Warst du wirklich in Archanes? - Karin Fruth - E-Book

Warst du wirklich in Archanes? E-Book

Karin Fruth

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Beschreibung

Zwei junge Archäologen werden zu einer Ausgrabung nach Archanes auf der Insel Kreta geschickt. Dort kennen sie die typischen Kreter und erleben sogar die minoischen Probleme der Bewohner genau in dem Moment, wo ein Mensch geopfert werden soll. War Martin wirklich dabei und konnte er das nicht verhindern?

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Warst du wirklich in Archanes?

von Karin Fruth

Warst du wirklich in Archanes?

Karin Fruth

© 2022 Karin Fruth

Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer

Verlagslabel: TRAdeART

ISBN Softcover: 978-3-347-56707-8

ISBN Hardcover: 978-3-347-56708-5

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Das letzte Seminar in diesem Semester

Endlich ist der Sommer nach Köln gekommen. Ein heißer Wind fegt über den fast leeren Vorplatz des Verwaltungsgebäudes der Universität. Albertus Magnus aus Bronze sitzt immer noch am Rande und hält sich sinnend die blanke abgewetzte Nase.

Vor dem idyllisch gelegenen archäologischen Institut steht ein Grüppchen von etwa 20 Studenten zusammen, einige rauchen. Zum Glück ist heute das letzte Archäologie-Seminar, das Professor Burwitzky abhält. Dann ist erst mal das Semester zu Ende, Semesterferien, Gott sei Dank.

Für viele bedeutet das: Jobben, endlich mal Urlaub machen, alles sehr verlockende Sachen. Aber es gilt der alte Spruch: “ohne Moos nix los“. Das gilt auch für Martin Hartung, denn seine Eltern sind nicht die allerreichsten, sie können ihm gerade seine Bude in der WG finanzieren, den Rest muss er sich selbst dazuverdienen. Wie immer kommt er als letzter angeflitzt. Sein abgewetzter roter Rucksack glänzt speckig in der Sonne und die abgewetzten Jeans werden wohl bald zu kurzen Sommershorts abgeschnitten werden.

Heute muss er sein Referat über Archanes halten. „Wäre es doch bloß schon vorbei!“ denkt er vor sich hin. Im 6. Semester gilt er zwar schon als alter Hase, aber vor jedem Referat ist er genauso aufgeregt wie beim ersten Mal! Drei Monate Arbeit stecken drin, lesen und lesen, die richtigen Dias besorgen und zusammenstellen, und … und … Aber in ein paar Tagen bekommt er die große Belohnung dafür. Dann gehts auf nach Kreta, er hat die Zusage in der Tasche, an der berühmten Ausgrabung in Archanes teilzunehmen. Vier Wochen Kreta, Sonne, und vielleicht auch ein paar Tage Strand und Meer.

Ach ja, die meisten seiner „Kollegen“, haben etwas besser betuchte Eltern. Die Silke da, deren Papi hat ihr im letzten Semester einen kleinen Fiesta einfach so zum Geburtstag geschenkt, damit das liebe Töchterlein schnell wieder am Wochenende nach Hause kommt. Die Fahrt mit der Bahn wäre natürlich viel zu anstrengend für sie! Und der Jörg da, mit seiner 600er Suzuki, dessen Vater ist Schlosser, das Maschinchen hat er sich vom Taschengeld zusammengespart, haha, das Sparschweinchen geknackt, da haben Papi, Mama, Oma usw. bestimmt mit ein paar Scheinchen mitgespart. Und Fräulein Steffi Maier mit dem gelben Porsche, im 29. Semester. Sie läßt sich als einzige nur Siezen, die blöde Kuh. Die wartet wohl immer noch auf einen adäquaten Märchenprinzen, der sie endlich von diesem langweiligen Studium erlöst.

Mit diesen Gedanken betritt er als letzter den Seminarraum, alle sitzen bereits auf ihren Stühlen rund um den Seminartisch, jeder auf seinem Stammplatz. Es sind aber schon deutliche Lücken zu erkennen, denn die meisten Studenten sind schon im Urlaub.

Am Fenster steht Professor Burwitzky, ein profunder Kenner der Archäologie, Spezialist für die minoische Epoche Griechenlands, er ist bei seinen Studenten sehr beliebt. Trotz seiner 50 Jahre trägt er graues langwallendes Haar, raucht Pfeife, sein Temperament und seine Begeisterungsfähigkeit für die Archäologie und seine Studenten ist ungebrochen. Er lächelt Martin freundlich an, als er auf seinen Platz rutscht. Er legt sein Pfeifchen beiseite, es war ihm sowieso ausgegangen.

„Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute kommen wir zu unserem letzten Referat in diesem Semester. Herr Martin Hartung wird uns von der minoischen Ausgrabungsstätte Archanes berichten. Das wird bestimmt ein sehr interessanter Vortrag werden, nicht wahr, Herr Hartung?“

Martin grinst schief in die Runde, dann packt er entschlossen die Kiste mit den Dias auf den Tisch, sein Manuskript ist auch schon etwas angegriffen vom ewigen Blättern. Dann kann es jetzt ja losgehen.

„Aber bevor Herr Hartung beginnt, habe ich Ihnen noch viele Grüße von Professor Sakellarakis überbringen. Wie Sie wissen, hatte ich bei ihm einen Antrag für die diesjährige Grabungskampange in Archanes gestellt. Und stellen Sie sich vor, wir haben die Zulassung für zwei Studenten bekommen! Die Finanzierung steht also, das ist die Hauptsache. Der Brief kam erst gestern an, also gerade noch rechtzeitig vor dem Ende dieses Sommersemesters! Ich bin sehr glücklich darüber.

Lassen Sie uns also zuerst über die Auswahl reden. Weil Herr Hartung durch sein Referat der beste Kenner Archanes ist, habe ich ihn als ersten Teilnehmer ausgewählt. Ein zweiter Teilnehmer, beziehungsweise Teilnehmerin, pardon, meine Damen, muss noch gefunden werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass alle teilnehmen wollen, und in diesem Semester wurden auch sechs Referate gehalten, tja, wie können wir da entscheiden, wer dann als zweiter Teilnehmer nach Archanes fährt?“

Professor Borwitzky kratzt sich seinen Kinnbart und lacht verschmitzt in die Runde. „Ich schlage also folgendes vor, aber nur, wenn Sie damit einverstanden sind. Die Teilnahme wird unter den sechs Personen ausgelost, die im letzten Semester ein Referat gehalten hatten. Herr Hartung, hätten Sie noch etwas Zeit, damit wir diese Angelegenheit vor Ihrem Referat erledigen können, oder sollen wir dies nach Ihrem Referat erledigen? Ich habe nämlich im Hinterkopf, dass dann der zweite Teilnehmer Ihrem Referat nur noch aufmerksamer zuhören wird. Was denken Sie darüber?" Professor Borwitzky weiß genau, wie engagiert seine Studenten bei den Seminaren mitarbeiten, wenn am Schluss eine Belohnung winkt.

„Ich denke, alle werden auf Archanes neugierig sein, denn die Ausgrabung ist doch eine ganz große Sache", meint Martin ganz cool, aber das ist nur äußerlich, denn er ist schon so gespannt, wer mit ihm diesen Sommer auf Kreta verbringen wird. Denn die beiden werden sich fast zwei Monate gut vertragen müssen. Wird es der dicke, ungeschickte Erwin sein, der, grenzenlos ehrgeizig, schon im dritten Semester sämtliche Fachbücher mit Daten und Ereignissen auswendig weiß, oder wird es die schöne Silke Haase mit ihren langen blonden Haaren und ihren großen blauen Augen sein?

Bloß nicht die Trapper frau Christiane mit ihrem dicken Busen, das wäre eine Katastrophe. Wer hatte denn noch ein Referat gehalten? Ach ja, sein Freund Bernd, und ganz am Anfang war da noch das Fräulein Steffi mit ihren teuren Designerklamotten und dem zitronengelben Porsche, aber leider war ihr Vortrag über das mykenische Malia nicht besonders aufschlussreich gewesen. Mit der würde er am allerwenigsten nach Archanes fahren wollen, denn die würde sich bestimmt nicht schmutzig machen wollen.

„So, meine Damen und Herren, jetzt naht der Augenblick, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Ich habe in der Zwischenzeit sechs Zettel mit den Namen der Referierenden vorbereitet. Bitte, helfen Sie mir doch mal, die Zettel müssen zweimal geknickt werden, damit man nichts mehr lesen kann, und dann werden sie in diese Kiste gelegt. So. Fräulein Lehmann, Sie werden jetzt die Glücksfee sein. Bitte mischen Sie und ziehen Sie bitte einen Zettel."

Alles starrt gebannt auf Susanne Lehmann, die rote schon Flecken im Gesicht bekommt, weil sie die Schicksalsgöttin spielen muss. Sie ist noch ein bisschen schüchtern, kein Wunder, das waren sie alle im ersten Semester. „Bitte, Fräulein Lehmann, nun spannen Sie uns nicht auf die Folter, so sagen Sie uns nun, wen Sie gezogen haben."

„Es ist Silke Hamacher", flüstert sie mit hochrotem Kopf und starrt gebannt auf den Zettel.

„Hurra!", alle springen auf und beglückwünschen Silke, Martin atmet auf, Gott sei Dank, mit der wird er schon zurechtkommen. Sie redet zwar nicht besonders viel, und ein bisschen zu blond und zu schön ist sie auch, aber die wird wohl ein guter Kumpel sein. Und bei den Mitstudenten scheint sie ja ziemlich beliebt zu sein.

"RRRRuuuuuhhhheeee!" jetzt muss Professor Burwitzky einschreiten, sonst gerät das Seminar außer Rand und Band.

„Meine Damen und Herren, ich bitte jetzt um Ruhe. So, Herr Hartung, jetzt sind Sie dran, ich bin schon gespannt, was Sie uns über Archanes zusammengestellt haben. Wer schiebt die Dias? Ach ja, Herr Aßbach, Sie sind heute mal dran. Aber Sie wissen ja, so ein Dia hat 16 Möglichkeiten, gezeigt zu werden, und das wichtigste, immer schön scharf stellen!" Alle lachen, diesen Witz hören sie vor jedem Referat!

Martin erhebt sich, geht nach vorn ans Pult und sucht sich den langen Zeigestock. Conny Aßbach legt das Diaarchiv ein, der Projektor brummt los. „Wer löscht das Licht? Und da hinten, Fräulein Lehmann, da ist der Vorhang noch nicht ganz geschlossen, ziehen Sie doch nochmals dran. So, Herr Hartung, auf gehts!“ Martin beginnt zögernd, sein Manuskript braucht er nicht mehr, er kennt es inzwischen auswendig.

„Dia 1. Als erstes zeige ich Ihnen die Karte Kretas. Dort im Jouchtas-Gebirge liegt das Städtchen Archanes. Heute ist es das größte Weinbaugebiet Kretas.

Auf dem Dia 2 sehen Sie die Zeittafel. Kreta ist schon seit dem Neolithikum, also 5.000 v. Chr. bewohnt gewesen. Die zweite Epoche ist die Vorpalastzeit. Sie dauerte von 2.600 bis 2000 v. Chr. Die Insel wird von vielen fremden Völkern besucht und besetzt. Ihr Einfluss schlägt sich in der Bearbeitung von Metall, besonders Bronze, Gold nieder. Zu der Zeit gibt jetzt auch Keramik, Steinschneidekunst und Siegelschneidekunst. Und die Minoer entwickeln ihre erste eigene Schrift, Linearschrift A.

Die erste große Epoche des minoischen Kretas ist die Zeit der alten Paläste. Sie dauert von 2.000 - 1.700 v. Chr. Es werden die ersten riesigen labyrinthartigen Paläste von Knossos, Festos, Malia und Zakros erbaut. Hier zeigte sich die Macht, der Einfluss und der Reichtum dieser Epoche. Auch die Organisation des politischen, sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Lebens. Diese Epoche endete mit dem schrecklichen Erdbeben im Jahre 1700, vor Christus natürlich. Aber nicht für immer. An der Stelle ihrer Trümmer wurden bald neue Paläste errichtet, in deren Architektur sich die große Liebe der Minoer zur Natur äußert und ihre Sehnsucht nach einem Leben im Licht, nach einer heiteren Welt. Diese Periode nennt sich die Zeit der Neuen Paläste und dauerte von 1.700 - 1.400 v. Chr.. Dies ist die glänzendste Epoche Kretas.

Es gibt kleine und große Wohnungen, Säle, Magazine, Werkstätten Treppenhäuser und Korridore in labyrinthartiger Anordnung. Im Ostflügel wurden vier Stockwerke ausschließlich von der königlichen Familie bewohnt, während sich im Westteil der große Thronsaal befindet, der vollständig erhalten ist. Daneben befanden sich sakrale Räume, die beweisen, dass der König gleichzeitig auch der oberste Priester gewesen sein muss. Alle Säle des Palastes waren mit großartigen Wandmalereien geschmückt.

Wie wurde Archanes entdeckt und warum hatte man es ausgerechnet an dieser Stelle gefunden?

Eine alte kretische Legende sagte, dass sich auf dem Berg Juchtas das Grab des Zeus befindet. Das zog natürlich das Interesse vieler Forscher auf sich. Im jetzigen Dorf Archanes legte er eine gemauerte Rundquelle frei. Niemand glaubte damals an eine größere Entdeckung. Dort lag nach einem Mythos das Grab des Zeus.

Auf dessen höchstem Punkt, dem 1,5 Kilometer Luftlinie entfernten Pilic Korfu, befand sich ein Gipfelheiligtum. Weitere nahe Ausgrabungsstätten aus minoischer Zeit sind die wahrscheinlich zu Archanes gehörende Nekropole Phourni 950 Meter im Norden, von der ein vor Jahrtausenden angelegter gepflasterter Weg in Richtung Archanes führt, Anemospilia etwa 2,5 Kilometer nordwestlich und Vathypetro 3 Kilometer im Süden. Die Entfernung von Archanes zur Nordküste Kretas am Ägäischen Meer beträgt etwas über 11 Kilometer, auf halber Strecke bei 6,8 Kilometern liegt Knossos, das angenommene Zentrum der minoischen Kultur.

Erst ab 1964 wurden unter Jannis Sakellarakis und seiner Ehefrau Efi Sapouna-Sakellaraki Teile palastartiger Gebäude innerhalb von Archanes entdeckt, die alle Merkmale der Paläste von Knossos und Phaistos aufwiesen, wie Abmessungen, Orientierung, Architektur und die Verwendung wertvoller Baustoffe, Bauten, die sowohl Verwaltungs- wie auch Wohnzwecken dienten.

Nach dem heutigen Erkenntnisstand wurde der Palast von Archanes in der Altpalastzeit um 1900 v. Chr. errichtet. Darauf verweist aufgefundene Keramik im Kamares-Stil. In späteren Phasen wurden kleine Änderungen am Bauwerk vorgenommen, bis es um 1700 v. Chr. von einem Erdbeben zerstört wurde.

Aus der Zeit von 1700 bis 1500 v. Chr. (Mittelminoisch III) stammt ein 23,5 cm hohes, 31 × 29 cm großes tönernes Hausmodell aus Archanes, dessen moderne Rekonstruktion im archäologischen Museum in Iraklio ausgestellt ist.

Genauso müsste man sich ein komplettes Bürgerhaus vorstellen.

Nach dem Wiederaufbau und einer erneuten Zerstörung durch ein Erdbeben hundert Jahre nach dem ersten prosperierte die Palastanlage von 1600 bis 1450 v. Chr. in der Neupalastzeit. Kennzeichnend für diesen Kulturabschnitt sind der Meeres- und der Flora-Stil, von denen einige Keramikgefäße in Archanes gefunden wurden.

Nach 1450 v. Chr. kam der Palast von Archanes unter mykenische Herrschaft und erlebte eine letzte Periode des Wohlstands.

Viele Teile der prähistorischen Gebäude liegen unter dem heutigen Ort Archanes und sind ohne Abriss der vorhandenen Häuser nicht freizulegen. An vier anderen Stellen des Ortes, beispielsweise an der Kirche Agios Nikolaos, konnten weitere minoische Hinterlassenschaften entdeckt werden.

Die freigelegten Gebäudereste im Viertel Tourkogitonia, die ein Propylon, Heiligtümer, geräumige Säle und Treppenhäuser umfassen, zeigen die neupalastzeitlichen Strukturen des zentralen Teils der Palastanlage. Einige der Wände ragen noch bis auf zwei Meter Höhe auf und sind aus Werkstein-Mauerwerk errichtet.

Die relative Dicke der Wände gibt zu der Vermutung Anlass, dass das Gebäude mehrere, möglicherweise drei Geschosse besaß. An den Innenseiten der aus verschiedenen Steinarten errichteten Mauern waren oft Wandmalereien aufgebracht und mehrere Fußböden aus farbigem Mörtel hergestellt.

Der Palasthof befand sich an der Südostseite des Grabungsgeländes, wo ein Eingang zwischen zwei Säulen zu einer Plattform mit einem Altar führte. Die hier gefundenen Scherben von Kultgefäßen, Tierknochen und eine Ablaufrinne Richtung Südwesten für das Blut der Opfertiere und das Reinigungswasser bestätigen die Existenz einer Opferstelle zu kultischen Zwecken.

Im Raum westlich des Eingangs wurden heilige Utensilien, wie Gefäße und Opfertische, gefunden, die ursprünglich wohl in einem oberen Stockwerk standen. Die Obergeschosse des westlichen Sektors dienten vermutlich Wohnzwecken. Im Erdgeschoss, in den Mauern aus der Altpalastzeit, fanden sich Relikte aus mykenischer Zeit.

Die westlichsten Bereiche der Ausgrabungsstätte dienten wohl den Palastwerkstätten, da dort beispielsweise Töpferscheiben zu Tage traten. Der Fund eines Linear-A-Täfelchens führte hingegen zu der Annahme, dass sich im südöstlichen Teil des Palastzentrums das Archiv des Palastes befand, das durch mykenische und spätere Schichten zerstört wurde- Ein dortiger Raum enthielt auch Keramik und unbearbeitete Teile von Bergkristall, Obsidian und Speckstein, was auf eine Werkstatt hinweist.

Der 2010 verstorbene Jannis Sakellarakis hielt die Palastanlage insgesamt für nur wenig kleiner als den Palast von Knossos, womit der von Archanes der zweitgrößte Palast der minoischen Kultur gewesen wäre.

In den 50-iger Jahren untersuchten Platon und Marinatos das Gelände. Sie fanden hier und da Mauerreste, aber erste systematische Untersuchungen und Grabungen wurden seit 1964 von Efi und Ioannis Sakellarakis durchgeführt. Und sie stellten fest, dass unter dem ganzen Dorf Archanes ein gewaltiger minoischer Palast liegen muss. Natürlich konnte jetzt nicht das ganze Dorf Archanes abgerissen werden, aber die Teile, die bis heute freigelegt werden konnten, sind sehr eindrucksvoll. Repräsentative Räume mit Gängen aus sorgfältig behauenen Quadern mit Steinmetzzeichen und gepflasterte Höfe treten ans Tageslicht.

Es wurde unzählig viel Keramik aus dem Bereich Spätminoisch I, viele Kultobjekte, darunter auch Stierhörner aus Stuck, Altäre aus Stein, Dreifüße sowie Ton- und Steingefäße ausgegraben.

Nordöstlich von Archanes grub Sakellarakis 1964 die große Nekropole von Fourni aus. Hirten brachten ihn darauf, die in der alten Kuppel einer riesigen Grabanlage ihre Schafe hielten. Es war eine Sensation, denn es bedeutete, dass die bronzeitliche Nekropole von 2400 vor Chr bis 1400 v. Chr. ununterbrochen benutzt worden war. Es war ein zweigeschossiges Beinhaus, wo die Toten auf dem Boden oder in Phitoi, das sind große Tongefäße, und in Kistensarkophagen bestattet wurden. Hier wurden hunderte von Menschenschädeln gefunden.

Die interessantesten Grabbeigaben waren Kykladenidole, Siegel, Schmuck und Alabaster-gefäße. Neben der großen Nekropole gab es sogar auch einen Tierfriedhof. Zahlreiche Hundeskelette waren in den Eingang der Nekropole eingemauert. Das heißt, dass bei den Totenritualen auch immer wieder Tiere geopfert wurden.

Das Tholosgrab A ist genau wie das Schatzhaus des Atreus in Mykene aufgebaut. Der innere Basisdurchmesser ist 4,31 m, der Scheitel der Kuppel ist 5 m hoch, der Eingang ist 2,60 hoch und von einem riesigen Architravstein überdeckt. Der Zugang ist nach Osten ausgerichtet, zur aufgehenden Sonne hin. Auf dem Boden lag das Skelett eines Pferdes, dessen Knochen nachträglich aufeinander-gelegt waren. Das Grab war unversehrt, also nicht geplündert worden. Im Eingangsbereich steckte ein riesiger Stierschädel, der wahrscheinlich zu Ehren des Toten geopfert worden war.

Es wurden weiterhin viele Bronze- und Tongefäße und zahlreiche Grabbeigaben wie goldene Siegelringe, Goldschmuck, Haarspiralen und Reste eines wunderbaren Schemels ausgegraben, deren Griffe von zwei Männerköpfen mit Eberzahnhelmen gebildet werden. Sakellarakis glaubt, dass hier eine Frau von hohem Rang, vielleicht sogar eine Priesterin, bestattet worden war. Man fand von dem Skelett nur zwei kleine Knochensplitter, leider zu wenig für eine Gen- oder Knochenanalyse, um das Geschlecht feststellen zu können.“

„Stopp, jetzt machen wir erst mal eine kleine Pause. Vielen Dank, Herr Hartung, das war bis hierher ein sehr gutes Referat." Das Licht geht an, alle blinzeln ins helle Licht, einige haben vielleicht ein bisschen geschlafen. Fenster auf, eine Raucherpause. Professor Burwitzky stopft bedächtig seine Pfeife. Als der Tabak einigermaßen brennt und das Pfeifchen qualmt, sagt er schmunzelnd: „Ach, ich habe noch eine kleine Überraschung für Sie. Fräulein Silke, würden Sie mir mal gerade helfen?"

Aus seinen verbeulten Aktentaschen zieht er zwei große zwei Literflaschen kretischen Rotwein und eine große Rolle Pappbecher hervor. Alle Studenten greifen zu und schnell steht vor jedem ein voller Weinbecher. „So, damit Sie schon mal wissen, wie kretischer Wein schmeckt, der stammt direkt von Archanes. Chairetai, also auf Ihre Gesundheit, und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit in diesem Semester. Es war mir ein Vergnügen."

Alle trinken bedächtig den starken Wein. Er schmeckt nach Erde, nach Sonne und ein bisschen süß. Ach, wie schön müsste es sein, jetzt sofort nach Kreta zu fliegen, in die Sonne. „So, Herr Hartung, jetzt gehts uns gut, und da werden Sie uns wahrscheinlich den letzten Teil, über den Sensationsfund von Anemospilia, berichten. Danach folgt noch eine kleine Diskussion, und dann haben wir dieses Sommersemester geschafft. Bitte beginnen Sie.“

Das Licht geht wieder aus. Das Dia zeigt einen bewachsenen Hügel, nichts Besonderes. Das soll eine Weltsensation gewesen sein? „Also, im Jahre 1979 begannen Efi und Jannis Sakellarakis in Anemospilia, der Höhle des Windes, einen minoischen Tempel auszugraben. Die Ausgrabung wurde in nur einer einzigen Sommerkampagne durchgeführt und brachte ganz sensationelle Funde. Der freigelegte Tempel bestand aus drei Räumen mit einem im Norden vorgelagerten Korridor. Davor befand sich wahrscheinlich ein heiliger Bezirk. Das Bauwerk war infolge einer Naturkatastrophe zusammengestürzt und hatte gebrannt. Das kann man aus den umliegenden Resten rekonstruieren.

Auf dem Fußboden des Korridors fand man das Skelett eines Mannes, der von den zusammenstürzenden Mauern erschlagen worden war. Vor diesem Skelett lag ein wunderbarer, aber zerbrochener Kamareskrug, der mit einem rot-weiß gepunkteten Stier, der in einem Blütenmeer steht, reliefartig geschmückt ist. in diesem Korridor wurden mehr als 150 solcher Krüge gefunden.

Nun wandten sich Efi und Joannis Sakellarakis dem mittleren Raum zu, da sie vermuteten, er wäre der wichtigste des Gebäudes gewesen. An der südlichen Wand fanden sie Reste eines monumentalen hölzernen Götterbildes und in dem Raum selbst über 400 Gefäße.

Der westliche Raum überraschte die Archäologen von Anfang an. Zuerst fand man überhaupt nichts. Erst, als man auf das Fußbodenniveau kam, entdeckten sie in der Südwestecke ein Menschen-Skelett und dann weitere zwei Skelette, die zu einem Mann und einer Frau gehörten, die von herabfallenden Mauern erschlagen worden waren.

Aber das dritte Skelett gab den Ausgräbern aber Rätsel auf. Sie glaubten zuerst, dass es sich um ein Tierskelett handelt, da es auf einem Altar lag. Und dann fanden sie einen 40 cm langen Bronzedolch, der zwischen den Knochen steckte. Man zog Anthropologen und Gerichtsmediziner zu Rate. Ja, auf dem Altar lag das Skelett eines ungefähr 18-jährigen, 1,65 m großen jungen Mannes. Er war gefesselt und lag auf der Seite, der Kopf zeigte nach Süden. Die Analyse ergab, dass der junge Mann durch einen Stich in die Halsschlagader verblutet war. Er war also wie ein Stier geopfert worden. Die Knochen im unteren Bereich waren schwarz verbrannt, d.h., das restliche Blut sackte zurück in den Körper, der danach verbrannte. Das hätte sogar für eine heutige gerichtsmedizinische Untersuchung gereicht. Was war passiert?

Die Sakellarakis interpretierten es folgendermaßen: „Eine fürchterliche Erdbebenkatastrophe bahnte sich an, täglich grollte die Erde. Die Priester versuchten, wie es damals üblich war, die Gottheit mit Opfern zu besänftigen. Aber als die Erdstöße immer schlimmer wurden, griff man zum letzten Mittel: man opferte das Kostbarste, das Leben eines Menschen! Vielleicht war das Opfer ein Priester oder ein junger Prinz, der die Insignien des sterblichen Vegetationsgottes trug? Solche Menschenopfer waren in der minoischen Zeit absolut unüblich gewesen.

Das Opfer wurde von dem etwa dreißigjährigen, 1,80 m großen Priester durchgeführt, dessen Skelett direkt neben dem Altar lag und der achtundzwanzigjährigen Priesterin. Der Priester trug einen Ring aus Eisen, der in der Bronzezeit wertvoller als Gold war, und man fand an seiner Hand ein Halbedelsteinsiegel, das einen Mann zeigt, der ein Boot vorwärtsstakt.

Der Mann im Korridor war wahrscheinlich auf der Flucht, oder wollte gerade das Opferblut der Gottheit im Mittelraum darbringen, als der ganze Palast zusammenstürzte und die Holzteile in Flammen aufgingen und ihn unter sich begruben.

Aber auch dieses letzte Opfer war umsonst gewesen. Mit dieser Naturkatastrophe ging die gesamte minoische Kultur unter, niemand weiß, wie viele Menschen damals zugrunde gingen, wie viele vorher noch flüchten konnten, und was danach passierte. Nur die archäologischen Ausgrabungen mit ihren Funden können uns Aufschlüsse darüber geben, was damals alles wirklich passierte, denn fragen können wir keinen mehr. Das war mein Vortrag, ich hoffe, dass alles verständlich war. Gibt es noch irgendwelche Fragen?“

Das Licht geht wieder an, die Vorhänge werden aufgerissen, das helle Tageslicht strömt durch die Fenster. Das war der letzte Vortrag in diesem Semester. Alle klatschen. „Herr Hartung, das war ein erstklassiger Vortrag! Vielen Dank, dass Sie uns einen so hervorragenden Beitrag zur minoischen Geschichte geleistet haben! Und Sie, meine Damen und Herren, Sie werden bestimmt noch viele Fragen an Herrn Hartung haben. Die Diskussion ist eröffnet! Sie erlauben doch, dass ich mir ein Pfeifchen anstecken kann, dann fühle ich mich etwas gemütlicher!“ meint Professor Burwitzky schmunzelnd.

Dann beginnt eine lange, lebhafte Diskussion, denn es gibt so viele Fragen zu diesem Thema.