Heimatkinder 22 – Heimatroman - Gisela Heimburg - E-Book

Heimatkinder 22 – Heimatroman E-Book

Gisela Heimburg

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Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. Wie im Traum schlenderte Julia Wellner durch den schattigen Wald. Vögel jubilierten, Schmetterlinge gaukelten um Fingerhut und Glockenblume, irgendwo hämmerte ein Specht.Plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, stand eine Gestalt vor dem einsamen Mädchen. Julia erschrak, ihr Herz pochte wie wild. Doch dann lächelte sie erleichtert. Ein Förster! Die grüne Uniform flößte ihr sofort Vertrauen ein. Doch das Gesicht des Mannes – er mochte Anfang dreißig sein – blieb starr. Ihr Lächeln löste darin keinen Widerschein aus. Wie finster er wirkte!

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Heimatkinder –22–

Die Kinder des Försters

Heidi und Carsten bangen um ihr Zuhause

Roman von Gisela Heimburg

Wie im Traum schlenderte Julia Wellner durch den schattigen Wald. Vögel jubilierten, Schmetterlinge gaukelten um Fingerhut und Glockenblume, irgendwo hämmerte ein Specht.

Plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, stand eine Gestalt vor dem einsamen Mädchen.

Julia erschrak, ihr Herz pochte wie wild. Doch dann lächelte sie erleichtert. Ein Förster! Die grüne Uniform flößte ihr sofort Vertrauen ein.

Doch das Gesicht des Mannes – er mochte Anfang dreißig sein – blieb starr. Ihr Lächeln löste darin keinen Widerschein aus. Wie finster er wirkte!

»Haben Sie die Tafeln nicht gesehen?«, fragte er in gebieterischem Tonfall, der Julia sofort in Opposition brachte.

»Tafeln? Was denn für Tafeln? Sie meinen doch nicht etwa die Schiefertafeln in der Baumschule?« Sie neigte ihr von blonden welligen Haaren reizvoll umrahmtes Gesicht ein wenig schräg und musterte den Forstmann herausfordernd.

Doch er schien keinen Sinn für Humor zu haben. »Glauben Sie etwa, die Verbotsschilder hätte ich nur zu meinem eigenen Vergnügen aufgestellt?«

»Verbotsschilder? Gibt es die hier auch?«, fragte Julia mit erhobener Stimme.

»Allerdings. Und was meinen Sie, warum ich sie angebracht habe?« Er musterte sie kühl.

Julia zuckte aufreizend gleichmütig die Achseln. »Vielleicht, um Ihre Existenzberechtigung nachzuweisen? Um zu patrouillieren und festzustellen, ob Ihre Verbote auch untertänigst eingehalten werden?«

»Lassen Sie den Unsinn. Es handelt sich um ein Wildschutzgebiet. Spaziergängern ist das Betreten untersagt.«

»Ach! Und ich dachte, die Wälder seien für alle da, als Erholungsgebiete, wie es so schön heißt, für die gestressten Großstädter.«

»Vor allem sind die Wälder für das Wild da, oder schlagen Sie vor, dass die Rehe und Hirsche zum Ausgleich in die Großstädte übersiedeln?«, fragte er ironisch.

»Ich habe noch keinen Hirsch und kein Reh vertrieben. Ich habe überhaupt noch kein Wild gesehen, Herr Förster!«

»Schluss der Debatte. Kehren Sie sofort um, und lassen Sie sich hier nie wieder blicken.«

Das hätte er nicht sagen sollen. Julia richtete sich zu voller Größe auf. Bevor sie antwortete, musterte sie den Herrn des Waldes eindringlich. Unverschämt gut sah er aus, dunkelhaarig, sonnenverbrannt, groß und breitschultrig. Die grüne Uniform stand ihm prächtig, trotzdem – er war ein Ekel!

»Und wenn ich mich hier wieder blicken lasse, dann erschießen Sie mich, ja?«, fragte sie gedehnt und lächelte spöttisch.

»Nein, dann legte ich dich übers Knie, du freches Ding.«

Damit drehte er sich um und ging gemessenen Schrittes davon, ohne sich noch einmal umzuschauen.

Julia hatte es buchstäblich die Sprache verschlagen. Das Blut schoss ihr ins Gesicht. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis sie weh tat. Dieser unverschämte Kerl! Was bildete er sich ein? Sie war kein Teenager, sie war immerhin vierundzwanzig Jahre alt! – Dann lege ich dich übers Knie, du freches Ding …

Was hätte sie darum gegeben, wenn ihr in diesem Moment eine entsprechende Antwort eingefallen wäre. Doch sie war völlig durcheinander und fühlte sich plötzlich ganz hilflos, ihr fiel einfach keine Entgegnung ein, dabei war sie doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Sie einfach zu duzen! Als ob sie eine Göre wäre!

Julia ahnte nicht, wie unwahrscheinlich jung und unberührt sie an diesem Tage aussah. Als habe der Aufenthalt im Wald sie auf geheimnisvolle Weise verjüngt und in ihre Mädchenjahre zurückversetzt. Das weiße Kleid mit den roten Tupfen, das lose blonde Haar, in dem Sonnengold flirrte, die gelösten Gesichtszüge – das alles hatte die tüchtige Chefsekretärin Julia Wellner in ein Geschöpf der Wälder verwandelt, in ein Kind der Natur.

Der Förster war längst um die Wegbiegung verschwunden. Noch immer stand Julia reglos auf derselben Stelle, wie durch einen Zauberspruch gebannt.

Als kleines Mädchen hatte sie für Förster geschwärmt. »Mami, wenn ich groß bin, heirate ich einen Förster.« Wie oft hatte ihre Mutter das zu hören bekommen. Förster waren für sie stets als der Inbegriff romantischer, zuverlässiger und fröhlicher Männer. Dies war der erste, den sie näher kennen lernte. Welch ein Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit.

Julia seufzte. Langsam drehte sie sich um. Sie wollte nicht riskieren, dass der Forstmann hinter dem nächsten Busch auf sie lauerte, um zu kontrollieren, ob sie sich seinem Befehl widersetzte. Nein, sie wollte diesem Burschen auf keinen Fall noch einmal begegnen.

Sie war schon eine ganze Weile gewandert, als sie vom Pfad abbog und sich durch dichtes Gebüsch zwängte. Auf einer versteckten, malerisch versponnenen Lichtung lag ihr kleines Zelt.

Hier verbrachte sie seit zwei Tagen ihren Urlaub, und sie gedachte, noch mindestens eine Woche zu bleiben.

Wenn – ja – wenn der Förster sie nicht erwischte!

Sie wusste, dass es nicht erlaubt war wie so vieles im Leben – mitten im Wald allein zu zelten. Aber auch die Vorstellung, eine Zeit lang völlig allein in den Wäldern zu kampieren, wie eine kleine Zigeunerin, gehörte zu ihren Kindheitsträumen. Sie hatte den Brüdern ihrer Freundin davon erzählt, dem siebzehnjährigen Frank und dem sechzehnjährigen Armin, und die beiden Jungen hatten sich sofort bereiterklärt, ihr ein kleines Zelt zu leihen und es an einer geheimen Stelle aufzubauen. Für Frank und Armin war es ein verspätetes Indianerspiel gewesen, für sie aber ging ein Traum in Erfüllung, der in Wirklichkeit noch schöner, noch aufregender war als in der Fantasie.

Wie sie das Leben in der Einsamkeit genoss! Ob sie sich nicht fürchte, hatten die Jungen sie beim Abschied gefragt. Nein! Julia hatte das Gefühl, dass der Wald sie beschützte, dass jeder einzelne Baum ein Wächter hier war.

Sie ließ sich neben dem Zelt ins hohe Gras sinken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. An dem kleinen Stückchen Himmel, das sie sah, hingen weiße Sommerwolken – Segelboote, die zu glücklichen Ufern trieben und nur darauf warteten, mit geheimen Wünschen und Sehnsüchten beladen zu werden. Noch nie hatte Julia so intensiv gefühlt, dass sie lebte, wie hier in der Stille, in der völligen Abgeschiedenheit.

Doch kaum war sie nach zwei Tagen einem Menschen begegnet, gab es sofort wieder Streit und Zank. Fürchterlich!

Julia beschloss, nicht mehr an den ekligen Förster zu denken, um sich nicht die schönen Urlaubstage zu verderben. Doch die Erinnerungen an diesen düsteren Mann kehrten immer wieder wie lästige Mücken, ließen sich einfach nicht vertreiben. Vielleicht war er ein unglücklicher Mensch. Vielleicht hatte er ein schweres Schicksal zu verkraften. Warum versuche ich, ihn zu entschuldigen?, fragte sich Julia wütend. So ein Blödsinn.

Sie kramte eines der Taschenbücher hervor, die sie mitgenommen hatte. Doch was sie las, nahm sie gar nicht in sich auf, immer wieder schweiften ihre Gedanken ab.

Diese dunklen geheimnisvollen Männeraugen.

Unmerklich senkte sich die Dämmerung über die Waldeinsamkeit.

Julia entzündete die Stalllaterne, die an der Zeltstange hing. Noch lange saß das Mädchen an diesem Abend im hohen Gras vor dem Zelt und träumte in die Nacht, die von Mondenschein und geheimnisvollem Wispern erfüllt war. Als der Mond höher stieg und seinen bleichen Schein auf die Lichtung warf, glaubte Julia Elfen tanzen zu sehen. Die Nacht war voller Wunder.

*

Am nächsten Morgen waren es die jubilierenden Vögel, die Julia sanft weckten. Verschlafen kroch das Mädchen aus dem Zeit. Wie die Welt strahlte und funkelte! Myriaden Tautropfen hingen an den Gräsern und Blättern und blitzten in allen Regenbogenfarben. Wie schön die Welt war. Die Stille im Wald hatte etwas völlig Unirdisches. Julia fühlte sich wie neugeboren. Alles Vergangene verblasste.

In der Nähe sprang ein murmelnder Bach über Felsgestein durch einen dichten, hochstämmigen Fichtenwald. An einer Stelle, wo sich ein kleiner Stau gebildet hatte, verrichtete Julia ihre Morgentoilette. Das Wasser war klar und eiskalt und erfrischte auf wundersame Weise.

Bald summte der Teekessel auf dem Hartspirituskocher. Duftender Kaffee, dazu Schwarzbrotschnitten mit Butter – nie hatte Julia köstlicher gefrühstückt.

Anschließend verließ sie die Waldwiese zu einem ziellosen Spaziergang. Noch immer war das Gras, durch das sie mit nackten Füßen streifte, taufeucht. Sie trug einen bunten schwingenden Rock und eine weiße Zigeunerbluse, die ihre Schultern nicht bedeckte. Julia wollte die Sonne und den sanften Wind auf der Haut spüren.

Ihr blondes Haar wehte so leicht wie eine Sommerwolke. Und so leicht war auch ihr Sinn an diesem herrlichen Morgen.

Plötzlich sah Julia etwas Rotes durch das dichte Grün schimmern. Ein Dach! Die Försterei?

Julia erschrak. Sie hatte nicht geahnt, dass sich ihre versteckte Waldlichtung so nahe beim Forsthaus befand. Schon wollte sie umkehren, um dem Förster nicht zufällig zu begegnen, da hörte sie Stimmen.

Es war der Förster von gestern – kein Zweifel. Seine Stimme erkannte sie sofort. Und er redete genauso unwirsch und herrisch wie gestern. Es schien seine Art zu sein, die Leute abzukanzeln. Wer war heute das Opfer?

Julia spähte durch die hohe, dichte Hecke, die den Garten des Försterhauses einfriedete.

Sie entdeckte zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, die wie arme Sünder vor dem Forstmann standen.

Das kleine Mädchen hielt eine Puppe im Arm, so fest und zärtlich, als sei es ein lebendiges Wesen, das es vor dem Zorn des Mannes in der grünen Uniform zu schützen galt.

»Woher hast du die Puppe?«

»Gekauft«, antwortete das blonde Mädchen.

»Wann?«

»Gestern im Dorf.«

»Und womit hast du sie bezahlt?«, forschte der Förster, offensichtlich der Vater der Kinder, in einem Tonfall, als gelte es einen auf frischer Tat ertappten Wilddieb zu verhören.

»Mit – meinem – Taschengeld«, erwiderte das Kind kläglich. »Und …« Es stockte.

»Und?«, drohte der Forstmann.

»Und mit meinem«, platzte der Junge heraus. Er mochte etwa sieben Jahre alt sein, vielleicht ein Jahr älter als das Mädchen. Sein Gesicht war offen und sehr sympathisch. Er gefiel Julia auf Anhieb. »Wir haben zusammengelegt.«

»Aha! Und wie viel ist übrig geblieben?«

»Achtzig Cent. Dafür haben wir Himbeerbonbons gekauft«, gestand das Mädchen.

»Das ist ja großartig«, grollte der Förster. »Ihr habt also euer gesamtes Taschengeld am Monatsbeginn ausgegeben. Und wie soll es die restlichen achtundzwanzig Tage weitergehen?«

»Wir …, wir brauchen nichts mehr«, erklärte der Junge und senkte den Blick.

»So, ihr braucht nichts mehr. Das kennt man ja. Typisch! Dieser bodenlose Leichtsinn ist typisch für euren … Na ja, lassen wir das. Aber eines merkt euch ein für alle Mal, so etwas gibt es nicht. Damit fangen wir gar nicht erst an. Ihr bringt die Puppe auf der Stelle in den Laden zurück und lasst euch das Geld wiedergeben.«

»Nein, bitte nicht!«, rief das kleine Mädchen weinerlich und drückte sein Puppenkind noch inniger an die Brust.

»Du willst dich widersetzen, Heidi?«

»Bitte, bitte, Papi, lass mir doch …«

»Nein, habe ich gesagt. Ich will nicht schuld sein, wenn aus euch auch eines Tages verantwortungslose, leichtsinnige, egoistische junge Leute werden sollten. Ich nicht! So, und jetzt setzt euch in Trab. Kommt ja nicht auf die Idee, mich zu beschwindeln. Ich will nachher das Geld sehen, auf Heller und Pfennig! Verstanden?«

»Aber Papi, wir haben doch nur …«, begann der Junge, doch der Förster fiel ihm ins Wort:

»Es geschieht nur zu eurem eigenen Besten, Carsten. Wenn ihr es jetzt auch noch nicht versteht.«

»Das sagen die Erwachsenen immer«, maulte Carsten.

»Na und? Hast du etwas dagegen, wenn man sich Sorgen um euch macht?«, fragte der Förster unwirsch.

Der Junge schwieg und rupfte einen Grashalm aus, den er angelegentlich um den Finger wickelte.

»Ich gebe mein Püppchen nicht her«, wimmerte Heidi und machte ein so todtrauriges Gesichtchen, dass es der unfreiwilligen Lauscherin hinter der Hecke ins Herz schnitt.

»Wie bitte? Auch noch patzig werden?« Der Förster griff nach der Puppe, wollte sie dem Kind entreißen, doch Heidi umklammerte das Spielzeug, an dem sie offenbar bereits schon richtig hing, voller Verzweiflung und mit erstaunlicher Kraft.

Der Förster aber lief hochrot an vor Zorn. Schon schien es, als hebe er die Hand, um dem Kind eine Ohrfeige zu gehen.

Da konnte Julia nicht länger an sich halten. Mit einem lauten »Nein!«, zwängte sie sich durch die Hecke und stolperte über den Rasen zu den drei Menschen hin.

Der Förster und die beiden Kinder erstarrten in der Bewegung, als sei plötzlich ein Film gestoppt.

»Sie werden Ihre Tochter nicht schlagen!«, keuchte Julia außer sich und musterte ihn mit flammendem Blick.

Das angespannte sonnengebräunte Gesicht des Försters entspannte sich in einem spöttischen, überheblichen Lächeln. »Ach, schau an, die kleine Frau von gestern. Was wünschen Sie?«

»Ich wünsche, dass Sie nicht so hartherzig sein sollen!«, fauchte Julia.

»Wie bitte? Hartherzig?«

»Wie würden Sie es denn bezeichnen, einem unschuldigen Kind das Lieblingsspielzeug zu entreißen?«

»Darf ich fragen, wie Sie dazu kommen, sich in meine Angelegenheiten zu mischen?«

»Ja, das dürfen Sie, Herr Förster. Man muss sich einmischen, wenn man sieht, wie Kinder misshandelt werden«, stieß sie außer sich hervor.

»Misshandelt? Bei Ihnen piept’s wohl?«

»Nun ja, misshandelt ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ich finde es gemein, wie Sie mit Ihren Kindern umspringen! Ich kam ganz zufällig vorbei und habe alles mit angehört.«

»Aha! Dann müssten Sie meine Erziehungsmaßnahmen eigentlich billigen.« Der Förster lächelte sie plötzlich so entwaffnend an, dass Julia weiche Knie bekam, und völlig aus dem Konzept geriet.

»Ich – also, ich finde es großartig von Ihrem Jungen, dass er sein Taschengeld geopfert hat, um seiner Schwester einen großen Wunsch zu erfüllen«, stammelte sie und streifte die beiden Kinder, die noch immer stocksteif dastanden, mit einem zärtlichen Blick.

»So, großartig finden Sie das.« Wieder verdüsterte sich das Gesicht des Mannes. »Sie sind den Kinderschuhen ja auch noch nicht lange entwachsen.«

»Ich bin vierundzwanzig!«

»So, vierundzwanzig schon, soso! Immerhin jung genug, um zu der Generation von Gören zu gehören, denen man jeden Wunsch erfüllt hat, und zwar so schnell wie möglich – und was kommt dabei heraus? Sehen Sie sich selbst an, dann wissen Sie die Antwort.«

Julia schnappte nach Luft. Das war ja unerhört!

Schließlich fasste sie sich. »Was wollen Sie damit sagen?« Ihre Augen, die plötzlich wie grünes Eis funkelten, wurden schmal. Sie verschränkte die Arme über der Brust.

»Genau das will ich damit sagen«, erwiderte der Förster spöttisch. »Sie gehören zu den jungen Leuten, die glauben, sich überall einmischen zu dürfen, und die grundsätzlich keine Verbote – und seien sie noch so vernünftig – akzeptieren.«

Julia musterte ihn irritiert. Wie alt mochte der Mann im grünen Rock sein? Höchstens Anfang dreißig, also sechs bis acht Jahre älter als sie selbst. Wie kam er dazu, sich als ehrwürdiger, verknöcherter älterer Herr aufzuspielen?

»Worauf warten Sie noch?«, fragte er herablassend.

»Na, worauf wohl? Dass Sie Ihrer Tochter versprechen, ihr die Puppe nicht wieder wegzunehmen.«

»Sie geben nicht so leicht auf, wie?«

»Wellner ist mein Name, Julia Wellner.«

»Sie erwarten doch nicht, dass ich angenehm sage?«, fragte er voll Ironie.

»Nein, aber es sollte sich bis in den Hinterwald herumgesprochen haben, dass es das einfachste Gebot der Höflichkeit ist, dass man ebenfalls seinen Namen nennt, wenn sich jemand vorstellt«, konterte sie.

Er verneigte sich mit großer Geste. »Matthias Hartmann ist mein werter Name.«

»Hartmann, schau an. Das hätte ich mir denken können. Der Name passt ja wie angegossen.«

»Das fanden meine Eltern auch, als sie ihn mir aussuchten.«

»Haha, sehr witzig.«

»Es freut mich, dass ich Sie erheitern konnte. Aber nun entschuldigen Sie mich bitte.«

»Und was wird mit der Puppe?«, wollte Julia wissen.

»Dreimal dürfen Sie raten.«

»Das können Sie Ihrem Töchterchen doch nicht antun.« Spontan trat Julia auf das blonde Kind zu und legte den Arm um seine Schultern. Wie schutzsuchend drängte Heidi sich an sie. Im gleichen Augenblick fühlte Julia ein starkes, unerklärliches Gefühl tiefer Verbundenheit mit diesem fremden Kind. Am liebsten hätte sie Heidi fest an ihre Brust gezogen, gestreichelt und getröstet.

Matthias Hartmanns Blick war es, der sie bannte und zurückweichen ließ.

»Gehen Sie!«, stieß der Förster hervor, so streng, so fordernd, dass sie all ihren Mut zusammennehmen musste, um sich ihm noch einmal entgegenzustellen. »Ich – ich werde die Puppe bezahlen. Ich möchte sie Ihrem Töchterchen schenken.«

»Nein, zum Donnerwetter! Es geht ums Prinzip – verstehen Sie das wirklich nicht?«

»Nein, ich …«

»Es reicht mir, wenn ich mich mit zwei Kindern herumärgern muss. Ich habe keine Lust, auch noch ein drittes zu erziehen. Also verabschieden Sie sich endlich!«

Seine Augen glühten zornig. Julia blieb nichts anderes übrig, sie trat den Rückzug an. Sie fühlte sich geschlagen. Dieser Mensch hatte sie gedemütigt. So etwas war ihr überhaupt noch nicht passiert. Am liebsten hätte sie den Förster wie eine gereizte Tigerkatze angefaucht, doch sie wollte vor den Kindern keine Szene machen. Darum verließ sie mit hochrotem Kopf den Garten. Die Kinder taten ihr leid. Sie hatte geglaubt, derart autoritäre, patriarchalische Väter wären längst ausgestorben. Sie hatte sich offenbar gründlich geirrt. Ihr Herz hämmerte vor Aufregung. Sie blickte nicht mehr zurück, sondern eilte mit großen Schritten davon.

Als Julia ihr Zelt auf der versponnenen Lichtung erreichte, ließ sie sich erschöpft ins Gras fallen. Noch immer fühlte sie sich innerlich aufgewühlt. Dieser Mensch mit seinen dunklen zornigen Augen ging ihr nicht aus dem Sinn. Sie versuchte sich seine Frau vorzustellen, die Mutter der Kinder, und malte sich ein stilles, sanftes Geschöpf aus, das lieb zu Heidi und Carsten war, sich gegen ihren Tyrannen von Ehemann jedoch nicht durchsetzen konnte. Ein schlimmes Schicksal, mit einem derart selbstherrlichen Klotz verheiratet zu sein. Julia nagte an ihrer Unterlippe, bis es wehtat.

Schließlich erhob sie sich und überlegte, was sie nun anfangen könnte. Der Friede des Waldes, den sie bisher so genossen hatte, war einer beklemmenden Stille gewichen, die an Julias Nerven zerrte.

Sie zuckte daher wie elektrisiert zusammen, als sie in dieser Stille Stimmen hörte. Sie sehnte sich plötzlich danach, mit einem normalen Menschen ein paar belanglose Worte zu wechseln.

Sie lauschte. Waren das nicht Kinderstimmen? Julia zwängte sich durch die Haselnussbüsche, die am Südrand der Lichtung eine dichte Hecke bildeten. Die Kinder des Försters bummelten Hand in Hand einen schmalen Pfad entlang, der sich durch mächtige Farnkräuter schlängelte.

»Heidi! Carsten!« Wie von selbst waren die Namen über ihre Lippen geschlüpft.

Die Kinder verharrten und wandten die Köpfe. Die Sonnenkringel, die durch die Baumwipfel brachen, tanzten in ihren blonden Haaren. In diesem Augenblick erschienen sie Julia wie zwei kleine Engel, die aus den Wolken herabgestiegen waren, um den Menschen Kunde von einer Welt der Liebe und des Friedens zu bringen.

Über das Gesichtchen des kleinen Mädchens ging ein Leuchten, das Julia vollends verzauberte.

»Heidi, Carsten, kommt her!«

Mit einem Freudenlaut begannen die Kinder zu laufen, eilig, stolpernd, ohne sich loszulassen. Mit geröteten Wangen und blitzenden Augen blieben sie vor Julia stehen.

»Wo kommt ihr her?«, erkundigte sich die Vierundzwanzigjährige.

»Aus dem Dorf«, antwortete Carsten artig.

»Wir – wir haben mein Püppchen abgegeben«, ergänzte Heidi und schluckte krampfhaft die aufsteigenden Tränen hinunter.

»Euer Vati hat sich also tatsächlich nicht erweichen lassen«, murmelte Julia bedrückt. Sie gab sich einen Ruck. »Na, kommt erst einmal mit zu mir.«