Neustart mit Hindernissen - K. B. Stock - E-Book

Neustart mit Hindernissen E-Book

K. B. Stock

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Thomas O'Hara arbeitet als Pilot eines Helikopters vom Typ Super Puma der Bundespolizeifliegerstaffel in Fuhlendorf bei Bad Bramstedt. Als er und seine Crew im März 2015 bei einem riskanten Rettungseinsatz über der Nordsee verunglücken, werden er und sein Kopilot Bernd Köster schwer verletzt. Nachdem Tom im Juni nach mehreren Operationen im Krankenhaus und der anschließenden stationären Reha im Universitätsklinikum Eppendorf das Krankenbett verlassen darf, beschließt er, eine einjährige Auszeit in Irland zu nehmen, wo er von seiner im Mai verstorbenen irischen Großmutter ein Cottage nahe der Stadt Tramore geerbt hat. Als er bei engen Freunden seiner Familie in Irland ankommt, trifft er nicht nur auf seine Jugendfreundin Brenda MacNeil, die mittlerweile verheiratet als Superintendent bei der irischen Polizeibehörde Garda Síochána arbeitet, sondern auch auf deren Schwester Brianna, die nach ihrer Militärzeit inzwischen als Pilotin bei der Irish Coast Guard einen Rettungshubschrauber fliegt. Ungewöhnlich schnell kommen Brianna und Tom zusammen, da Bree schon seit Jugendtagen für den deutsch-irischen Piloten schwärmt, sich aber als damals 16-Jährige nie traute, ihm ihre Gefühle zu offenbaren. Als beide zum ersten Mal das geerbte Cottage mit Blick auf den anstehenden Renovierungsbedarf besichtigen, fällt aus dem Hinterhalt ein Schuss, von dem Tom unter der Schulter gestreift wird. Dass er damit urplötzlich in Machenschaften des organisierten Verbrechens gerät, ist weder Brianna noch ihm anfangs klar. Und dass sich daraus zudem ein grenzüberschreitender Polizeieinsatz entwickelt, markiert erst den Anfang des im Anschluss folgenden Geschehens …

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1Rettungseinsatz auf hoher See

Kapitel 2Der Krankenhausaufenthalt

Kapitel 3Persönlicher Wendepunkt im Leben

Kapitel 4Ankunft auf der Grünen Insel

Kapitel 5Eine Frau wie ein Orkan

Kapitel 6Ein ereignisreicher Sonntag

Kapitel 7Das alte Cottage

Kapitel 8Ein ungebetener Gast

Kapitel 9Verdeckte Ermittlungen – Vorbereitung

Kapitel 10Herzinfarkt oder Mord?

Kapitel 11Verdeckte Ermittlungen – Durchführung

Kapitel 12Überraschende Neuigkeiten

Kapitel 13Das Renovierungsprojekt

Kapitel 14Eine leidenschaftliche Nacht

Kapitel 15Ein Tag voller Überraschungen

Kapitel 16Die SAR-Rescue-Base 117 der IRCG

Kapitel 17Vorbereitungsmaßnahmen

Kapitel 18Informationsaustausch und Konsequenzen

Kapitel 19Ankunft des Einsatzkontingents

Kapitel 20Besuch aus Deutschland

Kapitel 21Ein unerwartetes Geständnis

Kapitel 22Mörderjagd per Hubschrauber

Kapitel 23Überwachungsoperationen

Kapitel 24Die Beschlagnahme der CATALINA

Kapitel 25Falle für den Rescue 117

Kapitel 26Gemeinsames Wochenende in Killarney

Kapitel 27Der weiße Lieferwagen

Kapitel 28Kein Entkommen für die CARIBIC STAR

Kapitel 29Das Ende des Schmugglerrings

Kapitel 30Abschluss und Epilog

NachwortMünchen im Oktober 2022

Namenverzeichnis der handelnden Personen

Impressum

Copyright © 2022 by K. B. Stock

Verlag: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

Anmerkung des Verfassers:

Handlung und Personen dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten oder Namensgleichheiten mit tatsächlichen Ereignissensowie lebenden Personen oder Organisationen sind zufällig und daherin keiner Weise beabsichtigt.

Titelabbildung Einband:

„bray-3598716_1280.jpg“

Quelle: www.pixabay.com

Neustart mit Hindernissen

Ein Kriminalroman aus Irland

von K. B. Stock

Vom Verfasser bisher erschienen:

Die Erben der Larojaner (03/2015)

Band 1 SF-Reihe

Aufbruch nach LARO 5 (08/2015)

Band 2 SF-Reihe

Planet der Sklaven (07/2016)

Band 3 SF-Reihe

Kampf um SANTOR, Teil 1 (12/2017)

Band 4, Teil 1 SF-Reihe

Die Firma des Piloten (12/2015)

Krimi

Die Liga der Paladine (12/2016)

SF-Krimi

Im Wirbelsturm der Gefühle (03/2017)

Kanadakrimi

Abenteuer in Oregon (02/2018)

Abenteuerkrimi aus den 50er-Jahren

Kampf um Santor, Teil 2 (07/2018)

Band 4, Teil 2 SF-Reihe

Angriff aus dem Cyberraum (02/2018)

Krimi

Der Plan ANDROMEDA (09x/2019)

Band 5 SF-Reihe

Absturz ins Glück (02/2020)

Krimi

Die ORION-Mission (11/2020)

Band 6 SF-Reihe

Zum Inhalt:

Thomas O’Hara arbeitet als Pilot eines Helikopters vom Typ Super Puma der Bundespolizeifliegerstaffel in Fuhlendorf bei Bad Bramstedt. Als er und seine Crew im März 2015 bei einem riskanten Rettungseinsatz über der Nordsee verunglücken, werden er und sein Kopilot Bernd Köster schwer verletzt.

Nachdem Tom im Juni nach mehreren Operationen im Krankenhaus und der anschließenden stationären Reha im Universitätsklinikum Eppendorf das Krankenbett verlassen darf, beschließt er, eine einjährige Auszeit in Irland zu nehmen, wo er von seiner im Mai verstorbenen irischen Großmutter ein Cottage nahe der Stadt Tramore geerbt hat.

Als er bei engen Freunden seiner Familie in Irland ankommt, trifft er nicht nur auf seine Jugendfreundin Brenda MacNeil, die mittlerweile verheiratet als Superintendent bei der irischen Polizeibehörde Garda Síochána arbeitet, sondern auch auf deren Schwester Brianna, die nach ihrer Militärzeit inzwischen als Pilotin bei der Irish Coast Guard einen Rettungshubschrauber fliegt.

Ungewöhnlich schnell kommen Brianna und Tom zusammen, da Bree schon seit Jugendtagen für den deutsch-irischen Piloten schwärmt, sich aber als damals 16-Jährige nie traute, ihm ihre Gefühle zu offenbaren. Als beide zum ersten Mal das geerbte Cottage mit Blick auf den anstehenden Renovierungsbedarf besichtigen, fällt aus dem Hinterhalt ein Schuss, von dem Tom unter der Schulter gestreift wird. Dass er damit urplötzlich in Machenschaften des organisierten Verbrechens gerät, ist weder Brianna noch ihm anfangs klar. Und dass sich daraus zudem ein grenzüberschreitender Polizeieinsatz entwickelt, markiert erst den Anfang des im Anschluss folgenden Geschehens …

Kapitel 1Rettungseinsatz auf hoher See

Der im Haus seiner Eltern in Hamburg-Blankenese aufgewachsene Thomas O’Hara hatte nach einem schweren Unfall im März 2015 monatelang mit sich und der Welt gehadert. Dies insbesondere deshalb, weil er seinen Traumberuf als Hubschrauberpilot zukünftig wahrscheinlich nie mehr würde ausüben können. Denn ob und inwieweit er sich trotz seiner 30 Lebensjahre von den beim Unglück erlittenen Rücken- und Kopfverletzungen noch einmal vollständig erholen würde, stand in den nachfolgenden Wochen seines Krankenhausaufenthalts zunächst in den Sternen.

Auslöser des besagten Unfalls war ein zur Mitte des Monats März spätnachmittags mit höchster Dringlichkeit vom MRCC1Bremen angeforderter Seenotrettungseinsatz gewesen, der am Ende den tragischen Absturz des von Tom O‘Hara gesteuerten SAR2-Hubschraubers vom Typ Super Puma3 in die Nordsee zur Folge gehabt hatte.

Schon vor dem Abheben vom Fliegerhorst seiner Bundespolizeifliegerstaffel in Fuhlendorf bei Bad Bramstedt hatte es wie aus Eimern gegossen und auch das von See kommende Sturmtief, war augenscheinlich auf dem besten Weg sich zu einem ausgewachsenen Orkan zu entwickeln.

„Bei so ‘nem Schietwetter gehen sogar die Möwen zu Fuß – und was machen wir? Wir fliegen raus auf See – und das sogar bei hereinbrechender Dämmerung“, hatte ihm sein Kollege und Kopilot Bernd Köster zuvor noch beim Einsteigen in ihre Maschine mit einem Blick in den aschgrauen Himmel zugeflachst, als Thomas nach einem knappen Rundumcheck die Turbinen des Super Pumas auf Drehzahl brachte und seiner dreiköpfigen Bergecrew das Zeichen zum Anschnallen gab.

„Möwen haben auch keine zwei Turbinen mit 1.600 PS im Kreuz, mein Lieber – und unser schwerer Heli ist ja gerade für solche Rettungseinflüge konstruiert worden. Außerdem sind da draußen Menschen auf ‘nem Kümo4 in Seenot, die nun mal die Hilfe von uns Sturmtrupplern brauchen. Wirst sehen, mit dem bisschen Regen und Wind werden wir schon fertig. Ist ja nicht das erste Mal, dass wir bei so einem Dreckswetter zu ‘nem Einsatz aufbrechen müssen“, hatte Thomas O’Hara seinem Freund und Kollegen geantwortet, als er sich seinen Pilotenhelm schnappte und gleich danach den Super Puma in die Höhe zog und auf nordwestlichen Kurs brachte.

„Sturmtruppler, soso. Du guckst eindeutig zu viele Star Wars-Filme, Herr Hauptkommissar“, grinste Oberkommissar Köster seinen Pilotenkollegen auf dem Sitz rechts neben ihm spitzbübisch an, als er sich jetzt ebenfalls sein Helmvisier richtete und die Bordsprechanlage aktivierte.

„Sehr witzig, Herr Oberkommissar. Haben wir eigentlich schon die letzte Position des Frachters – und um wie viele zu rettende Leute an Bord handelt es sich eigentlich?“, fügte Thomas O‘Hara in diesem Moment gleich noch zwei Fragen über Bordfunk hinzu.

„Daten kommen grad von der Seenotleitung Bremen rein – lass mich die letzte Position des SOS-funkenden Schiffs mal eben in unseren Navi-Computer eingeben, damit du sie auch auf deinem Flight Display siehst. Schau mal, der Stückgutfrachter steht ein paar Seemeilen westwärts von Helgoland auf 270 Grad.

Der Frachter heißt übrigens MS SIGLINDE mit Heimathafen Bremen. Besatzung: Kapitän, Steuermaat plus zwei Mann. Insgesamt also nur vier Leute, davon angeblich einer leicht verletzt. Frage mich nur, was diese Bekloppten bei dem Wetter da draußen zu suchen haben.

Ach so, laut unserer Leitzentrale ist ihr Schiffsdiesel ausgefallen, womit sie in der schweren See manövrierunfähig sein dürften, und schon bald mehr Wasser aufnehmen, als gut für sie ist. Angeblich funkt der Käpt’n deshalb auch noch immer verzweifelt auf der Notfrequenz 156,8 MHz – ich versuche den Kerl zu erreichen, sobald wir ein bisschen näher an ihm dran sind – okay?“

„Roger – würde mich nicht wundern, wenn wir’s hier mit Schmugglern zu tun hätten, die wahrscheinlich abseits der üblicherweise befahrenen Routen auf dem Weg nach Dänemark oder vielleicht auch nach Skandinavien waren. Die unübliche Besatzungsstärke von nur vier Mann spricht in dieser Beziehung doch Bände.

Erleben wir ja schließlich nicht zum ersten Mal, dass solche Idioten ein heraufziehendes Schlechtwetter für ihre Schmuggelfahrten zu nutzen versuchen. Sag‘ besser mal hinten Bescheid, damit wir bei der Bergung nachher keine unliebsamen Überraschungen erleben.“

„Aye, Aye Käpt’n – das mach ich aber lieber via Bordfunk vom Sitz aus. Wenn ich mich nicht irre und du das sanfte Fliegen noch nicht völlig verlernt hast, bewegen wir uns nämlich in den nächsten Minuten mitten in ein deftiges Gewitter hinein. Da sollte ich wohl besser hier vorne bleiben, um notfalls übernehmen zu können. Unser Vogel ist ja schließlich nicht die windschnittigste Mühle aus unserem Flugzeugpark. Schau nur hin, dort vorne blitzt es schon ganz gewaltig.“

„Seh‘ ich auch, Bernd. Frage Abbruch?“, erwiderte Thomas O’Hara nach einer Weile mit gequetschter Stimme, während er die immer heftiger werdenden Turbulenzen weiterhin auszusteuern versuchte.

„Nöh, wir brechen nicht ab – selbst wenn das da unten vielleicht nur irgendwelche Kriminellen sind, benötigen sie dennoch unsere Hilfe, obwohl dieser Kapitän inzwischen nicht mehr zu funken scheint. Auf dem Notfunkkanal 16 sowie auf den anderen Notfunkfrequenzen herrscht nämlich absolute Stille. Ich bekomme jedenfalls keine Verbindung zu ihm, obwohl wir nur noch wenige Meilen von seiner letzten Position entfernt sind.“

„Also gut, Bernd – probieren wir es. Wenn wir Glück haben, steht die SIGLINDE momentan im Auge des ehemaligen Wirbelsturms, da dürfte es etwas ruhiger zugehen. Aber wir machen nur einen einzigen Anflug. Wenn der nicht klappt, drehen wir ab – schließlich tragen wir ja auch die Verantwortung für das Wohl unserer eigenen Bergemannschaft.“

Nachdem sich der im Sturm schlingernde Hubschrauber etliche Meilen später auf die Position des Havaristen zugekämpft hatte, schrie Polizeioberkommissar Köster plötzlich auf: „Da rechts von uns – die Signallichter auf zwei Uhr. Das muss unser Ziel sein. Mann oh Mann, die saufen in Kürze ab, wenn der Kahn von der hinter ihm anrollenden Wellenfront erwischt wird. Das Heck des Frachters liegt fast schon auf Wellenhöhe.“

„Verstanden, Bernd. Pilot an Bergecrew: Besetzt die Winsch und lasst zuerst die Fangleine und dann den großen Tragekorb für die vier Leute runter. Wir müssen die Männer alle auf einmal vom Zwischendeck neben der Brücke raufholen, aber passt auf, wenn die Kerle nachher an Bord kommen. Ich mache jetzt einen Anflug von achtern. Und denkt dran – wir haben nur einen Versuch.“

Als die Mannschaft des Super Puma kurz danach über dem antriebslos auf den Wellen tanzenden Küstenmotorschiff mit der Rettung begann, klappte sich der Kopilot Bernd Köster sein Nachtsichtgerät vor das Helmvisier, um den Rettern im hinteren Teil des Helis exakte Richtungsanweisungen zur Bewältigung ihrer Aufgabe geben zu können.

„Was machen die Idioten da unten nur – verdammt, warum dauert das so lange? Kann doch nicht so schwer sein, in unseren Korb zu klettern. Das tiefliegende Heck ihres Schiffs kann ich kaum mehr ausmachen. Ich fass es ja nicht. Scheint fast so, als ob die sich noch in aller Ruhe ein paar dicke Überjacken zum Schutz vor der Kälte anziehen. Geh mal ein bisschen tiefer, damit ich besser sehen kann, was da unten vor sich geht.“

„Okay, Bernd – ich sinke nochmal um 100 Fuß. Unser Winschoperator Hannes sagt, dass der Windenkorb unten an Deck angekommen ist. Pilot an Windencrew: Gebt Gas, der rostige Scheißfrachter liegt jetzt quer zur Wellenfront. Wenn er sich um 90 Grad dreht, stellt er sich gleich mit dem Bug auf, wenn wir uns nicht beeilen. Übrigens hör‘ ich grade über Funk, dass der SRK5 Hermann Marwede der DGzRS6 schon seit Alarmierungsbeginn mit Volldampf von Helgoland aus auf unsere Position zuläuft.“

„Gut, dann geh‘ ich jetzt mal zu unserer Bergecrew nach hinten – der Rettungskorb kommt nämlich gleich hoch. Ich melde mich gleich wieder bei dir. Dann verringerst du bitte unsere Flughöhe so weit wie möglich, damit das Einholen des Korbs schneller vonstatten geht.“

Nachdem sich Oberkommissar Köster am Rahmen der offenstehenden Seitentür des Super Puma mit einem Sicherungshaken eingeklinkt und sein Sprechgeschirr in die vorgesehene Buchse des Bordsprechfunks eingestöpselt hatte, warf er einen besorgten Blick auf die aufgewühlte, tiefschwarze Meeresoberfläche, die er nur anhand der weißen Wellengischt ausmachen konnte.

„Korb ist an der Tür – alle Mann sofort raus und einsteigen – los, los, los“, brüllte im nächsten Moment der Winschoperator, Polizeihauptmeister Hannes Kröger, die vier Geretteten an, während seine beiden Kameraden und Bernd Köster mit aller Kraft halfen, die Schiffbrüchigen in den Laderaum des Hubschraubers zu verfrachten.

Als das Bergeteam des Hubschraubers gleich im Anschluss den Rettungskorb in die Maschine ziehen wollte, stand Polizeioberkommissar Köster auch schon breitbeinig vor den vier in verschmutzte Overalls plus dicke Überjacken gehüllten und vor Kälte zitternden Havaristen.

„Zieht wenigstens eure nassen Anoraks aus – oder wollt ihr etwa erfrieren? Mit ‘ner Bordheizung können wir an Bord dieses Polizeihubschraubers nämlich leider nicht dienen. Wollen doch mal sehen, was ihr Kerle vorhin noch unter euren Parkas habt verschwinden lassen. Wer von euch Vollpfosten ist eigentlich der Kapitän der SIGLINDE?“, herrschte er die vier Männer jetzt umgehend mit barscher Stimme an, wobei ihm deren Erbleichen bei dem von ihm laut gebellten Wort Polizeihubschrauber durchaus nicht entging.

Doch anstelle einer Antwort zog der Älteste der vier Männer, ein schmierig aussehender Vollbarttyp, urplötzlich eine 9 mm Makarow-Pistole aus seiner Jackentasche, mit der er, ohne zu zögern dem vor ihm stehenden hochgewachsenen Oberkommissar in die Brust schoss.

Noch während der völlig überraschte Bernd Köster blutüberströmt zu Boden ging, warfen sich die drei Polizisten der Bergemannschaft auch schon auf die vier offensichtlichen Gangster, wobei es zunächst PHM7 Hannes Kröger geistesgegenwärtig mit dem neben der Tür für Notfälle befestigten Stemmeisen gelang, den Schützen durch einen heftigen Schlag auf dessen Schulter zu entwaffnen und auszuschalten.

„Ihr Drecksbullen!“, knurrte der Alte, der offenbar der vorgebliche Kapitän des Schmuggelfrachters war, den Bundespolizisten jetzt mit schmerverzerrtem Gesicht an. „Du hast mir meine Schulter gebrochen, du Schwein!“

„Halt die Schnauze, du Blödmann und rühr‘ dich ja nicht mehr. Sonst kriegst du mein Brecheisen beim nächsten Mal direkt auf deinen blöden Schädel. Los, Leute – Kabelbinder raus. Fesselt diesen vier Figuren Hände und Füße und tastet die Idioten nach weiteren Waffen ab – ich kümmere mich derweil um Bernd“, befahl Hannes Kröger sofort.

Doch als er sich gerade dem in einer Blutlache liegenden Oberkommissar zuwenden wollte, schrie er vor Wut laut auf: „Verfluchte Scheiße, wo ist unser Korb? Habt ihr den etwa nicht reingeholt und verzurrt?“, fuhr er seine Kameraden mit aschfahlem Gesicht an.

Im nächsten Moment überschlugen sich die Ereignisse. Noch während der tieffliegende und ohnehin schon von den heranpeitschenden Sturmböen durchgeschüttelte Hubschrauber urplötzlich noch mehr zu bocken begann und sich dabei auf die Seite legte, drang PHK8 Tom O’Haras Stimme aus den Kopfhörern der Bergemannschaft.

„Verdammt nochmal, was ist da hinten bei euch los? Ich kann unsere Mühle kaum noch in der Luft halten.“

„Boss wir haben den Rettungskorb verloren, als einer der vier Havaristen auf Bernd geschossen hat. Bernd ist schwer verletzt und blutet aus einer Schusswunde in der Brust. Wir mussten die Ärsche erst überwältigen und deshalb haben wir den Kasten nach dem Abbergen einen Moment lang aus den Augen gelassen. Soweit ich es von hier aus erkennen kann, hat sich der Korb am Ladebaum des untergehenden Frachters verfangen. Daher unsere Schräglage. Ich versuche jetzt das Verbindungsseil zu kappen“, gab der inzwischen in der offenen Tür stehende Hannes Kröger entnervt an seinen Kommandanten durch als er auch schon mit einer Rettungsaxt auf das bis zur Belastungsgrenze angespannte Stahlseil eindrosch.

„Das bringt nichts, Hannes. Das Seil hat viel zu viel Spannung. Bereitet euch auf eine Notwasserung vor und setzt gleich danach unser Schlauchboot und die Rettungsinsel aus. Dann packt ihr die vier Mistkerle ins Schlauchboot und bewacht sie mit zwei Mann“, schrie Thomas O’Hara über Bordfunk zurück, bevor er noch etwas ruhiger hinzufügte:

„Wenn wir unten sind, komme ich nach hinten und einer von euch hilft mir Bernd an Bord unserer Rettungsinsel zu hieven. Wir sind nur noch knapp 30 Fuß über der Meeresoberfläche und ein paar Minuten kann unser Pirol9 ja sogar in dieser kabbeligen See schwimmen.

Denkt an euer letztes Notfalltraining, dann wisst ihr was zu tun ist. Ich setze jetzt noch einen Notruf an die Hermann Marwede ab, die in wenigen Minuten bei uns eintreffen dürfte – und dann versuche ich, uns alle heil runterzubringen.“

Doch auch nach der brummigen Bestätigung seines Bergeteamleiters war die Gefahr noch nicht überstanden. Denn obwohl es Tom O’Hara unter widrigsten Wetterbedingungen gelang, die kaum noch zu kontrollierende Maschine auf den heranpeitschenden Wellen aufzusetzen, nahm das eigentliche Fiasko erst ab jetzt seinen Lauf.

Als Tom O’Hara sich nach der Notabschaltung der Turbinen an die offene Schiebetür des Laderaums herangerobbt hatte, sah er in einiger Entfernung das Schlauchboot, in dem gegenwärtig zwei seiner Männer, zusammen mit drei der kurzzeitig von ihren Handfesseln befreiten, noch unverletzten Schmuggler mit heftigen Paddelschlägen weiteren Abstand vom notgewasserten Hubschrauber zu gewinnen trachteten.

Unmittelbar vor der Seitentür des verunglückten Super Pumas stand indessen PHM Hannes Kröger bereits im Einstieg der ausgesetzten Rettungsinsel und hielt den Oberkörper von Tom O’Haras bewusstlosen Freund Bernd Köster mit seinen kräftigen Armen gepackt.

„Chef, du musst mir helfen – allein schaffe ich‘s nicht, ihn zu mir rein in die Insel zu ziehen. So eine Scheiße, jetzt sind wir Retter wegen dieser bescheuerten Schmuggler selbst in Seenot geraten.“

„Keine Sorge, Hannes – der auf uns zulaufende SRK hat meinen Notruf bestätigt und der Hochseezollkreuzer HELGOLAND ist ebenfalls gleich in unserer Nähe. Die waren nämlich auch auf der Jagd nach Drogenschmugglern“, konnte Tom O’Hara gerade noch antworten, als er – noch immer im Türrahmen stehend – die Beine seines Kopiloten vor sich her in die noch angeleinte Rettungsinsel schob.

Doch ein gigantischer Brecher sorgte noch im selben Moment dafür, dass ein gewaltiger Ruck durch den wild auf den Wellen tanzenden Super Puma Helikopter ging. Als sich das Wrack des immer noch mit dem Stahlseil des Rettungskorbs an dem Frachter festhängenden Hubschraubers dabei schlagartig zur Seite neigte und Wasser im Innenraum aufnahm, wurde Tom von der aus den Angeln gerissenen Schiebetür unversehens und mit brutaler Gewalt im Kreuz getroffen.

Dass gleichzeitig auch der sich noch langsam drehende Heckrotor des Helis die Schiffswand des Frachters touchierte und beim Abreißen in viele Teile zersplitterte, bekam der mittlerweile bewusstlose Hubschrauberpilot überhaupt nicht mehr mit. Und noch viel weniger bemerkte er, dass hierbei einer der Splitter seinen Helm durchschlug und ihm eine ernsthafte Kopfwunde zufügte.

Nur den Bärenkräften seines Bergungsteamleiters Hannes Kröger war es am Ende zu verdanken, dass Tom O’Hara und sein Kopilot Bernd Köster den Weg in die leuchtend orangefarbene Rettungsinsel fanden, deren automatisches Notsignal den ankommenden Rettungsschiffen die aktuelle Position der Verunglückten zeigte.

Kapitel 2Der Krankenhausaufenthalt

Als Thomas O’Hara nach vier überstandenen Operationen Mitte April 2015 zum ersten Mal aus dem künstlichen Koma erwachte, wusste er zunächst überhaupt nicht, wo er sich befand. Und noch viel weniger wusste er, wie und warum er in dieses grässlich sterile Krankenzimmer gekommen war, wo man ihn an all die vielen bunt leuchtenden und piepsenden Maschinen angeschlossen hatte.

Doch sehr zur Freude seiner Ärzte begann er sich allmählich wieder an das vor einigen Wochen Geschehene zu erinnern. Die Umstände des Absturzes sowie das Bemühen, seinen angeschossenen Freund und Kollegen Bernd Köster zusammen mit PHM Hannes Kröger aus seinem notgewasserten Hubschrauber hinauszubefördern war jedoch das Letzte, an das er sich noch einigermaßen klar entsinnen konnte.

Der durch den heimtückischen Schuss des Schmugglers verwundete Oberkommissar Köster hatte das Klinikum Bad Bramstedt schon vor etlichen Tagen verlassen dürfen, seinen Kumpel Thomas O‘Hara aber am Tag seiner Verlegung in eine Reha-Einrichtung an der Ostsee Ende April noch einmal an dessen Krankenbett besucht.

„Sieht ja richtig gefährlich aus bei dir. Hier drinnen gibt’s ja beinahe so viele High-Tech-Monitore, Eieruhranzeigen und Kabel, wie in einem unserer Helis – gib’s zu, das Zimmer haben deine Stationspflegerinnen nur für dich so hübsch hergerichtet, damit du dich hier einigermaßen heimisch fühlst“, hatte Bernd Köster seinen Kollegen sofort mit einem schelmischen Lächeln zugeflachst.

„Ist ja auch ‘ne Intensivstation, du Hirni. Die werde ich wohl erst Ende der kommenden Woche verlassen dürfen, obwohl mir das Gepiepse hier drin allmählich auf die Nerven geht. Danach muss ich dann wohl noch bis Mitte Mai auf eine Normalstation der hiesigen Orthopädieabteilung, ehe sie mich im Anschluss in eine Reha-Spezialklinik verfrachten. Aber jetzt mal zu dir, Mister Bulletproof. Wie ich sehe, geht’s dir ja schon wieder ganz passabel, wenn du schon wieder solch beknackte Witze reißen kannst.“

„Sehr witzig mein Lieber. Bulletproof, also kugelsicher? Dass ich nicht lache. Meiner Fliegerkombi war diese Eigenschaft trotz darüber getragener Schwimmweste anscheinend unbekannt. So – und jetzt unk‘ nicht weiter rum. Sei lieber froh, dass unsere Crew und wir den Absturz überlebt haben, auch wenn du eindeutig mehr abbekommen hast als ich. Aber du weißt ja – Unkraut vergeht nicht. Und das gilt anscheinend für uns alle beide.“

„Jaja, mein Freund. Gottseidank haben die Ärzte meine Wirbelsäule und meinen Sturschädel wieder einigermaßen zusammengeflickt. Sagen sie zumindest. Ich bin schon froh, dass ich meine Beine und Füße wieder fühlen und auch halbwegs bewegen kann. Dennoch belastet es mich, dass du als mein Kopilot bei dieser schiefgegangenen Rettungsmission körperlich in Mitleidenschaft gezogen wurdest, wofür ich als verantwortlicher Hubschrauberführer die alleinige Verantwortung trage.

Ich hätte den Einsatz abbrechen müssen, dann wäre das alles nicht passiert – das saumäßige Wetter war für eine erfolgreiche Bergung viel zu gefährlich. Deshalb bin ich auch an unserem Absturz schuld. Bin nur froh, dass wenigstens du wieder auf den Beinen bist, Bernd“, hatte er zu seinem Freund gesagt, als der zur Verabschiedung kurz vor seiner Abreise in sein Krankenzimmer hereingeschneit war.

„Das ist Blödsinn, Thomas – und das weißt du auch. Die Flugunfalluntersuchungskommission ist schließlich zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen. Also hör gefälligst mit deinen bescheuerten Selbstvorwürfen auf – dafür gibt’s nämlich nicht den geringsten Grund. Überdies wären wir beide draufgegangen, wenn wir nicht den mutigen Hannes Kröger an Bord gehabt hätten. Nur ihm und seinem bravourösen Eingreifen haben wir beide es zu verdanken, dass wir den ganzen Schlamassel überlebt haben.

Übrigens könnte genauso gut ich mir Vorwürfe machen. Erstens hatte ich meine Schutzweste nicht an und zweitens hab‘ ich einfach nicht damit gerechnet, dass dieser Drecksack von Schmugglerkapitän auf seine Lebensretter schießen würde. Und dies nur, weil ich ihn und seine Komplizen gleich nach der Bergung mit der Frage nach dem Inhalt ihrer Jackentaschen provoziert habe.

Das war wohl etwas übereilt, doch hat mir das im Nachhinein keine schlaflosen Nächte beschert. Ich bin lediglich wütend auf mich selber, weil ich die Reaktion dieses Mistkerls nicht vorausgesehen habe. Doch die Narbe auf meiner linken Brust wird mich zeitlebens an meine Fehleinschätzung erinnern. Sowas Dämliches passiert mir jedenfalls kein zweites Mal. Dabei hattest du mich ja zu Recht noch vorgewarnt und zur Vorsicht ermahnt.

Es hätte jedoch für mich auch noch viel schlimmer ausgehen können. Fünf Zentimeter weiter links und ich würde heute nicht mehr hier vor dir stehen. Ab jetzt folgen bei mir nochmal drei Wochen Reha und die Staffel hat mich wieder. Außerdem soll man mit schicken Narben auf der Brust ja auch bessere Chancen bei den Mädels haben.“

„Alter Hallodri – was deine zahlreichen Verehrerinnen betrifft, so hab‘ ich mir noch nie Gedanken um dich machen müssen. Aber ich freue mich, dass du schon bald wieder hinter dem Steuerknüppel sitzen wirst“, grinste Tom O’Hara seinen besten Freund umgehend an. Dann fügte er nach einer kleinen Pause noch fragend hinzu:

„Ich lag mit meinem Verdacht demnach goldrichtig, was? Da du nickst, können wir also festhalten, dass unser Einsatz wenigstens ein Teilerfolg war, wenn auch nur ein kleiner – selbst, wenn ich dabei unseren schönen Heli zu Klump geflogen habe.“

„Jetzt lass es endlich sein, Tom – das nervt nämlich allmählich. Apropos, von wegen nur ein kleiner Teilerfolg. Diese Teufel hatten jeder 1,5 Kilogramm reines Kokain in wasserdichten Beuteln in ihren Anoraks. Und inzwischen hat ein Bergungsschiff des Zolls Anfang Mai die SIGLINDE gehoben und damit noch einmal fast anderthalb Tonnen an eingeschweißtem Koks in deren Laderäumen sichergestellt. Das entspricht einem Straßenverkaufswert von beinahe 50 Millionen Euro, was den Anschaffungspreis unseres Super Pumas um ein Vielfaches übersteigt.

Nur Mut, das mit deiner Wiederherstellung wird schon wieder. Wirst sehen, nach deiner Reha sitzt auch du in absehbarer Zeit wieder neben mir im Cockpit. Dies allein schon deswegen, weil ich gerne auch zukünftig mit einem unserer fähigsten Piloten in den Einsatz gehen möchte.“

„Könnte jedoch sein, dass ich dich in dieser Hinsicht enttäuschen muss. Ich glaube nicht, dass mir die Fliegerärzte nach meinen bei diesem Crash erlittenen Rücken- und Kopfverletzungen überhaupt nochmal die dafür notwendige Fliegertauglichkeit bescheinigen werden.

Fürs Schönwetterfliegen mag meine gesundheitliche Verfassung nach meiner Reha ja noch ausreichen – aber für ‘nen Job als Pilot bei der Bundespolizei werden die mir vorerst keine Clearance mehr geben, sondern mich wohl eher auf längere Zeit grounden. Und was das bedeutet, muss ich dir ja nicht extra erklären.

Mein Vater hat übrigens das Gleiche gesagt und mir schon bei einem seiner bisherigen Wochenendbesuche eingebläut, dass ich das, was passiert ist, nicht mehr rückgängig machen kann, obwohl ich mir nicht die Schuld an dem ganzen Fiasko geben soll. Wörtlich hat er gemeint, dass es für mich mit der Fliegerei ab sofort ja wohl ein für alle Mal vorbei wäre.

Daher denke ich momentan über eine Frühpensionierung respektive ein unbezahltes Urlaubsjahr nach. Und anschließend muss ich mir nach Meinung meines Dads möglicherweise neue Ziele setzen, was automatisch auch mit dem Wechsel in einen anderen Beruf verbunden wäre.“

„Red‘ keinen Blödsinn, Tommy. Ich kenne ja deinen aus Irland stammenden Vater, wie auch den Rest eurer Familie ganz gut. Schließlich war ich ja oft genug bei euch zuhause.

So wie ich das sehe, wird Braden O’Hara seine Meinung nach deiner Reha nochmal überdenken und einen Familienrat einberufen. Vor allem wenn er dann merkt, wie sehr dein Herz noch immer an der Fliegerei hängt. Versprich mir also, dass du optimistisch in die Zukunft blickst und keine voreiligen Entscheidungen triffst.“

„Ist ja gut, Bernd – ich warte erst mal den Ausgang meiner Rehabilitation ab und danach sehen wir weiter. Und keine Angst – voreilige Entschlüsse ohne belastbare Grundlage waren noch nie mein Ding. Sieh du lieber zu, dass du wieder ganz gesund wirst, damit du den Flugdienst wieder aufnehmen kannst.

Und wenn du mir noch einen Gefallen tun willst, dann bedank dich bitte bei Hannes Kröger auch in meinem Namen für sein beherztes Eingreifen. Momentan kann ich das ja aus bekannten Gründen noch nicht selber tun. Aber ich werde das natürlich zu gegebener Zeit noch persönlich nachholen. Ich nehme doch mal an, dass du vor Antritt deiner Reha-Maßnahme nochmal bei unserer Staffel vorbeischaust.“

„Mach ich gerne, Tom. Doch halt auch du die Ohren steif – wir sehen uns sicher schon bald wieder. Du wirst mich ja schon alleine deshalb nicht los, weil ich nämlich beabsichtige, deiner hübschen Schwester auch weiterhin den Hof zu machen, wofür ich dich als treuer Kollege und ältester Bruder heute erstmals um deine Erlaubnis bitte.“

„Was geht da zwischen dir und Pamela vor? Du alter Weiberheld wirst doch nicht etwa eine ernsthafte Beziehung im Auge haben – noch dazu mit meiner vorlauten Schwester. Hab‘ ich da bislang irgendwas nicht mitgekriegt?“

„Könnte sein, mein Freund. Aber keine Sorge, nach dem Treffer in meiner Brust habe auch ich erkannt, dass ich mein Leben langsam mal in solidere Bahnen lenken muss. Also, mein lieber Freund – halt die Ohren steif und ruf mich während deiner künftigen Anschlussheilbehandlung zwischendurch mal an. Ein Handy bedienen kannst du doch noch, mein invalider Freund.“

Damit verschwand der schelmisch lächelnde Bernd Köster eilig aus Tom O‘Haras Krankenzimmer, ehe der ihm noch sein gerade erst frisch aufgeschütteltes Kissen hinterherschmeißen konnte.

***

Ab dem Zeitpunkt, an dem Thomas O’Hara die Intensivstation endlich verlassen durfte, hatten sein Vater Braden und im Wechsel auch seine beiden Brüder Collin und Liam sowie seine deutsche Mutter Marianne und seine Schwester Pamela an jedem Wochenende seines weiteren Krankenhausaufenthalts mindestens einmal pro Woche abwechselnd bei ihm auf der Matte gestanden.

„Guck nicht so griesgrämig aus der Wäsche, mein Lieber – du siehst nämlich schon viel besser aus als bei meiner Visite von vor acht Tagen. Um das zu bemerken, muss man wirklich kein Mediziner sein“, hatte sein Vater Braden Mitte Mai kurz vor Toms Verlegung in das Reha-Centrum am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) bei seinem vorletzten Besuch im Klinikum Bad Bramstedt gesagt.

„Ich verstehe ja, dass dich dein aus gesundheitlichen Gründen kürzlich ausgesprochenes vorläufiges Flugverbot zutiefst erschüttert. Aber du bist noch jung genug, um in einen anderen Job zu wechseln. Ich hab‘ übrigens letzte Woche mit deinem Chef gesprochen – sobald du wieder auf dem Damm bist, wollen sie dir eine gleichbesoldete Stelle in eurer Operationszentrale in Bad Bramstedt anbieten. Niemand dort wirft dir etwas vor, sonst würde er sowas ja gar nicht erst vorschlagen.“

„Das kommt als berufliche Alternative für mich überhaupt nicht in Frage, Paps! Das ist wirklich keine Option, der ich zustimmen werde“, hatte Thomas O’Hara trotzig und mit zornroter Miene geantwortet.

„Einen Schreibtisch fliegen – das ist nix für mich, selbst wenn ich dadurch näher an der Fliegerei bleiben könnte. Ganz im Gegenteil – der ständige Kontakt zu den anderen Besatzungen würde mir meine beschissene Lage jeden Tag aufs Neue klarmachen – deshalb muss ich wohl oder übel bald einen Schlussstrich unter den bisherigen Teil meines Lebens ziehen.

Sag mir doch lieber mal, warum du mich schon die ganze Zeit so komisch anschaust. Da ist doch noch etwas anderes im Busch, über das ich nicht Bescheid weiß – oder? Also, lass hören, Dad – dich bedrückt doch etwas.“

„Ja, Tommy – du hast recht. Irgendwann musst du es ja erfahren. Da ist tatsächlich noch etwas, was ich dir erzählen muss, auch wenn der Zeitpunkt nicht unpassender sein könnte, doch deine Ärzte sowie deine Mom und deine Geschwister haben mir gesagt, dass ich das besser nicht länger vor dir geheim halten sollte.“

Nach einer kurzen Pause, in der Braden O’Hara dicke Tränen in die Augen traten, fuhr er mit leiser Stimme fort:

„Leider muss ich dir mitteilen, dass meine geliebte Mutter, deine Oma Jennifer am Vormittag des 06. Mai 2015 daheim in Tramore10 von unserem Nachbarn Angus MacNeil leblos in ihrem Fernsehsessel aufgefunden wurde. So, wie es aussieht, erlitt deine Grandmom bereits am Abend zuvor einen plötzlichen Herzinfarkt.

Als mein alter Freund Angus die nicht hereingeholte Zeitung und die Milchflaschen vor der Tür ihres Cottage bemerkte, ist er mit seinem Zweitschlüssel reingegangen, um nach ihr zu sehen. Er hat dann zwar sofort den Notarzt verständigt, doch auch der konnte meiner Mom nicht mehr helfen.“

„Meine Granny ist gestorben? Und dein Freund Angus, der Wirt vom Golden Lion, hat sie gefunden? Du machst wohl Witze, Pa – meine Grandma ist doch letzten Oktober erst neunundsiebzig geworden und geistig war sie fitter als so manch Jüngere ihrer zahlreichen Country Club-Freundinnen. Ich kann mich noch gut an ihren 75. Geburtstag vor rund viereinhalb Jahren erinnern, den wir damals ja zum Missfallen unserer irischen Verwandtschaft bei uns in Hamburg mit ihr gefeiert haben. Und zu den nachfolgenden Geburtstagen seid ihr stets alleine auf die Insel geflogen, weil ich blöderweise jedes Mal aus dienstlichen Gründen nicht mitkommen konnte.

Mein Gott, ich hab‘ doch vor meinem Crash noch an jedem Wochenende mit Granny über Facetime telefoniert. Wie oft haben wir dabei herumgeflachst, dass wir ihren Achtzigsten in diesem Jahr zum Ausgleich mal ganz groß bei ihr zuhause in Irland feiern würden. Wenn Grandma krank gewesen wäre, hätte sie mir das bei einem dieser zahlreichen Gespräche doch sicher gesagt.

Verdammt nochmal, ich kann das noch immer nicht glauben. Meine geliebte Granny war doch trotz ihres hohen Alters noch eine ungewöhnlich rüstige und geistig überaus fitte alte Dame, die sogar mit einem Computer umgehen konnte – und jetzt sowas“, schluchzte Thomas O’Hara jetzt impulsiv los, während ihm sein Vater tröstend über seinen Haarschopf strich.

„Beruhige dich, Tom. Die von Angus herbeigerufene Notärztin hat gemutmaßt, dass sie wahrscheinlich von ihrem Herzleiden selber gar nichts wusste und bereits am Abend des vorherigen Tags offenbar friedlich in ihrem Lieblingssessel eingeschlafen ist. Als sie in Jennys Cottage ankam, war ihr schon nicht mehr zu helfen. Wir und unsere irischen Verwandten können es ja auch kaum fassen, dass so etwas Schreckliches und noch dazu so unvorhergesehen passieren musste.“

„Hat man sie obduziert? Ich meine damit – ist Fremdverschulden ausgeschlossen? Sie hatte doch des Öfteren Tagestouristen als Übernachtungsgäste im Haus. Warum haben die nix bemerkt?“, fragte Thomas O’Hara nach einer Weile des gemeinsamen Schweigens.

„Soweit ich weiß, gab es keine Obduktion – und registrierte Gäste hatte sie an diesem Abend anscheinend auch nicht im Haus. Die örtliche Polizei hat Jennys penibel geführte Meldebücher kontrolliert, demnach gab es schon an den Tagen zuvor keine Pensionsgäste im Cottage deiner Großmutter. Und nachdem ärztlicherseits ein natürlicher Tod festgestellt wurde, haben die Beamten der irischen Garda11 die Akten inzwischen geschlossen und ihre Nachforschungen eingestellt.“

„Was nicht unbedingt was zu bedeuten hat. Aber dem werde ich auf den Grund gehen, wenn wir zu Grandmoms Beerdigung rüberfliegen, soviel verspreche ich dir, Dad. Ich will den irischen Kollegen ja nichts unterstellen, aber wenn Fälle in so kurzer Zeit zu den Akten gelegt werden, regt sich bei mir stets ein gewisses Unbehagen.“

„Ich hatte befürchtet, dass du so reagierst. Und deshalb teile ich dir jetzt das mit, was mir deine Ärzte schon vorsorglich für den Fall deines gerade geäußerten Ansinnens gesagt haben. Also, pass mal gut auf:

Du, mein lieber Sohn, wirst nämlich die kommende Woche noch brav in diesem Krankenbett verbringen. Und danach hast du nochmal gut fünf Wochen Reha-Klinik vor dir. Das ist nicht verhandelbar, denn du kommst hier nicht vorzeitig raus.

Zur Beerdigung fliegen ich und der Rest unserer Familie dieses Wochenende alleine nach Irland. Erst wenn du wieder ganz gesund bist, kannst du das Grab deiner Granny besuchen und mit deinen irischen Kollegen sprechen – auch wenn ich nicht glaube, dass das viel bringen wird.

Glaube mir, Jenny würde das genauso wollen – immerhin warst du ja schon immer ihr Lieblingsenkel. Daher würde sie sich auch nicht wünschen, dass du aufgrund einer abgebrochenen Behandlung fahrlässig deine Gesundheit aufs Spiel setzt.“

„Von mir aus – ich seh’s ja ein Paps. Ist nur ein bisschen viel, was momentan auf mich und die ganze Familie einstürzt. Ich hasse es nämlich, so tatenlos in diesem Bett rumzuliegen“, knurrte Tom O‘ Hara jetzt zähneknirschend vor sich hin.

„Sehr gut, mein Junge. Kümmere du dich ab sofort ausschließlich um deine möglichst rasche Genesung und danach sehen wir weiter – doch jetzt noch zu einem ganz anderen Thema, das mir deine Mutter mitgegeben hat.“

Als Thomas O’Hara seinen Dad in Erwartung weiteren Ungemachs daraufhin einigermaßen verständnislos anschaute, fuhr Braden O’Hara umgehend fort:

„Nun, die Frage deiner Mom lautet: Was ist eigentlich mit deiner Verlobten Iris von Marquardt los? Deine Mutter hat sie schon mehrmals angerufen, weil sie ihr eine kostenlose Mitfahrgelegenheit zu einem Besuch bei dir anbieten wollte. Doch seltsamerweise hat sie sich anfangs stets hinter dringenden dienstlichen Terminen versteckt oder sie ließ sich verleugnen.

Mittlerweile geht sie scheinbar überhaupt nicht mehr ans Telefon und ruft auch nicht mehr bei deiner Mom zurück. Als Verwaltungsangestellte in eurer Zentrale müsste sie einen Besuch bei dir doch leicht einrichten können. Oder ist zwischen euch etwas vorgefallen, von dem deine Mom und ich nichts wissen?“

„Vorgefallen? Das ist wohl die Untertreibung des Tages. Als ich noch auf der Intensivstation lag, war Iris nach der Beendigung meines künstlichen Komas ganz am Anfang ein einziges Mal kurz an meinem Bett, um mir zu verkünden, dass sie mich verlassen würde. Sie hätte jemand anderen kennengelernt hätte, der eher zu ihr passen würde und es täte ihr leid, hat sie trocken und vollkommen emotionslos gesagt.

Gleichzeitig gab sie mir meinen Verlobungsring zurück und meinte, dass sie niemanden heiraten könne, der ständig so hohe berufliche Risiken eingehen würde, wie ich. Mein Flugunfall hätte ihr meinen permanenten Hang zur Gefahr ja – entgegen meinen wiederholten Beteuerungen – einmal mehr bewiesen. Und da ich wahrscheinlich auch in Zukunft nicht von der Fliegerei lassen würde, solle ich anstelle von ihr doch lieber einen meiner Hubschrauber heiraten, ohne die ich ja anscheinend nicht leben könne.“

„Was für ein selbstgefälliger Quatsch. Wenn diese eingebildete Iris von Marquardt solch dämliches Zeug von sich gegeben hat, dann war sie auch niemals die Richtige für dich. Jetzt kapiere ich auch, warum du momentan eine Weiterbeschäftigung in der Zentrale eurer Dienststelle ausschließt. Immerhin arbeitet diese hochnäsige Dame aus verarmtem Landadel ja ebenfalls dort und du würdest ihr bei einer dauerhaften Tätigkeit im Büro ständig über den Weg laufen.“

„Nicht nur ihr, Paps – das ist einer der weiteren Gründe, weshalb ich mein künftiges Leben auf völlig neue Beine stellen muss. Der absolute Witz bei der ganzen Sache ist nämlich, dass ihr neuer Scheich ebenfalls als Pilot in meiner ehemaligen Staffel Dienst tut.

Wir haben ihn bei uns in der Staffel stets den Hasenfuß genannt, weil er schon öfter risikoreiche Einsätze aus nichtigen Gründen abgebrochen hat. Der Blödmann stürzt höchstens dann mal ab, wenn er vor lauter nervösem Zittern den Steuerknüppel in die falsche Richtung zieht. Und soweit ich weiß, fliegt noch immer keiner der Kollegen gerne mit ihm.“

„Na gut, mein Sohn – gräme dich nicht. Diese Frau ist demnach ganz gewiss kein Verlust. Sei froh, dass du sie auf diese, wenn auch unschöne Weise losgeworden bist. Ich war nämlich schon immer der Meinung, dass sie es nur auf dein nicht unerhebliches Vermögen abgesehen hatte. Übrigens haben deine Mom und ich diese aufgedonnerte Göre noch nie so recht gemocht, auch wenn wir das dir gegenüber bislang nicht laut ausgesprochen haben.

So, und jetzt kein Wort mehr über dieses dämliche Weibsbild – reden wir lieber über deine Zukunftspläne. Ich hätte da nämlich auch ein Angebot zu machen, über das du nachdenken kannst, bis wir dich in der kommenden Woche nachhause holen.

Wie du weißt, ist das bislang von mir und deiner Mom geführte Architekturbüro mit angeschlossener Baufirma, dank der tatkräftigen Mitarbeit deiner Geschwister, mittlerweile in Hamburg eine gute Adresse für kleinere Neubauten und Hauserweiterungen geworden. Und die von deinen Geschwistern ins Leben gerufene Erweiterung unseres kleinen Familienbetriebs um eine dezidierte Renovierungssparte ist inzwischen ebenfalls auf einem guten Weg, weshalb es auch nicht weiter verwunderlich ist, dass deine Geschwister ständig nach Personalverstärkung der von ihnen geführten Teams unserer Belegschaft schreien.

Dem steht allerdings andererseits entgegen, dass deine Mom und ich in Zukunft gerne etwas kürzertreten würden – schließlich sind wir beide ja auch nicht mehr die Jüngsten.

Wie du weißt, leiten deine Brüder Collin und Liam die Bereiche Hoch- und Tiefbau, während deine Schwester Pam sich zusammen mit mir um das Projektmanagement, die gesamte Arbeitskoordination und jetzt auch noch um die Abwicklung der Renovierungsaufträge sowie um die Buchhaltung aller Firmensparten kümmert. Nur wird uns allen die damit verbundene Arbeitsbelastung in jüngster Zeit allmählich etwas zu viel.

Meine Idee – und zugleich mein Angebot an dich ist nun, dass auch du mit in unseren Familienbetrieb einsteigst und die Sparte Renovierung als alleiniger Geschäftsführer übernimmst. Immerhin hast du ja bereits in deiner freien Zeit während diverser Urlaube und Wochenenden bei Not am Mann bewiesen, dass du für die Planung und Durchführung derartiger Projekte ein angeborenes Händchen hast.

Deine Schwester Pamela könnte sich in diesem Fall nämlich voll auf das Projektmanagement und die Gesamtbuchhaltung aller Firmenbereiche konzentrieren, womit sie mehr als ausgelastet wäre. Und deine Mom und ich hätten im Herbst unseres Lebens endlich die nötige Zeit, unsere schon viel zu lange aufgeschobenen Urlaubsreisen durchzuführen und uns ein Stückweit mehr Privatleben zu gönnen.

Sag dazu jetzt erstmal noch nix und überleg dir meinen Vorschlag bitte in aller Ruhe. Mit deinen Geschwistern haben Mom und ich neulich schon einmal länger gesprochen und sie ebenfalls gebeten, über eine derartige Neuordnung unserer Geschäftsfelder nachzudenken.

Und versteh den Wunsch deiner Eltern bitte auch nicht als familiären Druck – denn falls du dich anders entscheiden solltest, finden wir ganz sicher eine alternative Lösung. Notfalls setzen wir unseren geschäftlichen Aktivitäten ein Limit, da wir ja dank des Erbes deiner Großeltern mütterlicherseits und mit Blick auf unsere Firmenkonten keine finanziellen Sorgen zu befürchten haben.“

Kapitel 3Persönlicher Wendepunkt im Leben

Zehn Wochen nach dem dramatischen Absturz in die Nordsee wurde Thomas O’Hara Ende Mai 2015, immer noch auf Krücken gehend, aus dem Klinikum Bad Bramstedt entlassen. Als er gerade seine Reisetasche fertig gepackt hatte und sich ein Taxi für die Fahrt zum Reha Centrum der Universitätsklinik Eppendorf bestellen wollte, klopfte es an seiner Zimmertür.

„Was in Gottes Namen macht ihr beide denn hier?“, fragte Tom O’Hara freudig überrascht, als seine Kollegen Bernd Köster und Hannes Kröger in voller Ausgehuniform in sein Zimmer hereinmarschierten.

„Na was wohl? Dich abholen natürlich. Und außerdem wollten wir uns mal mit eigenen Augen vergewissern, welche Fortschritte du bisher gemacht hast“, erwiderte Oberkommissar Köster grinsend, ehe er mit ernster Miene fortfuhr:

„Übrigens unser Beileid zum plötzlichen Ableben deiner Großmutter. Pam hat mir am letzten Wochenende schon berichtet, wie sehr du dich darüber aufgeregt hast. Doch, bevor du nach Irland reisen und unseren Garda-Kollegen auf den Zahn fühlen darfst, schaffst du deinen Hintern erstmal in die Reha-Klinik nach Eppendorf. Wirst sehen, die verfügen dort über klasse Therapeuten, die auch mich wieder in Rekordzeit auf die Beine gebracht haben.

Darüber hinaus hattest du doch ohnehin vor, dich bei unserem Lebensretter Hannes persönlich zu bedanken, weshalb ich ihn heute gleich als Fahrer engagiert und mitgebracht habe.“

„Das ist großartig – und danke für eure Anteilnahme. Mann, oh Mann, Leute – ich bin einfach nur geplättet, dass ihr heute hergekommen seid“, erwiderte Thomas O’Hara kurz darauf, während er seine Krücken nahm und jetzt zuerst Hannes Kröger dankbar die Hand schüttelte und danach seinem Freund auf die Schulter klopfte. Dann ergänzte Tom noch:

„Ich hoffe nicht, dass ihr dafür extra einen Wagen angemietet habt. Heute ist Samstag und soweit ich weiß, seid ihr alle beide eingeschworene Biker – mit ‘nem privaten PKW könnt ihr deswegen doch schon mal nicht hergekommen sein.“

„Nöh – wo denkst du hin, Boss. Oberkommissar Bernd hat solange insistiert, bis unser verehrter Polizeidirektor einen Dienstwagen herausgerückt hat. Und mit dem schicken blauweißen Mercedes Kombi bringen wir dich und dein Gepäck jetzt mit Blaulicht auf dem schnellsten Weg nach Hamburg – sind ja schließlich nur knapp 50 Kilometer bis in deine Reha-Klinik im Stadtteil Eppendorf“, erwiderte Hannes Kröger jovial grinsend, als er sich auch schon bückte und nach Toms Reisetasche griff.

„Stimmt soweit, was mein Flugtechniker Hannes gerade von sich gegeben hat. Unser werter Herr Polizeidirektor hat sich anfangs ein wenig gegen unsere heutige Abholaktion gesträubt. Ich könnte mir denken, dass er im ersten Moment auch deshalb ein bisschen angefressen war, weil du zum Zeitpunkt meiner Bitte ja anscheinend bereits deinen Antrag auf unbezahlten Sonderurlaub eingereicht hattest. Immerhin muss er sich ja jetzt für ein ganzes Jahr ‘nen Ersatz für einen seiner besten Super Puma-Piloten suchen.“

„Tja – und dann hat Bernd unserem Oberguru gesagt, dass er froh sein kann, dass du nicht gleich ganz gekündigt hast, sondern immer noch zu unserer Truppe gehörst, weshalb dir als Rekonvaleszenten ein dienstlicher Transport ohnehin zusteht. Eine Bahnfahrt von Bad Bramstedt nach Hamburg-Eppendorf ist für einen noch immer gehbehinderten Kollegen ja letztlich auch nicht zumutbar“, ergänzte Polizeihauptmeister Kröger verschmitzt grinsend die Worte seines derzeitigen Vorgesetzten.

„Augenblick mal – heißt das etwa, dass ihr beide inzwischen als Pilot und Flugtechniker ein neues Team bildet und nicht mehr auf ‘nem Super Puma SAR-Einsätze fliegt? Wie ist das denn in der kurzen Zeit passiert?“, fragte Thomas O’Hara sogleich verwundert zurück.

„Er hat’s begriffen, Hannes“, meldete sich jetzt Oberkommissar Bernd Köster wieder zu Wort.

„Also pass mal auf, Tom. Nachdem du unseren schönen Heli in die Nordsee geschmissen hattest und die übrigen Super Pumas unserer Fliegerstaffel über ausreichend Besatzungen verfügen, haben wir beide nach meiner erfolgreichen eigenen Reha und der danach erfolgten Wiederzulassung zum Flugdienst mit der Umschulung auf das Hubschraubermuster EC13512 begonnen.

Da gab’s nämlich noch genug freie Plätze und zudem hatten wir auch keine Lust, ständig als Springer von einer Super Puma-Crew zur anderen zu wechseln.

Wenn also alles gut geht, kriegen wir beide schon im kommenden Monat unsere Musterzulassung und dann können wir endlich wieder ins operative Geschäft einsteigen und mit einem der weltweit besten Helis auf Verbrecherjagd gehen. Als Team unterbrechen müssen wir das Ganze im Anschluss nur noch für die Zeit, in der Hannes auf mein Zureden hin die Ausbildung zum Kommissar absolviert.“

„Freut mich zu hören, ihr beide – vor allem, dass du, mein lieber Freund, nach deiner Schussverletzung schon wieder in einem Cockpit sitzt und der Alte euch diesen Wechsel auf den EC135 genehmigt hat. Das Reha-Centrum am UKE13 scheint ja demnach ‘ne ziemlich gute Adresse zu sein. Bin schon sehr gespannt, mit welchen Methoden man mich dort wieder aufmöbeln will.“

„Das ist wohl wahr – ich sagte es ja bereits: die Leute dort haben wirklich ausgezeichnete Ärzte und Therapeuten. Wirst sehen, die kriegen dein verbogenes Fahrgestell ebenfalls in Nullkommanix wieder hin“, meinte Bernd Köster lapidar, während er seinen Freund jetzt in Richtung des Aufzugs zur Tiefgarage der Klinik drängte.

***

Als die drei Männer kurz danach auf der Bundesautobahn A7 mit Hannes Kröger am Steuer des Streifenwagens der Bundespolizei in Richtung Hamburg unterwegs waren, sagte Thomas O’Hara nach einer Weile:

„Ich kann deine Gedanken fast hören, Bernd. Du trägst dich noch immer mit der Hoffnung, dass ich aus meinem Sonderurlaub keinen dauerhaften Abschied aus dem Polizeidienst mache. Jedoch bin ich derzeit noch unentschieden und auch noch nicht bereit, über die Zeit nach meiner einjährigen Auszeit nachzudenken.

Nur eine Sache weiß ich jetzt schon ganz gewiss: Sollte sich nämlich am Ende meiner Reha herausstellen, dass ich nur noch für einen Bürojob in unserer Direktion tauge, werde ich mir ganz sicher ein neues Berufsfeld suchen. Und über noch ganz etwas anderes muss ich euch beide aufklären:

Möglicherweise wisst ihr ja nicht, dass meine Reha erst am nächsten Montag beginnt. Deshalb ist heute auch nicht die Klinik in Eppendorf unser Ziel – vielmehr müsst ihr mich bitte stattdessen in Hamburg-Blankenese bei meiner Familie abliefern. Das liegt ja fast auf dem Weg – und ich hoffe, dass euer Fahrauftrag den Umweg hergibt, ohne dass ihr Probleme kriegt. In die Klinik werde ich am Montag dann verabredungsgemäß von meiner Schwester Pamela gebracht.

Außerdem würden Pam sowie meine Eltern und Geschwister euch beide bei diesem Zwischenstopp sicher gerne zum Mittagessen einladen, ehe ihr wieder nach Fuhlendorf zurückdampft. Vor allem auch, weil sie und meine Eltern sich ebenfalls bei unserem beherzten Retter Hannes Kröger bedanken möchten.“

„Wir sind die Polizei und legen unsere Route und Zwischenaufenthalte höchst eigenständig fest – keine Sorge, wir dürfen das“, grinste Hannes Kröger seinen alten Crew Chief jetzt über den Rückspiegel des Streifenwagens an.

„Hätte ich mir ja eigentlich denken können, dass du erst am Montag früh in der Reha einchecken musst. Aber umso besser – so kommen wir vor unserer Rückfahrt zur Dienststelle noch zu ‘nem gescheiten Mittagessen und können auch noch ein wenig miteinander klönen“, ergänzte Oberkommissar Bernd Köster die Worte seines Vorredners, ehe der noch hinzufügte:

„Und was die sogenannte Lebensrettung von euch beiden angeht – das war doch wohl selbstverständlich Herr Hauptkommissar. Ihr beide hättet umgekehrt für mich doch das Gleiche getan. Ich hoffe nur, dass wir irgendwann später mal wieder miteinander fliegen werden. Sag mir jetzt bitte nur noch, auf welchem Weg genau es zu dir nachhause geht“, fügte der hünenhafte Polizeihauptmeister dann noch hinzu, als er eine Dreiviertelstunde später vor dem Hamburger Elbtunnel von der A7 auf die Osdorfer Landstraße abbog.

***

„In dieser noblen Millionärsgegend wohnst du also?“, fragte Hannes Kröger erstaunt, als er den Streifenwagen mit dem Bundesadler auf den Seitentüren nach einer Weile am bewaldeten Straßenrand neben einer in den Hang zur Elbe gebauten mehrflügeligen Villa einparkte.

„Die eingesessenen Hamburger Millionäre wohnen eigentlich entlang der Elbchaussee in Richtung Altona, das ist die Straße, die wir eben gekreuzt haben. Aber es ist schon richtig – auch diese alten Kapitänshäuser am Mühlenberg sind als gutsituierte Wohngegend nicht zu verachten.

Unser Haus, in dem ich aufgewachsen bin, gehört ebenfalls zu dieser Gattung, weil mein Großvater mütterlicherseits, wie schon sein Vater zuvor, als Hochseekapitän auf der Amerika-Route gefahren ist.

Und schon zur Zeit dieser alten Seebären war es üblich, dass gutbetuchte Kapitäne am Ende ihrer aktiven Dienstzeit derartige Häuser erwarben, weil sie beim Blick auf die Elbe und die von und nach Hamburg ein- und auslaufenden Schiffen in ihren Erinnerungen schwelgen und ihr Seemannsgarn zum Besten geben konnten.

Daher kommt übrigens auch die Bezeichnung „Kapitänshäuser“. Ursprünglich waren die viel kleiner, nur hat mein im Bau- und Immobiliengeschäft tätiger irischer Vater dieses von meiner Mom geerbte Haus bestimmt schon fünfmal umgebaut und erweitert, damit er die Familie stets in seiner Nähe behalten konnte.

War wahrscheinlich auch nicht ganz uneigennützig, denn meine Geschwister sind für unseren Familienbetrieb inzwischen unverzichtbar geworden. Nur ich bin nach dem Abitur als schwarzes Schaf der Familie von hier ausgebüxt und habe bekanntlich einen völlig anderen Beruf ergriffen.“

„Danke für den Geschichtsunterricht, Herr Hauptkommissar – aber in dieser Gegend Hamburgs bin ich leider noch nie gewesen. Hier in dieser gepflegten Gegend würde es mir ebenfalls gefallen – auch wenn mir klar ist, dass ich mir sowas Schönes mit meinem schnöden Beamtengehalt niemals werde leisten können“, erwiderte Oberkommissar Bernd Köster, wobei er für einen Augenblick lang ein bisschen traurig aus den Augen schaute.

Doch schon wenige Sekunden später klärte sich der Blick des Oberkommissars wieder auf, als die Bewohner der Villa – und allen voran Toms Schwester Pamela – nach draußen gestürmt kamen, um ihren Bruder und dessen Kollegen zu begrüßen. Wobei sie vor allem dem uniformierten Oberkommissar versteckt zugeneigte Blicke zuwarf.

„Läuft da was zwischen dir und Bernd? Muss ich mir etwa Sorgen um dich machen? – immerhin bist du ja meine Lieblingsschwester“, raunte Tom O’Hara seiner Schwester Pamela ins Ohr, als die ihn auch schon mit erröteten Wangen anfuhr:

„Und wenn es so wäre, würde es dich nichts angehen, du Vollpfosten. Ich bin nämlich schon erwachsen, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest. Und von wegen „Lieblingsschwester“ – soweit ich weiß bin ich in unserer Familie deine einzige Schwester.

Also hör auf, dich derart bescheuert aufzuführen und mir solch dämliche Fragen zu stellen. Stell mir lieber mal deinen gutaussehenden anderen Kollegen vor, der euch hierhergefahren hat. Meinen Freund Bernd kenne ich ja schließlich schon eine ganze Weile.“

„Wow, diese feurige Lady hat offensichtlich ganz schön viel Pfeffer im Hintern. Wusste gar nicht, dass du so ‘ne hübsche Freundin hast, Bernd. Auf der Rückfahrt nachher will ich mehr über eure Beziehung wissen, du alter Frauenheld“, flüsterte Hannes Kröger seinem Piloten leise grinsend zu, als der auch schon genauso gedämpft erwiderte:

„Träum weiter, Hannes und benimm dich wie ein Gentleman. Von mir wirst du nichts erfahren. Nur eines musst du dir merken – diese wundervolle Frau ist für dich tabu – alles klar?“

„Alles klar, Chef. So, wie dich diese Dame mit ihren freudig leuchtenden Augen anhimmelt, hätte ich sowieso keine Chancen bei ihr.“

***

Nach großem Hallo und ausgiebigen Mittagessen, bei dem auch der landestypische „Klönschnack“ nicht zu kurz kam, verabschiedeten sich die beiden uniformierten Bundespolizisten gut zwei Stunden später von der versammelten Familie O’Hara.

An der Tür des schon mehrfach von Toms Vater erweiterten ehemaligen Kapitänshauses an der zur Elbe hinabführenden Straße schüttelte Thomas O‘Hara seinen Kollegen noch einmal die Hand und sagte:

„Vielen Dank, Leute, dass ihr mich heimgebracht habt. Mit dieser Überraschung hatte ich wirklich nicht gerechnet – aber gleichwohl hat mich eure spontane Aktion sehr gefreut. Wir bleiben in Verbindung – völlig egal was in Zukunft passiert. Ich will nämlich erfahren, wie es für euch ist, wenn ihr demnächst mit eurem EC135 wieder richtige Polizeiarbeit machen dürft.“

„Und im Gegenzug wollen wir, dass du uns über den Stand deiner Genesung und über deine Entscheidungsfindung auf dem Laufenden hältst.

Keine Sorge – der Kontakt zur Dienststelle dürfte allein schon deshalb nicht abreißen, weil dir als verantwortlichem Piloten sicher schon bald unsere paragrafenreitenden Verwaltungsfuzzys angesichts des Verlusts unseres Helis mit den üblichen Schadensformularen und -berichten auf die Pelle rücken werden. Die werden dabei erfahrungsgemäß auch nicht davor zurückschrecken, dich während deiner Reha zu belästigen.

Von den Aussagen bei der Staatsanwaltschaft zum Hergang des Geschehens mal ganz zu schweigen“, hatte Bernd Köster seinem Freund und Kollegen zugerufen, als er in den Dienstwagen einstieg, das Fenster nochmal herunterfahren ließ und mit ernster Miene sagte:

„Ich hab‘ die Verhöre ja gottseidank schon hinter mir und kann dir soviel, wie nur irgend möglich davon abnehmen. Den von mir bereits angefertigten Papierkram dazu schicke ich dir übrigens demnächst per Mail zu.

Leg du jetzt erstmal deine Beine hoch und kümmere dich um deine Eltern und Geschwister. Darüber hinaus richte bitte deiner Mutter und deiner liebreizenden Schwester unbedingt unseren Dank dafür aus, dass sie uns heute so hervorragend bewirtet haben. Das Mittagessen hat jedenfalls ganz ausgezeichnet geschmeckt.“

„Mach‘ ich – und nochmals danke, ihr beiden Filous. Und denkt dran – sobald ich Ende Juni die Reha verlasse, werdet ihr mich ‘ne Zeitlang nicht erreichen können. Denn ich besuche im Juli erstmal das Grab meiner Granny in Irland. Als Erbe ihres hübschen Cottage bin ich ihr das schließlich schuldig, nachdem ich schon die Beerdigung verpasst habe. Und wie lange ich dortbleiben werde, kann ich euch heute noch nicht genau sagen. Also macht’s gut, ihr beiden – und Hals- und Beinbruch für eure Musterzulassung.“

***

Nachdem Thomas O’Hara auf seinen Krücken ins Haus zurückgehumpelt kam, waren seine Geschwister bereits mit Aufräumen und Geschirrabwaschen beschäftigt.

„Bleib, wo du bist – Invaliden werden hier nämlich nicht benötigt. Nimm dir stattdessen einen Tee und setz dich zu unseren Eltern auf die Terrasse. Wir kommen gleich nach“, schmunzelte ihn seine kleine Schwester spöttisch an, während sie in der Küche auf die Teekanne auf der Warmhalteplatte deutete.

„Freche Göre, glaub ja nicht, dass ich aufhöre, dich wegen deiner Beziehung zu meinem besten Freund und Kollegen Bernd zu löchern. Dein Ablenkungsmanöver durchschaue ich nämlich.“

„Ach ja? – nur hab‘ ich dir vorhin schon gesagt, dass du dich nicht in meine Angelegenheiten einmischen sollst. Ich bin zwar die Jüngste von uns vier Geschwistern, aber dennoch bin ich mit meinen 23 Jahren schon eine ganze Weile lang eine erwachsene Frau.

Dein Kumpel Bernd ist nun auch mal mein allerbester Freund, also Thomas – finde dich damit ab. Ob mehr daraus wird, weiß ich noch nicht, denn wir lernen uns gerade erst kennen. Außerdem wissen er und ich, wie wir uns zu benehmen haben. Kapier‘ das endlich, du Hirni. So – und jetzt verschwinde endlich aus dieser Küche, ehe ich dir noch einen von Mamas Suppentellern – oder besser noch, ihr Nudelholz – hinterherschmeiße.“

„Wow, Schwesterherz – ich hatte ganz vergessen, wie überzeugend du sein kannst, wenn du so temperamentvoll drauf bist. Also gut, ich weiß jetzt, was ich wissen wollte – danke für die Info. Und verzeih‘ mir bitte, dass ich so ungehobelt insistiert habe. Doch jetzt bin ich euch allen ein paar Antworten schuldig. Also komm mit. Was euch bewegt, kann ich mir nämlich schon denken.“

Damit nahm Tom O’Hara seinen Tee und folgte seinen fröhlich kichernden Brüdern sowie seiner Schwester durch das Wohnzimmer auf die sonnenbeschienene Terrasse, wo seine Eltern bereits auf ihn und den Rest der Familie warteten.

„Zuerst einmal meinen herzlichen Dank an euch alle. Vor allem für euer andauerndes gutes Zureden, eure vielen Besuche im Krankenhaus und natürlich auch für den heutigen Empfang“, begann er sein wohlüberlegtes Statement, sobald er auf der bequemen Sonnenliege neben seiner Mutter und seinem Vater Platz genommen hatte. Dann setzte er seine kurze Ansprache fort:

„Liebe Eltern, liebe Geschwister – ich darf euch heute mitteilen, dass ich mittlerweile wieder neuen Mut gefasst und infolgedessen eine erste Zwischenentscheidung bezüglich meines künftigen Lebenswegs getroffen habe.

Also keine Sorge, den Missmut über meine Situation und die Selbstvorwürfe in Bezug auf den verdammten Hubschrauberabsturz habe ich dank unserer Gespräche inzwischen hinter mir gelassen. Außerdem haben nicht zuletzt auch die Diskussionen mit meinen Kollegen, wie auch die Ratschläge meiner ausgezeichneten Ärzte und meiner Therapeuten im Krankenhaus dazu beigetragen.

Und so, wie mein Freund Bernd Köster mir heute noch einmal versichert hat, bekomme ich ab Montag in der Reha-Klinik in dieser Richtung den letzten Schliff. Ihm haben die dortigen Therapeuten ja auch wieder zu neuer Fitness verholfen. Ich hoffe nur, dass das Angebot meiner kleinen Schwester noch steht, mich dort übermorgen hinzubringen, nachdem ich sie vorhin ein bisschen verärgert habe.“

„Natürlich steht mein Versprechen noch, du Vollidiot. Schon allein deswegen, weil mich dein Kumpel Bernd auf dieser Fahrt begleiten wird. Den kommenden Montag hat er sich nämlich extra frei genommen – und was wir beide nach deiner Einlieferung noch gemeinsam vorhaben, geht dich, wie schon gesagt, nichts an“, zischte Pamela ihrem Bruder noch im selben Moment zu.

„Alles schön und gut, mein Junge. Und du beruhigst dich jetzt mal wieder, Pamela“, ging augenblicklich Toms Mutter Marianne dazwischen. „Also Tom, du sagst uns jetzt endlich, was du vom Vorschlag deines Vaters hältst, in unseren Betrieb einzusteigen. Bisher drückst du dich um eine klare Stellungnahme ja noch ein wenig herum.“

„Nun ja, was Dads großzügiges Angebot betrifft, bin ich noch immer am Überlegen. Wobei das in erster Linie daran liegt, dass ich noch nicht weiß, inwieweit ich nach der Reha körperlich wieder für einen derartigen Neuanfang in einem gänzlich anderen Beruf tauge.

Vom Kopf her traue ich mir die Übernahme der von Dad angedachten eigenständigen Renovierungssparte in unserem Familienbetrieb durchaus zu. Doch so reizvoll das auch wäre, hab‘ ich ja nach den mehrfachen Operationen meiner Wirbelsäule möglicherweise mit einer dauerhaften Beeinträchtigung meines Bewegungsapparates zu rechnen.

Ob das am Ende für eine Tätigkeit im Baugewerbe ausreicht, wird sich angesichts der Titanschrauben, mit denen man mein Rückgrat an drei Stellen wieder zusammengeflickt hat, erst dann erweisen, wenn ich die Rehabilitation absolviert habe.

Schließlich wäre es nicht besonders vorbildlich, wenn der Chef einer unserer Abteilungen nicht selber mit aller Kraft anpacken kann. Und ‘ne gute Werbung für unser Geschäft wäre es auch nicht, wenn der Abteilungsleiter einer unserer Branchen über seine Baustellen humpelt.“

„Das verstehe ich, Tom“, meldete sich jetzt Toms jüngerer Bruder Liam O’Hara kurzerhand zu Wort. „Doch glaubst du wirklich, dass du nach vier Wochen Reha Ende Juni schlauer sein wirst, um die auf absehbare Zeit unumgängliche Entscheidung zu treffen?

Ich denke nämlich, dass du deinen geliebten Polizeiberuf und insbesondere deine Fliegerei auch dann noch nicht komplett an den Nagel hängen wirst. Denn sofern auch nur die geringste Chance besteht, deine Pilotenkarriere bei der Bundespolizei fortsetzen zu können, wirst du das auch tun. Nur brauchen wir – was unseren gemeinsamen, und auch von dir mitfinanzierten Familienbetrieb betrifft – irgendwann einmal eine belastbare Aussage von dir. Ewig zuwarten führt uns da mit Blick auf die anstehende Pensionierung unserer Eltern ja nicht weiter.“

„Damit hast du absolut recht, Liam – das war eine sehr gute Zusammenfassung der wichtigsten Faktoren, über die ich bereits seit dem Aufwachen aus dem Koma nachdenke. Daher habe ich mir Folgendes überlegt und in dieser Richtung auch bereits erste Schritte ergriffen.

Also hört zu. Worum ich euch heute bitte, ist, mir nach Abschluss meiner Reha ab Anfang Juli zwölf Monate Zeit einzuräumen, in der ich euch und mir selber meine, nach Dads Meinung angeborenen Fähigkeiten in Bezug auf die Durchführung von Renovierungsprojekten beweisen kann. Die dafür nötige Freistellung vom Dienst habe ich unter Verzicht auf meine Monatsbezüge bereits bei meiner Dienststelle eingereicht.

Ich habe nämlich vor, im Juli nach Irland zu reisen, um dort zuallererst einmal endlich das Grab unserer Oma Jennifer zu besuchen. Als Granny beerdigt wurde, lag ich ja noch im Krankenhaus und konnte ihr diese Ehre leider nicht erweisen. Danach werde ich dann eine endgültige Entscheidung, sowohl familiär wie beruflich treffen.

Wie ihr alle wisst, hat Grandma Jennifer in ihrem Nachlass verfügt, dass ihr gesamtes Kapital- und Aktienvermögen an euch geht, während sie im Gegenzug ihr Cottage in Tramore an mich vermacht hat. Und eben das will ich, sozusagen als mein persönliches Pilotprojekt, wieder in Schuss bringen, damit man Jennys Anwesen eventuell später erneut als Gästepension nutzen kann.

Darüber, dass ihr beträchtliches Kapitalvermögen fast zu 90% alleine an euch geht, bin ich auch überhaupt nicht böse. Ihr hübsches altes Cottage, welches sie mir hinterlassen hat, ist ein adäquater Ersatz und für mich zugleich Ansporn und Verpflichtung. Ich denke nämlich, dass das von ihr als ein letzter Fingerzeig gedacht war, um wenigstens einen ihrer Enkel an den Ort unserer irischen Vorfahren zurückzuholen, selbst wenn ich bis zu meiner Pensionierung nur zeitweise in Tramore wohnen kann. Daher habe ich auch längst entschieden, diese besondere Erbschaft zu akzeptieren und ihr ehrwürdiges Cottage in den 12 Monaten meiner vorläufigen Anwesenheit zu renovieren.“

„Das hast du wundervoll ausgedrückt, Tom“, ergriff in diesem Moment sein Vater Braden O’Hara das Wort. „Und wenn du nachher den Brief liest, den mir deine Grandma schon vor Jahren geschrieben hat, wirst du verstehen, dass sie genau diese Reaktion bei dir erzielen wollte. Nur hoffe ich, dass dir klar ist, was die Annahme deiner Erbschaft bedeutet.

Das beschauliche Cottage deiner Grandma hat nämlich so einige bauliche Macken, von denen du wahrscheinlich derzeit noch nicht allzu viel weißt, weil du seit etlichen Jahren nicht mehr in Tramore gewesen bist. Uns hat in letzter Zeit schon immer gewundert, wie es die alte Dame geschafft hat, ihr in die Jahre gekommenes Heim bis vor wenigen Monaten erfolgreich als Gästepension anzubieten.