Cherish Dreams - Nalini Singh - E-Book

Cherish Dreams E-Book

Nalini Singh

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Beschreibung

Für sie wirft er alle Regeln über Bord ...

Jake Esera ist ein professioneller Rugbyspieler - und ein Single-Dad. Seit er vor sechs Jahren Vater einer Tochter wurde, besteht das Leben des 24-Jährigen nur aus Training, Wettkämpfen, Zöpfe flechten und Playdates. Ausschlafen, feiern oder gar sich verlieben stehen nicht auf dem Plan. Doch als er auf einer Hochzeit seine ehemalige Schulfreundin Juliet Nelisi widertrifft, ändert sich alles. Denn Jules ist verführerisch wie nie, und Jake merkt zum ersten Mal seit langer Zeit, dass er vielleicht doch bereit ist, seine strengen Regeln über Bord zu werfen und sein Herz zu riskieren ...

"Nalini Singhs Helden möchte man am liebsten mit nach Hause nehmen! Die Geschichte ist süß, romantisch und lustig." BOOK HOWLS

Band 4 der neuen romantischen Serie von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Nalini Singh´

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Seitenzahl: 454

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

Epilog

Die Autorin

Nalini Singh bei LYX

Impressum

NALINI SINGH

CHERISH DREAMS

Roman

Ins Deutsche übertragen von Patricia Woitynek

Zu diesem Buch

Seit dem Tod seiner Jugendliebe Callie sorgt Jake Esera alleine für seine kleine Tochter. Sein Leben wird von zwei Dingen bestimmt: der Erziehung der sechsjährigen Esme und seiner Karriere als professioneller Rugbyspieler. Der Alltag des jungen Single-Dads besteht aus Training, Wettkämpfen, Hausaufgaben, Zöpfe flechten und Playdates – für so etwas wie die Liebe hat er keine Zeit. Doch als er auf der Hochzeit seines großen Bruders seine ehemalige Schulfreundin Juliet Nelisi wiedersieht, ändert sich alles. Als ihre Blicke sich treffen, beginnt sein Herz schneller zu schlagen. Und obwohl der alleinerziehende Vater, dessen größte Sorge ein stabiles Familienleben ist, und die lebensfrohe Jules, die jeden Tag nimmt, wie er kommt, unterschiedlicher nicht sein könnten, merken sie bald, dass zwischen ihnen etwas ist. Und dass dieses Etwas mehr als nur körperliche Anziehungs- kraft ist. Jake fragt sich das erste Mal seit langer Zeit, ob er vielleicht doch bereit ist, seine strengen Regeln über Bord zu werfen und der Liebe eine Chance zu geben. Aber mit einer Beziehung zu Jules riskiert er nicht nur sein Herz, sondern auch seinen guten Ruf, den er um jeden Preis bewahren will. Denn Jules wird von einem Skandal verfolgt …

PROLOG

NACHSITZEN

»Hey, Schrauber!«

»Wenn ich mich taub stelle, lässt du mich dann in Frieden?«

»Das kannst du vergessen. Sag schon, was hast du ausgefressen, um zum Nachsitzen verdonnert zu werden? Ich dachte, man hätte dich zum Vorzeigeschüler des Jahres gekürt. Stand das nicht auf dieser protzigen Plakette?«

»Wozu soll diese Strafe überhaupt gut sein? Um Zeit totzuschlagen?«

»Entspann dich, ich werd’s dir erklären – nachdem du mir erzählt hast, wie du hier gelandet bist, Goldjunge.«

»Ich hab mitgeholfen, Mr Bouchers Auto auf die Rückseite des Schulgebäudes zu verfrachten. Er dachte, jemand hätte es gestohlen.«

»Hach, das ist ja witzig! Vor allem, weil Mr Bozo der Grund ist, warum ich hier bin.«

»Echt jetzt? Was hast du angestellt?«

»Ihm direkt ins Gesicht gesagt, dass er ein fieser Tyrann mit einem Mikropenis ist. Nur weil Callie in der letzten Stunde die Antwort auf eine Frage vorgeplappert hat, ist er gleich auf sie losgegangen und hat mit seinem blöden Lineal auf ihrem Pult rumgehämmert. Und du weißt ja, wie sie ist.«

»Kacke. Wie geht’s ihr?«

»Hat ein schlechtes Gewissen, weil ich brummen muss, aber, hey, Mr Bozos Minischniedel zur Sprache zu bringen, war ja nicht ihre Idee. Sie wollte zum Rektor gehen und die Sache erklären, aber ich hab gesagt: ›Kommt nicht infrage, Cals. Ich hab diese Strafe verdient, und ich werde sie voll Stolz verbüßen‹.«

»Du bist schwer in Ordnung, Jules.«

»Halt mal den Ball flach, Jacob. Wir sind keine Freunde. Für dich immer noch Juliet.«

1. KAPITEL

JACOB ESERA TRIFFT AUF EIN (ÜBELLAUNIGES) GESPENST IN STILETTOS

Jakes großer Bruder war im Begriff zu heiraten.

Gabriel hatte sich reichlich Zeit gelassen mit der Suche nach seiner Traumfrau, nur um sich dann umso rettungsloser zu verlieben. Sein Herz gehörte Charlotte Baird, was Gabe nicht nur glücklich machte, sondern er ging völlig in diesem Glück auf. Kein Wunder, immerhin waren die Brüder der Bishop-Eseras von Eltern großgezogen worden, die auch heute noch ineinander vernarrt waren.

Ihre Mutter ließ es sich nicht nehmen, ihren Mann jeden Morgen zu küssen, mochte es regnen oder schneien oder er gelegentlich etwas brummig sein. Joseph war kein sonderlich extrovertierter Zeitgenosse, trotzdem hatte er nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie für ihn sein Leitstern war.

So wie Charlotte der von Gabe.

»Hast du Charlie heute schon gesehen?«, fragte Jake Gabe, während sie letzte Hand an ihr jeweiliges Outfit anlegten.

Sie waren zu sechst: Die vier Brüder Gabriel, Sailor, Jake, Danny, dazu Fox und Harry.

Rockstar Fox gehörte praktisch zur Familie, weil seine Frau und Charlotte eng befreundet waren, während der große, stille Harry, dessen athletische Statur und starke Schultern den ehemaligen Pfeiler im Rugbysport verrieten, Gabes bester Kumpel aus seiner Zeit als Profiathlet war. Der Kontakt zwischen beiden war nicht abgerissen, als Gabe seine Karriere wegen einer Verletzung beenden musste. Ein Jahr lang hatte Jake mit Harry im selben Team gespielt, bevor dieser seine Rugbyschuhe zugunsten einer Laufbahn als Pilot an den Nagel hängte.

»Schön wär’s«, grummelte Gabe und zog sein Jackett über seine breiten Schultern. Sein muskulöser Oberkörper hatte auch nach dem Ende seiner Profikarriere nichts von seiner Kraft eingebüßt. »Ich hab gestern Abend versucht, sie von der Party, die die Mädels veranstaltet haben, wegzulocken, mit dem Erfolg, dass sie mir mehrere Emojis schickte: Champagnergläser, Flammen und ein Feuerwehrmann. Wenn ich nach Hause komme, finde ich wahrscheinlich eine Stripperstange im Wohnzimmer vor.«

Jake sah an sich hinunter, um seinen Schlips zu binden. Er und Charlotte waren schnell miteinander warm geworden, nachdem Gabe sie der Familie vorgestellt hatte, und er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie seinen Bruder nur verkohlt hatte. Stripper waren nicht Charlies Stil.

Mit dem Champagner verhielt sich die Sache jedoch anders. Jake hatte die Kiste nicht nur persönlich vorbeigebracht, sondern zusätzlich zu der Prickelbrause auch noch je eine Flasche Heidelbeer- und Erdbeerwein.

Der eine leuchtend blau, der andere knallpink.

Es war noch früh am Morgen gewesen, Charlie und ihre Freundinnen hatten sich gerade für ihr Champagner-Frühstück bereitgemacht. Neben einer Maniküre und einer Pediküre beinhalteten ihre Pläne für den Tag einen Ausflug nach Auckland, um an einem Bungeeseil vom Sky Tower zu springen. Die zierliche Charlie hatte ein T-Shirt angehabt, auf dessen Vorderseite der Schriftzug »T. Rex-Bändigerin« prangte. Die Comiczeichnung auf dem Rücken stellte einen Tyrannosaurus mit Fliege um den Hals dar, der eine bebrillte Maus in seinen Armen hielt.

Sie trug einen Brautschleier.

Als krönender Abschluss war eine Kuchen-und-Cocktail-Orgie vorgesehen.

Wie Jake bei seinem Kater-Check an diesem Morgen feststellte, waren Charlie und die anderen Mädels allesamt funktionstüchtig. Er erfuhr, dass sie nicht nur ein-, sondern sogar zweimal vom höchsten Gebäude der Südhalbkugel gesprungen waren. Da sie an diesem Tag die letzte Gruppe bildeten, hatten sie, aufgeputscht von Adrenalin, den Einweiser gebeten, sie noch einmal springen zu lassen. Er hatte ihnen zugezwinkert und sie kostenlos wieder nach oben gebracht, obwohl die Plattform eigentlich schon geschlossen war.

Über nichts davon durfte Jake ein Sterbenswörtchen verlauten lassen.

Während die Frauen von hohen Türmen hüpften, hatten die Männer sich die Zeit mit Black-Water-Rafting tief in den Höhlen von Waitomo vertrieben und den Tag mit etlichen Bieren am Lagerfeuer ausklingen lassen. Die anderen Männer, die dabei mit von der Partie gewesen waren, hatten sich bereits in der Kirche eingefunden, um sich als Platzanweiser nützlich zu machen, während die übrigen sechs in Sailors großzügigem Wohnbereich parat standen, um sich in wenigen Minuten auf den Weg zur Trauungszeremonie zu machen.

Für Jake war es das zweite Mal, dass er als Trauzeuge fungieren würde.

Das erste Mal war vor acht Jahren gewesen, bei Sailors Hochzeit. Er war damals ein sorgloser sechzehnjähriger Teenie gewesen, ohne die geringste Ahnung, dass sich sein Leben in den kommenden zwei Jahren für immer verändern würde. Diesen Jungen gab es schon lange nicht mehr, an seine Stelle war ein alleinerziehender Vater getreten, dessen kleine Tochter zauberhafter nicht hätte sein können, aber eines hatte sich nicht geändert: Er freute sich für Gabe genauso sehr wie seinerzeit für Sailor.

»Ihr brecht also direkt nach dem Hochzeitsempfang in die Flitterwochen auf?«, fragte Fox, nachdem er sich von Danny beim Binden seiner Fliege hatte helfen lassen. Fox war ein begnadeter Rocksänger, aber keineswegs ein Fachmann in Sachen Festtagskleidung.

»Das ist der Plan.« Gabe hielt still, während Harry ihm eine »Rose« ans Revers seines Jacketts heftete. Das blumige Gebilde war aus den Seiten eines alten Liebesromans gefertigt und bot einen zarten Kontrast zu seinem silbergrauen Anzug, doch der Gegensatz funktionierte. Genau wie bei Charlottes und Gabriels Beziehung. Vervollständigt würde das Outfit der Männer durch aus grünem Blattwerk geflochtene Girlanden um ihren Hals. Es war eine respektvolle Verneigung vor dem kulturellen Hintergrund von Gabriels Stiefvater.

»Die Flüge nach Samoa sind gebucht, die Koffer gepackt und schon im Wagen.« Ein Lächeln ging über sein Gesicht.

Jakes Handy klingelte und unterbrach das leise Gemurmel der Männer. Er warf einen Blick auf das Display und spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. »Ich sollte lieber drangehen. Es ist der Coach.«

Seine Brüder sahen ihn an. »Toi, toi, toi!«, wünschten sie ihm einstimmig.

Jakes Brust war wie zugeschnürt, als er sich in den weitläufigen Garten von Ísas und Sailors eingeschossiger Villa zurückzog. Er liebte seine Brüder, trotzdem konnte er dieses Telefonat nicht in ihrem Beisein führen. Er brauchte Zeit, um sich zu sammeln und sich eine faustdicke Lüge zurechtzulegen, für den Fall, dass es sich um eine Hiobsbotschaft handelte. Unter gar keinen Umständen würde er Gabes Hochzeitstag verderben.

Der saftig grüne Rasen war ins Licht der Wintersonne getaucht, wie hingetupft wirkten die bläulich-weißen Blüten auf den Ranken, die eine der Hauswände bedeckten. Zartrosa Kamelien wuchsen entlang des Zauns, der den in winterlichen Farben angelegten Garten einrahmte – Jake erkannte die bunten Stiefmütterchen und die gelb-orangefarbenen Primeln auf den ersten Blick, schließlich hatte er geholfen, sie zu pflanzen. Seitlich des Rasens stand, gestützt von seinem Ständer, ein feuerrotes Kinderfahrrad, dessen Lenker mit Bändern verziert war.

Jake sah das alles und nahm doch nichts davon wahr.

Er hielt sich sein Handy ans Ohr. »Hallo, Coach«, sagte er. »Bitte sagen Sie mir ohne Umschweife, wie es aussieht.« Er war in der letzten Saison wegen eines gebrochenen Arms längere Zeit ausgefallen, hatte dann aber in den Monaten vor der Qualifikation für die bevorstehende Rugbymeisterschaft gegen Argentinien, Australien und Südafrika vollen Einsatz für sein Team, die Harriers, gezeigt.

Sie hatten die Regionalmeisterschaft gegen ihren Erzrivalen Southern Blizzard für sich entschieden, doch der Sieg war hart erkämpft. Die Experten sagten eine starke Präsenz beider Teams in der Nationalmannschaft voraus, neben mehreren Spitzenspielern aus Mannschaften, die sich als Gruppe nicht durch Glanzleistungen hervorgetan hatten.

Der Kader würde am Mittwoch bekanntgegeben werden.

Danny war derzeit phänomenal in Form und somit sicher dabei. Seine drei Brüder hielten Jake für den derzeit besten Verbindungshalb weltweit, aber das Auswahlkomitee Neuseelands konnte aus dem Vollen schöpfen. Hinzu kam, dass auch seine Verletzung noch nicht ganz vergessen war. Im Übrigen bekamen die Spieler gewöhnlich nie vor der offiziellen Bekanntgabe Bescheid. Man erzählte sich, dass der Trainer nur dann anrufe, wenn er schlechte Nachrichten zu verkünden habe … wie zum Beispiel das endgültige Karriereende eines Spielers.

»Ich dachte mir schon, dass du das sagen wirst«, antwortete Lincoln Graves. »Darum hier die Kurzfassung: Du hast gute Arbeit geleistet, um wieder Kampfstärke zu erlangen. Tatsächlich habe ich dich noch nie besser spielen sehen. Auf deine Hände ist Verlass, deine Füße fliegen geradezu über das Feld. Gratuliere, Jake. Du gehörst zu dem Kader, den wir nächste Woche verkünden.«

Jake ließ sich gegen die weißgetünchte Hauswand fallen.

»Ich teile dir das deshalb jetzt schon mit, damit du und deine Brüder die Hochzeit genießen könnt, ohne dass dieses Damoklesschwert über euch hängt«, fuhr der Coach fort, wobei seine Stimme kaum das Rauschen in Jakes Schädel zu übertönen vermochte. »Falls irgendjemand außer Gabriel, Sailor, Danny oder deinen Eltern dich darauf anspricht, weißt du von nichts.«

»Ich werde es sonst niemandem sagen«, brachte Jake mit Mühe heraus.

»Gut. Ich muss jetzt los, nicht dass Neeta und ich noch zu spät zu Gabriels Hochzeit kommen. Wir unterhalten uns beim Empfang weiter.«

Sie beendeten das Gespräch, danach stand Jake im Sonnenschein und atmete tief die kalte Winterluft ein. Ihm wurde erst jetzt bewusst, wie panisch er gewesen war. Rugby war sein einziges wahres Talent, das Fundament, um darauf die Art von Zukunft zu begründen, die er sich für Esme wünschte. Jake war noch ein Teenager gewesen, als sie zur Welt kam, aber er war auf einem guten Weg, es zu schaffen, dass ihr daraus keine Nachteile erwuchsen.

Seine Tochter würde niemals das Gefühl haben müssen, ungewollt oder minderwertig zu sein. Die Kinder von Rugbyprofis wurden mit Respekt behandelt, dies galt umso mehr für den Nachwuchs jener Spieler, die Neuseelands legendäre schwarze Trikots trugen. Esme würde auf dem Spielplatz ein kleiner Superstar sein.

»Mist verdammter!«

Die heisere weibliche Stimme ließ ihn aufhorchen, ein vages Gefühl des Wiedererkennens überkam ihn. Sie hatte nicht wie die von Sailors Frau Ísa geklungen, allerdings war er gerade etwas geistesabwesend gewesen und hatte nur mit halbem Ohr hingehört. Aber aus welchem Grund sollte irgendeine andere Frau als seine Schwägerin hier sein? Alle übrigen weiblichen Familienmitglieder – seine und Sailors Tochter eingeschlossen – befanden sich bei der Hochzeitsgesellschaft.

Er entfernte sich von der Hauswand und trat durch einen von duftenden purpurrosa Blüten übersäten Bogengang. »Ísa?«, sagte er. »Hast du etwas vergess-« Sein Blick landete auf einer Frau, die auf einem schwarzen Stiletto balancierte und versuchte, den zweiten über den anderen Fuß zu streifen.

Der Absatz war beschmutzt mit Erde und Gras.

Nicht nur war ihr Schuhwerk ganz und gar gartenuntauglich, auch ihr Kleid … Jake kniff die Augen zusammen und zügelte seine primitive männliche Reaktion beim Anblick ihres sinnlichen Körpers, der bemerkenswerten Oberweite, die der Ausschnitt ihres mitternachtsblauen Kleids aufreizend zur Geltung brachte. Ein Kleid, das sich für diese akrobatische Einlage nur mäßig eignete und dessen seidenweiches Material ihn verlockte, mit den Händen darüber zu streichen.

Verlockung hin oder her, falls diese Frau ein Rugby-Groupie war, das sich an den geschlossenen Toren vorbei auf das Grundstück geschlichen hatte, würde er sie mitsamt ihrem wohlgeformten Hinterteil hochkant hinauswerfen. Nichts und niemand würde Gabe und Charlotte diesen Tag verderben.

Ihr glänzendes schwarzes Haar mit den roten und bronzefarbenen Reflexen schwang über ihre Schultern, als sie den Kopf hob. Sie hatte leicht gebräunte Haut und dunkle Augen, in denen Ärger glomm, als sie ihn jetzt ansah.

»Juliet?« Sein Gehirn setzte aus, in seinem Kopf war nur noch weißes Rauschen. »Was machst du im Garten meines Bruders?«

Sie verdrehte ihre lebhaft blitzenden Augen und setzte ihren Fuß schließlich auf den Boden. Der Schnitt ihres Wickelkleids war eigentlich durchaus schicklich, nur formte es ihre spektakulären Rundungen auf eine Weise nach, die es zum Inbegriff von sexy machte.

Jake sortierte das Chaos in seinem Kopf, straffte mit finsterem Blick die Schultern und zügelte sein brennendes Verlangen. Nach Juliet.

»Esme hat ihre Brille zerbrochen.« Sie hatte noch dieselbe Altstimme mit dem leicht heiseren Klang wie früher, auch wenn ihr Körper nicht mehr nur aus spitzen Knochen bestand. »Ísa meinte, du hättest noch eine zweite in deinem Auto.«

Jake begriff noch immer nicht, was dieses Gespenst aus seiner Vergangenheit in Sailors Garten führte, aber sein väterlicher Instinkt gewann die Oberhand über seine Neugier. »Hat sie sich wehgetan?«

»Nein, alles in Ordnung.« Ihre vollen, rot geschminkten Lippen schimmerten, ihre Fingernägel waren manikürt und mit winzigen Strasssteinen besetzt. Sie hielt einen Schlüsselbund in der Hand. »Sie hat mit Emmaline herumgetobt – und ist in einem Berg von Kissen gelandet. Nur die Brille hat was abbekommen.«

Jake marschierte schon auf seinen grauen SUV zu, der in der Einfahrt parkte. Das elektronische Tor stand offen, ein knallpinker Kleinwagen blockierte die Zufahrt. Das Kennzeichen lautete: S3X11.

Mit zusammengekniffenen Lippen entriegelte Jake seinen SUV, nahm das glitzernde, weiße Brillenetui, das Esme sich mit strahlenden Augen ausgesucht hatte, aus dem Handschuhfach und gab es Juliet. Stets eine Ersatzbrille verfügbar zu haben, war für ihn schon lange selbstverständlich – man durchlief eine steile Lernkurve, wenn das eigene Kind untröstlich war, weil es ohne seine Sehhilfe alles nur verschwommen sah.

»Danke.« Juliet wandte sich ab und stöckelte die Einfahrt hinunter, die einzige Gangart, die ihre irrsinnig hohen Absätze zuließen. Ihre Haare waren länger als gedacht, sie reichten ihr fast bis zur Taille. Sein Blick ruhte bewundernd auf ihren Hüften, ihrem wohlgerundeten Gesäß, ehe Jake merkte, was er tat, und rot wurde.

»Du willst dieses Kleid doch nicht etwa auf der Hochzeit tragen?«, fragte er beinahe verzweifelt.

Juliet stutzte und warf ihm über die Schulter hinweg einen flammenden Blick zu. »Du hast immer noch einen Stock verschluckt, wie ich sehe.« Sie stieg in ihr Auto, knallte die Tür zu und raste die Straße hinunter.

Jake lehnte sich gegen seinen Wagen.

Und dann ging ihm endlich ein Licht auf.

»Du wirst auf der Hochzeit meine Freundin Jules kennenlernen«, hatte Charlotte ihm verkündet. »Die Frau aus meinem Backkurs. Ihr zwei wart offenbar zusammen auf der Highschool.«

Genau wie mehr als tausend andere Schüler, weswegen er der Bemerkung kaum Bedeutung beigemessen hatte. Auch war von Juliet nichts zu sehen gewesen, als er den Wein und den Champagner bei Charlie abgeliefert hatte. Entweder war sie der Party ferngeblieben oder gerade in einem anderen Raum gewesen.

Nicht eine Sekunde hatte er einen Zusammenhang zwischen Charlottes backfreudiger Freundin Jules und der spitzzüngigen, toughen Juliet mit dem unordentlichen Zopf hergestellt. Wie auch? Die Juliet, die er von früher kannte, war eine notorische Unruhestifterin gewesen, die ständig zum Nachsitzen verdonnert wurde.

Ausgerechnet sie hatte jetzt Freude am Backen? Und er hatte tatsächlich auf ihre Brüste gestiert?

»Großer Gott. Juliet.« Er schüttelte den Kopf. Was für ein Wahnsinn.

2. KAPITEL

DER SCHLECHTE UMGANG UND DAS KALTE, STEINERNE HERZ

Juliet betrat das Chaos, das zu Hause bei Charlotte und Gabriel herrschte. »Ta-da!« Sie wedelte mit dem Brillenetui und hielt ihren Ärger mit aller Macht unter Verschluss.

Jacob Esera hatte Glück, dass dies der Hochzeitstag seines Bruders war, andernfalls hätte sie ihm einen Denkzettel verpasst. Juliet war zwar keine Athletin, aber sie hatte einen äußerst treffsicheren Wurfarm. Ein präziser Schlag mit ihrem Stiletto, und dieser kleinkarierte Nörgler wäre in die Knie gegangen. Nein, sie hätte nicht auf seinen Kopf gezielt. Sondern ein gutes Stück tiefer, wo es am meisten wehtat.

Die Vorstellung erfüllte sie mit ungeheurer Befriedigung und besänftigte ihren Zorn.

»Du hast sie!« Esme nahm ihr das Etui aus der Hand, holte ihre neonblau eingefasste Brille heraus und setzte sie auf. »Ich hab ja gewusst, dass Daddy sie dabeihat!« Sie schmiegte sich an Juliets Beine und umschlang sie mit ihren mageren Ärmchen. »Danke, Jules!«

Juliet hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich ihrer hohen Hacken zu entledigen, darum kämpfte sie etwas mit dem Gleichgewicht, als sie sich vorbeugte und Esme auf ihre Hüfte hob. Die Sechsjährige war ausgesprochen zierlich und vermutlich die Kleinste in ihrer Klasse. Genau wie Callie früher.

Sie verdrängte die schmerzliche Erinnerung. »Ein Mädchen braucht doch sein modisches Zubehör«, erwiderte sie und erntete ein Kichern.

»Esme und Emmaline! Es wird Zeit, dass ihr eure Kleider anzieht.«

Esme wand sich aus Juliets Armen und flitzte zu ihrer Großmutter. Ein zaghaftes Gefühl von Freude überdeckte die Traurigkeit, die sie wie aus dem Nichts überfallen hatte. Juliet streifte, aus Rücksicht auf Charlies wundervolle Holzböden, die Schuhe ab und ging zu Ísa, deren Make-up die Visagistin gerade den letzten Schliff gab.

Charlottes zukünftige Schwägerin würde Brautjungfer sein, genau wie Juliet und Backkurs-Mitstreiterin Aroha. Die Letzte im Quartett war die Polizistin Mei Lee, auch sie eine gute Bekannte von Charlie. Die Rolle der Trauzeugin übernahm mitsamt den Pflichten Charlottes beste Freundin Molly.

»Du siehst atemberaubend aus«, sagte Juliet zu Ísa. »Wie einem Renaissance-Gemälde entstiegen.« Üppiges rotes Haar und makellose Haut, dazu strahlte sie eine innere Zufriedenheit aus, die Juliet zu ihr hinzog.

»Danke, dass du Esme aus der Patsche geholfen hast.« Ísa drückte ihr die Hand.

»War mir ein Vergnügen«, antwortete Juliet, als im selben Moment Charlotte, begleitet von Molly, die freitragende Spindeltreppe herabschwebte.

»Warum bin ich bloß so nervös?«, fragte die Braut, eine Hand auf ihre Brust gedrückt, am Fuße der Treppe. Ein rötlicher Schimmer überzog das helle Gold ihrer Haut, ihr Lächeln wirkte zaghaft und glückselig zugleich. »Ich kann es nicht erwarten, Gabriel zu heiraten!«

Juliet konnte sich angesichts Charlottes aufgeregter Vorfreude ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. In ihrem Brautkleid aus elfenbeinfarbener Spitze mutete sie wie eine Prinzessin aus vergangenen Tagen an. Die Kreation bestach durch einen weiten Rock, einen dezenten U-Boot-Ausschnitt und lange Ärmel, die ebenso wie die Schulterpartie unter der Spitze die Haut durchschimmern ließen.

Anlässlich ihrer Hochzeit hatte sie ihre gewohnte Metallrandbrille durch Kontaktlinsen ersetzt. Nur ein Hauch Lidschatten betonte die haselnussbraunen Augen mit den elegant geschwungenen Wimpern, wohingegen sie für ihre vollen Lippen ein zartes Rosa gewählt hatte, das ihnen ein eher anmutiges als sinnliches Aussehen verlieh.

Die Friseurin hatte ihr die blonden, leicht gelockten Haare zu einem lockeren Chignon hochgesteckt und nur ein paar einzelnen Strähnen erlaubt, ihr Gesicht zu umspielen. Der Look war so romantisch und verträumt, dass Juliet unwillkürlich seufzen musste. Ihr selbst würde er keinesfalls stehen, aber für Charlotte war er einfach perfekt.

Das Gesicht ihrer Freundin leuchtete vor Glück.

»Du hast nur Lampenfieber.« Molly legte von hinten die Arme um sie. Die üppige orangerosa Frangipani-Blüte hinter ihrem Ohr bildete einen farbenfrohen Kontrast zu ihrem schwarzen Haar.

Charlotte kannte vergleichbare Blumen aus dem Winter Garden in Auckland, wo Gabriel um ihre Hand angehalten hatte. Das duftende tropische Gewächs fand sich neben den aus Liebesromanseiten geformten Rosen auch in ihrem Brautstrauß. Gebunden war er mit einer »Schnur« aus dem gleichen Blätterwerk wie die Girlanden, die die Männer um den Hals tragen würden.

»Hier, deine Blüte, Jules.« Aroha steckte Juliet ebenfalls eine Frangipani hinter das Ohr.

»Danke, du bist ein Schatz.« Sie machte ein paar Fotos mit ihrem Handy, als Mei vom Balkon zurückkam, ihr Mobiltelefon noch in der Hand. Die ranghohe Polizistin mit der hellbraunen Haut und dem glatten schwarzen, zu einem akkuraten Bob geschnittenen Haar brachte gerade eine wichtige Ermittlung zum Abschluss und hatte sich vermutlich bei ihrem Team nach dem Stand der Dinge erkundigt.

»Wir haben den Täter gefasst«, hatte sie Juliet kurz vor ihrem nervenzerfetzenden Bungee-Sprung am Vortag mitgeteilt. »Den Rest erledigen meine Leute. Auf keinen Fall werde ich Charlottes Hochzeit versäumen.« Ihre leicht schräg stehenden Augen hatten sich dabei Charlotte zugewendet, und zwischen den beiden Frauen war etwas Unausgesprochenes vor sich gegangen. Sie verstanden sich ohne Worte, trotz eines Altersunterschieds von zehn Jahren und der Tatsache, dass sie, abgesehen von ihrer zierlichen Statur, keinerlei Gemeinsamkeiten aufzuweisen schienen.

Mei war zäh und kämpferisch, Charlotte süß und eigensinnig. Ungeachtet dessen standen sie sich eindeutig nah.

Doch mit niemandem verband Charlotte eine so innige Freundschaft wie mit Molly, und das schon seit dem Kindergarten. Die beiden hätten ebenso gut Schwestern sein können. Genau wie Juliet und Callie einst.

Gerade griff Molly nach dem flachen, viereckigen Futteral, das auf einem Beistelltisch lag, und nahm behutsam eine Halskette heraus. Das elegante, schlichte und zeitlose Schmuckstück bestand aus zwei kaskadenartigen Weißgoldsträngen, deren Enden zu einem Knoten verschlungen waren.

Charlotte griff sich wieder an die Brust und kämpfte mit den Tränen, als Molly ihr die Kette umlegte. »Es fühlt sich an, als würde Mum mich umarmen«, flüsterte sie ergriffen. »Könnte sie doch heute dabei sein und miterleben, wie ich meine große Liebe heirate. Sie wäre überglücklich.«

Obwohl Juliets weicher Kern sich schon vor langer Zeit verhärtet hatte – sie witzelte gern über ihr kaltes, steinernes Herz –, verspürte auch sie ein Brennen in den Augen. Sie hatte nie eine liebevolle Mutter gehabt, zumindest erinnerte sie sich nicht daran. Darum konnte sie die Rührung nicht nachempfinden, die Charlotte dazu bewog, zärtlich über die Schnüre des Halsschmuckes zu streicheln. Trotzdem verstand sie, dass diese Form von Liebe existierte. Sie war ihr schon mehrfach im Leben begegnet.

Jake und Callie auf der Highschool.

Ihr Chef Everett und sein langjähriger Partner Rufus.

Charlotte und Gabriel.

»Bitte keine Tränen.« Die ungebärdigen Locken tanzten um ihr dunkelbraunes Gesicht, als die warmherzige, wohlgeformte Aroha zu Charlotte eilte. »Du willst doch nicht dein Make-up ruinieren«, warnte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme und schloss die Braut ganz fest in ihre Arme.

Irgendwie kam es dazu, dass sie sich kurz darauf alle sechs – Ísa inbegriffen – in den Armen lagen, ein Überschwang aus Lachen und Emotionalität. Es kümmerte Juliet nicht einmal, ob diese sentimentale Glückseligkeit sie anstecken und bewirken könnte, dass sie plötzlich an Happy Ends glaubte.

Das Hochzeitsvirus hatte eindeutig auf sie übergegriffen.

In diesem Augenblick kamen Esme und Emmaline in ihren Blumenmädchengewändern aus dem Gästezimmer gerannt und schlossen sich der rührseligen Gruppenumarmung an. Als Letzte gesellte sich Alison, Charlottes zukünftige Schwiegermutter, dazu und umfing sie allesamt mit ihrer mütterlichen Aura.

Als sie sich lösten, sahen sie, wie die Friseurin und die Visagistin sich Tränen vom Gesicht wischten.

Mit verschleiertem Blick beugte Charlotte sich zu Emmaline und Esme hinab und küsste beide auf die Wange. Emmaline hatte die Alabasterhaut ihrer Mutter Ísa und strahlend blaue Augen, ihre Cousine hingegen die dunkelbraunen ihres Vaters Jake, wies dabei aber einen etwas helleren Teint auf als dieser.

Also Callies Gene.

Juliets beste Freundin an der Highschool hatte sich oft darüber beklagt, dass sie die Sonne nur ansehen müsse, um sich einen Sonnenbrand zu holen. Die kleine Esme würde dieses Problem nicht haben, dachte Juliet, und die Brust wurde ihr eng bei der Erinnerung an die fröhliche junge Frau mit dem seidigen blonden Haar und den intelligenten blauen Augen hinter der schwarz gerahmten Brille.

Callie wäre außer sich vor Freude, könnte sie ihr aufgeregtes, hübsch herausgeputztes Töchterchen heute sehen.

»Ihr zwei seht aus wie Prinzessinnen«, sagte Charlotte zu ihren entzückenden Blumenmädchen.

»Nein, du, du!«, riefen die Mädchen und bettelten um ein gemeinsames Foto mit der Braut.

Die Friseurin und die Visagistin verabschiedeten sich gemeinsam und wurden von den versammelten Damen mit Dank überschüttet.

Sowie Juliet Fotos von ihnen gemacht hatte, flitzten Esme und Emmaline zu dem großen Standspiegel, den jemand neben die Balkontür gestellt hatte, und bewunderten darin im hellen Schein der Mittagssonne ihre Kleider.

»Die Halskette steht für etwas Altes«, erklärte Molly in die Stille hinein.

»Und das Kleid symbolisiert etwas Neues.« Alison strich mit der Hand über die Spitze von Charlottes Ärmel. »Es ist so zauberhaft, dass es bestimmt einmal ein Erbstück wird.«

Erneut breitete sich Ergriffenheit aus, derweil die zwei kleinen Mädchen vor dem Spiegel tanzten und ihre dunklen Haare von Sonnenstrahlen liebkost wurden. Emmalines waren pechschwarz, Esmes hatten einen Stich ins Schokoladenbraune, dazu waren sie seidiger und es war mühsamer, sie in eine haltbare Frisur zu bringen. Eine weitere Reminiszenz an zwei sehr unterschiedliche Menschen.

Ein weiteres Zeichen der Liebe.

So wie auch dieser Augenblick mit Charlotte es war.

»Fehlt noch etwas Blaues …« Mei trat einen Schritt auf Charlotte zu und hob deren Hand, worauf Aroha ihr ein schmales, mit Saphiren und Diamanten besetztes Armband überstreifte. Molly oder Alison hätten es sich auch allein leisten können, trotzdem hatten sie alle dafür zusammengelegt.

Um ihre Freundschaft zum Ausdruck zu bringen und Charlotte eine Erinnerung an diese gemeinsame Zeit zu schenken. Das feingliedrige Schmuckstück passte perfekt zu Charlies zartem Körperbau und auch zu dem mit Smaragden verzierten Armband aus Platin an ihrem linken Handgelenk, einem Geschenk Gabriels, das sie kaum jemals abnahm.

»Oh, mein Gott!« Charlottes Hände mit den pastellfarben lackierten Fingernägeln flogen zu ihrem Mund. »Es ist so wunderschön. Aber das wäre wirklich nicht -«

»Doch, das war es.« Juliet griff vorsichtig nach dem hauchdünnen Schleier, der über eine Sofalehne gebreitet war, und reichte ihn Alison.

Molly presste die Handflächen aneinander und lehnte sich mit leuchtenden Augen an Juliet. »Und hier kommt dein geborgtes Etwas, Charlie«, sagte sie leise.

Alison schluckte sichtlich, als sie den Schleier mithilfe einer filigranen Tiara, die perfekt Charlottes Stil entsprach, im Haar der Braut befestigte. »Ich bin so froh, dass mein störrischer Sohn dich überzeugen konnte, ihn zu heiraten«, flüsterte sie, nachdem sie den Schleier befestigt hatte. »Du erfüllst sein Leben mit Licht, mein wunderschönes Mädchen, deine Liebe zu ihm spiegelt sich in jedem Blick, mit dem du ihn ansiehst. Ich wünsche euch beiden alles Glück dieser Erde.«

Juliet musste wegschauen, der Kloß in ihrem Hals drohte, ihr kaltes steinernes Herz wiederzubeleben. Bis sie sich gefasst hatte, waren die anderen schon im Aufbruch zur Kirche begriffen. Aroha bat Juliet zu überprüfen, ob ihr Kleid hinten tadellos saß.

»Du bist eine wahre Augenweide.« Juliet strich über die Schulterpartie von Arohas dunkelblauem Kleid, einem hochtaillierten Modell mit ausgestelltem Rock, langen Ärmeln und V-Ausschnitt.

Kurz darauf schob sich eine kleine, warme Hand in ihre.

Juliet schaute nach unten und in ein Paar große braune, von einer peppigen blauen Brille umrahmte Augen. Sie erkannte Callie in der Form von Esmes Gesicht wieder, in ihrem leicht schiefen Lächeln und dem feierlichen Ernst, mit dem sie Juliet betrachtete.

Calypso »Callie« Simpson hatte von Natur aus einen gewissen Ernst besessen, gepaart mit einer unendlichen Herzensgüte. Wogegen Autoschrauber und Spitzenathlet Jake schon immer ein verkappter Spießer war, was eine Freundschaft zwischen ihm und Juliet von Anfang an ausgeschlossen hatte.

Mittlerweile schien er vollständig zum Spießertum bekehrt, dachte Juliet grimmig, als Esme sagte: »Du siehst sehr hübsch aus, Jules.«

Die Kleine hatte sich ihre Manieren eindeutig nicht bei ihrem Vater abgeschaut. »Wir beide sehen sehr hübsch aus«, korrigierte sie lächelnd und drückte Esmes zierliche Hand. »Komm, lass uns die Leute vom Hocker hauen.« Allen voran Jake.

Das war eine Frage der Ehre. Denn der Junge von früher, bei dem sich die breiten Schultern und langen Beine gerade erst angedeutet hatten, war zu einem echten Mann herangewachsen. Als sie beim Anziehen ihres Stöckelschuhs hochgeschaut und ihr Blick ihn erfasst hatte, war sie innerlich vollends aus dem Gleichgewicht geraten … bis ihr klar wurde, dass es ausgerechnet Jacob Esera war, den sie da anstarrte.

Fast konnte sie Callie kichern hören, wahrscheinlich weinte sie im Himmel gerade Tränen vor Lachen. Cals hatte neben ihrer freundlichen Art auch immer einen schrägen Sinn für Humor gehabt.

Bestimmt war nur der viele Wein gestern Abend schuld. Juliet musste immer noch davon berauscht gewesen sein, als sie in einem kurzen Moment der Orientierungslosigkeit aufgeblickt, diesen attraktiven, gut gebauten Mann entdeckt und ein unverkennbares Ziehen im Unterleib verspürt hatte.

Der »Goldjunge« Jake Esera und der »schlechte Umgang« Juliet Nelisi?

Nein, nein und nochmals nein.

3. KAPITEL

DAS VON EINER SCHWER VERDAULICHEN MAUS UND SCHMACHTENDEN BLICKEN HANDELT

Die Gäste hatten ihre Plätze eingenommen und warteten auf den Einzug der Braut, aber Jake konnte Juliet nirgendwo entdecken.

Vielleicht war sie aufgehalten worden, nachdem sie Esmes Brille abgeholt hatte. Trotzdem hätte sie sich anstrengen sollen, es rechtzeitig zu schaffen, überlegte er verärgert. Es sah Juliet ähnlich, zu spät zu kommen und für Unruhe zu sorgen. Er erinnerte sich noch daran, wie sie mit einer halbstündigen Verspätung zu einer Schulversammlung erschienen war. Die meisten anderen hätten sich still und leise in die riesige Aula mit den glänzenden Holzböden und -wänden geschlichen, um kein Aufsehen zu erregen.

Juliet war seelenruhig und ohne einen Anflug von Verlegenheit durch die Tür hereinstolziert.

»Du guckst, als hättest du Verstopfung. Was ist los?«, raunte ihm Danny auf Samoanisch zu, als er und der Rest des Sextetts sich neben dem Altar aufstellten.

Jake gab ihm mit einem Blick zu verstehen, still zu sein, aber als der jüngste von vier Brüdern hatte Danny früh gelernt, derlei Winke zu ignorieren.

»Jetzt mal ernsthaft, Kumpel«, fuhr Danny fort und wechselte dabei ins Englische. »Brauchst du irgendein Mittelchen?«

Jake verengte die Augen zu Schlitzen und sandte seinem Bruder eine stille Warnung, die bedeutete, dass er es ihm später und dafür umso gründlicher heimzahlen werde. »Ich wünsche mir einfach nur eine perfekte Hochzeit für Gabriel und Charlotte.«

Danny hatte Jakes Zorn schon eine Weile nicht mehr zu spüren bekommen und klopfte ihm nun mit einem unbedacht selbstsicheren Grinsen auf die Schulter. »Mach dir darüber keine Gedanken. Es ist unserem großen Bruder so was von egal, ob irgendetwas schiefgeht, solange Charlie ihn nur nicht vor dem Altar stehen lässt. Sie ist alles, was für ihn zählt.«

Jake wusste, dass Danny recht hatte, trotzdem lagen seine Nerven blank. Sich um die Menschen, die er liebte und die ihm wichtig waren, zu sorgen, war für ihn Teil seines Wesens. Er hatte diese Veranlagung schon immer gehabt, doch nach Calypsos Tod hatte sie sich um ein Vielfaches verstärkt. Auch wenn all seine Sorge nicht ausgereicht hatte, um die bakterielle Meningitis zu bekämpfen und Calypso das Leben zu retten – er kam einfach nicht gegen seinen fast zwanghaften Beschützerinstinkt an.

Das einzig Gute war, dass er sich dank der Therapie, der er sich auf Drängen seiner Eltern nach Calypsos Tod unterzogen hatte, seiner überbehütenden Tendenzen und des Schadens, die sie bei einem kleinen Kind anrichten konnten, vollauf bewusst war. Und darum kämpfte er jeden Tag und jede Stunde dagegen an. Er würde nicht zulassen, dass er Esme mit seiner Fürsorge erstickte.

Seine Tochter würde ohne Schranken und als kleiner Wildfang aufwachsen, sie sollte die gleiche Kindheit haben dürfen wie er.

Vorletztes Wochenende hatte sie sich nach einem heftigen Wolkenbruch quietschvergnügt im Matsch gewälzt – insofern machte er seine Sache doch wohl gar nicht so schlecht. Tatsächlich hatte ihr fröhliches Jauchzen ihn dazu animiert, sich ihr anzuschließen. Bibbernd vor Kälte hatten sie unter der strahlend hellen Wintersonne gemeinsam ein ausgiebiges Schlammbad genommen, ohne dass die Welt davon unterging.

Esme hatte sich weder eine Grippe noch irgendeine ominöse, durch Schlamm verursachte Krankheit zugezogen. Sie hatte einen Riesenspaß gehabt und er erleichtert aufgeatmet. Vielleicht würde er sich restlos entspannen, wenn sie das Erwachsenenalter erreicht hatte. Er hoffte es inständig, weil ihm das Unterdrücken seines Beschützerinstinkts mehr abverlangte als sämtliche Rugbyspiele, an denen er je teilgenommen hatte.

»Worüber tuschelt ihr wie zwei alte Klatschtanten?«, ließ sich Gabes Freund Harry, der neben Danny stand, mit tiefem Timbre vernehmen. Sein scharf geschnittenes Kinn war glatt rasiert und markant wie seine Schultern.

»Mein kleiner Bruder weiß nicht, wann man die Klappe hält«, brummte Jake, derweil Danny sich völlig unbeeindruckt gab.

Bevor Harry antworten konnte, ging gleich einem sanften Luftzug ein erwartungsvolles Raunen durch die Menge, gefolgt von den ersten Klängen einer stimmungsvollen Melodie. Aroha, die an dem Flügel im hinteren Ende der Kirche saß, hatte sie eigens für Charlotte und Gabriel komponiert.

Jake registrierte zwar, dass ihr Kleid von demselben dunklen Blauton war wie Juliets, aber noch bevor er daraus irgendwelche Schlüsse ziehen konnte, öffnete sich die Kirchentür. Seite an Seite schritten zwei bezaubernde kleine Blumenmädchen hindurch, angetan mit ihren »Prinzessinnenkleidern«, wie Jakes Tochter sie nannte. Sie waren weiß, mit einer ebenfalls blauen Schärpe um die Taille, der dreiviertellange Rock mit bauschigem Tüll unterfüttert.

Wie immer ging ihm beim Anblick von Esmes süßem Gesichtchen das Herz auf.

Jede trug einen aus Miniatur-Frangipani, hellgrünen Blättern und winzigen weißen Blümchen gebundenen Kranz im Haar und ein Körbchen mit zartrosa Blütenblättern in der Hand, ihre Füße steckten in Riemchensandalen aus glänzendem Lack. Mit strahlenden, hochkonzentrierten Mienen streuten sie ihre Blüten auf dem Weg zum Altar.

Irgendwann sah Esme zu ihm hin und schenkte ihm ein Lächeln, das die erste Lücke ihrer Milchzähne enthüllte, wo vergangene Woche ein unterer mittlerer Zahn herausgefallen war.

Du machst das prima, Spatz, formte er mit den Lippen.

Jetzt lächelte sie über das ganze Gesicht, und ihm sprang schier das Herz aus der Brust. Er hatte in seinem Leben so vieles falsch gemacht, aber irgendwie bekam er das hier gut hin. Seine Tochter wusste, dass sie geliebt wurde und das Allerwichtigste für ihn war.

Gleich darauf traten drei Frauen durch die Kirchentür, sie gingen hinter den Blumenmädchen her. Bei der ersten handelte es sich um ein Familienmitglied, genauer gesagt um Sailors Frau Ísa, bei der zweiten um Charlies Freundin Mei. Aber es war die große, wohlgeformte, gefährlich sinnliche Frau hinter der Polizistin, die seine Aufmerksamkeit erregte.

Jakes Hirn erlitt einen Kurzschluss.

»Sie war nicht bei der Probe«, platzte er heraus.

»Kannst du dich nicht mehr erinnern, Bruderherz?«, versetzte Danny mit gedämpfter Stimme. »Charlotte hatte doch gesagt, dass ihre zweite Freundin aus dem Backkurs es nicht zur Probe schafft. Und dass du heute ihr Begleiter sein wirst.«

Was?!

»Jedenfalls besteht wohl kaum die Gefahr, dass sie den Gang zum Altar vermasseln wird«, schob Danny hinterher. »Es gibt nur einen Gang, falls es dir nicht aufgefallen ist.«

Jake musste sich beherrschen, die Stirn nicht in Falten zu ziehen – es fehlte gerade noch, dass er auf den Hochzeitsfotos seines Bruders finster dreinschaute. Seine Familie war ohnehin einhellig der Meinung, er müsse lockerer werden. Ständig wurde er von seinen Eltern sanft dazu ermutigt, auszugehen und sich zu amüsieren, während Danny ihn ganz unverblümt einen »alten Mann in der Haut eines Jungspunds« nannte.

Sein kleiner Bruder lebte lieber unbekümmert.

Gabe und Sailor hingegen waren aus unterschiedlichen Gründen früh erwachsen geworden und daher nachsichtiger mit ihm, trotzdem entging ihm nicht, wie besorgt sie ihn ansahen, wenn sie glaubten, er merke es nicht. Aber vermutlich würde sich das geben, wenn er sich weiterhin erfolgreich um seine Karriere und um Esme kümmerte – Zufriedenheit hatte viele Gesichter, und sein ganzes Glück bestand darin, das Leben seiner Tochter so schön wie möglich zu gestalten.

Nein, er würde Danny auf den Fotos nicht mit Blicken erdolchen.

Und auch den scharfzüngigen Geist aus seiner Vergangenheit nicht anstarren.

Juliet war mitten im Highschool-Abschlussjahr ohne Vorankündigung einfach weggeblieben. Gerüchten zufolge hatte ihre Familie beschlossen, sie auf eine strengere Schule zu schicken, nachdem sie zum dritten Mal fast suspendiert worden wäre. Calypso hatte tausend Ängste ausgestanden, sie war fest überzeugt gewesen, dass Juliet nie einfach so gehen würde, ohne ihr Bescheid zu sagen, aber schließlich hatte eine mitfühlende Lehrerin Juliets Abmeldung von der Schule bestätigt.

Einen Monat lang fehlte jede Spur von ihr, bevor sie sich dann endlich via E-Mail und SMS bei Calypso meldete. Damals hatte Jake wichtigere Probleme als Juliets plötzliches Verschwinden gehabt und deshalb kaum nach den Gründen gefragt. Aber durch dieses Wiedersehen wurde die Erinnerung schlagartig lebendig – an die Unschuld und Lebensfreude ihrer Teenagerzeit, daran, wie Juliet und Calypso sich im Unterricht kleine Zettel zugesteckt hatten, an die ungestümen Kicheranfälle der beiden.

Die große, gertenschlanke Juliet hatte dem allgemeinen Empfinden nach die Hälfte ihrer Schulzeit im Büro des Rektors verbracht, während die kleine, rundliche Calypso aufgrund ihrer herausragenden Leistungen für ein Studium an einer Eliteuniversität prädestiniert war. Jake hatte nicht verstanden, wieso Calypso sich mit dieser Unruhestifterin abgab, aber sie hatte ihre Freundin stets vehement in Schutz genommen.

»Du kennst sie nicht«, hatte sie gesagt und dabei, wie es ihre Art war, so leise gesprochen, dass er sich näher zu ihr vorbeugen musste. »Jules und ich sind schon seit dem Kindergarten befreundet. Sie ist nett und lustig und hat mich niemals enttäuscht. Bitte, gib ihr eine Chance.«

Jake war entschlossen gewesen, Calypso zuliebe mit Juliet auszukommen – und er musste zugeben, dass sie ihn mit ihren boshaften Bemerkungen und ihrem bissigen Witz mehr als einmal zum Lachen gebracht hatte –, trotzdem hatten sie bestenfalls eine von Argwohn geprägte Bekanntschaft gepflegt. Calypso war das Bindeglied zwischen ihnen gewesen.

Inzwischen war deren magere beste Freundin mit den waffenscheinpflichtig spitzen Ellbogen – Jake hatte sie des Öfteren zu spüren bekommen – mit überaus weiblichen Kurven ausgestattet, das lange Haar trug sie heute glatt, statt zu einem struppigen Zopf geflochten. Doch in ihren Augen glitzerte noch immer diese Aufmüpfigkeit, die ihn schon früher rasend gemacht hatte.

Hinter Juliet folgte die bezaubernd lächelnde, dunkelhaarige Molly. Sie trug ein elegantes, bodenlanges, mitternachtsblaues Kleid und in der Hand das gleiche farbenprächtige Frangipani-Sträußchen wie Juliet, Mei und Ísa.

Die Eskorte der Braut stellte sich gegenüber der des Bräutigams auf der anderen Seite des Mittelgangs auf. Nur Aroha fehlte, Harry würde sie nach der Trauung am Flügel abholen und sie an seinem Arm aus der Kirche geleiten.

Jakes Mutter, die bereits in der ersten Bank Platz genommen hatte, winkte Esme und Emmaline zu sich, worauf die beiden Mädchen sich zwischen ihre Großeltern setzten, denen ihr Stolz und ihre Freude ins Gesicht geschrieben standen.

Neue Musik erklang. Der eigens für Charlotte und Gabriel umgeschriebene Hochzeitsmarsch holte Jake ins Hier und Jetzt zurück. Und dann kam die Braut, strahlend und wunderschön. Charlotte schritt den Gang allein entlang, um das Andenken an ihre Eltern zu ehren, die sie innig liebte.

Neulich in ihrer Küche hatte sie Jake die zwei herzförmigen Medaillons gezeigt, die sie hinten an ihren Brautschuhen anbringen wollte. Auf dem einen stand der Name ihres Vaters, auf dem anderen der ihrer Mutter.

»Auf diese Weise können sie mich zum Altar führen«, hatte sie mit belegter Stimme erklärt und sich mit dem Zeigefinger die Tränen weggewischt.

Heute leuchteten ihre Augen hinter dem Schleier, unendliche Liebe stand in ihrem Blick, der allein Gabriel galt. Sein großer, starker Bruder sah geradezu ehrfürchtig aus. Gabe hatte immer alles verstandesmäßig unter Kontrolle, er bestimmte, wo es in seinem Leben langging, aber sobald Charlie ins Spiel kam, gewannen bei ihm die Gefühle.

Jakes zierliche Schwägerin in spe war der einzige Mensch, den er kannte, der Gabe gut zureden und ihn zum Einlenken bewegen konnte. Sie würden zusammen glücklich werden, das wusste er so sicher, wie er es bei Sailor und Ísa gewusst hatte.

Zwischen jedem der beiden Paare gab es dieses unbestimmbare Etwas, das auch die Beziehung seiner Eltern prägte – eine tiefe Harmonie, die über Leidenschaft und Liebe hinaus existierte. Die Gewissheit, dass der Partner einen ungeachtet der Veränderungen, die die Zukunft bringen mochte, immer so annehmen würde, wie man war.

Gabe machte einen Schritt vorwärts und ergriff Charlottes Hand. Leises Lachen wehte angesichts seines Übereifers durch die Kirche. Er lächelte, schämte sich überhaupt nicht für seine Ungeduld, Charlotte zur Frau zu nehmen.

Mit einem Lächeln auf dem zerfurchten Gesicht trat der Pastor vor. »Liebes Brautpaar …«

Juliets steinernes Herz traf heute ein Schlag nach dem anderen. Zuerst diese mit sprudelnder Kleinmädchenfreude vermengte, wundervoll gefühlsduselige Innigkeit unter den Frauen, und jetzt auch noch das. Gabriel Bishop, auch bekannt als »der Bischof« und seines Zeichens einer der härtesten Spieler, die der Rugbysport je gekannt hatte, hielt die Hand seiner elfenhaften Braut mit verliebtem Blick fest in der seinen und machte keinen Hehl aus seinem Verlangen, mit ihr vermählt zu sein. Und Charlotte schien geradezu von innen zu leuchten. Sie strahlte eine Glückseligkeit aus, die wie eine Welle über die Anwesenden brandete und sie mit sich fortriss.

Juliet konnte es nicht fassen, dass sie mit den Tränen kämpfte. Sie schluckte sie hinunter, wehrte sich verzweifelt gegen den albernen, um sich greifenden Hochzeitsvirus. Dabei hatte sie sich dagegen gewappnet und sich eingeredet, dass sie gegen Hochzeitsglocken und schmachtende Blicke immun sei. Dass ihr Panzer aus Zynismus hart wäre wie der eines Krokodils und sie beschützen werde.

Nicht ohne Grund waren Liebesromane das einzige Buchgenre, dem sie sich komplett verweigerte. Keineswegs aus Überheblichkeit – als Teenager hatte sie sie dutzendweise verschlungen –, sondern weil sie nach allem, was passiert war, schlichtweg nicht mehr an Happy Ends glaubte. Und jetzt wurde ihr genau solch ein kitschiger glücklicher Ausgang vorgesetzt.

Bei ihrem Kennenlernen war Charlotte noch ein schüchternes, von allerlei Ängsten beherrschtes Mäuschen gewesen. Es hatte Juliet überrascht und entzückt, wie ausgerechnet der Bischof sie mit seiner Aufmerksamkeit zum Erblühen gebracht hatte. Der große, toughe, unerbittliche Gabriel, der Mäuse normalerweise zum Frühstück verspeiste.

Nur dass Charlie sich als schwer verdaulich entpuppt hatte.

Und hier standen die beiden nun, einander mit solcher Hingabe zugetan, dass Juliet halb damit rechnete, jeden Moment kleine Comic-Herzen über ihren Köpfen zu sehen.

Oh Gott. Gerade himmelte auch noch Ísa Sailor an, und eben erst hatte Joseph Esera – der seit langem der samoanischen Gemeinschaft angehörte und etwas steif wirkte in seinem formellen Anzug – seiner Frau einen verliebten Blick zugeworfen.

Mist. Diese Familie stellte ihren Entschluss, kalt und zynisch zu bleiben, auf eine harte Probe.

Sie sah, dass Jake sie immer noch mit finsterer Miene musterte, und ihre Stimmung hellte sich schlagartig auf. Zumindest manche Dinge änderten sich nie. Dieser Gesichtsausdruck war Jakes obligatorische Reaktion auf Juliet. Er hatte nie begriffen, wieso seine wohlerzogene Calypso ihrer rebellischen besten Freundin die Treue hielt.

Arme Callie, hatte Juliet oft gedacht. Mit so einem überkorrekten Langweiler als Freund geschlagen zu sein.

Aber nachdem sie vorhin beobachtet hatte, wie er seiner Tochter ermutigend zugelächelt hatte, musste Juliet widerwillig einräumen, dass Jacob Esera womöglich doch die eine oder andere gute Seite hatte.

Esme war sich sicher, dass sie geliebt wurde, daran bestand kein Zweifel, und Juliet hätte diesen Verdienst gern Jakes Eltern zugeschrieben, nur leider widerlegte die Tatsache, dass er in seinem Auto eine Ersatzbrille für seine Tochter bereithielt, diese Theorie.

Gabriels Stimme klang sehr fest, als er verkündete: »Ich will. Definitiv. Für immer. Ohne Ausstiegsklausel.«

Juliet übertünchte ihr gerührtes Schniefen mit einem Grinsen.

Charlotte beantwortete die Frage des Pfarrers zwar leiser, aber mit ebenso viel Nachdruck. »Ja, ich will. Für immer und ewig.«

Die beiden waren so bezaubernd, dass Juliets innerer Widerstand sich in Wohlgefallen auflöste. Sie lächelte über das ganze Gesicht, und vor ihren Augen schienen flauschige Wattewölkchen, bunt wie die Farben des Regenbogens, zu tanzen.

»Sie dürfen die Braut jetzt –«

Noch bevor der Pfarrer zu Ende gesprochen hatte, fasste Gabriel Charlotte um die Taille und hob sie hoch, während sie ihm die Arme um den Hals schlang. Dann küssten sie sich heiß und zärtlich und ein klein wenig zu lange für diese altehrwürdige Kirche – und vermutlich auch für die versammelten Tanten, deren Lebensinhalt darin bestand, ihren Mitmenschen Lektionen in angemessenem Verhalten zu erteilen.

Aber selbst der Pfarrer, dessen dunkles Gesicht vom Leben gezeichnet und von Liebe erhellt war, quittierte Charlottes und Gabriels Enthusiasmus mit einem Lächeln. Braut und Bräutigam beendeten ihren Kuss und wandten sich den Gästen zu, die jubelnd aufstanden und Blütenblätter auf das Paar regnen ließen, als es dem Ausgang zustrebte.

4. KAPITEL

IN WELCHEM JAKES SCHENKEL VORKOMMEN

Juliet hatte zu der Probe für diese Hochzeit nicht kommen können, weil just an diesem Tag bei ihr zu Hause ein Wasserrohr gebrochen war und die gesamte Küche überschwemmt hatte.

Es war ihr höchst unangenehm gewesen, absagen zu müssen, aber Charlotte hatte Verständnis gezeigt und ihr kurzerhand einen Ablaufplan geschickt. Juliet war also darauf vorbereitet, sich bei Jake einzuhaken und dann zusammen mit Molly und Fox, Ísa und Sailor, Mei und Danny, Aroha und Harry den Frischvermählten das Geleit zu geben.

In Wahrheit hatte sie die Vorstellung, Jake ausgerechnet unter diesen Umständen wiederzusehen, insgeheim amüsiert. Wer hätte gedacht, dass man sie irgendwann einmal Arm in Arm bei einer kirchlichen Trauung antreffen würde? Hätte eine Wahrsagerin ihnen das als Teenager prophezeit, sie hätten – Callie eingeschlossen – das kalte Grausen gekriegt und umgehend ihr Geld zurückverlangt.

Andererseits waren es ja nur ein paar Schritte. Keine große Sache also.

Wäre da nicht dieser unerklärliche Schauer gewesen, der sie mit Macht durchrieselt hatte, als ihre Blicke im Garten seines Bruders zusammenstießen. Sie hätte dieses Flattern in ihrer Magengrube am liebsten als Irritation oder Ärger – Gefühle, die sie unweigerlich mit Jake verband – abgetan, doch sie wusste, dass das nicht der Fall war.

Zuletzt hatte sie etwas Ähnliches wie dieses Kribbeln verspürt, als sie mit einer Portion Erdbeer-Vanille-Eis vor dem Fernseher gesessen und den durchtrainierten Schauspieler angeschmachtet hatte, der ihren Lieblingsarzt in der Serie Shortland Street verkörperte. Doch verglichen mit diesem sensorischen Wirbelsturm, der sie sprachlos gemacht hatte, war das nur ein Windhauch gewesen.

In ihr regten sich Schuldgefühle.

Sie schüttelte sie ab, konnte förmlich vor sich sehen, wie ihre beste Freundin die Augen verdrehte. Niemand wusste besser als sie, dass Juliet nicht das geringste sexuelle Interesse an Jake gehabt hatte, während er und Callie ein Paar waren. Tatsächlich hätte sie sich eher zu fahrlässiger Tötung hinreißen lassen. Sie musste sich nicht dafür schämen, dass sie sich als erwachsene Frau körperlich zu Jake Esera hingezogen fühlte – der im Übrigen viel zu gut roch.

Nach kühler Bergluft und kernigem Mann und dem ganzen anderen Zeug, mit dem für Herrendüfte Reklame gemacht wurde. Sie hatte derlei sonst immer belächelt, doch jetzt drängte es sie geradezu danach, sich ein Beispiel an der Dumpfbacke in einem aktuellen Werbespot zu nehmen, sich an ihren Kerl anzuschmiegen und seinen Duft richtiggehend einzusaugen.

Tja, dumm gelaufen.

Sie würde lieber zugrunde gehen, als diesem Verlangen nachzugeben.

»Er ist wirklich wundervoll, Jules. Gib ihm einfach eine Chance.«

»Darf ich ihm vorher eine Betäubungsspritze verpassen?«

Ihre Mundwinkel zuckten bei der Erinnerung daran, wie Callie sie lachend mit der Schulter angestupst hatte, dabei spürte sie, wie sich Jakes Muskeln unter ihrer Hand verkrampften. Garantiert spannte sich gleichzeitig auch sein Kiefergelenk an. Um sich zu vergewissern, hätte sie nur zu ihm hinübersehen müssen – auf ihren hohen Hacken war sie fast auf Augenhöhe mit ihm, und sogar barfuß maß sie immer noch stolze eins dreiundsiebzig. Das Dumme war nur, dass Jake wie sämtliche Männer in seiner Familie weit über eins achtzig groß war.

Es nervte sie, dass sein Körperwuchs ihn dazu befähigte, selbstgefällig auf sie herabzusehen.

Um sich abzulenken, ließ sie den Blick umherschweifen und betrachtete die lächelnden, gerührten Gesichter der Anwesenden. Alle hatten ihre Jacken und Mäntel an der Garderobe abgegeben, um sich in ihrem Sonntagsstaat zu präsentieren, ein fröhlich buntes Potpourri. Es gab duftige Kleider mit zarten Applikationen und gerade geschnittene mit geometrischen Mustern zu bewundern, wohingegen die Frauen samoanischer Abstammung sich für puletasi – kunstvoll gewebte, ein- oder zweiteilige bodenlange Gewänder mit traditionellem Muster – entschieden hatten.

Einige Männer trugen in Kombination mit Hemd und Krawatte einen lavalava – den traditionellen polynesischen Wickelrock –, andere einen klassischen westlichen Anzug. Ausnahmslos jeder war festlich gekleidet, wenn auch nicht auf Wunsch des Brautpaars, sondern weil das in dieser Kirche einfach erwartet wurde.

In der von Juliets Großeltern war es ähnlich gewesen.

Ein Lächeln zupfte an ihren Lippen, als sich zwei raffinierte kleine Blumenmädchen an ihr vorbeimogelten, um direkt hinter der Braut herzugehen, und sich sogleich wieder ganz brav gaben. Andere Kinder drängelten sich ans Ende der Kirchenbänke, um die Frischvermählten samt ihrem Gefolge besser sehen zu können. Juliet fing das fröhliche Grinsen eines kleinen, pausbäckigen Knirpses auf, der einfach zum Knuddeln aussah in seinem grauen, silbern bestickten Anzug im indischen Stil.

Es war der Sohn von Ísas humorvoller und blitzgescheiter Freundin Nayna, die mittlerweile auch eine gute Bekannte von Charlotte war und bereits an den Festivitäten im Vorfeld der Hochzeit teilgenommen hatte. Ihr attraktiver Ehemann gehörte zum Tross des Bräutigams und hatte heute als Platzanweiser fungiert.

Als Teenager würde ihr niedlicher Racker ihnen noch einigen Kummer bereiten, dachte Juliet und spürte einen Anflug von Solidarität. Sie freute sich schon darauf, ihn später auf der Feier tanzen zu sehen. Bei einer samoanischen Hochzeit gehörte Tanz sozusagen zum Pflichtprogramm, und soweit Juliet das beurteilen konnte, brachte Gabriel Bishop dem kulturellen Hintergrund seines Stiefvaters höchsten Respekt entgegen.

Juliet hatte vor, sich die Füße wund zu tanzen. Eine ihrer besten Freundinnen hatte sich heute mit der Liebe ihres Lebens vermählt, und das musste gefeiert werden. Und zwar ohne sich um die Meinung eines gewissen Mitglieds von Charlottes angeheirateter Familie zu scheren.

Wie sie Jake kannte, erachtete er Tanzen als unschicklich.

Die Nachmittagssonne strömte durch das offene Portal, als Gabriel und Charlotte ins Freie traten und von den Gästen, die es geschafft hatten, vor ihnen nach draußen zu gelangen, mit einem weiteren Blütenregen begrüßt wurden.

Das Paar lief lachend zu der glänzenden weißen Stretchlimousine, die sie im Anschluss an einen Fototermin mit der gesamten Familie – Ísas Geschwister Harlow und Catie inbegriffen – zum Hochzeitsempfang fahren würde.

Laut Charlotte hatten die beiden als Teenager so viel Zeit mit den Bishop-Eseras verbracht, dass Alison und Joseph sie auf die gleiche Art behandelten wie ihre Jungs. Obwohl die zwei während Gabriels Werbung um Charlotte im Ausland gewesen waren, hatte Juliets Freundin die Geschwister mittlerweile gut kennengelernt und ebenfalls große Zuneigung zu ihnen gefasst.

Auf ihren Wunsch hin hatte Catie auch schon an sämtlichen der Hochzeit vorangegangenen Festivitäten teilgenommen.

Charlottes Persönlichkeit bestach durch solche Liebenswürdigkeit, dass Juliet halb befürchtet hatte, Charlie würde Reißaus vor ihr nehmen, sobald sie sie besser kannte. Weil Juliets Herz von einem dicken Panzer umgeben war, während Charlie sich offen und entgegenkommend zeigte.

Sie beharrte darauf, Juliet besäße ein derart »großzügiges Herz«, dass sie es zwangsläufig vor Kummer schützen müsse. Juliet ließ sie in diesem Glauben und verschwieg ihr außerdem, dass sie auch heute noch den Fernseher mit irgendwelchen Wurfgeschossen bombardierte, wenn die Visage ihres verlogenen Exmanns auf dem Bildschirm auftauchte.

Da sie es sich nicht leisten konnte, sich ständig einen neuen Fernseher anzuschaffen, beschränkte sie sich auf weiche Objekte, wobei sie sich vorstellte, seine beiden Rüben mit Steinen zu bewerfen. Jawohl, Plural. Die auf seinem Hals und die zwischen seinen Beinen, die auf jede halbwegs mit Kurven ausgestattete Frau reagierte.

Aber Reid gehörte heute nicht hierher, dachte sie und holte tief Atem, dabei fing sie Jakes maskulinen Duft auf. Verdammter Mist. Sie stieß hektisch die Luft aus und konzentrierte sich auf das, was als Nächstes geplant war. Während die Hochzeitsfotos gemacht würden, sollten sich die Gäste von der Kirche zur Party-Location begeben, wo Drinks und Häppchen gereicht und von den Kindern und Jugendlichen kleine Showeinlagen dargeboten würden.

Der hohe Stellenwert, den die Familie – zu der sie auch ihre engsten Freunde zählten – für Gabriel und Charlie einnahm, hatte Juliet dazu verleitet, mit Aroha darum zu wetten, dass die beiden innerhalb von neun Monaten ihr eigenes Rugbyteam gründen würden.

Spätestens in zwölf.

Sie und Jake wechselten kein Wort, als sie zu der zweiten Stretchlimousine gingen. Sie bot genügend Platz für die gesamte Gruppe, und wie es die Ironie des Schicksals wollte, fand Juliet sich eingepfercht in einer Ecke wieder, neben ihr Jakes warmer Körper. Seit sie ihm zuletzt so nah gewesen war, hatte seine Statur sich deutlich verändert und wies nun die typischen Kennzeichen eines Rugbyspielers auf: breite Schultern, gestählte Oberarme und Schenkel. Er war nicht mit ganz so viel Muskelmasse gesegnet wie Gabriel, aber im Rugbysport spielten diese Unterschiede nur eine marginale Rolle.

Spitzenathleten wie er strotzten aus sich heraus von purer, ungebändigter Kraft und Schnelligkeit, ihre Fitness und Leistungsfähigkeit waren legendär. Jakes Schenkel mussten hart wie Granit sein.

Um Himmels willen, Juliet, hör auf, solchen Gedanken nachzuhängen!

Sofort flackerte in ihrem Kopf die Überlegung auf, wie es wohl wäre, mit den Zähnen in diese warmen, gebräunten Schenkel zu zwicken, und ob sie von einem Flaum schwarzer Haare bedeckt waren. Nicht, Juliet! Mach diesem Irrsinn auf der Stelle ein Ende!

»Lasst den Quatsch, ihr zwei.« Sailors Ermahnung bewirkte, dass glühende Röte ihre Wangen überzog … bis ihr klar wurde, dass er mit Catie und Danny sprach, die sich über die Rückbänke der Limo hinweg angifteten. »Heute herrscht mal Waffenstillstand.«

»Dann wüssten sie doch nichts mehr mit sich anzufangen«, gab Ísa lachend zu bedenken. »Als sie sich das letzte Mal gut benommen haben, waren sie hinterher dermaßen traumatisiert, dass Catie das Land verlassen musste.«

»Selten so gelacht«, versetzte Catie, die den duftigen, weit schwingenden Rock ihres Kleides sorgsam über die Knie ihrer Beinprothesen drapiert hatte.

Juliet wüsste nicht einmal, dass es Prothesen waren, hätte Catie nicht am Vortag eine davon abgenommen, um zu demonstrieren, mit welcher neuen Methode sie sie an dem Stumpf befestigte. Außerdem hatte sie Juliet das Foto einer Außenhaut für Prothesen gezeigt, dank derer sie aussahen wie echte Beine.