Im Wirbelsturm der Gefühle - K.B. Stock - E-Book

Im Wirbelsturm der Gefühle E-Book

K. B. Stock

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Dr. Jack Bishop, ein Arzt und Psychologe, ändert nach seinem letzten Auslandseinsatz als Profiler in Diensten der kanadischen Armee seine bisherige Lebensplanung. Nach seiner Rückkehr aus dem Irak, hängt er den Arztberuf nach schrecklichen Erlebnissen in Afghanistan und im Irak - insbesondere aber, aufgrund der Untreue seiner Ehefrau - an den Nagel. Da er schon lange vor seiner kurz darauf folgenden Ehescheidung begonnen hatte, Romane zu schreiben, veranlasst ihn sein bisheriger Erfolg als Krimiautor, sich künftig nur noch mit der Schriftstellerei und seinem Hobby, der Malerei, zu beschäftigen. Am neuen Wohnort an der Küste Neuschottlands begegnet Jack Bishop eher zufällig der schönen Halbindianerin Shania Baxter und ihrer aufgeweckten 8-jährigen Tochter Elli. Zu diesem Zeitpunkt weiß Jack noch nicht, dass die junge Mutter ein grausames Geheimnis verbirgt, das den Vater ihres Kindes betrifft. Als erfahrener Psychologe spürt Jack Bishop schon bald, dass die junge Frau in der Vergangenheit mental sehr viel mehr verletzt wurde, als er selbst. Deshalb nimmt er die vor ihrem Ex-Collegefreund Peter Maddox geflohene und fast mittellose Shania in seinem gerade von ihm bezogenen Cottage auf und stellt sie als Lektorin seiner Romane ein. Obwohl sich Jack und Shania im Lauf der Zeit langsam näher kommen, dauert es viele Tage, bis Shania ihrem neuen Arbeitgeber im Spätsommer 2016 soweit vertraut, dass sie sich ihm gegenüber zu öffnen und von ihrer schrecklichen Vergangenheit zu erzählen beginnt. Die Erlebnisse, die sie schildert, entfachen Jacks Zorn in unglaublicher Weise. Unterdessen sind im Auftrag der Mutter ihres Ex-Freunds zwielichtige Gestalten hinter der attraktiven Indianerin her – vordergründig, weil Peters Mutter Cynthia einen angeblich von Shania begangenen Schmuckdiebstahl aufklären will. Doch sehr rasch wird Jack und seinem väterlichen Freund und Nachbarn, dem Ex-Polizisten George MacDermott klar, worum es Mutter und Sohn Maddox dabei in Wirklichkeit geht ...

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Seitenzahl: 383

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Inhaltsverzeichnis

PrologSamiras Suizid

Kapitel 1Ehebruch mit Folgen

Kapitel 2Das Haus in Neuschottland

Kapitel 3Umzug und Neubeginn

Kapitel 4Begegnung am Strand

Kapitel 5Bezaubernde Übernachtungsgäste

Kapitel 6Ein gemütlicher Abend

Kapitel 7Bittere Wahrheiten

Kapitel 8Angriff statt Verteidigung

Kapitel 9Start der Verbrecherjagd

Kapitel 10Treffen mit Alana Baxter

Kapitel 11In der RCMP-Zentrale Halifax

Kapitel 12Jacks heimliche Shoppingtour

Kapitel 13Shanias Verlobungsfeier

Kapitel 14Riskante Befreiung

Kapitel 15Überraschende Erkenntnisse

Kapitel 16Besuch im Micmaq-Reservat

Kapitel 17Schreckliche Gesamtbilanz

Kapitel 18Neue Fahndungsansätze

Kapitel 19Ein unerwartetes Angebot

Kapitel 20Schöne Bescherung

Kapitel 21Die Ruhe vor dem Sturm

Kapitel 22Ellis Entführung

Kapitel 23Das Ende des Serienkillers

NachwortMünchen im März 2017

Namensverzeichnis der handelnden Personen

Impressum

Copyright © 2017 by K. B. Stock, München

Verlag: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

ISBN 978-3-7450-4222-1

Anmerkung des Verfassers:

Handlung und Personen dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten oder Namensgleichheiten mit tatsächlichen Ereignissensowie lebenden Personen oder Organisationen sind zufällig und daherin keiner Weise beabsichtigt.

Titelabbildung Einband:

„Kanadische Küstenlandschaft“

Quelle: www.pixabay.com

Im Wirbelsturm der Gefühle

Ein Kriminalroman aus Kanada

von K. B. Stock

Zum Inhalt:

Dr. Jack Bishop ist ein kanadischer Arzt und Psychologe, der früher als Profiler bei der kanadischen Polizei gearbeitet und danach eine Zeitlang als Berater der kanadischen Streitkräfte im Auslandseinsatz verbracht hat. Nach seiner Rückkehr aus dem Irak, hängt er jedoch den Arztberuf wegen seiner schrecklichen Erlebnisse in Afghanistan und im Irak – und insbesondere aufgrund der Untreue seiner zuhause gebliebenen Ehefrau an den Nagel.

Da er schon vor seiner wenig später folgenden Ehescheidung begonnen hatte, als Romanautor zu arbeiten, veranlasst ihn der bisherige Erfolg dazu, sich zukünftig nur noch mit seiner Schriftstellerei und seinem Hobby, der Malerei, zu beschäftigen.

An seinem neuen Wohnort an der Küste Neuschottlands begegnet Jack Bishop eher zufällig der schönen indianisch-stämmigen Shania Baxter sowie ihrer aufgeweckten, nicht minder hübschen achtjährigen Tochter Elli. Zu diesem Zeitpunkt weiß Jack aber noch nicht, dass die junge Mutter ein grausames Geheimnis verbirgt, das den Vater ihres unehelichen Kindes, Peter Maddox, betrifft.

Als erfahrener Psychologe spürt Jack Bishop aber schon bald, dass die junge Frau in der Vergangenheit mental noch sehr viel mehr verletzt wurde, als er selbst. Deshalb nimmt Jack die vor ihrem Ex-Collegefreund geflohene, inzwischen nahezu mittellose Shania in seinem gerade von ihm bezogenen Cottage in Neuschottland auf und stellt sie als Lektorin seiner Romane ein.

Obwohl sich Jack und Shania im Lauf der Zeit langsam näherkommen, dauert es viele Tage, bis Shania ihrem neuen Arbeitgeber im Spätsommer 2016 soweit vertraut, dass sie sich ihm gegenüber allmählich zu öffnen und von ihrer Vergangenheit zu erzählen beginnt. Und die schlimmen Erlebnisse, die sie schildert, entfachen Jacks Zorn in noch nie dagewesener Weise.

Unterdessen sind im Auftrag der Mutter ihres Ex-Freunds zwielichtige Gestalten hinter der attraktiven Indianerin her – vordergründig, weil Cynthia Maddox und ihr Sohn angeblich einen von dieser ‚Halbwilden’ begangenen Schmuckdiebstahl aufklären wollen.

Doch sehr rasch wird Jack und seinem väterlichen Freund und Nachbarn George MacDermott – einem pensionierten Superintendenten der RCMP klar, worum es Mutter und Sohn Maddox dabei in Wirklichkeit geht ...

PrologSamiras Suizid

Dr. Jack Bishop fühlte sich völlig ausgelaugt, als er an diesem heißen Sommerabend völlig geschafft auf die Pritsche seiner Unterkunft kroch.

Als ehemaliger Profiler der RCMP1 hatte sich der in der Verbrechensaufklärung ziemlich erfolgreiche Psychologe im Alter von 26 Jahren breitschlagen lassen und war nach reiflicher Überlegung 2009 als Berater in den Dienst der Streitkräfte beim Canadian Forces Health Services Centre in Ottawa getreten. Wobei ihm von Anfang an klar war, dass zu diesem Job auch Einsätze in ausländischen Krisengebieten gehören würden.

Bis 2011 war er in Afghanistan gewesen und hatte bei den Verhören gefangengenommener Talibankämpfer – zusammen mit amerikanischen Kollegen – erste Erfahrungen bei der Aufklärung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesammelt.

Und bereits damals hatte er mehr über die verdrehte Psyche dieser angeblichen Religionskrieger gelernt, als er das in allen von ihm sorgfältig studierten Dokumenten über diese Leute bisher für möglich gehalten hatte.

„Diese Kerle sind absolut nicht die unerschrockenen Kämpfer für den Islam, den sie gerne als Rechtfertigung ihrer grausamen Taten vorschieben. Ihre Anführer sind schlicht und einfach nur Schwerkriminelle, denen es nur um Macht und vor allem um Geld geht.

Und ihr Gefolge ist entweder zu dumm oder hat zu wenig Hoffnung, um selber ein vernünftiges Leben zu führen“, hatte er sich nach den Verhören der ziemlich kleinlauten Gefangenen mehr als einmal gesagt.

Nach dem Ende der Afghanistanmission war er zur Freude seiner Ehefrau nach Ottawa und damit zunächst in ein einigermaßen normales Leben zurückgekehrt. Doch im Sommer 2014 musste er im Auftrag seiner Dienststelle in den nächsten Auslandseinsatz.

Seit fast zwei Jahren befand er sich nun in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, wo sich die Kanadier – gemeinsam mit anderen Truppen der Anti-IS2-Koalition – um die Ausbildung der kurdischen Peschmerga, vor allem aber um die Rettung vertriebener und entführter Christen vom Volksstamm der Jesiden bemühten.

Wie schon in den Tagen zuvor, fand Jack Bishop auch in dieser Nacht im Sommer 2016 keinen erholsamen Schlaf. Und es war nicht die Hitze in dem kanadischen Camp des CEFC3 im Nordirak, die ihm zu schaffen machte.

Vor allem die Gespräche mit gehirngewaschenen jesidischen Kindern und Jugendlichen, die der IS zu Selbstmordattentätern hatte ausbilden wollen, hatten ihn an den Rand des mental Erträglichen gebracht.

Und dabei war Jack natürlich rasch klargeworden, dass man nur einen Bruchteil dieser schändlich missbrauchten Kinder rechtzeitig befreit hatte. Wie viele von ihnen noch da draußen waren, um sich als eingeschleuste Flüchtlinge in den Ländern der Anti-IS-Koalition in die Luft zu sprengen, blieb eine Dunkelziffer, die niemand genau benennen konnte.

Doch es gab noch sehr viel Schlimmeres, das Dr. Bishop selbst in Afghanistan in dieser Weise noch niemals begegnet war. Denn die in den letzten Wochen geführten Zeugenbefragungen mit brutal misshandelten und geschändeten Frauen vom kurdischen Volksstamm der Jesiden gingen weit über alles Vorstellbare hinaus.

Die von ihren ‚Besitzern’ wie Tiere behandelten Frauen wirkten auch nach ihrer Befreiung noch immer völlig verstört, weil sie das Erlebte kaum oder gar nicht verdrängen – und noch viel weniger verarbeiten konnten.

Und erst heute Morgen hatte man eines der von ihm am Vortag interviewten Mädchen an einem Bettlaken erhängt in ihrer Unterkunft aufgefunden.

Samira, so hatte die 17-jährige junge Frau geheißen, die von ihren Folterern mehrfach an irakische Geschäftsleute verkauft, auf grausamste Weise immer wieder zusammengeschlagen und vergewaltigt worden war.

Nachdem man ihre Eltern ermordet und sie selbst gefangengenommen hatte, war Samira fast ein Jahr lang in den Händen ihrer Peiniger gewesen. Und die hatten ihr beigebracht, dass sie als Christin in einem islamischen Staat noch ungleich weniger als ein geduldetes Haustier zählte.

„Ich bin schwanger“, hatte sie Jack im letzten Interview unter Tränen gestanden und dabei ihre Scham darüber kaum zu verbergen vermocht.

„Und ich weiß noch nicht mal, wer der Vater meines Kindes ist. Es waren in letzter Zeit einfach zu viele Männer, denen ich im Haus meines ehemaligen Besitzers im Irak für Sklavendienste zu Diensten sein musste.“

Obwohl Jack der jungen Jesidin in diesem letzten Gespräch sofort seine ärztliche Hilfe versprochen und sie sofort als selbstmordgefährdet eingestuft hatte, war es dennoch geschehen.

Denn anscheinend hatte die noch immer von ihrem monatelangen Martyrium an Körper und Seele gezeichnete Samira keinen anderen Ausweg in ein normales Leben mehr gesehen.

Samira, die einstmals bildhübsche – jetzt aber nicht nur im Gesicht völlig entstellte Jugendliche, die ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt hatte, hatte sich in der vergangenen Nacht umgebracht.

„Wahrscheinlich, weil sie mit der Schande nicht länger leben konnte – und weil sie schon gar nicht das Kind eines ihrer Vergewaltiger auf die Welt bringen wollte“, hatte Jack zu seinem Vorgesetzten gesagt.

„Mann, ich hätte das merken und Samira in den Arm nehmen müssen, so verloren, wie sie da gestern vor mir stand. Aber, was hab’ ich Idiot getan? Nicht das Richtige jedenfalls, soviel steht fest.

Ich, der ach so schlaue Doktor der Psychologie, habe kläglich versagt – und zwar nur, weil ich der alten Regel gefolgt bin, nach der man sich nie zu tief in die Probleme seiner Patienten hineinziehen lassen soll“, warf sich Jack Bishop jetzt vor.

„Ich kann das nicht mehr länger machen, keine Sekunde mehr länger“, sagte Jack Bishop am Abend zu sich selbst, während er sich die auf seinem Nachttisch stehende Flasche Bourbon näher betrachtete.

„Und Alkohol ist auch nicht die Lösung, damit ich das alles wieder vergesse“, dachte er, während er die Flasche gleich nach dem Öffnen wieder zuschraubte.

„Morgen ist Feierabend! Nach zwei Jahren Afghanistan und jetzt fast zwei Jahren im Irak, habe ich meinem Land genug gedient!“, rief er dabei bestimmt.

„Außerdem kann ich nicht mehr. Ein Psychologe, der selber anfängt am Posttraumatischen Belastungssyndrom zu leiden, ist nämlich das Allerletzte, was die Leute hier brauchen.“

Wenn Dr. Jack Bishop einmal eine Entscheidung getroffen hatte, zog er diese auch konsequent durch. Schon zu Dienstbeginn des nächsten Tages stand er erneut beim kommandierenden General des kanadischen Einsatzkommandos auf der Matte und reichte seine fristlose Kündigung ein.

„Sie wissen schon, dass Ihnen das zum Nachteil gereichen wird, wenn Sie hier bereits nach der Hälfte Ihrer vertraglich vereinbarten Zeit aussteigen.

Außerdem, daheim in Ottawa werden sie anschließend ebenfalls nicht mehr für unsere Streitkräfte arbeiten können“, hatte der kanadische Brigadegeneral trocken festgestellt.

„Ich bin mir dessen voll bewusst, Herr General. Die daraus resultierenden Konsequenzen habe ich heute Nacht mehr als einmal durchdacht – und keine Angst, ich habe mir meine Entscheidung reiflich überlegt. Aber ich sehe für mich keinen anderen Weg.

Und weiterzumachen, so als wäre gar nichts geschehen, wäre unehrlich – und deshalb findet das auch auf keinen Fall statt“, hatte Jack Bishop geantwortet.

„Als erfahrener Arzt und Psychologe weiß ich nämlich, wann es genug ist. Und für Sie und ihre Leute – aber noch viel schlimmer – für die hier bei uns untergebrachten Schutzbefohlenen und auch für unser Einsatzkommando wäre ich künftig nur noch eine Last, und keine Hilfe mehr.

Außerdem bin ich hier ja nicht der einzige Psychologe. Meine Assistentin Barbara McClusky ist eine sehr erfahrene Kollegin. Sie kennt alle relevanten Fälle und sie wird für Sie genau da weitermachen, wo ich ab morgen aufhöre.

Daher bitte ich Sie eindringlich, mich ziehen zu lassen und meine Kündigung an unser Hauptquartier weiterzuleiten.

Was das Finanzielle angeht, muss sich um mich niemand Sorgen machen. Ich verdiene mit meinen bereits veröffentlichten Büchern inzwischen jeden Monat weit mehr, als das Salär beträgt, dass ich vom kanadischen Staat für diesen Knochenjob bekomme.

Daher ist es nicht meine Zukunft in den kanadischen Streitkräften, oder gar der Verdienst, weshalb ich aufhöre. Es ist die tote Samira, die sich gestern Nacht da draußen in ihrer Unterkunft umgebracht hat, ohne dass ich das verhindern konnte.

Denn ich, und nur ich – wer denn sonst – hätte die Anzeichen für diesen Suizid erkennen und sehr viel vorausschauender handeln müssen.

Und genau das hab’ ich leider nicht in ausreichendem Maße getan. Zumindest nicht so, wie es am Ende des mit ihr zuletzt geführten Gesprächs nötig gewesen wäre. Mit diesem Versagen, Herr General, damit muss ich jetzt wohl für den Rest meines Lebens klarkommen.“

„Also gut, Jack. Ich verstehe Ihre Beweggründe. Da Sie Zivilist sind, kann ich Ihnen auch nicht befehlen, hierzubleiben und weiterzumachen. Aber einen guten Rat von mir sollten Sie dennoch annehmen.

Sie sind nicht schuld, an dem, was gestern Nacht mit Samira passiert ist. Reden Sie sich das bitte nicht ein. Sie sind nämlich meiner Ansicht nach ein ausgesprochen guter Arzt und noch ein besserer Psychologe, den ich gerne noch eine Weile behalten hätte. Und genau das werde ich auch in meinen Bericht schreiben.

Gönnen Sie sich jetzt erstmal eine Pause im Kreis Ihrer Familie. Wer weiß, vielleicht fangen Sie ja anschließend wieder als Profiler bei der RCMP an.

Wie man mit einer posttraumatischen Belastungsstörung umgehen muss, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Das wissen Sie als Experte auf diesem Gebiet sicher sehr viel besser als ich.

Bleibt mir also nur noch übrig, Ihnen Hals- und Beinbruch für ihr zukünftiges Leben zu wünschen.“

Nach diesen einfühlsamen Worten kam der sonst ziemlich bärbeißige und lebensältere General hinter seinem Schreibtisch hervor und drückte Jack Bishop zum Abschied die Hand.

„Danke Jack. Und zwar für alles, was Sie hier unter meinem Kommando geleistet haben. Das war für Sie hier bei uns ja kein Zuckerschlecken. Kommen Sie also bitte rasch wieder auf die Füße und alles Gute für Sie.“

Kapitel 1Ehebruch mit Folgen

Schon am Tag nach dieser folgenschweren Entscheidung saß Dr. Jack Bishop in einer kanadischen Herkules CC-130, die ihn zunächst nach Frankfurt brachte, von wo er am Tag darauf mit einem regulären Zivilflug in seine kanadische Heimat zurückkehrte.

„Ich werde wieder ein Buch schreiben, in dem ich alles zum Ausdruck bringe, was ich im Irak erlebt habe.

Und ich mache mit meiner Kerry endlich den Karibikurlaub, den ich ihr schon so lange versprochen habe“, dachte Jack, als er von seinem Fensterplatz kurz nach dem Start auf die seitlich vorbeiziehenden britischen Inseln hinabblickte.

Als die Boeing 787 der Air Canada schließlich in der hereinbrechenden Dämmerung auf den Nordatlantik hinausflog, murmelte er leise vor sich hin: „Außerdem werde ich wieder anfangen zu malen. Das hat mich als Ausgleich schließlich auch damals nach Afghanistan wieder in die Spur gebracht.“

Jack konnte nach dem an Bord servierten Abendessen nur unruhig schlafen, weil er in seinen Träumen viel zu oft das Mitleid erregende Gesicht der jungen Jesidin Samira vor sich sah.

Nach dem siebeneinhalbstündigen Non-Stop-Flug überlegte der davon noch immer übermüdete Jack Bishop nach der Einreisekontrolle auf dem Ottawa International Airport, wie er nun am besten weiter vorgehen sollte.

„Kerry weiß ja nicht, dass ich schon heute Abend heimkomme, deshalb muss ich jetzt zu allererst mal einen Blumenstrauß für sie besorgen.

Mann, oh Mann, wird die sich freuen, wenn sie hört, dass ich endlich ihrem Wunsch gefolgt und aus diesen von ihr so gehassten Job ausgestiegen bin“, sagte er sich, als er die Geschäfte in der Ankunftshalle nach einem Blumenladen durchforstete.

„Wo soll’s hingehen?“, fragte der freundliche Taxifahrer, nachdem er Jacks Gepäck wenig später vor der Ankunftshalle im Kofferraum verstaute.

„In die Camelia Avenue im Manor Park, ich lotse Sie dann in die Straße zu meiner Wohnung“, antwortete Jack, während er den riesigen Strauß roter Rosen neben sich auf dem Rücksitz deponierte.

Als Jack vor seinem Heim aus dem Taxi ausstieg und der Taxifahrer gegen ein großzügiges Trinkgeld die Koffer vor seiner Haustür abgestellt hatte, erwog Jack zunächst, an der Tür Sturm zu läuten.

Da er mit einem Blick auf die bereits dunklen Fenster seines Hauses davon ausging, dass seine Ehefrau Kerry schon zu Bett gegangen war, ging er von diesem Vorhaben aber gleich wieder ab.

„Ist doch sicher viel schöner, wenn ich sie aus dem Schlaf küsse“, dachte er, während er die Haustüre leise aufschloss und sein weniges Gepäck ebenso lautlos im Flur abstellte.

Gleich danach packte Jack den riesigen Rosenstrauß aus der Papierhülle aus und schlich auf leisen Sohlen über die Treppe hinauf in den ersten Stock.

Schon als er die Treppe halb geschafft hatte, meinte er seltsame Geräusche aus der oberen Etage zu hören. Und als er weiterging, wurde ihm langsam klar, was er da hörte.

Das ekstatische Stöhnen seiner Frau Kerry, was er nur allzu gut kannte – wie auch die klatschenden Laute von aufeinanderprallenden Körpern – klangen in seinen Ohren ausgesprochen vertraut. Nur war er bisher nicht Zuhörer, sondern Beteiligter an derartigen Liebesspielen gewesen.

Als er die Tür des ehelichen Schlafzimmers leise öffnete, gefror ihm sein Blut wegen dem, was er da vor sich sehen musste, in den Adern.

Seine über alles geliebte Kerry, die ihm bei der Hochzeit ewige Treue geschworen hatte, bewegte sich enthusiastisch seufzend und völlig nackt unter einem ebenfalls unbekleideten Mann, den er bei näherem Hinsehen als seinen engsten Freund Charly identifizierte.

„Charles MacKenzie, was bist du nur für ein dreckiges Schwein!“, brüllte Jack Bishop jetzt mit überschäumender Wut.

Den offensichtlichen Liebhaber seiner Frau packte er sogleich am Genick und riss ihn von seiner Frau weg, um ihm umgehend ein paar Faustschläge auf seinen Solarplexus zu verpassen.

Wobei er auch nicht vergaß, dem mittlerweile schon schwankenden und noch immer völlig perplexen Ehebrecher den noch in seiner linken Hand befindlichen Rosenstrauß um die Ohren zu schlagen.

„Warst schon mal ein bisschen fitter, du dummes Arschloch“, schrie er seinen Nebenbuhler jetzt an, während er Charly einen abschließenden Hieb in sein teigiges Antlitz verpasste.

„Schatz, das ist doch alles nur ein fürchterliches Missverständnis“, versuchte seine Frau weinerlich das entstandene Chaos zu beruhigen, während sie sich ein Bettlaken über ihre wohlgeformten Brüste zog.

„Ein Missverständnis, so, so! Na dann ist das hier ja wohl alles nicht der Rede wert, oder? Du bist eine dämliche Kuh, Kerry, wenn du glaubst, dass du damit durchkommst“, erwiderte Jack Bishop, während er noch ein letztes Mal befriedigt auf den sich am Boden windenden Charly schaute.

„Und du blödes Arschloch hast nichts Besseres zu tun, als meine Frau zu ficken, wenn ich mal außer Reichweite bin. Aber, mein lieber Freund, ich sag’ dir jetzt eines – du kannst sie haben. Ihr beide habt euch nämlich verdient.“

„Jack, das war doch überhaupt nicht meine Absicht“, stammelte Charles MacKenzie jetzt los.

„Ich bin heut’ Abend nur mal schnell rübergekommen, weil eure alte Waschmaschine repariert werden musste. Und Kerry war so traurig und einsam und dabei ist’s halt einfach passiert.

Bist selber schuld, wenn du eine schöne Frau, wie deine Kerry, mit all ihren häuslichen Problemen solange wegen deines Scheißberufs alleine lässt“, fügte er dann noch hinzu.

„Nun, mein Lieber, wenn das so ist, dann ist’s ja gut, wenn sie dich jetzt hat. Du kannst ja bei dir zuhause ausziehen und ihr künftig auch noch die Funktion aller übrigen Hausgeräte im Bett erklären.

Bin nur mal gespannt, was deine Ehefrau dazu sagt, wenn sie von dem hier erfährt. Und mit dir, meine geliebte Ehefrau Kerry, bin ich fertig – und zwar ein für alle Mal.

Ich nehm’ jetzt meine Koffer und geh’ ins nächste Hotel. Schon morgen bin ich bei meinem Anwalt und schon übermorgen kommt eine Spedition, die meine Sachen abholt.

Das von mir bezahlte Haus hier gehört zwar zur Hälfte mir – aber die schenke ich dir nach unserer Scheidung mit der Maßgabe, dass du danach keine weiteren Forderungen an mich stellst. Das Schreiben meines Anwalts wird dir dazu in Kürze zugehen.

Untersteh’ dich deshalb nicht, auf monatlichen Unterhalt zu klagen, sonst wirst du dein blaues Wunder erleben. Denn dein künftiges Liebesleben mit Charly kann er finanzieren – ich werde das jedenfalls nicht tun. Hast du das bis hierhin verstanden?“

„Und wie willst du meine Untreue beweisen, du hinterhältiger Kerl? Du treibst dich monatelang mit irgendwelchen arabischen Weibern rum – aber auch ich habe Bedürfnisse. Dann kommst du hier so einfach mal reingeschneit und meinst, dass ich stets brav auf dich zu warten habe?

Du hast nichts, aber auch gar nichts in der Hand. Denn wir sind zu zweit und Charly wird beschwören, dass da vorhin gar nichts war, was deine Anschuldigungen belegen würde. Du hast das alles nur fürchterlich missverstanden.“

„Was bist du doch nur für eine selbstgerechte und zugleich strohdumme Person. Du meinst also, ich hab’ es nur missverstanden, dass meine Frau mit einem meiner besten Freunde in unserem Ehebett herumpoppt?“, antwortet Jack Bishop jetzt zornig, als er die von Blütenblättern arg dezimierten Rosenstrünke auf Kerrys vorgehaltene Bettdecke schmiss.

„Siehst du dieses kleine Teil hier, dass schon die ganze Zeit über an meiner Jacke befestigt ist, mein ehemals geliebtes Täubchen? Das ist ein Andenken aus dem Einsatz, das mir mein Vorgesetzter zum Abschied geschenkt hat. Nur zu deiner Information – man nennt so etwas Bodycam.

Die Bilder sind vielleicht ein wenig verwackelt, als ich deinem Stecher eins auf die Nase gegeben habe, aber das Wesentliche davor ist als HD-Video sogar mit Uhrzeit dokumentiert und inzwischen über mein Smartphone in meiner Cloud gespeichert.

Ich hatte nämlich eigentlich vor, dein überraschtes Gesicht mit diesem Gerät festzuhalten. Und zwar genau an dem Tag, an dem ich dir erzählen würde, dass ich meinen Job gekündigt habe und wir nächste Woche in die Karibik fliegen.

Nur hat sich Letzteres soeben erübrigt. Ich wünsch’ dir viel Glück mit diesem schmerbäuchigen Idioten hier. Vielleicht hast du ja Glück und er tut dir den Gefallen und lässt sich ebenfalls von seiner trauten Familie scheiden.

Und was die Beweislage angeht, du bescheuerte Ehebrecherin –das nette Filmchen mit euren Bettaktivitäten geht noch heute Abend an meinen Anwalt. Und der wird’s danach dem Familienrichter zeigen, so dass einer Blitzscheidung nichts im Wege stehen dürfte.“

Gleich nach diesen Worten schmiss Jack Bishop die Tür des Schlafzimmers krachend ins Schloss und rannte noch immer völlig wutentbrannt die Treppe hinunter, wo er seine noch im Eingang stehenden Koffer aufsammelte. Draußen vor der Tür schloss er anschließend seine Garage auf.

„Ich nehm’ den Mercedes Geländewagen und meinen alten Jaguar kann mein Anwalt verkaufen. Den brauche ich in Neuschottland nicht.

Und Madame kann zukünftig wieder ihren rostigen Toyota fahren, den sie mit in die Ehe gebracht hat“, dachte er bei sich, als er den vierradgetriebenen Mercedes GLS startete und gleich darauf wütend mit quietschenden Reifen in die Straße vor seinem Haus einbog.

Kapitel 2Das Haus in Neuschottland

Noch am selben Abend hatte Jack Bishop von seinem gerade bezogenen Hotelzimmer aus alles Notwendige in die Wege geleitet.

Zuerst hatte er in der Kanzlei des mit ihm befreundeten Anwalts Peter Stoneham angerufen und ihm seine augenblickliche Situation geschildert. Gleich danach hatte sich Jack an sein Macbook gesetzt und ihm ergänzend Kopie des von ihm aufgenommenen Videos aus seiner Bodycam geschickt, das den Ehebruch seiner Noch-Ehefrau eindeutig belegte.

Beim Treffen am nächsten Tag hatte sich Peter Stoneham schon allein deshalb sehr zuversichtlich gezeigt und Jack die von ihm vorbereiteten Scheidungspapiere unterschreiben lassen.

„Wenn ich damit nachher zu Richter Harris gehe, bin ich schon jetzt davon überzeugt, dass die Scheidung unter den von dir gewünschten Konditionen schnell über die Bühne geht und kaum Probleme machen wird. Außerdem habe ich vorhin mit deiner Frau telefoniert.

Sie klang zwar ziemlich zerknirscht, aber ich denke, sie hat begriffen, dass das Band zwischen euch beiden ein für alle Mal zerschnitten ist. Da du ihr das Haus überlassenwillst, wäre es auch ziemlich dämlich, dein großzügiges Angebot abzulehnen. So dumm ist Kerry schließlich nicht.

So, mein Lieber – und was wirst du jetzt so ganz ohne Wohnung und ohne Job machen?“, hatte ihn sein Rechtsanwalt am Ende des Gesprächs noch gefragt, ehe er sich von seinem Mandanten verabschiedete.

„Na ja, ich bin zunächst einmal froh, dass Kerry die Scheidung akzeptieren will. Ich will mit ihr nämlich nicht mehr das Geringste zu tun haben“, hatte Jack geantwortet.

„Was das Wohnen angeht, hab’ ich ja noch das von meinen Eltern geerbte Cottage an der Küste von Neuschottland, das mir seit ihrem Tod ganz alleine gehört.

Und dort in Neuschottland möchte ich in den nächsten Wochen erst mal ein wenig ausspannen. Dabei will ich vor allem versuchen, meine schrecklichen Erinnerungen der letzten Zeit zu verarbeiten. Übrigens ist am nahegelegenen Strand jetzt im August auch ein guter Platz zur Erholung.

Und genau das werde ich tun. Die Stille und Ruhe der dortigen Landschaft genießen. Außerdem werde ich mich wieder intensiver meiner Romanschreiberei widmen und hin und wieder die schöne Landschaft und einige Dinge und Personen aus der Erinnerung heraus malen. Auch wenn ich das Schreiben weit besser beherrsche und damit ja bereits seit Jahren ganz gutes Geld verdiene.

Du wirst also schon bald von mir hören, Peter – hier ist meine neue Adresse, unter der du mich künftig erreichen kannst. Ich bitte dich aber, meine neue Anschrift nur mit meiner Zustimmung herauszugeben.

Und sorg’ bitte dafür, dass die beauftragte Spedition meine Sachen aus meinem ehemaligen Heim zum Ende der kommenden Woche dorthin liefert.

Ach so, ein Letztes noch: Verkauf bitte meinen, in der Garage stehenden alten Jaguar E. Den hab’ ich ja bereits vor meiner Ehe besessen und deshalb geht der Kerry nichts an. Und in Neuschottland kann ich diesen Oldtimer eh’ nicht gebrauchen. Bei dem dortigen Wetter ist mein Mercedes GLS im Winter ohnehin die bessere Wahl.“

Bereits am Nachmittag verließ Jack Bishop Ottawa und fuhr über Montreal und einem Zwischenstopp in Quebec nach Moncton, wo er bis zur Weiterfahrt am nächsten Morgen ein weiteres Mal in einem Motel übernachtete.

Als er am frühen Nachmittag des darauffolgenden dritten Reisetags nach fast 900 Meilen Fahrt an seinem Zielort Lawrencetown ganz in der Nähe der kanadischen Atlantikküste ankam, fuhr er zuerst zu seinem verlassen wirkenden Cottage.

Nach einer kurzen Begehung rund um das aus massivem Granitstein und Eichenholz erbaute Gebäude, schloss er die Eingangstür auf und schleppte seine Gepäckstücke ins vertraute Innere.

„Sieht noch ganz so aus, wie ich’s in Erinnerung habe. Alles gut in Schuss und kaum was zu Putzen. Nur ein wenig Staubwischen müsste man mal“, sagte Jack leise zu sich selbst, als er den abgestellten Strom in der zum Haus gehörenden Garage einschaltete und danach die mit weißen Laken abgedeckten rustikalen Teak- und Eichenmöbel von ihren Schutzhüllen befreite.

Eine knappe Viertelstunde später läutete es an der Eingangstür. Als Jack öffnete, sah er ein bekanntes, von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht vor sich.

„Ich wusste doch, dass du das bist!“, rief der langjährige Nachbar seiner Eltern, den auch Jack natürlich noch aus seiner Jugendzeit sehr gut kannte, war er doch der engste Freund seines verstorbenen Vaters gewesen.

„George MacDermott, wie er leibt und lebt. Jagst du noch immer Verbrecher – oder bist du dafür inzwischen zu müde geworden?“, begrüßte Jack den unerwarteten Gast.

„Ich wollte dich nachher ohnehin besuchen kommen und dich über die örtlichen Neuigkeiten ausfragen. Umso besser, dass du neugierige Ermittlernase gleich rübergekommen bist – da kann ich mir den Weg ja jetzt sparen. Ich muss nämlich nachher noch zum Einkaufen. Und Anbieten kann ich dir deswegen im Moment leider auch noch nichts.“

„Dann ist’s ja gut, dass ich zufälligerweise ein kleines Willkommensgeschenk dabei habe“, meinte George MacDermott, als er zugleich einen silbernen Flachmann aus seinem wetterfesten Parka zog.

„Aber sag’ mal, was zur Hölle machst du alter Seelenklempner hier? Das letzte, was ich mitbekommen habe, war, dass du nach deiner Profilertätigkeit bei der Polizei in Ottawa zur Armee gegangen bist.

Haben die dir etwa Urlaub gegeben, weil du was verbockt hast – oder was ist mit dir los?

Deinem verdrießlichen Geschaue nach, das da eben kurz in deinen Augen aufgeblitzt ist, entnehme ich, dass es dir nicht halb so gut geht, wie du den Anschein zu erwecken versuchst. Und wo hast du deine liebreizende Frau gelassen?“

„Tja, du bist ein guter Ermittler. Das warst du schon immer, George. Aber das ist eine lange Geschichte – und sie ist nicht besonders prickelnd“, erwiderte Jack in diesem Moment mit einem versonnenen Blick auf den alten Freund seiner Eltern.

„Dann erzähl’ mal. Ich bin ja mittlerweile pensioniert und lebe mit meiner Rosi jetzt schon seit zwei Jahren im wohlverdienten Ruhestand. Ich hab’ also ’ne ganze Menge Zeit mitgebracht.

Brauchst also keine Angst zu haben – das was du mir gleich beichten wirst, wird nicht gegen dich verwandt. Ist also ganz so, wie früher, wenn du mal wieder meine Äpfel oder die von den Bäumen der Nachbarn geklaut hattest und ich dich anschließend in die Mangel genommen habe.“

„Freut mich zu hören, George – vor allem ich bin froh, dass du noch immer deine Rosanna an deiner Seite hast. Was mich betrifft, sieht das bei mir und meiner demnächst von mir geschiedenen Ex-Frau Kerry leider ein kleines bisschen anders aus. Also hör zu ...“

Nachdem Jack Bishop seinen Bericht beendet hatte, schraubte George MacDermott seinen Flachmann auf und sagte: „Das sind widerliche Erlebnisse, die du da mit dir herumschleppst – und darauf brauchen wir alle beide jetzt erst einmal einen guten Schluck. Gibt’s in dieser Hütte wenigstens Gläser?“

„Gläser hab’ ich schon – aber danke, du alter Schotte. Zum Whiskeytrinken ist es mir noch ein wenig zu früh. Ich bringe um diese Uhrzeit noch keinen Scotch runter.

Weil – erstens muss ich nachher noch zum Supermarkt fahren, damit ich mir heut’ Abend was zum Essen machen kann und dann hab’ ich auch noch genug im Haus zu tun. Ich werde nämlich ab sofort wieder hier wohnen.“

„Blödsinn, Junior. Heute Abend fährst du nirgendwo mehr hin. Du isst nämlich nachher bei uns. Wage es jetzt ja nicht, mir und Rosi das abzuschlagen.

Zum Einkaufen kannst du auch morgen früh noch fahren. Wie ich sehe, hast du den Strom bereits eingeschaltet und auch deinen Kram schon reingeholt – und da es mitten im August ist, wirst du heute Nacht selbst ohne Heizung nicht frieren.

Obwohl ich dieses Anwesen jetzt schon seit dem Tod deiner Eltern in Schuss halte, hab’ ich vorhin nur der Höflichkeit halber geläutet. Dein Vater hat mir nämlich schon vor Jahren einen Schlüssel dieses Anwesens anvertraut, damit ich mich um das Haus kümmere, wenn mal keiner da ist.“

„Das ... das wusste ich nicht“, stotterte Jack Bishop jetzt los. „Soll das heißen, dass du die ganze Zeit über hier den Hauswirtschafter gespielt hast?“

„Nicht nur ich – meine Rosanna hat mir dabei ebenfalls ein wenig geholfen. Wir sind inzwischen ja beide pensioniert, auch wenn Rosi ihrem ehemaligen Job als Schuldirektorin des hiesigen Colleges noch immer ein bisschen nachtrauert.

Und wenn es uns zu langweilig wurde, haben wir uns mit der Pflege und Verschönerung von diesem wundervollen Cottage beschäftigt. Der Gemüse- und Kräutergarten hinter dem Haus war ganz alleine Rosis Idee. Und auch die vielen Blumenbeete rund um die Terrasse und am Eingang stammen von ihr.

Übrigens, was meine Rosi betrifft – sie hat immer gesagt, dass du irgendwann mal wieder hier auftauchen würdest, weil sie sich nicht vorstellen könne, dass du ewig in dieser Betonwüste in Ottawa leben willst. Und, wie man sieht, hat Rosi auch mit der Sache mal wieder recht gehabt.“

„Das hab’ ich wirklich nicht geahnt, aber es ist wundervoll, was ihr hier für mich getan habt. Ich kann das alles noch immer gar nicht fassen. Danke George, vielen Dank für alles.

Da eure Hilfe ja sicher ein bisschen was gekostet hat, würde ich euch gerne eure Auslagen für mein Cottage ersetzen. Sag’ mir also, wie viele Dollars ihr hier bei eurem ungewöhnlichen Hobby versenkt habt.“

„Willst du Rosi und mich etwa beleidigen, Junior?“, entfuhr es dem weißhaarigen Ex-Superintendent der RCMP sofort. „Rosi und ich waren für dich stets so was, wie Tante und Onkel.

Du weißt hoffentlich noch, dass du immer dann, wenn du dich aufgrund deiner jugendlichen Missetaten mal nicht gleich nachhause getraut hast, zu uns gekommen bist, damit ich deinen alten Herrn beruhige, ehe du dich deinem verdienten Anschiss stellen musstest.

Wir zwei haben das gerne für den Sohn unserer besten Freunde getan. Und dass du dann meistens nur mit einem erhobenen Zeigefinger aus der jeweiligen Sache herausgekommen bist, hast du hoffentlich auch noch in guter Erinnerung. Also – halt die Klappe und rede nie wieder davon, okay?“

„Ich weiß jetzt grad’ nicht, was ich darauf antworten soll“, meinte Jack Bishop verlegen, dem bei dieser Rede des alten Freunds seiner Eltern ein paar Tränen in die Augen gekrochen waren.

„Sag deiner Frau, dass ich heute Abend gerne zum Essen zu euch rüberkomme. Aber ich hab’ leider gar nichts dabei, was ich euch schenken könnte. Nicht als Bezahlung, sondern wirklich nur als kleine Aufmerksamkeit. Das kommt wohl davon, wenn man seine Zelte woanders so Hals über Kopf abbricht.“

„Erstens ist das nicht schlimm – und wird auch nicht erwartet. Aber, was ein Präsent für Rosi betrifft, kann ich dir einen kleinen Tipp geben.

Wann immer sie hier im Haus und im Garten gearbeitet – nein, ich korrigiere – wann immer sie sich hier ihre Langeweile vertrieben hat, kam sie danach nachhause und hat von dem wundervollen Bild erzählt, dass über eurem alten Klavier im Wohnzimmer hängt.

Das mit den sturmumtosten Klippen unserer herrlichen Küste, dass du schon vor etlichen Jahren gemalt hast. Genau das meine ich. Und meine Rosanna war immer sehr stolz, dass sie dein besonderes Talent als Maler schon in der Zeit, als du noch bei ihr in die Schule gegangen bist, mit ihren bescheidenen Mitteln gefördert hat.

Da du deinem Bericht von vorhin nach ja hergekommen bist, um neben deiner Schriftstellerei auch deine Malerei weiter voranzutreiben, kannst du ja vielleicht auf dieses herbstliche Bild verzichten, oder es ganz einfach später noch einmal malen. Was meinst du?“

„Ich meine, dass du der beste Nachbar und Freund bist, den man sich in meiner Lage nur wünschen kann, George. Und jetzt weiß ich auch, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, als ich mich nach dem ganzen Desaster der letzten Tage und Monate entschlossen habe, wieder hierher in mein eigentliches Zuhause zu kommen.“

„Das war jetzt gerade eine gute Antwort, Junior“, entgegnete der sonst eher bärbeißig wirkende George MacDermott mit einem Anklang von Rührung in seiner Stimme.

„Du hast jetzt exakt noch drei Stunden, bis du bei uns zum Dinner anzutanzen hast. Also sei pünktlich, Junior! Rosi kann es nämlich auf den Tod nicht leiden, wenn man zu spät zum Essen kommt. Und ihren alten Rohrstock aus der Schule hat sie auch noch, für den Fall, dass sich ihr jemand zu widersetzten wagt.“

Kapitel 3Umzug und Neubeginn

Die nächsten Augusttage hatte Jack Bishop damit verbracht, alte Freunde und Bekannte in der nur dünn besiedelten Gemeinde von East Lawrencetown zu besuchen, die schon seit Generationen genauso einsam lebten, wie er das jetzt selber vorhatte.

Viele von ihnen waren mit ihren Booten noch immer in der Fischerei tätig, wobei sich jedoch die meisten inzwischen ein zweites Standbein geschaffen hatten, indem sie ihre Anwesen als Frühstückspensionen dem zunehmenden Touristenboom der im Sommer anreisenden Wassersportler öffneten.

Ferner machte Jack viele Strandspaziergänge und Wanderungen oberhalb der ins Meer ragenden Klippen, von wo aus er die bunten Fischerboote und die zahlreichen Windsurfer beobachtete, die zum Ende der Touristensaison noch immer die Küstengewässer bevölkerten.

So manches Mal hatte er sich dabei spezielle Ansichten gemerkt, die er anschließend unbedingt in seinem kleinen Atelier zeichnen wollte. Deshalb blieb er so manches Mal auf seinen Trails stehen und hielt das, was er mit seinem künstlerisch geübten Auge sah, mit Smartphonefotos fest.

Und bei den Motiven, bei denen er sich sicher war, dass er sie später malen würde, fertigte er zusätzlich schon einmal grobe Kohleskizzen in seiner kleinen Kladde an.

Diese neuen und ungezwungenen Aktivitäten waren der seelischen Rekonvaleszenz von Dr. Jack Bishop, nicht zuletzt auch dank der uneigennützigen Unterstützung von Rosi und George MacDermott überaus dienlich gewesen.

Dazu beigetragen hatten auch seine Besuche in dem nahegelegenen Lokal namens Lawrencetown Grocery & Pizza, bei denen er sich regelmäßig einmal die Woche zu Gesprächen mit Nachbarn und Bekannten traf.

Die 65-jährige Rosi, die Jack mit sanfter Gewalt dazu gezwungen hatte, sie künftig nur noch mit ‚Tante Rosi’ – und nicht mehr, so wie in seiner Collegezeit, mit Mrs. MacDermott anzureden, hatte Jack schon bei der besagten ersten Dinnereinladung verblüfft.

Mit ihrer unverkennbar schulmeisterlichen Art hatte sie nämlich, nach einem überschwänglichen Dank für das von Jack mitgebrachte Geschenk gesagt, dass sie das von ihm vor rund 12 Jahren gemalte Bild einem Kunstexperten zur Begutachtung vorlegen würde. Als Jack widersprechen wollte, gab sie ihm deshalb sofort Kontra.

„Jack, ich freue mich so sehr über dieses wundervolle Präsent. Ich werde es auch behalten, keine Angst. Aber da du es mir schließlich geschenkt hast, darf ich damit auch machen, was ich will!“, hatte sie gerufen, als Jack Bishop sie im selben Moment zwar erfreut aber auch ein wenig zweifelnd angeschaut hatte.

„Dein Experte wird aus dem Lachen gar nicht mehr herauskommen, wenn er dieses laienhafte Elaborat zu Gesicht bekommt“, hatte Jack geantwortet. „Aber von mir aus, gerne. Sei aber bitte nicht überrascht, wenn er mich anschließend nicht zum neuen kanadischen Picasso ernennt.“

Allmählich begann sich Jacks Leben nach diesem ersten Abend im sommerlichen Neuschottland deutlich zu verändern.

Tagsüber folgte er einem selbst auferlegten Zeitplan und schrieb nach dem Frühstück meist nicht länger als vier Stunden am Stück an seinem aktuellen Roman.

Nach dem mittäglichen Lunch ging er bei jedem Wetter anschließend stets mindestens drei Stunden am wellenumtosten Strand entlang des Atlantic View Trails spazieren.

Oder er folgte am östlichen Ende des Strands dem schmalen Geröllpfad, wo er sich das ein oder andere Mal unter die überhängenden Klippen setzte, um sich von dort aus die faszinierende Gewalt der an die Küste brandenden Atlantikwellen anzusehen.

Da sich Jack Bishop schon von Anfang an entschlossen hatte, wieder mit dem Malen anzufangen, war er bereits zum Monatsbeginn in die nicht weit entfernte Großstadt Halifax gefahren, um sich dort eine professionelle Ausrüstung für malende Künstler zu besorgen.

Mit diesem Handwerkszeug, zu dem vor allem auch eine transportable Staffelei in einem Holzkoffer gehörte, saß er jetzt immer öfter auf einem Klappstuhl in der Schotterauffahrt vor seinem, von herbstlichen Blüten geschmückten Garten oder er nahm seine Malwerkzeuge auf seine nachmittäglichen Streifzüge oberhalb und unterhalb der Klippen mit.

Und wenn es mit seinem zu zwei Dritteln geschriebenen neuen Roman einmal nicht so richtig weiterging, saß Jack auch vormittags vor seinem Garten, um den Spätsommer und die sich dort bietenden Farben und die nahen Ansichten der Atlantikküste mit Kreide und Pinsel festzuhalten.

Als Jack Bishop mit dem Malen angefangen hatte, hatte er jedoch zunächst nur sein Cottage in rohen Kohleskizzen aus allen Himmelsrichtungen zu Papier gebracht und anschließend mit sanften Acrylfarben auf Leinwand gebannt.

Doch um seine Vergangenheit, vor allem, um seine zeitweise immer noch präsenten nächtlichen Alpträume zu bewältigen, war Jack Bishop des Öfteren nachts aufgestanden und hatte das, was ihm seine verletzte Seele vorgab – zuerst als rohe Skizze – und dann in beeindruckender Weise in lebendigen Acrylfarben auf Leinwand gemalt.

Herausgekommen war das fast wie eine Fotografie wirkende Abbild der jungen und überaus traurig blickenden Samira, der er damals im Irak nicht hatte helfen können und für die er auf diese Weise ein Stück ewigen Gedenkens erschaffen wollte.

Allerdings verbarg Jack das überaus gelungene Gemälde der jungen Jesidin stets in einem Sekretär seines Ateliers. Gleichwohl kam er aber nicht umhin, das anrührende Bildnis seit dessen Fertigstellung fast jede Nacht stundenlang und gedankenverloren vor dem Zubettgehen zu betrachten.

„Warum hast du das nur gemacht, Samira. Ich wollte dir doch wirklich nur helfen – hast du das denn nicht gemerkt?“, hatte er mehr als einmal zu dem Porträt der jungen Frau gesagt. Nur eine Antwort darauf, hatte er nie – und würde er natürlich auch in Zukunft niemals erhalten.

Als Jack Ende August gerade dabei war, in seinem Klappstuhl die herbstliche Blumenwiese seines Gartens in farbenfrohen Tönen zu zeichnen, war er von Tante Rosi und einem ihm unbekannten Mann gleichsam überfallen worden.

„Jack, das ist Professor Richard O’Hara“, hatte Rosanna MacDermott ihren distinguiert wirkenden und gut gekleideten Begleiter vorgestellt.

„Und dieser Kerl da ist der Sohn meiner besten Freundin Bridget, Dr. Jack Bishop. Seinen eigentlichen Beruf als Arzt und Psychologe bei der Armee hat er inzwischen an den Nagel gehängt.

Seit er aus dem Irak zurück ist, schreibt er nämlich jetzt hauptberuflich Kriminalromane. Darin kennt er sich gut aus, weil er ja in den zwei Jahren vor seiner Tätigkeit als Berater unserer Streitkräfte zusammen mit meinem Mann als Profiler für die RCMP in Halifax gearbeitet hat.

Aber hin und wieder malt er sich jetzt auch die in seinem militärischen Vorleben verwundete Seele aus dem Leib. Ein noch früheres Beispiel seines Schaffens aus seiner Jugendzeit hab’ ich Ihnen ja schon gezeigt.“

„Und das, was ich da begutachten durfte, war ein sehr vielversprechendes Werk, Dr. Bishop. Ich wünschte mir sehr, dass all meine Schüler so beeindruckend malen könnten, wie Sie.

Da mir meine Freundin Rosanna gesagt hat, dass Sie ihrem Hobby inzwischen wieder mehr Zeit widmen, wäre ich sehr froh, wenn Sie mir heute einen Blick auf Ihre neueren Bilder gestatten würden.“

„Tante Rosanna, das solltest du doch nicht tun“, erwiderte Jack mit einem entnervten Aufseufzen – kaum das der Professor geendet hatte – noch im selben Augenblick.

„Professor O’Hara, ich bin wirklich nicht mehr, als ein Hobbymaler. Im derzeitigen Hauptberuf bin ich nämlich, wie Tante Rosi schon erwähnt hat, in erster Linie Schriftsteller – und der Job ernährt seinen Mann in ausreichender Weise, glauben Sie mir. Die Malerei ist für mich deshalb wirklich nur eine Liebhaberei, und nicht mehr“, sagte Jack Bishop in Richtung des Professors.

„Na, wenn das so ist, dann muss ich wohl den für ihr Jugendbild verliehenen Preis der Kunstakademie Halifax wieder mitnehmen“, grinste Professor O’Hara, während er demonstrativ seinen teuren Burberrymantel auszog und sich auf die von Rosis Mann George aufgearbeitete, und deshalb gut gepolsterte Gartencouch niederließ.

„Ein klein wenig unbequem für meine langen Beine, aber ich kenne solch extravagante alten Gartenmöbel aus meiner eigenen Umgebung ganz gut“, fing der Professor gleich darauf wieder zu sprechen an, noch ehe Jack Bishop eine entschuldigende Antwort parat hatte.

„Also, Dr. Bishop, wie sieht’s aus? Wären sie so nett, mir trotzdem ein paar Ihrer Werke zu zeigen? Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn sie mir das erlauben würden.

„Also gut Professor, kommen Sie mit – aber ich warne Sie gleich. Mehr als ein paar Dutzend Bilder sind in den letzten Monaten nicht entstanden. Und die meisten davon sind noch nicht einmal fertig.“

Obwohl Jack den Professor gerne möglichst rasch wieder aus seinem Malstudio hinauskomplimentiert hätte, dauerte dessen stille Prüfung seiner Gemälde mehr als eine volle Stunde.

„Das ist vorzüglich, wie sie die Stimmungen und die Landschaft eingefangen haben, Dr. Bishop. Ich bin begeistert“, sagte Richard O’Hara, als er sich nach der Inaugenscheinnahme etlicher Gemälde endlich zum Verlassen des lichtdurchfluteten Studios aufmachen wollte.

Doch zuvor nahm Professor O’Hara noch ein letztes Mal auf einem bequemen Stuhl des Ateliers Platz, um eine zusammenfassende Bewertung im Beisein von George und Rosi MacDermott abzugeben.

„Dieser Mann malt seine Umgebung einfach mit einem künstlerischen Auge, dass ich so bislang nur selten gesehen habe. Sie sind von der künstlerischen Seite aus gesehen – ein richtiges Wunderkind, Jack – hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?

Ich würde all Ihre Werke, die Sie hier in Ihrem Studio stapeln, gerne einmal in meiner Kunstgalerie ausstellen, sobald sie sich entschließen, auch die neu begonnenen Bilder endlich mal fertig zu malen.

Hier haben Sie meine Karte. Ich rechne mit Ihrem Anruf, mein Lieber. Und ich prophezeie Ihnen schon heute, dass mir die Leute Ihre Bilder aus der Hand reißen werden.“

Doch dann fiel der Blick von Professor O’Hara auf Samiras Porträt, das Jack am Abend zuvor vergessen hatte, in die angestammte Schublade zurückzulegen.

„Sie malen auch Porträts? Das hat mir Rosanna überhaupt nicht gesagt. Wer ist das auf diesem absolut hervorragend gezeichneten Gemälde? Ich würde es Ihnen nämlich gerne für meine Privatsammlung abkaufen, so fantastisch, wie es ausgearbeitet ist. Und spätestens, wenn ich das Bild in eine Ausstellung gebe, muss man ja wissen, wen es darstellt.“

„Wer das ist, geht Sie nichts an, Herr Professor. Und außerdem ist dieses Porträt unverkäuflich. Eigentlich liegt es nur aus Zufall hier offen herum“, erwiderte Jack ein wenig ärgerlich, während er Tante Rosi kurz einen zornblitzenden Blick zuwarf, den der Professor dennoch bemerkte.

„Ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten, Jack, bitte entschuldigen Sie. Mich hat dieses faszinierende Bild einfach nur überwältigt.

Und nur deshalb hab’ ich so unverblümt gefragt. Aber es würde mich sehr freuen, wenn ich noch einmal wiederkommen dürfte. Solche Talente, wie Sie treffe ich nicht an jedem Tag – soviel müssen Sie mir als erfahrenem Kunstexperten schon glauben.“

Es dauerte anschließend noch etliche Tage, bis Jack dem guten Rat des freundlichen Kunstprofessors unter dem ständigen Zureden von Rosanna MacDermott folgte, und sich mehr Zeit für die Fertigstellung seiner noch nicht beendeten Bilder nahm, ohne jedoch dabei die schriftstellerische Arbeit an seinem neuen Roman zu vernachlässigen.

Nur, wenn es mit seinem bereits im Irak begonnenen und jetzt bereits zu zwei Dritteln fertiggeschriebenen Roman nicht so richtig weiterging, saß Jack am teilweise bewaldeten Strand, um den beginnenden Indian Summer und die sich dort bietenden Ansichten von Wäldern und Meer sowie die herrlichen Sonnenuntergänge an der Atlantikküste farbenfroh mit Ölkreide und Pinsel festzuhalten.

Seine Nachbarin Rosanna MacDermott, und hin und wieder auch ihr Ehemann George meldeten sich unterdessen immer wieder zu den von Rosi als dringenden Hilfseinsatz titulierten Besuchen, um den Fortgang seiner schöpferischen Tätigkeit zu fördern.

Dabei wurden die beiden auch nicht müde, die Bitte von Professor O’Hara immer wieder neu anzusprechen.

Erst als dem darüber stets lächelnden Jack das Gezerre ein wenig zu viel wurde, ließ er sich schließlich breitschlagen und schickte zwölf seiner Gemälde in die Kunstakademie des Professors nach Halifax, wo sie zur Freude und mit der fachkundigen Hilfe von Professor O’Hara schon bald in einer Vernissage fachkundigem Publikum vorgestellt werden sollten.

Kapitel 4Begegnung am Strand

Anfang September war das Wetter an der kanadischen Küste von Ostneuschottland noch immer unverhofft schön, wenn auch bereits ein wenig windiger, als noch im August.

Jack nutzte die sonnigen Tage nach wie vor zu ausgedehnten Spaziergängen, oder er setzte sich in seinen Mercedes GLS und erkundete die Gegend entlang der Küstenstraße. Dabei hatte er stets seine Malutensilien dabei. Und ganz allmählich wurden seine nächtlichen Albträume in den letzten Wochen immer weniger.

„Es geht langsam voran“, dachte Jack, als er an diesem schönen Herbstmorgen mit seiner mobilen Staffelei auf einen Parkplatz am Atlantic View Trail fuhr und aus seinem Auto ausstieg.

Seine Staffelei stellte er diesmal oberhalb des Strandwegs auf, um das ungewöhnlich klare Licht der Morgensonne über der Küste sowie die vom stürmischen Wind schaumbedeckten Wellen, die geschäftigen Fischerboote und die zahlreich über der Küste schwebenden Seevögel einzufangen.

Tief in seine Malerei versunken, wurde er nach einer Weile plötzlich unerwartet von hinten angesprochen und zugleich an seiner Jacke gezupft.

„Hey Mister – was malst du da?“, fragte das bildhübsche kleine Mädchen, das da auf einmal nahezu lautlos hinter ihn getreten war und seine noch unfertige Zeichnung interessiert betrachtete.

„Ich male das Licht über den Wellen. Im Indian Summer, wenn sich die Bäume so schön gelborange und rot färben, sind das Licht und die Farben nämlich besonders intensiv, weißt du“, antwortete Jack Bishop leise.

„Ich heiße Jack – und wer bist du? Bist du etwa deinen Eltern weggelaufen?“

„Ich bin Elli – und so leuchtende Farben hab’ ich noch nie gesehen. Das Bild, das du da gerade malst, finde ich nämlich sehr schön“, antwortete die Kleine bei einem genaueren Blick auf das fast fertige Aquarell.