Familiengeschichten aus Ostpreußen - Karin Fruth - E-Book

Familiengeschichten aus Ostpreußen E-Book

Karin Fruth

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Beschreibung

Es geht um das Drama Ostpreußens nach 1945, um Flucht und Vertreibung einer Familie aus den ehemaligen Ostgebieten. Es geht um Menschen mit einem eigenwilligen Charakter und einem starken Willen zu überleben. Es geht um die Eingliederung dieser Menschen in eine festgefügte neue Welt. Sie sind äußerst unerwünscht und müssen sich mit den schmutzigsten Arbeiten zufriedengeben, um nicht zu verhungern. Das ging nicht ohne Blessuren ab. Aber sie haben sich trotzdem hochgearbeitet . Heutzutage sind sie längst gestorben und ihre Gräber gibt es auch schon nicht mehr. Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird, habe ich dieses Buch zu ihrer Erinnerung geschrieben.

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Seitenzahl: 122

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Dieses Buch ist all den Menschen gewidmet, die nach Flucht, Vertreibung und Elend aus dem alten Ostpreußen nach 1945 immer wieder neu angefangen mussten.

Karin Fruth

Guten Tag, ich heiße Karin Fruth und lebe schon seit vielen Jahren in Köln.

In diesem Buch habe ich die Erinnerungen an meine Vergangenheit und meine Kindheit aufgezeichnet.

ISBN-Nummer: 978-3-347-80123-3

Hardcover: 978-3-347-80126-4

E.Book: 978-3-347-80127-1

Grosschr. 978-3-347-80129-5

© 2022 Fruth Karin

Umschlag, Illustration: Fruth

Druck und Distribution im Auftrag Karin Fruth

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist Karin Fruth verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig.

Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag Karin Fruths, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg,

Familiengeschichte aus Ostpreßen

Flucht - Vertreibung und neues Leben im Westen

Die Kirche von Steegen in Ostpreußen

Vorwort

Ostpreußen? Danzig? Wo liegt das denn?

Ist das noch Deutschland?

Nein. Das war einmal, 1946, nach dem 2. Weltkrieg.

Heute gehört Ostpreußen zu Polen und ein winziger Teil gehört zu Russland.

Und warum sind damals die Ostpreußen geflüchtet,

und warum interessiert das denn heute noch irgendjemanden?

Weil viele unserer Großeltern und Eltern aus dieseen deutschen Ostgebieten stammten.

Und wenn sie von früher erzählen, vermissen sie bis heute noch ihre alte Heimat, die sie verlassen mussten.

Barackentown-Blues

……..Bad Segeberg, 01. September 2022

Ich bin nach über siebzig Jahren auf der Suche in die Vergangenheit, in meine Kindheit. Ach, hier sah es früher mal ganz anders aus

Das Städtchen ist fast kaputtsaniert, durch meinen früheren Schulgarten geht jetzt eine vierspurige Schnellstraße, ein Busbahnhof zerschneidet den kleinen Marktplatz, und nur noch die alten Bahnschranken lassen eine Orientierung zu. Ab hier begann früher der Heimweg von der Schule zu meinem alten Zuhause.

Da ist die Burgfeldstraße, die kleinen Häuschen mit ihren Gärtchen stehen noch genauso da wie früher, aber wo sind die schönen alten Linden geblieben? Alle Bäume hat man rückstandsfrei beseitigt. Das Haus von Kaufmann Bevernick ist jetzt eine Bäckerei und die Villa daneben ist zu einer Pommesbude verkommen.

Vor mir schlappen ein paar Jugendliche, alle sehen gleich aus, es gibt nur einen einzigen Unterschied. Jungen sind die mit den Hängehosen in den Kniekehlen, Mädchen sind die mit den aufgesprühten Jeans. Sonst aber tragen alle Wattejacken, Rucksack, die unvermeidliche Zigarette im pickeligen Gesicht. Jetzt biegen sie ab und gehen eine breite Treppe hinauf und verschwinden in einem riesigen Schulkomplex.

Ich bleibe erstaunt stehen, aber wo ist mein Bauernfeld 9, mein Zuhause aus den Kindheitstagen geblieben?

Die alte Barackentown existiert schon lange nicht mehr. Man kann nur noch an der Auffahrt zu den Parkplätzen der neuen Berufsschule erkennen, wo es früher den Berg zu unserer Barackensiedlung hinaufging. Auf der linken Seite sind die Schrebergartenreste zu einem wilden Dschungel verwachsen.

Stimmt, genau hier muss es gewesen sein, denn, wenn man sich umdreht und die kleine Straße runterguckt, sieht man die große Buchsbaumhecke auf der anderen Straßenseite der Burgfeldstraße, in die wir Kinder mit unseren Fahrrädern und Schlitten immer ungebremst rasten. Die Straße war damals nicht asphaltiert und ruhig, jetzt ist sie asphaltiert und viel befahren.

Ich muss jetzt noch lachen, denn sofort fällt mir der Besitzer der Hecke ein, wie er tobend mit dem Besen hinter seiner Hecke stand, um uns grässlichen Kinder endgültig zu vertreiben. Flüchtlingspack grässliches.

Flucht aus Ostpreußen: Dabei geht es um fast 110 Jahre deutscher Zeitgeschichte, voller Krieg, Frieden, Flucht, Überlebensstrategien, Ankunft und Bewältigung des neuen täglichen Lebens.

Aber was hat das alles mit mir zu tun? Dort in der Barackentown war mein Zuhause gewesen. Offiziell wurden wir bei der Stadt Bad Segeberg seit 1952 als Flüchtlinge aus Ostpreußen gemeldet. Warum ist er ausgerechnet dort in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein gelandet?

Aber so ein Flüchtling: Was ist das eigentlich für ein seltsames Wesen? Was macht er so den ganzen Tag?

Das ist gar nicht so einfach zu erklären, denn solche Flüchtlinge gibt es auch heute noch ziemlich viele, die rings um den Erdball unterwegs sind, auf der Flucht vor Krieg, Hunger, Seuchen und einer neuen Heimat, in der sie in Frieden leben und satt werden können. Es geht schließlich um sieben Millionen Menschen, die nach dem verlorenen 2. Weltkrieg 1945 aus den deutschen Ostgebieten auf der Flucht ihre alte Heimat verloren, und die dann in der neuen Heimat höchst unwillkommen waren. Meine ganze Familie gehörte dazu, sie mussten alles zurücklassen und unter ganz erbärmlichen Verhältnissen wieder neu anfangen.

Von meiner ganzen Familie sind nur ein paar Erinnerungen und eine Handvoll Schwarz-Weiß-Fotos übriggeblieben, ein handgeschriebener Lebenslauf meines Vaters und ein ausführlicher, aber ziemlich einseitig optimistisch gehaltener Bericht meiner Halbschwester Rosi.

Viele Erinnerungen haben mich und meine Kindheit geprägt und sie sind seltsamerweise immer noch unvergessen.

Trotzdem: Ich habe lange überlegt, ob ich dieses Buch überhaupt veröffentlichen soll, aber warum sollen die Sichtweisen und Erinnerungen damaliger Ereignisse nicht auch für andere heute interessant sein?

Der Krieg ist immer noch da, in der Ukraine müssen Menschen um ihr Leben fürchten ,und werden von dem russischen Aggressor Putin bedroht und in die Flucht geschlagen.

Warum haben die Menschen nichts gelernt?

Mein Vater August Prang wurde am 23. Januar 1912 in Stutthof bei Danzig geboren.

Mit 14 Jahren musste er auf Druck seiner Eltern die Mittelschule verlassen, um bei seinem reichen Onkel Ferdinand als Viehhändler zu arbeiten. Also reiste er viel durch Ostpreußen und handelte mit Vieh.

1936 -1940 machte er sich mit dem Viehhandel selbständig, bis er 1940 von der NS-Regierung bei der Schiechau-Werft als Lohnbuchhalter zwangsverpflichtet wurde.

1936 heiratete er seine erste Frau Edith, geb. Wulf.

Ihr Vater war Hermann Wulf, geb. am 31. Mai 1887, er war Schmiedemeister, und ihre Mutter Margarethe Wulf, geb. Haack, geb. am 6. Juli 1886 war vor ihrer Heirat Apothekenhelferin gewesen und hatte eine übersinnliche Begabung. Sie konnte Träume deuten und Karten lesen.

Am 18. September 1938 wurde meine Schwester Rosemarie Margarethe Prang in Danzig/Langfuhr, wie mein Vater immer sagte, im ,,Storchenhaus“, geboren.

Am 20. März 1941 wurde meine Schwester Brigitte geboren. Mein Vater war enttäuscht, denn er wünschte sich sehnlichst einen Sohn.

Danach ging es seiner Frau Edith gesundheitlich immer schlechter und als sie am 20. August starb, war sie gerade dreißig Jahre alt geworden.

Auszug aus Rosis Erinnerungen vom 11.03.1998:

Mein Vater war nun Witwer mit zwei kleinen Kindern und befand sich in einer nicht geraden beneidenswerten Lage.

Und sicher aus Zuneigung, vielleicht auch aus Liebe und bestimmt auch aus der Notwendigkeit heraus, meiner Schwester Brigitte und mir wieder ein neues Zuhause, eine Familie zu geben, hielt er um die Hand der Schwester meiner verstorbenen Mutter an.

Aber ihr Vater sagte nur: Das geht nicht. Es reicht mir, dass eine Tochter gestorben ist. Du kannst sie nicht heiraten.“ Aber trotzdem waren die beiden immer freundschaftlich verbandelt geblieben.

Und so nahmen die Großeltern mütterlicherseits Brigitte zu sich nach Brunau und Rosi blieb in Steegen bei den Eltern ihres Vaters. Mein Großvater war Karl Prang, geb. 18. November 1875 und meine Großmutter Maria Prang, geb. Henning. Sie besaßen in Steegen einen Bauernhof.

Meine Tante Heta, Hedwig Prang, geboren am 19. Juli 1915 war die Jüngste und einzige Schwester meines Vaters, sie war also gerade 26 Jahre alt und hatte plötzlich einen kleinen Trabanten neben sich, nämlich Rosi. Und sie war zu keiner Zeit abzuschütteln, und sie musste sogar zu Mittag mit ihr zu Bett gehen.

Es waren nur 10 Minuten bis zum Strand, mit dem Fahrrad am Bahnhof vorbei, und auf einem Sandweg immer geradeaus, rechts und links waren mit Kiefern bepflanzte hohe Wanderdünen. Dann kam der Strand und die See. Von hier holte Großvater im Herbst den Strandkorb der Familie mit dem Leiterwagen nach Hause.

Im Frühjahr 1945 sollte Rosi eigentlich zur Schule gehen. Überall hörten sie schon unaufhörlich Kampfmusik und halb Danzig lag unter einem roten Feuerhimmel. Da beschloss Tante Heta, das Kind geht nicht zur Schule. Das ist viel zu gefährlich.

Mein Vater war inzwischen (gegen seinen Willen) zum Wehrdienst einberufen worden, und jedes Mal, wenn es hieß: „Feindliche Flieger über Berlin“, war er als einer der ersten im Bunker gewesen. (Karin: Mir erzählte er, dass er kein tapferer Soldat gewesen wäre, sondern wollte immer zuerst seine eigene Haut retten). Er wollte mir sogar das Morsealphabet beibringen)

Mein Onkel Otto, der Bruder meines Vaters, kam mit fehlendem linken Arm aus dem Krieg nach Hause, den hatte er in der Nähe von Stalingrad verloren.

Die Situation in ganz Ostpreußen und Steegen wurde immer gefährlicher, und Tag und Nacht lagen sie unter Feuerbeschuss und rings um sie herum brannten die Höfe.

Damals waren schon sehr viele geflüchtet, obwohl es von der Naziregierung unter Todesstrafe strikt verboten worden war, die Heimat zu verlassen. Wenn sie nicht siegen konnten, dann sollten sie zum Untergang verdammt sein.

Viele aus dem kleinen Badeort Steegen waren schon kurz vorher geflohen, obwohl es streng verboten war, vorneweg der Bürgermeister, sonst bekannt als stramme Nazigröße. Trotzdem zogen unaufhörlich Menschen in endlosen Karawanen mit ihrem Hab und Gut gen Westen. Auch vor dem eigenen Hof stand der Leiterwagen seit Wochen gepackt.

Aber jedes Mal, bevor es losgehen sollte, bekam Opa eine Magen- und Darmkolik. In Wahrheit konnte er seine Scholle einfach nicht verlassen. Und Oma ließ ihn nicht allein.

Ihr Wagen stand also fix und fertig bepackt vor dem Hof, und jeden Tag, musste Tante Heta Rosis Puppenwagen immer wieder vom Wagen herunterholen.

Inzwischen war die ganze Familie nach Steegen zusammen gezogen. Und an einem Abend sagte plötzlich Oma Wulf vorausahnend: Heute Abend geht niemand schlafen, heute Nacht passiert etwas Furchtbares.

Und siehe da. Gegen Mitternacht kamen Tiefflieger und Bordwaffen und durchschossen das Reetdach der Stallungen, das in Sekundenschnelle in hellen Flammen und griffen auf das Wohnhaus über.

Sie versuchten verzweifelt, noch die Kühe und die Schweine aus dem Stall zu holen, aber in dem totalen Durcheinander liefen sie immer wieder zurück und verbrannten elendiglich.

Oma und Tante Heta standen mit Rosi an der Hand, fassungslos und weinend vor einem Haufen Schutt und verkohlter Asche .

Der Opa wollte noch einmal ins Wohnhaus, um Rosis Schuhe holen. Die Balken des Hofes brachen schon zusammen und nur mit Gewalt hielt man ihn zurück.

Auf dem Leiterwagen war jetzt ihre einzige Habe, den die Soldaten auf einen Acker geschoben hatten.

So zog die ganze Familie in das leerstehende Haus des Briefträgers ein, der schon ein paar Tage vorher geflüchtet war.

Aber es blieb jeden Tag die bange Frage: wollen oder müssen wir noch flüchten?

Opa und Oma Wulf, Tante Lita und Brigitte machten sich auf den Weg nach Danzig, um von dort noch mit einem Schiff in Sicherheit in den Westen zu kommen. Und sie kamen tatsächlich durch.

Der Krieg kam immer näher und Danzig lag unter einem feuerroten Himmel in Schutt und Asche. Am 8. Mai 1945 war dann endlich Kapitulation. Man hoffte, dass nun alles Leid vorüber sein würde.

Aber sie hatten sich getäuscht, denn jetzt ging es erst richtig los. Die Russen waren ja die Sieger, und sie stürmten ins Dorf, schossen wild um sich und vergingen sich an den Frauen.

Onkel Otto hatte Tante Heta und Rosi auf dem Taubenboden versteckt und mit Strohballen die Wand und die Luke unsichtbar gemacht. Dort wurde ihnen Essen und Trinken raufgereicht. So waren sie wenigstens in den ersten Tagen vor den einstürmenden Russen sicher.

Tante Heta setzte sich vor die Taubenluke, um Rosi den erschreckenden und scheußlichen Anblick von dem zu ersparen, was sich da unten auf dem Hof abspielte.

Nach einer Woche wurde es ruhiger. Sie kamen unbeschadet aus ihrem Versteck, und Onkel Otto und Opa versuchten mit Erfolg, die Russen von ihrem Haus fernzuhalten.

Dann kam mein Vater nach Hause. Er hatte Glück, er war nur drei Wochen in amerikanischer Gefangenschaft gewesen.

Aber die Schrecken des Krieges waren nicht zu übersehen. Bei uns im Hause in einem kleinen Zimmer lag ein junger, schwerverwundeter Mann. Mit einem Bauchschuss, der wimmerte vor sich hin, und bat immer wieder, schießt mich endlich tot. Für ihn gab es keine Rettung.

Dann kam der Sommer, es wurde sehr heiß, und überall lagen noch tote Pferde herum, die man nicht im Splittergraben vergraben konnte, denn sie waren dazu zu groß und sie verpesteten die Luft mit ihrem Aasgeruch.

Die Folgen blieben nicht aus. Erst erkrankte Tante Heta und dann Rosi an Typhus. Sie lagen mit hohem Fieber und Oma pflegte sie ohne jede ärztliche Hilfe so gut wie möglich.

Sie waren nur noch Haut und Knochen, und Rosi konnte sich an ihrem Geburtstag, dem 18. September 1945, vor Schwäche noch nicht wieder sitzen.

Aber ihre Erkrankung hatte auch eine hilfreiche Seite. Wenn die Russen das Haus betraten und nur das Wort „Typhus“ hörten, waren sie sofort zum Fenster wieder draußen.

Papa und Onkel Otto brannten heimlich Schnaps, was natürlich bei Todesstrafe verboten war. So hatten sie wenigstens etwas, was selbst einen Russen gütlich stimmt.

Onkel Otto tauschte hierfür Coca-Cola ein, das war runde Zartbitterschokolade, angereichert mit Vitaminen. Diese löste Oma in Wasser auf und gab sie uns zu trinken und ganz langsam kamen wir wieder zu Kräften.

Der Herbst und der Winter kamen, und immer noch traf man überall Flüchtlinge. Als es zu schneien begann, fuhren mein Vater und Rosi mit dem Schlitten in den Wald, um nach Batterien und noch verwertbaren Gegenständen zu suchen. Es lag ja noch Zeug genug von den Soldaten herum. Diese Dinge wurden dann wieder flott gemacht und gegen Nahrung eingetauscht.

Und immer wieder stellte sich die Frage, siedeln wir aus, oder bleiben wir und nehmen die russische Staatsangehörigkeit an, werden also Russen, aber mein Großvater sagte immer: „ich will doch kein Russe werden.“

Im Frühjahr 1946 wurde ihnen dann die Entscheidung erleichtert. Mit geladenen Gewehren erschienen russische Soldaten, schossen in die Luft und führten Onkel Otto und meinen Vater ab, wegen unerlaubten Schnapsbrennens. Begleitet von Rosis lauten Geschrei und Geheule.

Nachdem sie ein paar Wochen eingesperrt waren, wollte man sie gegen Kaution freilassen. Das war die Gelegenheit. Wir gaben alles, was wir hatten, Geld und Schmuck, nur, um die beiden freizukaufen.

Danach stellten sie sofort einen Antrag auf Aussiedlung für meinen Vater, Tante Heta und Rosi. Onkel Otto blieb bei seinen Eltern, sie wollten unbedingt zu Hause bleiben. Tante Heta nähte in Rosis Mantelsaum unsere Notgroschen ein. Für alle Fälle, wie sie sagte.

Im Frühjahr erhielten sie die Aussiedlungs-erlaubnis und fuhren auf einem kleinen Dampfer auf einem Weichselarm nach Danzig, um von da Richtung gen Westen zu nehmen.

Der Abschied von der Familie fiel ihnen sehr schwer, denn sie wussten doch nicht, was auf sie zu kam.

Tante Heta hatte Rosi an der einen Hand und einen kleinen Koffer in der anderen. Sie saßen auf dem Boden eines Waggons, es war ein langer Zug und sie wussten hinterher nicht mehr, wie lange wir überhaupt gefahren waren. Transport 68.