Citizen Sidel - Jerome Charyn - E-Book

Citizen Sidel E-Book

Jerome Charyn

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  • Herausgeber: Diaphanes
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Isaac Sidel, Bürgermeister New Yorks und ehemaliger Polizeichef, spielt jetzt in der ganz großen Politik mit. Die Demokraten haben ihn zum Vizepräsidentschaftskandidaten gekürt, um dem glücklosen Strahlemann J. Michael Storm einen Volkshelden zur Seite zu stellen. Die legendäre Glock inklusive. Dabei stimmt in New York gar nichts mehr. Die halbe Bronx und ganze Straßenzüge Manhattans liegen in Schutt und Asche. Ein tödlich endender Vater-Sohn-Konflikt in der NYPD weckt in Isaac alte Jagdinstinkte – was seine Feinde außerordentlich nervös macht. Irgendjemand will ihn tot sehen, so viel ist klar: gierige Geschäftsleute, ein korrupter Polizeiapparat, ruchlose Republikaner, vielleicht auch das FBI. Isaacs letzte Verbündete sind eine Zwölfjährige mit begnadeten Fähigkeiten im Keksebacken und eine tollkühne Ratte…

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Seitenzahl: 242

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Jerome Charyn Citizen Sidel

Die Isaac-Sidel-Romane

diaphanes

Teil Eins

Teil Zwei

Teil Eins

1

Er war der Liebling der Demokraten: Isaac Sidel, Bürgermeister von New York und Ex-Police Commissioner, kurz davor, zum Kandidaten der Partei für das Amt des Vizepräsidenten gekürt zu werden. Er würde zusammen mit J. Michael Storm kandidieren, dem Baseballzar, der bei den Vorwahlen Senatoren und Milliardäre geschlagen hatte. J. Michael hatte den schlimmsten Streik in der Geschichte des Baseballs geschlichtet. Er war ein wild entschlossener, aggressiver Kandidat … und ein ehemaliger radikaler Student, den Isaac höchstpersönlich vor dem Gefängnis bewahrt hatte. Das Land hatte sich in sie verliebt. Sie waren ein ganz eigenes Komiker-Paar: Laurel und Hardy waren wieder auferstanden, als zwei Tunichtgute vom Elitekommando. Doch Isaac hatte keine Zeit für Comedy. Die Stadt quoll über vor Demokraten, und Isaac war der Babysitter und Sheriff der Democratic Convention, des Nominierungsparteitags der Demokraten.

Die Partei hatte den Madison Square Garden mitten in einer Hitzewelle gekapert; Isaac musste sich um irre Bombenleger, Demonstranten und die Abzüge der Klimaanlagen kümmern. Außerdem musste er sich bei den New Yorker Delegierten aufhalten, sich wie ein Politiker aufführen und Demokraten die Hände schütteln, die schon mal ein Gefühl für den zukünftigen Vizepräsidenten bekommen wollten. Zusammen mit J. Michael war er auf der Titelseite des Time Magazine gewesen. Er hatte mit Journalisten aus Indien, Hongkong, Spanien zusammengesessen … gab jede Stunde zehn bis zwanzig Interviews. Die Reporter wollten einfach nicht aufhören, ihn zu nerven.

Isaac hatte seinen eigenen Secret-Service-Mann, der ihm auch offiziell gehören würde, sobald J. Michael die Nominierung erhielt und vor dem gesamten Parteitag seinen Vize bekannt gab. Isaac wurde seinen FBI-Schatten nicht los, Martin Boyle, ein zweiunddreißigjähriger Scharfschütze aus Oklahoma City, der mit Sidel gern über Kanonen, Pferde und Mädchen redete. Boyle war eins achtundachtzig groß und dafür ausgebildet, sich jeder Kugel in den Weg zu stellen und sein Leben zu geben für den Kandidaten, den er beschützen sollte.

»Mr. President … «

»Verdammt, Boyle«, sagte Isaac. »Träumst du mich ins Weiße Haus? Ein Vizepräsident ist immer der vergessene Mann der Partei, und was ist, wenn J. und ich die Wahl verlieren?«

»Sir«, sagte Martin Boyle, »sehen Sie sich doch nur mal um … auf dem Ticket der Demokraten sind Sie die eigentliche Nummer eins!«

»Sag so was nicht, Boyle. Du bringst J. Michael noch Pech.«

»Der hat doch sowieso schon Pech. Haben Sie denn nicht seine Akte gelesen, Sir? Der ist doch total kompromittiert, der hält keine sechs Monate an der Pennsylvania Avenue durch.«

»Und warum haben ihm dann die Republikaner noch nicht die Zähne rausgerissen?«

»Die schlagen sich doch lieber mit J. Michael als mit dem ›Citizen‹. Das ist übrigens Ihr Codename beim Service. Es ist ein Zeichen von tief empfundenem Respekt.«

»Und wie nennt ihr J. Michael?«

»Shitman.«

»Sagt ihr das auch noch, wenn er gewählt wurde?«

»Sie meinen, wenn wir unter uns sind? Ja.«

»Hättest du gern mal etwas Tapetenwechsel, Boyle? Möchtest du zusehen, wie der ganze Scheiß-Secret-Service ausgetauscht wird?«

»Nein, Sir.«

»Dann halt den Mund und hör auf, mir auf der Pelle zu kleben. Michael kann es sich immer noch anders überlegen und sich einen anderen als Vizepräsident aussuchen. Ich bin lediglich Citizen Sidel.«

Er ließ Boyle stehen und verließ den Madison Square Garden. Die Metalldetektoren drehten völlig durch. Isaac trug seine Glock. Das war eines der Dinge, die das amerikanische Volk an ihm so gut fand: ein potenzieller Vizepräsident, der wie ein Straßenräuber oder ein Police Chief immer eine Kanone in der Tasche hatte, und Isaac war beides gewesen: Straßenräuber und Polizeipräsident.

Er dachte nicht an die Sicherheit im Garden, er dachte nicht an die Delegierten, die J. Michael erst noch für sich gewinnen musste; er dachte an einen Captain, der in One Police Plaza mit Isaac gearbeitet hatte, ein vorbildlicher Cop kurz vor der Pensionierung. Douglas Knight wurde beschuldigt, den eigenen Sohn ermordet zu haben, ebenfalls ein Cop und wie sein Dad mit Orden für außergewöhnliche Tapferkeit dekoriert. Vor den tödlichen Schüssen hatte es Gerüchte gegeben, Internal Affairs ermittle gegen Vater und Sohn, weil Doug und Doug Junior sich selbstständig gemacht hätten und nebenbei als Killer arbeiteten. Isaac konnte es nicht glauben. Er hatte Doug Junior aufwachsen sehen, wusste um seine Hingabe und Loyalität gegenüber dem NYPD.

Der Captain saß in einer Zelle im Criminal Courts Building. Wollte nicht mal mit seiner Frau sprechen. Er saß im Dunkeln da wie ein Mann ohne Land. Isaac hätte auf dem Parteitag Hände schütteln und sich mit dem großen Strategen und Königsmacher der Partei beraten sollen, Tim Seligman, der später hinter J. Michaels Thron stehen und ihm ins Ohr flüstern würde. Tim hatte ihn schon mehrfach angepiept, weil Isaac sich unter die sturen Delegierten aus dem Süden mischen sollte, die nicht sonderlich glücklich waren bei dem Gedanken an einen »hebräischen Vizepräsidenten«. Aber jetzt gerade konnte Isaac sich nicht unter irgendwen mischen. Und fast wäre er daran gescheitert, sich aus dem Madison Square Garden abzusetzen. Demokratische Ehefrauen auf Shoppingtour hielten Isaac fest, als er die Seventh Avenue überqueren wollte.

»Mr. President«, sagten sie, und Isaac fragte sich allmählich, ob Tim Seligman wohl ein dreckiges kleines Komplott ausheckte und J. im letzten Moment noch abservieren und dem Nominierungsparteitag Citizen Sidel aufdrücken wollte.

»Wichtige Angelegenheit«, sagte er den Ehefrauen und sprang in ein Taxi. Der Fahrer wollte Isaacs Autogramm. »Euer Ehren, Sie wären ein besserer Präsident als dieser Penner. Der soll lieber beim Baseball bleiben.«

Isaac stürzte aus dem Taxi, piepte seinen Fahrer an und erreichte Criminal Courts schließlich in der offiziellen Limousine des Bürgermeisters. Er ging schnurstracks in den Keller und fragte nach Captain Knight. Der Gefängnisaufseher beharrte darauf, dass Knight ihn nicht sehen wollte.

»Schon in Ordnung«, sagte Isaac und betrat mit dem Aufseher den kleinen Zellentrakt.

Der Captain stöhnte, als er Isaac sah. »Sind Sie der Teufel, Mr. Mayor?«

»Nicht immer.«

»Können Sie mich dann bitte in Ruhe verrotten lassen?«

»Geht leider nicht, Doug. Du wirst schon mit mir reden müssen.«

Das bittere Lächeln des Captains durchbrach die schwarzen Gitterstangen seiner Zelle. »Ich habe alle Zeit der Welt, Isaac. Sie dagegen stecken mitten in einem Nominierungsparteitag und dem ganzen Rummel drum herum. Sie sind der Mann der Demokraten.«

»Scheiß auf den Parteitag, und scheiß auf den Rummel. Ich bleibe hier bei dir, Doug. Tag und Nacht. Ich stehe auf lange Wachen.«

Der Captain nickte seinem Gefängniswärter zu, der daraufhin die Zelle aufschloss; dann marschierten alle aus dem Zellenblock. Isaac fuhr mit Captain Knight nach oben zu einem Richter, der ihnen sein Dienstzimmer überließ; sie saßen inmitten eines riesigen Bergs juristischer Fachbücher.

»Ich hab ihn umgelegt«, sagte der Captain. »Genügt das nicht?«

»Du bist ein Cop«, flüsterte Isaac, »einer der besten, die ich je hatte, und Cops bringen ihre Söhne nicht um. Es muss also einen Grund gegeben haben.«

»Kennen Sie denn die Gerüchte nicht? Junior und ich hatten eine kleine Agentur für Mordanschläge aller Art. Wir haben unter anderem Auftragsmorde für die Mafia übernommen. Dann hatten wir einen Streit. Es ging natürlich um die Millionen, die wir bis dato gemacht haben. Er wollte mich umlegen, und da hab ich ihn eben zuerst umgelegt.«

Der Captain begann zu weinen.

»Was zum Teufel ist wirklich passiert?«, sagte Isaac.

»Er hat Geld angenommen … hat Leuten Gefälligkeiten erwiesen, die er nicht hätte erweisen sollen. Er hat bis zum Arsch in Schulden gesteckt.«

»Kredithaie?«, fragte Isaac.

»Kredithaie. Andere Cops. Und Freundinnen, Lebensmittelhändler, einfach jeder, von dem er was abgreifen konnte.«

»Und um was für Gefälligkeiten genau hat es sich gehandelt?«

»Er hat für ein paar üble Typen den Personenschutz übernommen.«

»Okay, aber das ist kein Kapitalverbrechen. Du bringst Junior doch nicht um, nur weil er für Mafiageld den Babysitter spielt. Das ist der mit Abstand beliebteste Job für pensionierte Cops … Babysitten.«

»Aber Junior war noch nicht im Ruhestand. Er war dreiunddreißig. Ich hab ihn erledigt. Es wäre nur noch schlimmer geworden. Mr. Mayor, darf ich jetzt wieder zurück in meine Zelle, bitte …«

Seligman versuchte immer noch, ihn über seinen Pieper zu erreichen. Die Demokraten brauchten Sidel. Doch die Geschichte des Captains ergab keinen Sinn. Isaac fuhr über die Brooklyn Bridge und stattete in der Pineapple Street der Frau des Captains einen Besuch ab. Das halbe Rätsel löste er, noch bevor Sandra Knight auch nur ein Wort herausbrachte. Sie hatte Blutergüsse unter beiden Augen. Ihre Lippen waren stark angeschwollen. Sie hielt die Sicherheitskette eingerastet, und Isaac musste durch den schmalen Spalt, den die Kette ließ, nach ihr linsen.

»Sandra«, sagte er, »ich bin kein Räuber. Lassen Sie mich rein.«

Sie zog die Kette aus der Führungsschiene, und Isaac quetschte sich an Sandra Knight vorbei.

»Isaac, verzeihen Sie mir«, sagte sie. »Da waren Reporter … und Cops in Zivil.«

»Internal Affairs«, sage Isaac. »Die schnüffeln rum. Das ist ihr Job.«

»Mein Junge ist noch nicht mal beerdigt … und mein Mann ist schon weit fort. Er gibt mir die Schuld«, sagte Sandra.

»Sie haben Junior hinter Dougs Rücken Geld geliehen, stimmt’s? Viel Geld.«

»Ich musste … er hat gesagt, die würden ihn umbringen.«

»Die?«

»Gangster. Andere Cops. Ich weiß es nicht genau. Er ist immer verrückter geworden.«

»Junior hat Sie also nicht zum ersten Mal geschlagen.«

»Ich hatte kein Geld mehr. Ich konnte ihm nichts mehr geben.«

»Und Doug hat ihn gewarnt, falls er je wieder … «

»Es war keine Warnung«, sagte Sandra. »Überhaupt nichts in der Richtung. Doug kam nach Hause, sah die blauen Flecken auf meinem Gesicht, hat Junior gesucht … und hat ihn erschossen.«

Isaac stand vor der Poplar Street, dem Sitz von Internal Affairs. Er wagte es nicht, sich hier einzumischen. Er war nur der Bürgermeister. Er wartete, trat von einem Fuß auf den anderen, bis schließlich ein ihm bekannter Detective aus dem Gebäude stolziert kam. Isaac hätte nicht telefonieren können. Sämtliche Leitungen bei Internal wurden abgehört. Er folgte dem Detective einige Blocks, holte ihn dann ein, packte seinen Arm. »Hallo, Herman.«

Der Detective blinzelte. »Euer Ehren?«

»Begleite mich ein Stück, Herm.«

Herman Broadman hatte früher auf der Position des Center Field für die Delancey Giants gespielt, Isaacs Team bei der Police Athletic League. Und Broadman hatte sich von der PAL zum NYPD und dort zu einer Stelle bei Internal Affairs hochgearbeitet.

»Du musst mir einen verdammt großen Gefallen tun«, sagte Isaac.

»Chef, kompromittieren Sie mich nicht … ich muss Ihnen sonst mitten auf der Straße Handschellen anlegen.«

»Ich möchte kein Beweismaterial manipulieren, nichts in der Richtung. Aber ich muss über Doug Junior Bescheid wissen.«

»Ich gebe keine vertraulichen Informationen preis.«

»Herm, bitte. Nur eine Andeutung. Hatte er eine Freundin?«

»Ich bitte Sie, Isaac, sagen Sie mir, was Sie für mich tun werden, wenn Sie erst mal Präsident der Vereinigten Staaten sind … ein Job in Ihrer Regierungsmannschaft, was?«

»Ich übe nicht für das Präsidentenamt, Herm. Und ich habe nichts zu vergeben. Ich hoffe einfach nur, dass Captain Knight nicht wie ein Hund verreckt.«

»War ich Ihr bester Center Fielder, Isaac?«

»Nein, Herm. Du hattest nicht die richtigen Bewegungen drauf, und du hattest auch nicht den nötigen Pep. Aber du warst ein unglaubliches Arbeitstier.«

»Ich liebe Sie, Isaac. Sie haben mich nie verarscht … warten Sie hier.«

Isaac lutschte eine halbe Stunde am Daumen, musste seine Nervosität verbergen. Sein Chauffeur ertappte ihn mit einem Finger im Mund. »Mr. Mayor, Tim Seligman hat versucht, Sie übers Autotelefon zu erreichen … es gibt eine Krise. Irgendwas wegen Delegierten aus den Südstaaten, die Sie für sich gewinnen sollen.«

»Mullins«, sagte er zu seinem Chauffeur, einem pensionierten Cop mit Herzproblemen und Leistenbruch (Isaac stellte mit Vorliebe Invaliden ein). »Richten Sie Tim aus, dass Isaac Sidel unsichtbar ist, dass Sie ihn nicht ans Telefon kriegen.«

»Er wird mich fertigmachen, Isaac. Er ist der Chef aller Demokraten.«

»In zwei Tagen bin ich der offizielle Kandidat. Dann fresse ich Tim Seligman bei lebendigem Leib. Stellen Sie sich einfach dumm.«

»Aber ich kann nicht lügen«, sagte Mullins. »Ich habe Sie gesehen, von Angesicht zu Angesicht … «

»Mullins, Sie können immerhin keinen unsichtbaren Mann treffen … Tschüss.«

Der Chauffeur verschwand, und Isaac lutschte weiter am Daumen, bis Broadman eintraf.

»Also, Herm, wer ist die Mata Hari?«

»So einfach ist es nicht, Chef.«

»Ah, dann sag mir halt, dass kein Häschen darin verwickelt ist … dass Doug Junior nur auf ein bisschen Taschengeld aus war.«

»Ich hab nicht gesagt, dass es keine Frau gibt, aber ein Häschen ist sie nicht.«

»Du erzählst mir doch nur, was ich eh schon weiß, Herm. Du hast mir doch versprochen … Wie heißt sie?«

»Daniella.«

»Daniella. Daniella wer?«

»Daniella Grossvogel, eine Uni-Professorin. Lehrt vergleichende Literaturwissenschaft an der NYU.«

»Hör auf zu faseln. Ist sie verwandt mit … «

»Ja. Sie ist Captain Grossvogels Tochter.«

»Na, großartig«, sagte Isaac. »Doug Junior ist rein zufällig in die Tochter seines eigenen Captains verliebt. Oder ist Barton Grossvogel inzwischen die Karriereleiter raufgestolpert?«

»Er ist immer noch Captain des Null-vierer Reviers.«

»Der Fürst der Elizabeth Street«, sagte Isaac.

»Er führt ein eisernes Regiment wie kein Zweiter in Manhattan. Seine Detectives spuren, und das ohne Ausnahme.«

»Und Internal Affairs ermittelt nicht zufällig gegen ihn, nehme ich an?«

»Das geht Sie nichts an, Isaac. Daniella lehrt im Sommersemester. Sie finden sie auf dem Campus der NYU.«

Er schämte sich für sich selbst. Er setzte seine Popularität, seinen Einfluss als Bürgermeister und potenzieller Kandidat ein, um in Daniella Grossvogels Seminar zu platzen. Ihren Unterrichtsplan hatte er vom Institutssekretariat. Mata Hari, murmelte er vor sich hin und setzte sich. Sie war über dreißig, eine kleine Frau mit einem kleinen Buckel … und einem reizenden Gesicht. Daniellas Studenten erkannten Sidel und die Glock, die er bei sich hatte. Daniella musste ihre Vorlesung unterbrechen und die Studenten zur Ruhe rufen. Sie sprach über einen anderen Isaac, einen Schreiberling namens Isaac Babel, und das Maldavanka-Viertel in Odessa, wo Babels Held Benya Krik geboren war. Isaac begann zu weinen. Seine eigene Liebste, Margaret Tolstoi alias Anastasia, hatte einen Teil ihrer Kindheit in Odessa verbracht. Während des zweiten Weltkriegs hatte sie wie eine Kannibalin gelebt, hatte das Fleisch kleiner Jungs aus der örtlichen Irrenanstalt verschlungen, um nicht zu verhungern.

»In der Maldavanka war einfach alles möglich«, sagte Daniella Grossvogel. »Babel benutzte dieses Viertel als seine persönliche Laterna magica … um Benya Krik zu erfinden, einen äußerst unwahrscheinlichen Gangster in orangefarbenen Hosen.«

Sie verlor den Faden, starrte Isaac an und entließ ihre Studenten. Isaac schlurfte wie ein reuiger Sünder zu ihr hin. Sie war keine Mata Hari. Herm hatte recht gehabt.

»Sie sind genau wie mein Vater«, sagte sie. »Ein Polizist, der meint, er kann überall hingehen und darf jeden Raum betreten.«

»Professor Grossvogel, ich … «

»Wir wollten heiraten. Eine Bucklige wie ich, eine ausgemachte alte Jungfer. Aber wir waren ein Liebespaar. Lachen Sie etwa, Mr. Mayor?«

»Nein, nein. Ich kann Ihre Trauer absolut nachempfinden. Ich wollte nicht unterbrechen. Aber … «

»Ich hatte nicht mal richtig Zeit zum Trauern. Das Sommersemester ist so kurz.«

»Aber wie ist es passiert? Wie konnte es so weit kommen, dass Captain Knight keine andere Möglichkeit mehr gesehen hat, als seinen eigenen Sohn umzubringen?«

»Haben Sie nicht mit meinem Dad gesprochen?«

»Ich konnte nicht. Selbst von Ihnen habe ich ja erst vor kurzem erfahren. Aber wozu brauchte der junge Doug Geld? Er hat seine Mom bestohlen, hat sie geschlagen. Was ging in der Elizabeth Street vor?«

»Fragen Sie meinen Vater.«

»Bitte«, sagte Isaac. »Ich frage Sie.«

»Habgier«, sagte Daniella. »Mein Vater leitet das Revier, als wäre es seine eigene kleine Firma. Ich habe Doug angefleht, sich versetzen zu lassen, auszusteigen, aber er wurde immer tiefer in die Geschäfte der Elizabeth Street verstrickt.«

»Hatte er deswegen Streit mit seinem alten Herrn?«

»Ich weiß nicht genau, aber sein Vater hat mit meinem Vater geredet … eine Besprechung zwischen Captains. Es wurde reichlich gebrüllt dabei.«

»Das hat Ihnen der junge Doug erzählt?«

»Er musste es mir nicht erzählen. Ich war dort … wegen meines Ehrenamts. Ich habe einer Menge Polizisten geholfen, besser zu schreiben, habe sie auf den Test zum Sergeant vorbereitet. So habe ich auch Doug kennengelernt. Ich war immer ein Groupie in den verschiedenen Revieren meines Vaters. Das hässliche Entlein des Captains. Ich habe Doug gecoacht. Wir haben uns verliebt … «

»Danke, Professor Grossvogel.«

»Ich bin keine Professorin. Ich habe meine Promotion nicht abgeschlossen. Ich arbeite über Isaac Babel, ein Vergleich mit Hemingway. Beide waren unglaublich gute Stilisten, finden Sie nicht auch? ›Ein Punkt an der richtigen Stelle ist wie ein Hammer im Herzen.‹ Das hat Babel gesagt.«

Sie schluchzte, und Isaac nahm sie in die Arme, wiegte sie sanft und küsste ihre Stirn.

Von einem Münztelefon auf dem Flur rief er Tim Seligman an.

»Hallo, Tim. Halten Sie die Stellung. Ich habe nur noch eine Sache zu erledigen.«

»Isaac, kommen Sie nach Hause. Die Jungs aus dem Süden rebellieren. Wir kriegen den Parteitag nicht unter Dach und Fach. Die werden beim ersten Wahlgang bei ihren Lieblingen bleiben. Und J. Michael wird dastehen wie ein Idiot.«

»Und warum garantieren Sie ihnen dann nicht einfach, dass J. sich einen anderen Vizepräsidenten aussuchen wird, dass sie sich nicht mit einem Jidden auf der Kandidatenliste abfinden müssen?«

»Wir kapitulieren nicht«, sagte Tim. »Der Parteitag wird J. als Memme beschimpfen. Wenn er jetzt schon schwach erscheint, was passiert dann erst im November? Ich brauche Sie hier, um Texas, Georgia und Mississippi zu bezirzen.«

»Nur noch eine Sache, Tim.«

Isaac legte auf und düste hinunter zur Elizabeth Street. Alles verstummte, als er die Wache betrat. Er hätte der Sensenmann sein können, ein wanderndes Skelett mit einer Glock in der Hose. Niemand grüßte ihn, weder die jungen Cops noch die Prostituierten, die die Cops hereinbrachten. Schließlich sagte der wachhabende Sergeant zu ihm: »Mr. Mayor, diese Pistole da werden Sie aber hier parken müssen.«

»Ich habe einen Waffenschein, ich darf sie bei mir führen«, antwortete Isaac, bockig wie ein kleiner Junge.

»Aber Sie sind kein Cop, und Sie können in diesem Gebäude keine Waffe tragen.«

Isaac deponierte seine Glock bei dem Diensthabenden. »Ich möchte den Captain sprechen. Es handelt sich um einen Höflichkeitsbesuch. Rufen Sie ihn für mich an, bitteschön.«

Der Sergeant telefonierte nach oben. »Captain, der Bürgermeister ist hier … ja, Sir. Das werde ich.« Er lächelte, den Hörer noch in der Hand. »Sie werden warten müssen. Der Captain ist gerade sehr beschäftigt.«

Isaac hätte dem Sergeant die Nase verdrehen und an ihm vorbei nach oben stürzen können, aber er wollte nicht gegen ein ganzes Revier kämpfen. Detectives starrten ihn an, standen in Grüppchen zusammen. Und dann erschien Captain Grossvogel am oberen Ende der Treppe, eine Glock in einem Holster an der Brust, und winkte Isaac zu. Er war ein gewaltiger Mann, Ringkämpfer auf dem College und Champion des NYPD im Gewichtheben. Isaac konnte ihn sich nicht recht vorstellen mit einer buckligen Tochter.

»Schön, Sie zu sehen, Mr. Mayor. Kommen Sie doch rauf.«

Isaac setzte einen Fuß auf die Treppe, doch Grossvogels Detectives standen ihm im Weg. Der Bürgermeister musste um sie herumgehen.

Der Tag der Abrechnung wird kommen, Jungs, brummte er vor sich hin. ’Ne ganze Menge Leute in der Elizabeth Street kriegen noch ein paar ordentliche Tritte in den Hintern.

Er folgte Grossvogel in dessen Büro, sah die Trophäen des Captains.

»Ich war an der NYU, Bart.«

»Ach, tatsächlich?«, sagte Grossvogel.

»Ich war in einer Vorlesung deiner Tochter – sie hat Talent, richtiges Talent.«

»Für Literatur, meinen Sie wohl. Sie hat die Nase dauernd in irgendwelchen Büchern stecken.«

»Warum hast du ihr den Ehemann genommen?«

Die Nackenmuskulatur des Captains begann zu zucken. »Isaac«, sagte er, »passen Sie auf, was Sie sagen. Sie betreten unbekanntes Terrain.«

»Wie zum Beispiel dein Revier, Bart?«

Das Zucken hörte auf, und Isaac verstand die Verachtung, die diese Detectives auf der Treppe für ihn empfanden. Die Elizabeth Street war Wilder Westen, außerhalb von Isaacs Einflussbereich. Grossvogel war ein beschützter Mann. War er irgendeinem Scheiß-Präsidentenkomitee zugeordnet? Oder tanzte er mit dem FBI?

»Du bist der reinste Engel, was, Bart? Worum ging’s bei deinem Streit mit Doug Senior? Komm schon, Daniella hat mir erzählt, dass er auf dem Revier war.«

»Wir hatten ein Schwätzchen. Genau wie Sie und ich jetzt.«

»Ist er hinter deine krummen Geschäfte gekommen, Bart? Hat er gedroht, dich auffliegen zu lassen? Und du hast ihm den jungen Doug hinterhergeschickt, damit der seinen eigenen Dad zur Besinnung bringt. Hat Junior dir Geld geschuldet? Hast du ihm was angehängt, bei einem Undercovereinsatz gegen illegales Glücksspiel vielleicht?«

»Euer Ehren, Sie leiden unter Wahnvorstellungen. Sie sind ja völlig außer Rand und Band.«

»Warst du damit einverstanden, ihm zu einem gewissen Preis deine Tochter zu verkaufen?«

Grossvogel griff über seinen Schreibtisch und Isaac an dessen Sommeranzug. Citizen Sidel trug helle Farben während einer Hitzewelle, Farben aus Mailand. Er musste endlich aufhören, sich wie ein Penner zu kleiden.

»Euer Ehren, wollen Sie damit sagen, dass ich ein Zuhälter bin?«

»Schlimmer noch«, sagte Isaac, Grossvogels Wurstfinger an seiner Kehle.

»Hauen Sie ab, sonst reiße ich Ihnen den Schädel vom Hals und trage ihn in meiner Tasche durch die Gegend.«

»Du hast den Jungen verrückt gemacht, hast ihn losgeschickt, seinen alten Herrn umzubringen … «

»Fantasieren Sie ruhig weiter. Spielen Sie Sherlock Holmes. Ist mir so was von scheißegal.«

»Das wird sich ändern, Bart. Das wird es. Wer immer dein Rabbi ist, ich finde ihn.«

»Klar, Vicepresident Sidel.«

Er war unvorsichtig auf seinem Weg Richtung Uptown. Er landete in einem menschenleeren Teil der Crosby Street. Wie ein fetter, träger Hai tauchte eine blaue Limousine auf. Irgendwo in seinem Hinterkopf hörte er den Motor des Hais. Aber er konnte nicht aufhören, über Doug und Doug Junior zu fantasieren. Er versuchte, einen Mord zu choreografieren.

Die blaue Limousine kam genau auf Isaac zugerast, und jemand warf sich auf ihn, riss Isaac von den Füßen, schleuderte ihn auf seinen Hintern … und weg von dem verdammten Auto. Isaac stöhnte. Es war sein Secret-Service-Mann, Martin Boyle.

»Boyle«, sagte Isaac, »bist du mir die ganze Zeit gefolgt? Das solltest du doch nicht tun.«

»Ich habe meine Befehle, Mr. President.«

Aus dem Wagen sprangen, mit Schrotflinten in den Händen, drei Männer mit Masken aus Kissenbezügen wie vom Ku Klux Klan. Isaac stöhnte wieder. Er mochte Boyle. Er wollte nicht, dass sein Secret-Service-Mann durch Schrotschüsse umgelegt wurde, während er Citizen Sidel schützte. Isaac stand auf und stellte sich vor Boyle.

»Sir«, sagte Boyle, »das können Sie nicht tun.«

»Ich tu’s aber trotzdem.«

Isaac zog seine Glock und ballerte in den Kofferraum der Limousine. Es gab einen sagenhaften Knall auf der ausgestorbenen Straße. Die Männer mit den Kissenbezugmasken schienen jetzt verunsichert. Von allen Seiten kamen Leute gelaufen, angelockt durch den Lärm von Isaacs Glock.

»Kinder«, sagte Isaac zu den drei maskierten Männern, »ihr könnt jetzt zurück zur Elizabeth Street und eurem Herrn und Meister ausrichten, dass ihr den Citizen gesehen habt und dass der Citizen keine Angst hat.«

Die drei Männer kehrten zu ihrer Limousine zurück, brummten etwas vor sich hin und fuhren mit ihren Masken fort.

Sein italienischer Anzug war schmutzig. Seine Krawatte war zerrissen, als Boyle sich auf ihn geworfen hatte. Aber Isaac zog sich nicht um. Er traf im Madison Square Garden ein, mit hundert Kameras vor seiner Nase, Boyle, der Citizen Sidel bereits fest zugewiesen worden war, immer einen halben Schritt vor ihm. Reporter brüllten Isaac an.

»Mr. Mayor, Mr. Mayor, war das ein Mordanschlag?«

Die riesigen Fernsehschirme im Garden zeigten bereits Bilder von Isaac. Kommentatoren interviewten Augenzeugen der Schießerei in der Crosby Street.

»Ich konnte es einfach nicht glauben«, sagte eine Frau. »Drei Männer wollten unseren Bürgermeister umbringen. Sie waren maskiert. Sie wollten Isaac abschlachten. Aber er ist kein Anfänger. Er hat seine Kanone gezogen und … «

Tim Seligman packte ihn am Arm, entführte Isaac, verfrachtete ihn in sein eigenes Funktionärshauptquartier unter den Abzugsrohren der Klimaanlage.

»Sehen Sie sich bloß an«, sagte der Prinz der Partei, der als Jagdflieger in Vietnam gewesen war. »Uns fliegt hier die Kacke um die Ohren, und Michaels Ko-Kandidat kehrt in Lumpen zu uns zurück. Wir könnten die Nominierung in einer einzigen beschissenen Nanosekunde verlieren. So schnell ändert sich das Wetter.«

»Was kann ich tun, Tim?«

»Tanzen. Ein guter Gastgeber sein. Mit den Delegierten reden. Ihnen zeigen, dass Sie ein ganz normaler Typ sind.«

»Ein ganz normaler Typ?«, sagte Isaac. »Manhattan bringt keine ganz normalen Typen hervor.«

»Dann tun Sie ein bisschen so als ob, Euer Ehren.«

»Timmy«, sagte Isaac, »das kann ich nicht. Einer meiner Polizisten sitzt in einer dunklen Zelle. Er hat seinen eigenen Sohn umgebracht. Ein anderer Polizist hat ihn dazu getrieben. Barton Grossvogel, Captain des Vierten Reviers. Das ist die reinste Verbrecherschule, Tim. Aber irgendeine Superbehörde schützt diesen Grossvogel.«

»Wir werden seine Verbrecherschule zumachen. Aber nicht heute. Ziehen Sie sich einen sauberen Anzug an.«

»Nein«, sagte Isaac.

»Es wird unglaublich eng für uns. Falls Mississippi und Texas J. im ersten Wahlgang hängen lassen, verlieren wir an Schwung.«

»Und wieso taucht J. dann nicht selbst auf und schüttelt ein paar Hände?«

»Schlechte Strategie. Das würde aussehen, als ginge er auf Stimmenfang. Er kann nicht auftreten, bevor er nicht die Nominierung im Sack hat.«

»Aber ich kann auf Stimmenfang gehen«, sagte Isaac. »Ich kann betteln.«

»Das ist vollkommen normal. Sie sind sein Ko-Kandidat.«

Und sie traten hinaus in den tobenden Sturm auf dem Parkett des Parteitags. Über Isaacs Kopf schwebten riesige Ballons in Form eines Esels, des Maskottchens der Demokraten. Er war nicht für die Politik gemacht. Er konnte nicht tanzen, er konnte keine Delegierten überzeugen.

Die Hälfte der Delegierten aus Mississippi durchquerte mit großen Schritten den Saal, um ihren Vizepräsidenten zu begrüßen. Sie hatten Sidel auf den riesigen Bildschirmen gesehen, wollten mit ihm über die Schießerei in der Crosby Street reden. Eine kleine Geschichte begann, wie ein Bumerang von den Wänden des Garden zurückzuprallen. Isaac Sidel, der Lieblingssohn Manhattans, hatte den Parteitag verlassen, um einen Polizisten in Not aufzusuchen. Ein krimineller Captain, Isaacs geheimnisvoller Feind, hatte versucht, ihn irgendwo in Lower Manhattan auszuschalten. Der Secret Service hatte geholfen, Citizen Sidel zu retten. Es war ein amerikanisches Märchen, und Isaac war einer von den indianischen Kriegern. Er hätte ein Ureinwohner von Texas oder Louisiana und Mississippi sein können.

»Euer Ehren«, sagten die Leute aus Mississippi und starrten auf die zerrissene Krawatte des indianischen Kriegers. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«

»Fit wie ein Esel«, sagte Isaac, und die Leute aus Mississippi lachten.

Reporter umkreisten ihn, Mikrofone in den Händen.

»Mr. Sidel, Mr. Sidel, tobt etwa ein Krieg innerhalb Ihres Polizeiapparats?«

»Nicht, dass ich wüsste«, sagte Isaac. Er konnte ja schlecht ein ganzes Revier beschuldigen. Der Parteitag würde in Panik geraten, die Flucht in eine andere Stadt ergreifen. Er konnte nichts anderes tun, als vor den Kameras und Mikrofonen zu lächeln. »Ein kleines Gerangel mit den bösen Jungs, mehr nicht.«

»Aber wer sind die Bösen?«

»Ich bin kein Cop«, sagte Isaac. »Sie werden doch nicht wollen, dass ich Einfluss auf eine polizeiliche Ermittlung nehme.«

Früher oder später würde Grossvogel sich selbst vernichten, wie ein muskelbepacktes Spielzeug. Seine Rabbis würden ihn schon sehr bald fallen lassen. Sie konnten es sich nicht leisten, dass Citizen Sidel im landesweit ausgestrahlten Fernsehen herumschnüffelte.

»Ist Captain Knight unschuldig, Sir?«

»Jungs«, sagte er zu den Männern und Frauen mit den Mikrofonen, »noch ist nicht Anklage gegen ihn erhoben worden. Gebt ihm eine Chance.«

Und er entfernte sich von den Reportern. Er würde nie verstehen, was wirklich zwischen Vater und Sohn vorgefallen war. Selbst wenn er mit seiner eigenen Fernsehkamera dabei gewesen wäre, hätte er doch nichts aufgenommen. Ein Familienkrieg war ganz einfach zu intim für den Videobeweis. Wie ein Hammer ins Herz. So konnte er nur noch trauern um den jungen Doug und um seinen Dad.

Ein riesiger, ausschlagender Esel flammte auf der elektronischen Anzeigetafel unter der Kuppel des Madison Square Garden auf. Die Beine des Esels waren einfach überall. Zerschmetterten Republikaner, dachte Isaac. Der Esel verschwand … und einzelne Bestandteile eines Gesichts tauchten auf der Tafel auf. Eine Wange, ein Mund, ein Auge, bis die Delegierten die Umrisse von Isaac Sidel erkannten. Mit einer Glock in der Hand. Der Garden begann zu jubeln. Es entstand ein fröhlich-vergnügtes Chaos. Die Demokraten hatten auf den harten Straßen Manhattans ihren Helden gefunden. Die Abstimmungen konnten beginnen.

2

Er durfte nicht mal seine eigene Antrittsrede schreiben. Isaac wollte über Armut und Drogen sprechen und über den sterbenden Borough der Bronx. Doch Tim verbot es ihm.

»Wir müssen einen Kandidaten verkaufen. Sie sind eine bekannte Größe, der Bürgermeister von New York. Aber Michael ist immer noch außen vor.«

Im Gegensatz zu Isaac trug der neue Baseballzar keine Glock in der Hose.

»Junge«, sagte Tim, »Sie werden den Rücksitz übernehmen. Wir müssen Michael striegeln, ihm eine Menge Federn ankleben. Sie werden deshalb über Michael reden, nicht über sich selbst und die Probleme der Stadt.«

»Jesus, Tim, haben wir etwa keine Tribüne?«

»Nicht zur besten Sendezeit«, sagte Tim Seligman. »Keine großen Ideen, Isaac. Nur Geschichten. Sie werden sich in Erinnerungen ergehen, Amerika daran erinnern, wie Sie J. zu dem Mann gemacht haben, der er heute ist.«

»Ich habe ihn nicht zum Mann gemacht. Ich habe ihn vor dem Knast bewahrt, als er noch ein radikaler Student war.«