht verträglich.“

„Sie sind doch meistens unter Wasser, und über den Ozeanen ist die Ozonkonzentration doch unwichtig, und das Meer liegt doch in einer ganz anderen Zone,“ sagt die Lehrerin.

„Aber trotzdem möchte ich es gerne wissen, wie sie hier denn rausgekommen sind?“

fragt Nurith.

„Na, die Klappe ist doch da hinten, he, da hättet ihr mich beinahe reingelegt, ihr schrecklichen Kinder. Ich weiß nichts, ich weiß überhaupt nichts von den Delphinen und wo sie jetzt sind,“ sagt die Lehrerin ganz erschrocken und guckt sich hastig nach allen Seiten um.

„Meinen Sie denn, jemand kann uns jetzt hier hören?“ fragt Ruth scheu und guckt die

Lehrerin ängstlich an.

„Jetzt ist aber Schluss, ich sage überhaupt nichts mehr, kein Wort mehr, ihr sollt sofort zurück in eure Schlafräume gehen, ihr seid ganz schreckliche Kinder, ihr bringt mich noch am letzten Tag ins Gefängnis mit eurer frechen Fragerei,“ sagt die Lehrerin ganz böse, aber ihre Augen sagen etwas ganz anderes, mit ihren Augen lächelt sie die Kinder freundlich an.

Die Kinder verstehen diese zwiespältige Situation sofort, da ist also doch jemand irgendwo, irgendjemand, der sie dauernd belauscht, ihre Worte und sogar ihre Gedanken. Sofort schlagen sie die Augen nieder und still gehen sie hintereinander aus der Pyramide heraus, den blauen Gang entlang und hinauf in ihren Schlafraum, ohne sich noch ein einziges Mal umzusehen.

Die Lehrerin geht langsam hinter ihnen her, ihr Gesicht ist verschlossen und ihr Blick ist finster geworden. Ab sofort wird sie diese Kinder nie mehr sehen, das war jetzt ihr letzter Einsatz mit ihnen gewesen. Ach, es ist überhaupt nie schön, nach fast sechs Jahren Abschied von diesen Kindern zu nehmen, nein, daran wird sie sich niemals gewöhnen können, jeder Abschied fällt ihr jedes Mal schwerer. Jetzt wird sie in ihr Zimmer gehen, sich einschließen und die Maske der schönen Träume nehmen, sie hält es einfach nicht mehr aus. Sofort wird sie sich die volle Dosis geben, dann schläft sie sich erst mal drei Tage lang aus.

Der Direktor wird mit den Kindern und deren feierlichen Verabschiedung sowieso alles selber machen wollen, dabei wird sie nicht mehr gebraucht. Die Zeugnisse sind ja schon fertig, ach, sie fühlt sich plötzlich so leer und so nutzlos und furchtbar traurig, sie wird das niemals aushalten, es waren doch irgendwie nette Kinder gewesen, trotz allem und Yaels Eigensinn war doch manchmal herzerfrischend gewesen, wenn sie es sich auch nicht anmerken lassen durfte.

Wenn die Kinder dann weg sind, hat sie etwas mehr Zeit, sich auf die neue Gruppe einzustellen. Ach ja, das ist eigentlich auch etwas Schönes, wieder die neuen vierjährigen Kleinen zu übernehmen.

Die kann sie dann wieder sechs Jahre lang begleiten, genau wie diese Gruppe.

In ihrem Zimmer angekommen, schließt sie die Tür fest ab, dann schaut sie sich kurz um, hier gibt es keine Unordnung, alles ist perfekt vorbereitet. Zuerst schaltet sie den Gedanken-Seismographen der Kinder aus und löscht die Programmierung, ab jetzt gibt es nichts mehr zu überwachen, morgen früh werden sie weg sein und sie wird diese Kinder nie mehr wiedersehen, deren Gedanken sind ihr ab sofort völlig egal. Sie muss einfach darüber hinwegkommen, es nützt nichts, so ist das Leben nun mal.

Ruhig zieht sie sich ihren Overall aus und lässt ihn achtlos auf den Boden fallen. Dann nimmt sich ihre Maske, die schon vorbereitet auf ihrem Bett liegt. Sie legt sich hin, deckt sich zu und schaltet die volle Dosis ein. Mit einem Seufzer zieht sie sich die Maske über, das Mittel wirkt sofort und sie ist wie tot eingeschlafen. Sie ist jetzt in einer anderen

Welt, wo es keine Kinder und auch keine Lehrerin mehr gibt. Man schwebt in rosa Wolken, hat wunderschöne Gefühle und fühlt sich unsagbar glücklich.

Die Kinder sind in der Zwischenzeit ganz aufgeregt in ihrem Schlafraum gerannt. Alle reden durcheinander, denn die Erlebnisse von heute haben sie aufgewühlt. Sie haben an einem einzigen Nachmittag so viel gelernt wie in sechs Jahren nicht, so kommt es ihnen jedenfalls vor. Also gibt es noch andere Menschen da draußen, die Atmosphäre da draußen ist wirklich schädlich für sie, und alles, was sie bei der Lehrerin gelernt haben, ist wirklich wichtig für ihr späteres Leben, das wird ihnen erst heute richtig bewusst.