Das goldene Sackleder - Thomas Reich - E-Book

Das goldene Sackleder E-Book

Thomas Reich

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Beschreibung

Nach Haarmanns Hinrichtung glaubt die Stadt Hannover, endlich Ruhe gefunden zu haben. Dann landen wieder Körperteile in der Leine. Unter den Strichern und Nachtliebhabern geht ein Gespenst um, das sie Das goldene Sackleder nennen. Schmerz und Erniedrigung gehören zur Liebe dazu. Verkrüppelt an Leib und Seele bahnt sich Arthur Faust seinen Weg durch die schwule Subkultur.

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Thomas Reich

Das goldene Sackleder

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Das goldene Sackleder

Das goldene Sackleder

 

 

 

 

 

Thomas Reich

Text 2021 © von Thomas Reich

Coverphoto © https://www.pxfuel.com/de/free-photo-oewvc mit Änderungen

 

Impressum: Thomas Reich

Bachenstr. 14

78054 Villingen-Schwenningen

Über das Buch:

 

Nach Haarmanns Hinrichtung glaubt die Stadt Hannover, endlich Ruhe gefunden zu haben. Dann landen wieder Körperteile in der Leine. Unter den Strichern und Nachtliebhabern geht ein Gespenst um, das sie das goldene Sackleder nennen. Schmerz und Erniedrigung gehören zur Liebe dazu. Verkrüppelt an Leib und Seele bahnt sich Arthur Faust seinen Weg durch die schwule Subkultur.

„Ich mag nicht alleine sein.“

 

Arthur, Kellerkind

 

Kellerkind

Arthur Faust saß glücklich und zufrieden vor dem Trickfilmkanal. Am liebsten mochte er, wenn der Katze das Fell über die Ohren gezogen wurde. Im Vergleich zu seinen Klassenkameraden war Arthur blass und schwächlich. Er neigte zu Leberflecken, und würde später einmal zahlreiche Kontrolluntersuchungen beim Hautarzt in Anspruch nehmen, um sein persönliches Krebsrisiko zu minimieren. Dunkelblonde Zotteln fielen ihm in die Stirn. Arthur konnte kaum aus der wilden Matte herausschauen. In dieser Hinsicht glich er mehr einem Hund als einem Mensch, und nicht besser wurde er vom rabiaten Vater behandelt.

„Bin zuhause.“

In der Diele knallte die Tür, Vater warf seinen Aktenkoffer auf die Kommode, und hängte den Schlips an die Garderobe. Ein langer Tag auf der Baustelle ging zu Ende. Zahlreiche Arbeiter hatten sich nicht an seinen Plan gehalten, Leitungen mussten neu gespitzt werden, der Anschluss zum Dachgebälk war auch nicht dicht. Mit knurrendem Magen ging Viktor Faust in die Küche. Irgendetwas Essbares musste seine Frau ja gekocht haben. Im Kühlschrank wartete ein duftender Topf Soljanka mit guter polnischer Jagdwurst. Der Wodka stand kalt, Feuchtigkeit kondensierte lieblich auf der kegelförmigen Flasche. Im Spülbecken stapelte sich dreckiges Geschirr. Irina hielt Ordnung, sonst musste sie mit erheblichster Züchtigung durch ihren Ehemann rechnen. Der Junge taugte nicht einmal dazu, das Geschirr in die Maschine zu packen. Ein verweichlichtes Weibsbild wie seine Mutter. Viktor Faust glich einem Felsblock mehr denn einem Menschen. Ein freudloser Künstler hatte scharfe Konturen aus dem harten Stein gehauen. Neoklassizistische Monumentalbauten, hochgezogen für die Ewigkeit.

„Du hast dein Tellerchen nicht in die Spülmaschine geladen.“

„Tut mir leid, Papa.“

„Das wird dir gleich richtig leidtun.“

Faust senior machte dem Familiennamen alle Ehre, und ballerte seinen Sohn vom Sofa. Im letzten Moment milderte er seine rohe Kraft. Immerhin schlug er ein Kind, und nicht einen aufmüpfigen Kneipenbruder im sportlichen Dialog. Ob der Ball den Torpfosten berührte oder nicht. Ob ein Vater sein Kind züchtigen sollte oder nicht. Wer ihm widersprach, musste Schläge einstecken können.

„Viktor, das Kind!“

Mutter Irina stellte sich schützend vor ihren Sohn. Ihr Mann konnte grob werden. Besonders am Wochenende, wenn der Großhändler den Wodka lieferte. Dann flog auch schon mal blockweise Millimeterpapier zum Fenster hinaus.

„Gavno, Mandjuk! Der wird nie zu etwas nütze sein. Hätte ich lieber auf die Herdplatte gewichst, als dich zu schwängern.“

Viktor Fausts hitziges Temperament brachte ihn regelmäßig in Schwierigkeiten. Er realisierte als namhafter Architekt Projekte in der ganzen Welt. Seine Geduld reichte bis zum ersten Vorarbeiter, wer nicht spurte wurde im Betonmischer getauft. Kleinere Vergehen wurden an der Latzhose zum Trocknen aufgehängt. Die Arbeiter fürchteten ihn als Teufel mit der Aktentasche. Seit er dem Leiter des Hannoveraner Baudezernats aus Wut über einen abgelehnten Bauantrag auf den Schreibtisch geschissen hatte, trat Viktor Fausts Karriere auf der Stelle. Bei der Vergabe neuer Projekte musste er härter kämpfen denn je! Schmiergeld allein reichte nicht, wenn man einen Kothaufen hinterließ. Die Konkurrenz machte ihn zum Trinker, die Konkurrenz befeuerte sein Magengeschwür.

*

Viele bunte Smarties landeten auf dem Teppichboden. Auf Arthurs Wange zeichnete sich ein knallroter Handabdruck ab.

„Nun sieh dir die Sauerei an.“

Vaters harte Schuhspitze beförderte ihn durchs Wohnzimmer. Bei jedem Tritt zuckte der kleine Körper zusammen. Vater trug die guten Budapester aus dem Büro. Arthur konnte weder betteln, noch widersprechen. Seinen kleinen Lungen fehlte die Luft für jedweden Laut außer keuchen und schniefen.

„Dafür wanderst du in den Keller.“

Papa riss die Kellertür auf, und beförderte seinen Sohn in weitem Bogen die Stiegen hinab. Arthur knallte mit dem Kopf gegen ein Heizungsrohr, und blieb leblos liegen. Stunden später erwachte er zitternd und durstig aus der Ohnmacht. Mit rasenden Kopfschmerzen kroch er auf allen Vieren zum leckenden Heizungsrohr, und trank aus der stinkenden Pfütze. Arthur verbrachte einen Großteil seiner Jugend im Keller, draußen spielen war ihm nicht erlaubt. Fremde Kinder konnte er nur einladen, wenn Vater arbeiten ging.

*

In der Schule wurde Arthur gemieden. Er galt als Architektenkind, wurde aufgrund seiner markanten Kopfform Abrissbirne geschimpft, und mit dem Lineal verdroschen.

„Welcher Maßstab stimmt denn bei dir nicht?“

Das Kunststofflineal zerbrach auf seinen schmalen Schultern. Zur Lehrerin konnte Arthur nicht gehen, feige Petzen wurden nach der Schulklingel nur noch doller verdroschen. Er fügte sich in sein Schicksal und schwor eines Tages Rache zu nehmen an der Gesellschaft. Zur gleichen Zeit merkte er, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Während die anderen Jungs sich für Mädchen interessierten, und die Mutigsten von ihnen Freundinnen an die zarte Hand nahmen, spielte Arthur mit Plastikkränen und Baggern. Bestimmt würde eines Tages ein guter Architekt aus ihm.

Wenn es Nacht wurde in seinem Kinderbett, dachte er an seinen Banknachbarn Tom. Wie es sich anfühlen würde, ihn zu küssen. Tom war ein Arbeiterkind mit schmutzigen Hosen und geflickten Schnürsenkeln, und roch etwas streng. Man kennt diesen Dunst aus tausend RTL2-Reportagen: Gelber Schmelzkäse, angebranntes Toastbrot, und kalter Zigarettenrauch. Zwischen den Aufgaben schnupperte er an ihm und träumte von einer bunten Sommerwiese, auf der er Toms Körper erkunden konnte.

„Rück mir nicht so dicht auf die Pelle.“

„Aber du riechst nach Käse.“

„Scheiße, dann hat Mama wieder den falschen Weichspüler genommen.“

Arthur nahm all seinen Mut zusammen. Er wusste nicht, was er mit seinem Pimmel oder dem eines anderen Jungen anfangen sollte. Außer den Bildern im Internet, die mehr verstörten als erklärten.

„Ich mag Käse. Und dich.“

„Spinner.“

„Was machst nach der Schule?“

„Ich spiele Schiffe versenken an der Leine“

„Kann ich mitkommen?“

„Von mir aus.“

*

Die Sonne stand hoch über dem Wasser. Die beiden Jungen rannten die Uferböschung hinab, mit der flachen Hand schlugen sie Mückenschwärme in die Flucht. Unten angelangt zauberte der Schweiß Bäume auf ihre Rücken mit breiten Ästen. Es war ein Tag, den wohlhabende Familien wie die Fausts im Schwimmbad verbrachten. Arbeiterkinder wie Tom mussten nehmen, was sie bekamen. Für den Fluss verlangte die Stadt keinen Eintritt, dafür war er bedeutend dreckiger. Die Budengastronomen aus dem Gewerbegebiet Stöcken entsorgten ihr altes Frittenfett kanisterweise, Hausfrauen kippten Hühnerknochen hinein, und Fritz Haarmann entsorgte die Reste seiner Puppenjungs in diesen Gewässern. Tom hatte aus alten Zeitungen gefaltete Papierboote hinter einem Busch versteckt.

„Die habe ich selbst gebaut.“

„Heiß heute.“

Arthur zog sein T-Shirt aus in der Hoffnung, Tom würde es ihm gleichtun, und wurde nicht enttäuscht.

„Du hast einen schönen Körper. Ist mir im Sportunterricht schon aufgefallen.“

„Bei uns in der Familie sind sie alle dürr wie Bohnenstangen. Nur Muskeln, kein Fett.“

„Bei uns in der Familie haben sie alle eckige Köpfe. Wie bunte Bauklötze aus Holz.“

„Damit könnte man spielen.“

„Ja, spiel mit mir.“

„Zu zweit macht es mehr Spaß.“

Tom holte eine Steinschleuder aus der Tasche. Nichts Fertiges aus dem Einkaufszentrum aus billigem Chinesenplastik, sondern handgeschnitzt, poliert und mit rotem Gummiband geknotet.

„Saubere Arbeit. Hast du die gebaut?“

„Mein Vater ist Schreiner. Er bringt mir viel bei.“

„Ich wünschte, mein Vater würde mir mehr beibringen.“

„Der Architekt?“

„Genau der.“

„Hm. Was könnte er dir denn zeigen?“

„Ich weiß nicht. Wir verstehen uns nicht besonders.“

„Das ist schade.“

Arthur erschauerte, als er die kleine Hand in seinem Nacken spürte. Tom wollte ihn trösten, zu weiteren Hintergedanken war er nicht fähig. Er würde später einmal die Hauptschule aufsuchen und eine Lehre abschließen im Handwerk. Arthur aber würde hoch aufsteigen und seine erste Liebe vergessen, wie er alles vergessen würde was mit Liebe oder Mitleid zu tun hatte. Tom zeigte ihm, wie man mit Booten spielt. Ihnen hinterherrannte, Jagd auf sie machte, das Feuer eröffnete.

„Du musst sie am Segel treffen.“

„Aber dann gehen sie unter.“

„Scheiß drauf, dann falte ich neue. Wir ersäufen die Matrosen. Ahoi, ihr Penner!“

Mit gezielten Schüssen strichen sie die Segel. In Arthurs Kopf hallten die Schreie der Ertrinkenden an der Reling. Der Tod war nass wie ein Zungenkuss. Wie gerne würde er seine Zunge in den Schulkamerad schieben, oder wenigstens dessen Backe lecken wie ein wilder Seehund!

„Darf ich auch mal?“

„Nur zu, es sind unsere Boote.“

Arthur wollte mit Tom eine bessere Familie gründen. Wo zwei Väter einander durchs Unterholz jagten. Arthur griff einen scharfkantigen Kieselstein, und schoss Toms Ohrläppchen weg. Sie gingen zusammen unter. Arthur ergriff die Flucht. Nun wusste er, wozu sein Penis gut war. Heiß und hart schlug er ihm beim Laufen gegen den Bauch. Die Schiffe stachen in die weite See, und trieben aus dem begrenzten Horizont der Jungen.

*

Liebe und Schmerz gehörten zusammen. Du züchtigst, was du liebst. Zuweilen tötest du es auch. Als Kind kannst du weder mit dem Messer umgehen, noch mit den Konsequenzen. Aber mit einer Steinschleuder. Arthur rannte nach Hause, der Rucksack auf seinen Schultern schlug am losen Riemen. In der Küche schnappte er sich ein schnelles Sandwich aus dem Kühlschrank.

„Ich habe Pelmeni gemacht. Willst du nicht?“

„Schon gut Mama. Ich esse auf meinem Zimmer.“

Mit der süßen Erinnerung an eine blutende Wunde würde er seine Nudel kneten, auch wenn er nicht wusste, warum. Wilde Tiere vertrauten ihren Instinkten.

*

Unten klingelte das Telefon. Vater war noch auf der Baustelle mit neuen Installationsplänen. Nächste Woche sollten in der Kirchroder Straße die Wasserleitungen gelegt werden.

„Faust, Hallo?“

Arthur öffnete die Tür einen Spalt und lauschte in die Stille der Diele hinein. Lange Zeit hörte seine Mutter stumm zu, ohne ein Wort zu erwidern. Entweder war der Anruf interessant für ihre eigene Lebensbelange, oder der Anrufer so wütend, dass es der aufbrausenden Walküre die Sprache verschlug.

„Mein Sohn würde nie-“

Wieder folgte eine lange Gesprächspause. Der Anrufer schrie so laut in den Hörer, dass selbst Arthur am oberen Ende der Treppe einige Gesprächsfetzen aufschnappte: PSYCHOPATH - ANWALT – REKTOR – SCHULVERWEIS. Mutter atmete schwer aus, als hätte ihr ein Fiesling in den Magen geboxt.

„Wird er bleibende Schäden davontragen?

Den Rest des Gesprächs bekam Arthur nicht mit. Sie ging mit dem Telefon in die Küche, und zündete sich eine Zigarette an. Die Küche war der einzige Raum des Hauses, in dem geraucht wurde. Gäste mussten draußen auf die Terrasse, ob es stürmte oder schneite.

*

Er hatte Tom sehr weh getan. Mehr als ein simples Heftpflaster abdecken konnte. Wütend stampfte Irina Faust die Treppe hoch. Der Bengel machte sie noch wahnsinnig! Zeit, dass Viktor ihm Gehorsam einprügelte.

„Toms Mutter hat gerade angerufen. Stimmt es, dass du ihrem Sohn das halbe Ohr weggeschossen hast?“

„Wir haben zusammen gespielt.“

„Ich stelle diesen Proletariern einen Scheck über eintausend Euro aus. So regeln wir das in unseren Kreisen.“

„Was hat Tom gesagt? Hat er mich noch lieb?“

„Ich glaube kaum. Du hast ihn schwer verletzt!“

„Man kann einen Menschen verletzen, und der hat das gern.“

„Wer hat dir denn den Mist beigebracht?“

„Weiß nicht.“

„Du schreibst Tom eine Genesungskarte. Ich helfe dir beim Text.“

„Och menno, muss ich?“

„Ich weiß nicht, warum du dich mit diesen Streunern herumtreibst. Dein Vater ist Architekt.“

„Weil ich gerne Freunde hätte.“

„Du solltest dich mit Kindern von Ärzten oder Ingenieuren abgeben.“

„Trinkt Vater nicht auch mit den Bauarbeitern? Die arbeiten mit ihren Händen.“

„Rede nicht schlecht von ihm. Du stammst von ihm ab.“

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Das hat unsere Lehrerin gesagt.“

„Er hat dir große Fußstapfen ausgelegt. Aber glaube mir, sie laufen sich bequem.“

„Ich möchte nicht trinken. Ich mag keinen Wodka.“

„Musst du auch nicht. Halte dich nur vom Pöbel fern, er tut dir nicht gut.“

Arthur fragte sich, ob Vater auch zum Pöbel gehörte. Und warum sein kleiner Pimmel hart geworden war, als er Tom das Ohrläppchen abgeschossen hatte. Ob Gewalt erblich war. Wie er seinem Vater ähnelte. Man schlug, was man liebte.

*

Menschen stießen ihre Schwänze nicht ab wie Eidechsen, und brandneues Fleisch spross aus der Wunde. Jahre später las Tom die Artikel über seinen ehemaligen Schulkameraden in der Zeitung, und begriff, dass er damals nur knapp mit dem Leben davongekommen war. Sein vernarbtes Ohr erinnerte ihn zeitlebens an den Vorfall in der Grundschule. Sie hatten sich aus den Augen verloren. Tom heiratete eine bildhübsche Frau, die ihn trotz seines verkrüppelten Ohrs liebte. Sie bekamen zusammen zwei gesunde Kinder. Arthur fand neue Männer, aber nie die wahre Liebe.

Kalbsleder

Arthur wuchs zu einem stattlichen jungen Mann heran. Mit seiner Schulbildung hätte er jedes Studium beginnen und erfolgreich abschließen können. Ingenieur werden, Anwalt oder Herzspezialist. Arthur Faust entschied sich für eine traditionelle Lehre als Bauzeichner, wo er die Dinge in Strukturen aus Bleistiftstrichen und Radiergummibröseln zerlegen konnte. Zu diesen toten Dingen gehörten auch Menschen und Gefühle. Vater tobte vor Wut.

„Unser Architekturbüro ist ein Familienunternehmen. Da kann man sich nicht einfach davonstehlen wie ein Fuchs aus dem Hühnerstall.“

„Bauzeichner ist ein artverwandter Beruf.“

„Du hast Federn im Mund. Ich höre dich nicht.“

„Ich trete in deine Fußstapfen, Vater.“

„Würdest du als Architekt. Du hast dich aber für eine Karriere als Kritzelbruder entschieden.“

„Ich kann zum technischen Zeichner aufsatteln. Die verdienen gut in Forschung und Industrie.“

„Elendiger Narr! Deutschland ist kein Wirtschaftsstandort. Willst du auswandern?“

„Wenn du mich weiter so anbrüllst, ja.“

Viktor wandte ihm den massiven Rücken zu, und nahm einen großen Schluck aus der Kaffeekanne. Das braune Lebenselixier weckte seinen Kampfgeist. Sein Magengeschwür brannte wie ein glühendes Kohlenstück. In der Sakkotasche steckte eine Packung Pantoprazol Forte. Viktor Faust lag bei der amtlichen Höchstdosis von einhundertzwanzig Milligramm am Tag. Und selbst die wirkten nicht mehr. Die Hand am Löffel zitterte, als er umrührte.

„Glaubst du wirklich, dass Kaffee eine gute Idee ist?“

„Stelle mir keine Diagnosen, und ich erteile dir keine Ratschläge.“

„Bullshit. Du erteilst mir trotzdem Ratschläge. Weil du es nicht ertragen kannst, dass ich ein anderes Leben einschlage als du für mich wolltest.“

„Du solltest eine gute Frau finden und heiraten.“

„Lieber finde ich einen schlechten Mann. Der bläst besser.“

„Du weißt, dass ich deinen Lebenswandel nicht akzeptieren kann.“

„Weil es die Langbärte aus der Kanzel pfeifen.“

„Gott will es nicht. Sein Sohn will es nicht. Selbst Maria Magdalena war eine bessere Dirne als all die Hinterlader heutzutage.“

Arthur verschränkte die Arme vor seinem Brustkorb, und schob die Schmolllippen vor.

„Du bist zu alt, um dich zu ändern.“

„Und du zu jung um zu wissen, was gut für dich ist.“

Der Junge würde Einsicht zeigen. Sein Büro übernehmen. Lüsterne Herrenkontakte ablegen wie eine schlechte Angewohnheit, und den Stammbaum pflegen. Heiße Wolframdrähte brannten in Viktors Bauch. Die wenigen Schritte zum Schreibtisch fielen ihm schwer.

„Vater?“

„Nur der Magen.“

„Du arbeitetest zu viel.“

„Und du zu wenig.“

Wieder krümmte er sich unter Schmerzen. Dabei wollte er keine Schwäche zeigen vor dem Jungen. Was sollte der Schwächling sonst von ihm denken oder lernen?

„Tee würde dir besser tun. Wo hast du den Samowar versteckt?“

„Im Schrank, neben den Aktenordnern vom Grundbuchamt.“

Arthur zog eine Braue hoch, was ihm im Licht des schwindenden Nachmittags das Gesicht eines Querschnittsgelähmten gab.