Marias Mädchen - Jerome Charyn - E-Book

Marias Mädchen E-Book

Jerome Charyn

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  • Herausgeber: Diaphanes
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Isaac Sidel ist zwar Polizeichef von New York, doch immer noch am liebsten auf der Straße unterwegs. In seinem Kampf gegen ein verwahrlostes Schulsystem bekommt er es mit einem mächtigen Gegenspieler zu tun. Schulbeauftragter Carlos María Montalban veruntreut Bildungsgelder, macht aus Schulen Drogenumschlagsplätze und paktiert mit der Mafia. Um ihm das Handwerk zu legen, heuert Isaac seinen ersten Partner seit der Ermordung von »Blue Eyes« Coen an. Detective Caroll Brent soll an New Yorks Schulen patrouillieren und verdeckt gegen María ermitteln. Dabei ahnt Isaac nicht, wie sehr sein neuer Partner zwischen allen Fronten steht. Bald wird klar, dass Isaac Sidel mit seiner Mission an Mächtigen und Machenschaften rüttelt, die ihn das Leben kosten könnten.

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Seitenzahl: 389

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Jerome Charyn

Marias Mädchen

Inhalt

Teil Eins

Teil Zwei

Teil Drei

Für meinen Montagmorgen-Club: Marie-Pierre Bay, Bill Malloy und Cecile Bloc-Rodot.

Teil Eins

1

Sein Name war Caroll Brent. Der Detective war eine Leihgabe aus dem Sherwood Forest, dem Polizeirevier im Central Park. Der Police Commissioner hatte sich Caroll Brent gekrallt. Seine eigenen Leute hatten vor ihm Angst. Er war im NYPD zu einem Heimatlosen geworden, einem Vagabunden, der zu Isaac Sidel gehörte.

Der PC hegte einen gewaltigen Groll gegen das Schuldezernat. Er mied den Dezernenten Alejo Tomás und ging Alejos eigenem obersten Schulrat aus dem Weg. Caroll lebte in einer Art verschissenen vierten Dimension, von der aus er hinter Alejo Tomás’ Rücken die Schulen von New York City überwachte. Er war dabei völlig auf sich allein gestellt. Er hatte keinerlei offizielle Funktion. Caroll wusste, dass er sterben würde, genau wie Manfred Coen, der frühere blauäugige Engel des PC.

Er hätte den Dienst quittieren können. Er war verheiratet mit der zweitreichsten Frau New Yorks. Seine Gemahlin Diana war eine Cassidy, ein Katholikenstamm, der Kardinal O’Bannon nahestand, dem Fürsten der St. Patrick’s Cathedral. Der Kardinal hatte Mitleid mit Caroll. Irgendwie hatte er Carolls vierte Dimension aufgedeckt und marschierte schnurstracks zu Isaac Sidel. Isaac spielte den Ahnungslosen.

»Jim, ich schwöre bei Gott. Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Detective Brent erledigt von Zeit zu Zeit kleine Gefälligkeiten für mich.«

»Kleine Gefälligkeiten?«, sagte der Kardinal mit einer Zigarette im Mund. »Der Mann ist vom Scheißdienstplan verschwunden. Seit einem Monat ist er nicht mehr im Sherwood Forest gewesen. Isaac, Sie machen aus ihm einen Geist.«

»Ist das wahr?«, antwortete Isaac und verfiel für Kardinal Jim in den irischen Slang eines Polizisten. »Und ich nehme an, dieser Besuch hat nichts damit zu tun, dass er mit der Göttin Diana verheiratet ist.«

»Keine Gotteslästerungen, Isaac, bitte. Sie werden in der Hölle verrotten.«

»Da, wo ich herkomme, gibt’s keine Hölle. Es ist alles nur ein einziges großes Fegefeuer.«

Der Kardinal schlug Isaac Sidel ins Gesicht. Und Isaac ging zu Boden. Im Fegefeuer seines eigenen Büros in One Police Plaza saß er auf dem Arsch.

»Tut mir leid«, nuschelte der Kardinal, kaute auf seiner Zigarette und half Isaac wieder auf die Beine. »Sie sollten mich nicht verspotten. Ich habe miese Laune. Ich will Caroll nicht in One PP.«

»Jim«, sagte Isaac. »Haben Sie ihn jemals in meinem Büro gesehen?«

»Sie wissen verdammt gut, was ich meine.«

Und er verließ One PP in seinem Kardinals-Cape. Doch Caroll half es nichts. Er war verdammt, für Isaac Sidel auf den Schulhöfen Streife zu schieben. Er wollte nicht für die Cassidys arbeiten. Er war ein Cop. Er hatte keine großen Ambitionen wie Diana. Er hatte keine Lust auf gesellschaftliche Verpflichtungen. Er wollte einfach nur zurück ins Sherwood Forest.

Doch stattdessen war er an einem Samstagabend mitten in Harlem. Es machte ihm eine Scheißangst. Er hatte keinerlei Verstärkung. Er war eine Ein-Mann-Spezialeinheit. Ein menschlicher Android in Isaac Sidels Diensten. Ein Marsianer auf dem zwölften Jupitermond. Auf der Straße hätte er einige Festnahmen durchführen können. Aber er hatte nichts zu tun mit gewöhnlichen Einbrechern und Dealern. In der Nähe von St. Nicholas Terrace observierte er eine Schule und trank Kaffee aus einer Thermoskanne. Er hatte kalte Füße. Die Park-Avenue-Wohnung, das Hochzeitsgeschenk von Papa Cassidy an Diana und ihn, vermisste er nicht. Caroll vermisste jedoch die kaputten Installationen und undichten Dächer des Sherwood Forest. Das 22. Revier war in einem ehemaligen Reitstall untergebracht, eine gottverdammte Brandfalle, die Wind, Regen und Schnee nur so aufsaugte. Doch Caroll war sehr gern dort gewesen, bis sich seine Kollegen gegen ihn wandten und ihn das Schoßhündchen von One PP nannten. Blue Eyes Brent.

Und jetzt sah er im Fenster des ersten Stocks der Schule einen großen, breiten Arsch auftauchen, zusammen mit den Beinen eines Klaviers. Es war ein Stutzflügel. Jesus. Caroll trank weiter seinen Kaffee. Der PC hatte ihm von diesem Einbruch erzählt. Sidel schien alles zu wissen, was an Alejos Schulen abging. Er hätte es der Schulaufsicht melden können. Und an genau diesem Samstagabend wären Alejos Cops in Harlem angetanzt. Aber laut Sidel waren Alejos eigene Cops nur Clowns. Caroll war hier, doch er sollte niemanden verhaften, sondern den Racheengel spielen.

Er fuchtelte nicht mal mit seiner Kanone herum. Er rief zum Fenster hinauf: »Denzel, bist du das?«

Die Beine des Flügels schwankten in dem Fenster, der große, breite Arsch war verschwunden. Zwei Köpfe tauchten auf. Soweit Caroll in der Dunkelheit erkennen konnte, sahen sie ziemlich wütend aus.

»He, du Arschloch! Was willst du von uns?«

»Ich bin Detective Brent, Manhattan North.«

Die beiden Köpfe begannen zu lachen.

»Du bist Isaacs kleine Schwester.«

»Ja, Denzel. Genau das bin ich. Und wenn du nicht sofort von diesem Flügel verschwindest, breche ich euch alle vier Beine.«

»Du hast hier nichts zu suchen. Wir leihen uns den Flügel nur vom Schulamt aus.«

»Tja, jetzt bringt ihr das Ding wieder dahin zurück, wo ihr’s herhabt, Denzel. Und kommt endlich da runter.«

Er hörte ein metallisches Klicken und dann etwas, das wie eine zerplatzende Glühbirne klang. Carolls Hose war plötzlich nass. Denzel hatte ihm die Thermoskanne aus der Hand geschossen. Der Boden war mit Silber und Glas übersät. Ein Scharfschütze, brummte Caroll. Ein Scharfschütze mit einer Saturday Night Special. Er hatte seine Waffe immer noch nicht gezogen.

»Denzel, ich werde langsam stocksauer.«

Und dann bemerkte er eine Gestalt im Schatten hinter der Schulmauer; und Caroll verfluchte sich und Sidel und den Geist von Blue Eyes. Er war in eine Falle gelaufen. Er ging in einem sehr schmalen Rinnstein in Deckung, als auch schon eine auf ihn gerichtete Schrotflinte explodierte. Caroll verlor einen Schuhabsatz. Sein Fuß blutete. Er nahm eine Leuchtrakete aus seiner Tasche. Bei diesen Selbstmordeinsätzen für Isaac nahm er immer Leuchtraketen mit. Er zündete die Leuchtrakete und warf sie auf Denzels Fenster. Ganz Harlem sah aus wie ein Weihnachtsbaum. Die St. Nicholas Terrace hätte der dreizehnte Jupitermond sein können. Der Himmel schien in geschmolzene rote und blaue Fragmente aufzubrechen.

Der Flügel fiel aus dem Fenster.

Caroll flüchtete in seine vierte Dimension, eine aberwitzige Tarnung aus Licht.

2

Bei dem Gehalt eines Polizisten konnte er mit den Cassidys nicht mithalten. Er musste sich Geld leihen. Er nahm die Dienste eines Mafia-Kredithais in Anspruch. Niemand klopfte an Carolls Tür. Er stand dem Commish nahe. Blue Eyes Brent mit den braunen Augen.

Er musste sich ständig mehr Geld leihen, um die Zinsen zahlen zu können. Die Zinsen allein beliefen sich bereits auf tausend Dollar die Woche. Vielleicht hätte Diana seine Schulden beglichen, aber wie konnte er sie um Geld bitten? Er hatte sich nicht absichtlich eine reiche Erbin geangelt. Er hatte seine zukünftige Frau bei der Arbeit kennengelernt. Dee war von einem Schlitzer bedroht worden. Der Schlitzer hatte sie beim Joggen im Central Park gesehen. Er hatte ihr Sweatshirt mit einem Jagdmesser aufgeschlitzt. Er fing an, sie anzurufen. Sie besaß die ausgezeichneten Verbindungen einer Cassidy. Caroll wurde auf den Fall angesetzt, der braunäugige Detective vom Sherwood Forest.

Sie war neunundzwanzig und noch nie verheiratet gewesen. Er begleitete sie in die Oper, zu Vernissagen, zum New York Film Festival. Das Department bezahlte seinen geliehenen Smoking. Es war ein ehrenvoller Auftrag, aber Caroll gefiel es nicht. Er versuchte, Diana aus dem Weg zu gehen, erfand irgendein Verbrechen, das ihn von ihr fernhielt, aber sie verlangte immer wieder ihn. Sie war Carolls Fall geworden.

Partys, Opern und Wohltätigkeitsbälle konnte er nicht ertragen. Er flirtete nicht. Doch ihre Freunde registrierten ihn allmählich. Er war Dees Begleiter. Er absorbierte, was sie absorbierte. Er lernte Stewart Hines kennen, den König der Junkbonds. »Die Frau in Ihrer Begleitung ist eine halbe Milliarde Dollar schwer. Sie kann sich das Chrysler Building kaufen, wenn sie will. Dazu wäre nicht mehr nötig als ihre Unterschrift.«

»Davon weiß ich nichts, Mr. Hines.«

Der König der Junkbonds lachte leise. »Wer wird wohl der Glückspilz sein, der Diana erlegt?«

»Ich vermute, einer ihrer Verehrer.«

»Haben Sie schon welche gesehen, mein Sohn?«

Caroll wusste es nicht. Er bewachte sie sechs- oder siebenmal die Woche. Er hatte ihr nie einen Gutenachtkuss gegeben. Sie war Ms. Cassidy, und er war Detective Brent. Und einmal, sie kehrten gerade nach irgendeinem Ballett oder einem Ball zu ihrer Wohnung zurück, tauchte der Schlitzer mit seinem Jagdmesser hinter einem Baum auf. Er war kleiner als Caroll. Er hatte das verbitterte Gesicht eines armen städtischen Bauern. Caroll erkannte ihn. Er war ein Gärtner des Department of Parks und beschnitt des Öfteren die Büsche und Sträucher in der Nähe des Sherwood Forest. Sein Name war Fred.

Caroll stellte sich vor Diana und ging auf das Messer zu. »Komm schon, Freddy, du wirst das Ding doch nicht benutzen.«

»Ich hab ihr einen Heiratsantrag gemacht«, sagte er. »Sie wollte mich nicht.«

»Das ist eine Lüge«, sagte Diana. »Detective, ich … «

Caroll sah sie stirnrunzelnd an, und sie hielt den Mund.

»Komm schon, Fred.«

Der Gärtner versuchte, sich auf Diana zu stürzen, und Caroll musste ihm ein Ding mit dem Griff seiner privaten Kanone verpassen. Er legte dem Gärtner Handschellen an und verlas ihm seine Rechte. Der Fall kam nie vor Gericht. Fred der Gärtner saß immer noch in der Geschlossenen des Bellevue. Mit der Post erhielt Caroll einen Scheck über fünftausend Dollar von Diana Cassidy. Und einen kurzen Brief. Ich vermisse dich.

Über ihre Privatsekretärin verabredete er sich mit Diana. Er gab ihr den Scheck zurück. »Ich kann das nicht annehmen.«

»Warum nicht?«

»Das ist mein Job. Ich werde dafür bezahlt, Sie zu beschützen.«

»Dann sehen Sie den Scheck so, dass ich damit mein Gewissen beruhigen will, Detective Brent.«

»Ich verstehe nicht.«

»Sie können Fred ab und zu besuchen. Bringen Sie ihm Blumen mit.«

»Ich habe ihn schon besucht.«

»Keine Widerrede«, sagte sie. »Und warum haben Sie mich noch nicht besucht?«

»Weil mein Auftrag beendet ist. Wir haben Fred gefunden. Oder sollte ich besser sagen, Fred hat uns gefunden. Aber verraten Sie mir eines. Haben Sie vor diesem Abend schon einmal mit ihm geredet?«

»Was meinen Sie damit, Detective?«

»Er ist hinter einem Baum hervorgesprungen und hat behauptet, er habe Ihnen einen Heiratsantrag gemacht, und Sie hätten ihm einen Korb gegeben.«

»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.«

»Aber haben Sie vorher mit ihm geredet?«

»Nein, Detective. Ich habe nicht mit ihm geredet. Er ist ein Irrer … Ach, schon möglich, dass ich ihn mal am Reservoir gesehen habe. Er hat für die Parkverwaltung gearbeitet. Vielleicht habe ich auch mal mit ihm gescherzt.«

»Möglich, dass er Ihnen auch einen Antrag gemacht hat.«

»Detective, so etwas passiert jeden Tag tausendmal.«

»Aber für Fred ist es vielleicht kein Spaß gewesen. Was, wenn er es ernst gemeint hat? Er hat Ihnen einen Antrag gemacht. Sie haben ihm einen Korb gegeben und … «

»Er ist mit einem Messer auf mich losgegangen.«

»Aber jetzt sind Sie in Sicherheit. Und ich muss gehen.«

»Und wenn ich möchte, dass Sie bleiben?«

»Ich müsste trotzdem zurück zu meinem Revier.«

»Aber ich könnte jederzeit einen neuen Fred aus dem Hut zaubern. Ich bin verwöhnt. Ich bin reich. Und ich bin verdorben … zieh dich aus.«

Er schlief mit Diana, während ihre Privatsekretärin im Nebenraum saß. Diana hatte lila Augen. Ihr Arsch war makellos. Ihr Körper schmeckte nach Nektarinen, die an einem Baum reiften.

Er bekam Besuch von ihrem Anwalt. Der Anwalt händigte ihm ein Dokument aus, das sieben Seiten lang war. Es war ein Ehevertrag.

»Ich verstehe das nicht.«

»Detective Brent, haben Sie noch nie den Ausdruck vom geschenkten Gaul gehört? Unterschreiben Sie das Dokument einfach. Dee will Sie heiraten.«

»Sie verwechselt mich mit diesem Gärtner, diesem Fred. Ich hab ihr nie einen Antrag gemacht.«

»Verzeihen Sie, Sir, aber einer halben Milliarde Dollar macht man keinen Antrag. Sie ist die Alleinerbin des Cassidy-Vermögens. Und sie ist eine verflucht gutaussehende Frau.«

»Sie verwechselt mich trotzdem mit Fred. Wiedersehen.«

Caroll betrank sich. Er schlenderte ins Sherwood Forest. Er hatte weder seine Handschellen noch seine Kanone dabei. Sein Captain schickte ihn nach Hause. »Geh schon, Junge. Du brauchst mal eine Pause.« Caroll hatte einen guten Draht zur Police Plaza. Er war der Liebling des PC.

Diana erwartete ihn bereits, als er nach Hause kam. Sie hatte es sich vor seiner Tür gemütlich gemacht und duftete nach Nektarinen. »Weißt du eigentlich, wie viel es mich gekostet hat, diesen Vertrag von meinem Anwalt aufsetzen zu lassen?«

»Sie können es sich leisten. Sie sind eine reiche Erbin. Ich stamme aus den Rockaways. Ich bin mit zehn Dollar auf der Bank groß geworden.«

»Deshalb brauche ich ja einen Anwalt. Ein Haufen Männer will mir an die Wäsche. Wie soll ich wirklich wissen, ob ein Mann in mich oder nur in das Vermögen meines Vaters verliebt ist?«

»Ms. Cassidy, wir kennen uns nicht einmal.«

»Wir kennen uns gut genug. Du bist sechzehn Wochen lang jeden Abend mit mir ausgegangen.«

Caroll schlief wieder mit ihr. Er unterschrieb den Ehevertrag. Seine potentiellen Söhne und Töchter würden erheblich reicher sein als Caroll, aber er würde eine Art »Mitgift« erhalten, wenn er zehn Jahre bei Diana blieb. Sie heirateten in St. Patrick’s Cathedral, obwohl Caroll kein Katholik war. Kardinal Jim persönlich las die Messe. Carolls Foto erschien auf der Gesellschaftsseite. Er glaubte, die Cassidys würden einen Cop wie ihn niemals akzeptieren, doch sie waren erleichtert, einen Ehemann für Diana zu haben. Es gab ein Bankett im Pierre. Carolls Mom und Dad waren tot. Er stammte aus einem Fischergeschlecht.

Sein Ur-Ur-Großvater war sehr reich gewesen, als die Cassidys noch Schweinescheiße in Sligo oder irgendeinem anderen irischen County schaufelten. Aber die Brents erlitten einen Niedergang. Jede neue Generation war ärmer als die vorherige. Carolls Vater war ebenfalls Fischer. Er starb mit vierzig als verbrauchter kleiner Mann.

Papa Cassidy war ein Kapitalist. Er half neuen Firmen auf die Beine. Er war Getränkeabfüller und Bauunternehmer, baute Weintrauben und Feigen an. Er hatte keine Söhne. Und seine einzige Tochter schien sich nicht verloben zu können … bis sie diesen Cop kennenlernte. Er hieß Caroll im Stamm willkommen, wollte aus ihm einen Risikokapital-Banker machen, aber Caroll war an ein Polizeirevier im Central Park gebunden. Papa beklagte sich nicht, solange der Junge nur bei seiner Tochter blieb.

Caroll begann die Cassidys zu mögen. Sie schwammen mit den Reichen, aber sie waren keine Snobs. Und er begriff, dass er die ganze Zeit, während er Diana vor dem Schlitzer beschützte, verrückt nach ihr gewesen war. Freddy war der psychopathische Amor in Carolls Leben. Ohne diesen Gärtner hätte er Dee nie kennengelernt.

Und so machte er immer mehr Schulden, um den Wucherzins zurückzahlen zu können. Er hätte zu einem der Cassidys gehen können, aber er wollte sie aus seinen persönlichen Angelegenheiten heraushalten. Er ging auf die Straße und fand seinen persönlichen Kredithai, Fabiano Rice, der zur Rubino-Familie gehörte. Fabianos Boss, Sal Rubino, war in New Orleans ermordet worden. Von einem der Rubino-Captains, von Jerry DiAngelis … und Isaac Sidel. Das erzählte man sich wenigstens auf der Straße. Isaac war gut befreundet mit Jerrys Schwiegervater Izzy Wasser, dem führenden Kopf hinter Jerrys Seite des Clans. Izzy Wasser hatte einen Schlaganfall erlitten. Und jetzt steckten die Rubinos in der Klemme. Was Caroll mit seinen Wucherzinsen aber auch nicht half.

Isaac war ins Gefängnis gewandert, weil er mit DiAngelis und seinem Schwiegervater dicke gewesen war. Aber kein Gefängnis konnte den Commish halten. Am Ende wurde er freigesprochen und schaffte sich Sal Rubino vom Hals. Nur in New York konnte es einen Police Commissioner geben, der gleichzeitig ein Killer war. Isaac nahm nie auch nur einen Penny, war aber besessen von den Kindern auf Alejo Tomás’ Schulen. Seiner Meinung nach wimmelte es in jedem Schulamt nur so von Dieben. Er musste sie wie Unkraut aufspüren und mit der Wurzel ausreißen. Und Caroll war der Gärtner, den er sich für diese Aufgabe aussuchte. Caroll trat unter fiktiven Namen verschiedenen Schulverwaltungen bei. Er heftete sich den Amtsleitern mehrerer Bezirke an die Fersen. Er hinderte Schulverwaltungen daran, Konzertflügel zu verleihen. Er wurde angeschossen, angepisst und mit einem Rasiermesser verfolgt – und die ganze Zeit über hatte er diese gigantischen Wucherzinsen am Hals.

Er war ausgesprochen mieser Laune. An einer holprigen Ecke unterhalb der Williamsburg Bridge traf er sich mit Isaac. Der Himmel über Carolls Kopf war schwarz. Da war nichts außer Mauern. Isaac hatte dringend eine Rasur nötig. Und Caroll drängte sich die Frage auf, ob Sidel ebenfalls in einer vierten Dimension lebte. Der Commish hatte eine Tochter. Aber sie hatte ihren Dad verstoßen. Sie hieß Marilyn. Sie hatte Manfred Coen geliebt. Caroll hatte die Lady nie gesehen. Aber er hatte Verständnis für sie.

»Montalbán«, sagte Isaac. »Ich will dieses Arschloch.«

Sein Gesicht war dunkelblau. Er sah aus wie Captain Ahab. Aber Caroll wusste nicht, welche Sorte Wal Isaac im Arsch hatte. Unter der Williamsburg Bridge befand er sich außerhalb menschlichen Territoriums.

»Aber deshalb musst du doch einen armen stellvertretenden Schulleiter nicht ruinieren.«

»Rosen war korrupt. Er geht zusammen mit Montalbán den Bach runter.«

»Ach komm, Isaac. Er hat nur noch ein paar Monate bis zu seiner Pensionierung. Jesus, lass den kleinen Burschen doch einfach in Ruhe.«

»Er hat Zweitklässlern das Pausenbrot praktisch aus dem Mund gerissen. Er hat Scheißbleistifte geklaut. Er gehört zu Montalbáns Bande.«

Carlos Maria Montalbán war Amtsleiter des Schulbezirks One B in Manhattan. Zum Bezirk One B gehörte auch die Lower East Side. Und Montalbán leitete seinen Bezirk wie ein Warlord, erteilte Gefälligkeiten, engagierte, entließ und schikanierte die Mitglieder der örtlichen Schulaufsicht. Er war ein Cousin von Dezernent Alejo Tomás. Er hatte in Vietnam gedient, aber Montalbáns Militärakte war nirgendwo zu finden. Isaac glaubte, dass Montalbán ein übriggebliebener Pirat der Green Berets war. Aber beweisen konnte der PC absolut nichts.

»Ich hab die Nase voll, ständig irgendwelche Flügel zu bewachen, Isaac. Ich will meinen alten Job zurück.«

»Aha, du hast also mit Kardinal Jim gesprochen«, sagte Isaac mit seiner irischen Polizistenstimme.

»Ich habe nie mit Jim geredet. Ich würde dich niemals verraten.«

»Nun, er kennt jedenfalls deinen Aufenthaltsort.«

»Isaac, der Mann hat Diana und mich verheiratet. Er ist nicht blind. Er merkt doch, dass ich unterwegs bin und für dich angle. Und er fragt sich natürlich auch, warum er mich nie in meinem Revier antrifft.«

»Dein Revier ist da, wo ich es sage.«

»Ich will meinen alten Job zurück.«

»Ich gebe dir Sherwood Forest nicht, und das ist mein gottverdammt letztes Wort. Ich werde meinen besten Mann nicht vergeuden. Du kannst in deiner Freizeit mit den Pferden und Bäumen quatschen. Montalbán ist ein Dieb.«

»Dann verhafte ihn, Isaac.«

»Das kann ich nicht«, sagte der PC in der Düsternis all der Steine um ihn herum. »Kein Mensch glaubt mir. Der D.A. wird keine Anklage erheben. Er sagt, ich habe nichts gegen Montalbán in der Hand. So was nennt man Klüngel. Montalbán und sein Cousin sind Parteimitglieder. Alejo gehört die Bronx, und Montalbán ist der Boss der Lower East Side. Soll er doch die Demokraten bestehlen. Aber das hier ist mein Viertel, Caroll. Und es sind meine Kinder, denen er schadet. Ich will, dass er gestoppt wird.«

»Dann boote den Arsch doch aus. Kandidiere selbst für den Posten des Schulamtsleiters.«

»Ich kann nicht«, sagte Isaac. »Man würde mir sofort Nepotismus vorwerfen. Der PC steckt seine Finger in lokale Schulangelegenheiten.«

»Also muss ich für dich die Vorhut spielen. Mit illegalen Hausdurchsuchungen und Wanzen. Isaac, ich bin derjenige, der verhaftet werden könnte.«

»Wie sonst soll ich Montalbán schnappen?«, stöhnte Isaac. »Und wer würde es wagen, dich zu verhaften? Du arbeitest für mich.«

»Isaac, letzte Woche hab ich einen Schuss in die Ferse bekommen.«

»Du wirst es überleben«, sagte der PC.

»Es ist dir scheißegal, stimmt’s? Solange du nur Montalbán kriegst. Aber ich werde nicht noch mehr kleine alte Männer ans Kreuz schlagen.«

»Du meinst ihn? Rosen? Er ist Montalbáns Kreatur. Ein habgieriger Jude.«

»Er gehört zu deinem eigenen Scheiß-Stamm, Isaac.«

»Wer behauptet das? Ich bin ein absoluter Sonntagsjidd. Dann zünde ich für meine verstorbene Mama Kerzen an. Für den Rest der Woche habe ich keine Religion.«

Caroll konnte diesen Ahab nicht mürbe machen, der von Groll beherrscht seinen Kult zelebrierte. Isaac würde keinen Deal mit der Schulaufsicht machen. Er würde Caroll in irgendeine vierte Dimension schicken, damit Caroll getötet werden konnte. Und dann lächelte dieser unbarmherzige Mann in der Dunkelheit. Caroll sah die Spitzen seiner Zähne.

»Bist du knapp bei Kasse, Junge? Wie ich höre, hast du dich mit Fabiano Rice angefreundet. Er ist ein übler Bursche. Er gehörte zu Sal Rubino.«

»Aber Sal schläft.« Du hast ihn umgebracht, raunte Caroll lautlos. Er hat sich in New Orleans dein Schrot eingefangen, Mr. Sidel.

»Caroll, lass dir von mir helfen, wenn du die Zinsen nicht zahlen kannst.«

»Ich brauch keine Hilfe.«

»Ziemlich hart, mit den Reichen verheiratet zu sein, was?«

»Ich komm schon klar. Fischerssohn mit einem Kardinal an seiner Seite. Kann mich nicht beklagen.«

»Aber ich könnte Fabiano auf die Zehen treten.«

»Das geht dich nichts an, Isaac. Fabiano ist meine Sache.«

»Weiß Diana es?«

»Das geht dich nichts an«, musste Caroll wiederholen. Und er stand kurz davor, Sidel zu massakrieren, ihm links und rechts Ohrfeigen zu verpassen, bis Isaacs blaues Gesicht vor Kummer und Schmerz explodierte. »Ich werde mit Little Rosen sprechen. Ich werde ein Geständnis aus ihm herausholen. Ich werde dir eine Karte von Montalbáns Winkelzügen zeichnen. Ich werde die Bleistifte wiederfinden, die er unterschlagen hat. Aber halt dich aus meinem Leben raus.«

Er ging zur Stanton Street, wo Little Rosen wohnte, ein stellvertretender Rektor, der verheiratet und geschieden und zu seiner »Wiege« zurückgekehrt war, wie Isaac die Lower East Side gern nannte. Der kleine Mann war ganz allein. Er hatte nicht wieder geheiratet. Er war zweiundsechzig. Wie Isaac hatte auch er eine Tochter, die ihn mied. Caroll konnte nicht nachvollziehen, wie Rosen mit Montalbán zusammengekommen war. Rosens Milieu war Manhattan und Queens, nicht Vietnam. Er schnupfte auch kein Koks. Er stand nicht auf kleine Jungs und Mädchen. Warum zum Teufel war er ein Dieb geworden?

Ohne jeden Protest ließ er Caroll in seine Wohnung. Er brühte eine Kanne Tee auf und schnitt einen Strudel in Scheiben, den er in einer koscheren Bäckerei neben dem Harry S. Truman Democratic Club gekauft hatte, von dem aus Montalbán und seine Kumpane ihr Imperium regierten. Little Rosen trug ein gestärktes Hemd. Seine Krawatte war königsblau.

»Muss ich ins Gefängnis, Mr. Brent?«

»Nicht, wenn ich’s verhindern kann«, sagte Caroll. Fast schien es, als sei Little Rosen sein Spitzel. Und dann dachte Caroll: Scheiße. Er ist mein Spitzel.

»Was hat Montalbán gegen Sie in der Hand?«

»Nichts«, sagte Rosen.

»Und wie bringt er Sie dann dazu, zu stehlen?«

»Für uns war das kein Diebstahl«, sagte Rosen. »Ich war Carlos’ Buchhalter. Wir haben nur Waren verschoben … von Schule zu Schule.«

»Kommen Sie, ich habe Sie auf Band. Sie haben Drogen verkauft.«

»Nicht an Kids«, sagte Rosen.

Little Rosen begriff nicht, dass ein einsamer Detective nur auf ein Tässchen Tee vorbeigekommen war. Für ihn gehörte Caroll zu irgendeiner Spezialeinheit, zu einem undurchschaubar verschlungenen Team namens Isaac Sidel.

»Aber Sie haben gedealt«, sagte Caroll.

»Ja. Damit wir an der einen Schule einen Flügel haben konnten und … «

»Flügel«, sagte Caroll. »Es läuft immer auf Flügel hinaus. Sie waren der Barmherzige Samariter für alle Dealer.«

»Nein. Ich bin überzeugt, dass Carlos etwas Geld für sich abgezweigt hat. Ich hab’s jedenfalls getan. Ich hab mir bei Barney’s einen Anzug gekauft. Einen mit einem schicken Designernamen drin. Ich habe bar bezahlt. Aber ich habe ihn nie getragen, Mr. Brent.«

»Ich will Ihren Arsch nicht, Rosen. Ich will Montalbán. Machen Sie sich Aufzeichnungen. Über alles, was er tut. Wenn er sich den Arsch abwischt, dann will ich das wissen.«

Little Rosen fing wieder an zu heulen. »Ich habe Carlos vertraut. Er hat gestohlen. Ich habe gestohlen. Aber wir haben den Kindern geholfen. Wir haben ihnen … «

»Sie haben Ihrem eigenen verschissenen Bezirk Geld geklaut. Sie haben Schulmaterialien geplündert.«

»Aber nichts läuft ohne Carlos Montalbán. Ich habe Berichte eingereicht. Ich habe einen Schreibtisch voller Korrespondenz über unseren chronischen Papiermangel. Mr. Brent, ich bin mein Leben lang Lehrer gewesen. Ich habe vor vierzig Jahren in das System eingeheiratet. Und ich habe gelitten, bis Carlos kam. Er ist unser Schmiermittel. Er ist auch unser Leim. Ja, er stiehlt. Aber jetzt haben wir unsere Bleistifte. Die Kinder haben ihre Bücher.«

»Und Montalbán ist Millionär. Sie werden mir helfen, Rosen, richtig?«

»Hab ich denn eine Wahl?«, fragte Little Rosen und zog an seiner königsblauen Krawatte. Caroll fühlte sich unwohl. Er trank ein Glas Wasser aus Rosens Wasserhahn und verabschiedete sich. Auf der Treppe zitterte er. Er mochte Little Rosen, der sich in einem Dreckloch auf der Stanton Street würde zur Ruhe setzen lassen müssen, mit seinem Anzug von Barney’s und Schachteln voller in Mexiko hergestellter Bleistifte. Caroll kannte Rosen nur flüchtig, und er liebte und hasste ihn wie jeden Spitzel. Dieser verschissene Isaac Sidel.

3

Caroll musste seine blaue Krawatte tragen. Diana gab eine Party. Es waren vierzig Gäste da. Sie erinnerten an Mäuse auf einem Footballfeld. Dianas Wohnzimmer wickelte sich um die Park Avenue. Zu einem so langen Raum fand Caroll keine Beziehung. Gleichgültig, wem die Wohnung gehörte, er würde hier immer ein Gast sein. Er war ein WASP-Bräutigam in einer Stadt der Iren, Italiener, Latinos, Schwarzen, Weißrussen, Chinesen, Koreaner, Juden …

Er lief Jim in die Arme. Der Kardinal und Erzbischof von New York war sein Rabbi in One Police Plaza geworden. Jim trank ein Glas vorzüglichen Weißwein. Die Cassidys hatten ihre eigenen Scheißweintrauben und Feigen.

»Alter Freund«, sagte Jim, »wie geht’s denn so?« Und dann schaute er Caroll in die Augen. »Beachte mich nicht weiter. Ich werde redselig, wenn ich angesäuselt bin. Ein verbitterter alter Mann.«

»Weswegen sind Sie so verbittert?«

»Isaac Sidel.«

Caroll musste sein eigenes bitteres Lachen verbergen. »Über Polizeiangelegenheiten darf ich nicht sprechen, Kardinal Jim.«

»Genau das ist das Problem. Es ist keine Polizeiangelegenheit. Isaac hat sich selbst zum Kaiser von Manhattan ernannt. Am liebsten würde er das ganze Schuldezernat zu Fall bringen. Das kann ich nicht zulassen. Ich habe Söhne und Töchter auf staatlichen Schulen. Ich habe mit Isaac über dich gesprochen. Hat er das erwähnt?«

»Ja, aber … «

»Ich habe dir keinen Gefallen getan. Vergiss nicht, ich liebe Diana. Aber ich sehe wirklich nicht, warum du für Isaac Sidel Flügel bewachen musst. Auf seinem Arsch klebt doch nicht das städtische Siegel.«

»Jim, ist mir letzten Samstagabend einer Ihrer Monsignores nach Harlem gefolgt?«

»Ich habe auch meine Spione, genau wie Isaac … und du hast deine Frau beunruhigt. Sie ist alles andere als begeistert von diesen mitternächtlichen Streifzügen. Sherwood Forest, das ist der richtige Ort für Caroll Brent.«

»Hat Dee Ihnen irgendwas gesagt?«

»Nein, nein. Ich habe da zufällig etwas mitbekommen. Ich bin ein schrecklicher Lauscher. Ich habe Ohren wie ein Esel.«

Und der Kardinal entschwand mit seinem Glas Wein in die Tiefen des Wohnzimmers. Caroll ging die Treppe der Maisonette hinauf und betrat das riesige Reich von Dianas Küche. Es hätte die Kombüse an Bord eines gigantischen Schiffes sein können. Diana hatte zwei Souschefs, aber in Wirklichkeit kochte vor allem sie. Sie hatte in Paris eine Kochschule besucht.

Er näherte sich ihr, als sie gerade einen weißen Schokoladenpudding rührte. Carolls Milliardärsgemahlin hatte kurzes, blondes Haar und die Beine eines prächtigen Ponys. Finanziers zitterten, wenn sie einen Raum betrat, weil sie Cassidys Tochter war. Sie beschäftigte einen eigenen Steuerberater, der Carolls Einkommen irgendwo in Dianas buchdicken Steuererklärungen vergrub. Er war in diesem Haushalt so etwas wie ein Baby. Aber er liebte sie, und Dianas Millionen bereiteten ihm nichts als Kummer.

Sie hatte lila Augen. Ihre Nase war perfekt. Ihr Mund war eine Idee schief. Ihr Hals hatte die Form eines Bischofsstabs. Es erregte ihn immer noch, neben Dee zu stehen und ihr Parfüm zu schnuppern, während sie sich auf den Pudding konzentrierte. Doch sie spürte Caroll hinter sich und schickte die Souschefs fort. »Liebling«, sagte sie. »Wir haben Gäste. Ich muss in einer Minute unten sein. Ich kann Kardinal Jim nicht alleinlassen. Sonst packt er noch seine Pokerkarten aus und macht alle zu Almosenempfängern. Also, drück mich nur einmal kurz.«

Er küsste sie, während der Pudding blubberte, hatte sein halbes Gesicht in ihrem Mund, und doch spürte er, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Während des letzten Monats war sie im Bett wie eine Schlafwandlerin gewesen. Ein Teil von ihr war für ihn unzugänglich geworden. Caroll fragte sich, ob es vielleicht Probleme mit ihrer Familie waren. Er schien Papa Cassidy keinen Erben schenken zu können. Dee war zu den besten Gynäkologen gegangen. Mit ihr war alles in Ordnung … auch Carolls Spermiendichte war okay. Aber sie konnten kein Kind machen.

Und noch etwas beschäftigte ihn. Wie sie sich von ihm zurückzog. Hatte sie einen Liebhaber? Er hatte Angst davor, Dee zu verlieren, nicht das »Schloss« an der Park Avenue und all das andere Drum und Dran ihres Lebens. In seinen Albträumen sah er Dee mit einem anderen Mann.

»Jim sagt, du hättest dich über meine Arbeitszeiten beklagt. Du solltest mit ihm nicht über Polizeidinge sprechen.«

Sie sah ihn groß an. »Caroll, das habe ich nicht.«

»Ich könnte meinen Job an den Nagel hängen und bei irgendeinem Schickianwalt als Schnüffler anfangen.«

»Caroll, ich würde nie von dir verlangen, dass du den Dienst quittierst. Ich habe einen Polizisten geheiratet. Allerdings wünschte ich, du müsstest dich nicht mitten in der Nacht rauf nach Harlem schleichen. Ich mache mir Sorgen um dich. Du hast keine Basis, kein festes Revier … Ich habe dich immer wahnsinnig gern im Central Park besucht.«

»Es ist nur vorübergehend«, sagte er. »Ich arbeite an einem Fall.« Das war natürlich gelogen. Er lebte auf Isaacs verrücktem Mond, versteckte Wanzen, nervte Maria Montalbán, verfolgte Little Rosen. Er war der Schnüffler der lokalen Schulämter geworden.

Er begleitete Dee nach unten. Man drehte sich nach ihnen um. Die Gesellschaft stürzte sich förmlich auf Dee, bis auf Stewart Hines, König der Junkbonds, der Caroll einen blauen Zettel gab. Das blaue Papier war die Signatur von Carolls Kredithai. Es war ein Stornierungsschein. Caroll hielt seine Wucherzinsen in der Hand, und zwar sämtliche Zinsen auf seine Schulden bei Fabiano Rice.

»Das kann ich nicht annehmen, Mr. Hines.«

»Caroll, ich tue jemandem einen Gefallen, das ist alles. Ich bin der Mittelsmann. Man hat mich gebeten, Ihnen diesen Zettel zu überbringen.«

»Ich bitte Sie, Mr. Hines. Tun Sie nicht so unschuldig. Ich habe gehört, wie Sie oben an Dianas Telefon ein halbes Dutzend Firmen erledigt haben … indem Sie Bonds verschoben. Das ist Ihre Branche. Aber dieses Papier sollten Sie nicht überbringen. Es betrifft einzig und allein einen gewissen Kredithai und mich.«

»Fabiano ist ein Freund von mir. Ich war mal sein Broker. Und er hat gesagt: ›Wenn du Caroll siehst, sag ihm bitte, es gibt keine Zinsen mehr.‹«

Caroll konnte Hines auf Dianas Party nicht schlagen.

»Tut mir leid, Mr. Hines, aber ich kann das nicht annehmen.« Und er stopfte Hines das blaue Papier in die Hose.

Es schien ihm nicht möglich zu sein, den Kredithai zu finden. Fabiano war in keinem seiner üblichen Stammlokale. Caroll fragte sich, ob die Rubinos eine Kriegsparty veranstalteten und der Kredithai irgendwo im Dunkeln saß. Aber Fabiano verdiente sich seine Brötchen draußen auf der Straße. Er musste sein Geld in Umlauf halten. Er musste seinen Wucherzins eintreiben, sonst wäre er kein besonders guter Geldverleiher gewesen.

Und dann, während Caroll nur sich selbst nachjagte, tauchte der Wucherer plötzlich auf. Es wirkte wie ein Taschenspielertrick. Caroll saß gerade in seinem Lieblingsimbiss, einer Spelunke an der Clinton Street. Fabiano tauchte mit seinem Bodyguard auf. Er sah aus wie ein Kunsthändler. Er war ein kleiner, eleganter Mann. Caroll war überhaupt nur zu Fabiano Rice gegangen, weil der Mann nichts Ordinäres hatte. Und Fabiano hatte nichts mit den Cassidys zu tun.

»Ah, piccolino«, begrüßte er Caroll, »come stai?« Als bestünde die ganze Welt nur aus braven kleinen italienischen Jungs.

Und Caroll antwortete nicht mit seinem üblichen »bene«. Er war nicht in der Stimmung, mit seinem Geldverleiher herumzualbern. »Du hast mich beleidigt, Maestro«, sagte er.

Fabiano setzte sich ein Stück vom Fenster weg, kniff die Falten seiner Hose. In einer melodischen Sprache, die nur die Bedienung verstand, bestellte er sich ein Sandwich mit Eiern.

»Nun verrat mir mal, warum du so sauer bist.«

»Du hast einen Dritten in unsere Geschäftsbeziehung gebracht. Dieser Mann kennt zufälligerweise meine Frau.«

»Aber er ist diskret, piccolino. Ich würde dir in Familienangelegenheiten niemals schaden wollen. Und ich muss meine Ehre schützen. Es ist ein neutraler Dritter, der dich von deinen Wucherzinsen befreien muss.«

»Womit verdiene ich eine solche Güte, Maestro?«

»Sagen wir einfach, du hast einen Bewunderer, einen Freund.«

»Und dieser Bewunderer hat seinen Einfluss bei Jerry DiAngelis genutzt, um meinem persönlichen Kredithai die Daumenschrauben anzusetzen.«

»Dummer Junge, sieh’s einfach als ein Geschenk Gottes.«

»Ein Gott namens Isaac Sidel.«

»Es ist nicht meine Art, mich hebräischen Police Commissioners zu beugen. Aber du musst das documento annehmen. So lautet das Gesetz.« Und er gab Caroll den zerknüllten blauen Zettel zurück. »Die Schuld bleibt bestehen, piccolino. Aber jetzt hängt kein Preisschildchen mehr dran.«

Das Eiersandwich, das Fabiano aß, hätte eine von Diana persönlich zubereitete Delikatesse sein können. Die Tischmanieren des Wucherers waren wie ein Musikstück.

»Auf Wiedersehen, piccolino, auf Wiedersehen.«

Aber es deprimierte Caroll, dass sein Wucherzins auf diese Weise getilgt werden sollte … und dass er nicht einmal wusste, wer sein Wohltäter war. Er konnte nicht sagen, warum, aber er dachte an Little Rosen. Vielleicht lag es daran, dass Rosen in der Nähe wohnte. Caroll hatte häufig düstere Vorahnungen. Dies war Cop-Land.

Er hatte den Appetit verloren. Und er war an ein dummes Mafia-Gesetz gebunden und durfte Fabianos Zettel nicht zerreißen. Caroll würde ihn wie ein Schandmal tragen müssen.

Er eilte zur Stanton Street. Die Tür von Little Rosen war nicht abgeschlossen. Caroll war wieder in die vierte Dimension zurückgekehrt. Lange musste er nicht suchen. Little Rosen war in seinem Schlafzimmer und hing an einer Lampenhalterung. Er hatte mehrere Krawatten für seinen Galgenbaum zusammengeknotet. Mit einem Taschenmesser schnitt Caroll ihn von der Decke. Er hörte die ersten Anzeichen eines Hustens. Er rief einen Krankenwagen. Der Tote war nicht tot.

4

Er begleitete Little Rosen auf der Fahrt ins Krankenhaus. Der Sanitäter wollte ihn nicht im Krankenwagen mitfahren lassen. Aber Caroll hatte Rosen gefunden, und Caroll war ein Cop.

»Brent«, flüsterte Rosen, als er aus einem blutleeren Schlaf aufwachte. »Ich bin keine Singdrossel.«

»Das hab ich auch nie behauptet.«

Der Sanitäter funkelte Caroll böse an. »Sammeln Sie hier Beweismaterial, Sie Dreckskerl? Sind Sie deshalb mitgefahren? Um diesen Mann in die Mangel zu nehmen?«

Caroll konnte nicht einmal wütend werden. Der Sanitäter hatte zwanzig Minuten an Little Rosen gearbeitet, hatte ihn massiert, Luft in seine Lungen gezwungen, ihn an eine tragbare Maschine angeschlossen, die die Funktion von Rosens Zwerchfell übernahm. Rosen verteidigte Caroll, während das Zwerchfell ein- und ausatmete. »Er ist mein Freund.«

»Sie halten den Mund«, sagte der Sanitäter, und Little Rosen kehrte in seinen blutleeren Schlaf zurück. Er hielt Carolls Faust umklammert, und Caroll kam sich wie ein Verräter vor, als hätte er dieses Seil aus Krawatten geknüpft. Isaacs Henker.

Der Krankenwagen erreichte das Beekman Downtown Hospital an der Gold Street. Little Rosen wurde durch die Türen in die Notaufnahme geschoben, und Caroll war nur einer von vielen, die sich in Dinge einmischten, die sie nichts angingen. Er wartete draußen. Er musste wohl im Stehen eingenickt sein. Plötzlich tauchte das komplette Schulamt auf, jeder einzelne verschissene Beamte des Bezirks One B. Sie standen da wie Traummenschen – stumm, verächtlich –, und Caroll erinnerte sich an ein Theaterstück, das er mit Diana im Circle In The Square gesehen hatte. Sechs oder sieben Schauspieler standen wie Geister auf der Bühne und suchten den Burschen, der sie erschaffen hatte.

Die Beamten ließen ihn nicht aus den Augen. Sie waren nicht allein. Maria Montalbán war ins Beekman Downtown gekommen. Montalbán war kein Geist. Er trug einen kleinen goldenen Stern in seinem linken Ohr. Er hatte sehr hohe Absätze.

»Cabrón«, sagte er. »Isaacs kleine Schwuchtel. Meinst du, ich wüsste nicht, dass du uns nachspionierst? Du kommst in unsere Sitzungen und spielst den besorgten Vater. Du erfindest Namen für Kinder, die du nie hattest. Du nennst dich ›Mr. Margolis‹. Du versteckst Wanzen in unseren Büros. Ich könnte es dem Dezernenten sagen. Aber das tue ich nicht. Mr. Bulle … wie heißen Sie eigentlich?«

»Steven Margolis«, sagte Caroll. Er hatte einen Decknamen für jedes Schulamt in Manhattan.

»Nun, Mr. Margolis, fick dich ins Knie. Ich bin Maria Montalbán, Amtsleiter des Bezirks One B. Du hast meinen besten Mann ins Krankenhaus gebracht.«

»Ich habe ihn nicht dorthin gebracht. Ich habe ihn gefunden, nachdem er versucht hat, sich aufzuhängen.«

»Weil du einen Spitzel aus ihm machen wolltest, Mr. Margolis alias Detective Brent. Und er hat dir nichts geflüstert. Hast du ihm gesagt, dass wir alle ins Gefängnis wandern? Hier bin ich. Verhafte mich. Na los. Ich stehle Schulmaterialien. Ich deale mit Drogen. Ja oder nein?«

»Allerdings, Sie stehlen, Montalbán.«

»Und du bist Cassidys Schwiegersohn. Wer ist der größere Dieb, ich oder er?«

»Aber er nimmt es nicht von den Kindern.«

»Mr. Bulle, meine Schulaufsicht steht vor dir. Sie haben mich ernannt. Nicht der Dezernent. Frag sie, was ich stehle.«

Caroll musterte die Gesichter. Es gelang ihm nicht, auch nur einen Hauch Sympathie in ihnen zu entdecken. Er beschloss zu gehen.

Maria Montalbán brüllte ihn an.

»Lass Rosen in Ruhe.«

Er hatte es satt, U-Boot zu spielen. Er tauchte in One Police Plaza auf. Isaacs Engel. Problemlos gelangte er auf die Etage des Commissioners. Der First Dep, Carlton Montgomery III alias Sweets, der kommissarisch das Amt des Commissioners übernommen hatte, als Isaac im Knast saß, blieb stehen, um Hallo zu sagen. Sweets war ein einsachtundneunzig großer schwarzer Riese. Er ließ sich nicht von Groll beherrschen. Er hätte einen besseren PC abgegeben.

»Wie geht’s, Caroll? Scheucht Isaac Sie durch die Gegend?«

»So kann man’s nennen«, erwiderte Caroll.

»Langsam vermisst man Sie oben im Sherwood Forest.«

Der First Dep hatte nichts übrig für U-Boot-Fahrer, aber er würde sich nie gegen Sidel stellen.

»He, Caroll, grüßen Sie Ihre Frau von mir.«

Diana kam mit dem Riesen gut zurecht. Genau wie alle anderen Cassidys. Aber Kardinal Jim wollte keinen schwarzen PC. Jim war der Schutzheilige des Police Department, und er konnte nur in einem irischen Universum manövrieren. Er hatte nichts gegen den einen oder anderen Judenjungen. Sidel war praktisch ein Ire. Der PC hatte einen irischen Akzent. Und er hatte eine Tochter, die zur Hälfte Irin war. Caroll war der einzige WASP in One PP. Aber seine Frau war Irin, selbst wenn sie eine halbe Milliarde Dollar schwer war.

Isaac war nicht besonders glücklich, ihn zu sehen.

»Caroll, du hast deine Tarnung auffliegen lassen.«

»Sorry, Chief, aber ich wollte mich nicht unter die Williamsburg Bridge stellen. Rosen hat versucht, sich umzubringen. Ich dachte, das interessiert dich vielleicht.«

»Das hätte auch warten können«, sagte Isaac mit diesem irren Blitzen in den Augen.

»Rosen sieht das womöglich anders. Außerdem sind wir sowieso am Arsch. Montalbán hat mich enttarnt.«

»Na und?«

»Isaac, er weiß, wer ich bin. Er hat mich vor seinen Leuten von der Schulaufsicht zur Schnecke gemacht. Es waren alle da … im Krankenhaus.«

»Glaub ich gern. Wie eine verdammte Fußballmannschaft.«

»Kannst du nicht mal eine Sekunde in Erwägung ziehen, dass die sich vielleicht Sorgen um Rosen gemacht haben?«

»Ach Gottchen, wie rührend«, sagte Sidel.

»Ja, wirklich rührend. Aber ich mag Little Rosen. Und ich kann nicht dein U-Boot sein, wenn Montalbán meine Dienstnummer kennt. Also schick mich bitte wieder ins Sherwood Forest.«

»Nein.«

»Warum hast du mich aus der Versenkung geholt? Ich habe in der Bronx gesessen. Warum hast du mich rausgeholt?«

»Wegen deines Namens«, sagte Isaac. »Ich habe ihn auf der Beförderungsliste gesehen. Caroll. Das war Whitey Lockmans richtiger Name.«

»Wer ist Whitey Lockman?«

»Herr des Himmels«, sagte Sidel. »Er war der beste First Baseman, den die New York Giants je hatten.«

»Isaac, ich war noch im Kindergarten, als die Giants New York verlassen haben. Ich hab sie nie spielen sehen. Und ich stehe nicht mal auf Baseball.«

»Das ist barbarisch«, sagte Isaac.

»Aber du hast mich aus einer Scheißakte gefischt, nur weil ich Caroll heiße und ich dich an irgend so einen Schmock aus der Opa-Liga erinnert habe?«

»Sprich nicht so über Whitey Lockman. Ich könnte sauer werden.«

»Und wirst du mir dann links und rechts eine auf die Ohren hauen? Wie schaffe ich’s, dass ich bei dir ausgeschissen habe … oder muss ich den Dienst quittieren?«

»Das würdest du nicht tun«, sagte Isaac leicht gekränkt. »Du bist ein Cop.«

»Ich bin kein Cop«, erwiderte Caroll. »Ich bin U-Boot-Fahrer. Ich spioniere für dich. Ich rette Konzertflügel. Ich schüchtere kleine Männer ein, die sich aufhängen wollen.«

»Soll ich etwa um Rosen trauern? Na gut, ich werde trauern. Aber er war trotzdem Maria Montalbáns Privatbuchhalter. Er hat trotzdem gedealt. Er hat Montalbáns Scheißbücher geführt.«

»Und ich habe für dich die Beziehung zu Rosen gepflegt. Ich habe ihn gehätschelt wie jeden Spitzel. Aber es ist zu spät. Ich kann nicht mehr zu Ausschusssitzungen gehen. Maria Montalbán wird jeden Bezirk der Stadt informieren. Er wird eine Akte über mich zusammenstellen. Er wird die Wände mit meinem Gesicht plakatieren.«

»Soll er doch«, sagte Isaac. »Dann lässt du dir eben einen Bart wachsen. Du färbst dir die Haare … ich kann keinen anderen U-Boot-Fahrer ausbilden. Es ist zu riskant.«

»Aber du bist bereit, meinen Arsch zu riskieren. Nur weil ich Caroll heiße.«

»So habe ich dich gefunden. In der Akte. Aber jetzt ist es anders. Es hat nichts mit Namen zu tun.«

»Du stehst doch nicht allein da, Isaac. Du kannst dich doch jederzeit auf deinen Geheimdienst verlassen, deine verschissenen Ivanhoes.«

»Die sind aufgelöst worden. Das Justizministerium hat mich gezwungen, den Laden dichtzumachen.«

»Also muss ich jetzt deine Vorhut spielen. Ich muss mir die Speere in die Brust rammen lassen … wie Manfred Coen.«

Blaue Flecken tauchten auf Isaacs Stirn auf. »Coen hat mit dieser Sache überhaupt nichts zu tun. Er ist nachlässig geworden. Er hat Tischtennis gespielt … ohne seine Kanone.«

Aber der PC musste sich setzen. Es lag an seinem berühmten Bandwurm. Er war in der Bronx untergetaucht und hatte seine Dienstmarke abgegeben, um mit den Guzmanns, einer Bande peruanischer Zuhälter, in einem Süßwarenladen herumzusitzen. Die Guzmanns hatten Isaac seinen Wurm verpasst. Sie waren mit Manfred Coen befreundet gewesen. Und Isaac hatte Coen gegen sie aufgehetzt. So starb Coen.

»In Ordnung«, sagte Caroll. »Ich mache die Vorhut.«

Alle Farbe war aus Sidels Gesicht gewichen. Er war ein entwurzeltes Kind mittleren Alters, komplett verwaist, obwohl sein Dad noch lebte. Joel Sidel hatte seine Familie verlassen, um in Paris Porträtmaler zu werden.

Isaacs Lippen bewegten sich. »Ich brauche keine Scheißgefälligkeiten.«

»Ich werde Montalbán beschatten. Aber eines will ich wissen. Bist du zu Fabiano Rice gegangen? Hast du ihn dazu gebracht, meinen Wucherzins zu tilgen?«

»Du hast mir doch gesagt, ich soll Fabiano nicht auf die Füße treten«, sagte Isaac mit neu erwachtem Interesse an Caroll.

»Du hättest auch zu Jerry DiAngelis gehen können. Oder zu seinem Schwiegervater, dem Melamed.«

»Der Melamed hatte einen Schlaganfall. Und Jerry hat keinerlei Einfluss auf Fabiano. Der Kredithai ist Sal Rubino verpflichtet.«

»Sal ist tot.«

»Hat nichts zu bedeuten. Fabiano ist immer noch Sals Mann. Jeder denkt, ich hätte Sal umgebracht.«

Caroll konnte den Mund nicht halten. »Warst du es denn nicht, Isaac?«

»Doch, klar. Ich bin mit einer Mossberg Persuader runter nach New Orleans und habe Sal die Rübe von den Schultern geballert. Bist du jetzt zufrieden? Ich bin der PC. Ich tanze, wo immer ich Lust habe.«

Er machte einen Termin mit Stewart Hines bei Hines & Neuberger of Nassau Street. Hines widerstrebte es, sich mit ihm zu treffen. Aber Caroll drängte. Und so quetschte der Junkbondkönig ihn zwischen zwei andere Termine, vielleicht wegen der Verbindung zu den Cassidys. Caroll wusste es nicht genau. Doch jeder in dem Brokerhaus schmierte ihm Honig um den Bart. Die Leute hielten ihn für einen weiteren Milliardär, der bei Hines & Neuberger frei herumlief. Er sah nicht aus wie ein Detective.

Hines’ Büro hatte keinen Blick auf die Brooklyn Bridge. Es lag eingesperrt in einer Welt aus Türmen. Anscheinend gefiel Hines das klaustrophobische Gitternetz von einem Stein auf dem anderen. Hinter seinem Schreibtisch lag ein ständiger Schatten.

»Ich muss wissen, wer Ihre Quelle ist«, sagte Caroll.

»Immer ganz der Polizist, Caroll, was?«

»Papa Cassidy würde nie zu einem Kredithai gehen. Es ist jemand anders. Wer ist mein Bewunderer? Wer ist mein Freund?«

»Bewunderer?«, sagte der Junkbondkönig. »Sie haben eine Milliardärin geheiratet. Mehr Bewunderung brauchen Sie nicht.«

»Hines, verarschen Sie mich nicht. Fabiano ist nicht wichtig genug. Als Sie das blaue Papier von ihm angenommen haben, da haben Sie jemand anders einen Gefallen getan.«

»Das ist bekanntlich nicht verboten. Und ich würde es mir zweimal überlegen, bevor Sie mir drohen. Sich Geld bei einem Kredithai zu leihen macht sich womöglich nicht so besonders in Ihrer Akte.«

»Aber ich habe Zauberkräfte auf meiner Seite. Isaac Sidel.«

»Der Mann war im Gefängnis.«

»Er wurde freigesprochen, Mr. Hines, oder bedeutet das nichts?«

»Ich könnte immer noch zu Internal Affairs gehen.«

»Papa Cassidy unterstützt die Police Athletic League. Er hat Anwälte, die noch nie einen Fall verloren haben. Und ich kann fliegen. Also, schießen Sie endlich los.«

»Ich habe nichts zu sagen.«

»Sie haben einen Botengang für einen Wucherer erledigt. Warum?«

»Bitte verlassen Sie jetzt mein Büro«, sagte der Junkbondkönig.

»Zwingen Sie mich doch«, sagte Caroll. »Rufen Sie den Hausmeister. Sagen Sie ihm, ich wär ein Penner oder was immer Sie wollen. Ich rühre mich nicht von der Stelle, Mr. Hines, bis Sie mir verraten, wer Ihre Quelle ist.«

»Fahren Sie zur Hölle.«

»Das ist aber gar nicht nett. Ich werde Diana bitten, Ihre nächste Pastete zu vergiften.«

»Sie sind hier derjenige, der vergiftete Pasteten isst. Dee liebt Sie nicht. Sie sind ihr Schoßäffchen, der kleine Cop, den sie geheiratet hat.«

Und Caroll sah rot. Er konnte sich nicht auf einen schwindenden Wucherzins konzentrieren. Oder auf das Schulamt One B. Oder auf Carlos Maria Montalbán. Oder auf Isaac Sidel, den Pink Commish, der in Josef Stalin verliebt war. Er sah rot. Er trat hinter Hines’ Schreibtisch und fing an, den Junkbondkönig zu erdrosseln.

»Haben Sie mit meiner Frau geschlafen?«

Speichel tauchte auf Hines’ Lippen auf. Seine Zunge wackelte wie ein verrückter Fisch. Seine Augen wurden schläfrig. Caroll ließ los. Er hätte den Junkbondkönig umbringen können. Alles, was mit Diana zu tun hatte, schien eine verblüffende Eifersucht in ihm heraufzubeschwören. Er verließ das Brokerhaus.