Bruchlandung im Glück - K. B. Stock - E-Book

Bruchlandung im Glück E-Book

K. B. Stock

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Der Notfallchirurg u. Psychologe Dr. Jonas Korte arbeitet im Jahr 2016 als Profiler beim Bayerischen LKA. Als er dazu beiträgt, Anführer eines Münchner Mafia-Clans zu verhaften, wird seine Ehefrau bei einem Anschlag ermordet und er selbst schwer verletzt. Nach der Genesung ändert der verwitwete Arzt seine Lebensweise radikal. Er quittiert den Polizeidienst und bezieht mit seiner Tochter den früheren Bauernhof einer Erbtante. Dort beginnt er eine neue Karriere als Fachbuchautor und baut sein Anwesen zur Gästepension um. Zudem stellt er sich dem Klinikum Traunstein zeitweise als Hubschraubernotarzt zur Verfügung. Drei Jahre nach dem Tod seiner Frau lernen Jonas und seine inzwischen 10-jährige Tochter Katie im Juli 2019 die Anwaltsgehilfin Jessica kennen, die auf der Kampenwand ihrem Paragliding-Hobby nachgeht. Katie bittet die junge Frau sofort, ihr das Gleitschirmfliegen beizubringen. Als Jonas Familie am darauffolgenden Sonntag den Flug der hübschen Gleitschirmpilotin beobachtet, stürzt Jessica Winter völlig überraschend in der Nähe seines Anwesens ab. Jonas gelingt es, die Schwerverletzte zu retten u. obwohl er sich zunächst dagegen wehrt, verliebt er sich schon bald in die immer noch anschlaggefährdete Frau. Denn wie sich nach der kriminaltechnischen Untersuchung herausstellt, wurde ihre Ausrüstung sabotiert. Da offensichtlich ein Zusammenhang mit der Ermordung seiner früheren Frau besteht, entschließt sich Jonas, vorläufig wieder in seinem alten Beruf als Kriminalpolizist zu arbeiten. Als Jessys Kanzleichef Dr. Böhm aufgrund von Verstrickungen in Mafiageschäfte festgenommen wird, stellt Jonas sein neugebautes Reha-Ressort einem trinationalen Europol-Team als Interimsstützpunkt zur Verfügung. Trotzdem erfolgt ebendort im Advent 2019 ein neuer Anschlag. Die nachfolgenden Ermittlungen führen zu ersten Festnahmen in Bayern, Österreich u. Italien - danach kehrt einige Monate lang Ruhe ein. Doch dann wird im Mai 2020 Jonas Tochter Katie von der Mafia entführt ...

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1Mord oder Unfall?

Kapitel 2Drei Jahre zuvor

Kapitel 3Ende und ein neuer Anfang

Kapitel 4Geänderte Lebensplanung

Kapitel 5Ein ereignisreicher Julisonntag

Kapitel 6Ungewöhnlicher Rettungseinsatz

Kapitel 7Notoperation in letzter Minute

Kapitel 8Befragungen und Analysen

Kapitel 9Vorläufige Ermittlungsergebnisse

Kapitel 10Tage im Koma

Kapitel 11Reha-Wochen in Schleching

Kapitel 12Zwei Dickköpfe im Clinch

Kapitel 13Erste Fahndungserfolge

Kapitel 14Die Kanzlei Böhm und Partner

Kapitel 15Unglaubliche Verstrickungen

Kapitel 16Zeit des Wartens

Kapitel 17Durchwachsene Resultate

Kapitel 18Neue Risikoanalyse

Kapitel 19Hochzeit mit Hindernissen

Kapitel 20Die kirchliche Trauung

Kapitel 21Ein unvergesslicher Geburtstag

Kapitel 22Die Entführung der Katharina Korte

Kapitel 23Der Kerker im Mädchenpensionat

Kapitel 24Flucht mit dem Gleitschirm

Kapitel 25Das Finale

NachwortMünchen im Februar 2020

Namensverzeichnis der handelnden Personen

Impressum

Copyright © 2020 by K. B. Stock, München

Verlag: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

ISBN: 978-3-750279-60-5

Anmerkung des Verfassers:

Handlung und Personen dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten oder Namensgleichheiten mit tatsächlichen Ereignissensowie lebenden Personen oder Organisationen sind zufällig und daherin keiner Weise beabsichtigt.

Titelabbildung Einband:

„sailing-paragliding-4030550_1920.jpg“

Quelle: www.pixabay.com

Bruchlandung im Glück

Ein romantischer Kriminalroman

von K. B. Stock

Zum Inhalt:

Der Notfallchirurg u. Psychologe Dr. Jonas Korte arbeitet im Jahr 2016 als Profiler beim Bayerischen LKA. Als er dazu beiträgt, Anführer eines Münchner Mafia-Clans zu verhaften, wird seine Ehefrau bei einem Anschlag ermordet und er selbst schwer verletzt. Nach der Genesung ändert der verwitwete Arzt seine Lebensweise radikal. Er quittiert den Polizeidienst und bezieht mit seiner Tochter den früheren Bauernhof einer Erbtante. Dort beginnt er eine neue Karriere als Fachbuchautor und baut sein Anwesen zur Gästepension um. Zudem stellt er sich dem Klinikum Traunstein zeitweise als Hubschraubernotarzt zur Verfügung.

Drei Jahre nach dem Tod seiner Frau lernen Jonas und seine inzwischen 10-jährige Tochter Katie im Juli 2019 die Anwaltsgehilfin Jessica Winter kennen, die auf der Kampenwand ihrem Paragliding-Hobby nachgeht. Katie bittet die junge Frau sofort, ihr das Gleitschirmfliegen beizubringen.

Als Jonas Familie am darauffolgenden Sonntag den Flug der hübschen Gleitschirmpilotin beobachtet, stürzt Jessica Winter völlig überraschend in der Nähe seines Anwesens ab. Jonas gelingt es, die Schwerverletzte zu retten u. obwohl er sich zunächst dagegen wehrt, verliebt er sich schon bald in die immer noch anschlaggefährdete Frau. Denn wie sich nach der kriminaltechnischen Untersuchung herausstellt, wurde ihre Ausrüstung sabotiert.

Da offensichtlich ein Zusammenhang mit der Ermordung seiner früheren Ehefrau besteht, entschließt sich Jonas, vorläufig wieder in seinem alten Beruf als Kriminalpolizist zu arbeiten. Als Jessys Kanzleichef Dr. Böhm aufgrund von Verstrickungen in Mafiageschäfte festgenommen wird, stellt Jonas sein neugebautes Reha-Ressort einem trinationalen Europol-Team als Interimsstützpunkt zur Verfügung. Trotzdem erfolgt ebendort im Advent 2019 ein neuer Anschlag.

Die nachfolgenden Ermittlungen führen zu ersten Festnahmen in Bayern, Österreich u. Italien - danach kehrt einige Monate lang Ruhe ein. Doch dann wird im Mai 2020 Jonas Tochter Katie von der Mafia entführt ...

Vom Autor K. B. Stock bisher beim Verlag www.epubli.de erschienen:

Die Erben der Larojaner (03/2015)

Band 1 SF-Reihe

Aufbruch nach LARO 5 (08/2015)

Band 2 SF-Reihe

Planet der Sklaven (07/2016)

Band 3 SF-Reihe

Kampf um SANTOR, Teil 1 (12/2017)

Band 4, Teil 1 SF-Reihe

Die Firma des Piloten (12/2015)

Krimi

Die Liga der Paladine (12/2016)

SF-Krimi

Im Wirbelsturm der Gefühle (03/2017)

Kanadakrimi

Abenteuer in Oregon (02/2018)

Abenteuerkrimi aus den 50er-Jahren

Kampf um Santor, Teil 2 (07/2018)

Band 4, Teil 2 SF-Reihe

Angriff aus dem Cyberraum (02/2018)

Krimi

Das ANDROMEDA-Projekt (08/2019)

Band 5 SF-Reihe

Kapitel 1Mord oder Unfall?

Es war ein sonniger Samstagvormittag im Juli 2019. Der erfahrene Arzt Dr. Jonas Korte saß im gläsernen Wintergarten seines erst vor drei Jahren bezogenen kleinen Landhauses und frühstückte, während seine inzwischen 10-jährige Tochter Katharina nach ein paar hastig gelöffelten Cornflakes und einem Glas Milch lieber mit ihrem Golden Retriever Henry auf der an die Terrasse angrenzenden Streuobstwiese herumtollte.

Genauso wie die dazugehörenden, ehemals landwirtschaftlich genutzten Gebäude war das hübsche im bayerischen Stil erbaute Haus Teil eines Bauernhofs am Ortsrand der Gemeinde Schleching im Landkreis Traunstein, den seine verstorbene Tante Magda bis zu ihrem Ableben bewirtschaftet hatte. Bevor sie schließlich im Jahr 2014 an einem Krebsleiden verstarb, hatte sie das gesamte Anwesen – in Ermangelung eigener Kinder und weiterer Verwandter – samt allen Tieren und Nutzflächen ihrem einzigen Neffen vermacht.

Und obwohl sich der zu dieser Zeit mit seiner jungen Familie in einer Traunsteiner Eigentumswohnung lebende Dr. Korte damals gar nicht so recht vorstellen konnte, irgendwann einmal so abgelegen zu wohnen, kam ihm das leerstehende alte Haus nach dem familiären Schicksalsschlag, den er vor nunmehr über drei Jahren erlitten hatte, als privater Rückzugsort gerade recht.

Während Jonas langsam seinen Kaffee austrank und den Vögeln sowie den summenden Insekten in den Apfelbäumen und auf der blumenbestandenen Wiese lauschte, kamen ihm gerade wieder die grausamen Unfallbilder hoch, die er wohl zeit seines Lebens niemals vergessen würde.

Doch noch ehe er weiter darüber nachdenken und wieder einmal in nachhaltige Trauer um seine dabei umgekommene Frau versinken konnte, kam ihm seine lebhafte Tochter zuvor.

„Guck mal, Paps – Henry kann schon wieder ein neues Kunststück“, meinte sie, als sie einen Tennisball in die Höhe warf, den der Retriever noch ehe er wieder den Boden berührte, mit einem gewaltigen Satz aus der Luft schnappte.

„Ja, mein Schatz – du hast recht. Henry ist ein großartiger Akrobat. Und lernbegierig scheint mir dieser nette Hund auch zu sein. Ist doch super, dass er jetzt bei uns wieder seine Freiheit genießen darf und du dich mit ihm so gut verstehst.

Als wir ihn vor ein paar Wochen im Traunsteiner Tierheim abgeholt haben, konnten wir schließlich nicht ahnen, dass er sich so rasch in uns – und ganz besonders in dich verlieben würde.“

„Stimmt Papi – Henry ist halt ein ziemlich schlauer Hund. Nur ist er nicht bloß nett, sondern wirklich superlieb. Und ein megacooler Spielkamerad ist er auch.

Hast du übrigens die vielen Fallschirmflieger gesehen, die schon den ganzen Morgen mit diesen bunten Schirmen von da oben zu uns runter ins Tal segeln? Die finde ich auch ziemlich cool.“

„Ja, diese Leute sind ziemlich mutig. Richtig nennt man sie übrigens Paraglider oder auf gut deutsch: Gleitschirmflieger. Die machen das glaube ich deswegen hauptsächlich vormittags, weil dann die Thermik besonders gut ist. Wenn du möchtest, fahren wir am Sonntag mal mit der Seilbahn zur Kampenwand rauf und sehen uns den Platz an, von dem aus sie starten.“

Au ja, Papi – das würde mir sehr gefallen. Vielleicht kann ich ja dann auch ein paar von diesen Leuten kennenlernen und mal fragen, wo man dieses Paragliding lernen kann. Ich würde nämlich sowas auch mal gerne ausprobieren.“

„Das kannst du gerne tun, mein Herz – aber ich denke, dass du noch nicht groß genug bist, um bei denen mitzumachen. Schließlich muss man ja in die Anzüge reinpassen, mit denen diese Gleitschirmflieger in der Luft unterwegs sind.

Ich denke also, dass man ein bisschen älter sein muss, um das richtig lernen zu können. Und wie schon gesagt, eine passende Ausrüstung dafür braucht man auch. Die ist übrigens ziemlich teuer, aber ich glaube man kann die auch ausleihen.

Oder, falls man nur mal mitfliegen möchte, nehmen die einen ab einem bestimmten Alter auch schon mal huckepack mit. Außerdem musst du wissen, dass dieser Sport nicht ganz so ungefährlich ist, wie er auf den ersten Blick aussieht. Deshalb glaube ich, dass man viel üben muss, um unfallfrei ins Tal zu fliegen, so wie diese Leute das so elegant an jedem Wochenende tun.“

„Menno – und ich dachte, dass das alles viel einfacher ginge. Aber egal, dann warte ich halt noch ein bisschen. Schließlich will ich ja auf gar keinen Fall mit so einem Schwebedings verunglücken. Nachdem Mama und auch meine Omas und Opas schon gestorben sind, wärst du ja sonst ganz alleine – und das würde ich dir ganz bestimmt niemals antun.“

Und schon war die kleine Katie wieder mit ihrem Ball und ihrem Hund im dichten Gebüsch unter den blühenden Obstbäumen verschwunden. Die Tränen, die sich bei ihren letzten Worten in den Augen ihres Vaters gesammelt hatte, nahm sie deswegen auch gar nicht mehr wahr.

„Bloß gut, dass wir Henry zu uns genommen haben. Das hilft ihr anscheinend ein wenig über den Tod ihrer Mutter hinweg“, dachte Jonas Korte, als er sich wieder seinem Notebook zuwandte, um sich mit dem Schreiben des gerade von ihm begonnen Fachbuchs abzulenken.

Doch gerade heute fiel es dem approbierten Arzt und Psychologen Korte schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Stattdessen sinnierte er schon Minuten später zum wiederholten Male über die Geschehnisse nach, die ihm vor rund drei Jahren seine damals gerade mal 30-jährige Ehefrau Maria bei einem tödlichen Autounfall genommen hatten.

Und ebensolch ein Flashback übermannte ihn erneut, als er die letzten Worte seiner kleinen Katie noch einmal in Gedanken Revue passieren ließ, während sogleich die herrliche Umgebung um ihn herum allmählich in den grauenhaften Bildern der Vergangenheit verschwamm.

Kapitel 2Drei Jahre zuvor

An diesem verfluchten Freitag im Juli vor drei Jahren, an den Jonas Korte gerade zurückdachte, hatte der damals äußerst erfolgreiche Abteilungsleiter II des Bayerischen Landeskriminalamts nämlich mit seinem Profilerteam gerade den erfolgreichen Abschluss einer langwierigen Ermittlungsarbeit gefeiert, bei der es sich um die Verhaftung führender Mitglieder des organisierten Verbrechens drehte.

Aus diesem Grund hatte er auch schon mittags zuhause angerufen, um sich später von seiner lebenslustigen Ehefrau Maria in seiner Münchener Dienststelle abholen zu lassen.

„Wir haben schon ein bisschen was getrunken – und bis nach Traunstein kann ich keinen Dienstwagen mit Fahrer einsetzen. Ich wäre also sehr froh, wenn du mich heute Nachmittag im Büro abholen könntest. Was würden sonst die Kollegen denken, wenn sich der Herr Kriminaldirektor unter Alkohol ans Steuer setzt“, hatte er verschämt gemeint, als ihm seine Frau Maria auch schon lachend in die Parade gefahren war:

„Ich bin froh, dass du endlich mit deinem elenden Fall fertig bist und demnächst wieder mehr Zeit für uns hast. Klar komme ich dich abholen. Nur kann ich erst losfahren, wenn Katie aus der Schule kommt und gegessen hat. Vor 15:00 Uhr komme ich also hier nicht weg – und demnach bin ich frühestens gegen 16:30 Uhr bei euch an der Pforte.

Denk aber dran – im Moment hat die Feriensaison in einigen Bundesländern bereits angefangen. Im Radio haben sie eben zum wiederholten Male gesagt, dass die A8 zwischen Holzkirchen und München schon seit heute Vormittag dicht ist. Und stadtauswärts ist genauso starker Verkehr, der heute Nachmittag sicher noch zunehmen wird.

Ich beabsichtige daher, ab Holzkirchen die B13 zu nehmen und auf dem Rückweg machen wir das genauso. Kann also durchaus noch ein paar Minuten später werden, bis Katie und ich bei dir eintreffen. Aber keine Sorge, ich komme auf dem raschesten Weg zu dir.“

„Das wäre großartig, mein Schatz. Ich danke dir sehr, du bist die beste aller Ehefrauen – und grüß unseren kleinen Wildfang von mir. Ich kann’s kaum erwarten, euch beide wieder in meine Arme zu schließen.

Sag Katie, dass wir am Wochenende zu Tante Magdas Bauernhof fahren. Schließlich wollten wir ja mit ihrem Verwalterehepaar Mitzi und Peter Huber abklären, ob sie bereit wären, unsere Idee vom Umbau des Hofs in eine Frühstückspension mitzutragen und dort die Rolle der geschäftsführenden Bewirtschafter zu übernehmen.

Ich ruf gleich nachher mal bei Peter und Mitzi an, die freuen sich sicher ebenfalls, wenn wir uns endlich mal wieder persönlich bei ihnen blicken lassen. Katie liebt ja nicht nur die Berge, sondern vor allem das Versteckspielen in den inzwischen leerstehenden Ställen und Scheunen. Und das Grab meiner Tante sollten wir schließlich auch mal wieder besuchen.“

Nach einem kurzen „So machen wir das“ seiner Frau, war dies das letzte Telefonat gewesen, dass Dr. Jason Korte mit seiner über alles geliebten Maria geführt hatte. Denn seine Ehefrau starb an genau diesem Tag. Und Jonas, dem seine Freunde im Bayerischen LKA1 gleich zu Anfang den Spitznamen „Doktor Jo“ verpasst hatten, gab sich an dem grausamen Unfall nach wie vor selber die Schuld.

Vor allem, weil nicht nur seine Maria, sondern auch er selber und seine damals siebenjährige Tochter Katharina auf der Rückfahrt nach Traunstein in dem alten 5er-BMW Kombi gesessen hatten, als der furchtbare Zusammenstoß geschah. Denn schließlich war er es gewesen, der seine Frau dazu animiert hatte, ihn in seiner Dienststelle in der Maillingerstraße in München abzuholen.

Während Maria Korte auf dem Rückweg nachhause mit ihrem Fahrzeug durch die Ortschaft Holzkirchen fuhr, meinte sie: „Da vorne kenn‘ ich eine Abkürzung über das Holzkirchner Gewerbegebiet, über die ich auf dem Herweg bereits gefahren bin. Dort gibt’s übrigens auch einige Supermärkte, bei denen wir noch kurz anhalten und fürs Wochenende einkaufen können. Am Ende des Gewerbeparks kommen wir dann auf die B318 und können danach bei der Raststätte Holzkirchen direkt auf die Autobahn auffahren.“

Kurz danach fluchte Jonas Ehefrau laut: „Mist, jetzt habe ich vor lauter Quatschen die richtige Kreuzung verpasst – da hinten hätten wir nämlich nach links gemusst.“

„Ist doch nicht schlimm, mein Schatz – dann nehmen wir halt die nächste Kreuzung. Und zum Einkaufen kommen Katie und ich mit“, beruhigte Jonas Korte seine Frau sofort.

Doch soweit sollte es gar nicht mehr kommen. Denn als Maria Korte am späten Nachmittag dieses Julitages nach dem Linksabbiegen vor einem unbeschrankten Bahnübergang anhalten musste, wurde der von ihr gesteuerte BMW Touring von einem rücksichtslos auffahrenden Kieslaster von hinten gerammt und – trotz der rot blinkenden Warnsignale – auf die Gleise des Bahnübergangs geschoben.

An den krachenden Aufprall des von rechts auf ihr Auto zurasenden Regionalzugs der Oberlandbahn und das quietschende Zerreißen von Metall konnte sich Jonas Korte auch Jahre danach noch genau erinnern. Sein Wagen war dabei zum Glück nur wenige Meter mitgeschleift worden bevor er neben den Gleisen auf dem Dach gelandet war.

Als Jonas aus dem Wrack seines arg demolierten BMW herauskletterte und auf die völlig zerfetzte Fahrerseite zu kroch, konnte er aus dem Augenwinkel gerade noch das brutale Wendemanöver des an der Frontseite beschädigten blauen LKWs erkennen, mit dem sich dessen Fahrer von Unfallort entfernte. Und an das hämisch grinsende Gesicht des Fahrers, das er dabei noch kurz zu Gesicht bekam, würde er sich zeit seines Lebens erinnern.

Als sich Jonas Korte endlich auf die andere Fahrzeugseite vorgearbeitet hatte, war dem Arzt in ihm sofort klar, dass weder er noch irgendein Notarzt seiner aus vielen Wunden blutenden Ehefrau würde helfen können. Und das war genau der Zeitpunkt, an dem Dr. Jonas Korte mit einem verzweifelten Aufschrei völlig geschockt zusammenbrach.

Kapitel 3Ende und ein neuer Anfang

Nachdem Jonas Korte einen Tag nach dem schrecklichen Vorfall in der Notaufnahme des Universitätsklinikums Großhadern aus dem künstlichen Koma aufwachte, war seine bislang heile Welt reinste Makulatur. Zumindest war es nicht mehr die Welt, in der er noch in den letzten Monaten glücklich gelebt hatte.

Sein einziger Trost blieb dabei, dass seine siebenjährige Tochter Katharina den Crash auf ihrem Kindersitz im Fond seines Autos nahezu unbeschadet überstanden hatte. Gottseidank hatte Katie zum Zeitpunkt des Aufpralls geschlafen und deshalb von dem eigentlichen Unfallgeschehen nicht allzu viel mitbekommen, ehe sie von herbeigelaufenen Bewohnern der Ortschaft Holzkirchen aus den Trümmern des BMW befreit und in Sicherheit gebracht wurde.

„Wo ist meine Tochter? Geht’s ihr gut?“, hatte Jonas nach dem Aufwachen sofort den diensthabenden Stationsarzt gefragt. „Keine Sorge, Herr Dr. Korte – ihrer Tochter geht’s gut. Sie hat nur ein paar kleinere Beulen und Schnittverletzungen vom zerbrochenen Fensterglas ihres BMWs davongetragen. Wir haben sie versorgt und im Nachbarzimmer untergebracht und sie hat schon ein paar Mal nach Ihnen gefragt.

Wenn Sie mögen, bringe ich Sie nachher zu ihr rüber, sobald ich Ihre Lunge abgehört habe. Ich heiße übrigens Martin Brandner und mein Chefarzt, Professor List, will Sie später ebenfalls noch sehen.“

„Danke, Dr. Brandner. Weiß Katie schon, dass ihre Mama nicht mehr lebt?“, fragte Jonas Korte nervös, während der Stationsarzt seinen Brustkorb untersuchte und anschließend wieder mit einem festen Verband umwickelte.

„Nein, aber ich glaube, sie ahnt es. Das mit Ihrer Frau tut mir übrigens sehr leid. Aber selbst wenn der Rettungshubschrauber sofort zur Stelle gewesen wäre, hätte ihr niemand mehr helfen können.

Sie selber haben eine doppelte Brustwirbelfraktur erlitten – aber ihre Lunge ist offenbar unversehrt geblieben. Dennoch würde ich Sie gerne noch mindestens für einen Tag hierbehalten. Den Stützverband werden Sie allerdings noch eine ganze Weile tragen müssen. Als Mediziner wissen Sie ja selbst gut genug, dass man mit solch einer Brustprellung nicht spaßen darf. Und Ihre Tochter schieben wir heute Abend zu Ihnen in Ihr Zimmer rein.“

Wenige Minuten später schloss Jonas Korte seine weinende Tochter im Nachbarzimmer tröstend in beide Arme. „Ist Mami wirklich in den Himmel gegangen, Papi? Ich fühle nämlich, dass sie nicht mehr bei uns ist“, schluchzte sie.

„Ja, mein Schatz. Mami ist im Himmel und ich bin sicher, dass sie uns gerade von da oben zuschaut und sich sicher freut, dass wir den Autounfall gut überstanden haben“, erwiderte Jonas Korte mit leiser Stimme, ehe er sich ächzend neben ihr Bett kniete und ihr ins Ohr flüsterte:

„Wir sind nicht alleine, mein Liebling. Und ich werde ab sofort immer für dich da sein. Das verspreche ich dir. Meinen derzeitigen Beruf in München werde ich erstmal aufgeben, damit ich mich besser um dich kümmern kann. Wirst sehen, wir zwei kriegen das schon hin. Tut dir übrigens noch etwas weh?“

„Nein, Paps. Na ja, mein linkes Knie vielleicht noch ein bisschen. Ich mag aber eigentlich nicht noch länger in diesem Krankenhausbett liegen. Also von mir aus könnten wir gleich nachhause fahren. Aber sag mir mal, warum du kein Polizist mehr sein willst? Wenn du das machst, kann ich ja schließlich nicht mehr in der Schule mit meinem mutigen Papa angeben.“

Bei diesen schlichten Worten seiner Tochter stahl sich an dieser Stelle erstmals wieder ein kurzes Lächeln in die Augen von Jonas Korte, bevor er seiner Tochter antwortete.

„Wir werden sehen, mein Schatz. Wichtig ist jetzt erstmal, dass wir alle beide rasch wieder ganz gesund werden und dann sehen wir von Tag zu Tag weiter. Bis morgen werden wir jedoch noch hier im Krankenhaus bleiben müssen, mein Engel.

Aber wenn der nette Doktor Brandner und sein Chef uns beide morgen früh nochmal untersucht haben, fahren wir anschließend heim und dann gleich weiter zu Tante Magdas Bauernhof. Bis dahin schieben wir dein Bett zu mir herüber, damit es dir nicht zu langweilig wird.

Und wenn wir morgen Nachmittag in unserem zweiten Zuhause angekommen sind, sorgen wir dafür, dass Mamis Körper auf dem Friedhof neben Tante Magda beerdigt wird, damit wir sie dort jederzeit besuchen können.“

„Freut mich, dass Sie mich meine Untersuchungen zu Ende führen lassen, Herr Kollege. Ich denke, dass Ihre Tochter und Sie morgen hier rausdürfen. Soll ich Ihnen aber zuvor vielleicht noch einen Notfallseelsorger besorgen? Möglicherweise wäre in Ihrer augenblicklichen Situation zudem auch ein wenig psychologische Unterstützung für Sie und Ihre kleine Tochter nicht verkehrt.“

Doch Jonas Korte lehnte dieses Angebot mit den Worten: „Ist nicht nötig, ich bin selber Psychologe und hab‘ früher auch eine ganze Weile als Unfallchirurg im Schwabinger Klinikum gearbeitet“ ab. Doch sofort danach ergänzte er:

„Tut mir leid, Dr. Brandner, so harsch wollte ich das gerade gar nicht ausdrücken. Bis morgen früh muss ich ohnehin noch über so manches nachdenken. Denn das Leben von meiner Tochter und mir wird sich ab sofort einschneidend ändern müssen – nur weiß ich noch nicht, wie genau ich das anstellen soll. Und über dieses Thema muss ich mit meiner Katie möglichst schonend reden. Den Anfang davon haben Sie ja eben selber mithören können.“

„Verstehe, Herr Kollege. Falls Sie aber bis morgen früh noch irgendwas anderes brauchen, lassen Sie es mich oder die Stationsschwester wissen. Ich denke da zum Beispiel an Schmerzmittel, damit Sie heute Nacht besser schlafen können.“

„Danke, Dr. Brandner – sehr freundlich. Nur gibt es gegen meinen seelischen Schmerz noch keine Tabletten“, erwiderte Jonas Korte freundlich, denn seine schmerzhaften Prellungen und Rippenbrüche schienen ihm nicht der Rede wert zu sein, hatte er doch den größten Schatz seines bisherigen Lebens unwiederbringlich verloren.

***

Obwohl man den blauen LKW einige Tage später völlig ausgebrannt in einer stillgelegten Kiesgrube auffand, konnte die Polizei den Fahrer selbst in den darauffolgenden Monaten nicht ermitteln. Zwar stellte sich rasch heraus, dass der Laster kurz zuvor von einem Bauhof bei Ottobrunn entwendet worden war, jedoch blieben die genaueren Umstände des offensichtlich vorsätzlich herbeigeführten Zusammenpralls weiter im Dunkeln.

Dies war letztlich auch der Grund, weshalb Jonas Korte die anfängliche Unfalltheorie nach seiner Genesung immer mehr anzweifelte, wobei er in Gedanken immer wieder seine zuletzt bearbeiteten Fälle durchging.

„Leute, da stimmt doch was nicht. Das war kein Unfall, sondern sehr wahrscheinlich ein Racheakt dieser Mafia-Clan-Mistkerle, die wir erst vor kurzem hinter Gitter gebracht haben“, hatte er am Tag nach dem Unfall zu den Kripobeamten gesagt, die ihn ausgiebig zu seinen Wahrnehmungen vor und während des vermeintlichen Racheakts befragten.

„Außerdem habe ich den LKW-Fahrer kurz sehen können, ehe er Fahrerflucht beging. Und so, wie der gegrinst hat, ist es eindeutig, dass er uns mit voller Absicht von hinten gerammt hat.“

Und im gleichen Tenor ging er seiner unmittelbaren Vorgesetzten, Polizeivizepräsidentin Viktoria Mayer bei deren Besuch in der Klinikschon am nächsten Vormittag auf die Nerven.

„Scheiße – und wofür das alles? In spätestens zehn bis maximal fünfzehn Jahren sind diese Arschlöcher doch ohnehin wieder frei! Außerdem wurden ja nur drei dieser Figuren verurteilt. Die beiden anderen Angeklagten hat das Gericht ja dank ihrer spitzfindigen Rechtsverdreher aufgrund gekaufter Alibis freilassen müssen. Somit hat es also nur das Führungstrio des zur Spitze des Münchener organisierten Verbrechens zählenden Eisbergs erwischt.

Ich bin mir daher auch sehr sicher, dass es da draußen, außer den zwei freigesprochenen Verbrechern, noch eine ganze Reihe weiterer Krimineller gibt, die jetzt an die Stelle des verurteilten Trios treten werden und denen wir bislang nur noch nichts Handfestes nachweisen können. Wobei es mir schon klar ist, dass ich möglicherweise genau deshalb das Ziel dieses Anschlags geworden bin.“

„Komm erst mal zur Ruhe, Jonas. Das was geschehen ist, ist schrecklich – und ich trauere mit dir um deine Frau. Immerhin habe ich deine Maria ja ebenfalls gut gekannt. Und auch ich glaube nicht, dass das gestern nur ein tragischer Unfall war.“

Als sich die LKA-Vizepräsidentin wieder von ihm und seiner Tochter verabschiedete, sagte sie leise:

„So, mein lieber Doktor, jetzt hör mir mal gut zu. Du bist nicht nur ein hervorragend geschulter Kriminologe, sondern auch mein bester Profiler. Wir werden in dieser Sache weiter ermitteln – darauf hast du mein Wort.

Auch wenn der Brand an diesem gestohlenen LKW alle Fingerabdrücke und DNA-Spuren vernichtet hat, werden wir den Tod deiner Gattin nicht als gewöhnlichen Unfall, sondern als vorsätzlichen Mord behandeln. Doch du gehst jetzt erstmal in bezahlten Sonderurlaub und kümmerst dich um deine kleine Tochter. Das hat Vorrang vor allem anderen.“

Aus dem mehrwöchigen Sonderurlaub war etliche Monate danach eine Teilkündigung seiner bisherigen Dienstanstellung geworden. Künftig wollte Dr. Jonas Korte somit nur noch als zeitweiser Berater und Dozent für das LKA tätig sein. Denn bei all seinen Überlegungen würde zukünftig das Wohl und die Erziehung seiner Tochter im Fokus seines Handelns stehen.

Darüber hinaus wusste Jonas Korte als Psychologe und Arzt natürlich sehr genau, dass er an einer PTBS2 litt, die sich nicht einfach von heute auf morgen überwinden lassen würde. Und deshalb änderte er seine bisherige Lebensplanung komplett – vor allem, weil er versuchen wollte, seiner Tochter Katharina ein immer ansprechbarer und guter, wenn auch alleinerziehender Vater zu sein.

Kapitel 4Geänderte Lebensplanung

Drei Jahre waren seit dem entsetzlichen Schicksalsschlag vergangen, der den Arzt und Psychologen Jonas Korte zum Witwer gemacht und ihn als alleinerziehenden Vater einer inzwischen 10-jährigen und ziemlich quirligen Tochter zurückgelassen hatte.

In diesen drei Jahren hatte er seine vormalige Lebensweise radikal umgekrempelt. Seine frühere Eigentumswohnung in Traunstein hatte er inzwischen verkauft, weil ihn dort viel zu viel an seine verstorbene Frau erinnerte. Aus diesem Grund war er unmittelbar nach dem Unfall nur noch ein einziges Mal in der alten Wohnung gewesen, um seine und Katies persönliche Sachen von dort abzuholen.

Von dem erzielten Verkaufserlös hatte er den geerbten Bauernhof seiner Tante in der Gemeinde Schleching anschließend von örtlichen Handwerkern schon bald darauf zu einer in den letzten Monaten gut gebuchten Frühstückspension umgestalten lassen.

Zusätzlich hatte Jonas Korte vor rund einem Jahr damit begonnen, die ehemaligen Stallungen des früheren Bauernhofs in einen an die Pension angeschlossenen Heil- und Wellnessbereich umzubauen, wobei er selber mit seiner Katie in ein kleines Nachbargebäude auf dem Areal eingezogen war.

Dass Jonas und seine Tochter bereits seit dem Umzug von Traunstein von Anfang an direkt neben der Frühstückspension wohnen konnten, hatte sich dabei als unschätzbarer Vorteil erwiesen, weil er auf diese Weise seine Ideen realisieren und beim Umbau selber mit Hand anlegen konnte.

Damit hatte er erreicht, dass die Pensionseinnahmen mittlerweile den Grundstock für seinen Lebensunterhalt lieferten, zu denen in einigen Monaten hoffentlich auch noch die Einkünfte aus dem Wellnessgeschäft hinzukommen würden. Denn das Erbe seiner 2001 ums Leben gekommenen Eltern wollte er vorerst nicht anfassen, sondern für die Ausbildung seiner Tochter Katharina reservieren.

Zur Aufstockung seiner Bezüge und um stets nahe bei seiner Tochter zu sein, hatte er zudem mit dem häuslichen Schreiben von fallanalytischer Fachliteratur begonnen, die sich im Kreis der in Ausbildung befindlichen Profiler mittlerweile ziemlich erfolgreich verkaufte.

Außerdem hatte Jonas Korte im letzten Jahr dem Wunsch seiner früheren Chefin Viktoria Mayer nachgegeben und ein paar Mal als zeitweiliger Berater bei besonders kniffligen Kriminalfällen ausgeholfen.

Dies geschah jedoch stets unter größter Geheimhaltung, weil Jonas nach wie vor als Ziel möglicher Racheakte galt, der noch dazu den Überfall von vor drei Jahren mit Blick auf die laufenden Täterermittlungen weiterhin analysierte. Deshalb trat er im LKA in München offiziell stets auch nur als Dozent bei angeblichen Weiterbildungsveranstaltungen auf.

Bei Jonas dritter Einkommensquelle hatten seine Wurzeln als früherer Unfallmediziner eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. So erinnerte er sich inzwischen wieder gerne an seine frühere Tätigkeit im Notfallzentrum Schwabing, was letztendlich auch der Grund dafür gewesen war, dass er sich dem Klinikum Traunstein auf Anfrage für jeweils eine oder zwei Wochen im Vierteljahr als fliegender Notarzt des dort stationierten Rettungshubschraubers Christoph 14 zur Verfügung stellte.

Das funktionierte aber nur, weil sich seine früheren Hofverwalter Mitzi und Peter Huber, die den inzwischen zur Gästepension umgebauten Bauernhof seit dessen Eröffnung als Wirtsleute führten, dazu bereit erklärt hatten, während seiner Notarztdienstzeiten auf Jonas Kortes Tochter Katharina aufzupassen.

Katharina, die nach einer überraschend kurzen Pause mittlerweile die 4. Klasse der Grundschule Schleching besuchte, liebte dieses von ihrem Vater getroffene Arrangement ganz außerordentlich. Vor allem, weil sie dadurch, nach Erledigung ihrer täglichen Hausaufgaben, des Öfteren auf dem benachbarten Bauernhof von Peter Hubers Bruder Alois und dessen Frau Gretel aushelfen und spielen durfte.

***

Als Jonas Korte an dem besagten Julimorgen seiner mit ihrem Hund spielenden Tochter hinterherschaute, besann er sich nach seinem unvermeidlichen Flashback irgendwann wieder auf seine gedanklichen Anti-PBTS-Übungen. Dazu gehörten in erster Linie die bewusst herbeigerufenen Erinnerungen an glücklichere Zeiten seiner Vergangenheit.

Dr. Jo, wie ihn seine Freunde und Kollegen in der Notaufnahme des Schwabinger Krankenhauses in der Frühzeit seiner beruflichen Tätigkeit stets scherzhaft genannt hatten, hatte sich von Anfang seiner Assistenzarztzeit an als brillanter Mediziner erwiesen, der sich gleich nach dem Studium seine ersten Meriten im nervenaufreibenden Notfallzentrum des Schwabinger Klinikums in München verdiente.

Nur seiner über alles geliebten Maria, die er während seines ergänzenden Studiengangs der Psychologie an der Münchener LMU3 kennen und lieben gelernt hatte, war es zu verdanken, dass er diese anfangs manchmal ziemlich anstrengende und daher zuweilen frustrierende Assistenzzeit durchgestanden hatte.

„Danke, dass du mich immer wieder aufrichtest, mein Schatz – ohne dich würde ich nach so einem Scheißtag in meiner Arbeit überhaupt nicht mehr runterkommen“, hatte Jonas Korte an einem Freitag erklärt, als er seine Freundin spätabends endlich in die Arme schließen konnte.

„Na, na, Herr Doktor – du wirst mir doch jetzt nicht schlappmachen. Für das versprochene Abendessen außer Haus im Kreis unserer früheren Kommilitonen ist es jetzt zwar schon ein bisschen zu spät, aber wir können doch auch zuhause speisen, ehe wir nachher miteinander ins Bett gehen“, hatte ihm seine Maria mit einem Augenzwinkern geantwortet.

„Ich hatte mir den heutigen Abend zur Feier unserer Doktorwürde als frischgebackene Psychoklempner zwar vollkommen anders vorgestellt, aber sei’s drum.

Da wir nach diesem Abschluss so etwas sicher noch öfter durchmachen müssen, werde ich jetzt halt bei unserem Lieblingsitaliener eine Familienpizza für uns beide bestellen.“

Doch die eigentliche Überraschung kam erst, als die rothaarige Maria den von dem Pizzaboten gelieferten Pappkarton öffnete.

„Pfui Deibel, da hat dein Pizzabäcker Mario aber mal so richtig danebengelangt. Oder was soll ich von dieser blauen Schachtel halten, die er da in die Mitte meiner Pizza platziert hat?“

„Ich muss dir jetzt was beichten, mein Liebling. Ich hab‘ heute eigentlich gar keine Überstunden gemacht, sondern bin stattdessen vorhin noch kurz bei Mario gewesen. Und die kleine Schachtel auf deiner Pizza stammt von mir.

Hat mich ‘ne ganze Menge an Überredungskunst gekostet, bis er bereit war, deine Pizza so zu verunstalten“, meinte Jonas Korte, als er die blaue Schachtel vom Teller seiner Freundin entfernte und vor Maria auf die Knie ging.

„Oh mein Gott – oh mein Gott, was wird das denn jetzt?“, rief Maria atemlos, als ihr Freund das Schächtelchen in die Hand nahm und ihre linke Hand ergriff.

„Maria, mein Schatz – ich habe mich vom ersten Augenblick an in dich verliebt. Und ohne dich will ich künftig nicht mehr durchs Leben gehen. Deshalb frage ich dich hier und heute im Angesicht dieser auf meine Anordnung verunstalteten Pizza – willst du mich heiraten?

Ich hab‘ hier außerdem noch ein Kärtchen und einen Stift vorbereitet. Darauf stehen schon die Antwortmöglichkeiten: „Ja“, „Vielleicht“ und „ich muss mir das noch überlegen“. Musst also nur noch das Passende ankreuzen.“

„Schmeiß die blöde Karte weg und steck mir endlich diesen wunderschönen Ring an meinen Finger – denn meine Antwort lautet: Ja, mein geliebter Jo – ja, und nochmals ja – das will ich, und wie ich das will. Komm mit mir nach nebenan in unser Schlafzimmer. Ich will dir nämlich gleich mal zeigen, wie sehr ich mit deinem wundervollen Antrag einverstanden bin.“

Damit packte Maria ihren Frischverlobten kurzerhand um die Hüfte, küsste ihn heftig und zog ihn gleich danach hinter sich her. „Aber unser Abendessen – was wird damit?“, stotterte Jonas verblüfft.

„Unsere Pizzen sind eh schon kalt – die können wir auch später nochmal aufwärmen. Denn jetzt hab‘ ich auf ganz was anderes Hunger, wenn du verstehst, was ich meine“, gurrte Maria ihren Verlobten jetzt an, während sie ihren Smaragdring auffordernd vor das Gesicht ihres Geliebten hielt.

***

Zwei Monate später waren die beiden ehemaligen Studienkollegen verheiratet und ein knappes Jahr danach wurde ihr privates Glück durch die Geburt ihrer Tochter Katharina gekrönt. Schon während Marias Schwangerschaft hatte sich Jonas Korte einen neuen und zugleich weniger zeitaufreibenden Job gesucht.

Dachte er jedenfalls, als er gleich nach der Geburt seiner Tochter ein Stellenangebot als Profiler und psychologischer Berater beim Bayerischen LKA annahm und seine Anstellung als Notfallchirurg aufgab. Denn ein weniger zeitaufwendiges Berufsleben war alles, was sich Jonas jemals zuvor für die Zukunft seiner kleinen Familie erträumt hatte.

***

Als Jonas Korte allmählich sein Nachdenken über die freudigeren Erlebnisse aus vergangenen Jahre beendete und sich das begonnene Kapitel seines in Arbeit befindlichen neuen Sachbuchs noch einmal durchlas, fing er gleich danach an zu lächeln, ehe er wieder wie wild auf die Tasten seines Macbooks einhämmerte.

„Es ist wichtig, dass die künftigen Kollegen endlich von Erfahrung geprägte Ausbildungsgrundlagen erhalten. Dass ich damit inzwischen ganz gut verdiene, ist dabei sekundär. Aber es ist einer der Wege, um Katie eine von Liebe und Wohlstand geprägte Jugend zu ermöglichen.“

Bei diesen Überlegungen fiel sein Blick auf seinen Nachbarn Alois, den Bruder von Peter Huber, der mit seinem roten Traktor auf der Wiese nebenan seit einer guten Stunde das hochstehende Gras mähte. Als Alois Huber kurz darauf seinen Traktor abstellte und für eine Pause zu ihm auf seine Terrasse herüberkam, begrüßte er ihn und bot ihm zugleich eine Limonade zur Erfrischung an.

„Limonade trinke ich nur, wenn unsere Brauereien kein Bier mehr im Fass haben. Und das ist meines Wissens momentan noch nicht der Fall – hast du also vielleicht ein Frischgezapftes für mich übrig? Zur Not nehme ich aber auch eine Flasche Weißbier“, meinte Alois Huber lachend, als er sich neben Jonas an den Gartentisch setzte.

„Klar – schließlich ist das hier ja sowas ähnliches, wie ‘ne Gastwirtschaft“, grinste Jonas seinen Freund und Nachbarn umgehend an. „Kannst du mal zu Mitzi ins Haus gehen und Alois ein Flasche Bier aus unserem Kühlschrank bringen?“, fragte er seine herbeigeeilte Tochter Katie, als sie ihrem zeitweisen Pflegeonkel artig die Hand gab und sogleich auf ihren Hund deutete.

„Mach ich, Paps. Aber danach will ich Onkel Alois Henrys neueste Kunststücke vorführen, okay?“

„Einverstanden – und jetzt ab mit dir“, erwiderte Jonas Korte, als er sich wieder seinem Gast zuwandte und fortfuhr: „Es ist schön, Katie wieder so glücklich zu sehen. Ich denke, dass meine Entscheidung, so oft wie möglich bei ihr zu sein, der beste Weg für uns beide war, unseren tragischen Verlust zu verarbeiten.

Und deshalb bin ich dir und deiner Gretel auch sehr dankbar, dass ihr meine Katie während meiner zeitweisen Abwesenheiten so manches Mal zu euch auf den Bauernhof nehmt. Vor allem, wenn Mitzi und Peter keine Zeit haben, weil sie mit den vielen Pensionsgästen beschäftigt sind.

Ich hätte nie gedacht, dass meine Frühstückspension so gut einschlagen würde. Mittlerweile bildet sie nämlich – neben meiner Autorentätigkeit – meine Haupteinnahmequelle, denn zum Landwirt tauge ich nun mal wirklich nicht. Deshalb bin ich dir ja noch immer dankbar, dass du Tante Magdas Tiere übernommen und ihre Nutzflächen gepachtet hast.“

„Das war doch selbstverständlich – und was deine bäuerlichen Fähigkeiten angeht, da hast du wohl recht, Alter. Aber Milchwirtschaft und Heumähen ist auch wichtig“, meinte Alois, während er auf seinen auf der benachbarten Wiese abgestellten Traktor deutete.

„Sonst hätten meine Kühe ja im Winter nichts zu fressen und die gute Hofmilch für deine Katie und deine Gäste könnte ich dir dann auch nicht an jedem Tag verkaufen.

Apropos Katie – ich finde du machst deine Sache als alleinstehender Vater ganz ausgezeichnet. Schau sie dir nur an – deine kleine Tochter ist glücklich hier, auch wenn ihr dieser scheußliche Unfall noch so manches Mal nachgeht.“

„Ein Unfall war das nicht, sondern ein Anschlag auf mich. Und den hätte ich verhindern müssen. Warum zum Teufel habe ich bloß an diesem Scheißtag nicht – wie schon so oft zuvor – in München übernachtet?“, fragte Jonas Korte sofort, während er sich verzweifelt die Haare raufte.

„Du wolltest endlich zurück zu deiner Familie – immerhin warst du ja zuvor fast zwanzig Tage am Stück weg von daheim – hast du mir jedenfalls neulich im Bräustüberl nach der dritten Maß Bier erzählt“, entgegnete Alois im selben Augenblick, während er das inzwischen von Katie gebrachte eisgekühlte Bier an seine Lippen setzte.

Als er im Anschluss die neuen Kunststücke von Katies Golden Retriever pflichtschuldigst bewundert und gelobt hatte, meinte Alois Huber nach einer Weile:

„So – ich muss dann mal wieder weitermähen. Wer weiß, wie lange uns das gute Wetter noch erhalten bleibt, ehe es heute Abend das nächste Sommergewitter gibt. Habe die Ehre – und danke für das gute Bier. War genau das, was ich in meiner Pause gebraucht habe.“

„Keine Ursache, Alois. Und sag‘ mir, wenn ich dir später beim Heueinfahren auf deinen Bergwiesen helfen soll. Soweit ich weiß, machst du das ja in diesem schrägen Gelände immer noch von Hand. Ein bisschen körperliche Arbeit hilft mir schließlich auch dabei, meine Pfunde in Grenzen zu halten. Außerdem ist Schwitzen ja ausgesprochen gesund.“

„Tja, Maschinen sind für die Arbeit am Berg leider noch nicht erfunden. Und danke, ich werde kommende Woche auf dein freundliches Angebot zurückkommen. Bin schließlich der einzige Bauer in der Gemeinde, der seinen Kühen erzählen kann, dass ihnen ein richtiger Arzt das Heu gewendet und in ihre Scheune gebracht hat“, meinte Alois Huber lachend, als er sich wieder in Richtung seines Schleppers entfernte.

Doch dann drehte er sich noch einmal um und rief Vater und Tochter zu: „Wie wäre es, wenn ihr beide am Sonntagnachmittag zum Kaffeetrinken zu uns rüberkommen würdet? Meine Gretel bäckt nämlich Sonntagfrüh ihren berühmten Zwetschgendatschi – und Kakao für Katie gibt es auch.“

„Au ja – das wäre fein. Ich liebe Tante Gretels Kuchen. Papa bitte, sag Onkel Alois, dass wir kommen“, rief die kleine Katie sofort.

„Okay, okay, mein Schatz. Aber denk dran, dass wir vormittags noch rauf zur Kampenwand zu den Gleitschirmfliegern wollen. Aber bis zum Nachmittagskaffee sollte sich ein Besuch bei Gretel und Alois einrichten lassen. Vorausgesetzt du bedankst dich bei unserem Nachbarn sogleich für die nette Einladung.“

„Jaja – natürlich. Danke für die Einladung, Onkel Alois! Wir kommen ganz sicher!“, brüllte sie dem davonschreitenden Landwirt hinterher, als der daraufhin grinsend und mit einem Daumen nach oben wieder auf seinen Traktor kletterte.

Kapitel 5Ein ereignisreicher Julisonntag

Am nächsten Morgen gab es beim Frühstück zunächst einmal eine Vater-Kind-Diskussion im Hause Korte. „Nöh, Papa – ich will nicht schon wieder mit in die Frühmesse gehen. Da ist es immer so langweilig“, meinte Katie zu ihrem Vater, als der auch schon vehement seinen Kopf schüttelte.

„Nix da – du kommst mit mir. Schließlich wollen wir ja anschließend noch das Grab deiner Mama und deiner Tante besuchen. Ein paar frische Blumen für sie habe ich bereits besorgt. Und ein bisschen Unkraut jäten und neue Kerzen aufstellen müssen wir ebenfalls, wobei ich gehofft hatte, dass du mir dabei hilfst.“

„Na gut, das wusste ich ja nicht. Und natürlich helfe ich dir mit dem Verschönern von Mamas Grab. Aber danach fahren wir gleich rüber nach Aschau und dann mit der Kampenwand-Seilbahn zum Startplatz der Gleitschirmflieger. Versprochen?“

„Genauso machen wir das, mein Schatz. Und ehe wir aufbrechen, ziehst du dich noch ein wenig wärmer an. Da oben auf dem Berg ist es nämlich auch in dieser Jahreszeit deutlich kälter, als hier bei uns unten im Tal.“

***

Nachdem Kirchgang und der Besuch an den Gräbern ihrer Mutter und ihrer Tante Magda absolviert waren, kamen Vater und Tochter gegen 11:00 Uhr auf der Bergstation der Kampenwandseilbahn an.

„Schau hin, da vorne stehen schon ein paar von den Fliegern“, rief Katie sofort, als sie sich an der Hand ihres Vaters dem unmittelbar benachbarten Paragliding-Startplatz neben der Gipfelstation der Bergbahn näherte.

„Darf ich mal zu denen hingehen und mit ihnen reden?“

„Ich denke, dass die Leute sich über dein Interesse an ihrem Sport freuen werden. Also ja, frag sie ruhig – aber bitte bleib dabei höflich, okay?“

„Alles klar, Papi – dann lass uns mal zu diesen Fliegern rübergehen. Ich bin schon sehr gespannt darauf, was sie mir erzählen werden.“

Kurz darauf standen Vater und Tochter vor einer jungen Frau im hellblauen Flugoverall, die sich gerade auf den Start vorbereitete. Während sie ihre Ausrüstung gewissenhaft überprüfte, ging die kleine Katie mutig auf sie zu.

„Darf ich Sie etwas fragen – oder störe ich Sie bei Ihren Flugvorbereitungen?“, flüsterte Katharina zaghaft, als sie sich der unmittelbar vor ihr stehenden und in ihrer enganliegenden Fliegerkombination ausgesprochen hübsch anzusehenden Sportlerin jetzt noch weiter näherte.

„Natürlich, kleine Lady. Was möchtest du denn gerne wissen?“ „Na ja, wenn ich größer bin, würde ich gerne auch mal lernen, wie man mit so einem Schirm durch die Luft zu fliegt. Ich heiße übrigens Katie und wohne mit meinem Papa drunten in Schleching.“

Damit deutete Katharina auf den lila- und gelbfarbenen Gleitschirm, den die junge Frau bereits auf dem Boden ausgebreitet hatte und dessen Fangleinen sie gerade kontrollierte.

„Du scheinst mir ungewöhnlich couragiert zu sein, kleine Katie. „Aber das ist gut, denn das ist nämlich eine der Grundvoraussetzungen für diesen Sport. Ich heiße übrigens Jessica Winter und ich habe schon mit 16 Jahren in der Süddeutschen Gleitschirmschule in Unterwössen das Paragliden erlernt. Wie alt bist du eigentlich?“

„Ich bin erst zehn und wechsele im nächsten Jahr in die 5. Klasse eines Gymnasiums. Da ich in der neuen Schule ziemlich viel lernen muss, heißt das wohl, dass ich noch ein bisschen abzuwarten habe, bis ich auch so elegant wie du durch die Lüfte gleiten kann“, meinte Katharina Korte ein bisschen enttäuscht.

„Nicht unbedingt, Katie. Wenn du noch zwei Jahre zuwartest und meinen Einweisungslehrgang im übernächsten Frühjahr hier oben auf der Kampenwand besuchst, dann dürftest du mich bei einem Tandemflug begleiten. Natürlich nur, falls dir deine Eltern die Teilnahme erlauben.

Und wenn dir das gefällt könntest du mit sechzehn selber das Fliegen bei mir erlernen. Ich habe nämlich auch ‘ne Berechtigung als Fluglehrerin. Wäre das für dich eine Option?“

„Das wäre ja superklasse, Jessica. Und bis dahin lese ich mir alles durch, was ich im Internet über das Gleitschirmfliegen finden kann. Versprochen!“, rief Katie ihrer neuen Bekannten begeistert zu.

„Sehr gut, dann sind wir uns ja einig. Aber jetzt will ich endlich zur Talstation in Aschau runterfliegen. Wir sehen uns sicher wieder, Katie – und nimm deinem Papi bis dahin die Angst. So, wie er mich gerade zweifelnd anschaut, kann ich nur hoffen, dass er uns beide irgendwann mal zusammen fliegen lässt.

Übrigens starte ich am späten Nachmittag noch einmal. Wenn ihr bis dahin wieder daheim in Schleching seid, könnt ihr meinen Gleitschirmflug zur Landezone in Aschau dann für eine gewisse Zeit vom Tal aus bewundern.“

„Das machen wir, Jessica. Und vielen Dank für die Infos. Wir sind zwar heute Nachmittag in der Nachbarschaft zum Kuchenessen eingeladen, aber auch von Onkel Alois Hof aus können wir euch Gleitschirmflieger ganz gut beobachten. Zumindest, bis ihr zur Talstation der Bergbahn in Aschau abdreht.“

„Schön, dann will ich mal weitermachen, Katie. Ach so – und nenn mich bitte künftig Jessy, weil das alle meine Freunde so machen. Heute Nachmittag bin ich beim nächsten Start übrigens mit einem Kollegen aus meiner Firma unterwegs, der bisher erst 10 Flugstunden hinter sich gebracht hat. Und da er von mir noch was lernen will, werdet ihr also gegen 15:00 Uhr zwei Schirme sehen, die von hier aus in Richtung Aschau ins Tal segeln.“

„Danke Jessy. Ich werde am Nachmittag ganz bestimmt gut aufpassen – ein Fernglas habe ich ja schließlich auch. Naja, eigentlich hat mein Paps so ein Ding, das er mir aber bestimmt ausleiht. Und jetzt schau ich dir zu, wie du startest, okay?“

„Aber lauf mir bitte nicht hinterher und komm nicht zu nahe an die Bergklippe – da vorne ist es nämlich ziemlich gefährlich. Ich freue mich schon darauf, dich und deinen Vater irgendwann mal wiederzusehen.“

Damit schlüpfte Jessica Winter in das bereitliegende Gurtzeug ihres Schirms, verzurrte es mit einem nochmaligen Blick auf ihren am Arm befindlichen Höhenmesser und nahm gleich darauf das Ende der am Boden ausgelegten Steuerleinen in beide Hände, ehe sie mit einem Juchzen in Richtung der Klippe losrannte und kurz darauf mit ihrem vom Wind aufgeblähtem Gleitschirm von der Bergkante abhob.

„Das ist so toll Papa. Hast du gesehen, wie elegant Jessy gerade abgeflogen ist. Wenn man das ordentlich lernt, ist das bestimmt auch nicht gefährlich. Und ich verspreche, dass ich das erst machen werde, wenn ich ganz genau weiß, wie man das richtig hinbekommt – okay?“

„Wir werden sehen, Katie. Wäre sicher schön, wenn wir deine neue Freundin bald mal wiedertreffen würden. Willst du noch hierbleiben, oder fahren wir jetzt mit der Seilbahn wieder runter ins Tal, damit du ihren zweiten Flug heute Nachmittag beobachten kannst?“, fragte Jonas Korte, während er sich die von der eng anliegenden Pilotenkombi verdeckte attraktive Figur der jungen Frau noch einmal in Erinnerung rief.

„Klar Papi – immerhin müssen wir ja noch was zum Mittagessen spachteln und dann suchst du mir bitte dein Fernglas heraus, damit ich Jessy bei ihrem zweiten Flug zuschauen kann. Außerdem wird’s mir – trotz meiner dicken Strickjacke – auch mittlerweile ein bisschen zu kalt hier oben.“

***

Nach dem in Mitzi Hubers Pensionsküche genossenen Mittagsmahl und einer Partie Mensch-ärgere-dich-nicht sowie einer Partie Mau-Mau machten sich Jonas und seine Tochter mit dem Golden Retriever Henry gegen 14:00 Uhr zu Fuß zum benachbarten Hof von Mitzis Schwager Alois auf.

„Kommt rüber in meinen Garten, dort hat Gretel bereits unter unserem großen Kirschbaum eingedeckt. Bei dem warmen Juliwetter brauchen wir uns schließlich nicht ins Haus reinzusetzen. Außerdem sind Katie und Henry sicher froh, wenn sie vor dem Kaffeetrinken noch ein bisschen draußen herumtollen dürfen, ehe wir meinen beiden Pferden den obligatorischen Besuch abstatten“, wurden sie von ihrem Gastgeber Alois Huber begrüßt.

„Auh fein, Onkel Alois – und danke für die Einladung. Soll ich dir erzählen, wo wir heute Morgen schon alles gewesen sind?“

„Aber klar, Katie. Bin schon ganz neugierig zu hören, was ihr heute bereits erlebt hat“, grinste der Landwirt das kleine Mädchen jetzt an, während er zugleich die Hand seines still vor sich hinlächelnden Nachbarn schüttelte. „Aber warte noch bis Gretel und mein Max aus der Küche kommen. Die beiden sind sicher auch daran interessiert, was du zu berichten hast.“

Kurz drauf traten Gretel und ihr ebenfalls 10-jähriger Sohn Max Huber aus dem hübschen Bauernhaus heraus. „Schön, dass ihr schon da seid. Mein Zwetschgendatschi braucht noch ungefähr ‘ne Dreiviertelstunde und bis dahin können wir Erwachsenen ja noch ein wenig ratschen.“

„Super, ich hole meinen Fußball – oder willst du dir lieber zuerst mal mein neues Baumhaus angucken?“, fragte Max seine Schulkameradin umgehend. Seine Freundin Katie, mit der er bei ihren zeitweisen Aufenthalten schon öfter die gemeinsame Freizeit verbracht hatte, meinte dazu:

„Das wäre prima, Max. Aber zuallererst muss ich euch noch von unserem heutigen Ausflug zum Startplatz der Gleitschirmflieger oben auf der Kampenwand berichten. Und danach zeigst du mir dein Baumhaus – das will ich mir unbedingt anschauen.“

„Okay, Katie – dann erzähl mal“, beeilte sich Max zu sagen, als Katie auch schon zu reden anfing:

„Also, mein Papa und ich sind nach der Messe heute Morgen mit der Seilbahn dort hinaufgefahren und hatten Gelegenheit mit einer Gleitschirmfliegerin zu sprechen. Sie heißt übrigens Jessica Winter und will mich in zwei Jahren mal bei einem Tandemflug mitnehmen. Natürlich nur, wenn mir mein Papa das erlaubt.

Und wenn ich erst mal sechzehn bin, will sie mir das Gleitschirmfliegen richtig beibringen, damit ich nach einer Prüfung auch mal alleine fliegen darf. Sie ist nämlich auch Fluglehrerin, müsst ihr wissen. Nachher gibt sie noch einem Arbeitskollegen ‘ne Flugstunde und wir können ihr von hier unten zugucken. Gegen 15:00 Uhr startet sie mit ihrem lila Fallschirm wieder runter nach Aschau, hat sie uns gesagt.“

„Dann müssen wir uns beeilen, denn es ist bereits viertel vor drei. Kommt, wir gehen alle zusammen auf meine Wiese rüber. Von dort aus kann man die Gleitschirmflieger am besten beobachten, sobald sie vom Startplatz bei der Kampenwand abheben“, meinte Alois Huber mit einem verhaltenen Lächeln. „Aber zuerst hole ich noch mein Fernglas, in Ordnung?“

„Ich hab‘ meines schon dabei“, erwiderte Katie prompt, während sie auf ihre mitgebrachte Umhängetasche zeigte.

„Mann oh Mann Paps, da sind ja auch noch die Pralinen drin, die wir Tante Gretel wegen ihrer netten Einladung zum Kuchenessen als Dankeschön schenken wollten. Hättest mich ja ruhig mal daran erinnern können“, fügte sie dann noch altklug hinzu, als sie die Schachtel aus ihrer Tasche kramte und ihrer Gastgeberin überreichte.

„Danke Katie, das ist wirklich sehr aufmerksam von euch“, entgegnete Gretel Huber freundlich, ehe sie zu ihrem Ehemann sagte: „Loisl, bitte nimm die Pralinen mit rein ins Kühle – hier draußen werden sie bei diesen Temperaturen sonst noch zu lauter Schokoladenbrei.“

***

Als die beiden Familien wenig später auf der bereits gemähten Wiese neben dem Bauernhof ankamen, segelten schon etliche Gleitschirmflieger in der klaren Luft dieses ausgesprochen sonnigen Sommertages ihrem Ziel in Aschau entgegen.

„Da, der lila Schirm mit den gelben Rändern und der schwarzblau gestreifte daneben – ich glaub‘ das sind sie. Jessy und ihr Flugschüler meine ich“, rief die kleine Katie, während sie sofort wieder ihren Feldstecher hochnahm und weiter beobachtete.

Nach einer kleinen Weile schrie Katie entsetzt auf. „Papi schau doch mal – ich glaube da stimmt was nicht mit Jessys Schirm. Sie hängt plötzlich so schräg in ihrem Gurtzeug.“

„Du hast recht. Mir kommt das auch nicht normal vor“, knurrte Jonas Korte, während er jetzt durch das von Katie angereichte Fernglas starrte.

„Ich seh sie auch – mein Gott, der lila Schirm steht ja fast hochkant in der Luft ... und jetzt – ach du liebe Zeit – jetzt fängt die Springerin zu trudeln an. Sieht fast so aus, als wenn sie hier bei uns in Schleching zu landen versucht, während der schwarzblaue Schirm soeben nach rechts abgedreht hat und weiter in Richtung Aschau fliegt.

Außerdem kommt eure Jessy viel zu schnell runter“, brüllte Alois Huber, der die ungewöhnliche Szene ebenfalls mit seinem Fernglas beobachtete, jetzt mit lauter Stimme.

„Das wird wahrscheinlich eine schlimme Bruchlandung werden. Ich ruf sofort die Rettung und die Feuerwehr an. Passt auf, wo genau sie aufsetzt“, sagte Gretel Huber, ehe sie auch schon zum Telefonieren ins Haus rannte.

Als sie wieder zurückkam, hüpfte Katie in ihrem bunten Sommerkleidchen mit schwenkenden Armbewegungen wie wild über die freie Wiese. Und kurz darauf schlossen sich auch ihr Freund Max und die drei Erwachsenen an, um die Gleitschirmfliegerin auf diese alternative Landemöglichkeit aufmerksam zu machen.

„So ein Mist – wie’s aussieht haben sich ihre linken Fangschnüre gelöst. Ein paar von denen hält sie jedoch noch mit ihrer Hand fest“, schrie Jonas Korte in dem Moment, in dem er noch einmal durch sein Fernglas schaute.

„Ich glaub‘ sie hat uns gesehen. Ja, jetzt versucht sie anscheinend, den Schirm in unsere Richtung zu drehen. Aber sie hat immer noch viel zu viel Tempo drauf“, knurrte Alois Huber ganz aufgeregt, als der unvermeidbare Crash auch schon passierte.

Anstatt auf der Wiese zu landen, krachte die junge Gleitschirmfliegerin just in diesem Moment nämlich entsetzt schreiend in den riesigen Kirschbaum, in dessen Schatten die zwei Familien noch vor wenigen Minuten an der gedeckten Kaffeetafel gesessen hatten.

Während die Beobachter zurück zu dem hohen Baum rannten, rief Jonas Korte sofort: „Sie ist in den oberen Astgabeln hängengeblieben. Alois hol deinen Traktor – den mit dem Frontlader meine ich. Wir müssen sie schnellstens von dort oben herunterbekommen.“

Dann wandte er sich an seine Tochter und sagte: „Und du, mein Schatz, läufst ganz schnell nachhause und holst mir meine Arzttasche aus meinem Büro. Du weißt ja, wo du die findest.“

„Kannst mein Fahrrad nehmen – und ich nehme das von meinem Papa und begleite dich“, ließ sich jetzt ihr Schulkamerad Max vernehmen, als er auch schon Katie bei der Hand nahm und mit ihr seinem Vater zur Maschinenhalle des Bauernhofs hinterhereilte.

„Bleiben sie ruhig, gute Frau – Hilfe ist bereits unterwegs“, rief Gretel Huber der jetzt nur noch leise vor Schmerzen wimmernden Gestalt zu, die mit verrenkten Gliedmaßen samt den zerfetzten Resten ihres Fluggeräts in ihrem mächtigen Kirschbaum hing.

Minuten später hielt Alois Huber seinen Traktor kurz vor dem mächtigen Stamm des altehrwürdigen Kirschbaums an. Als er gerade aus seinem Fahrersitz springen wollte, kam bereits die von seiner Frau alarmierte Freiwillige Feuerwehr Schleching mit ihren beiden Einsatzfahrzeugen unter Blaulicht und Sirene auf dem Bauernhof an.

Deren Kommandant lief sofort auf Alois und Jonas zu und schaute sogleich nach oben, wo die offensichtlich Verletzte in rund 15 Metern Höhe inzwischen reglos in den Resten ihres Gurtzeugs hing.

„Fahr deinen Schlepper weg, Alois – deine Frontschaufel reicht nicht bis da oben hin. Wir bergen die Person lieber mit unserer Leiter.“ Sofort drehte er sich zu seinen Leuten um und rief: „Wir brauchen unseren Leitersatz und zur Sicherheit noch unser Sprungtuch. Und macht die pneumatische Rettungstrage klar. Ausführung Männer, gebt Gas, es pressiert!“

„Gleich darauf wandte sich der Gruppenführer der Feuerwehr an Jonas Korte und meinte trocken: „Wie ich sehe, kommen dir deine Patienten inzwischen direkt in deine Arme geflogen. Aber Spaß beiseite, das dort oben sieht sehr schlimm aus. Die Verletzte blutet aus mehreren Schnittwunden, das sehe ich schon von hier unten aus.“

„Hast recht, Sepp, das ist mir ebenfalls schon aufgefallen. Ich hoffe nur, dass der von Gretel angeforderte Krankenwagen bald bei uns eintrifft.“

„Könnte aber noch dauern. Von der Leitstelle habe ich auf der Herfahrt erfahren, dass die Rettungswägen und Notärzte aus der Umgebung gerade so ziemlich alle zur A8 bei Frasdorf unterwegs sind. Da hat’s vor ‘ner halben Stunde eine Massenkarambolage mit vielen Verletzten gegeben. Deshalb ist es gut, dass du für die Erstversorgung hier vor Ort bist, verehrter Doktor. Keine Sorge, wir werden das Kind schon gemeinsam schaukeln.“

„So ein Mist!“, fluchte Dr. Korte umgehend los. Dann fasste er sich wieder und sagte mit ruhigerer Stimme: „Holt mir die junge Frau nur rasch, aber trotzdem vorsichtig von da oben runter und nehmt einen Stiffneck4 mit rauf. Möglicherweise hat sie bei dem Aufprall in der Baumkrone ja auch ein Halswirbeltrauma davongetragen. Und vergesst eure Kappmesser zum Durchschneiden der Leinen und Gurte nicht.“

„Wir sind allesamt ausgebildete Feuerwehrleute und nicht von den Pfadfindern“, gab der Anführer der Feuerwehrleute Sepp Leitner jetzt ein bisschen vergrätzt zurück. „Das weißt du doch von unseren früheren gemeinsamen Einsätzen her.“

„Ist schon gut, Sepp – entschuldige bitte. So hab‘ ich das grad nicht gemeint. Und ich ruf‘ gleich mal im Klinikum Traunstein an und frage, ob deren Rettungshubschrauber zur Verfügung steht. Wenn mich nämlich nicht alles täuscht, hat sich die junge Frau da oben zudem eine Astspitze in den linken Oberschenkel gerammt.

Könnte ‘ne Schlagaderverletzung sein. Von der kommt wahrscheinlich auch das viele Blut, dass von da oben auf uns heruntertropft. Sag also deinem Frontmann auf der Leiter, dass er diese Stelle oberhalb der Wunde zuallererst mit einem provisorischen Druckverband abbinden muss, ehe er den Ast möglichst weit weg von der Verletzung abschneidet.“

Kapitel 6Ungewöhnlicher Rettungseinsatz

Während die komplizierte Bergeaktion im Anschluss gewohnt routiniert ablief, telefonierte Jonas Korte bereits seit etlichen Minuten mit der Rettungsleitstelle des Unfallklinikums Traunstein.

„Hallo Leute, hier spricht Dr. Korte. Ich habe hier bei mir zuhause in der Gemeinde Schleching am Tiroler Achen eine schwerverletzte Gleitschirmfliegerin, die gerade von der hiesigen Feuerwehr aus einem hohen Baum geborgen wird.

Anscheinend offene Arterienverletzung am Oberschenkel in Kombination mit einem möglichen HWS-Syndrom. Könnt ihr mich mal zum diensthabenden Notarzt unseres Rettungshelis durchstellen? Wir brauchen hier nämlich so schnell wie möglich die Unterstützung unseres Christoph 14, sonst hat meine Patientin keine Chance.“

„Jonas bist du das? Ich bin’s, Hans. Muss dich leider enttäuschen. Hier ist momentan die Hölle los. Ich bin erst vor wenigen Minuten mit den letzten Unfallopfern von der A8 am Klinikum gelandet und mein Notarzt operiert gerade selber, weil die hier im Augenblick jeden verfügbaren Chirurgen brauchen. Deshalb ist mein hübscher roter Vogel seit gut einer Viertelstunde gegroundet – und das ist auch der Grund, warum ich als Pilot im Augenblick in der Funkzentrale mithelfe.“

„Hab‘ bereits von dem Massenunfall auf der A8 gehört, Hans. Wie mir die hiesige Feuerwehr gesagt hat, ist es mit ‘nem Rettungswageneinsatz aus dem gleichen Grund ebenfalls Essig. Aber ich habe da eine andere Idee.

Du holst dir jetzt die nötige Flugfreigabe, packst dir den diensthabenden Rettungssanitäter und bewegst deinen Hintern mit deinem Heli hierher zu mir nachhause. Und bring mir bitte meine Notarztkombi aus meinem Spind mit. Währenddessen mache ich hier die Erstversorgung und warte auf dich. Lande auf der Wiese, an deren Rand du die Blaulichter der Feuerwehrautos stehen siehst. Brauchst du noch die genauen GPS5-Daten?“

„Nöh, Jonas. Ich weiß, wo du wohnst. Wir sind in wenigen Minuten unterwegs – bis gleich also“, erwiderte der Hubschrauberpilot der Bundespolizei, Hauptkommissar Hans Bruckner umgehend, ehe er noch abschließend hinzufügte: „Rettungsleitstelle Traunstein over and out.“

Als die von den Feuerwehrleuten geborgene und inzwischen bewusstlose Gleitschirmfliegerin endlich auf der mit Luft gefüllten Transportliege lag, fing Jonas Korte sofort mit einem Bodycheck an, wozu er ihr vorsichtig den Helm abnahm und ihre Flugkombination ebenso achtsam öffnete. Kurz zuvor hatte ihm seine eilends zurückgekehrte Tochter und ihr Begleiter Max Huber seine Arzttasche und auch noch reichlich Verbandzeug gebracht.

„Wie geht‘s Jessy?“, fragte die kleine Katie ganz aufgeregt, als ihr Vater gerade Puls und Blutdruck seiner Patientin maß.

„Nicht gut, mein Schatz“, erwiderte Jonas Korte wenig später. „Jessy hat viel Blut verloren, weshalb sie auch bewusstlos geworden ist. Daher muss sie so rasch, wie möglich ins Krankenhaus. Bleibt alle von der Wiese runter, denn da landet gleich der Rettungshubschrauber aus Traunstein.“

Dann drehte er sich zu den Männern der Feuerwehr um und rief: „Kann mal jemand nachsehen, ob ihre persönlichen Papiere noch im Gurtzeug stecken? In ihrer Kombi konnte ich die eben nicht ertasten. Ich brauche nämlich schnellstens Angaben zu ihrer Blutgruppe, damit wir ihr nachher im Heli gleich eine Konserve zur Kompensation ihres Blutverlusts anhängen können.“

Während der erfahrene Unfallchirurg Korte gleich darauf eine Ringerlösung aus seiner Arzttasche anhängte, die einer der Ersthelfer danach in die Höhe hielt, nahm er sich gleich darauf die multiplen äußerlichen Wunden seiner Patientin vor.

Als er noch einmal den Druckverband löste und gleich wieder durch einen neuen ersetzte, murmelte er dem neben ihm stehenden jungen Feuerwehrsanitäter zu:

„Das hast du sehr gut gemacht, Ralf. Bitte hilf mir jetzt, die vom Ast perforierte Stelle zu verbinden. Die Astspitze lassen wir momentan noch drin, und legen einen Polsterring drum herum. Das Aststück muss operativ entfernt werden und sowas geht nur im Krankenhaus. Beinahe alles andere sind Schnittverletzungen und Schürfwunden, die wir momentan außer Acht lassen können und nur notdürftig zupflastern müssen.“

„Was machen wir mit ihrer linken Hand? Sieht fast so aus, als ob sie dort trotz ihres Handschuhs eine Brandverletzung davongetragen hätte“, fragte der Feuerwehrmann sofort zurück.

„Die Wunde ist wahrscheinlich durch Reibung entstanden, weil sie mit dieser Hand die auf der linken Seite abgerissenen Fallschirmschnüre festhalten musste, um nicht wie ein Stein vom Himmel zu stürzen. Wir machen dort einen Brandsalbenverband – der sollte fürs erste ausreichen.“

Die beiden Männer kümmerten sich noch um die Schwerletzte, als in der Ferne bereits das typische Geräusch eines tieffliegenden Hubschraubers zu hören war, der kurz darauf auf der Wiese neben dem Hof von Alois Huber aufsetzte.

Während der Pilot Hans Bruckner den Rotor des rot lackierten Airbus Helicopters H135 abbremste und die Turbinen herunterfuhr, kam bereits der Rettungssanitäter des Hubschraubers mit seinem Notarzt-Equipment auf die beiden am Boden knienden Männer zu gerannt.

„Hab‘ gehört, dass du heute ‘ne freiwillige Sonderschicht einlegst. Du kannst dir nicht vorstellen, was im Klinikum gerade los ist. Erst die ‘zig Auffahrunfälle auf der A8 und jetzt sind Hans und ich schon wieder zu ‘nem neuen Einsatz unterwegs“, meinte der inzwischen aus seinem Hubschrauber herbeigeeilte Sanitäter.

„Hallo Martin, tut mir leid, aber bei unserer Patientin ist Eile angesagt. Sie hat viel Blut verloren, aber dank deiner Sanitäterkollegen von der hiesigen Feuerwehr sind wir hier schon fast fertig. Ich spring rasch in meine Kombi und du schnappst dir einen der Feuerwehrmänner und holst die Rettungstrage aus dem Heli.“

Damit drehte er sich verzugslos zu Sepp Leitner, dem Chef der Feuerwehr um und fragte: „Wisst ihr inzwischen, welche Blutgruppe meine Patientin hat?“

„Ja, Jonas – du hattest recht. Ihre Personalpapiere steckten in ihrem Gurtzeug. Darin haben wir auch ihren Impfausweis gefunden. Demnach hat Frau Jessica Winter Blutgruppe A, Rhesus positiv.“

„Okay, gut zu wissen – passendes Blutplasma ist in unserem Heli vorhanden. Martin bring bitte einen Beutel Plasma mit, wenn du mit unserer Trage zurückkommst. Ich lege bis dahin schon mal den nötigen Zugang – und dann sehen wir zu, dass wir mit ihr ins Klinikum kommen“, rief er jetzt noch dem Crewmitglied des Hubschraubers, Martin Glöckner hinterher.

Während sich Dr. Korte gleich danach die Notarztkombi überstreifte, wandte er sich noch einmal an Sepp Leitner sowie an seine Nachbarn Alois und Gretel Huber.

„Sepp, kannst du bitte dafür sorgen, dass sich die Spurensicherung der Kripo Traunstein mal das Flugequipment von Frau Winter anschaut. Ich habe nämlich den Verdacht, dass dies kein Unfall, sondern ein gezielter Mordanschlag war.

So mir nichts dir nichts können die Fangschnüre ihres Gleitschirms schließlich nicht gerissen sein. Zumal Katie und ich diese junge Frau heute früh als äußerst gewissenhafte Fluglehrerin kenngelernt haben, die ihren Schirm vorm Abflug garantiert eingehend kontrolliert hat.

Wende dich bitte direkt an Kriminaldirektor Roland Lechner, den Leiter der Traunsteiner Kriminalpolizeiinspektion und sag ihm einen schönen Gruß von mir. So, wie ich meinen Freund Roland als ehemaligen Kollegen kenne, wird er seine Ermittler noch heute hierher in Marsch setzen. Tut mir leid, wenn ich euch damit den ganzen Sonntag versaue, aber ich will unbedingt wissen, was die Ursache für diesen Absturz war.“