Das Kind  von Schloss Erlenberg - Gisela Heimburg - E-Book

Das Kind von Schloss Erlenberg E-Book

Gisela Heimburg

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. Unbarmherzig, als wolle sie die Menschen strafen, brannte die Sonne vom Himmel. Palmblätter wiegten sich müde im heißen Wind. Alles Leben schien in der Tropenglut zu versinken. Doch der Hafen von Singapur pulsierte geschäftig. Schiffe wurden be- und entladen. Kräne schwenkten in beängstigendem Tempo. Chinesische Hafenarbeiter schrien sich Kommandos zu, die wie schrille, fremdartige Vogelrufe durch die Luft schwirrten. Am Kai stand ein blondes Mädchen, das mit sehnsüchtigen Augen über das Wasser blickte – hin zu fernen, unsichtbaren Horizonten, zu einem Land, in dem kühler Regen rauschte, Bäche durch schattige Wälder murmelten, Kühe auf saftigen Weiden friedlich grasten. Plötzlich schimmerten Tränen in Uschi Klingers nixengrünen Augen. Sie nestelte fahrig an ihrer Umhängetasche, zog einen zerknitterten Brief hervor und las ihn wohl zum hundertsten Male. Liebe Uschi, ich muß Dir leider mitteilen, daß aus unserem gemeinsamen Urlaub nichts wird. Ich will Dir gleich reinen Wein einschenken, wie man sagt. Die lange Trennung hat uns doch ziemlich entfremdet, nicht wahr? Das mußt Du genauso empfinden. Ich habe nun in der Firma ein Mädchen kennengelernt, das ich bald heiraten möchte. Du wirst sicher verstehen, daß wir uns deshalb auch nicht mehr schreiben dürfen. Sabine ist nämlich ziemlich eifersüchtig! Ich wünsche Dir für Dein weiteres Leben alles Gute und verbleibe mit herzlichen Grüßen – Dein Sebastian. Kraftlos ließ Uschi die Hand sinken und stopfte den Brief wieder in die Tasche. Noch immer konnte sie nicht fassen, daß alles aus sein sollte.

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Fürstenkinder – 75 –

Das Kind von Schloss Erlenberg

Wiebchen ist in Gefahr!

Gisela Heimburg

Unbarmherzig, als wolle sie die Menschen strafen, brannte die Sonne vom Himmel. Palmblätter wiegten sich müde im heißen Wind. Alles Leben schien in der Tropenglut zu versinken. Doch der Hafen von Singapur pulsierte geschäftig. Schiffe wurden be- und entladen. Kräne schwenkten in beängstigendem Tempo. Chinesische Hafenarbeiter schrien sich Kommandos zu, die wie schrille, fremdartige Vogelrufe durch die Luft schwirrten.

Am Kai stand ein blondes Mädchen, das mit sehnsüchtigen Augen über das Wasser blickte – hin zu fernen, unsichtbaren Horizonten, zu einem Land, in dem kühler Regen rauschte, Bäche durch schattige Wälder murmelten, Kühe auf saftigen Weiden friedlich grasten.

Plötzlich schimmerten Tränen in Uschi Klingers nixengrünen Augen. Sie nestelte fahrig an ihrer Umhängetasche, zog einen zerknitterten Brief hervor und las ihn wohl zum hundertsten Male.

Liebe Uschi, ich muß Dir leider mitteilen, daß aus unserem gemeinsamen Urlaub nichts wird. Ich will Dir gleich reinen Wein einschenken, wie man sagt. Die lange Trennung hat uns doch ziemlich entfremdet, nicht wahr? Das mußt Du genauso empfinden. Ich habe nun in der Firma ein Mädchen kennengelernt, das ich bald heiraten möchte. Du wirst sicher verstehen, daß wir uns deshalb auch nicht mehr schreiben dürfen. Sabine ist nämlich ziemlich eifersüchtig!

Ich wünsche Dir für Dein weiteres Leben alles Gute und verbleibe mit herzlichen Grüßen – Dein Sebastian.

Kraftlos ließ Uschi die Hand sinken und stopfte den Brief wieder in die Tasche. Noch immer konnte sie nicht fassen, daß alles aus sein sollte. Wie hatte sie sich auf das Wiedersehen mit Sebastian gefreut! In unzähligen Tagträumen hatte sie sich ausgemalt, wie sie einander überglücklich in die Arme stürzen würden, liebevoller als je zuvor, durch die Trennung gereift, mit Sehnsucht im Herzen und einem heißen Treueversprechen auf den Lippen.

Uschis Herz war schwer wie ein Stein, und es schlug so mühsam, als wolle es den Kampf gegen ein trostloses Leben am liebsten aufgeben. Die leeren Wochen, die vor ihr lagen, erfüllten sie mit Grauen.

Mechanisch setzte Uschi Fuß vor Fuß. Hier im Hafen kannte sie sich gut aus. Sie gelangte in jenen Teil, in dem die eleganten Hochseejachten ankerten. Plötzlich zuckte sie zusammen, denn sie hörte vertraute deutsche Laute.

»Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du hier nicht baden darfst, Wiebchen!« rief eine junge Frauenstimme. »Wirst du wohl endlich vernünftig sein!«

»Es ist so langweilig, Mami«, quengelte ein Kind.

»Heute abend spielen wir Mensch-ärgere-dich-nicht«, versprach ein sympathischer männlicher Baß.

Im Gewimmel der Boote entdeckte Uschi ein schnittiges Schiff, an dessen Bug der Name SEEMÖWE prangte. An Deck waren eine blonde Frau, ein braunhaariger Mann mit bloßem Oberkörper und ein kleines Mädchen, das lustlos auf einer Taurolle hockte und das Kinn trotzig auf das geballte Fäustchen stemmte. Alle drei waren schokoladenbraun gebrannt.

»Hallo!« rief Uschi unwillkürlich und winkte. »Hallo, Landsleute! Einen schönen guten Tag!«

Freudig und lautstark wurde diese Begrüßung erwidert. »Kommen Sie doch an Bord, wenn Sie ein bißchen Zeit haben!« rief der Mann und wies auf den Laufsteg. »Wie wär’s mit einem kühlen Bierchen?«

»Oh, da sage ich nicht nein!« Uschi war froh, von ihren endlosen quälenden Grübeleien abgelenkt zu werden. Behende balancierte sie über den schwankenden Steg. Die junge Frau kam ihr strahlend entgegen. Ihr helles Haar war von der Sonne gebleicht, und um ihre fröhlichen Augen hatten sich viele kleine Fältchen gegraben, obwohl sie nicht viel älter als dreißig Jahre sein konnte, fünf Jahre älter als Uschi selbst.

»Herzlich willkommen an Bord! Ich bin Petra Bergmann.«

»Ich heiße Uschi Klinger«, stellte sie sich vor und sah sich interessiert um. An Deck herrschte peinliche Ordnung und Sauberkeit.

Der hünenhafte, muskulöse Mann näherte sich mit wiegendem Seemannsgang und schüttelte der Besucherin ebenfalls erfreut die Hand.

»Das ist Markus, mein Mann«, stellte Petra Bergmann eifrig vor. »Und das kleine Fräulein, das sich am liebsten unsichtbar machen möchte, ist unsere Tochter Wiebchen. Komm, Wiebchen, sei nicht albern. Sie ist ein bißchen menschenscheu geworden, müssen Sie wissen, Uschi. Sie haben doch nichts dagegen, daß ich Sie Uschi nenne? Förmlichkeiten sind uns in den drei Jahre auf schwankenden Planken allmählich abhanden gekommen.«

»Drei Jahre sind Sie schon unterwegs?« staunte Uschi. »Sie segeln also um die Welt?«

»Ja, allerdings mit allen möglichen Abstechern kreuz und quer. Mein Mann warf vor drei Jahren seinen Job als Industriekaufmann einfach hin und stellte mich vor die Alternative, ein paar Jahre als ›grüne Witwe‹ zu vertrauern, oder ihn zu begleiten. Na, ich mußte nicht lange nachdenken! Manchmal ist es ja ein bißchen eng auf unserem Schiffchen, aber bereut habe ich meinen Entschluß noch nie.«

Stolz legte Markus Bergmann den Arm um seine Frau. »Mir graut schon vor dem Tag, an dem wir die Heimreise antreten müssen. Das Geld reicht nicht ewig, und das Kind…« Er stockte.

»Ihre Tochter muß sicher bald zur Schule«, vermutete Uschi. »Wie alt ist sie denn?«

»Sieben«, antwortete Petra rasch. »Ich unterrichte sie vorläufig selbst. Sie kann schon recht gut lesen. Aber auf die Dauer ist das natürlich kein Zustand. Nun, wir werden sehen. Vorerst denken wir jedenfalls nicht an die Heimreise, soviel steht fest.«

»Ich hole das Bier.« Markus verschwand gebeugt in der Kajüte.

»Wiebchen, komm, gib der Tante die Hand!« rief Petra.

Das kleinen Mädchen, das sich scheu hinter die Aufbauten gekauert hatte, spähte vorsichtig um die Ecke. Es hatte schwarzbraune Locken und ein süßes Gesichtchen mit großen dunklen Augen.

Impulsiv eilte Uschi zu dem Kind, sank in die Hocke und begann mit einem gewinnenden Lächeln. »Ich bin die Uschi. Und du heißt Wiebchen, wie ich hörte. Das ist aber ein schöner und seltener Name. Ich habe ihn noch nie gehört.«

»Eigentlich heißt sie Wiebke«, ließ die Mutter des kleinen Mädchens sich vernehmen. »Aber wir nennen sie immer Wiebchen, und der Name paßt zu ihr, denn sie ist ein richtiges eitles kleines Weibchen – das bedeutet ihr Name nämlich auf Plattdeutsch. Sie ist die einzige bei uns an Bord, die sich abends zum Essen umzieht, um mit ihrem hübschen Kleidchen anzugeben. Können Sie sich so etwas vorstellen, Uschi?«

Sie nickte ernsthaft. »O ja. Das würde ich an Wiebchens Stelle auch tun.«

Petra Bergmann lachte amüsiert, die Augen des Kindes aber leuchteten auf. Zutraulich legte es die braunen Fingerchen in Uschis werbend ausgestreckte Hand. Schon in diesen ersten Sekunden spann sich zwischen ihnen ein Band des Vertrauens, das nie wieder zerreißen sollte.

Der Schiffseigner erschien mit drei Bierdosen.

»Wenn Sie es sich hier bitte im Liegestuhl bequem machen möchten, Uschi?« sagte er und ließ sich auf eine Werkzeugkiste sinken.

Uschi nahm Platz und stellte erfreut fest, daß Wiebchen an ihrer Seite blieb, sich an ihre Beine schmiegte und sie so freundlich und sehnsüchtig ansah, als sei sie eine liebe Freundin der Familie allgemein und des kleinen Mädchens im besonderen.

»Und welcher Wind hat Sie nach Singapur verschlagen, Uschi?« setzte Petra neugierig das Gespräch fort. »Sind Sie mit einer Reisegesellschaft unterwegs?«

»Nein, ich bin beruflich für meine Firma hier, eine Hamburger Im- und Export-Gesellschaft.«

»Hoppla! Wie eine Geschäftsfrau sehen Sie nun aber wirklich nicht aus!« lachte Markus. »Eher wie ein blondmähniges Fotomodell, das an den herrlichen Südseestränden für Reiseprospekte die sonnenselige Urlauberin spielen soll.«

»Urlauberin bin ich zur Zeit tatsächlich. Geschäftsfrau bin ich nicht, sondern Sekretärin und Mädchen für alles. Ich habe oft im Hafen zu tun, muß mich darum kümmern, daß die Ware noch rechtzeitig ankommt, und so weiter, und so weiter.«

»Und momentan haben Sie Urlaub?« forschte Petra. »Sie wollen nach Hause reisen?«

Uschi schüttelte den Kopf. Das wellige blonde Haar wehte ihr ins Gesicht. Mit einer trotzig wirkenden Handbewegung strich sie die herrliche Fülle zurück. »Nein, nicht nach Hause! Auf gar keinen Fall! Eigentlich wollte ich mit – mit einem Bekannten einen Trip durch die Südsee machen, aber er hat mich versetzt. Nun stehe ich da und weiß nicht, was ich mit den freien Wochen anfangen soll.«

»Ja, dann kommen Sie doch einfach mit uns!« rief Petra spontan und legte die kräftige braungebrannte Hand auf Uschis Arm. »Morgen früh laufen wir aus, kreuzen ein bißchen durch die bunte Inselwelt, und in ein paar Wochen, wenn Ihr Urlaub zu Ende ist, setzen wir Sie wieder hier ab. – Du bist doch einverstanden, Markus, nicht wahr?«

»Klar!« strahlte der Hüne. »Das heißt, wenn es Fräulein Uschi bei uns komfortabel genug ist. Eine Koje haben wir zwar noch frei, aber die Kammer ist winzig. Man kann sich kaum darin umdrehen.«

»Zum Schlafen langt’s allemal!« ereiferte sich Petra, der offensichtlich daran gelegen war, ein wenig weibliche Gesellschaft zu bekommen. »Ansonsten halten wir uns ja doch fast immer an Deck auf. Oder wir legen irgendwo an einer einsamen Insel an, klauen Kokosnüsse und schmoren in der Sonne! Na, wie wär’s?«

Uschi zögerte. Da spürte sie, daß sich Wiebchen dichter an ihre Beine drängte, und das kleine Mädchen blinzelte ihr so aufmunternd zu, daß sie einfach nicht widerstehen konnte.

»Einverstanden, wenn ich Ihnen nicht lästig bin!«

»Au fein! Das wird schön! Das wird schön!« jubelte das Kind auf, vollführte einen wahren Freudentanz auf den Decksplanken, ergriff schließlich Uschis Hand und flüsterte aufgeregt: »Liest du mir auch jeden Abend ein Märchen aus meinem dicken Buch vor?«

»Kind, so kenne ich dich ja gar nicht«, staunte Petra. »Sie ist sonst Fremden gegenüber auffallend zurückhaltend.«

»Können Sie morgen früh reisefertig sein?« mischte sich Markus Bergmann sachlich ein. »Oder sollen wir die Abreise noch ein bißchen hinausschieben?«

»Nicht meinetwegen! Ich bin in einer Stunde fertig, wenn es sein muß.« Uschi spürte plötzlich eine prickelnde Erregung bis in die Fingerspitzen. Dieses Angebot hatte ihr eine gütige Schicksalsfee geschickt. Zahllose neue Eindrücke würden auf sie einstürzen und die Vergangenheit verdrängen. Die Bergmanns waren von einer umwerfenden Natürlichkeit. Sie hatte das Gefühl, diese abenteuerlustige Familie schon seit langem zu kennen. Und dann war da noch das Kind, dieses entzückende kleine Mädchen, das so zärtlich zu ihr her schaute, daß Uschi es am liebsten umarmt und an ihr Herz gedrückt hätte.

Die vor ihr liegenden Wochen würden unbeschwert und voller Glück sein!

Nie in ihrem Leben hatte Uschi Klinger sich grausamer geirrt.

*

Drei Tage auf hoher See!

Uschi aber hatte das Gefühl, als wären schon drei Monate vergangen, seit sie aus dem Hafen von Singapur ausgelaufen waren. Unter dem unendlichen Himmel verlor die Zeit völlig ihre Bedeutung. Alle Sorgen und Nöte entglitten in wesenlose Fernen, wurden so unwirklich wie die Welt jenseits des Horizonts, die man nur noch ahnen konnte. Real war einzig und allein das kleine weiße Schiff auf dem weiten Ozean, eine in sich abgeschlossene Welt ohne Streit und Neid, ohne Aggressionen und Intrigen, ohne Fernsehen und Telefon. Nur der leistungsstarke Kurzwellenempfänger, der sogar deutsche Sender hereinholte, bildete eine einseitige Verbindung zur Außenwelt.

Uschi lag im Decksstuhl unter dem ausgespannten Sonnensegel und blickte träumerisch zu den weißen Haufenwolken empor, die wie Schlagsahnegebirge am Himmel standen. Neben ihr blätterte Wiebchen in einem dickleibigen farbig illustrierten Märchenbuch.

»Uschi?«

»Ja, Wiebchen?«

»Weißt du, daß ich früher auch auf einem Schloß gewohnt habe? Auf einem wunderschönen Schloß mit goldenen Dächern und mit weißen Schwänen auf dem See.«

»Tatsächlich?«

»Es hatte einen soooo hohen Turm, daß man ganz außer Puste war, wenn man oben ankam. Aber dann konnte man weit sehen, über die Wälder und die Berge. Das war schön.«

»Auf einem Schloß würde ich auch gern leben«, murmelte Uschi wie im Traum. Sie hatte bereits festgestellt, daß das kleine Mädchen über eine blühende Phantasie verfügte und sämtliche Märchen aus dem Buch ausspann und ausschmückte, bis sie kaum noch wiederzuerkennen waren.

»Wenn wir wieder nach Hause kommen, nehme ich dich mit!« versprach Wiebchen eifrig. »Dann wirst du eine richtige Prinzessin!«

»Kein schlechter Gedanke. Fehlt nur noch der Prinz.«

»Prinz Florian!« antwortete Wiebchen wie aus der Pistole geschossen. »Eigentlich wollte ich ihn ja heiraten, aber ich bin doch noch so klein, und es dauert soooo lange, bis man erwachsen wird! Du kannst ihn haben!«

»Wie großmütig. Danke! Wie sieht er denn aus, dieser Prinz Florian?«

»Wunderschön!« erwiderte das Kind fast andächtig.

»Das erwartet man auch von einem Prinzen, daß er wunderschön ist«, lächelte Uschi.

»Groß war er, schön schlank, und schwarze, lockige Haare hatte er, die glänzten in der Sonne wie ein Helm.«

»Schwarze, lockige Haare? Wie du, Wiebchen?«

»Nein, viel schöner! Richtig glänzend. Und er hat immer so lieb gelächelt, wenn er mich sah. Seine Augen waren – glaube ich – blau.« Wiebchen legte die Stirn in nachdenkliche Falten. »Ja, so blau wie der Himmel. Dunkelblau. Am schönsten war es immer, wenn Prinz Florian mich auf sein weißes Pferd gehoben hat. Dann ritten wir durch den Wald zu den Tieren, zu den Rehen und Hirschen und Hasen und Fasanen. Die waren alle ganz zutraulich, richtig zahm. Im Winter natürlich nur, wenn Prinz Florian sie fütterte, mit Heu und Rüben und Maiskolben.«

»Ein lieber Kerl, dein Prinz Florian.«

»Ja, er war der Allerbeste. Einmal, weißt du, da war ich krank und mußte im Bett bleiben. Da hat er den ganzen Tag bei mir gesessen, weil alle anderen weg mußten. Er ist extra nicht in sein Büro gefahren, und wir haben gespielt, und er hat mir Märchen vorgelesen, viele Märchen.«

»Schade«, seufzte Uschi. »Mir hat nie jemand Märchen vorgelesen, wenn ich krank war.«

»Das tut mir aber leid.« Wiebchen legte mitfühlend die Hand auf die Wange des blonden Mädchens.

Ein warmes, zärtliches Gefühl durchrieselte Uschi. Wiebchen war ihr in diesen Tagen auf eine seltsame Weise ans Herz gewachsen. Sie hingen aneinander wie die Kletten.

»Zum Glück war ich nicht oft krank. Du, Wiebchen?«

»Nein, nur das eine Mal, glaube ich. Es ist alles schon so lange her. Ich kann mich schlecht erinnern. Aber an Prinz Florian erinnere ich mich ganz genau.«

Weil du ihn aus deinen Träumen erschaffen hast, Kind, dachte Uschi bei sich. So einen wundervollen Mann gibt es im wirklichen Leben nicht. Leider…

»Warum hast du eben so geseufzt, Uschi?«

»Habe ich gar nicht gemerkt.«

»Ist dir schwer ums Herz?«

»Wie kann mir schwer ums Herz sein, wenn ich bei euch sein darf! Ist es nicht herrlich, frei wie ein Vogel über das Meer zu fliegen?«

»Manchmal ist es ganz schön langweilig. Und meiner Mami ist auch manchmal schwer ums Herz. Ja, hat sie selbst gesagt.«

»Das bleibt wohl keinem Menschen erspart, Wiebchen. Aber deine Mami kann sehr glücklich sein, weil sie dich hat – und deinen Vati.«

»Hast du niemanden, Uschi?«

»Leider nicht. Das heißt, ich habe natürlich ein paar gute Bekannte. Freunde – vielleicht.«

»Keine Mami? Und keinen Papi?«

»Mein Vati ist schon gestorben, als ich drei Jahre alt war. Ich entsinne mich nicht mehr an ihn. Und meine Mutter verunglückte vor zwei Jahren mit dem Auto.«

»Ach, du Arme.« Wiebchen warf spontan die Ärmchen um Uschis Hals. »Weißt du was? Du mußt Prinz Florian heiraten!«

»Vielleicht ist er inzwischen längst verheiratet«, ging Uschi mit einem wehmütigen Lächeln auf das vermeintliche Spiel ein.

»Nein!« fuhr Wiebchen da auf. »Nein, die rote Hexe bekommt ihn nicht!« Die dunklen Kinderaugen sprühten Blitze des Zorns.

»Welche Hexe? Du wirst ja richtig wütend.«

»Die rote Hexe! Ich weiß nicht mehr, wie sie hieß. Aber sie wollte Prinz Flo-rian einfangen. Das haben sie alle gesagt. Und einsperren! Aber er wollte sie nicht, denn sie war giftig und böse.«

»Na, dann haben wir beide ja noch Hoffnung.«

»Am besten, wir schreiben ihm gleich einen Brief! – Mami, Mami, wir wollen einen Brief an Prinz Florian schreiben! Hast du ein Blatt? Und die Adresse vom Schloß?«

Petra Bergmanns Gesicht tauchte am Niedergang auf, der in die Kajüte führte. Die Mutter des kleinen Mädchens war gerade damit beschäftigt, in der winzigen Kochnische das Essen aus Konserven zu bereiten. »Erzählst du schon wieder wilde und romantische Geschichten, Wiebchen?«

»Aber, Mami, das sind doch keine Geschichten!« empörte sich Wiebchen. »Das ist wahr! Ich möchte so gern, daß Prinz Florian Uschi heiratet!«

»Sehr freundlich von dir«, erwiderte Petra ungewohnt unwirsch, »aber es gibt keinen Prinzen.«

»Doch, es gibt ihn! Auf dem Schloß.«

»Es existiert auch kein Schloß.«

»Das mit den goldenen Dächern! Ihr habt mich da weggeholt! Ich weiß es ganz genau. Und ich mußte ganz leise sein.«

»Ich finde es reichlich übertrieben, wenn du unsere schlichte Drei-Zimmer-Wohnung als ein Schloß bezeichnest.«

Markus Bergmann, der mit Reparaturarbeiten an der automatischen Ruderanlage beschäftigt war, hob den Kopf. »Was höre ich da? Erzählt ihr von Schloß Erlenberg?«

Da rötete sich Petras Gesicht flammend, und sie rief unwillig: »Fängst du jetzt auch noch mit dem blühenden Unsinn an? Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du das Kind nicht in seinen Phantastereien bestärken sollst! Ein Schloß Erlenberg gibt es nirgendwo!«