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Thomas Reich

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Beschreibung

++ Kunst ++ Schmerzen ++ Fotzenblut ++ Daniel Berger ist bildschaffender Künstler. Am Liebsten taucht er seinen Pinsel in rote Farbe. An allen übrigen Tagen des Monats bringt er das Loch mit Gewalt zum Bluten. Seine Kindheit prägt der eiserne Verwesungsgestank eines Fischkadavers. Mutter vertritt die Lehren freier Menstruation. Wo sie geht und steht, sickert der eisenhaltige Saft in die Fliesen, und färbt den Mörtel rot. Als Mutters heiliger Schenkelbrunnen versiegt, greift er zum Äußersten. GEBURT EINER BESTIE Berger zog sich aus, Schamgefühle waren ihm fremd. Dass sein bester Freund ihn nackt sah, oder das spätere Publikum dieser speziellen Footage. Langsam stieg er in die Brühe, wie ein Crouton oder eine Sahnehaube. Das Blut war eiskalt. Daniels Nippel wurden hart, seine Hoden zogen sich zusammen. Er brachte seine Genitalien für die Kamera optimal in Positur. Vom Wohnzimmer wehte leichter Wind, das offene Fenster ging zum Hof. Wo Katzen sich um Fischreste balgten, und eilige Paare zwischen den Mülltonnen vögelten. Daniel schöpfte den Lebenssaft mit beiden Händen, und ließ ihn über seiner Glatze rinnen. Mit geschlossenen Augen dachte er an noch zu schaffende Kunstwerke. Wie faulen Fisch konnte Berger das Blut an seinen Händen riechen. Langsam schwollen seine Eier wieder zu normaler Größe. Auch sein Schwanz erholte sich vom Temperatursturz. Halbsteif ragte er aus einem Büschel blutverschmierter Schamhaare. Der ganze Akt hatte etwas von archaischer Barbarei. Schlagartig öffnete er die Augen, finstere Fenster zur Seele. Daniel verschwand, ein völlig Fremder saß blutverschmiert in der Badewanne. Dann sperrte das Ding sein Maul auf zum Schrei. "Ich war ein Ei, ich war ein Samen!" Engelmacher wohnte einer besonderen Geburt bei, wohl der sonderbarsten seiner ganzen Karriere. Im Schweiße seines eigenen Angesichts wurde Daniel wiedergeboren. In der Wanne tobte ein wildes Tier ums Existenzrecht. Sprang auf in einer Blutfontäne, dass Engelmacher fast die Kamera fallenließ. Was hatte Berger ihm eingebläut? Draufhalten, egal was passiert. "Mich drängt's zur Welt hinaus!" Rote Fußabdrücke auf studentischem Linoleum, Griffspuren von Gewaltopfern am Türrahmen. Mühsam hielt Engelmacher Schritt, das Kamerabild wackelte. Den offenstehenden Mündern seiner Mitbewohner nach zu urteilen, hatte Daniel sie nicht eingeweiht. Manuela saß über Vorlesungsnotizen, und versuchte die Quintessenz aus Dr. Rothemunds Vortrag über das Sozialverhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit zu destillieren. Dorian kratzte Eisenoxyd von einem Stein. Die Geschlechtskrankheiten der Geologie. Was einen erwartete der sich an Gneisadern rieb, als wären's die linke und rechte Schamlippe der Erdgeschichte. "Nicht weiter beachten, das ist Kunst." "Der springt aus dem Fenster!"

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Thomas Reich

Hämophil

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Hämophil

 

 

 

Hämophil

 

 

 

 

 

Thomas Reich

 

Text 2018 © von Thomas Reich

Coverphoto © Daniel Berger vom Tegernsee

 

Impressum: Thomas Reich

Bachenstr. 14

78054 Villingen-Schwenningen

Über das Buch:

 

++ Kunst ++ Schmerzen ++ Fotzenblut ++

 

Daniel Berger ist bildschaffender Künstler. Am Liebsten taucht er seinen Pinsel in rote Farbe. An allen übrigen Tagen des Monats bringt er das Loch mit Gewalt zum Bluten. Seine Kindheit prägt der eiserne Verwesungsgestank eines Fischkadavers. Mutter vertritt die Lehren freier Menstruation. Wo sie geht und steht, sickert der eisenhaltige Saft in die Fliesen, und färbt den Mörtel rot. Als Mutters heiliger Schenkelbrunnen versiegt, greift er zum Äußersten.

Naturfarben

Das Eichhörnchen war auf links gewendet wie ein Handschuh mit Sehnen und Fell, das Profil passte zu einem Geländewagen. Von der Struktur des Tiers war nichts mehr zu erkennen, seine Gedärme eine blutige Schnur unregelmäßiger Irrungen, Magen und Darm im finalen Todeskampf ausgeschissen. Wie ein Wurmfortsatz klebten die Innereien am Asphalt, trockneten in Bitumen und Teer. Daniel trat hinzu, unschuldig wie Kinder eben sind. Stocherte mit einem Stock in Eingeweiden, oder was einmal das Arschloch war. Blut trat aus und Flüssigkeiten, die allesamt unangenehm rochen. Mühelos glitt das Stöckchen zwischen die Backen.

„Hallo, mein pelziger Freund.“

Die Rosette mochte den Stock nicht halten. Mit der Spitze tunkte er das Blut, und malte auf Asphalt: Das Gras eine gestrichelte Linie. Die Sonne ein Kugelrund am Horizont, mit konzentrisch angeordneten Strahlen. Vater, Mutter, Kind. Mit kurzen gedrungenen Körpern, die Gliedmaßen überdehnt auf einer mittelalterlichen Streckbank. Wie ein Kind seine Familie malen würde, ohne Ahnung von Geometrie und Relation. Irgendwann wurde der Nachbar aufmerksam, in dessen Einfahrt das Eichhörnchen sein Leben ließ. Als dreidimensionale Kreatur springst du von Baum zu Baum, als pelziger Fleck endest du zwischen Kies und Schotter. Wolfgang Buchner schützte sein Eigentum vor dem Zugriff streunender Kinder. Der rüstige Frührentner konnte Kinder auf den Tod nicht ausstehen. Sie störten seinen sensiblen Schlaf, und verwüsteten seine Beete. Mit dem Laubrechen in der Hand trat er an Daniel heran. Buchner trug einen geflochtenen Strohhut mit Krempe gegen die Mittagshitze.

„Was machst du?“

Die Schließen der Latzhose drückten unangenehm gegen Daniels Brustwarzen. Oder angenehm, ließ er die prickelnden Gefühle endlich zu. Gott wohnt in seinem heiligen Garten.

„Ich tunke meinen Pinsel.“

„Du begreifst schon, dass das Vieh mal gelebt hat?“

„Jetzt ist es meine Farbe.“

„Man spielt nicht mit Blut.“

„Ich wollte Mama eine Freude machen.“

Ein Kind muss lernen, was falsch ist und was recht. Man leitet es von Irrwegen auf sichere Bahnen. Welchen Ratschlag gibt man dem Jungen, der ein blutiges Stillleben auf die Straße malt?

„Es gibt so viele Wege, eine Mutter glücklich zu machen.“

„Schau, die Sonne ist rot.“

„Jetzt reicht es aber!“

Daniels zartes Ohrläppchen riss ein ob der rüden Behandlung. Buchner schleifte ihn ins Elternhaus. Das Kind verdiente eine Standpauke. Warum man nicht mit toten Tieren spielt. Oder mit deren Blut malt. Zum ersten Mal in seinem zarten Leben begriff Daniel Kunst. Auf Verständnis brauchte er kaum hoffen.

Mutterkuchen

Blutgeruch prägte Daniel Bergers Kindheit vom ersten Moment. Bei der Geburt wog er stolze sechs Pfund, und brach seiner armen Mutter den dürftigen Rahmen entzwei. Ausgerissene Schamhaare säumten sein Gesicht wie pubertärer Bartwuchs. Im harten Licht der Operationslichter schrie er seinen starken Willen in die Welt, wie er die Nächte unter Alpträumen durchkreischen würde, und seine jungen Eltern in den Wahnsinn treiben. Der diensthabende Arzt schloss die Wunde, und nähte sie auf Wunsch des Ehemanns enger. Linda Berger dämmerte unter starken Medikamenten. Niemals hätte sie vaginaler Werkseinstellung zugestimmt. Lindas Schnittmuster blieb ein sorgsam gehütetes Geheimnis zwischen Arzt und Ehemann, auch die Höhe des Trinkgeld für erbrachte Sonderleistungen. Nach neun sexlosen Monaten bestimmte der Hausherr über die Höhle. Linda schiss ihre Nachgeburt aus wie Kork aus einer Rotweinflasche, wütend glitzerte der Rubin. Daniel wurde aus dem härtesten Material geschmiedet, Platz für Emotionen blieb nicht. Später würden ihm menschliche Regungen fern bleiben.

*

Dieters schlaffen Händen entglitt die Kamera. Das Blutloch seiner Frau und der menschliche Auswurf namens Sohn überforderten seinen schwachen Magen. Stoisch filmte er den ausgefransten Geburtskanal, blickte starr zur Decke. Mit Übelkeit hatte alles angefangen, sein kleines Weibchen spuckte das Frühstück zielsicher in die Toilette. Übermächtige Gerüche erledigten ihn: Fruchtwasser, Schweiß und Desinfektionsmittel. Auf Bohnern folgte Bohnerwachs.

„Schwester, haben wir noch Blutkonserven?“

„Zwei Kühlschränke voll.“

„Dann hängen Sie einen Beutel an den Ständer, sonst verlieren wir sie.“

Doktor Sticklers durchsichtige Handschuhe färbten sich tiefrot. Selten hatte er so eine Schweinerei erlebt. Und der kleine Daniel war bestimmt nicht das erste Balg, was er aus einer Scheide zog. Sticklers Finger kannten weder körperliche Arbeit noch Schwielen. Ärzte mochten Handwerker menschlichen Gewebes sein, Bildhauer organischen Materials, Gärtner abgestorbener Gewebe mit der Amputationsschere im Gepäck. Für schwere Arbeiten jedoch gab es Schwestern und Bindenträger, wie die Hochzeitsschleppe einer entehrten Frau. Sticklers Gesicht war die Flickenpuppe eines anderen Arztes. Frankensteins Kreatur, die Wangen bis hinter die Ohren gestrafft. Sticklers Lippen strahlten eine obszöne Sinnlichkeit aus, die so gar nicht zu seinem Alter passen mochte. Dem sehnigen Krähenhals mit Leberflecken. Schildkröten lebten hundert Jahre oder mehr. Stickler verlängerte sein Leben mit Vitaminpräparaten und Omega-3-Fischöl skandinavischer Lachse.

„Ich brauche dringend einen Sauger.“

Zwischen Lindas gespreizten Schenkeln ragte Daniels haarloses Köpfchen. Der Säugling wirkte unbekümmert wie der seelenlose Lehmklotz eines Bildhauers. Das Leben formte einen Charakter. Liebevolle Eltern drängten ihn in eine gewisse Richtung. Dieser Bastard war dazu bestimmt, kaum definierbare Kunst an Leinwände zu schmieren.

„Wie geht es dem Vater?“

„Ist nach Erweiterung Nullacht des Muttermunds ohnmächtig geworden.“

„Jedes Mal das Gleiche. Wollen den harten Mann markieren, und klappen vor dem Finale zusammen.“

„Schulterstand, der Kleine kommt.“

„Medikamente der Mutter?“

„Wollte eine natürliche Geburt.“

„Und jetzt?“

„Sediert bis in ferne Sphären.“

Daniel Berger ragte wie ein grausiger Frosch aus Mutters Bluttümpel. Näher würde er ihr nie mehr kommen. Bis er ihre rote Phase zu seiner machte. Nackt hing der Arsch in steriler Luft, Beinchen strampelten.

„Ich ziehe ihn raus.“

„Ohrfeigt jemand den werdenden Vater?“

*

Der Junge wurde direkt getauft. Blutverschmiert legte man ihn seiner Mutter an die Brust. Bei der Entbindung nahm sein kleines Köpfchen Schaden. Wie Ehrenmale trug Daniel die Spuren der Geburtszange am kahlen Schädel, die Ursache seiner Schmisse würde er vergessen. Rückblickend tippte er auf Raufereien im Sandkasten, Schippe über die Rübe gezogen und Lippe auf der Rutsche aufgeplatzt. Daniels Mutter versuchte zu vergessen. Wie knapp es gestanden hatte zwischen Leben und Tod. Zärtlich streichelte sie Daniels kantiges Kinn, welches an einen Klappspaten erinnerte. Die harte Wülste, auf denen Augenbrauen wachsen würden. Von den Torturen der Geburt waren seine Augen halb geschlossen.

„Als hätte ein Bildhauer sein Gesicht aus einem Block gestemmt.“

Bekleidet mit weißer Haube und gestärktem Schurz nestelte eine Krankenschwester am Gangwagen, allerlei nützliches Zeug im Bauchladen eines Hausierers. Windeln, Feuchttücher und Talkumpuder. Alles für das Neugeborene. Ihr Gesicht wirkte verhärmt, wer weiß wie lange sie auf den Beinen war. Das Namensschild wies sie als Schwester Bertha aus. Eine goldene Bifokalbrille vergrößerte ihre müden Augen. Die vollkommen ausgetrocknete Haut hätte gut einen Klecks Penatencreme vertragen.

„Nur eine Mutter kann dieses Gesicht lieben.“

Linda Berger glaubte kaum ihren eigenen Ohren zu trauen.

„Schwester Bertha!“

„Wenn ich mir ihren Kleinen ansehe, läuft es mir kalt den Rücken runter. Und ich habe schon hunderte Babys gesehen. Waren nicht immer Schönheiten dabei, aber der Elefantenmensch ist mir nie untergekommen.“

„Mein Kind ist schön.“

„Es hat den verschlagenen Blick eines Berufsverbrechers. “

Niemand demütigte ihren Sohn. Linda verteidigte ihn mit den Wortklauen eines Adlers. Trotz der Schmerzen richtete sie sich auf.

„Was fällt ihnen ein?“

Niemand antwortete, Linda Berger sprach allein ins Mutterzimmer. Die Krankenschwester war ein Gespinst aus Morphium und Lochstillern. Zur Geburt hatte man ihr intravenös Substanzen verabreicht, die alles unterhalb vom Bauchnabel in einen frigiden Eisklotz verwandelten. Nun pochten ihre fraulichen Eingeweide vor Schmerz. Sie dachte an ihren einzigen Sohn, und schloss die Flügel um ihn wie eine Rabenmutter so schwarz. Es war ihr Kind. Nichts an ihm war falsch. Sie presste ihn gegen ihre Schulter wie eine Wärmflasche gegen Rheumaschmerzen, doch Daniel blieb kalt und gefühllos. Er würde aufwachsen und lernen. Herzlichkeit, Menschlichkeit.

„Du kannst alles werden, wenn du einmal groß bist.“

Ein Künstler brauchte kein Herz, um bleibende Werte zu hinterlassen. Nur Begeisterung für den Werkstoff. Daniels Werkstoff sollten Frauen werden und deren Blut.

*

Monatelang quälte Dieter Berger Väterchen Faust. Von ihrer anschmiegsamen Fotze blieb eine verwüstete Kraterlandschaft mit Dehnungsstreifen auf den Hüften. Er liebte seine Frau mit jedem Knoten der blanken Leinwand. Wunden verheilten, Linda Berger ließ ihren Mann großzügig gewähren. Dankbar erkundete er die leere Höhle, aus der sein Sohn gekrochen. Sehnsüchtig erinnerte Dieter sich an ihre phänomenale Enge. Und das Wunder mit dem Bären, welches der Arzt geschaffen hatte. Am intakten Rahmen aus Schamhaaren wartete der Pinsel, sein Kunstwerk zu vollenden. Er fickte sie tief, schob ihr die Zunge in den Hals. Im Wohnzimmer brüllte der Säugling in seinem Bettchen. Erst der Vater, dann der Sohn. Jeder kam einmal dran. Dieter verspritzte seine Sahne. Dann rückte Linda ihre Brüste in Position, um Milch zu geben.

*

Familie Bergers braves Reihenhaus lag in ruhiger Siedlung am Tegernsee. Die Parzellen glichen einander bis aufs im Garten verstreute Kinderspielzeug. Bayrische Häkelgardinen zierten die Küchenfenster, das Wohnzimmer wurde in schwerem Samt ausgeschlagen, und mit halbdurchsichtigen Stores unkenntlich gemacht. Was hätte es dahinter zu verbergen gegeben? Pokale vom Schützenverein? Sorgsam arrangierte Familienfotos auf dem Kaminsims? Zur Straße hin parkten die Familienkarossen, wurden samstags mit dem Lappen gewaschen und auf Hochglanz poliert. Man erwartete keinen unkonventionellen Geist. Man erwartete, dass man sich fügte. Dieter Berger arbeitete als Malermeister in einem örtlichen Handwerksbetrieb, und kam oft erst gegen sechs zum Abendbrot nach Hause. Der Dreck unter seinen Fingernägeln füllte ganze Farbkübel. Er stieß im gerippten Unterhemd an die Tafel, und stank durchdringend nach Schweiß, der kleine Hut aus Zeitungspapier vom Kettenrauchen vergilbt.

„Was gibt es heute zum Essen?“

„Hackbraten mit Erbsen und Möhren aus der Dose.“

„Nudeln?“

„Knödel.“

Linda saß nackt am Tisch, dünnflüssiges Blut sammelte sich auf der Sitzfläche des Küchenstuhls, rann ihre Beine hinab. Sie folgte der Lehre freier Menstruation. Wo Linda stand und ging, ließ sie der Natur ihren Lauf. Das Haus war von der ersten bis zur letzten Ebene gefliest. Dieter hatte die Arbeiten selbst ausgeführt, um Geld zu sparen. Nun war er froh, sich bewusst gegen Teppichboden entschieden zu haben. Lindas Blut färbte die Fugen rosa. Es plätscherte den Treppenlauf hinab, und gurgelte als munterer Bach bis zum Keller. Egal wie oft man die Scheiben aufsperrte zum Lüften, ihr gemeinsames Haus roch wie ein ungeschuppter Fischkadaver. Gottseidank verbrachte er viel Zeit auf Arbeit. Sein Sohn litt darunter. Im Kindergarten malte Daniel mit dem Blut seiner Mutter peinliche Bilder, die Elternabende zur Eskalation trieben. Klappte sie zusammen und ergötzte sich an den Mustern. Es war ungesund, und handelte ihnen lange Gespräche mit dem Kinderpsychologen ein. Dieter liebte den mineralischen Geschmack seiner Frau. Ihm stießen die Nebenwirkungen auf. Wie das Haus aussah. Oft führte ihr Zyklus zum Streit.

„Du hast deine Tage?“

„Ich wische auf.“

„Man sieht die Spuren, wo du gelaufen bist.“

„Die reinste Natur.“

„Man könnte Tampons verwenden.“

Linda lachte abfällig und tunkte einen Brocken Fleisch in braune Sauce. Der falsche Hase war mit Tomaten und Speck gefüllt. Pikste man hinein, blutete er aus dem Arsch.

„Genauso gut könnte man Korken auf Weinflaschen stecken. Den roten Saft einkeltern und auf einen guten Jahrgang hoffen.“

„Oder Monatsbinden.“

Im Flut trockneten die Fußabdrücke. Eigentlich könnten wir uns einen Hund zulegen, dachte Dieter. Der würde die Spuren auflecken. Das Haus der Familie Berger sah aus wie ein Tatort.

Batikfotzen

Ab Beginn der Pubertät konnten Daniels Erfahrungen nicht mit seinem künstlerischen Anspruch Schritt halten. Kinder malten lachende Sonnen und Menschen mit riesigen Händen. Ihre heile kleine Welt glich einem Comicstrip. Arbeiteten sie mit Blut, fehlten das Gelb der Sonne und das Blau des Himmels. Körperwarme Rottöne verblassten bräunlich, und bröselten mit unangenehmem Geruch vom Blatt. Die alljährliche Projektwoche stand an, der Klassenbeste im Kunstunterricht schrieb sich für Batik ein. Angeregt studierte Berger die Ausschreibung am schwarzen Brett:

[C13 Stoffmalerei]

Du kleckerst gern mit Farben? Bist kreativ? Dann ist Batikmalerei genau dein Ding! Spiele kreativ mit Formen und Mustern, und tauche ein in eine völlig neue Welt.

Bitte selbst mitbringen: Stofffarben, Fixiersalz, Malerkittel

Daniel klopfte sich an die Stirn. Fixiersalz! Dass er nicht früher darauf gekommen war! Schluss mit braunen Schlieren, her mit leuchtendem Rot! Süße Erkenntnis durchflutete ihn wie Sonnenstrahlen eine staubige Scheibe im Morgenrot zur ersten Stunde. Schüler gingen vorbei, und schüttelten den Kopf. Berger führte einen Freudentanz auf, wie man ihn von primitiven Kulturen kannte. Dazu stieß er tief aus seiner Kinderkehle gutturale Laute aus, die an grunzende Eber im Wald gemahnten.

*

Vor die Kunst hatte der Teufel die Materialbeschaffung gesetzt. Daniel brachte einen Flyer nach Hause. Mutter gab ihm Geld mit, dass er alle benötigten Hilfsmittel kaufen könne: Weiße T-Shirts von Outdoor-Meißner im 10er Pack, Fixiersalz und Stofffarbe bei Rossmann. Daniel füllte den Rucksack mit seinen Einkäufen. Nur im Drogeriemarkt zögerte er vor dem Regal. Ihm widerstrebte der ganze Chemiebaukasten im Kleingedruckten auf der Rückseite. Seine Eltern hatten ihn zu Natürlichkeit erzogen. Zu Kernseife gegen schlechte Gerüche und der Stallbürste für eine Frisur. Bis zur Periodentasse zum Tee, und abgestorbenen Eizellen als Futter für Aquarienfische. Der Ausfluss auf den Stiegen. Die tiefroten Lachen im Wohnzimmer. Wenn die Sonne günstig fiel, spiegelte sich die Wohnwand darin. Das Flimmern der Fernsehkiste. Die Bücherrücken trivialer Unterhaltungsliteratur. Bauhaus und Farbenlehre von Vater. Rosamunde Pilcher und Klangschalen von Mutter. Man kaufte sein Gemüse saisonal beim Bauern. Man strickte Schals und Mützen selbst. Im Hintergarten wuchsen Küchenkräuter, Zwiebeln und Kohl. Alles, was man sich ganzjährig selbst zutraute. Familie Berger lebte am Tegernsee in freier Natur. Lass es laufen, lass es raus. Daniel ignorierte die Farben im Regal. Mit klopfendem Herzen ging er Mutter fragen. Diese saß auf dem abwaschbaren Kunstledersofa, und füllte ihren Fruchtbarkeitskalender aus wie ein Kreuzworträtsel.

*

Wortlos setzte er sich in Vaters gemütlichen Fernsehsessel. Nahm sie ihn überhaupt wahr? Daniel las in seiner Mutter wie in einem gebrauchten Tampon. Manche Informationen taugten einen feuchten Dreck. Ob sie empfängnisbereit war, oder ihr Venushügel schwieg wie eine schwärende Wunde. Menschen waren nicht sein Ding. Feinfühligkeit, Emotionen. Diese Verkrüppelung erstreckte sich bis in die eigene Familie. Daniel beobachtete seine Mutter. Pflanzte einen Gedanken in ihren Kopf. Sieh mich an. Beachte mich. Gehorche mir.

„Liebling, was ist denn?“

„Sie hatten nicht die gewünschte Farbe.“

„Das ist aber schade.“

„Ich brauche dein Monatsblut, und zwar richtig viel.“

Entrüstet warf sie ihre Eisprungtabelle zur Seite. Was bildete der Bengel sich eigentlich ein?

„Kuck dass 'd weiter kimmst, du Drecklump!“

„Mama, ich habe mit deinem Blut bereits im Kindergarten gemalt.“

„Da hast du dir ein Tässchen brav eingeteilt. Aber Batikshirts? Ich fülle doch keinen Kübel!“

„Bitte... es ist für ein Projekt.“

„Na schön. Weil du mein Sohn bist, und ich an deine Kunst glaube.“

Daniel ging den Eimer holen. Ab jetzt sickerte nichts mehr ins Parkett. Im Keller fand er bockelharte Eisakkus vom letzten Campingurlaub in der Gefriertruhe. Er musste ihr Blut frisch halten. Für den Transport füllte er es in eine Thermoskanne mit Gummistopfen. Als hätte Mutter ihm eine Kanne Tee aufgebrüht zum Pausenvesper. Wilde Kirsche mit ganzen Früchten, sämig und voller Eisen. Vor Gier hätte er sie fast getrunken. Vielleicht erwartete er zu viel von Linda. Bei aller Mutterliebe war kein Eimer voll zu melken aus ihren Eingeweiden. Im menschlichen Körper zirkulieren vier bis fünf Liter Blut. Die werden auch dringend gebraucht, um die Maschine am Laufen zu halten. Zwischen den Beinen tröpfelte ein dünnes Rinnsal als Pinselreiniger. Bergers Thermoskanne fasste ganze siebenhundert Milliliter. Mutter wirkte blass und zitterte. Der Mensch gab, die Kunst nahm es dankbar an.

*